Streifzüge, Heft 1/1997
März
1997

12 Thesen zur Europäischen Währungsunion (EWU)

Die nachfolgenden Thesen verstehen sich als Leitfaden durch die Studie „Perspektiven und Konsequenzen der Europäischen Währungsunion“ von Norbert Trenkle und Ernst Lohoff (Institut fur kritische Gesellschaftstheorie) erstellt im Auftrag der PDS-Bundestagsgruppe

1.

Die Befürworter der EWU stellen diese als den logischen und unvermeidbaren Schritt auf dem Weg einer fortschreitenden ökonomischen und politischen Integration Europas dar. Tatsächlich beseitigt die Einheitswährung aber nur das letzte große Hindernis für eine grenzübergreifende Organisation der großen Unternehmen und Konzerne: das Wechselkursrisiko. Doch den möglichen partikularen, betriebswirtschaftlichen Produktivitätsgewinnen stehen enorme ökonomische, soziale und ökologische Verwerfungen in ganz Europa gegenüber. Das EWU-Projekt steht insofern für die bedingungs- und rücksichtslose Zurichtung der Gesellschaft auf die einzelbetrieblichen Verwertungsbedürfnisse und ist darin als Teil der weltweiten neoliberalen und marktfundamentalistischen Offensive zu begreifen.

2.

Das bisherige Europäische Währungssystem (EWS) ist durch die Dominanz der D-Mark geprägt. Alle EU-Staaten sind dazu gezwungen, den Kurs ihrer Währungen gegenüber der inoffiziellen Ankerwährung D-Mark stabil zu halten und müssen sich daher der Geldpolitik der Bundesbank unterwerfen. Der Grund hierfür ist die enorme Abhängigkeit aller Staaten vom transnationalen Kredit- und Geldkapital. Jede Abwertung einer europäischen Landeswährung gegenüber der D-Mark führt zur Kapitalflucht aus dem betreffenden Land und treibt die Zinsen nach oben. Die EWU soll diese Asymmetrie beseitigen, indem sie die Geldpolitik auf gesamteuropäische Ebene verlagert. Doch sie produziert damit nur neue Widersprüche und Krisenpotentiale, die katastrophale Auswirkungen für ganz Europa haben werden.

3.

Die Einführung des Euro wird den Konkurrenzdruck innerhalb Europas enorm erhöhen, weil die Währungen als Puffer zwischen den unterschiedlichen nationalen Produktivitätsniveaus entfallen. Die industriellen und wirtschaftlichen Strukturen der weniger wettbewerbsfähigen Regionen (und das ist der größere Teil Europas) werden dabei unter die Räder kommen (wie im Fall der deutschen Wiedervereinigung). Nur wenige Regionen („Produktivitätspole“), kleine Teile der Bevölkerung und einige weltmarktorientierte Unternehmen werden davon profitieren. Das Resultat wird die enorme Verschärfung der regionalen und sozialen Diskrepanzen und die endgültige Zerstörung der nationalökonomischen und nationalstaatlichen Kohärenz sein. Die EU und die Nationalstaaten werden nicht willens und auch nicht in der Lage sein, diese Diskrepanzen über Umverteilungsmaßnahmen und Transferleistungen auch nur annährend auszugleichen. Im Gegenteil: Der verschärfte Standortwettbewerb wird ein allseitiges Lohn-, Sozial-, Öko- und Steuerdumping auslösen.

4.

Die Konvergenzkriterien, die über dieTeilnahme an der EWU entscheiden, fragen nicht nach der realwirtschaftlichen und sozialen Homogenität der europäischen Länder. Eine solche Homogenität existiert nicht. Die ausschließliche Orientierung an geld- und fiskalpolitischen Eckdaten (Inflationsraten, Staatsverschuldung, Zinsraten, Wechselkursstabilität) ist aber keine bloße Willkür. In ihr drückt sich die Abhängigkeit der Realwirtschaft und der Regierungen von den internationalen Finanzmärkten aus. Die Konvergenzkriterien sollen zukünftige geldpolitische Stabilität simulieren, um so den europäischen Währungsraum für die Anleger von Geld- und Kreditkapital attraktiv zu machen. Diese Stabilitätssimulation droht nun zu scheitern, weil kein Land außer Luxemburg alle Konvergenzkriterien erfüllen kann.

5.

Werden einzelne Länder aus der Währungsunion ausgeschlossen, dann führt dies zu einer tiefen politischen und ökonomischen Spaltung der EU. Die Diskrepanzen zwischen „Ins“ und „Outs“ werden sich immer weiter verschärfen. Denn erstens werden die Währungen der „Outs“ unter einen enormen Abwertungsdruck geraten. Die Folgen: ständig drohende Kapitalflucht und hohe Zinsen, die die Wirtschaft abwürgen. Und zweitens wird die Währungsspaltung gewachsene wirtschaftliche Verflechtungen (z.B. zwischen Deutschland und Italien) schwer beschädigen.

6.

