MOZ, Nummer 57
November
1990

Stimmen Fischen — eine Schlacht der Bilder und Worte

Die unglaubliche Subversivität der Plakataffichierer

Die Form würde nicht immer irgendwie Inhalt (mit)bestimmen, glauben einige, doch Geldaufwand allein genügt nicht, um Stil zu zeigen (wenn man eben keinen hat). Die im Wahlkampf involvierten Parteien haben jedenfalls die Plakatästhetik, die sie und auch ihre Handlanger verdienen.

Abgesehen von den unbewußt postmodern leeren Slogans taten die brav ihre Pflicht ausübenden legalen Plakatkleber das ihre, um durch die Anbringung der Politwerbeflächen noch für zusätzliche Konnotation zu sorgen. Die Surrealisten hätten gejubelt (ganz Österreich im Taumel des „Zusammentreffens einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf dem Seziertisch“), die Dadaisten hätten nicht mit Beifall für die Großparteien gegeizt und die Horden der Semiotiker können nun lange durchdachte Artikel über die undurchdachten, also unbewußt erst lesbaren Plakathappenings schreiben. Diese Wahl ist allemal ein absolut gelungener Coup, der auch nur lächerliche 500 Mille gekostet hat, im Vergleich zum Spaß am Golf eine freiwillige Spende, ein Körberlgeld der großen ‚ehrbaren Familien‘ Österreichs.

Bei meiner Rückkehr nach Wien stach mir schon am Bahnhof Hütteldorf die Kombinationsgabe der bereits gerühmten Künstler aus dem Alltag, der Affichierer, ins Auge. Neben einem Preisausschreiben rund um das „süßeste Früchtchen“ bleckte Ratman Haider seine Vorderbeißer, einem Flügelaltarpendant nicht unähnlich, mußte Riegler mit einer Käsereklame („Geheimratskäse“) vorlieb nehmen. In der Mitte, hier schien es sich bei den Plakatklebern um gestandene SPÖler gehandelt zu haben, treuherzte einmal ohne feuchten Augen Franz (nicht der Humanic, sondern der andere) als wichtigste Figur dieser unheiligen Drei(ein)faltigkeit, lediglich mit dem Requisit „Jakobs Monarch“ ausgestattet, ziemlich souverän über seine Konkurrenz hinweg. War Wien bereits in roter (Kleber)Hand?

Franz schuf die Wiese, den Baum, den Himmel ...

Hatte es Kreisky immerhin bis zum Sonnenkönig Bruno gebracht, ging schließlich Vranitzky auf Überholspur und rannte nach dem Intermezzo der bei Politmannequins doch etwas nachteiligen Optik eines Fred vom Burgenland offene Türen ein.

Über dem Absolutismus eines weltlichen Herrschers residiert in manchen Glaubensgemeinschaften nur noch ein Unternehmer, Gott von Beruf. Hier setzt nun Franz ganz keck an. Wohl wissend, daß ein Rechberger nur die Spitze eines Eisberges darstellt, obwohl weltweit die Gletscher schmelzen, und auch präzise rezipierend, daß aus dem Basisvölkchen der SPÖ, dem Proletariat, längst Proleten ohne Standesbewußtsein geworden sind, versucht Franz den Überschmäh vom Schöpfertum, ideal für grüne Zeiten.

Was bietet er uns an? Eine grüne, grüne Wiese, die ihre Farbe nur aus dem schärfsten chemischen Dünger entwickeln konnte, wenigstens tummelt sich Milizler vor Hund und Bäuerin im Bild. Stolz sagt uns Franz: „Sehet, dies hab alles ich gemacht, meine Partei hat mir geholfen, für euch diesen blitzblauen Himmel so blau zu machen, daß die Freiheitlichen neidisch die Augen zusammenkneifen müssen. Und der Baum im Hintergrund, den hat nicht René Magritte erfunden, der ist auch von mir. Als paradiesischer Vorzugsschüler will ich natürlich auch die Vorzugsstimmen. Also her damit.“ Tief ergiffen von der Cinemascopeklarheit schritten die WählerInnen zur Urne. Ein weltlicher Kandidat hätte diese Partei ohnedies nicht mehr sanieren können. Nicht um ein Mandat.

Black Taboo

Vom Franz durch Schöpfermythen ausgetrickst, warf sich Riegler gezwungenermaßen (teilweise) in die große weite Welt oder an die Brust heimischer Konkurrenz. Josef ist auch messerkantenscharf gekampelt wie Franz, aber nun als Christ von dem standesgemäß ungläubigeren Sozi auf parteieigenem Himmelsterrain (Mietzins nach oben offen) vornab geschlagen, versucht der ÖVP-Oberhirte, wie Turrini auszuschauen. Denn ich glaube nicht, daß der inzwischen durchaus pflegeleichte Literat sein Äußeres an Riegler orientiert. Mit zunehmendem Alter setzt man eben Bäuchlein an, daher die völlig mißverständliche Rieglersche Message „den Aufschwung wählen“. Eine derartige Sportivität hätte ich den schwarzen Schafen, Parteifarbe und christliches Symbol stelle ich hiermit in neuem Kontext aus, nicht zugetraut. Welch Paranoia waren die gefürchteten Felgaufschwünge im Turnunterricht ... damals.

