FORVM, No. 487-492
Dezember
1994

Porca puttana!

Berlusconis Niedergang begann am Fußballplatz und auf den Wassern.

Machen wir ein wenig Geschichtsunterricht: 1922 wollte Mussolini keine totalitäre Macht installieren. (...) ›Ein Italien, in dem nur eine Meinung dominiert, ist kein Italien mehr, in dem man leben kann‹, sagte er noch ’24. Gewiß, 1925 wird er das genaue Gegenteil tun, aber unter dem extremen Druck seiner Gegner.

Ernst Nolte*

Jetzt läuft uns das Faß aber bald über! So hat sich natürlich niemand im Volk das »neue italienische Wunder« vorgestellt, das es gewählt hat! »Porca puttana! da hat Brasilien, das unterentwickelte Land, ihn uns allen in den Arsch gesteckt, kannst’ mal sehen!« — so eine treffende Metapher eines italienischen Punks, die wir am Tag nach der Niederlage Italiens im Fußball-WM-Endspiel im Bus, selbst noch ziemlich angeschlagen und ehrlich trauernd, mithören mußten —, dann soll wegen ein paar krüppeligen alten Bäumen, hinter denen sich eine Handvoll als Umweltschützer getarnte Fortschrittsbremser verbargen, in Monza beinahe kein Rennen mehr gefahren werden, wo Ferrari dort doch siegen könnte, dann wagen es die Deutschen (CDU) auch noch, den demütigenden Vorschlag zu machen, nach der völlig unverdienten Abwertung der Lira uns in Europa in die zweite Liga abzuschieben, so daß es gerade noch fehlte, daß den Serben zu»liebe« der Papst auch noch auf seine von uns allen herbeigesehnte Abenteuerreise nach Sarajewo verzichten muß! Und das ist noch nicht mal alles, was wir Italiener über uns ergehen lassen mußten in diesem teuflisch drückend heißen Sommer, in dem uns auch noch die halbe Halbinsel durch Brandstifter abgefackelt worden ist.

Soll das nun etwa durch die Bank auch noch alles unsere eigene Schuld sein!?

Guten Tag!

Sie kennen mich wahrscheinlich bereits, mein Name ist Cattani, ich arbeite als Informationskritiker und Auslandskonsensorganisator in Norditalien.

Da ich von seiten des FORVM (Internationale Zeitschrift für kulturelle Freiheit, politische Gleichheit und solidarische Arbeit — dort wenigstens scheint man uns Italiener wenigstens noch zu schätzen und ist gewillt, mit uns zu kollaborieren) eindringlich darum gebeten worden bin, auch für die vorliegende Ausgabe einen Bericht zur Lage in Italien zum Ende der wohlverdienten Ferienzeit abzugeben, damit die bisher geknüpften Kontakte nicht wieder abreißen, und ich es selbstverständlich als meine vaterländische Pflicht ansehe, den antinationalen Hetzkampagnen der Auslandspresse weiterhin den italo-europäistischen Standpunkt unserer nunmehr schon nicht mehr ganz in den Kinderschuhen steckenden Zeitschrift und — so wage ich zu meinen — denjenigen der Führungsetage der gesamten Firma Italien entgegenzuhalten, will ich dieser Aufgabe selbstverständlich keineswegs feige ausweichen.

