ZOOM 3/1997
Juni
1997

Kommandant Liegestütz

Vom „Pumpen“ bis zum „Heiratsantrag“, von der Nachtruhe mit ABC-Schutzmaske bis zu gefesselten Armen: Die Zahl der Beschwerden beim Bundesheer nimmt zu.

Im Rahmen eines Zimmerdurchgangs stellte der Einheitskommandant Unordnung (im Zimmer bzw. auf den Betten zum Trocknen aufgehängte Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände) fest und erteilte gegen 0015 Uhr „spontan und aus eigener Eingebung heraus’ der Zimmerbelegschaft den Befehl, innerhalb von 15 Minuten die Alarmpackordnung herzustellen und dann nach Abschluß des Vollzähligkeitsappelles und Treffen der Feststellung, daß Kleinigkeiten hinsichtlich der Bekleidung fehlten, sämtliche Betten und Spinde aus dem Zimmer auf den Antreteplatz zu bringen und dort mit aufgesetzter Schutzmaske die Nachtruhe fortzusetzen. Dies unter den Augen abrüstender Grundwehrdiener und auch Kaderangehöriger einer Nachbareinheit, die sich als Zuschauer betätigten und auch Photos bzw. Videoaufnahmen anfertigten. Gegen halb drei Uhr früh wurde dann der Befehl zur Tagwache erteilt und die Wiederherstellung der Zimmerordnung in der Unterkunft angeordnet.“

Bekanntlich hat der Mensch Stiefel im Gesicht nicht gern. Ebenso bekanntlich gehören robuste Stiefel zur Grundausstattung eines jeden Soldaten. Beides zusammengenommen resultiert in hohem Arbeitsaufkommen der Bundesheer-Beschwerdekommission. Aus deren im März dem Parlament vorgelegten zwei Jahresberichten geht hervor, daß die Zahl der Beschwerden von 1994 auf 1995 um fast die Hälfte von 333 auf 488 gestiegen ist. Nach Bereinigung um die Anzahl gleichlautender oder inhaltsähnlicher Beschwerden ist die Steigerung allerdings weniger dramatisch. 219 unterschiedlichen Beschwerdefällen 1994 stehen 253 im Jahr 1995 gegenüber.

Die Bundesheer-Beschwerdekommission ist ein „demokratisch speziell legitimiertes Hilfsorgan des Bundesministers für Landesverteidigung“ (Fasslabend), in dem mit Ausnahme der Liberalen alle Parlamentsparteien vertreten sind. Im Berichtszeitraum saß im übrigen der als Agent im Heeresnachrichtenamt, beim ORF und in Sachen Stalingrader Kriegerdenkmal bekannte Walter Seledec als Ersatzmitglied für die FPÖ in der Kommission.

Zwei von drei Beschwerden, die die Kommission behandelte, erwiesen sich als berechtigt. Daneben hatte diese noch telefonische Anfragen zu bearbeiten. Auch deren Anzahl ist kräftig gestiegen, von 1994 (über 500) bis 1995 (1132) auf mehr als das doppelte. Etwa jeder zehnte Anruf führte zu einer schriftlichen Beschwerde. Häufig unterblieb eine Einbringung allerdings schon deswegen, „weil die Anrufer sich aus Angst vor möglichen Repressalien weigerten, ihren Namen sowie ihre Einheit zu nennen.“

Waren früher Beschwerden hauptsächlich von Kaderangehörigen eingebracht worden, konstatierte die Kommission 1994 einen deutlichen Anstieg von Beschwerden von Grundwehrdienern, insbesondere von Soldaten, die nicht Akademiker oder Soldatenvertreter waren.

Der Großteil der Beschwerden betraf

  • „fehlerhaftes bzw. unfürsorgliches Verhaltens der Vorgesetzten und Ranghöheren“ (schikanöse Behandlung, Mißbrauch der Befehlsgewalt, Verletzung der Menschenwürde, ...) und
  • Ausbildung und Dienstbetrieb (Übergriffe in der Ausbildung, Dienstdauer und -freistellung, Ausgang, ...).

1994 waren die Ranghöheren besonders unfürsorglich (42 % aller Beschwerden gegenüber nur 26 % im Jahr 1995): „Konnte in früheren Jahresberichten (...) ein Rückgang des rüden Umgangstones von Vorgesetzten gegenüber Untergebenen vermerkt werden, so war im Berichtsjahr wieder ein Ansteigen der Anzahl von Beschwerden über beleidigendes Auftreten von und Beschimpfungen durch Vorgesetzte oder Ranghöhere festzustellen.“ 1995 hingegen beschwerte sich jeder zweite über die Ausbildung oder den Dienstbetrieb (1994 nur jeder vierte).

Den insgesamt 445 Empfehlungen der Kommission trug das Verteidigungsministerium mit einer Ausnahme „in vollem Umfang Rechnung“, bei der Bearbeitung der Beschwerden kam es aber immer wieder zu beträchtlichen Verzögerungen durch das Ministerium. Für Minister Fasslabend hat sich die Einrichtung der Beschwerdekommission bewährt, da sie nicht nur „rasche und wirksame Reaktionen auf Unzukömmlichkeiten“ ermögliche, sondern auch „effiziente Erledigungen ohne negative Publizität“.

