radiX, Nummer 3
Mai
2000

Vernichtungskrieg im Kaukasus

Nach der Niederlage der russischen Armee im ersten Tschetschenienkrieg versucht diesmal die Regierung Putin mit einen Vernichtungskrieg gegen die tschetschenische Bevölkerung der abtrünnigen Kaukasusrepublik Herr zu werden. Die neue Kriegsführung der russischen Regierung erinnert dabei eher an die stalinistischen Deportationen unter denen die tschetschenische Bevölkerung zu leiden hatte, als an die militärischen Konflikte die die letzten Jahre die zerfallenden Nachfolgestaaten der alten Sowjetunion erschüttert haben.

Nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Unionsrepubliken der Sowjetunion erklärte die Republik Tschetschenien am 1.11.1991 ihre Unabhängigkeit. Der erste Präsident dieses unabhängigen Tschetscheniens wurde Dschochar Dudajew — jener sowjetische Armeekommandant der Luftwaffengarnison im estnischen Tartu, der im August 1991 den Befehl der Moskauer Putschisten verweigerte die estnischen Unabhängigkeitsbestrebungen mit militärischer Gewalt zu ersticken. Im Baltikum gilt er heute dafür noch als Volksheld nach dem Straßen und Plätze benannt werden. Für die russische Regierung hingegen wurde er der Staatsfeind schlechthin. Im Gegensatz zur Unabhängigkeit der anderen Sowjetrepubliken wollte Russland die Unabhängigkeitserklärung einer Republik der Russischen Föderation nicht akzeptieren.

Guerilla und Warlords

Im ersten Versuch die kleine Kaukasusrepublik zurückzuerobern (1994-1996) scheiterte Russland aber schließlich an den Guerilla-Kämpfern in den Kaukasischen Bergen, nachem über 50.000 Tote, darunter tausende ZivilistInnen in Tschetschenien zurückgeblieben sind. Mit dem Sieg der verschiedensten tschetschenischen Milizen und Kommandos wurde jedoch gleichzeitig die mehr oder weniger demokratisch gewählte tschetschenische Regierung geschwächt. Auch nach dem Abzug der russischen Armee 1996 gelang es den Nachfolgern des im Krieg gegen Russland gefallenen Präsidenten Dudajew nicht mehr die Rechtssicherheit im Lande wieder herzustellen. Die Kontrolle der Regierung beschränkte sich teilweise auf die größeren Städte, während viele ländliche Gegendenden Tschetscheniens von den verschiedensten Warlords und Clans regiert wurden.

Da die muslimischen TschetschenInnen in ihrem Kampf gegen Russland kaum auf Sympathien im „christlichen Abendland“ hoffen konnten und kein westlicher Staat die Unabhängigkeit der nur 1,2 Millionen EinwohnerInnen zählenden Republik anerkannte, wendeten sich die einzelnen Guerilla-Gruppen auch zunehmend stärker an ihre „Islamischen Brüder“ um Hilfe. Wie so oft in solchen Fällen war es gerade das extrem konservative aber auch extrem reiche Saudi-Arabien das den bedrängten Glaubensbrüdern zur Hilfe eilte. Mit saudischem Geld floß aber auch immer mehr an saudischen Ideen in den Nordkaukasus. Schon bald gaben nicht mehr gemäßigte NationalistInnen in Grozny den Ton an, sondern immer mehr extremistische SunnitInnen, die die Errichtung eines islamischen Staates nach wahabitisch-saudischem Vorbild zum Ziel hatten. Die gewählte tschetschenische Regierung vertrat dabei weiter einen gemäßigt islamisch gefärbten tschetschenischen Nationalismus, die bewaffneten Gruppen und ihre Warlords vertraten aber immer mehr das Islambild ihrer Unterstützer in Saudi-Arabien.

Öl und Ökonomie

Bei der Neuauflage des Krieges gegen Tschetschenien geht es jedoch nicht nur um eine — für Russland wohl eher imaginäre — Gefahr eines „Islamischen Fundamentalismus“ im Nordkaukasus, sondern auch um Ökonomie und insbesondere um das Öl aus der Region des Kaspischen Meeres. Westliche Konzerne haben sich seit dem Zerfall der Sowjetunion an immer größeren Teilen der Erdölindustrie am Kaspischen Meer beteiligt, was Russland mit zunehmender Sorge um den eigenen Einfluß erfüllt hat. In den Planungen für neue Pipelines spielt auch Tschetschenien eine große Rolle. Es geht damit bei der Frage wer Tschetschenien kontrolliert auch um die Frage wer die Gebühren zukünftiger Pipelines einnehmen und den Gebrauch der Transitrechte als politisches Druckmittel verwenden kann.

