FORVM, No. 217
Januar
1972

Bessere Maschinenanhängsel

Zur Schulreform

J. M., Wien, 4 Jahre Hauptschullehrer, Kunstakademie, Autor von „Schülersexualität“, Melzer, Frankfurt 1971, Herausgeber von „Schmutz und Schund im Unterricht“, Melzer, Frankfurt 1972, in NF: Schülerpornos, Febr./März 1971.

I. Schizophrenie

Die Diskussion der Schulreform wird von einer eigentümlichen Schizophrenie durchzogen: idealistische Zielvorstellung, technokratische Praxis. Sie resultiert aus der Unvereinbarkeit zwischen den Interessen der Arbeit und des Kapitals.

Sozialdemokratische Schulreform versucht, diese Gegensätze zu beschwichtigen und zu verschleiern.

Das zentrale Interesse des kapitalistischen Systems ist auf ökonomischen Bereich — Garantie von Wirtschaftswachstum und Stabilität —, auf Bereitstellung von Lösungen für den dort latenten Krisenherd und den im Untergrund schwelenden Klassenkonflikt konzentriert. In den Bereichen, die für das System periphär sind, im Bedürfnis der arbeitenden Massen allerdings eine zentrale Stellung einnehmen, wie Wohnungsbau, Verkehrs- und Bildungswesen, Sozialfürsorge, Gesundheitspflege, kann das System nur so weit Reformen tolerieren, wie der Kostenrahmen, den der Zentralbereich bestimmt, Profitmaximierung, Expansion, Rüstung usw. nicht angetastet werden. [1]

II. Unternehmerinteresse

Gesamtschule und Vorschulerziehung sind die wichtigsten Vehikel zur „Linderung“ der Klassengegensätze, durch „Chancengleichheit“ einerseits und subtiler Ausschöpfung der „Begabungsreserven“ andererseits.

Daß letztlich die wirtschaftliche Expansion und damit die Maximierung des Profits die eigentlichen Motive einer sich humanistisch gebärdenden Schulreform sind, ist nicht so ohne weiteres klar; zumal einst die Gesamtschule eine Forderung revolutionärer Pädagogik war und die Sozialdemokratie damals noch nicht die vorzügliche Verwertbarkeit der Gesamtschule als Absahnungsstätte „unerschlossener Begabungsreserven“ am Beispiel Englands und Schwedens studieren konnte.

Die rasche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in unserer Zeit macht es notwendig, das Bildungswesen immer wieder den sich ändernden Erfordernissen anzugleichen.

(Alois Mock 1969 [2])

In unserem dynamischen Zeitalter der Technik, der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Mobilität muß die Kluft zwischen der traditionellen Bildung einerseits und den wissenschaftlichen Fortschritten und Veränderungen andererseits durch eine umfassende Bildung überwunden werden.

(SPÖ-Schulprogramm [3])

Dazu kommt noch, daß Untersuchungen über das Wirtschaftswachstum und die Bildungsplanung in Österreich ergeben haben, daß in Hinkunft etwa 25 bis 30 Prozent der Jugendlichen eines Geburtenjahrganges ein Studium an einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Höheren Schule abschließen müssen, um die bildungsmäßigen Voraussetzungen für ein weiteres Ansteigen des Wirtschaftswachstums zu erfüllen. Zur Zeit legen aber nur etwa 10 Prozent der Jugendlichen eines Geburtenjahrganges die Reifeprüfung ... ab ... 50 Prozent der Schüler der allgemeinbildenden Höheren Schule schließen diese nicht mit der Reifeprüfung ab.

(SPÖ-Programm [4])

Begabungsreserven sind durch Aufklärung der Jugendlichen und ihrer Eltern zu erschließen; diese Aufgabe wird durch die Eigenart der Gesamtschule erleichtert.