Allerdings muß es diesmal in etwas kürzerer Form als gewohnt erfolgen. Sie, liebe Europäisten, werden verstehen, daß wir hier jetzt zunächst einmal an die Verteidigung unseres eigenen nationalen Interesses zu denken, d.h. in Italien selbst für Sicherheit und Ordnung zu sorgen und daher Europa, um eine Metapher des bekannten Lega-Leaders Umberto Bossi zu benützen, ein wenig »in Klammern zu setzen« gezwungen sind. Zudem muß ich dem Capo unserer Zeitschrift inzwischen, was wegen der notwendigen Einschaltung eines von mir persönlich bezahlten beeidigten Übersetzers ungeheuer zeit- und geldraubend ist, jeden einzelnen ins Ausland zu versendenden Text zur Freigabe vorlegen — verständlich: dem italienischen Journalismus ist jedenfalls solange nicht ohne weiteres mehr über den Weg zu trauen, wie sogar im staatlichen Fernsehen noch gefährliche »Umstürzler« sitzen, wie gar der ehemalige Leader der Drogen-Liberalisierungspartei Partito radicale Marco Pannella, heute Leader der Lista Pannella-Riformatori und in den regierenden Pool der Freiheiten integriert, ohne Namen nennen zu wollen, empört im Fininvest-Privatfernsehen festzustellen endlich den Mut gehabt hat, und solange zuviele Dinge noch nach außen durchsickern, die eigentlich auch schon im Innern in den Bereich der »journalistischen Schweigepflicht« fallen, wie der Capo unseres Blatts es ausdrückt. Überlassen wir die Schmutzkampagnen also anderen, wie denen, die das Gesetzesdekret zur Entlastung des Strafvollzugs und seiner Anpassung an den liberalistischen europäischen Standard tendenziös ausgelegt und kurzerhand ein »Korruptenrettungsdekret« getauft haben und das ganze gleich in bare »Supermark« oder Dollars haben umsetzen können. Wir werden an dieser Stelle jedenfalls kein unnützes Wort darüber mehr verlieren. Das überlassen wir lieber anderen. Die »anderen«, das ist z.B. die bolschewistische Presse des alten Korruptenregimes, solange es die noch gibt; oder die Engländer von der ›Financial Times‹ — oder/und die »jüdische Finanzlobby« — einen in jene Richtung weisenden innovativen Titel habe ich im August irgendwo im Vorbeigehen bereits aufflackern sehen, nur habe ich heute weniger denn je Zeit für Quellenprüfung und kann nur aus historischem Gedächtnis sagen, daß die These zumindest aus Regierungsnähe stammt — es ist ja auch nicht so wichtig, wer es gesagt hat, Hauptsache, es wurde schon einmal gesagt und kaum einer hat sich groß aufgeregt.

Unter die Kategorie der »anderen« fällt auch ein gewisser Herr Mascia aus Ravenna. Der ist z.B. von mehreren Männern »sodomisiert« worden, wie wir Italiener das in Ermangelung eines anderen Begriffs umschreiben würden. Im Klartext: Ihm haben keine Brasilianer, sondern mehrere echte italienische Patrioten gemeinschaftlich (zwei haben ihn wohl festgehalten und der dritte hat es gemacht, wenn ich mich recht entsinne) auch mal etwas in sein Hinterchen gesteckt, keine Metapher allerdings, sondern einen festen länglichen Holz-, Hartgummi oder Metallkörper, man kann auch sagen einen Knüppel, ja sowas kommt vor, sogar im Prä-Postfaschismus konnte das schon vorkommen, auch bei einem zuhause, wenn man allein war und sich nichtsahnend vielleicht gerade vor den Fernseher gesetzt hatte oder seine Propagandapamphlete noch mal kurz am Schreibtisch überarbeiten wollte, um sie dann am nächsten Morgen auf der Straße unter nichtsahnende loyale Bürger zu verteilen, die mutige Forza Italia oder die Nationale Allianz wählen wollten und durch solche Pamphlete nur wieder hätten verwirrt werden können, womit doch nun gerade erst endlich einmal Schluß sein sollte. Daher haben sie ihn eben mal fühlen lassen, wie schmerzhaft es sein kann, wenn man das freie Spiel der Kräfte des Marktes zu behindern versucht, das doch als ein Grundrecht in einer modernen Demokratie verstanden werden muß — zunächst nur einmal zur Warnung. Mascia hat nämlich die Menschenrechtsverletzung begangen, in Verkennung der Gesetze des freien Marktes und des Liberalismus, eine Boykott-Kampagne gegen unseren heutigen Staatspräsidenten und sein großes Privatunternehmen zu organisieren zu versuchen. Privateigentum (auch an Medien) und seine freie Nutzung zur Mehrung von Wohlstand, Ansehen und Unterhaltung

