Heft 2-3/2004
März
2004

Hallo, Leute von der Context XXI!

Dieses Schreiben richtet sich an alle, die die Zeitschrift mitgestalten und sich verantwortlich fühlen. Die Arge Wehrdienstverweigerung, Gewaltfreiheit und Flüchtlingsbetreuung möchte ihre Zusammenarbeit mit der Context XXI beenden, und zwar auf allen Ebenen: keine MitherausgeberInnenschaft mehr, Trennung der Vereinsagenden.

Warum der Bruch?

Die Arge Wehrdienstverweigerung, Gewaltfreiheit und Flüchtlingsbetreuung kann und will nicht mit einer Zeitschrift zusammenarbeiten, die das Führen eines Krieges als denkbaren Lösungsmechanismus formuliert. Die Arge WDV & Gewaltfreiheit fußt als in ihrem Verständnis basisdemokratisch organisierte Gruppe der Friedensbewegungen auf folgenden Grundsatz, den jene Menschen, die Mitglied des Vereins werden auch so unterschreiben: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit! Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg direkt oder indirekt zu unterstützen und an der Beseitigung der Kriegsursachen mitzuarbeiten. Ich will gegen jede Planung und Vorbereitung zum Krieg Widerstand leisten, sowie jene gesellschaftlichen und politischen Strukturen, die dem Krieg zugrunde liegen, auflösen. Grundsatzerklärung der Arge für Wehrdienstverweigerung und Gewaltfreiheit. freiwillig - für alle, die unsere Überzeugung teilen.“

Der Artikel von Hannah Fröhlich „Auschwitz ist die Antwort“ (Nr. 4-5/2003) enthält folgende Passage: „Nicht nur für die Menschen im Irak war und ist der Krieg eine Chance, sondern auch für die gesamte Region: eine Chance für Israel, für Palästina, eine Chance auf eine veränderte Sicherheitslage und damit auf Frieden im Nahen Osten.“ Selbstverständlich diskutiere ich sehr gerne mit Menschen, die das Führen eines Krieges als legitim erachten. Allerdings widerspricht diese Ansicht so sehr der Arbeit der Arge WDV und dem ihr zugrundeliegenden pazifistischen Gedankengut, dass es unmöglich ist, dies mit der Context XXI auf der Ebene 1. Mitherausgeberin 2. Zweigverein zu vereinbaren.

Hier geht es um zwei grundverschiedene politische Interessenslagen und Denkrichtungen. Die Arge Wehrdienstverweigerung, Gewaltfreiheit und Flüchtlingsbetreuung distanziert sich hiermit von jeder Form der Zusammenarbeit mit der Context XXI, wir lehnen die Aussage, dass Krieg eine Chance darstellt, ab. Wir können gerne diskutieren, aber wir sind keine Verbündeten mehr, wir stehen inhaltlich nicht auf der selben Seite und die Arge WDV hat kein Interesse daran, nach innen wie nach aussen eine enge Zusammenarbeit bzw. Verbindung mit der Context XXI zu kommunizieren. Nein, die Arge WDV versteht sich nicht als Teil eines Zweigvereins und als Teil einer Zeitschrift, die Krieg als Chance begreift! Willst Du den Frieden, dann bereite den Krieg vor? Die Absurdität der Abstraktion, Jean-Paul Satre schlägt die Konkretion vor.

Friedenshandeln, das aus Friedensforschung resultiert frägt nach dem Konkreten, etwa hat Galtung formuliert, es sei die Frage nach dem ganz persönlichem Leid der einzelnen betroffenen Menschen eines Krieges zu stellen, ich möchte ergänzen, eine Grundfrage sollte — da Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Krieg — jene sein, nach den Bedürfnissen der konkreten einzelnen Menschen zu fragen. Wir alle wissen, dass in der heutigen Kriegsführung 90-95% der Opfer der Zivilbevölkerung angehören. Für die verletzten und toten Opfer, für die um sie trauernden Verwandten und FreundInnen ist es irrelevant, durch die Waffen welcher Konfliktpartei sie leiden und sterben müssen. Die Toten und Verletzten haben keine Chance mehr. Die, die noch Jahre nach einem Krieg Opfer der liegengebliebenen Minen werden, wohl auch kaum. Ob eine den Menschen dienliche politische Konstellation in einem Raum durch Krieg hergestellt werden kann, ist eine kontroversiell diskutierte Frage, sie nützt aber den konkreten Menschen, deren Lebensgrundlagen zerstört wurden, die die Opfer eines Krieges geworden sind auf jeden Fall nicht mehr.

