FORVM, No. 176-177
August
1968

Keine Antwort

Interview im Fernsehen am 29. Juni
Kreuzer: Herr Dr. Kreisky, Dr. Nenning schreibt in seinem umstrittenen Artikel: „Ein Nenning fragt mehr, als zehn Kreisky beantworten können.“ Würden Sie es vielleicht trotzdem versuchen, wenn ich eine einzige Frage hervorhebe, nämlich die Frage: Werden Sie Schluß machen, wie Nenning sagt, „mit dem administrativen Terror von Funktionären, die weder Fähigkeit noch Lust haben, mit dieser Jugend zu diskutieren“?

Kreisky: Ehe ich auf diese Frage antworte, möchte ich sagen, daß ich beim besten Willen nicht in der Lage bin, den hastigen politischen Wendungen des Dr. Nenning zu folgen. Vor zwei Jahren war ihm die Sozialistische Partei nicht antikommunistisch [1] genug, und in diesen zwei Jahren hat sich viel verändert: In der Herausgeberschaft des FORVM wurlt es nur so von Kommunisten. [2] Er hat also den Trennungsstrich, den er damals urgiert hat, jetzt ausgelöscht, und ich habe keine Lust, seinen ständigen politischen Wendungen zu folgen.

Kreuzer: Er selbst sagt, daß es sich um einen Dialog auf geistiger Ebene handelt, während es sich damals um eine administrative Verfilzung gehandelt habe. Sehen Sie hier einen Unterschied?

Kreisky: Das alles ist ja unrichtig und eine Spiegelfechterei. Es hat keinen Sinn, sich auf das einzulassen.

Kreuzer: Nun zu Nennings Frage zurück. Sehen Sie einen administrativen Terror gegen die Jugend, gegen diese Bewegung der Neuen Linken in der Sozialistischen Partei?

Kreisky: Seitdem ich Parteivorsitzender geworden bin, das ist seit anderthalb Jahren, hat es in diesem Raum und in vielen anderen Räumen stundenlange Diskussionen mit den jungen Leuten in der Partei gegeben und auch mit den Studenten. Schon viel früher, ehe diese sogenannte Neue Linke so lebhaft und manifest wurde, habe ich mit den Studenten diskutiert, und ich habe auch heute ein gutes Verhältnis zu ihnen. Wenn Herr Nenning urgiert, wann wir diesen sogenannten SÖS, der da dieses Happening an der Universität gemacht hat, wann ich den zurücknehmen will: dem war es so zwider vor sich selbst, daß er sich selbst aufgelöst hat. Was will denn eigentlich der Dr. Nenning?

Kreuzer: Nun, was den Anlaßfall anlangt: Können Sie sich vorstellen, daß etwa die Szene vor dem Wiener Rathaus damals am 1. Mai sich hätte anders abspielen können? Daß etwa der Wiener Bürgermeister die Studenten, die jungen Menschen, die damals gekommen sind, zu einer Diskussion in den Großen Saal des Rathauses gebeten hätte, während draußen die Musik gespielt hat?

Kreisky: Aber in Wirklichkeit ist es denen doch gar nicht auf die Diskussion angekommen, [3] sondern auf ein Happening, es soll was geschehen, es soll einen Wirbel geben, die Zeitungen sollen darüber schreiben.

Kreuzer: Und das wäre unvermeidlich gewesen?

Kreisky: Meiner Meinung nach waren das Leute, die es überhaupt nur darauf ankommen haben lassen.

Kreuzer: Was den Fall Nenning anlangt: wird es gegen Nenning administrative Maßnahmen in der Partei geben, [4] und gibt es so etwas wie einen von der Partei verhängten Inseratenboykott gegen das FORVM?

Kreisky: Es gibt keinen Inseratenboykott gegen das FORVM, [5] weil die Partei solche Beschlüsse nicht faßt. Und was den Nenning selber betrifft, so habe ich zu sagen: Er hat einmal in einer Diskussion einen politischen Widersacher, glaub’ ich, ein Würschtel genannt. [6] A bißl a Wurschtel, a politischer Wurschtel, ist der Dr. Nenning schon.

Kreuzer: Aber Sie meinen, das müßte nicht sanktioniert werden?

Kreisky: Das glaub’ ich wirklich.

Kreuzer: Glauben Sie, daß Nenning ein Sozialist ist, ein ehrlicher Sozialist, oder halten Sie ihn bloß für einen heimatlosen Wirrkopf oder gar für einen Agenten des politischen Gegners?

Kreisky: Ich halte ihn nicht für einen Agenten des politischen Gegners. Ich halte ihn für einen Mann, der ununterbrochen haben will, daß man über ihn schreibt, daß man von ihm redet, und der ganz genau weiß: wenn er sich als Sozialist ausgibt, dann hat er die besten Möglichkeiten, vom ÖVP-Pressedienst verbreitet zu werden.