Italiens ist ja ein Grundrecht in jeder modernen postkommunistischen westlichen Demokratie, gottseidank und im Gegensatz zum »Rumänien Ceausescus«, wo wir uns zum Glück nicht befinden, wie Berlusconi selbst jüngst in einer vom Fernsehen zur Essenszeit live übertragenen Aussprache im Parlament unter tosendem Applaus auch der Zuschauer daheim an den Fernsehgeräten festgestellt hat. Man trachtet danach, ihm sein Menschenrecht einfach außer Kraft zu setzen. Ja, Sie haben richtig gelesen, es gibt hier Leute, die ihm, als wären wir im Rumänien von Ciao-SS-Q, all das nehmen wollen, was er sich unter großen persönlichen Opfern noch unter dem Joch des korrupten Katho-Sozialismus mit Hilfe Tausender von loyalen Mitarbeitern, »Yuppies« und Investitionen wie Bettino Craxi aufgebaut hat.

Amnesty International schweigt zu dieser himmelschreienden Menschenrechtsverletzung bis auf den heutigen Tag!

Warum?

Stattdessen wird den Freunden der Fininvest und von Forza Italia nun der Prozeß gemacht!

Verkehrte Welt!

Wieviele Wahlstimmen und Zuschauer mag das Wirken dieses Herrn Mascia die Fininvest und die heutige Regierung wohl damals, vor der Wahl, schon gekostet haben! Müßte Berlusconi nicht eigentlich für die nächsten Wahlen aufgrund dieser Wettbewerbsverzerrung als deren Opfer im voraus schon einen Stimmenbonus von, sagen wir mal: 30% erhalten?

Damit aber nicht genug, nein! Überhaupt ist es ja so, daß ihm von allen Seiten unverdienterweise Knüppel zwischen die Räder gesteckt werden. Das geht soweit, daß darüber, so traurig das ist, schon allerorten Witze erzählt werden!

Einen davon hat der Capo Berlusconi selbst im Fernsehen endlich einmal Gelegenheit gehabt zu erzählen, endlich einmal haben alle sechs privaten und öffentlichen Kanäle ihm wenigstens da einmal ein wenig Raum geschaffen, so daß es diesmal zur Abendessenszeit, wenn gewöhnlich in allen, auch in den kommunistischen Familien die Fernseher laufen, unumgänglich war, selbst für die Störrischsten, ihm einmal zuzuhören — denn es nützte ja kaum etwas, auf einen anderen Kanal umzuschalten, da hatte man den Berlusconi mit hoher Wahrscheinlichkeit ja schon wieder vor sich. Es sei denn, man hätte, völlig unitalienisch, den Apparat einfach abgeschaltet.

Die kleine Geschichte ist dermaßen zum Schmunzeln, daß wir sie auch unseren europäischen und anderweitigen Lesern keinesfalls vorenthalten sollten:

Der Ministerpräsident geht zusammen mit dem Papst auf einer Mole entlang, der Papst stolpert und verliert das Gebetbuch, das ins Wasser fällt. Hurtig geht der Ministerratspräsident auf dem Wasser entlang, nimmt das Gebetbuch, kommt, wieder auf dem Wasser gehend, zurück und überreicht es dem Papst. Titel der ›Repubblica‹, der ›Stampa‹, des ›Corriere della Sera‹ und der ›Unità‹, [1] die einander normalerweise anrufen, um sich über die Titel zu einigen: ›Der Ministerpräsident kann noch nicht mal schwimmen‹. [2]

Wir in der Redaktion zumindest haben lange Tränen darüber gelacht. Unser Capo fand den Witz sogar so genial, daß er ihn uns an den darauffolgenden Tagen immer wieder vermittels des Videogeräts, das wir inzwischen dank des Aufschwungs hatten anschaffen können, vorgespielt hat (wir haben nämlich seit kurzem eine regelrechte Anzeigenschwemme; vorerst handelt es sich zwar noch vornehmlich um Telefonsex-Anzeigen, nicht zuletzt dank derer der Absatz seinerseits aber seit kurzem stark im Anschwellen ist, was wiederum auf das Anzeigen-Aufkommen zurückschlägt).