Soweit dies durch die feministische Friedensforschung bislang belegt ist, sind insbesonders Frauen Verliererinnen von Kriegen, da gesellschaftlich legitimierte Gewalt persönliche Gewalt an der Frau neu und weiter stabilisiert. Räume, Nationen, Regionen, sie dienen als Metapher für den Besitz des Frauenkörpers. Die Soldaten werden auf das Töten (Frauen leisten nur die Hilfsdienste, auch als Soldatinnen dienen sie der Legitimationsbasis auf unterer Ebene und bieten den Spiegel für die männliche Entwicklung des soldatischen Körpers, wie dies u.a. Klaus Theweleit sehr ausführlich dargestellt hat) auch durch die „Entmenschlichung“ der Frau als der ersten „Anderen“ vorbereitet. Strukturelle, kurlturelle wie persönliche Gewalt gegen Frauen wird durch das Vorbereiten und Führen von Kriegen verstärkt, Frauen sind in jeder sogenannten Nachkriegsordnung mit massiverer Repression konfrontiert. Ekkehart Krippendorff hat in seiner Analyse ausgeführt und anhand historischer Entwicklungsverläufe nachgewiesen, dass sogenannte Friedensschlüsse und Nachkriegsordnungen die Basis für die kommenden Kriege darstellen.

Daran möchte ich Gedankensplitter zur Rüstungsspirale schließen: Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges steigt mit größer werdenden Rüstungsausgaben. Darunter leiden wiederum konkret die Menschen, die in Aufrüstung betreibenden Staaten leben, da Militarisierung und Sozialabbau (der wiederum, da soziale Sicherheit gefährdet wird, den Ausbau des staatlichen Repressionsapparates bedingt) die zwei Seiten derselben Medaille sind. Schröder hat es für Deutschland sogar ganz ungeniert offen gesagt: Natürlich sei der Beitrag für ein starkes Europa der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung im Inneren geschuldet. Wir stehen vor der steigenden Militarisierung der Europäischen Union. Die Vertreter aller 4 im Parlament vertretenen Parteien haben im EU-Konvent dem EU-Verfassungsentwurf zugestimmt! Er enthält — wohl eine Einzigartigkeit für ein Verfassungskonstrukt — eine explizite Aufrüstungsverpflichtung für alle Mitgliedsstaaten, tendiert in Richtung Hierarchisierung und Zentralisierung der EU, ähnlich dem amerikanischen Vorbild sind zum Kriegführen Koalitionen williger Länder denkbar, um die Ressourcenausbeutung nach dem Credo des Neoliberalismus vorantreiben zu können, um den USA im imperialen Konfliktfall mit gleicher Bewaffnung gegenüberzustehen.

Konkretes Friedenshandeln der Arge WDV und vieler anderer Friedensgruppen, die sich zur „Plattform für Neutralität und gegen die Euro-Armee“ zusammengeschlossen haben, besteht in dieser Militarisierungsphase der EU darin, ein Volksbegehren für Frieden und Neutralität eingeleitet zu haben, welches aktive Neutralitätspolitik im Sinne tätiger Konfliktvermittlung, die ersatzlose Steichung des verfassungswidrigen Kriegsermächtigungsartikels 23f, sowie keine Beteiligung an EU-Armee und Nato samt ihrer Vorfeldorganisation einfordert. Die Eintragungswoche wir im Frühsommer 2004 stattfinden. Der Arbeit mit dem Instrument des Friedensvolksbegehren liegt die Überzeugung zugrunde, dass Kriege vorhandene Konflikte verstärken oder neue schaffen, letztlich im Interesse der verschiedenen Eliten liegen, die die sozial ungerechte Reichtumsverteilung auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerungen auch mit Gewalt durchsetzen. Nicht nur diese öffentliche Arbeit der Arge WDV läß sich mit Kriegsbefürwortung nicht vereinbaren. Es genügt bereits die Basisarbeit: die Unterstützung und Begleitung der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer unter Aufbringung aller Ressourcen, die uns möglich sind, sind unvereinbar mit dem Gedanken, der Irakkrieg sei eine zu befürwortende Option.

Die Arge WDV hat in der Kriegszeit natürlich Netzwerkarbeit geleistet und öffentlich u.a. eine Kampagne für die Aufnahme US-amerikanischer Deserteure durchgeführt. Wir leisten Anti-Kriegs-Arbeit, was wir uns nicht leisten ist enge Zusammenarbeit mit Menschen, die Kriege befürworten und mit einer Zeitschrift, in der dieser Befürwortung Raum geboten wird. Diskurs ist notwendig und dazu bin ich auch gerne bereit, aber die Arge WDV steht nicht gerade für einen Zweigverein und eine Zeitschrift, die das Gegenteil ihres politischen Bestrebens kommuniziert.