Diese Körperbezogenheit sichert der ÖVP zumindest ein Gros der momentan ganz woanders hinschwingenden Fußballer, vielleicht klappt’s dann nach der Wahl auch für Gerhard Berger besser.

Nicht klammheimlich, sondern offensichtlich von den Amerikanern abgeguckt, weht da das rot-weiße Banner im Hintergrund, während vorne Josef, nennen wir ihn doch einfach Pepi, als Uncle Sam versagt. Anstelle des strengen, Rekruten ködernden Blickes von Plakatmann zu Mann und dem affengeilen „I want you“ wenden wir unseren Blick verständnislos ab. Hier deutet ein Mann auf uns, anscheinend völlig von den Mißgeburten-Ausfällen Haiders irritiert, und flüstert mit bebender Stimme: „Bleiben Sie mir vom Leib, ja Sie, Sie Kartoffelkäfer.“ Die Stimme versagt, und die notwendigen Wählerstimmen blieben aus.

Die Sexualisierung des Wahlkampfes

Sex and Schnaps and Polkaroll als Parole für die FPÖ. Nicht nur unser deutscher Gast aus Köln vermutete mehr hinter dem tiiiiefen Blick von Jörg in Heides Augen. Als die Blauen schließlich Verhüterlis austeilten, gab’s kein Halten mehr. Mutig dennoch die spätere Kurzversion, die geschrumpfte Größe, beim Trio auf der Alm mit Heide, Jörg und Gugerbauer. Bunte, leuchtende Farben, eine Kulisse, wie sie die Operette bei den Festspielen in Mörbisch dringend benötigt, und schwupps, da waren’s nur noch zwei. Norbert und Jörg, wenigstens schauten sie sich nicht tiiief in die Augen. Als vordergründigstes Identifikationsobjekt können wir Gugerbauers Bärtchen gelten lassen, denn die gesamte Männlichkeit der FPÖ scheint mit diesem Flaum auf der Oberlippe ausgestattet zu sein.

Gänzlich kontrovers dazu schmissen die in moralische Bedrängnis gekommenen Blauen nun Schriftplakate ins Rennen, die auch nicht gerade intelligenter oder verständlicher als die schwarzen Machwerke waren. „Wien darf nicht Chicago werden“, im Outfit eines Musicalankündigers für sagen wir Cats in Hinterstoder oder Freudiana in Goisern. Jörg hat also nicht nur offene Arme für die Ewiggestrigen, er ist auch politisch erst bei Bert Brecht angelangt. Zu dessen Lebzeiten war Chicago noch ein heißes Pflaster, jeder zweite war Gangster und die Stadt somit ein Symbol für Kriminalität der höchsten Rate und Qualität. Überkleber „Wien darf nicht Kärnten werden“ waren schon recht entzückende Reaktionen, aber um heute Verbrechen anzuprangern, wären Sätze wie „Wien darf nicht Noricum werden“ oder „Die Lucona darf nicht von Immobilienhaien gefressen werden“ angebracht. Was dachte sich der Junker Jörg bei seiner ‚Chicago‘-Metapher, wo doch die Verbrecher längst überall am Werk sind und keine Stadt als Ikone zur Verantwortung gezogen werden kann? Chicago hat einen immens hohen Prozentsatz von Polen in der Bevölkerung, aber wenn er das so meint, dann ist das für den durchschnittlichen FPÖ-Wähler intellektuell nie und nimmer faßbar. Trotzdem (oder gerade wegen dieser ungeheuren Unbegreiflichkeit) ein unangenehmer Mandatszuwachs für die Partei, die nur ein Gesicht hat.

Radikaler Nachwuchs

Ausgerechnet die Jungbrut der sich an Uncle Sam verstiegenen ÖVP fährt unerwartete Schocks auf, allerding nicht im fortschrittlichen Avantgardesinn. In Altherrenparteien wirkt noch ein nicht mehr taufrischer Petrik jung, nicht nur wegen des lediglich um Zentimeter zu tief gerutschten Phallussymbols Auto bei seinem Gebrauchtwagenplakat. Allein das gegenüber meinem Wahllokal angebrachte Signet am schwarzen Bezirksquartier zwingt mich in die Knie: „Wir jungen Schwarzen treiben’s bunt!“ Na bravo, abgesehen vom tatsächlichen Buntbuchstabensortiment, läßt die übergeordnete, tief im Bürger verankerte Assoziation „es bunt treiben“ jeden roten Bestechungsskandal und alle blauen Blicke vergessen.

