Heft 2/2000
April
2000

Schlachtfeste

Gewalt in Film und Fernsehen

Produzieren Schwarzenegger-Filme und Reality-TV Schläger und Amokläufer?

Einer der ersten jemals gedrehten Filme zeigte einen Boxkampf, dessen Runden auf einzelnen, damals nur wenige Minuten langen Filmspulen festgehalten wurden. The Great Train Robbery (1903), einer der ersten Western, löste bereits eine Diskussion über Gewalt im Film aus. In den folgenden Jahrzehnten hat die Gewalt im Film mehrere, teilweise parallel bestehende Stadien durchlaufen: von den akrobatischen Fechteinlagen des stets siegesgewiß lächelnden Erroll Flynn bis zum Showdown um zwölf Uhr mittags, von Ringkämpfen plumper Muskelmänner in diversen Sandalenschinken bis zu Charles Bronsons fragwürdigen Selbstjustizreißern. Zu Abenteuer und Action tritt der Horror, von den stimmungsvollen, erschreckenden Bildern der frühen Vampir- und Draculafilme bis zum modernen Splatterfilm. Zum Kino kam das Fernsehen hinzu, das in Serien und eigens produzierten Filmen die Stereotypen der Gewaltdarstellung, meist leicht abgeschwächt, übernahm. Fernsehserien inspirieren Kinofilme wie The Saint, Auf der Flucht und Mission Impossible, Filme wie Robocop, Highlander oder The Big Easy bringen Fernsehserien hervor.

Zwei Elemente kennzeichnen die Entwicklung der Gewaltdarstellung der letzten zehn Jahre: Eine Perfektionierung der Gewalt, eine überzeichnete Ästhetisierung und Gigantomanie bis hin ins Abstruse geht Hand in Hand mit einer „Intimisierung“ der gezeigten Gewalt. Der unvermeidliche Kampf zwischen Helden und Schurken im Actionfilm hat eine neue Qualität bekommen. Einerseits werden die Schußwaffen im filmischen Gebrauch immer gewaltiger, anderseits ist heute der waffenlose Nahkampf der unverzichtbare Höhepunkt jedes Actionfilms.

Auch in Österreich wird dies wohl noch nicht so bald der Fall sein. Frauen besitzen seit einiger Zeit zwar die Möglichkeit, den Beruf der Soldatin zu ergreifen, zu Auslandseinsätzen im Rahmen der UN- oder OSZE werden sie meines Wissens jedoch noch nicht herangezogen.

Dies wäre nicht weiter bemerkenswert; auch im klassischen Western oder Abenteuerfilm nimmt der Kampf eine zentrale Position ein. Ist nicht der Karatekampf einfach eine aktuellere Umsetzung etwa der Fechtszenen eines Erroll Flynn oder Douglas Fairbanks? Nicht ganz; während der Kampf im Film immer wichtig war als Kulmination eines Konfliktes zwischen Gut und Böse, scheint sich jedoch im modernen Actionfilm der Fokus zu einer Darstellung der Kampfmittel zu verschieben, sei es die Waffe oder der gestählte Körper des Helden selbst.

Während James Bond noch mit der vergleichsweise mickrigen Walther PPK sein Auskommen fand und die übermächtigen Riesenwaffen seinen Gegnern überließ, griff Clint Eastwood als Dirty Harry (1971) bereits zur massiven .44er Magnum, als ästhetisierter und erotisierender Handfeuerwaffe. Der Text des Vorspanns von Dirty Harry 2: Magnum Force (1973) illustriert in unvergleichlicher Weise diesen Waffenfetischismus. Während die Kamera liebevoll am blanken Stahl der Waffe entlanggleitet, ertönen die Worte: „Die .44er Magnum. Die stärkste Handfeuerwaffe der Welt. Die bläst dir glatt den Kopf weg. Fühlst du dich wohl?“

Der unangefochtene Spitzenreiter im Gebrauch gigantischer Schußwaffen ist Arnold Schwarzenegger, dessen imposanter Körperbau wohl auch eine ebenso eindrucksvolle Bewaffnung verlangt. Seit seinem internationalen Durchbruch als Actionstar in Terminator (1984) kommt er regelmäßig wieder, mit immer schwereren Geschützen ausgerüstet. In seinem Actionvehikel Eraser (1996) ist ihm schließlich die endgültige Reduktion auf das Wesentliche gelungen: Hier dreht sich die ganze dünne Story um eine alles durchdringende, futuristische Strahlenwaffe, die Arnie in den letzten Szenen sogar in beiden Händen schwingen darf.

