Heft 1-2/1999
Juni
1999

Militärbündnis EU

Schnelles Einlenken der bündnisfreien EU-Mitglieder

Am Berliner Regierungsgipfel wurde die Verschmelzung von EU und WEU fixiert. Offen ist noch, ob die NATO Kern der EU-Militärpolitik bleibt — beziehungsweise wie sich die EU in militärpolitischen Fragen gegenüber den USA positioniert. [1]

Als Konsequenz aus dem Krieg im Kosovo, der das zweitägige Treffen der EU-Regierungschefs dominierte, haben die EU-Staaten den Ausbau ihrer außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit beschlossen. Die Krisenbewältigung für das Kosovo habe bereits gezeigt, daß die EU aus dem Schatten der USA herausgetreten sei, kommentierte ein Diplomat die Pläne für eine Militarisierung der EU gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Weitere Schritte zu einer eigenen „Verteidigungsidentität“ hat der Regierungsgipfel im Rahmen seiner Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in Angriff genommen. Bis Ende 2000 soll die Verschmelzung des eng mit der NATO verbundenen Militärbündnisses Westeuropäische Union (WEU) mit der EU unter Dach und Fach sein. Der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, dankte dafür ausdrücklich den „neutralen“ Staaten Österreich, Schweden, Finnland und Irland, die „ihre Bedenken schnell hintenan“ gestellt und damit eine schnelle Einigung ermöglicht hätten. „Es gibt die Möglichkeit für Neutrale mitzuwirken, ohne die Verfassung ändern zu müssen“, freute sich der österreichische Bundeskanzler Viktor Klima.

In der Tat ist es den EU-Mitgliedsstaaten freigestellt, selbst über den Einsatz ihrer nationalen Streitkräfte zu entscheiden. Das ändert jedoch nichts daran, daß auch die „neutralen“ Staaten ihren Beitrag für „ein glaubwürdiges operatives Potenial“ leisten müssen. An der „EU-geführten Krisenbewältigung“ sollen sich auch „neutrale und bündnisfreie EU-Mitgliedsstaaten in vollem Umfang und gleichberechtigt“ beteiligen können.

Klima stimmte auch der Ernennung Javier Solanas zum außenpolitischen Vertreter und zukünftigen Oberbefehlshaber der europäischen Streitkräfte zu. Solana, der Ende des Jahres sein Amt als Generalsekretär der NATO abgeben wird, hat während des Balkankrieges alle Appelle für eine Waffenpause abgelehnt. Selbst NATO-Sprecher Jamie Shea verglich die Hartnäckigkeit seines Vorgesetzten mit der eines Terriers. „Wenn er einmal etwas zwischen die Zähne bekommt, läßt er nicht mehr los.“

Das Lied der Menschenrechte singt der Spanier Solana ebenso gut wie viele andere Bellizisten aus dem sozialdemokratischen Lager Europas. Die NATO sei eine Wertegemeinschaft, ihr gehe es nicht um Eroberungen oder wirtschaftliche Interessen, sondern um die Sicherung fundamentaler Menschenrechte, betonte Solana immer wieder als Kriegsziel im Kosovo. Österreichs Außenminister Wolfgang Schüssel verneinte die Frage eines Journalisten bei der abschließenden Pressekonferenz der österreichischen Regierung auf dem EU-Regierungsgipfels, ob er die Verlagerung von Kompetenzen an Solana befürchte. „Wir geben nicht ab, sondern erzeugen einen europäischen Mehrwert“, so Schüssel weiter.

Um die Produktion von Mehrwert geht es auch bei der „effizienteren Zusammenarbeit der Rüstungsunternehmen“ in Europa. Die „Stärkung der industriellen und technologischen Verteidigungsbasis“ soll nach den Vorstellungen des Europäischen Rates „wettbewerbsfähig“ sein.

Auch die „Gemeinsamen Strategien“ der EU für Rußland entbehren nicht einer militärischen Komponente. Eine „Beteiligung“ Rußlands in Fällen der Krisenintervention, bei denen die EU die WEU in Anspruch nimmt, soll „geprüft“ werden. Die nächste Gemeinsame Strategie will die EU für die Ukraine festgelegen.

Bereits am 10. und 11. Mai trafen sich in Bremen die Verteidigungs- und Außenminister der Westeuropäischen Union (WEU)*. Sie beschlossen eine Verschmelzung des Militärbündnisses WEU mit der Europäischen Union bis Ende des Jahres 2000, um eine „Stärkung der europäischen militärischen Kapazitäten für eigene Krisenmissionen und humanitäre Einsätze sowie die Beseitigung von militärischen Defiziten“ zu erreichen, erklärte Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Der Amsterdamer Vertrag, der seit dem ersten Mai in Kraft ist, liefert im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) weitere Grundlagen für den Ausbau der Verteidigungspolitik. Er verankert die Perspektive, die WEU in die EU zu integrieren.