Wenn einer tritt, dann bin ich es ...

Die Anwendung von unzulässigen „erzieherischen Maßnahmen“ ist „immer wieder auf die nur mangelhaft oder unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht von Vorgesetzten aller Dienstgrade zurückzuführen“. Eine Abstellung derartiger Mißstände erreichte die Kommission oftmals nur durch eine sofortige Überprüfung vor Ort.

Die Schinder selbst erachteten ihre Methoden durchwegs „als taugliches und auch zulässiges Mittel, Disziplinlosigkeiten abzustellen und die militärische Ordnung aufrecht zu erhalten“. Sie versuchten diese damit zu rechtfertigen, daß „während der eigenen Ausbildung (...) Erlebtes nunmehr in der Funktion des Ausbildners nachvollzogen bzw. weitergegeben werde. (...) Sie wiesen darauf hin, daß sie im Rahmen ihrer eigenen Einjährigen-Freiwilligen-Ausbildung ähnlich oder sogar noch härter behandelt worden seien, von dem, was sie diesbezüglich selbst an der Theresianischen Militärakademie erlebt hätten, ganz zu schweigen.“

...und wird wer getreten, dann bist’s du.

Nur wenige Mißstände, wie etwa die unterlassene Untersuchung durch den Militärarzt oder die grobe Mißachtung von Sicherheitsbestimmungen, waren schwerwiegend. In einer Waffenschule befahl ein Unteroffizier regelmäßig „Deckungsübungen“ auf der Rollfläche eines Flugfeldes: „Als kaum faßbar erschien der Kommission, (...) daß der beschwerdebezogene Unteroffizier (...) keine Kenntnis vom strengen Verbot des Überquerens/Begehens von Rollflächen im Zusammenhang mit der Ausbildung etc. hatte und daß der wiederholte Verstoß gegen dieses Verbot bis zum Einschreiten der Bundesheer-Beschwerdekommission niemanden im Rahmen der Dienstaufsicht aufgefallen war!“

Was die vielen Fallbeispiele hingegen belegen, ist die Phantasie, die der Mensch seit jeher beim Quälen anderer an den Tag legt. Und daß das Militär ist, was es ist: eine auf Befehl und blindem Gehorsam basierende undemokratische Einrichtung.

Aus dem Katalog der „erzieherischen Maßnahmen“ beim Bundesheer

  • Als Kollektivmaßnahme „zur körperlichen Ertüchtigung“ für angebliche Pflichtverletzungen nach wie vor beliebt sind Liegestütz, „Pumpen“ genannt. In einer Kaserne wurden spezielle „Liegestütztage“ ausgerufen, in einer anderen ein Soldat zum „Kommandant der Liegestützausbildung“ auserkoren: „Der Beschwerdeführer mußte die Anzahl der Liegestütz mit 20 bis 30 vorgeben, bei der Verrichtung der Liegestütz mußte laut mitgezählt werden, anschließend hatten sich alle Betroffenen ’zu bedanken’.“
  • Ein Soldat, der sich während des Exerzierdienstes ins Gesicht griff, wurde von einem Fähnrich aufgeklärt, „so etwas wäre zu Zeiten eines Adolf H. mit Genickschuß bestraft worden.“ Ein anderer mußte nach fehlerhaften Kehrtwendungen seinen Kameraden einen „Heiratsantrag“ machen. Umstandsloser reagierte ein Unteroffizier auf „unkorrekte Haltung“ beim Exerzieren: Er ließ Grundwehrdienern, die es beispielsweise gewagt hatten, sich zu schneuzen, die Arme mittels Feldgürtel an den Körper fesseln.
  • „Innendienstkranke“ mußten in Gefechtsdienstadjustierung in den Lichtschächten des Kompaniegebäudes „Kanalwache“ halten. Ein Soldat, der sich am Bein verletzt hatte und daher einen Gipsverband trug, „wurde in Bauchlage zum Auszupfen von Gras- und Moosbewuchs auf dem Antretplatz herangezogen.“
  • Das Vergessen oder der Verlust von Ausrüstungsgegenständen wurden durch Anordnungen zur Mitführung von Ersatzgegenständen geahndet: zwei Holzstücke anstelle des Eßbestecks, ein Holzstab als „Handschuhe 2000“, 20 l-Benzinkanister als „Ersatzfeldflaschen“, ein aus Papier gefaltetes „Ersatzhemd“ anstelle des Uniformhemdes. Ein Soldat, der während des Exerzierdienstes eine Uhr getragen hatte, mußte strafweise eine „Kartonuhr“ mitführen.
  • In einem Wachlokal mußten sich Soldaten in das von ihren Vorgängern „vorgewärmte“ Bett legen: „Die Kopfpolsterüberzüge, Matratzen und Decken waren durchwegs verschmutzt und ungepflegt; sie waren offenbar seit Monaten keiner Reinigung zugeführt worden.“ In einem anderen konstatierte die Kommission: „morscher und modriger Fußboden, undichte Fenster, unerträglicher Fäulnisgeruch etc.“ Über eine Truppenküche heißt es: „In den Speisen befanden sich Steine und Plastikteile, in der Küche machten sich Mäuse bemerkbar.“
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