FORVM, WWW-Ausgabe
August
2024

Sommerlicher Theaterbummel
in und um Wien

Im guten, alten Print-FORVM erschien in unregelmäßigen Abständen von Jürg Jegge, was wir damals „Pawlatschenreport“ nannten. Diese Serie setzt er hier zur Freude des Herausgebers fort, wenngleich unter anderem Namen.

Bezahlt wird nicht (Dario Fo)

Utopia-Theater im Gemeindebau

Damals, in den Siebzigerjahren, war das Stück ein grosser Renner. «Ja, genau so ist es», sagten die Leute zueinander nach der Vorstellung. «Alles wird immer wieder teurer, und ein paar eh schon Reiche haben den Profit davon». Inzwischen sind fünfzig Jahre vergangen. Der damals sehr populäre Volksschauspieler Dario Fo, Leiter des «Piccolo Teatro della città di Milano» und 1997 zum allgemeinen Erstaunen mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, ist seit acht Jahren tot und seine Sachen werden nur noch selten aufgeführt. Er selber hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Silvio Berlusconi, als ehrfürchtig vom «Kampf der Giganten» die Rede war, sagte er: «Ich würde es nüchtern ausdrücken: Wettstreit zweier Berufskomiker».

Thomas Bauer, Alice Schneider, Andreas Seidl, Stefanie Elias, Paul Wiborny

Ich war gespannt. Würde die Geschichte von den munteren italienischen Hausfrauen, die, wegen der stetigen Teuerung verärgert, einen Supermarkt ausrauben, ihre Beute in einem Beutel unter dem Regenmantel heimtragen und ihren politisch rechtschaffenen Männern erklären, sie seien eben schwanger – würde das alles heute noch funktionieren, ich meine, als Theaterstück? Die Antwort: Ja, das tut es. Zumindest in dieser Inszenierung. Erstaunlich, wie aktuell alle die Aussagen über Teuerung und ihre Profiteure auch heute noch sind. Sehr viel weiter scheint die Welt in dieser Frage nicht gekommen zu sein. Und wenn erst die Problematik ausgeweitet wird auf die gegenwärtige politische Situation… Ja, da sitzt man mittendrin auf seinem Zuschauersessel und fühlt sich hin und wieder ordentlich geschulmeistert. Aber das war schon bei Dario Fo der Fall. Der zog ja mit seinen Leuten durch die Arbeiterstädte und wollte sein Publikum durch Lachen politisch wachrütteln.

Ich sah die Premiere, spätnachmittags am Platz vor der Elisabeth-Kirche auf der oberen Wieden. Gut, da wohnt jetzt vielleicht nicht unbedingt das geeignete Publikum für solche Politisierung. Ausserdem wird gegenwärtig der Platz um- und die neue, rote Fahrradstrasse eingebaut. Zudem findet sich gleich daneben ein Kinderspielplatz. Und diese Kinder waren froh, dass die Baumaschinen ihr Lärmen früher als sonst einstellten, um Raum für zwei (zum Glück kurze) Ansprachen und anschliessend das Theaterstück zu geben. Sie wollten den Lärm lieber selber machen, was einige pädagogische Interventionen auslöste. Und schliesslich erschien noch ein gut gekleideter, offensichtlich sehr wichtig beschäftigter Herr mittleren Alters und latschte mit starrem Blick auf sein Handy geradewegs durch die Szene.

Trotz all dieser Beeinträchtigungen behauptete sich das Stück. Das kleine Ensemble (Alice Schneider, Stephanie Elias, Thomas Bauer, Paul Wiborny und Andreas P. Seidel) war mit spürbarem Engagement zugange, die spärliche Aktualisierung schlüssig, die Inszenierung des alten Kämpen Peter W. Hochegger geradlinig und mätzchenfrei – eine Freude das Ganze.

https://www.utopia-theater.at/termine/ 20. August bis 6. September 2024

Unverhofft (Johann Nestroy)

Theatersommer Parndorf (Bgld.)

Es goss wie aus Kübeln. Der malerische Kirchenplatz war eher ein Planschbecken als eine Freilichtbühne. Also fand das Kleingedruckte aus dem Programmheft Anwendung: «Bei Veranstaltungen, die im Freien stattfinden sollen, steht es dem Veranstalter frei, bei jedweden Unbilden die Vorstellung nach innen zu verlegen (z.B. bei Regen). Der Kartenbesitzerin/dem Kartenbesitzer erwachsen daraus keinerlei Rechte, die zum Rückkauf der Karten durch den Veranstalter oder auch nur zur teilweisen Rückerstattung des Kartenpreises führen.» Man spielte im Festsaal der Volksschule.

Die Geschichte vom alten Hagestolz Ledig, der dem Publikum wortreich die Vorzüge des Alleinlebens preist, sich selber vor dem Bettgehen ein Schlaflied singt, dann unverhofft auf seiner Matratze einen Säugling findet, worauf er sich auf den Weg macht, um den Vater dieses weggelegten Kindes zu finden, in allerlei Verlegenheiten gerät, schliesslich gar drauf kommt, er selber könnte der Vater sein, was sich aber ebenfalls als unrichtig herausstellt – gerade so, wie das hier gezeigt wird, hat man in den Sechziger- und Siebzigerjahren Nestroy gespielt, gradlinig die Geschichte erzählt, ohne inszenatorische Kinkerlitzchen. Das wieder einmal zu sehen, ist eine richtige Wohltat. Georg Kusztrich als Herr von Ledig: textdeutlich, sehr präsent, manchmal etwas gar eindimensional. Grossartig Gabriele Schuchter als Haushälterin Frau Schnipps.

