Heft 2/2000
April
2000

Militärstrategie 2000

Die Kriegsentwürfe von FPÖ und ÖVP

Die österreichische Strategie, mit der EU im Rücken, den Osten zu beglücken, leidet derzeit an den Sanktionen der europäischen Partner.

Das Programm der neuen österreichischen Regierung bietet in den Bereichen Sicherheit und Bundesheer keine großen Überraschungen. Mensch spürt förmlich die Freude, welche die VP-VerhandlerInnen beim Aufsetzen der betreffenden Zeilen überkommen haben muß. Endlich konnte frei heraus formuliert werden, ohne durch einen verfassungsrechtlich etwas verklemmten Koalitionspartner gestört zu sein.

Die Abschaffung der Neutralität sowie die Aufrüstung des Landes konnten endlich offen angekündigt werden. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Zu den nun angekündigten Änderungen wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei Fortführung der alten Koalition gekommen. Verteidigungsminister a.D. Werner Fasslabend kündigte schon im Dezember 1999, als noch fleißig an einer Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition gebastelt wurde, nach dem „Ende der nationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ einen „neuen Weg“ an.„ [1] Damit war die Neubewertung der österreichischen Interessen, also die Aufhebung der Beschränkung von Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf nationalstaatliches Territorium gemeint. Protest seitens der SPÖ blieb aus.

Der Geist der europäischen Solidarität

Die Bedrohungen, die eine Militarisierung notwendig machen, werden nicht genannt. Statt dessen wird der „Geist der europäischen Solidarität beschworen. Durch den Beitritt zu einer“europäischen Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft„soll das Bundesheer einen neuen Sinn bekommen. Österreich wird sich für die Schaffung dieser Gemeinschaft“aktiv und solidarisch„einsetzen. Diese benötigt“effiziente gemeinsame Entscheidungsstrukturen„,“glaubwürdige zivile und militärische Kapazitäten„und soll durch eine“intensive europäische Kooperation im Bereich der Rüstungsindustrie" gekennzeichnet sein. Am Rande ist auch von nicht-militärischen Aspekten die Rede, die berücksichtigt werden sollen. Eine genauere Definition bleibt im Regierungsübereinkommen aber aus.

Die Bundesregierung wird sich für eine Beistandsgarantie nach Artikel 5 des NATO-Vertrages einsetzen. Die kollektive Selbstverteidigung, der Schutz des territorialen Bestandes der Mitgliedstaaten, wird allerdings von sekundärer Bedeutung sein. Vielmehr wird es um die Sicherung der Interessen jenseits der Bündnisgrenzen gehen.

Das Neutralitätsgesetz soll so novelliert werden, daß es auf all diese Änderungen keine Anwendung findet, also auch de jure gegenstandslos ist. Auf die de facto Ausschaltung hat Wolfgang Schüssel bereits als Außenminister hingearbeitet. Damit kann auch das Kriegsmaterialgesetz gelockert werden. So sollen die Ein-, Aus-, und Durchfuhr von Waffen zwischen EU-Staaten bewilligungsfrei gestellt und generelle Überflugsgenehmigungen (Blockgenehmigungen) möglich werden. Die auch schon bisher kaum eingehaltene Beschränkung auf den Einzelfall würde damit fallen. Außer der Gründung und dem Beitritt zu einem europäischen Militärbündnis soll auch eine Mitgliedschaft in der NATO angestrebt werden. Um für „internationale Solidaritätsleistungen“ und die „Teilnahme am gesamten Spektrum des europäischen Krisenmanagements (Petersberg-Aufgaben)“ gerüstet zu sein, soll das Bundesheer in ein Freiwilligenheer umgewandelt werden.