[1Zugunsten der Erinnerung unserer Leser, einschließlich Lesers Kreisky, nachfolgend meine Sätze gegen Hinnahme der KPÖ-Wahlempfehlung durch die damals von Pittermann geführte SPÖ, Neues FORVM, Febr. 1966. — G. N.:

Die österreichischen Sozialisten beobachten mit wachem Interesse die Wandlungen des Kommunismus in der Welt. Sie sind nicht blind für die Aufbauleistungen in den Ländern des Ostens. Sie halten den Antikommunismus, wie er zur Zeit der Abwehr des Stalinismus betrieben wurde, für überholt und unwirksam. Der kalte Krieg kann jedoch nicht durch den faulen Frieden überwunden werden. Solange der Kommunismus totalitäre Züge trägt, ist er für den demokratischen Sozialismus unakzeptabel.

Die Sozialisten anerkennen, daß jüngsthin auch in der Kommunistischen Partei Österreichs ein tiefreichender Prozeß der Wandlung begonnen hat. Er ist jedoch noch lange nicht weit genug gediehen. Nötig wäre eine klare Bejahung der Demokratie, d.h. nicht bloß durch Gebrauch dieses Wortes, sondern durch eindeutige inhaltliche Bestimmung; eine ebensolche Ablehnung aller Formen totalitärer Herrschaft und staatskapitalistischer Ausbeutung; eine ebensolche Lösung der im Bolschewismus immer noch obligatorischen Verknüpfung sozialistischer mit materialistisch-atheistischer Anschauung.

Erst wenn die KPÖ zu solcher geistiger Klärung gelangt ist, wird sie zur Integration in die Einheit der österreichischen Arbeiterbewegung reif und dort auch willkommen sein.

Die Wahlempfehlung der KPÖ behindert diesen im Gang befindlichen Prozeß. An die Stelle geistiger Klärung setzt sie die taktisch-organisatorische Verwischung der im übrigen fortbestehenden Gegensätze. Indem nun empfohlen wird, was immer mehr Anhänger der KPÖ seit Jahren ohnehin tun, erhalten die Überreste des stalinistischen Apparates die langentbehrte Gelegenheit, sich einen Erfolgsnachweis zu erschwindeln.

Die Sozialisten haben volles Verständnis für die schwierige menschliche und ideologische Situation der vielen Zehntausend österreichischen Kommunisten, die anständig und ehrlich zu ihrer Überzeugung stehen. Ihnen die Bruderhand entgegenzustrecken, wird sich die Sozialistische Partei durch kein ÖVP-Geschrei abhalten lassen. Sie will sie durch Leistung und Überzeugung zum demokratischen Sozialismus führen. Sie will nicht durch die Wahlempfehlung einer absterbenden Partei entgegennehmen, was sie aus eigener Kraft bekommen kann und bekommen wird.

Ich bekenne mich mit voller, linkster Radikalität zu den Grundsätzen des Sozialismus. Dies schließt Kritik an Tagespolitik und Führung meiner Partei nicht nur nicht aus, sondern ist der Ausgangspunkt solcher Kritik. Ob diese nun in üblicher Prosa oder als Satire abgefaßt ist, die persönliche Verunglimpfung liegt mir dabei fern, nicht hingegen Härte und Schärfe. Ich bin damit in guter austromarxistischer Tradition.

[2Im österreichischen Herausgeberkomitee gibt es keinen Kommunisten. Unter den 35 Mitgliedern des Internationalen Komitees für den DIALOG sind elf Kommunisten, darunter keiner, der den sowjetischen Panzerkommunismus nicht nachdrücklich verurteilt. Solange sie katholischen Priestern, wie dem päpstlichen Professor Girardi, Kanonikus Gonzalez-Ruiz, Prof. Metz, Prof. Reding, Prälat Ungar, die mit ihnen im Komitee sitzen, willkommen sind, sind sie auch mir herzlich willkommen. — G. N.

[3An der fraglichen Demonstration auf dem Wiener Rathausplatz am Nachmittag des 1. Mai beteiligten sich in anstiftender und leitender Funktion fast alle führenden Funktionäre sowie sonstigen Mitglieder des parteioffiziellen VSStÖ (Verband Sozialistischer Studenten Österreich) und des parteioffiziellen VSM (Verband Sozialistischer Mittelschüler).

[4Das in der Ära Pittermann über mich verhängte administrative Redeverbot wurde nie aufgehoben. Nachstehend die faksimilierte Antwort des Wiener Obmannes der SPÖ, Vizebürgermeister Slaviks, vom 4.1.68 auf meine diesbezügliche Anfrage. — G. N.

[5Obiges [hier: Untenstehendes] ist das Faksimile eines Schreibens vom Typus derer, wie sie in den heißen Tagen Ende Juni bei mir eintrafen. Es wäre gänzlich unfair, den Schreiber bzw. die Schreiber öffentlich zu identifizieren. Es handelt sich um Freunde, wahre und aufrechte, die mir so lange beistanden, als sie konnten. Gruß und Dank über neue Fronten hinweg, die eines Tages auch wieder verschwinden werden. — G. N.

[6Einen alpinen Neo- oder Paläo-Nazi, der in Antisemitismus exzedierte. Danke für die Gleichstellung! — G. N.

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