(Bundesministerium für Unterricht 1969 [5])

Jedes Kind ist seinen. Fähigkeiten entsprechend optimal zu fördern und zu den ihm angemessenen höchsten Leistungen zu befähigen. Die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit sichert die Ausschöpfung aller Begabungsreserven und bildet unter anderem eine unumgänglich notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung der österreichischen Wirtschaft.
(SPÖ-Programm [6])

Im Rahmen der zunehmenden Automatisierung muß der Mensch, der für den Automaten da ist, „maturiert“ worden sein. Ohne eine gewisse Schulung in der Rezeption und Reproduktion mathematischer und sprachlicher Formeln kann der Mensch dem(n) Automaten nicht mehr dienen (bedienen).

Wenn hier von Bedarf der Wirtschaft an Maturanten die Rede ist, so muß differenziert werden. Faktisch bietet die derzeitige Konstruktion der meisten Industriebetriebe Maturanten der AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule) kaum berufliche Möglichkeiten. Die Nachfrage trifft vor allem — die Inseratenteile der Zeitungen beweisen es — Absolventen weiterführender berufsbildender Schulen.

Aus der bisherigen Erfahrung hat sich ergeben, daß Fachkräfte, die im Betrieb angelernt wurden, oft denen aus berufsbildenden Höheren Schulen, in bezug auf die Nützlichkeit für den Betrieb, überlegen sind. Daher wird die Möglichkeit und — aufgrund des Mangels an Absolventen der berufsbildenden Schulen — die Notwendigkeit gesehen, auch AHS-Maturanten in der betrieblichen Schulung die nötigen Fachkenntnisse zu vermitteln. Aufgrund ihrer Vorbildung werden sie dann zu mobilen, vielseitig gebildeten „jungen Mitarbeitern“.

Die versuchte Motivierung von Schülern und deren Eltern: „Begabungsreserven können nur ausgeschöpft werden, wenn es gelingt neue Bevölkerungsschichten für den Besuch höherer Schulen durch ihre begabten Kinder zu interessieren“ (Bundesministerium fürUnterricht [7]) — gelingt nur, wenn man höheren Status und höheren Lohn verspricht. Daß dies, wenn einmal die „Erfolgsquote“ der Höheren Schulen gehoben ist, nicht mehr möglich ist, muß den Umworbenen verschwiegen werden.

Die Fakten liegen einfach. Das herkömmliche System schafft es nicht mehr, die nötige Zahl Maturanten zu liefern; daher muß der Betrieb rationalisiert werden. Gruppenunterricht, Diskussion, individuelle Leistungsmessung sind in der herkömmlichen Schule nicht einzuführen; die Lehrer sind wenig über die Notwendigkeiten moderner „Betriebsklimatisierung“ informiert und auch nicht willens, die Stätte ihrer Selbstbehauptung — den Katheder — zu verlassen.

„Kreativität“ wird im zunehmenden Konkurrenzstreß monopolisierter Großunternehmen plötzlich vonnöten. Allerdings eine „Kreativität“, auf die am besten die Bezeichnung „clever sein“ zutrifft. Nicht eine kritische Einstellung zum gesamten Apparat und der Wunsch nach Beseitigung fundamentaler Ungerechtigkeit ist gefragt; vielmehr gilt es, im vorgegebenen Rahmen Variationen und Adaptionen auszuklügeln, die den sich ständig ändernden Konkurrenzbedingungen gerecht werden, bzw. diese bewirken.

III. Bildungsideal

Die Schizophrenie wird anschaulich, wenn man den dargestellten, eigentlichen Motiven technokratischer Bildungsreform ihre idealistische Bemäntelung, die in den einschlägigen Veröffentlichungen und Parteiprogrammen an erster Stelle steht, den bisher dargestellten „Sachzwängen“ („Erfordernisse der Wirtschaft“) gegenüberstellt:

Leitende Idee der Bildung ist der mündige Mensch, der autonom und mit kritischem Bewußtsein zur persönlichen Verantwortung für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben befähigt und bereit ist.

Selbständiges und verantwortungsbewußtes Denken, Handeln und Gestalten in einer dynamischen und mobilen Welt mit pluralistischen Wertsystemen erfordern vom Menschen einen begründeten und immer wieder zu begründenden Standort, besonders in Hinblick auf seine religiöse, sittliche und soziale Werthaltung.