Vom übersteigerten Waffenfetischismus der Schwarzenegger-Filme zur Parodie ist es nicht weit. Vor allem die Filme der jungen Actionregisseure Tarantino und Rodriguez zeichnen sich durch groteske, plakativ übertriebene Gewalt aus. Da entpuppen sich etwa die Gitarrenkästen der Killer in Rodriguez’ Desperado (1995) als getarnte Maschinengewehre und Raketenwerfer, den scharenweise auftretenden Vampiren in From Dusk till Dawn (1996) wird zwecks Erfolgsmaximierung ein motorbetriebener Holzpflock der Reihe nach ins Herz gerammt. In Tarantinos Pulp Fiction (1994) greift Bruce Willis zur Freude des Publikums zunächst abwägend zum Baseballschläger und zur Kettensäge, um sich der beiden mörderischen Perversen dann doch mit dem Samuraischwert zu entledigen. Und im siebenfach oskargekrönten Thriller Fargo (1996) der Coen-Brüder finden die zahlreichen banalen und letztlich sinnlosen Gewaltakte ihren Höhepunkt in jener Szene, als der wortkarge Killer seinen gesprächigeren Kollegen in der Häckselmaschine zerkleinert.

Wo keine Waffe greifbar ist, da muß der Körper selbst zur Waffe werden. Hochtrainierte Kampfsportler wie Jean-Claude van Damme, Steven Seagal oder Dolph Lundgren sind die Helden des Subgenres der „Martial Arts Movies“, in denen meist weniger geschossen, dafür umso mehr geschlagen und getreten wird. Diese Stars sind nur die Spitze des Eisberges. Jährlich werden hunderte billiger Prügelstreifen direkt für den Videomarkt produziert. Da der Aufwand für Ausstattung oder Spezialeffekte nahezu null beträgt, rentieren sich diese Filme in jedem Fall.
Mit dem Boom der körperbetonten Actionfilme geht eine Welle von ebenfalls zweikampforientierten Fernsehserien einher, in denen oft B-Movie-Darsteller wie Chuck Norris, Michael Dudikoff oder Lorenzo Lamas ihr Auskommen finden. Walker, Texas Ranger, Renegade und Cobra sind einfallslose Polizei- bzw. Kopfgeldjägerserien, während die Fantasyserien Highlander und Herkules zumindest mit originelleren Hintergrundstories aufwarten können. Die Fantasyheldin Xena ist eine interessante Neuerscheinung im Actionuniversum: „Laut dem US-Branchenblatt Variety lockt die Kriegerprinzessin überwiegend weibliche Zuschauer an. Genauso ungewöhnlich wie die Heldin sind ihre Fans. Die Serie ist ein Kulthit bei Lesben und ein populäres Pin-Up in Frauengefängnissen.“ (Scherer, S. 23)

Doch auch an höherbudgetierten Actionfilmen geht diese Entwicklung nicht spurlos vorüber. Wo John Wayne früher seine Fäuste genügten, um Zweikämpfe zu bestreiten, muß der heutige Actionstar etwas mehr bieten. Mel Gibson (Lethal Weapon 1-4), Bruce Willis (Die Hard 1-3), Wesley Snipes (Demolition Man, Passagier 57) oder Patrick Swayze (Roadhouse) kommen um choreografierte Nahkampfeinlagen nicht herum, um den sachkundigen und reizüberfluteten jugendlichen Konsumenten noch einen Kick zu verschaffen. Der Held der meisten Actionfilme oder -serien ist ein Einzelgänger, oft ein aktiver oder ehemaliger Soldat oder Agent, wodurch sich seine Waffen- und Nahkampfkenntnisse erklären lassen. Seine Motive sind Rache und/oder Patriotismus, er ist ein Verteidiger der Gesellschaft oder der ganzen „Freien Welt“ gegen äußere Feinde, Verbrecher, Terroristen, Kommunisten oder Außerirdische. Im Mittelpunkt des Films steht nicht der Tod oder die Überwindung der Gegner, sondern der Sieg dieses unzerstörbaren Helden, der alle Feinde überwindet, zwar einige Schrammen abbekommt, aber im wesentlichen unverletzt bleibt.

Nach Ansicht der dänischen Forscherin Anne Jerslev steht das „Funktionieren“ dieses Helden im Zentrum der Aufmerksamkeit. Rund um ihn geht in einer gewaltigen Materialschlacht alles zu Bruch, dies dient jedoch nur der Betonung seiner Unantastbarkeit. Der Held ist körperlich zwischen Mensch und Maschine. Sein trainierter Körper wird eins mit seiner Waffe. Den Höhepunkt dieser Identifikation bilden die Menschmaschinen der „Robocop“- und „Terminator“-Filme, die Wegbereiter zahlreicher Nachahmer auf dem B-Movie-Sektor geworden sind.

