ZOOM 7/1996
Dezember
1996

Westlich orientierte Remilitarisierung, Öffentlichkeit und Neutralität

Die mediale und öffentliche Aufregung rund um das Bekanntwerden geheimer amerikanischer Waffenlager in Österreich hat eine eigenartige Färbung im Zusammenhang mit der Tatsache amerikanisch-österreichischer Aufrüstung in der Besatzungszeit bis 1955.

Aufgrund dieser Remilitarisierung, z.B. auch mit Waffenlagern für die österreichische B-Gendarmerie im amerikanischen Besatzungssektor, ist die Aufregung nur insoweit verständlich und begreifbar, als es um streng geheime, angeblich selbst den österreichischen Behörden nicht bekannte Waffenlager geht. Die Aufregung wird dort suspekt, wo sie suggerieren soll, daß die Neutralität Österreichs schon immer geübt worden wäre. Das aber war nicht der Fall, denn Österreich war im kalten Krieg bis 1955 nicht neutral, sondern klar westlich orientiert, ein Umstand übrigens, der in Österreich traditionell gerne bestritten oder abgeschwächt wird. Im folgenden sollen kursorisch die österreichisch-amerikanischen Remilitarisierungsbemühungen, das Bekanntwerden in der Öffentlichkeit sowie die damit im Zusammenhang stehenden Probleme mit der Neutralität erörtert werden. Wobei der Hinweis wichtig ist, daß die in der Folge genannten Waffenlager nicht ident sind mit jenen geheimen, die den Zündstoff der momentanen Diskussionen bilden.

Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kontrolle Österreichs durch die Alliierten in vier Besatzungszonen wurden Überlegungen über die Aufstellung einer bewaffneten Formation angestellt. Nachdem der alliierte Kontrollrat erste Bemühungen von österreichischer Seite unterbunden hatte, kam es im Zuge des mittlerweile virulent gewordenen kalten Krieges zu einer Neuorientierung in dieser Frage.

Auf der einen Seite gab es intensive Parteiengespräche zwischen ÖVP und SPÖ über die Bildung eines zukünftigen Bundesheeres, die allerdings jahrelang ohne Einigung verliefen, sicher auch mitbedingt durch die Tatsache der andauernden Besatzung; auf der anderen Seite gab es konkrete Überlegungen, als Übergangslösung eine verstärkte Gendarmerieeinheit aufzustellen, allerdings nur für den westlichen Besatzungssektor. Dort erfolgte die Aufstellung der B-Gendarmerie seit 1949 im Wissen und im Interesse der amerikanischen Besatzungsmacht, die dafür nicht nur die Möglichkeit bot, sondern auch Waffenhilfe leistete. Zu diesem Zeitpunkt kann die österreichische Wehrpolitik also keineswegs als neutral betrachtet werden.

Die Aufstellung der B-Gendarmerie, der Vorläuferorganisation des späteren Bundesheeres, geschah allerdings aus verständlichen Gründen im geheimen und unter Ausschluß der Öffentlichkeit: Unter anderen war damit eine Unterabteilung des Finanzministeriums sowie das Ministerium für Handel und Wiederaufbau befaßt; erst Ende 1953 wurde die B-Gendarmerie in einer eigenen Abteilung allein dem Innenministerium unterstellt. Diese „Rüstungsanstrengungen“ blieben der sowjetischen Besatzungsmacht natürlich nicht verborgen.

Alle Printmedien der KPÖ, einschließlich der offiziellen sowjetischen Besatzungspresse, Österreichische Zeitung, berichteten sehr ausführlich über amerikanische Waffen- und Munitionslager im westlichen Österreich und über den Auf- und Ausbau sowie Manöver der B-Gendarmerie. Diese Informationen wurden dann gebündelt in einer Broschüre des kommunistisch orientierten Österreichischen Friedensrats herausgegeben: 1951 erschien erstmals das Weißbuch „Die Wiederaufrüstung Österreichs“, das zwar tendenziös, aber im wesentlichen mit nachprüfbaren Details die Remilitarisierung Österreichs im amerikanischen Sektor überraschend genau dokumentierte. Dieses Weißbuch war auch Anlaß einer parlamentarischen Diskussion, die von der damals noch im Nationalrat vertretenen KPÖ initiiert wurde.