Bildung in diesem Sinne erfordert vom Menschen die Bereitschaft und Fähigkeit zu:

  • Schöpferischem Denken und Gestalten;
  • zum Erkennen von Zusammenhängen und Vorgängen;
  • zum Erwerb fachspezifischen Wissens;
  • zur verantwortlichen Anwendung des Wissens;
  • zur Kommunikation;
  • zur kritischen Auseinandersetzung und zur Toleranz;
  • zur umfassenden Kooperation;
  • sich ständig weiter zu bilden.
(Bundesministerium für Unterricht 1969 [8])

Der gebildete Mensch soll das für die Bewältigung seiner Existenz notwendige Wissen und Können besitzen und selbständig und in eigener Verantwortung handeln. Diese Fähigkeiten soll sich der junge Mensch in der kritischen Auseinandersetzung mit modernen Bildungsinhalten aneignen und dabei auch die notwendigen Denk- und Verhaltensformen lernen.

  • Das Erkennen von Zusammenhängen und Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorgängen;
  • die Bereitschaft zur kritischen Stellungnahme;
  • die Bereitschaft zur Kommunikation und Kooperation mit anderen sowie zur Toleranz;
  • das Streben nach selbständigem Wissenserwerb und eigener Weiterbildung;
  • die Fähigkeit zu glückhafter Gestaltung des eigenen Lebens und die Freude am schöpferischen Tun.
(SPÖ-Programm [9])

Das Menschenbild von Goethe und Humboldt kann und soll Träger der Bildungsbemühungen bleiben, verlangt aber zweifellos manche existenzsichernde Ergänzung.

(Prof. Mautner-Markhof [10])

Gerade die Wirtschaft ist ja daran interessiert, die berufliche Mobilität des einzelnen zu erhöhen und ihm die Möglichkeit zu geben in der modernen Industriegesellschaft zu bestehen. Optimales zu leisten und hiebei auch eine möglichst große menschliche Selbsterfüllung zu finden.

(Sektionsrat Doktor Erhard Kutschera [11])

Das Auseinanderklaffen der vorgeblichen (idealistischen) und der eigentlichen (wirtschaftlichen) Zielformulierungen ist typisch für ein System, dem viel daran liegt, die „persönliche Freiheit“ des einzelnen zu wahren und sie zu illusionieren. Dies gelingt, indem man die „Notwendigkeiten der Wirtschaft“ gleichsam als naturgesetzlich gegeben darstellt.

„Kapitalismus heute“ kann sich keine „Mitarbeiter“ mehr leisten, die sich nicht mit dem System identifizieren, d.h., mit dem jeweiligen Betrieb, in dem sie arbeiten. Die genannten idealistischen Zielsetzungen werden angesichts der herrschenden und der zu erwartenden Zustände am Arbeitsplatz zum Witz. Undurchdacht sind die Alibi für die einen, Drohung zur „Menschlichkeit“ für die anderen. Gerade die Spannung zwischen idealistischem Anspruch und der rigiden Geschäfts- und Arbeitspraxis machen die Verfügbarkeit des einzelnen durch das System aus.

Die Reformbestrebungen beginnen bei der Vorschulerziehung, deren Bedeutung nun auch die herrschende Bildungsideologie erkannt hat.

Mit der Differenzierung eines Begabungs- und Intelligenzbegriffes und der Erkenntnis, daß Begabung weitgehend umweltbedingt zu sehen ist (in bezug auf die Konstanz der Intelligenz herrscht Unklarheit), hat die Vorschulerziehung Ziel und Begriff gefunden:

Erschließung von Begabungsreserven [aus] Sorge um die hinreichende Zahl an Maturanten

(Bundesministerium für Unterricht [12])

IV. Vorschulerziehung

Ein wesentliches Instrument vorschulischer „Stimulation“ des „Intelligenzpotentials“, über dessen Beschaffenheit oder Entstehung man so gut wie nichts weiß, ist die Sprecherziehung (Sprachtraining).

