Heft 7/2002
Dezember
2002

Wissenschaft als Kritik

Der israelische Historiker Benni Morris im Gespräch

Prof. Benni Morris, den ich im Mai am Rande einer Konferenz in Berlin getroffen habe, wurde als einer der ersten „postzionistischen“ oder „neuen Historiker“ auch über die Grenzen Israels hinaus bekannt. Diese Generation von sich selbst als parteiisch begreifenden WissenschafterInnen hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die „zionistischen Narrative“ zu zerstören und/oder durch arabische zu ersetzen (vgl. Karl Pfeifer in Context XXI, 5-6/02, S. 7ff). Morris Forschungen über die „Nakhba“ (Katastrophe), die Vertreibung der PalästinenserInnen im ersten arabisch-israelischen Krieg 1948, brachten ihm aber auch AnhängerInnen, die ihm gar nicht so recht passen. Arabische Intellektuelle und israelische Linke wären ja noch halbwegs logisch. Aber als der inzwischen von der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) ermordete Tourismusminister Rehevaam Zeevi, die bis zu Morris Arbeiten weitgehend ungeklärten Vorfälle rund um die Massenflucht 1948 zum Anlass genommen hatte, um sich mit seinen Plänen für einen „Transfer“ der arabischen Bevölkerung aus Westbank und Gaza zustimmend auf dieses historische Vorbild zu beziehen, verschlug es Morris die Sprache. Sein Bruch mit der von ihm mitbegründeten historischen „Schule“ wurde aber durch die Politik der Eskalation seitens der palästinensischen (religiösen wie weltlichen) Autoritäten ausgelöst. Vom Kritiker der israelischen Politik wurde Morris, der den Dienst in den besetzten Gebieten verweigert hatte und dafür im Gefängnis gelandet war, zum Kritiker des Antizionismus und des palästinensischen Maximalismus, der auf Terror statt Verhandlungen setzt und die Zerschlagung Israels zum Ziel hat. Heute wehrt sich der 50jährige Professor an der Universität Beer Sheva gegen die Einstufung in die Gruppe der „Neuen Historiker“ mit Tom Segev, Moshe Zimmermann und einigen anderen.

Aber eigentlich hatte Morris schon vorher Probleme mit dieser Etikettierung: „Es waren vor allem rechtsgerichtete, konservative Kreise in Israel“, die ihn im Kreise der linken TabubrecherInnen wähnten. „Den Leuten passte das Thema meiner Arbeiten nicht. Palästinensische Flüchtlinge und Vertreibungen passten da nicht rein“, so Morris. „Das wurde als ‚linkes’ Thema gesehen – ich hingegen beschäftige mich mit Geschichte an sich und mit den Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel in den Fünfzigern,“ lächelt der Akademiker milde. Als würde er sein Werk erklären müssen, meint Morris: „Ich studiere Dokumente und versuche Fakten zu erheben. Das sollten Historiker tun“.

Das Ende des Friedensprozesses

Zur Zukunft der israelischen Linken befragt, meint Morris: „Als Arafat sich 2000 weigerte, auf die Angebote des israelischen Premiers Ehud Barak zu reagieren, zerstörte er die Zukunft der Linken. Genauso wie er im Jahre 1996 die Hamas in Israel bomben ließ, was Peres den Posten des Premiers kostete.“ Der israelischen Linken hätte Arafat damit zu verstehen geben, dass sie keine relevante Bezugsgröße darstelle und sie keine Chance auf Frieden hätte. Von diesem Wegfall des Partners auf palästinensischer Seite habe sich die israelische Linke bis heute nicht erholt.

Als Morris mit seinen Forschungen zur „Nakhba“ begann, war er angesichts der politischen Atmosphäre optimistisch. Es waren die Jahre 1993-1994: Rabin und Arafat reichten sich die Hand, Jordanien unterzeichnete mit Israel ein Friedensabkommen. „Bis zum Ende meines Werkes 1998 hoffte ich Frieden im Nahen Osten zu erleben“, so Morris. Die Geschichte des israelisch-arabischen Konfliktes in Buchform sollte dessen Ende markieren, so seine Hoffnung damals. Sie sollte sich nicht erfüllen, vielmehr trat der Konflikt in eine neue Runde. „Als ich mein Buch (Righteous Victims, Anm.) begann, hatte ich den Eindruck, die Palästinenser hätten den Wunsch aufgegeben, Israel zu zerstören.“ Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die schwindende Unterstützung anderer Länder veranlassten sogar die konservativen Hardliner wie Syrien sich der kompromissbereiteren Politik anzunähern, wie diese zuvor schon von Ägypten verfolgt worden war. 1988 in Tunis stimmte Arafat erstmals einer Zweistaatenlösung zu, was eine Anerkennung Israels mit einschloss. Die Geschehnisse im Jahre 1996 und verstärkt ab 2000 lassen dieses kurze Wetterleuchten der Hoffnung als solches erscheinen, so Morris.

