Heft 2-3/2004
März
2004

Brecht und Piscator

Eine Ausstellung in Wien

Der Schrei nach ei­nem neuen Theater ist der Schrei nach einer neuen Gesellschaftsordnung.

Bertolt Brecht:
Über eine neue Dramatik, 1928

Die BesucherInnen der Ausstellung Brecht & Pi­scator. Experimentelles Thea­ter im Berlin der 20er Jahre, die bis 12. April 2004 im Wiener Theatermuseum zu sehen ist, treten in einen klei­nen, aber durchkomponier­ten Ausstellungsbereich ein, der aus drei in formaler Strenge gestalteten, in rot, schwarz und weiß ausgemal­ten Räumen besteht. Der Ge­brauch sämtlicher verfügba­rer Medien in der Theaterar­beit, aber auch in der gesam­ten künstlerischen Tätigkeit von Brecht und Piscator ist in der Ausstellung durch ei­ne dichte Zusammenstellung von Texten, Tonmaterial, Grafiken, Bühnenskizzen, Bühnen- und Theatermodel­len, Fotografien und Film­material repräsentiert.

Auffällig ist, dass die Aus­stellung sehr darauf bedacht zu sein scheint, die Theaterarbeit von Brecht einerseits und Piscator andererseits möglichst klar zu trennen. Das ist kein Zufall und wird auch in der Ausstellung be­nannt, denn Brechts und Piscators Konzeptionen davon, in welcher Weise revolu­tionäres Theater wirksam werden sollte, waren trotz ih­rer zeitweiligen Zusammen­arbeit und der gegenseitigen Achtung höchst unter­schiedlich. Welche theoreti­sche, ästhetische und politi­sche Bedeutung diese Diffe­renzen in der Konzeption ih­rer Theaterarbeit haben und wie sie geradezu in Wider­spruch zueinander stehen, wird zwar in den Begleittex­ten zur Ausstellung ange­sprochen, aber nicht ausrei­chend erklärt. Dennoch zeigt es sich in den ausgestellten Objekten auf sehr deutliche Weise. Allein schon die Tat­sache, dass der Piscator ge­widmete Ausstellungsraum weit aufwändiger gestaltet ist und auch dem Besucher oder der Besucherin mehr angreifbares Material — be­wegliche Bühnenmodelle, schauerliche Schattenspiele, Geräuschmusik etc. — bietet als der kleinere, kargere Raum, der einige von Brechts theaterpraktischen Arbeiten der 30er Jahre dokumentiert und sehr knapp seine theo­retische Konzeption des epi­schen Theaters darstellt, weist auf die wesentlichen Differenzen hin.

Während auf der Piscator- Bühne mit avancierter Tech­nik, mit Filmprojektionen und Lichteffekten auf große Wirkung und schließlich auf ein fast Wagnersches Ideal ei­nes „Totaltheaters“, dessen Modell Piscator gemeinsam mit Walter Gropius entwarf, hingearbeitet wird, steht Brecht jeder Form von Mo­numentalität und einem, wie er es nennt, „kulinarischen Theater“ skeptisch gegenü­ber. Auch wenn Brecht Piscators Verwendung von Film auf dem Theater mit großem Interesse verfolgte, verwen­dete er selbst für seine Stücke kaum dokumentarisches Filmmaterial, sondern eher die berühmten Schrift- und Texttafeln, Textschilder oder -transparente, aber auch — und hier zeigt die Ausstellung sehr interessantes, bislang we­nig beachtetes Material — von Brechts Freund und Mitar­beiter Caspar Neher gestal­tete grafische Projektionen, die dem Bühnenbild eine weitere, flächige, stilisierte und damit verfremdende Ebene hinzufügen sollten.

