
Auf der Mülldeponie des fiktiven Kapitals
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1. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich das Gesicht des Kapitalismus vor allem in einer Hinsicht dramatisch verändert: Noch nie in seiner Geschichte hatte der Finanzsektor auch nur ansatzweise so großes Gewicht innerhalb der Gesamtwirtschaft wie in der gegenwärtigen Epoche. In den 1970er (...)
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Montag morgens wird der Delinquent zwecks Hinrichtung aus seiner Zelle geholt. Sein Befund: „Die Woche fängt ja gut an!“ Ein Witz – wir dürfen schmunzeln! Wäre es keiner, gehörte sich das freilich nicht! Leben ist immerhin eine ernste Sache, gegen Ende zu eine todernste gar. Wir aber schmunzeln, (...)
Lauter Lustbarkeiten – trotz alledem
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Am Ende von Interviews werden Künstler/innen und Wissenschaftler/innen gerne gefragt, worum es im Leben gehe. Oft kommt darauf die Antwort: „Um Liebe und Tod.“ – Ja, aber was ist mit der Lust? Mit der Lust in all ihren unendlichen Variationen? Lust, der Welt mit allen Sinnen zu (...)
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Dieser Versuch umkreist die These, dass die heute selbstverständlich erscheinende Verbindung von Lust und Liebe sich historisch entwickelt hat; ferner: dass sich mit der lustvollen Liebe die Vorstellungen von der Liebe selbst verändert haben, insbesondere in der Ausformung des romantischen (...)
Occupied by the Spectacle
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Wenn es etwas Lächerliches daran gibt, von der Revolution zu sprechen, dann natürlich deshalb, weil die organisierte revolutionäre Bewegung aus den modernen Ländern, in denen die Möglichkeiten zu einer entscheidenden Gesellschaftsveränderung konzentriert sind, seit langem verschwunden ist. Dass alles (...)
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Ewig hat es sie ja nicht gegeben. Der Geschlechtstrieb ist lediglich ein Instinkt, aber noch keine Lust. Lust entsteht erst historisch mit der Entwicklung der Sexualität, die über den Sex hinausreicht. Lust ist nicht instinktgesteuert. Lust ist also etwas anderes als der direkte Trieb oder die (...)
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In der Lust mag Gier sein, aber die Lust ist deswegen keine Gier, wie das Synonym doch unverzeihlich nahe legt. Appetitio mit Begierde zu übersetzen, ist jedenfalls nicht treffend. Wäre nicht, was Begierde heißt, mit Sinneslust besser und treffender umschrieben? Ebenso übrigens die Neugierde mit (...)
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Mit vier war ich sehr draufgängerisch. Ich war (zugegeben) blond, meist in Cord- oder karierten Hosen, nicht allzu leicht zu beeindrucken, und ich fuhr Ferrari. Entsprechend rot. Was anderes kam nicht in Frage. Mein Beuteschema war klar: groß, dunkel, lässige Gangart. Hat immer geklappt. Kleinere (...)
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Das Hörspiel die Umarmung, nach Picasso, das die Autorin Otto Breicha gewidmet hat, entsteht im September und Oktober 1985, wird vom WDR unter der Regie von Klaus Schöning produziert, am 10.6.1986 findet die Erstsendung statt. Der Titel die Umarmung, nach Picasso hat die Funktion eines (...)
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Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. … Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen – und zu der Natur – muß eine bestimmte, dem Gegenstand deines Willens entsprechende (...)
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Zuweilen versuche ich öffentlich lustig zu sein, zuweilen verdiene ich sogar Geld damit. Denn wie ließen sich die Zumutungen der Realität anders ertragen als durch ironisch-seitliches dran Vorbeigehen? Wie den Zorn sinnvoller sublimieren als durch Satire? Der Humor ist doch das Öl, mit dem sich der (...)