Nun hat Berlusconi natürlich vollkommen recht, wenn er im Zusammenhang mit den ernstlicheren Dingen sagt, »daß es sehr wenige Personen gibt, die wirkliche Kritik üben können. In allem, was ich dieser Tage lese und höre, gibt es keinen, der auch nur eine einzige unerläßliche oder wichtige Maßnahme angedeutet hätte, die die Regierung nicht ergriffen hätte. Sie kritisieren, sie reden, aber innen drin, da ist nichts.« [3]

Dem können wir nur zustimmen. Wir stimmen auch seiner Aussage zu, daß fortlaufend »schlechte Exegese« mit seinen Sprüchen betrieben wird. Und wir wollen das mit der Exegese hier nun endlich besser zu machen versuchen.

Was der Capo will

Der Capo möchte also (weil die Oppositionspresse seines Vertrauens unwürdig ist, denn sie ist noch nicht gewillt, wie alle anderen gleichgeschalteten Medien, Wundernachrichten, also in überholtem politchinesischem Jargon »Unwahrheiten«, dessen das Volk zu Recht müde ist, zu verbreiten wie die, daß der Ministerratspräsident auf dem Wasser spazierengegangen ist, um uns in unserem katholischen Glauben zu bestärken, wenn nicht einmal der Papst das mehr zustande bringt) gerne normalerweise selbst die paar übriggebliebenen »kritischen« Zeitungen (die kritisieren, reden, aber innen drin nichts haben, nicht einmal einen Glauben, das hören wir — gerade weil wir dank des neuen Videorecorders das Gleichnis viele Male gehört haben — deutlich aus seinem Lapsus »die einander normalerweise anrufen« heraus) anrufen, um ihnen die gleichgeschalteten Titel zu diktieren, die sie dann veröffentlichen sollen:

Berlusconi schreitet über das Wasser! Zuviel für den Papst, der plötzlich schielt und sich in Nevenheilanstalt einliefern läßt — Diagnose: unheilbar schizophren!

Und, so vermuten wir, natürlich auch die entsprechenden Nachrichten:

ROM. Eigener Bericht. Einige ausländische Kardinäle kritisieren immer noch scharf, aber ohne Grundlage, den letzten offiziellen Akt des Ex-Leaders des Vatikans: die Schenkung desselben an die Fininvest-Gruppe. Und schmollen: Gebt ihm wenigstens einen Posten als Regierungssprecher! Absurd: ein Verrückter als Regierungssprecher! Berlusconi aber geht bereits in seiner ersten Stellungnahme nach dem Coup des Jahrtausends in die Offensive:

›Der Ex-Papst ist unheilbar schizophren und hat seine Schuldigkeit getan, aber ich gelobe, der Ministerpräsident wird sich als sein würdiger Nachfolger erweisen. Binnen Jahresfrist wird der Ministerratspräsident und Neo-Messias nämlich selbst nach Sarajewo gehen, und zwar zu Fuß über die Adria‹.

Die ehemalige »Opposition« ist ob des Wunders völlig verstummt. Auf jener Seite sieht man statt der ewigen Kritik jetzt endlich auch einmal Taten: Deren umstürzlerische Organisationen haben nach langem Lamentieren über die angebliche faschistische Gefahr prompt selbst ihre Auflösung beschlossen, und zu Hunderttausenden stehen sie nun, seit die sensationellen Aufnahmen vom Wunder gestern abend in Euro-ja Mondovisione ausgestrahlt wurden, bei den Forza-Italia-Clubs aller italienischen Städte und Dörfer Schlange, deren Mitgliedsausweise auf dem Schwarzmarkt inzwischen für bis zu drei Million Lire gehandelt werden. Supermark, Dollar und Yen befinden sich auf historischen Tiefständen. In Österreich, Polen, Rumänien, Liechtenstein, Albanien, Somalia und Äthiopien laufen die Aktivitäten zur Vorbereitung des Anschlusses auf Hochtouren. »Panzer« Kohl, in Panik, verspricht »unseren lieben italienischen Mitbürgern, soweit sie reguläre Forza-Italia bzw. Allianza-National bzw. Lega-Nord-Mitglieder sind«, Arierausweise und Gorillas zum Schutz gegen neonazistische Angriffe, diese lehnen jedoch nach Rücksprache mit Papst Silvius empört ab und fordern stattdessen, solidarisch mit dem Regierungschef, zunächst die bedingungslose Übergabe des katholischen Kroatiens und des Rheinlands an den rechtmäßigen Eigner Großitalien und behalten sich weitere Forderungen vor.