Skeptisch ist der Historiker auch, was die vermittelnde Rolle der UNO anlangt. Nicht erst seit der zum antisemitischen Tribunal verkommenen UN-Konferenz über Rassismus in Durban herrscht in Israel weitgehende Einigkeit über die fehlende Eignung dieser Institution als Friedensstifter. Das müsse mensch berücksichtigen, wenn er/sie die israelische Ablehnung, eine UN-Kommission zur Erforschung der Vorfälle im Flüchtlingslager Jenin vorschnell als Schuldeingeständnis interpretiert. „Israel hat in dieser Hinsicht recht gehabt“, so Morris. „Vielleicht sollte zuerst der Anschlag in Netanya untersucht werden, der zu der Operation führte, in deren Verlauf es zu den Ereignissen in Jenin kam. So eine Untersuchung könnte leicht zu Jassir Arafat und/oder den Al Aksa Brigaden führen, welche die Anschläge befahlen und finanzierten. Es gibt aber nicht mal den Ansatz zu so einer Untersuchung der UNO.“

So oder so, nach Erkenntnissen der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch habe es in Jenin insgesamt 52 Tote, die meisten bewaffnete Kämpfer, gegeben. Die Rede vom „Massaker“ – auf palästinensischer Seite war die Rede von bis zu 3000 Toten! – wurde damit als Propaganda entlarvt. Das, was Israel vorzuwerfen ist, hat die Armee selbst auf Video belegt: „Es geht um Ärzte und Krankenschwestern, die zu lange vom Lager abgehalten wurden, um Zerstörungen von Häusern, die nach internationalem Recht nicht legitim sind.“ Demgegenüber gäbe es Beweise dafür, wie von palästinensischer Seite versucht wurde, im Nachhinein ein „Massaker“ zu konstruieren. Es gab nicht nur gestellte Begräbnisse, auch seien Tierkadaver nach Jenin gebracht worden. Deren Verwesungsgestank sollte dann ausländische Journalisten von der israelischen Grausamkeit überzeugen. Die tatsächlichen zivilen Opfer habe nicht in erster Linie die israelische Armee zu verantworten: „Wenn Bombenlabors wie in Jenin in ziviler Umgebung angelegt werden, so sind zivile Opfer möglich.“ Die US-Armee oder gar die russische Armee hätten sich gar nicht die Mühe gemacht in ein Lager wie Jenin einzumarschieren, sie hätten so eine Stätte durch Flächenbombardement ausradiert, so Morris. Demgegenüber wollte Israel möglichst wenige zivile Opfer verursachen und hat dadurch 23 tote Soldaten zu beklagen.

Morris ist grundsätzlich skeptisch, was den Wahrheitsgehalt von Informationen seitens arabischer Medien und Politiker anlangt. Noch die abstrusesten Behauptungen würden von westlichen Medien weiterverbreitet. Am Beispiel Jenin auf den Punkt gebracht: „Wenn seriöse Journalisten nachher die korrekten Opferzahlen veröffentlichen, sind Arafats Schlagzeilen über 500 oder 3000 Tote schon im Gedächtnis eingebrannt, die Richtigstellung kommt dann vielleicht auf Seite 15“, so Morris nicht ohne Verbitterung.

Kein Ausweg in Sicht

Die Möglichkeit eines territorialen Kompromisses sieht Morris heute nicht mehr. Noch Barak habe Arafat mit Clintons Vermittlung 94-95% der Wesbank, ganz Gaza, das ganze arabische Jerusalem (den bis 1967 unter jordanischer Hoheit gestandenen Ostteil der Stadt) angeboten. Auch die Möglichkeit der Rückkehr der Flüchtlinge von 1948 in einen gegründeten Palästinenser-Staat wurde von israelischer Seite nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. „Das wäre die bestmögliche und ‚gerechteste’ Lösung. Mehr war wohl nicht drin, außer man will, dass Israel nicht mehr existiert und Palästina an seine Stelle tritt.“

Mit Beginn der zweiten Intifada, deren Kämpfer schon in der Auswahl ihrer Anschlagsziele deutlich machen, worum es ihnen geht, sei Arafat als Gesprächspartner untragbar geworden. Relevant ist Arafat nach Meinung des Historikers aber immer noch, denn „er ist der einzige, der eine Lösung seinem Volk verkaufen kann.“

Morris hält Sharon für das Produkt der Weigerung der Mehrheit der israelischen WählerInnen, auf Baraks Kompromisse einzugehen, insbesondere nach der neuerlichen Eskalation des Terrors. Genauso wie der Sieg Netanyahus die Folge der Erlaubnis Arafats an die Hamas gewesen sei, Shimon Peres als Premier 1996 wegzubomben. „Sharon wäre nach dem Libanonkrieg 1982 nicht in meinen wildesten Träumen Premier geworden. Er ist nicht der Mann, der der israelischen Seite den notwendigen Kompromiss schmackhaft machen kann,“ so das enfant terrible der israelischen HistorikerInnen über Sharon.
Einem einseitigen Rückzug Israels aus der Westbank und dem Gazastreifen kann Morris derzeit nichts abgewinnen: „Wir würden dann Katjuscha-Raketen-Angriffe auf Tel Aviv oder Netanya erleben. Israel müsste dann erst recht die Gebiete wieder zurückerobern.“

Die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge hält Morris ebenfalls für undurchführbar: „Die Umsetzung des Rechtes auf die Rückkehr der Flüchtlinge von 1948 und ihrer Nachkommen hätte die Zerstörung des Staates Israel und den Ersatz durch einen islamischen Staat zur Folge.“ Genau das scheine aber das neue alte Ziel der Mehrheit in Arafats Stab zu sein.

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