Damit bin ich bei der Kritik an den Friedensbewegungen. Tausende Menschen sind auf die Straßen gegangen, um gegen den Irakkrieg zu demonstrieren. Quanität ist nicht mit inhaltlicher Differenziertheit gleichzusetzen. Es waren nicht die Friedensbewegungen auf der Straße, sondern Menschen, die diesen konkreten Krieg abgelehnt haben, aus den unterschiedlichsten Motiven. Wenn die Friedensbewegungen so stark wären, dass so viele Menschen die Überzeugung teilen, dass es Kriege gibt, solange es Armeen gibt, dass Gewaltverzicht und das Schaffen positiven Friedens ein politisches Ziel ist, ja dann, .... da komme ich in den Bereich meiner gesellschaftspolitischen Sehnsucht und Utopie hinein. Aber so ist es (noch) nicht, es ging natürlich um die Beteiligung von Elitenationen, entsprechende mediale Präsenz und Informationspolitik der bürgerlichen Medien usw. Zwischen den Inhalten, die Friedensbewegungen transportiert haben — sichtbar und hörbar — und den gewaltfokussierten Blick auf jene Kräfte, die für ihre eigenen politischen Inhalte Demos mißbraucht haben, besteht ein Unterschied. Friedensgruppen haben ihrer Solidarität mit all jenen Gruppen in den USA Ausdruck verliehen, die diesen Krieg abgelehnt haben und auch sichtbar jene US-amerikanischen Staatsbürger unterstützt, die sich diesem Krieg verweigert haben. Soviel zum Vorwurf des Antiamerikanismus.

Kritisiert wurde die herrschende Elite, nicht die Bevölkerung, die darunter zu leiden hat. ’Stupid white men’ ist auch in unseren Breitengraden ein Bestseller geworden. Dass es Mißbrauchsversuche von rechten Gruppen und Personen gibt, wenn die USA ein kriegsführendes Land sind, ist auch nicht neu. Selbstverständlich ist darüber zu diskutieren, in welcher Form Demoorganisation so laufen kann, dass Gruppen, die antisemitische Inhalte kommunizieren, keine Plattform geboten wird. Es ist allerdings ein wenig einseitig, die Existenz rechter Gruppen mit den Aktivitäten der Friedensgruppen zu verwechseln, auf deren Inhalte wurde in der Context XXI kaum eingegangen. Weder die grundsätzliche Gewaltkritik noch das Friedenshandeln wurden entsprechend reflektiert. Zur Aussage, dass irakische Oppositionsgruppen kaum in den Widerstand eingebunden waren, möchte ich anfügen: selbstverständlich ist auch jenen irakischen Opossitionsgruppen, die den Krieg abgelehnt haben ein Podium geboten worden, die Veranstaltungen mit Menschen aus konfliktbeteiligten Ländern stellten in der Zeit des Krieges eine Säule der inhaltlichen Grundlegung der Anti-Kriegs-Arbeit dar, in der Türkei haben Kriegsdienstverweigerer ihre Verweigerung mit der Begründung ihrer Ablehnung des Irakkrieges öffentlich gemacht. Friedensbewegungen erlangen natürlich immer im Kriegsfall größere Aufmerksamkeit, den gewaltfokussierten Blick auf rechte Gruppen auf den großen Demos anstelle einer Auseinandersetzung mit den differenzierten Inhalten von Friedensgruppen zu verwechseln, scheint mir kein geeigneter Ansatzpunkt zu sein, um das Friedenshandeln kritisch zu reflektieren.

Da liegen mir andere Fragen näher, etwa: wieso ist es uns nicht besser gelungen, für Deserteure Stadt- und Gemeindeunterstützung zu bekommen, woran hat es gelegen, dass wir aus der vorhandenen Quanitität nicht mehr aktive Unterstützung für die tägliche Anti-Kriegs-Arbeit gewinnen konnten, was erzielt größtmögliche Wirkung um die bürgerlichen Medien im Kontext des Dreiecks des Herrschaftsverhältnisses Medien - Krieg - Politik im Konfliktaufbau gegen den Iran bis zur Kenntlichkeit zu enttarnen, damit die Herrschaftsschichten der USA und jene ihrer willigen Koalitionen nicht wieder tatsächlich durch die Legitimationslügen im Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen und durch die Instrumentalisierung von Menschenrechtsfragen einen Krieg legitimieren und damit führbar machen können. Ach ja: und wieso hat die Arge WDV keine antimilitaristische Zeitschrift mehr, die ihre Inhalte differenziert betrachtet und dokumentiert.

Ein mögliches Sprachrohr stellt die Context XXI für die Arge WDV nicht mehr dar. Da es sich aber um ein — von der gebotenen Qualität her — Medium handelt, mit dem differenzierte Auseinandersetzung eine lohnende Arbeit ist, nicht zuletzt auch, um sich selbst zu hinterfragen und weiterzufragen, etwa: wählen wir die uns bestmöglichen Mittel um unsere Ziele — oberstes Ziel ist es nach wie vor, das Bundesheer abzuschaffen — zu erreichen?

friedliche Grüße, Rosi Krenn (Obfrau)
Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)