Ein weiteres Atout dieser Produktion ist das Quodlibet. Hier wird tatsächlich das Original gesungen und gespielt. Das kriegt man kaum je irgendwo zu sehen. Zudem hat sich die Musikerin, Heidelinde Gratzl, die Mühe gemacht und ist auf die Suche nach den Originalstücken gegangen, die original zusammengeklebt und mit dem Stücktext unterlegt wurden. Vorgetragen wurde die Parodie aufs Vortrefflichste durch die Herren Georg Kusztrich, Stephan Paryla und Hermann J. Kogler. Allein schon für dieses Quodlibet hat es sich gelohnt, auf dem Weg zur Volksschule durchnässt zu werden (z.B. bei Regen) und keinen fruchtlosen Versuch zur auch nur teilweisen Rückerstattung des Kartenpreises zu unternehmen.

P.S: Leider nur vom 4. bis 28. Juli, also schon vorbei. – Noch keine Info für den Sommer 2025

Das Mädl aus der Vorstadt (Johann Nestroy)

(Schwechat)

Die Nestroy-Spiele in Schwechat sind ja immer eine Reise wert. Hier, in der Rothmühle, befindet sich das Mekka der Nestroyaner. Oder, um es zeitgeistig zu sagen: Die können Nestroy. Und das schon seit langem. Auch den Intendantenwechsel hat dieses Können schadlos überstanden. Was besonders ist daran: Die wissen einen zeitgemässen Nestroy zu spielen, ohne ihm Gewalt anzutun.

Heuer also das «Mädl aus der Vorstadt», eines der liebenswertesten Stücke des Meisters. Die stille, zurückgezogene Stickerin Thecla mit ihrem grossen Kummer, dass ihr Vater eines Diebstahls bezichtigt wird und deshalb irgendwo unerkannt leben muss, bekommt endlich die nötige Unterstützung, so dass dessen Unschuld bewiesen werden kann. Um diese Geschichte herum hat Nestroy einen ganzen Kosmos von halbirren Figuren geschaffen, den Winkeladvokaten Schnoferl, den reichen Spekulanten Kauz, die selbstbewusste Frau von Erbsenstein, den jungen Wirrkopf Gigl, der diese Frau von heiraten soll, aber sich anderweitig verliebt, die Marchand de mode Madame Storch, den Pfaidler (Hemdenmacher) Knöpfl…

Die Spielenden sind Laien, Halb- und Vollprofis. Für den Zuschauer, der die Leute nicht kennt oder gegoogelt hat, ist es unmöglich zu sagen, wer da welcher Sparte angehört. Die Professionellen spielen sich nicht in den Vordergrund und die «Nebenberuflichen» sind sehr professionell. Das ist mir noch nie so deutlich geworden wie diesmal. Jede Figur, bis zur kleinsten Nebenrolle, ist sauber und genau gearbeitet, hat ihre eigene Persönlichkeit. Besonders positiv fällt Bruno Reichert als schleimiger Herr von Kauz auf, Bella Rössler als strenge Frau von Erbsenstein, Franz Steiner als «Puffmutter» Madame Storch, Melina Rössler als stets verkannte Sabine, Masengu Kanyinda als kummervolle Tecla. Clemens Matzka als Winkelagent ist angenehm textdeutlich und spielt sehr präzis. Doch dieser Schnoferl ist von den vielen Nestroyrollen, also von jenen, die der Dichter selber gespielt hat, eine der teuflisch schweren. Einerseits wirkt er recht schulmeisterlich, aber er versteckt hinter seiner Schulmeisterei ein gutes, weiches Herz. Trotzdem macht er dem Namen «Winkeladvokat» alle Ehre. Bei alledem ist er sprachlich gehemmt, sucht selbstkritisch nach richtigen Worten und weiss zugleich seine Sprachlosigkeit unglaublich wortgewandt auszudrücken. Da bleibt der Schauspieler der Figur einiges schuldig, aber an diesem Brocken haben sich schon berühmte, sehr erfahrene Nestroydarsteller die Zähne ausgebissen.

Und noch etwas wäre anzumerken. Die Madame Storch und ihre Nätherinnen, die den zweiten und dritten Akt munter bevölkern, werden hier «aktualisiert» und zu «Outcasts der Gesellschaft», zu Menschen der LGBTQIA+ Communitiy, zu solchen, die unter Rassismus oder unter «Bodyshaming» zu leiden haben. Für all diese soll eine Lanze gebrochen werden. Aber damit, so scheint mir, wird das Fuder überladen. Nichts gegen gutgemeinte Lanzenbrüche, doch auf den Gang der Handlung haben sie hier nicht den geringsten Einfluss. Zudem werden, so wie das daherkommt, über diese Menschen bestehende Klischees eher zementiert als aufgeweicht. Aber Publikum und Kritik merkten die Absicht und waren frohgestimmt.
Frohgestimmt verlasse auch ich die Rothmühle. Das hier ist wirklich einzigartig. Die Heurigen-Atmosphäre, in der vor der Vorstellung und in der Pause die Spielerinnen und Spieler mit ihren Bekannten oder Verwandten zusammensitzen, die Qualität des hier Gebotenen – es stimmt halt schon, was der «Falter» vor Jahren schrieb: «Was Nestroy betrifft, ist Wien eine Vorstadt von Schwechat.» Inzwischen hat sich sogar die Bierreklame dieses Spruchs bemächtigt. Er ist trotzdem richtig.

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