Der „soziale Aspekt“ beruht auf den Feststellungen vom Zusammenhang Denken—Sprechen und der daraus resultiereenden kompensatorischen Sprachförderung für Unterschichtkinder. Sie sollen durch „Sprachtraining“ von ihrem „restringierten sprachlichen Kode“ (Bernstein) — „sprachgebundene Fächer und sprachliche Intelligenz werden in der Schule traditionell hoch eingestuft“ (Roth [13]) — zum „elaborierten Kode“ angehoben werden.

Bernstein hat sich in seinem Aufsatz „Der Unfug mit der kompensatorischen Erziehung“ [14] gegen diese vereinfachende Anwendung seiner Kategorien ausgesprochen, doch für die Erhaltung des Bestehenden ist es dienlich, schon von gleichen Chancen zu sprechen, wenn die Kinder beim Schuleintritt eine ähnlich „differenzierte“ Sprache sprechen — bei einem Schulsystem der Mittelschichtler natürlich die der Mittelschicht.

Bloßes Anbieten sprachlicher Muster bewirkt für die Entfaltung der kindlichen Fähigkeiten nichts anderes als Anpassung.

Der restringierte Sprachkode bildet für die Unterschichtkultur ein Instrument der Problemlösung, dessen Zerstörung durch bloße Erziehung zur Anpassung... die ohnedies schwierige Situation des Kindes aus der Uhnterschicht nurnoch verschlimmern würde. [15]

Erst wenn die Bildung der verschiedensten Fähigkeiten nicht mehr ausschließlich an der mittelständischen Leistungsnorm (vorw. verbal) orientiert und lediglich auf spätere Verwertbarkeit gerichtet ist, entstehen auch für Unterschichtkinder Entfaltungsmöglichkeiten. Die sprachliche Erziehung darf nicht aus dem Sozial- und Objekt-Erfahrungsbereich abgelöst sein.

In amerikanischen Versuchen hat sich herausgestellt, daß durch verschiedene Trainingsprogramme „beschulte“ Kinder während ihrer ganzen Schulzeit der Stützkurse bedurften.

In diesem Zusammenhang, des Schuleintritts und der Vorbereitung darauf, wären die Problematik der „Abschaffung der Schul(pflicht)“ (Illich) und die dafür notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen zu diskutieren.

V. Gesamtschule

Theoretisch bietet das Modell der Gesamtschule viele echt emanzipatorische Möglichkeiten, die eine vielseitige Arbeits- und Informationsmöglichkeit für Jugendliche darstellt. Mit der Auflösung der Klassenverbände, der daraus resultierenden vielfachen Kooperationsmöglichkeit (Neigungsgruppen usw.) wäre der freiwilligen Konfrontation mit relevanten Problemen einige Türen aufgemacht.

Flexibilität, Durchlässigkeit, Differenzierung, Mobilität ... sind Schlüsselbegriffe mit denen die Gesamtschuldiskussion (in der BRD) aufgenommen wurde. [16]

In der Grundstufe (6 bis 10 Jahre) wird an der Form des Klassen- und Gesamtunterrichts festgehalten. (Ein Lehrer unterrichtet in einer Klasse fast alle Fächer.) Ab der 4. Stufe gibt es Fremdsprachenunterricht. „Gruppenunterrichtliche Verfahren“ sollen zur „inneren Differenzierung“ und damit zur „optimalen Förderung der individuellen Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit“ führen (SPÖProgramm [17]).

In der Mittelstufe (10 bis 14 Jahre) wird „gleiche Chance“ aller Schüler zur höheren Bildung geboten.

Aufgrund der „Schülerbeschreibung“ der Grundschullehrer wird der Schüler vorläufig in Basisgruppen eingewiesen, die Zuweisung in Leistungsgruppen erfolgt nach einer gewissen Beobachtungszeit. Die Zahl der wählbaren Fächer (Kurse) nimmt zu. Förder- und Stützkurse sollen Begabten den adäquaten Leistungsstandard bzw. Minderbegabten, das nötige Aufholen ermöglichen.