Um dieser Orgie noch eins draufzusetzen, treibt’s ein gewisser Flimmer zu weit. Wurden ehrlich bekennende Faschistos und Nazis von der Kandidatur ausgeschlossen (unter ihnen ganz Rechte, die Haider am liebsten vergasen möchten), so darf einer im Sog der schwarzen Christenheit sein Modell ‚Chile‘ mit Vorzugsstimmen garnieren. „Himmer wählen, Bonzen quälen“, popfärbig im Amnesty-Design gehalten, legt uns eine strenge Kammer offen. Noch nie hat ein in den Wahlkampf Verwickelter so unverhohlen und noch dazu gerade deswegen auf Stimmzuwachs hoffend zugegeben, daß er praktizierender Sadist ist. Amnesty müßte demnächst einschreiten und Himmers Opfer als politische Gefangene deklarieren, ansonsten müssen wir befürchten, daß hier ein heranwachsender Pinochet sich einst aufs Roß schwingen könnte. Mein Gott, mein anfänglicher Freudscher Verleser ‚Himmler wählen‘ war doch eine vom Unterbewußten gesteuerte Reaktion auf dieses Greuelbekenntnis. Das kostete einige Mandate, saftig, saftig.

Applaus

kann ich den Vereinten Grünen bezüglich ihrer Werbemittel, die die herzerfrischende Naivität zweijähriger Erwachsener bestätigen blumi bunt mama natur bahubabl keinen spenden. Dafür waren, gemessen am Budget, die Anzeigenserien der Grün Alternativen optische und inhaltliche Highlights, die ersten überhaupt, seit die Grünen das Politparkett betreten haben.

Aus dem Reservat

Da die Kummerln ungerechterweise durch den Verkauf des Ostens an die westliche Supermarktkette der Durchschnittlichkeiten imagemäßige Einbußen erhielten, gewähren wir dieser schützenswerten Minderheit Schonzeit.

Ob es gelingen wird, den Bestand zu erhalten oder ob wir Kommunisten später nur noch auf Abbildungen in Geschichtsbüchern sehen werden, kann erst in einigen Jahren sachgerecht beurteilt werden.

Wer das Nationalratswahlen-Derby gewonnen hat, wissen Sie, einige mehr oder weniger offensichtliche Argumente zu diesem Ausgang haben wir nachgeliefert. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, und Worte haben tausend Bedeutungen. Millionen haben mitgespielt, Wählerinnen und Kohle so einfach geht ‚Einer aus Elf‘. Wann kommt der erste Jackpot? Heile Zeiten stehen uns bevor.

Der größte Holzkopf Europas?

Robert Steiner ist sicherlich ein mutiger Mann, wobei die Überlegung, daß nur phantasielose Leute in kriegerischen Auseinandersetzungen mutig gewesen wären, kurze Erwähnung finden soll.

Bei uns herrscht nur Krieg, weil es dem Lichal nicht so gut geht unter der Rinde. Im Frieden treten sie nun offiziell und öffentlich, manchmal parteibuchgefördert auf den Plan, oder gleich mir nichts, dir nichts ins Freie. So geschehen auf der Freyung.

Mutig allein das Plakat, das nicht nur als einzige künstlerisch wertvolle Information die „größte Holzskulptur“ Europas vermeldet, sondern mit hartnäckigem, ewiggestrigem Ehrgeiz eine 60er Jahre Optik aufweist, die wir schon lange (gut so) nicht mehr gesehen haben. Guinessverdächtige Aktionen weisen meist eine Gemeinsamkeit auf: egal, um was es geht, Hauptsache groß, lang, dick etc. Bescheidene, aber frohe Geister ganze Orte bilden kilometerlange Ketten aus Biertischen und kübeln sich so hefetrüb ins Buch der Rekorde.

Der mutige Robert Steiner braucht nur sich und finanzkräftige Mittäter, schon steht ‚größte‘ Holzplastik auf der Freyung. Wie? Ja, wahrscheinlich brennt sie, aber das tut man nun wirklich nicht, oder wählen Sie etwa FPÖ? Na eben. Die Redaktion sucht nun verzweifelt die zuständigen KünstlerInnen für die längste, dickste, beste, häßlichste, verwurmteste, umweltgeschädigteste Holzplastik vom Wiener Wald. Als Preis winkt die begehrte Auszeichnung ‚Größter Holzkopf‘ der Welt. Die Jury liebäugelt bereits unvoreingenommen mit einem gewissen Robert Steiner. Einsendeschluß bis zur Abholzung des Regenwaldes. Trostpreise für alle, die erraten, wieviele Zahnstocher aus dieser Plastik gefertigt werden könnten.