Republikspräsident Scalfaro beglückwünschte Silvius I. noch in der vergangenen Nacht persönlich, küßte ihm ergeben die Lackschuhe und versprach ihm seine volle Solidarität, wenn nur weiterhin »über allem Italien« stehen bleibe und er statt der Madonna nun Berlusconis Mutter anbeten dürfe, deren Heiligsprechung er vorschlug. Papst Silvius gab prompt sein O.K. Die Dinge stehen also nicht schlecht. Weitere Berichte auf den Seiten 2-25 sowie den ganzen heutigen Tag über auf allen Radio- und Fernsehkanälen im Rahmen der ganztägigen Silvius-Christ-Super-Show mit vielen Überraschungen, Pikanterien, hübschen Mädchen, Striptease, Kochrezepten, Quiz, Standa- und Euromercato-Einkaufstips, bisher unveröffentlichtem Filmmaterial über die Gaskammern der italienischen Partisanen im zweiten Weltkrieg (kommentiert von den angesehenen deutschen Historikern Prof. Ernst Nolte und Dr. Dr. h.c. A. Eichmann) und Anti-Schmerz-Reportagen über das etwas beruhigende Ansteigen von Angriffen auf das Ansehen Italiens in Form von Brandanschlägen auf Außergemeinschaftliche, Juden, Schwule und Kommunisten, deren alleinige Schuld es ist, daß unsere Renten fürs nächste Jahr wahrscheinlich zunächst nicht mehr gesichert sind.

Wenn wir uns Kritik erlauben dürfen, das klänge doch irreal wie die Nachrichten über die Tausenden von biblischen Toten, die vor kurzem irgendwo in Afrika auf einem See geschwommen sein sollen.

Bei aller Hochachtung, vielleicht hat mein capo redattore recht, wenn er mit sorgenvoller Miene seinem Zweifel Ausdruck gibt, ob Berlusconi, so traurig das sein mag, seinen Krausewitz nicht aufmerksam genug studiert hat. Die Machtverhältnisse sind nun mal noch nicht ganz so, wie wir es gerne hätte. Der mit offener Gewalt verschärfte Klassenkampf von oben muß doch erst einmal noch richtig angeleiert werden. Man sollte doch erstmal abwarten, wieviele ehemalige Partisanen nach den drastischen Kürzungen der Renten z.T. unter das Existenzminimum bei steigenden Mieten ziemlich verärgert auf die Straße gehen werden und ob das Potential an Gewalt — die der Prä-Postfaschistenführer Fini dagegen aufzubieten hat und mit dem er schon gedroht hat, sollte es im Herbst aufgrund des Gegenruderns einiger weniger Umstürzler zu »Unruhen« kommen — ausreicht, um die RentnerInnen von der Straße wegzuprügeln, die sich mit Telefonsexreklame partout nicht zufrieden geben wollen und statt dessen oder darüber hinaus unliberalistischerweise auch noch essen wollen und ein Dach über dem Kopf.

