Heft 5-6/2002
November
2002

„Neue Historiker“ schreiben die Geschichte um

40 Jahre nach dem Unabhängigkeitskrieg trat in Israel eine Generation „neuer Historiker“ auf, die in den arabischen Ländern und von links- und rechtsextremen „Antizionisten“ bejubelt werden. Es sind in der Regel nach 1948 geborene israelische Wissenschaftler, die sich in ihren Arbeiten auf die Jahre der Schaffung des Staates konzentrieren. Beny Morris (der seinen Standpunkt geändert hat), Avi Shlaim, Ilan Pappe und andere haben eine politisch-ideologische Agenda, mit der sie die „Mythen des Jahres 1948“ zerschlagen wollen, in dem sie die Geschichte umschreiben und wesentliche Fakten ausblenden. Zum Beispiel, dass in den Gebieten, in denen die Juden 1948 eine Niederlage erlitten, kein einziger Jude — auch kein antizionistischer orthodoxer — bleiben durfte und die jüdischen Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Für Pappe gibt es keine objektive Wirklichkeit

Die ersten Bücher der „neuen Historiker“ erschienen Ende der 80er Jahre und sie markierten eine Trendwende. Die „alten“ israelischen Historiker bemühten sich bereits seit Jahrzehnten die ideologische Sicht der Dinge abzulegen und die auch in anderen Ländern üblichen Methoden der Dokumentation und Analyse einzuführen. Kritisches Herangehen und ein erfrischender Skeptizismus wurden spürbar.
Die „neuen Historiker“ jedoch drehten das Rad der Forschung zurück, obwohl sie von sich selbst behaupten, die Geschichtsschreibung revolutioniert zu haben. Aber es können nicht alle über einen Leisten geschoren werden. Während die einen in die Archive gehen und die primären Quellen erforschen, wie zum Beispiel Beny Morris und Avi Shlaim, erspart sich z.B. Ilan Pappe meistens diese Arbeit, weil: „Wir sind alle politisch, es gibt auf der ganzen Welt keinen Historiker, der objektiv ist. Ich bin nicht so sehr an dem interessiert was geschehen ist als an dem wie Menschen das sehen, was geschehen ist.“

Pappe stellt wie andere „neue Historiker“ das „israelische Narrativ“ dem palästinensischen gegenüber, um das „zionistische Narrativ“ zu verwerfen. Denn der Zionismus ist in ihren Augen mit einer „Ursünde“ behaftet, als ein archaisches Überbleibsel des westlichen Kolonialismus, das früher oder später verschwinden wird, ist er eine räuberische und aggressive Bewegung, die die palästinensische Tragödie verursachte und für die Fortsetzung des Konflikts mit den arabischen Nachbarn verantwortlich ist. „Die Schoah berechtigt nicht die Verwandlung von 750.000 Palästinenser zu Flüchtlingen“, deklamierte Ilan Pappe, Lehrbeauftragter an der Universität Haifa, denn seiner Meinung nach sind die Palästinenser die „echten Opfer“ der Schoah, als ob die Schoah dazu beigetragen hätte, dass die palästinensische Führung den Teilungsbeschluß der Vereinten Nationen abgelehnt und einen Krieg gegen den jüdischen Jischuv begonnen hat. „Wenn der Preis des Zionismus die Entwurzelung eines anderes Volkes ist, dann ist das ein zu hoher Preis und ich hätte auf den Staat verzichtet.“ (Ilan Pappe, Yedioth Achronot 27.8.1993).

Die „neuen Historiker“ bemühen sich die Bedeutung der Schoah zu vermindern, weil sie den Staat Israel und den Zionismus beschuldigen diese Tragödie auszunützen, weil sie das Verhalten der Soldaten oder von gewissen Gruppen in Israel mit dem Verhalten der Nazi vergleichen, oder weil sie aus den Palästinensern die „echten Opfer“ der Schoah machen. Da sie nur die jeweiligen Narrative — also die individuelle Sicht bzw. Erfahrung der Geschichte — interessieren, sind für die „neuen Historiker“ die genauen Daten und Abläufe von nachgeordnetem Interesse und Faktentreue bzw. korrektes Zitieren ist nicht unbedingt ihre Sache.
In seinem Buch Britain and the Arab-Israeli Conflict, 1948-1951, London 1988, behauptet Pappe eine transjordanische-israelische Verschwörung, deren gemeinsame Nenner die Ablehnung der „Errichtung eines palästinensischen Staates“ gewesen sein soll.