Jerslev sieht nicht die dargestellte Gewalt, auch nicht die simple Ideologie, sondern vielmehr die Inszenierung des männlichen Körpers als vordringliche Motivation für den Konsum von Actionfilmen an. In der Welt des Actionfilms bleiben verbale Argumente wirkungslos; Konflikte sind auf das Körperliche reduziert, Gewalt der einzige Weg zu ihrer Lösung. Durch diese Simplifizierung und durch die Ausklammerung der negativen Folgen der Gewalt für den Helden (Schmerzen, Invalidität) ist leichte Konsumierbarkeit gewährleistet.

Reaktionäre Splatterfilme

Im modernen Horrorfilm, vor allem im lautmalerisch benannten Subgenre des Splatterfilms, sieht Jerslev die Vorgaben des Actionfilms ins Gegenteil verkehrt. Wenn dort der menschliche Körper im Grunde unversehrt bleibt, wird er hier verformt, zerfetzt, das Innere nach außen gekehrt. Die Mittel der Gewaltanwendung müssen diesen Anforderungen genügen können, daher die Popularität von Schrotflinte und Kettensäge im Splattergenre. Haben wir dort einen einsamen Helden, der Horden von gesichtslosen Bösewichtern niedermetzelt, sehen wir im Splatterfilm einen übermächtigen Schurken, der einer Gruppe von uninteressanten „Helden“ der Reihe nach höchst einfallsreich das Leben nimmt. Der Schurke wird am Schluß zwar besiegt, doch nur zum Schein, denn die meisten Splatterfilme weisen eine Reihe von Fortsetzungen auf.

Gerade die Reihe der Freitag, der 13.-Filme, oder auch die Nightmare on Elm Street-Serie können der Gruppe des „reaktionären Splatter“ zugeordnet werden, die die weitaus meisten Filme des Genres umfaßt. Nur vereinzelt finden sich beunruhigende, „apokalyptische Splatterfilme“ wie die Zombie-Trilogie George A. Romeros oder Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre, die die sogenannte „heile Welt“ als korruptes, zerfressenes System denunzieren, das sich schließlich selbst verschlingt.

Im reaktionären Splatterfilm wie etwa Halloween ist die Zentralfigur der Mörder, „ein unzerstörbares, allgegenwärtiges Instrument der Repression. Teenager, die sich des Nachts mit ihrem Freund ein paar vergnügte Stunden machten, starben wie die Fliegen unter seinen Messerstichen. Die unschuldige Jamie Lee Curtis (...) überlebte. Was in Halloween (1978) lediglich Resultat von John Carpenters erstaunlicher ideologischer Naivität gewesen war, entwickelte sich in Friday the 13th (1980) dann zur gültigen Aussage. Der maskierte Killer im Camp Crystal Lake brachte Studenten deshalb um, weil sie gerne nackt badeten, weil sie gerne Strip-Monopoly spielten. Fortan massakrierte der ’Slasher’ Teenager, die auf der Toilette in vollen Zügen ihren Joint genossen; Frauen, die sich zu sehr emanzipiert hatten. (...) Wo auch immer puritanische Regisseure den Grund für die Auflösung der Gesellschaft vermuteten, schlug der verrückte Killer zu.“ (Stresau, S. 176-178)

Der Tod ist die Strafe für gesellschaftliche Abweichung, vor allem für sexuelle Freizügigkeit. Simplifizierende Anklänge an Freud sind vor allem in der Gestalt des im Traum mordenden Freddie Kruger nicht zu übersehen. Die Slasherfilme erlebten zwar ihre Hochblüte in den achtziger Jahren, doch es werden weiterhin zahlreiche Billigfilme für den Videomarkt nach demselben Muster produziert.

Actionheld und Horror-Bösewicht sind also letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Wenn der Held des Actionfilms die Gesellschaft gegen äußere Feinde verteidigt, so kämpft der „Slasher“, der Antiheld, gegen die moralische Zersetzung von innen. Beide sind zutiefst reaktionär und verkörpern im wesentlichen die gesellschaftlichen Werte der puritanischen USA.

Realität und Fiktion

In der medialen Entwicklung wird immer mehr auf die Zugkraft der realen Gewalt gesetzt. Seit 1992 zeigt die Show Eyewitness Video des US-Senders NBC eine Zusammenstellung von Morden, Unfällen und Katastrophen, und das nicht in den Nachrichten, sondern im Unterhaltungsprogramm. Deutsche Fernsehstationen zogen bald nach, mit Sendungen wie Retter (Sat1) oder Augenzeugen-Video (RTL).