Wenn das rosarote Wunder nämlich jetzt erstmal nicht kommt, sondern stattdessen ein blaues, und die Gewerkschaften wieder anfangen, gegenzurudern (und Bossi, der Schlingel!, nach reiflichem Hin und Her doch wieder lieber in Supermark machen will und auch noch mit dem Pds kokettiert, schließlich hat die Lega Nord, wie er sagt, die »meisten Parlamente im Parlament« und damit einiges in die Waagschale zu werfen), so daß das Boot zu schaukeln anfangen, Silvius I. ins Wasser fallen und es sich zeigen könnte, daß er doch nicht schwimmen kann — ja, dann müßte eigentlich der Fini vom »faschistischen Schweinestall« (Bossi) ran an den Braten, der wartet, mit Krausewitz im Hinterkopf, schon weise darauf, daß die Zeit reif wird, Ordnung zu schaffen, vielleicht mit länglichen Metallgegenständen oder auch mit kleinen runden Kugeln. Es gibt ja schon mindestens einen Faschisten (in Sardinien), der wenigstens für Wald-Brandstifter schon mal die Todesstrafe gefordert hat. Dann würde es wohl ziemlich unruhig werden trotz Telefonsex und allem, was wir an Fortschritt hier in Italien auch endlich mal in vollen Zügen schon genießen dürfen; mein Sohn Piero z.B. für seinen Teil hat sich auch ziemlich gewundert, daß der Mister Muscolo (Sie erinnern sich an die letzte Folge, der aus dem Euromercato-Prospekt), den er jetzt endlich als verspätete Weihnachtsgabe (im August — »fast wie in Südafrika«, hat meine Mutter kommentiert) bekommen hat, zwar tatsächlich auf zwei Meter verlängerbar ist, aber dabei leider auch ganz spindeldürr wird, so daß er lange geheult hat.

»Wenn das nur mal kein schlechtes Omen ist!«, hat meine Mutter dazu gesagt, die allerdings abergläubisch ist; sie hat gedroht, wieder Rifondazione comunista (völlig gefährlicher Blödsinn! ) zu wählen — ein Glück, daß es zur Zeit keine wichtigen Wahlen gibt! Sie sagt sogar, jetzt wo ihr die Rente von ca. 1.000.000 auf 750.000 Lire (umgerechnet ca. 735 Supermark, Wechselkurs Anfang September 1994) gekürzt werden soll, wie sie errechnet hat, und die Miete für »unsere« 2-Zimmer-Wohnung bald nach einem vor Gericht ausgehandelten Kompromiß von 250.000 auf 950.000 Lire steigen wird (dafür darf sie dann drinbleiben), solle ich entweder — mit oder ohne den Kleinen, das sei ihr egal! Unmenschlich! — ausziehen oder mir »eine anständige Arbeit suchen, mit der du möglichst auch mehr als die läppischen 150.000 im Monat ohne Rentenanspruch verdienst, auch damit du was zur Miete beisteuern kannst! Für die Obsternte in Anzola suchen sie noch Leute, Onkel Carlo könnte dir da einen Job beschaffen«.

Jetzt habe ich es fast geschafft, mir einen Namen zu machen, und nun soll ich mit meinen 40 Jahren wieder den Außergemeinschaftlichen machen, porca miseria — jetzt weiß ich endlich, was das deutsche Wort »Rabenmutter« bedeutet! Meinen Sohn Piero vernachlässigt sie auch zunehmend.

Nun ruft sie mich, ich solle dem Kleinen auch mal den Hintern putzen und ihm endlich auch mal was zu essen machen, er habe »vor Hunger schon Magenkrämpfe«. — Ich muß schließen, weil ich ihm ein Spiegelei oder sowas kochen muß, meine Mutter scheint es ernst zu meinen.

Eins ist jedenfalls sicher: das ist hier (bei uns zuhause) beinahe schon wie im Rumänien Ciao-SS-Qu’s, und man wird sich, wenn es so weiter geht, auf einiges gefaßt machen müssen.

*) In ›L’Espresso‹, 29.4.1994

[1Alles postkommunistische bis »moderate«, d.h. solche Oppositions- und damit Hetzblätter, die nicht dem italienischen Ministerratspräsidenten gehören, sondern z.B. Fiat-Agnelli oder dem etwas kleineren Medienriesen Rizzoli oder den Postkommunisten, die sich, feige, nicht zwischen Rechts und Links, Freund und Feind, entscheiden mögen und stattdessen unermüdlich »gegen« die demokratisch gewählte Regierung »rudern« (Berlusconi).

[2U.a. RAD, 12.8.94

[3ebenda

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