Tatsächlich gab es am 17.11.1947 ein geheimes Treffen von Golda Meirson (Meir) mit König Abdallah, in dem sie kategorisch jeden Vorschlag ablehnte, der im Gegensatz zu einem Beschluß der Vereinten Nationen stehen sollte. Meir vertrat provisorisch den Leiter der politischen Abteilung der Jewish Agency und hatte keine Ermächtigung irgendeine Vereinbarung mit König Abdallah zu treffen. Sie versuchte Abdallah zu überzeugen, sich nicht mit Gewalt gegen den zu erwartenden Teilungsbeschluß zu wenden und ihn über die Vorstellungen der Jewish Agency zu informieren. Kein Zweifel kann bestehen, dass die zionistische Führung Abdallah seinem palästinensischen Rivalen, dem Mufti von Jerusalem, Hadj Amin el Husseini [1] vorzog, aber das bedeutete nicht, dass sie einen palästinensischen Staat ablehnte. Im Gegenteil, noch im Dezember 1948 — also ein Jahr nach der Teilung des Landes — haben David Ben Gurion und Mosche Scharet (Schertok) die Errichtung eines palästinensischen Staates gegenüber dem Anschluß der arabischen Teile des Landes an Transjordanien bevorzugt. Abdallah sah jedoch im Land Israel einen integralen Teil des Königreiches, das er sein ganzes Leben lang errichten wollte und im jüdischen Jischuv höchstens einen autonomen Teil dieses Königreiches aber keinesfalls den Staat einer unabhängigen Nation. Tatsache ist, dass die eindeutige Ablehnung des Teilungsbeschlusses durch die Führung der Palästinenser und der arabischen Staaten diesen Beschluß hat scheitern lassen, denn sie bevorzugten die gewaltsame Auseinandersetzung.

Pappe schreckt nicht vor einer groben Geschichtsfälschung zurück, wenn er die 50minütige Begegnung Golda Meirson und König Abdallah so schildert: „Im November 1947 traf König Abdallah die an der Spitze der politischen Abteilung stehende Golda Meirson (Meir) und schlug den Juden eine unabhängige jüdische Republik vor als ein Teil des haschemitischen Königreiches, zu dem Transjordanien und das ehemalige Mandatsgebiet gehören sollte. Nach dem dieser Vorschlag abgelehnt wurde, bat er um die Zustimmung zum Anschluß der von den Vereinten Nationen den Arabern zugesprochenen Gebieten. Die Vertreterin der Jewish Agency gab ihre Zustimmung für die Zusicherung des Königs nicht den zukünftigen jüdischen Staat anzugreifen“.

Eine solche unterstellte Abmachung hätte nicht in einer einzigen lediglich 50 Minuten dauernden Besprechung getroffen werden können. Abgesehen davon war Golda Meirson gar nicht bevollmächtigt eine solche Abmachung zu treffen. Die Abmachung hätte von der Leitung der Jewish Agency bestätigt werden müssen. Was aber nicht der Fall war. Hier wurde eine seit den sechziger Jahren bestehende linke und rechte Mär aufgewärmt. Außerdem widersprechen die erbitterten Kämpfe der arabischen Legion gegen die israelische Armee 1948 einer solchen Verschwörung.

Für Pappe aber gibt es keine objektive Wirklichkeit, es gibt nur eine die sich in den Augen des Betrachters widerspiegelt. Man kann also nicht über etablierte Fakten sprechen und überhaupt nicht über eine historische Wahrheit. Deswegen muß die Kommentierung auch nicht durch Fakten begrenzt sein, denn diese sind nichts anderes als von Historikern — deren vorgefaßten Meinungen ihr Herangehen an die Quellen bestimmen — erfundene Täuschungen. Laut dieser Auffassung ist Geschichtsschreibung immer nur eine subjektive Betrachtungsweise, allerdings glaubt Pappe, bei ihm sei diese Subjektivität aufgehoben, er und seine Genossen seien im Besitz der definitiven Geschichtsschreibung und ihr „Narrativ“ bedeutet das Ende aller anderen Narrativen.

Die Aufgabe der Historiker ist es zu dokumentieren, zu analysieren und einzuschätzen was geschehen ist und nicht darüber zu spekulieren, was nicht geschehen ist.

Anläßlich eines Symposiums an der Universität Tel Aviv erklärte Pappe, laut seiner Auffassung ist es die Aufgabe des Historikers weiter zu gehen als die Dokumente und diese zu ergänzen. Er verglich in einem Interview die Geschichtswissenschaft mit der Archäologie und meinte, „Es gibt Abschnitte, die man selbst hinzufügt, denn man hat ja nicht alle Ergebnisse. Sie ergänzen also das Fehlende aus der Sicht der Gegenwart“.