Auch die „Sicherstellung der materiellen Rahmenbedingungen für das Bundesheer durch schrittweise Anhebung des Verteidigungsbudgets“ soll erreicht werden. Außerdem wird sich „Österreich (...) an der (...) europäischen Rüstungskooperation und den (...) Bemühungen zur Stärkung der industriellen Basis der europäischen Verteidigung in vollem Umfang beteiligen“. Die Westeuropäische Rüstungsgruppe (WEAG), der Österreich „als Vollmitglied beitreten“ wird, ist um die Überwindung der seit Ende des Kalten Krieges herrschenden Krise der europäischen Rüstungsindustrie bemüht. Die Weichen für einen EU-Militärpakt sollen bis zum Ende der französischen Präsidentschaft gestellt sein. Sollte dies nicht eintreten, wird „der Außenminister“ ermächtigt, die Sache weiter zu verfolgen. Da die genannten Änderungen im Koalitionspapier nicht als Vorschläge, sondern als Tatsachen formuliert sind, kann davon ausgegangen werden, daß die ebenfalls genannte Volksabstimmung über die Änderung der Sicherheitspolitik ähnlich wie beim EU-Beitritt lediglich eine nachträgliche Absegnung darstellen wird.

Das Tor zum Balkan

Für eine Interpretation der neuen österreichischen Sicherheitspolitik lohnt ein Blick auf die Balkanpolitik Österreichs in den letzten Jahren. Österreich hat als erstes Land schon vor 1991 auf die Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien gedrängt. Bis zum Einschwenken Deutschlands auf diese Linie stand es damit alleine da. [2] Von diesem Beitrag zum Ausbruch der Kriege im ehemaligen Jugoslawien ist in der österreichischen Südosteuropapolitik eine Kontinuität bis zum neuen Regierungsprogramm abzulesen, deren markante Punkte der EU-Beitritt, Rambouillet und, als Ausdruck der historischen Verantwortung für die Region, Nachbar in Not sind.

Die von Mock und Freunden betriebene Destabilisierung des Balkans war notwendig, um der Sicherheitspolitik neue Perspektiven zu geben. So entstand die „Möglichkeit, daß Österreich politisch, kulturell und ökonomisch verstärkt in den ostmittel- und südosteuropäischen Raum hineinwirkt und dadurch seine vitalen sicherheitspolitischen Interessen — erstmals seit 1955 — aktiv bzw. präventiv in dieser Region zum Tragen bringt“. [3] Diese Interessen kann Österreich, ob seiner militärischen Defizite, nicht ohne Unterstützung wahrnehmen. Die Bundesregierung drängt also darauf, entscheidenden Einfluß in einem Militärbündnis zu erlangen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, von denen — sicher ist sicher — beide wahrgenommen werden sollen. Es ist festzustellen, daß ein neues europäisches Militärbündnis, so der Tenor des Regierungsprogramms, bessere Möglichkeiten als eine NATO-Mitgliedschaft bietet. Wie das Beispiel Ungarns im Kosovokrieg zeigt, haben neue (kleine) Länder in der NATO nicht viel zu melden. Es ist daher unwahrscheinlich, daß dieses Bündnis für die österreichische Politik instrumentalisierbar wäre. Mehr Chancen rechnet sich die Bundesregierung in der europäischen Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft aus. Hier wäre Österreich von Anfang an dabei und „gleichberechtigt eingebunden“. Die blauschwarze Koalition erhofft sich durch besondere Eifrigkeit bei der Gründung dieses Bündnisses entsprechenden Einfluß. Militärische Defizite sollen aber nicht nur durch besonderes politisches Engagement ausgeglichen werden. Vielmehr wird die Bundesregierung „alles daran setzen, um die Leistungsfähigkeit des Bundesheeres weiter anzuheben und den Stellenwert in der Gesellschaft zu stärken“.