Die EWU wird zu einer starken Erhöhung der Staatsverschuldung in allen beteiligten Ländern beitragen, denn die wachsende regionale und soziale Polarisierung und der Standortwettbewerb erhöhen den Druck auf die öffentlichen Kassen enorm (Subventionen für notleidende Unternehmen, selektiver Infrastrukturausbau, gewisse soziale und regionale Ausgleichsleistungen etc.). Ein Anreiz für Defizitsteigerungen ist auch, daß die Einzelstaaten die monetären Negativeffekte auf die Gesamtheit der EWU-Teilnehmer abwälzen können. Denn höhere Zinsen und inflationäre Tendenzen infolge der Staatsverschuldung treffen alle Länder, in denen der Euro offizielle Währung ist. Dies wird ständige zwischenstaatliche Konflikte schüren, die, wenn sie sich zuspitzen, zum Auseinanderbrechen nicht nur der EWU, sondern auch der EU führen können.

7.

Der sogenannte „Stabilitätspakt“ stellt demgegenüber keinen Ausweg dar. Denn er bedeutet die bedingungslose Unterwerfung unter die Bewegungen des Marktes. Und neoliberale Sparkonzepte bringen allenfalls kurzfristige und rein oberflächliche „Erfolge“ auf der Ebene volkswirtschaftlicher Indikatoren, zehren aber letztlich die wirtschaftliche, soziale und ökologische Substanz eines Landes auf und verschärfen damit die Probleme noch.

8.

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird ihre Rolle als strikte Hüterin der Geldwertstabilität des Euro nicht dauerhaft spielen können. Erstens wird sie angesichts der wachsenden Staatsverschuldung ihre Geldpolitik teilweise lockern müssen, um die Zinsen zu senken. Dies wird inflationäre Tendenzen freisetzen. Zweitens ist die EZB nicht für den wichtigen Bereich der Wechselkurspolitik zuständig. Darüber entscheidet der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN), wo ganz unterschiedliche nationale Interessen bezüglich der Höhe des Euro-Außenwerts aufeinanderprallen werden. Damit sind eine Inflationierung und ständige Wechselkursschwankungen des Euro sowie regelmäßige Spekulationswellen gegen ihn vorprogrammiert.

9.

Das Erbe der D-Mark wird sich als Fluch für den Euro erweisen. Denn die scheinbare Stärke der D-Mark spiegelt nicht so sehr eine realwirtschaftliche Überlegenheit Deutschlands am Weltmarkt wider. Sie beruht wesentlich auf der privilegierten Position der BRD als internationaler Schuldner (besondere Bonität an den Finanzmärkten trotz gewaltiger Verschuldung) und der Funktion der D-Mark als wichtiger Anlagewährung. Das heißt: Der hohe Kurs der D-Mark ist die Folge einer starken Nachfrage nach DM-Schuldtiteln und DM-Anlagen. Wenn diese Gelder im Vorfeld der EWU oder kurz nach ihrer Umsetzung abgezogen werden, reißt die D-Mark den Euro mit in den Abgrund. Die Folge wird ein großer Entwertungsschub an den Finanzmärkten (Crash), in der Realwirtschaft (Bankrottwelle) und auf der Ebene des Geldes (Inflation) sein.

10.

Angesichts dieser verheerenden Konsequenzen muß die EWU grundsätzlich und kompromißlos abgelehnt werden. Dabei darf es allerdings nicht um eine nationalistische Verteidigung der D-Mark gehen. Gefährlich ist nicht ein angeblich „mangelnder Stabilitätswille“ außerhalb Deutschlands, sondern die mit der EWU einhergehende totale Entgrenzung des Marktes und Zerstörung der sozialen und ökologischen Sicherungssysteme. Die EWU muß abgelehnt werden, weil sie zentrales Glied einer neoliberalen Offensive ist, die auf die völlige Unterwerfung der Gesellschaft unter den Primat der „Rentabilität“ zielt und weil sie nicht zu einer Vertiefung der europäischen Einigung führt, sondern einer regionalistischen und nationalistischen Spaltung Vorschub leistet.

11.

Die links-keynesianische Vorstellung, daß eine europäische Währungsunion prinzipiell die Chance für eine europaweite wirtschafts- und sozialpolitische Regulation bietet, ist pure Illusion. Angesichts des globalisierten Standortwettbewerbs und der wachsenden sozialen und regionalen Polarisierung greifen die klassischen Formen staatlicher Intervention nicht mehr, und zwar weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene.

12.

Das heißt nicht, Politik und Staat aus ihrer Verantwortung für die katastrophischen Folgen der sozialen und ökologischen Krise zu entlassen. Allerdings muß eingesehen werden, daß die arbeits- und marktgesellschaftliche „Normalität“ nicht wiederherstellbar ist. Daher muß der Kampf für die sukzessive Entkopplung der gesellschaftlichen Reproduktion von der Marktlogik ins Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gerückt werden. Dies bedeutet erstens, bei der Vergabe öffentlicher Mittel den gesellschaftlichen Nutzen (ökologisch und sozial) auch dort bedingungslos einzuklagen, wo dies mit der Zurichtung des „Standorts“ auf den Markterfolg kollidiert. Zweitens sollte der Aufbau von Strukturen kooperativer, selbstorganisierter und nicht-marktvermittelter Reproduktion nicht nur auf lokaler und regionaler, sondern auch auf überregionaler Ebene umfassend, d.h. materiell, finanziell, rechtlich und politisch gefordert und unterstützt werden.

Januar 1997

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