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Essen ist der Sex des Alters, heißt es. Weil man sich zwar noch an Sex erinnert und insgeheim davon phantasiert, aber eigentlich schon zu müde dazu ist und er irgendwie nicht mehr so aufregt, braucht es also Ersatz für die Lust, die der Sex nicht mehr liefern kann. Das ist das Essen. (...)
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Eine Schaukel schwingt zwischen Himmel und Hölle, zwischen Tier und Gott. Sie schwingt von der Ewigkeit unseres Bewusstseins zur Endlichkeit unseres Körpers. Sie schwingt von Libido zu Agape, vom Singen zum Furzen – und wieder zurück. Nennen wir sie die Lustschaukel. Warum wir Menschen schon seit (...)
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Have a lot of fun, lautet der legendäre Hackergruß. Spaß haben? Steht das nicht für die inhaltsentleerte dumpf-blöde „Spaßkultur“ von Comedy & Co? Weit gefehlt. Der Gruß verweist auf die Motivation, sich einer komplexen selbstgestellten Aufgabe hinzugeben – wie die der Entwicklung von Software oder (...)
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Psychische Probleme und Erkrankungen als Symptom und zugespitzte Folge von im modernen Kapitalismus gesellschaftlich weit verbreiteten Bewusstseins- und Subjektivitätsformen zu denken – dieses Thema fristet eher ein Aschenputtel-Dasein. Unerschrocken ob dieser Lage und ob der Umfangsbeschränkung (...)
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Dass Lust der Inbegriff des Guten sei, war eine Position schon in der griechischen Philosophie. Eine von der Pflichtenethik heftig als asozial und unmoralisch gescholtene Auffassung, deren Anthropozentrismus und Individualismus mit ihren durchaus gegensätzlichen Folgerungen freilich nie mehr (...)
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Hörfacetten Beethovens Waldsteinsonate ist hervorragende Musik, sie nimmt mich ab dem ersten Ton auf eine lustvolle Reise, die im rasanten, aber leisen, ja schleichenden Laufen beginnt, das abrupt durch eine mit Inbrunst in die Klaviatur gedonnerte Akkordfolge unterbrochen und von einem irren (...)
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1. Nürnberg, 29.2./1.3.2012 Danke, für den Hinweis auf das neue Pohrt-Buch. Wie empfohlen, habe ich inzwischen einen „Blick hinein“ getan. Ich schreibe Ihnen, nachdem ich über die Hälfte von „Kapitalismus forever“ gelesen habe. Pohrt liest sich natürlich ganz nett, wie seit jeher. Aber theoretisch, (...)
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Seit 1977 reißt in Deutschland die Kette der „Gesundheitsreformen“ nicht ab. Anlass ist jedes Mal die Senkung der so genannten Lohnnebenkosten. Der Löwenanteil des Gesundheitssystems wird nämlich durch Krankenversicherungsbeiträge finanziert, die auf der Grundlage gesetzlich festgelegter Prozentsätze (...)
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Der französische Philosoph Michel Foucault hat im Rahmen eines Vortrags vor der „Société française de philosophie“ am 27. Mai 1978 erstmals einen Gedanken ausgeführt, der in der Folge zentrale Bedeutung in seinem Werk bekommen hat: Kritik hat ihre Grundlage im Wunsch, „nicht so und nicht dafür und (...)
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Ein Freund hat meiner Frau erzählt, dass er seine Zecken-FSME-Immunität oder so hat überprüfen lassen, als die „Auffrischung“ seiner Impfung angestanden ist. Das kostet die Hälfte der Impfung. Es hat sich rentiert, er ist noch ein paar Jahre immun. Meine Frau ist in Sachen Vorsorgemedizin sehr (...)
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Haare. – Der Protest gegen das Establishment muss sich gegen dieses als Ganzes richten. Das ist auch schon in den Sechzigern keine leichte Aufgabe. Der korporative Kapitalismus ist bis in die äußersten Innervationen der menschlichen Lebenszusammenhänge eingedrungen. Widerstand braucht deshalb, so (...)