Das Ende der Neutralität

In Zeiten des Kalten Krieges, als militärische Gewaltausübung in Europa noch ein Tabu darstellte, konnte sich Österreich mit seiner bedingt neutralen Politik einen Namen machen. Seit jedoch Frieden wieder mit der Waffe hergestellt wird, ist Österreichs Rolle als allseits beliebter Friedensstifter gefährdet. Das Dilemma, auf die weltpolitische Ersatzbank verbannt zu werden — also Mitglied im erweiterten Kader EU, aber nicht in der Kampfmannschaft NATO, WEU oder europäische Verteidigungsgemeinschaft zu sein — soll tunlichst vermieden werden. Die Neutralität ist damit obsolet. Sie kann höchstens einer Friedens-, nicht aber einer Hegemonialpolitik dienen. Sie verhindert es, politisch auf allen Ebenen aktiv werden zu können. Das Regierungsprogramm, als neuestes Indiz sicherheitspolitischer Interessen des Landes, geht von folgender Überlegung aus: Nur wenn Österreich auch auf militärischer Ebene aktiv wird, kann es als Tor zum Balkan an der „Neuordnung des Raums“ partizipieren. [4] Im Idealfall würden in einer Art Monarchie-Revival wieder alle Fäden nach Südosteuropa über Österreich laufen. Verkehrstechnische Infrastrukturprojekte wie Militärbasen, Manöverplätze, Flugplätze und Transitrouten könnten der österreichischen Wirtschaft neue Impulse geben. So wie die USA Lateinamerika als ihren Hinterhof betrachten, könnten Teile des Balkans zu einem Kleingartenverein unter österreichischer (und deutscher) Leitung werden.

Durch die Aufgabe der Neutralität und die damit verbundene Prioritätenverschiebung will sich die Bundesregierung neue Dimensionen für ihre Sicherheitspolitik eröffnen. Neben der militärischen Komponente soll das vor allem „durch vermehrte Zurverfügungstellung von Polizisten für zivile Sicherheitsaufgaben“ geschehen. So hätte Österreich von der Friedensschaffung, über die Friedenssicherung bis zur Normalität kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse immer ein Eisen im Feuer.

Der Kosovokrieg hat gezeigt, wie begrenzt der österreichische Einfluß trotz prominenter Beteiligung an den Verhandlungen in Rambouillet außerhalb eines Militärbündnisses ist. Aktive Neutralitätspolitik wurde schon lange nicht mehr betrieben. Die Politik der NATO wurde von österreichischer Seite in ihrer Gesamtheit nie in Frage gestellt. Ein linientreues Österreich war ab dem Bombardement nicht mehr von Belang. Die scheinbar neutrale Rolle des österreichischen Verhandlers Petritsch hatte ihren Zweck erfüllt, die Militärs wieder das Ruder übernommen. Der neutrale Staat, nützlich um die Verhandlungen in Rambouillet als ernsthaften Versuch zur Deeskalation darzustellen, wurde nicht mehr gebraucht.

Die Schlüsse daraus sind im Regierungsprogramm nachzulesen. Wer nicht mitbombt, hat nichts mehr zu melden. Daher tut Aufrüstung not. Die relative Gleichberechtigung, die Österreich gegenüber den anderen westlichen Ländern auf diplomatischer Ebene hat, wird jetzt auf militärischer Ebene angestrebt. Ein vorerst hoffnungsloses Unterfangen. Denn die durchschnittlichen Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten liegen bei 3,3 % des BIP. Eine Anhebung auf dieses Niveau würde für Österreich eine Vervierfachung bedeuten. Das ist auch unter der neuen Regierung nicht zu erwarten.

Um sich auch nach Ausbruch von Befriedungsaktionen Einfluß zu verschaffen, wird Österreich auch weiter seine historische Verantwortung für Südosteuropa geltend machen. Um das glaubwürdig tun zu können, wird es um die aktive Beteiligung an Militärinterventionen nicht herumkommen. Wer nur diplomatisiert, hat bei den Männern für’s Grobe nichts zu sagen. Einen gewissen Beitrag muß ein Land schon leisten. Klugerweise hat die Bundesregierung in ihrem Programm auch dafür schon Maßnahmen angekündigt. Mögliche unerwünschte Nebenwirkungen antizipierend, kündigt sie ein „Soldaten-Hilfeleistungsgesetz“ an. Es sieht analog zur Regelung bei Wachebediensteten eine einmalige Entschädigungszahlung von 1,5 Millionen Schilling für „Angehörige von im Rahmen der Dienstausübung getöteten oder schwer beeinträchtigten Ressortangehörigen“ vor.