Da die Geschichtsschreibung aufhört die Vergangenheit zu schildern weil es keine „sicheren“ Fakten gibt, und die Phantasie und die Wirklichkeit vermischt werden, neigen die „neuen Historiker“ dazu in ihrer Geschichtsschreibung dem was geschehen ist das gleiche Gewicht zu geben, wie dem das nicht geschah. Zum Beispiel wird die Frage gestellt, weshalb kam es nicht bereits Anfang der 50er Jahre zu einem Friedensabkommen mit den arabischen Nachbarn? Weshalb wurde der Unabhängigkeitskrieg nicht verhindert? Weshalb wurde 1948 kein Palästinenserstaat errichtet? Warum hat die zionistische Führung nicht die Juden Europas gerettet?

Schon in der Formulierung der Frage gibt es eine Beschuldigung aus der Perspektive der Gegenwart. Vom Standpunkt der linken Sektierer werden die Helden von Gestern zur Verantwortung gezogen nicht nur für das, was sie getan haben, sondern auch für das was sie nicht getan haben und das vor einem gnadenlosen Gericht von Leuten, die sicher wissen sie hätten mit mehr Vernunft und moralischer gehandelt. In den Augen der „neuen Historiker“ ist die Geschichte eine Kette von Irrtümern und versäumten Gelegenheiten.

Aber die Geschehnisse, die nicht geschahen, sind keine Historie, denn weil sie nicht geschehen sind, wissen wir auch nicht was die Resultate gewesen wären wenn sie stattgefunden hätten. Wer könnte sagen, was passiert wäre, wenn Israel 1949 alle Flüchtlinge wieder aufgenommen hätte? Hätte dies tatsächlich zu einer Versöhnung mit den Nachbarn geführt oder zur Vernichtung des Staates?

Solche Fragen können endlos gestellt werden. Doch die Aufgabe der Historiker ist es zu dokumentieren, zu analysieren und einzuschätzen was geschehen ist und nicht darüber zu spekulieren, was nicht geschehen ist.

Die Affäre Katz

Im Frühjahr 2002 protestierten so tapfere Kämpfer für akademische Freiheit, wie Al Ahram, die Palästinenser und Islamisten aber auch die ganze Riege von linksextremen Antizionisten gegen die angebliche Einschränkung der akademische Freiheit in Israel.

Was war geschehen? Anfang 2000 hatte Theodor Katz, Student der Universität Haifa für seine Magisterarbeit über die Flucht von Arabern südlich von Haifa eine ausgezeichnete Note erhalten. Er behauptete, Zeugenaussagen bewiesen ein Massaker am 22./23. Mai 1948 als etwa 200 unbewaffnete Einwohner von Tantura „vor allem junge Männer, erschossen wurden“ nachdem das Dorf von einer Einheit der israelischen Armee (Alexandroni Brigade) umstellt worden war.

Schon auf der ersten Seite seiner Arbeit fragte Katz, ein Student von Prof. Kais Firro und Ilan Pappe im Sinne seiner Lehrer: „Wie kann es sein, dass die Söhne des gleichen Volkes, die erst unlängst davor die Opfer einer so furchtbaren Schoah wurden, sich lediglich drei Jahre danach als so grausame Eroberer und Vertreiber entpuppen, und es gibt auch diejenigen, die behaupten als richtige Mörder, als Plünderer und Räuber ...“.

Katz informierte über seine „Entdeckung“ die Tageszeitung Maariv, die sich beeilte dies ihren Lesern mitzuteilen. Wenige Tage nach dem Erscheinen des Artikels klagten mehrere Veteranen der Brigade Alexandroni wegen übler Nachrede. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung und bei einem Kreuzverhör konnten Katz Ignoranz und grobe Fälschungen nachgewiesen werden. Der den „neuen Historikern“ nahe stehende Journalist und Historiker Tom Segev, meinte, die Forschungsarbeit von Katz werde den elementarsten Kriterien historischer Forschung nicht gerecht, im Sinne einer ideologischen Vorentscheidung ist hier ein Massaker schlicht erfunden worden. In Wirklichkeit gab es einen Kampf um die Eroberung von Tantura bei dem ungefähr 80 Araber und 14 israelische Soldaten getötet wurden.