Auslöser und Ursachen

Die angeblichen Gründe für den erneuten russischen Angriff gegen Tschetschenien sind damit nur die Auslöser für viel tiefer liegende Ursachen. Neben dem Konflikt um die Kontrolle über das kaspische Erdöl spielt für Russland dabei vor allem die Angst vor dem weiteren Zerfall der Reste der alten Sowjetunion und die heranrückenden Duma-Wahlen eine Rolle. Auf einer Welle nationalistischer und rassistischer Gefühle gegen Feindbild-Gruppen aller Art — seien es nun Kaukasier oder Juden — läßt sich auch in Russland gut wahlkämpfen. Kein russischer Politiker der die nächsten Duma-Wahlen gewinnen möchte könnte es sich zur Zeit erlauben entschieden gegen diese Welle des russischen Nationalismus und antikaukasischen Rassismus entschieden aufzutreten.

In so einem Klima kamen die abenteuerlichen Angriffe Schamil Bassajews und Abd ar-Rahmans auf die östliche Nachbarrepublik Tschetscheniens um dort eine „islamische Republik Dagestan“ zu errichten gerade recht. Auch die Anschläge auf Moskauer Wohnhäuser — die ohne jede Beweise sofort tschetschenischen Terroristen zugeordnet wurden aber auch genauso gut vom russischen Geheimdienst selbst gesprengt worden sein könnten — kamen für die Russische Regierung genau zum richtigen Zeitpunkt um einen seit langem, und diesmal gut geplantem, Rückeroberungsfeldzug gegen Tschetschenien zu beginnen. Rassistische Übergriffe gegen KaukasierInnen in Moskau sind seither an der Tagesordnung.

Krieg gegen die Zivilbevölkerung

Der Rückeroberungsfeldzug Russlands erinnert seit Dezember 1999 immer mehr an einen Vernichtungsfeldzug. Keiner weiß die genaue Zahl der toten und geflüchteten ZivilistInnen. Mehrere Hunderttausend TschetschenInnen sind aber auf jeden Fall in die Nachbarrepubliken Inguschetien, Dagestan und Nord-Ossetien geflüchtet.

Geiselnahmen von ZivilistInnen sind dabei von beiden Seiten ein beliebtes Mittel der Kriegsführung. Nicht nur tschetschenische Warlords nehmen russische Geschäftsläute als Geiseln, sondern auch der russische Geheimdienst FSB hat die Familie des gewählten tschetschenischen Präsidenten Maschadow entführt und hält sie als Geiseln gefangen.

Den Gipfel der Vernichtungspolitik gegen die tschetschenische Bevölkerung stellt bislang jedoch ein Ultimatum dar, das die russische Militärführung am Montag, den 6. Dezember der Zivilbevölkerung der tschetschenischen Hauptstadt Grozny gestellt hat. Jede Person die sich am Samstag, den 11. Dezember noch in Grozny aufhält würde von der russischen Armee „als Terroristen betrachtet und vernichtet“.

Nur weinige Hundert Menschen konnten oder wollten diesem Ultimatum Folge leisten. Das Ultimatum wurde schließlich nach heftigen Protesten — auch innerhalb Russlands — zwar verlängert und schließlich wurde sogar versucht die tschetschenischen Einheiten mit einem Amnestiegesetz zur Aufgabe zu bringen, vor Ort setzen die russischen Einheiten ihren Krieg gegen die Zivilbevölkerung jedoch fort.

Nach zwei Monaten konnten Anfang Februar die Russischen Truppen die völlig zerstörte Stadt Grozny unter hohen Verlusten einnehmen. Das Siegerimage des Übergangspräsidenten Putin, der am Höhepunkt seiner Kriegsherrn-Popularität zum Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Jelzin wurde, ist seither wieder etwas angekratzt. Eine kurze Polizeiaktion gegen einige „Terroristen“ — wie es von der Regierung immer wieder dargestellt wird — scheint der Krieg in Tschetschenien immer weniger zu sein. Die russische Armee muß sich wohl eher auf einen lange andauernden Guerilliakrieg in den kaukasischen Bergen vorbereiten, den die tschetschenischen Einheiten mit relativ guter Bewaffnung, vor allem aber mit hoher Disziplin zu führen bereit sind, während die Kriegsbegeisterung in Russland mit zunehmenden Dauer des Krieges abzunehmen scheint.

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