Das Faktum der österreichischen Remilitarisierung mit Duldung und Unterstützung der USA war also in der Öffentlichkeit trotz Geheimhaltung bekannt, wurde aber dennoch kaum zur Kenntnis genommen oder als kommunistische Propaganda abgetan und stigmatisiert. Wie weit diese, zum Teil sicher nicht unbegründete Ignoranz ging, beschrieb der frühere Innenminister Erwin Lanc in einem von mir 1986 durchgeführten Interview:

Die Abschottung der Kommunisten von der übrigen Gesellschaft war damals total, weil sie eben die einzigen waren, von denen man angenommen hat, daß sie die Steigbügelhalter einer Besatzungsmacht und damit die Gefährder der wirklichen Unabhängigkeit Österreichs waren. Und das besonders in der russischen Zone, weniger im Westen. Das Maß der gesellschaftlichen Ächtung war so groß, daß das, was die Volksstimme geschrieben hat oder die KPÖ herausgebracht hat, eher kontraproduktiv war. Die Argumentation der KPÖ gegen die B-Gendarmerie war unglaubwürdig im Zusammenhang etwa mit den kommunistischen Werkschutzeinheiten, die bei der ÖMV standen. Die hat man sehen können. Die darf’s geben? Das war doch die totale Unglaubwürdigkeit. Die Argumentation ist abgestunken, heute raschelt das Papier, wenn man liest, was die Volksstimme geschrieben hat.

Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 und dem zuvor ausgehandelten Moskauer Memorandum, das die Neutralität zur Bedingung machte, war die Außen- und Wehrpolitik Österreichs entscheidend neu determiniert: Die österreichische Politik mußte ein glaubhaftes Neutralitätskonzept entwickeln und verwirklichen, die die klare Westorientierung vergessen machen sollte. Ich meine, daß diesbezüglich in Österreich nach 1955 ein Verdrängungs- und Verniedlichungsprozeß der früheren Westorientierung stattgefunden hat, der sich z.B. in den Arbeiten des Militärhistorikers Manfried Rauchensteiner nachweisen läßt.

In diesem Zusammenhang ist die Aufdeckung von geheimen Waffenlagern, die auch nach 1955 bestanden haben, natürlich besonders heikel, könnten sie doch ein Indiz für eine eventuelle geheime Kontinuität dieser Westorientierung auch nach 1955 sein, zumindest aber dafür, was die USA von der österreichischen Neutralität gehalten haben. Wiewohl ein lancierter Zusammenhang zur momentanen österreichischen Diskussion über die Aufgabe der Neutralität nicht anzunehmen ist, kommt sie dieser dennoch zugute: Wenn Österreich sowieso nicht neutral war, warum soll es dann neutral bleiben?

Die mögliche Aufgabe der Neutralität erscheint gerade aus historischer Sicht besonders bedauerlich, hat sie doch entscheidende Impulse für eine eigenständige „nationale“ Identitätsfindung, vor allem in Abgrenzung zum Deutschnationalismus, zumindest in großen Teilen der Bevölkerung ermöglicht. Ganz im Gegensatz zur Ersten Republik hat sich das Bewußtsein der staatlichen Überlebensfähigkeit durchgesetzt. Und diese „nationale“ Identität gründet sich nicht, wie etwa in der Schweiz, auf einen starken innergesellschaftlichen Militarismus und eine dementsprechend massive Aufrüstung. Wiewohl ich keineswegs den österreichischen Militarismus, vor allem in den Köpfen, unterschätzen würde, so war es nicht dieser, der die Neutralitätspolitik effektiv beeinflußte. Eher im Gegenteil, die Neutralitätsverpflichtung mußte bei fast jeder militärischen Aufrüstungsaktion gegen den teils massiven Widerstand bemüht werden. Die österreichische nationale Identität ist demnach nicht vergleichbar mit anderen, aggressiven und militaristischen Nationalismen.

Die Aufgabe der Neutralität bei einem NATO-Beitritt würde diese Entwicklung rückgängig machen, was sich allerdings schon lange ankündigt, und die militärische Präsenz und Potenz in der Öffentlichkeit bedeutend erhöhen.

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