Da der Weg zu Militärbündnissen durch die Isolation der Regierung in der EU einstweilen blockiert ist, trifft Österreich andere vorbereitende Maßnahmen zum Ausbau seiner Stellung am Balkan. Zuletzt auf der „Geberkonferenz für Balkan-Krisenländer“ in Brüssel. Es wird wieder auf das bewährte Mittel der Nächstenliebe, also Spenden, gesetzt. Österreich überschlägt sich diesmal in den an sich selbst gestellten Anforderungen. Es tut sich als größter Spender für ein Projekt hervor, das sich dem Umschreiben von Geschichtsbüchern widmet. Einseitige historische Darstellungen sollen korrigiert werden. Ein korrekter Umgang mit der Vergangenheit, der im eigenen Land nicht gelingt, soll also vorerst anderswo erprobt werden.

Grenzen der Sicherheitspolitik

Dank der Verbreitung einer entsprechenden Landkarte durch das Büro für Wehrpolitik des Verteidigungsministeriums haben die Ideen Samuel P. Huntingtons beim Bundesheer große Bekanntheit erlangt. Huntington geht in seinen fragwürdigen Thesen von einer Trennung der Erde in sieben Zivilisationen aus, entlang derer Konfliktlinien verlaufen. Diese Zivilisationen werden im wesentlichen als Kulturkreise definiert. Österreich liegt demgemäß im „Kulturkreis des Westens“, der sich von Nordamerika bis zu den katholischen Ländern Ostmitteleuropas erstreckt.

Für jene, die dieser Weltsicht verhaftet sind, stellen UNO und OSZE keine adäquaten Institutionen zur Friedenssicherung mehr dar. Denn sie sind über solche „Bruchlinien“ hinweg organisiert, was „der Entwicklung einer prägnanten institutionellen Identität (...) und eines breiten, sinnvollen Tätigkeitsspektrums wesentliche Hindernisse entgegensetzt“. [5] Die einzig annehmbare Alternative liegt daher für die Österreichische Offiziersgesellschaft (ÖOG), „Sprachrohr des kleinen aber einflußreichen militärisch-industriellen Komplexes im Lande“, in westlichen Militärbündnissen. Denn diese sind rein westlich durch die Uniformität der Interessen ihrer Mitglieder (Wertegemeinschaft) gekennzeichnet.

Die kriegspolitischen Entwürfe der Regierung werden durch die Berufung auf die Sicherung der europäischen Werte und des Friedens sowie die Beschwörung eines Geistes europäischer Solidarität legitimiert. Der Glaube an diesen Geist wird der FPÖ-ÖVP-Regierung von ihren europäischen Partnern bis jetzt abgesprochen. Vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, warum es um die neue österreichische Sicherheitspolitik bisher auffällig ruhig geblieben ist.

[1Zur österreichischen Verteidigungspolitik“, in: ÖMZ, 2/2000, S. 192. Wenn nicht anders angegeben, stammen die zitierten Stellen aus dem Regierungsübereinkommen.

[2Vgl. dazu die Beiträge Jugoslawien und die neue Konkurrenz im Weltmaßstab (Context XXI, Nr. 6/99) und Bombengeschäfte (Context XXI, Nr. 1/00)

[3Werner Fasselabend 1993, zitiert nach: Gegenstandpunkt, Heft 3/1999, S. 209

[4Ebd., S. 213

[5Huntington, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen. München - Wien 1996, S. 204 6 Heidegger, Klaus/ Steyrer, Peter: Der NATO-Streit in Österreich. Thaur - Wien - München 1997, S. 185

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