Gewalttaten und Menschenschicksale werden dabei den Konventionen der medialen Darstellung angepaßt. Die reale Gewalt muß sich der medialen annähern. „So wie die nackte Realität, wird auch die nackte Gewalt als unerträglich empfunden, weil immer mehr Menschen sich an die Unterhaltungsausgabe von Gewalt und Tod gewöhnt haben. (....) Der anhaltenden Tendenz, immer mehr ’Reality’ ins Medium zu bringen, arbeitet offenbar eine ihr nur scheinbar widersprechende andere Tendenz zu: Die Empfindungen der Zuseher über akzeptable Realitäten orientieren sich immer stärker daran, wie das Medium Realität darstellt“ (Rathmayr, S. 99).

Dieser Prozeß bringt es mit sich, daß nur Ereignisse, die über das Fernsehen vermittelt werden, als wirklich empfunden werden. Es wird dabei wohlwollend zur Kenntnis genommen, wenn ein reales Ereignis dem fiktionalen Standard genügen kann.

Einfluß medialer Gewaltdarstellung

Die Medienwirkungsforschung befaßt sich vor allem mit der Untersuchung, ob gewalttätiges Verhalten durch mediale Gewaltdarstellung verstärkt oder ausgelöst wird. In Österreich ist diese Diskussion 1997 nach dem „Amoklauf“ eines Schülers in Niederösterreich, der eine Lehrerin tötete und eine weitere schwer verletzte, wieder aufgeflammt.

Auf mehreren Inhaltsebenen ist ein Einfluß der gezeigten Gewalt auf den Zuschauer denkbar. Da wäre einmal die Ebene der Bilder, der reinen Darstellung des Gewaltaktes in seinen vielfältigen Formen. Von seltenen Ausnahmen einmal abgesehen, wird der häufige Anblick von Gewaltszenen in den Medien von seriösen Wissenschaftlern als Auslöser für Gewalttaten generell abgelehnt. Interessanterweise ist dies aber die Ebene, auf der sich die Diskussion in den Medien bewegt, wenn sie ihre eigene Gewalttätigkeit anprangern oder sich selbst zu beschränken suchen. So titelte etwa TV Media am 22. Mai 1997 griffig: „Gewalt im TV. 4000 Morde im Jahr. Macht Fernsehen unsere Kinder kaputt?“ Da werden Gewalttaten Jugendlicher in höchst unseriöser Weise direkt mit ihrem Fernsehkonsum in Verbindung gebracht. Da werden penibel Leichen gezählt: am 13. 5. 1997 etwa kam ORF 1 auf 21 Leichen in 8 1/2 Stunden — ein wenig aussagekräftiger Wert, den Shakespeare oder Euripides locker in weniger Zeit schaffen. Zugleich listet TV Media die gewalttätigsten Filme der laufenden Programmwoche auf — Abschreckung oder, undenkbar, doch Quotenhascherei?

Aber der Artikel entlarvt sich selbst: „Wenn das familiäre Umfeld intakt ist und die Eltern sich mit dem TV-Konsum der Kinder auseinandersetzen, besteht wenig Gefahr. (...) Anders, wenn der Fernseher den Babysitter ersetzt. Dann ’lernen’ die Kinder in schlechten Filmen, Gewalt als Lösung für Probleme einzusetzen.“ In der Auseinandersetzung geht es zudem nur um Action- und Horrorfilme, die sich Kinder ohnehin nicht ansehen sollten. Das hohe Level an Gewalttätigkeit in Filmen wie Kevin - Allein zu Haus wird, weil „lustig“, nie angesprochen, obwohl sich klein Kevin wie die Kindergartenvariante von Charles Bronson verhält.

Es ist aus dieser Sicht klar, daß das Mittel der Zensur besonders bluttriefender Szenen etwa durch die deutsche FSK (Freiwillige Selbstkontrolle) oder die Sender selbst bestenfalls als Augenauswischerei bezeichnet werden kann. Es handelt sich um eine Alibihandlung von Medien, die Gewalt zeigen wollen, aber unter Hinweis auf die Zensur deren Wirkung auf die Zuseher zugleich abstreiten.