Im Ergebnis soll der Europäische Rat gegenüber der WEU eine „Leitlinienkompetenz“ erhalten. Mit Hilfe einer neuen „Strategieplanungs- und Frühwarnungseinheit“ hat der EU-Regierungsgipfel einstimmig eine „gemeinsame Strategie“ für sicherheits- und verteidigungspolitische Angelegenheiten festgelegt, deren Durchführung durch den Ministerrat einer qualifizierten Mehrheit unterliegt. Zudem sieht die GASP die Möglichkeit einer „konstruktiven Enthaltung“ vor. Mitgliedsstaaten, die sich bei einer geplanten Militäraktion enthalten, sind nicht verpflichtet, daran teilzunehmen.

Die 1948 als Brüsseler Pakt gegründete WEU hat eine Doppelrolle inne. Für Frankreich, im geringeren Umfang auch für Deutschland, liegt die Betonung auf dem „europäischen Sicherheitsbündnis“. Für Großbritannien ist es vor allem der „europäische Pfeiler der NATO“, der ausgebaut werden soll. Im Dezember 1998 kamen sich Frankreich und Großbritannien näher und verabschiedeten die Erklärung von St. Malo, in der sie die autonome Handlungsfähigkeit der Union befürworten.

Bereits in ihrem Gründungsvertrag ist die WEU auf eine enge Zusammenarbeit mit der NATO festgelegt. In der Zeit des Kalten Krieges schenkten die Regierungen der WEU jedoch kaum Beachtung. Erst im Juni 1992 stärkte die Petersberger Erklärung die operative Rolle. Gemäß dieser Erklärung gehören Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, „friedenserhaltende und humantitäre Maßnahmen“ sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung zum Aufgabenkatalog. 1996 beschlossen die NATO-Außenminister in Berlin, daß die WEU künftig unter Rückgriff auf die Infrastruktur der NATO militärische Operationen in eigener Verantwortung durchführen könne — auch ohne aktive Beteiligung der USA. Die politische Entscheidung halten die USA allerdings fest in ihren Händen: Auf dem Berliner Treffen haben die USA ihr Vetorecht durchgesetzt und können eine militärische Mission der europäischen Staaten jederzeit verhindern.

Das deutsch-französische Eurocorps legte mit seiner Gründung 1992 den Grundstein für einen EU-eigenen militärischen Körper, dem mittlerweile auch 12.000 spanische Soldaten angehören. Nach dem jüngsten deutsch-französischen Gipfeltreffen soll das Kontingent des Eurochors auf 60.000 Soldaten erhöht werden. Zwei weitere multinationale Truppenverbände sind der WEU unterstellt: die 1995 von Frankreich, Italien und Portugal gegründeten „Eurofor“ und „Euromarfor“. Ergänzt werden sollen die Truppen durch eine „Europäische Rüstungsagentur“.

„Die transatlantische Partnerschaft und die Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa bleiben auch in Zukunft Garant für Sicherheit und Stabilität auf unserem Kontinent. Aber ebenso ist eine europäische Sicherheitsarchitektur ohne die Beteiligung Rußlands undenkbar“, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Februar auf einer Sicherheitspolitischen Tagung in München. In Rußland stehen noch mehr als 1,2 Millionen Soldaten unter Waffen, und das Nuklearpotential wird gerade einer Modernisierung unterzogen. Deshalb, und weil Rußland im UNO-Sicherheitsrat über einen Sitz verfügt, „müssen wir der Tatsache Rechnung tragen, daß Rußland eine Führungsrolle beansprucht“, meint General Klaus Naumann, bis vor wenigen Wochen Vorsitzender des Militärausschusses der NATO. Auch wenn der NATO-Rußland-Rat dem „besonderen Verhältnis zu Rußland Rechnung“ tragen soll, ist Naumann besorgt über die „tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten“ und die daraus resultierende politische Instabilität, die „wir in unserer Sicherheitsanalyse berücksichtigen“ müssen.

NOTO KOSOWAR 3.35

Der NATO-Rußland-Rat wurde eingerichtet, um zu verhindern, daß die NATO-Osterweiterung die Beziehungen insgesamt vergiftet. Im Mai 1997 unterzeichnete die russische Regierung das entsprechende Abkommen in Paris. Dieses sieht zwar einen ständigen gemeinsamen Rat von Allianz und Rußland vor. Bei wesentlichen Entscheidungen und in einer Krisensituation verhandeln und agieren jedoch die NATO-Partner, ohne daß Rußland sich dagegen stellen kann und auf seine Interessen Rücksicht genommen werden müßte. Die Intervention im Kosovo stellte das nachdrücklich unter Beweis.