Bei der vergleichenden Betrachtung von Brecht und Piscator liegt es natürlich na­he, ihr je spezifisches, aber gleichermaßen intensives und zukunftsweisendes Verhält­nis zum Film genauer zu un­tersuchen. So stellte die vom Filmarchiv zusammengestell­te und im Wiener Metro-Ki­no gezeigte Filmreihe zu Brecht und Piscator unter dem Titel Kunst heißt mor­gen Politik ein interessantes Begleitprogramm zur Aus­stellung dar. Neben den we­nigen Filmen, an denen Brecht und Piscator als Re­gisseure direkt beteiligt wa­ren — besonders hervorzuhe­ben ist dabei der Film Kuhle Wampe von Slatan Dudow und Bert Brecht, eine der for­mal und inhaltlich herausragendsten filmischen Ausein­andersetzungen mit Arbeits­losigkeit und politischer Ak­tion —, wurden auch zeit­genössische Filmaufnahmen von Theateraufführungen und berühmte Verfilmungen gezeigt, wie jene der Dreigro­schenoper von G.W. Pabst (1931), die in einem Rechts­streit zwischen Brecht und der Firma Nero Film AG mündete und in Brechts theoretischer Auseinander­setzung mit der Kulturindu­strie in seinem „soziologi­schen Experiment“ Der Drei­groschenprozess seinen Nie­derschlag fand. Auch Filme, die formal an Neuerungen des epischen Theaters an­knüpften, wo also der Ein­fluss, den das Kino auf die Theaterarbeit von Brecht und Piscator hatte, sich auch um­gekehrt wieder produktiv auf den Film auswirken konnte, waren zu sehen.

Caspar Neher: Projektionsentwurf zu Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Neues Theater, Leipzig 1930

Das Verschwinden der Frauen

Obwohl das Moment der Ar­beit im Kollektiv, das sowohl Brechts als auch Piscators Ar­beitsweise prägte, durchaus angesprochen wird, versagt die Ausstellung bezeichnender­weise dort, wo es um eine ih­rer Bedeutung auch nur halb­wegs angemessene Repräsen­tation der Mitarbeiterinnen, der befreundeten Künstlerin­nen, Autorinnen, Schauspie­lerinnen und Theoretikerin­nen, die gerade im Fall Brechts eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des epischen Theaters spielten, ge­hen müsste. Kein Wort in der Ausstellung über Elisabeth Hauptmann, die in dem von der Ausstellung dokumentier­ten Zeitraum eine der engsten und produktivsten Mitarbeiterinnen von Brecht war. Sie hat nicht nur durch ihre Über­setzung und die gemeinsame Bearbeitung von John Gays Beggar’s Opera wesentlichen Anteil an der Entstehung der Dreigroschenoper gehabt und bei der langjährigen Arbeit an Mann ist Mann mitgewirkt, sondern vor allem durch die Übersetzung japanischer und chinesischer Theaterstücke, die geteilte Begeisterung für das Modell eines Theaters, das mit der Tradition des bürger­lichen europäischen Theaters brechen kann und durch die gemeinsame schriftstellerische Arbeit ganz entscheidend an der Konzeption und Entwick­lung von den im wesentlichen im Kollektiv produzierten Lehrstücken und ihrer theo­retischen Verortung mitge­wirkt und Brechts theater­theoretische Überlegungen insgesamt mitgeprägt. Kein Wort auch über Helene Wei­gel, die bereits zu diesem Zeit­punkt als Schauspielerin ge­meinsam mit Brecht und allen an den Produktionen Betei­ligten an der Erarbeitung ei­ner „neuen Schauspielkunst“ partizipierte. Auch Namen wie Carola Neher, Marieluise Fleißer oder Margarete Steffin fehlen, die zu dieser Zeit ebenfalls mit Brecht und vie­len anderen kollektiv mit neu­en Theaterformen experi­mentierten und zugleich die politischen Perspektiven teilten.

Es liegt eine eigenartige Schizophrenie gerade in der Brecht-Rezeption, die sich zum einen mit allem morali­schen Abscheu einer ebenso an der monogamen bürgerli­chen Ehe wie am künstleri­schen Privateigentum orien­tierten Perspektive über Brechts Arbeits- und Liebes­beziehungen empören kann und auf der anderen Seite selbst dort, wo Brecht die Na­men der Mitarbeiterinnen ex­plizit genannt hat, jenen Künstlerinnen, die mit ihm ein Stück Weg gegangen sind, sy­stematisch die Erinnerung zu verweigern.

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