Eine weitere Wirkungsebene könnte die der Rollenbilder, Verhaltensmuster und Erfolgsstrategien darstellen. Hier konnte bisher trotz tausender einschlägiger Studien ein Einfluß auf alle Fernsehkonsumenten nicht eindeutig nachgewiesen werden. Bestimmte Risikogruppen dürften sich jedoch durchaus am Vorbild der medialen Gewalttäter orientieren. Es „erscheint der Verdacht begründet, daß gerade für die sozialen Gruppen in den USA, für die das auf dem Fernsehschirm vermittelte Geschehen unmittelbaren Wirklichkeitsbezug hat, violente Medieninhalte als reale Orientierungsmuster gelten können. Die Medien stoßen hier in soziale Kontexte hinein, in denen traditionelle Faktoren sozialer Kontrolle nur noch eine geringe Bedeutung haben und somit andere Sozialisationsagenten wie etwa das Fernsehen eine besonders starke Wirkung entfalten können“ (Zinnow, S. 237).

Der Theorie vom Erlernen gewalttätiger Verhaltensmuster durch die Medien widerspricht auch die Tatsache, daß die weitaus häufigste reale Gewaltsituation, nämlich männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder innerhalb der eigenen Familie, medial nur selten, und dann negativ verarbeitet wird. Deren Ursache muß also woanders zu suchen sein. Inwieweit die Vorliebe für Selbstjustiz im amerikanischen Film das Verhalten der Bevölkerung mitbeeinflußt, wäre ebenfalls noch zu untersuchen.

Schließlich finden wir uns auf der Ebene der Lebenseinstellungen, der persönlichen Grundhaltungen und Ideologien. Hier läßt sich schon ein enger Zusammenhang vor allem zum Fernsehkonsum feststellen. Nach einem psychologischen Modell sind es vor allem ängstliche Menschen mit niedriger Toleranz für komplexe reale Vorgänge, die als „Represser“ entweder simple, gewaltfreie Programme wie Seifenopern oder aber, als „Sensibilisierer“, genauso simple, aber besonders brutale Filme oder Reality-TV-Shows konsumieren. Die persönliche Grundeinstellung dieser Menschen wird zwar durch Medien nicht hervorgerufen, aber sehr wohl bestärkt, und durch die wachsende Zahl dieser Konsumenten steigt auch das Angebot an stereotypen Trivialsendungen aller Art (vgl. Vitouch, S. 180f.). Da die ängstlichen „Sensibilisierer“, aber auch die „Represser“ sich durch komplexe Alltagssituationen oft überfordert fühlen, sind sie prädestinierte Opfer der vielzitierten „Kurzschlußhandlung“. So kann also ein Zusammenhang, wenn auch kein kausaler, zwischen Medienkonsum und Gewalthandlung festgestellt werden. Auch Rathmayr sieht die Medien nicht als verantwortlich für konkrete Gewalttaten an, wohl aber für die Aufrechterhaltung und die Aufschaukelung der gesellschaftlichen Gewalttoleranz.

Als Gegengewicht muß allerdings auch im Auge behalten werden, daß von offensichtlicher Gewalt freie Medien nicht unbedingt Zeichen einer gewaltfreien Gesellschaft sind. Die strukturelle Gewalt der Meinungen, Verordnungen und Regulationen stellt eine zwar verborgene, aber nicht minder große Macht dar. Es gab schließlich bereits zwei nationale Filmindustrien, deren bewußt „saubere“ Produkte — bei allen nicht zu vernachlässigenden Unterschieden — den Ansprüchen vieler heutiger Gewalt- und Sexkritiker genügt hätten. Es waren die Filme des nationalsozialistischen Deutschland und der stalinistischen UdSSR.

Literatur:

  • Jerslev, Anne: Violence and the body in contemporary action and horror films. In: Young, Nov. 96, S. 39-53 Jung, Artur: Action Fighters. Hamburg 1991
  • Keough, Peter (Hg.): Flesh and Blood. The National Society of Film Critics on Sex, Violence, and Censorship. San Francisco 1995
  • Rathmayr, Bernhard: Die Rückkehr der Gewalt. Faszination und Wirkung medialer Gewaltdarstellung. Wiesbaden 1996
  • Schatz, Stefan: Gewalt im TV. In: TV Media, Nr. 22, 1997, S. 10-14
  • Scherer, Brigitte: Xena. Die schlagkräftige Fantasy-Heldin. In: Space View, 1/97, S. 20-23
  • Stresau, Norbert: Der Horror-Film. München 1987
  • Vitouch, Peter: Fernsehen und Angstbewältigung. Opladen 1993
  • Zinnow, Pirko Kristin: Zum Frühstück ein Zombie am Glockenseil. Gewalt in den amerikanischen Medien. In: Joas, Hans; Knöbl, Wolfgang (Hg.): Gewalt in den USA. Frankfurt 1994, S. 222-242
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