USA und Europa

Seit dem Ende des Kalten Krieges sind aus Amerika häufig die gleichen Mahnungen zu hören — von einer republikanischen ebenso wie von einer demokratischen Administration: Amerika will bei der Lösung globaler Aufgaben stärkere europäische Beteiligung. Naumann zeigt sich zwar erfreut darüber, daß der Wegfall des Ost-West-Konflikts zu einer deutlichen Entlastung der Haushalte geführt hätte. Genau dies kritisiert jedoch der Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland, John C.Kornblum. Er bezeichnet die „anhaltenden Kürzungen der europäischen Verteidigungshaushalte“ als ein „äußerst besorgniserregendes Zeichen“. Deshalb begrüßt er die „europäische Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen und mit uns bei der Verteidigung gemeinsamer Interessen zusammenzuarbeiten“.

Die USA haben in ihrem 1997 veröffentlichten Wolfovitz-Bericht klar herausgestellt, daß sie künftig verhindern wollen, daß erneut eine Macht auf den Plan tritt, die — wie seinerzeit die Sowjetunion — in der Lage wäre, die Vormachtstellung der USA zu gefährden. Als potentielle Gegner zählen die USA Rußland, China und Japan, aber auch Europa auf. „Zwar sollen die Waffen“, so Marie De La Gorce in der Le Monde diplomatique, „die jene angenommenen Gegner ausschalten sollen, in erster Linie wirtschaftlicher, politischer und kommerzieller Natur sein. Es wird aber stets daran erinnert, daß die militärische Stärke ein wesentlicher Faktor für die Vormachtstellung der USA bleibt.“

„Die größte Herausforderung für Europa wird darin bestehen, erneut die visionäre Kraft zu entwickeln, die seine Völker mehrere Jahrhunderte lang geleitet hat“, meint Kornblum. „Vision bedeutet in diesem Falle“, so der Botschafter weiter, „mit den Vereinigten Staaten bei der Definition von Problemen zusammenzuarbeiten und Wege für ihre Lösung zu finden´.“ Den globalen Anspruch der NATO, auch mit „out of area“ — Einsätzen militärisch einzugreifen, begründet Kornblum mit Sicherheitsinteressen. „Es wäre gefährlich anzunehmen, die einzige, die Aufmerksamkeit der NATO verdienende Bedrohung der Mitglieder des Bündnisses käme von Orten nahe der Grenzen der NATO.“

In Europa ist es vor allem Frankreich, das sich den amerikanischen Plänen für eine Globalisierung der Allianz entgegenstellt. Nach wie vor möchte Frankreich die Regel möglichst umfassend akzeptiert sehen, daß ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates die NATO, außer im Falle „kollektiver Verteidigung“, nicht militärisch eingreifen solle. Anders als die übrigen NATO-Partner hat Frankreich bis heute keinen Truppenteil ständig der NATO zugewiesen und ist deshalb auch nicht an der permanenten Kommandostruktur der Allianz beteiligt. Die in Makedonien stationierte französische „Extraction Force“ gehorchte trotzdem unzweideutig dem Kommando des amerikanischen NATO-Oberbefehlshabers in Europa. Auch der 1996 unternommene Versuch der französischen Regierung, den Kommandobereich Europa-Süd einem europäischen Oberbefehlshaber zu unterstellen, scheiterte an dem Veto der USA.

Bei der Militärpolitik geht es nie ausschließlich um geostrategische Interessen, sondern auch um gigantische Geschäfte. Mehr als 250 Millarden Dollar jährlich gibt allein die US-amerikanische Regierung für Rüstungsprodukte aus. Die Aufträge gehen fast vollständig an Firmen in Nordamerika. Der europäische Rüstungshaushalt ist zwar weitaus geringer, stellt für DASA, Thyssen, British Aerospace, Siemens, Thomson, Diehl, Alcatel und Preussag dennoch ein beträchtliches Auftragsvolumen dar. In diesem Zusammenhang spielt eine europäische Rüstungsagentur eine zentrale Rolle. Arno Neuber, Beirat der Informationsstelle Militarisierung spricht sogar vom „zweiten Standbein neben der Armee“. Die Rüstungsindustrien Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens wollen sich die in Europa vorhandenen Rüstungskapazitäten unterordnen. Seit jeher sind Rüstungsindustrien, die in erster Linie von öffentlichen Aufträgen leben, eng mit der militärischen und politischen Führung verflochten. Eine europäische Beschaffungsbehörde wird analog zu der in den USA peinlich darauf achten, daß die Rüstungsaufträge bei den Eurokonzernen bleiben.

[1WEU: Zehn Vollmitglieder (Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal), sechs assoziierte Mitglieder (Island, Norwegen, Türkei, Polen, Tschechische Republik, Ungarn), sieben assoziierte Partner (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien), fünf Staaten mit Beobachterstatus (Dänemark, Finnland, Irland, Österreich, Schweden).

[2WEU: Zehn Vollmitglieder (Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal), sechs assoziierte Mitglieder (Island, Norwegen, Türkei, Polen, Tschechische Republik, Ungarn), sieben assoziierte Partner (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien), fünf Staaten mit Beobachterstatus (Dänemark, Finnland, Irland, Österreich, Schweden).

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