Katz nahm vor Gericht seine ehrenrührige Behauptungen zurück und versprach eine Ehrenerklärung in den Zeitungen Maariv und Haaretz abzugeben und kam so zu einer Vereinbarung mit den Klägern. Doch das war nicht im Sinne der antiisraelischen Geldgeber, die seine Verteidigung übernommen hatten. Katz versuchte vergeblich seine Vereinbarung mit den Klägern rückgängig zu machen und seine unhaltbare Arbeit weiter zu verteidigen.

In der Magisterarbeit dankte Theodor Katz insbesondere für die Unterstützung durch Ilan Pappe. Dieser beklagte nach der gerichtlichen Einigung die angeblich gefährdete akademische Freiheit in Israel und rief im Ausland zum Boykott israelischer Institutionen und Akademiker auf. Trotzdem wird Pappe von der Universität Haifa weiter beschäftigt.

Pappe und Katz lehnen den unmittelbar 1948 angefertigten Bericht des damaligen Delegierten des Roten Kreuzes, der die Flüchtlinge aus Tantura übernahm ab. Weder bei ihm noch bei der irakischen Armee — in deren kontrolliertes Gebiet sie auf eigenen Wunsch gebracht wurden — beklagten sie sich über ein Massaker.
Katz und Pappe haben „jüdische“ Zeugenaussagen als unglaubwürdig und „arabische“ als glaubwürdig angenommen. Den Wert einer Zeugenaussage aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit zu entscheiden ist Propaganda und hat nichts mit Geschichtsforschung zu tun. Trotzdem behauptet Pappe, dass die Erzählungen der Dorfbewohner von Tantura 52 Jahre später glaubhafter sind als die Version der Alexandroni Soldaten oder zeitgenössische Berichte.

Jedoch sollte ein seriöser Historiker jedes Dokument oder mündliche bzw. schriftliche Zeugenaussage ob jüdisch oder arabisch, nicht nach dem wer sie abgibt, sondern aufgrund der eigenen Wertigkeit prüfen.

Bei den „neuen Historikern“ ist nicht nur Geltungssucht, Selbsttäuschung und Nachlässigkeit bemerkbar, wenn sie u.a. eine Mixtur von Quellenunterdrückung und Quellenfälschung vorlegen. Sie bedienen vor allem in den arabischen Ländern aber auch anderswo einen Markt und können deswegen mit Einladungen und außergewöhnliche Publikationsmöglichkeiten rechnen. Aber — und das ist wohl das erstaunlichste — auch in Israel haben sie eine starke Lobby, die sich auf Liberalität und Meinungsfreiheit beruft. Diese sind zu respektieren, dürfen aber auf keinen Fall dazu führen, dass minimale wissenschaftliche Standards — wie hier aufgezeigt — nicht mehr eingehalten werden.

Erschienen in der Rosch Haschana 5763 (September 02) Ausgabe Neue Illustrierte Welt Wien.

[1Hadj Amin el Husseini (1895-1974), Großmufti von Jerusalem, ein begeisterter Anhänger der Nationalsozialisten, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges flüchtete Husseini in den Irak. Dort beteiligte er sich an der Planung und Organisation der pronationalsozialistischen Revolte im April 1941. Husseini propagierte den Haß gegen die „Zionisten“ in den nazifreundlichen Kreisen des Irak, die im gleichen Jahr ein Pogrom gegen die Juden in Bagdad in Gang setzten. Als diese Revolte niedergeschlagen wurde, flüchtete er zunächst nach Italien, dann nach Deutschland. Von wo aus er sich an die mit Deutschland befreundeten Regierungen mit der Bitte wandte keine jüdischen Kinder und Jugendliche nach Palästina auswandern zu lassen. Husseini stärkte die Kampfmoral der islamischer Hilfstruppen der Wehrmacht, die Anfang 1942 gebildet worden waren. Im Frühjahr 1943 rekrutierte er in Kroatien in Rekordzeit 20.000 Mann für bosnische islamische Bataillone, die unter dem Namen Handjar der Waffen SS unterstellt wurden. Nach Kriegsende flüchtete Husseini nach Ägypten und bildete im Herbst 1948 eine All-Palästina-Regierung in Gaza, die ohne Einfluß blieb. Den Rest seines Lebens verbrachte er in arabischen Hauptstädten, hauptsächlich in Beirut. (Quelle: Klaus Gensicke: Der Mufti von Jerusalem, Amin el Husseini und die Nationalsozialisten, Peter Lang Verlag Frankfurt, 1988)

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