In der Mittelstufe findet die Selektion jener Schüler statt, die eine weiterführende höhere oder berufsbildende Schule besuchen, was selbstverständlich von der erbrachten Leistung abhängig ist.

In der 4. Klasse der Mittelschule ist eine ausführliche Leistungsbeurteilung zu erstellen, aus der die Leistungsfähigkeit des Schülers und seine Eignung zum Übertritt in das Gymnasium oder die berufsbildenden Schulen klar hervorgeht.
(SPÖ-Programm [18])

In der Oberstufe (9. bis 13. Schulstufe) findet die Selektion der Hochschüler statt. Besonders begabte Schüler können die Oberstufe in 4 Jahren durcheilen, eigene Leistungsgruppen sorgen dafür: „Methodische Schulung in spezifischen Studienrichtungen bereiten den Besuch der Hochschule vor ...“ (SPÖ-Programm [19]).

Etwa 20 bis 30 Prozent der Fächer sind wählbar, die Kernfächer stabil.

Gesamtschule wird heute primär als Ergebnis einer gleitenden langsamen Reform des Schulwesens im Dienste der Bedarfsdeckung des herrschenden Systems angestrebt und wird in der Regel erziehungstheoretisch nicht als systemsprengende Kraft begründet. [20]

Folgerichtig beginnt sich in den laufenden Gesamtschulversuchen ein Fachleistungskurssystem zu stabilisieren, durch das nachgewiesen werden soll, daß die Gesamtschule bessere — und nicht etwa andere — Leistungsergebnisse als das konkurrierende Gymnasium zu produzieren vermag. [21]

Was sich zunächst als Chance des Schülers für individuelle Leistungsbeurteilung gibt, die Differenzierung in Leistungsgruppen, muß als raffinierte Selektion verstanden werden, zumal die Leistungsgruppen gegenüber Neigungsgruppen dominieren.

In den herkömmlichen „Hauptfächern“ ist keine Rede von individueller Leistungsmessung, sondern die „Begabteren“ werden einfach von den „Unbegabteren“ geschieden, um „leistungshomogene“ Gruppen zu erzielen. „Sitzenbleiben“ wird weniger vorkommen, statt dessen eine Zuteilung in eine andere Leistungsgruppe und eventuell Stützkurse. Was sich als echte Förderung des Individuums denken ließe, wird in Hinblick auf das „Plansoll“ an „Output“ eine „Durchlässigkeit“ zur Rationalisierung der Produktion.

Durch die Anpassung an „individuelle Leistungsfähigkeit“ ist lediglich der Druck, eine bestimmte, nicht in Frage gestellte Leistungsnorm zu erreichen, geringer geworden. Die Norm selbst wird nicht relativiert, da sie an den „Notwendigkeiten“ der Wirtschaft orientiert und somit „objektive“ Forderung ist.

Am Leistungsprinzip, als Grundprinzip kapitalistischen Wettbewerbsdenkens, ist (die Zitate beweisen es) nicht zu rütteln!

VI. Lernmaschinen

Der individuelle Schein wird auch durch die Zerstückelung des Lern- und Lehrstoffes (Taylorisierung) gewahrt. Durch die Differnzierung in Gruppen und Kurse einerseits und die mundgerechte Teilung des Lehrstoffes in „Lernschritte“ entsteht eine organisatorische und inhaltliche Vielteiligkeit, die für den Lernenden nicht mehr überblickbar ist und ihn zum reinen Reproduzenten degradiert. Die Fülle einzeln dargebotener Fakten und die ständig und kurz nach der Rezeption erfolgende Überprüfung des „Probanden“ machen es unmöglich, kritisch Distanz zu nehmen von dem, was geboten wird.

Bei der „Programmierten Instruktion“ entsteht durch das Wegfallen der Lehrerpersönlichkeit als ständiger und mobiler „Reflexperson“ eine Fixierung an das Programm und dessen Konstruktion. Abweichendes Fragen wird unmöglich. Nach Erledigung des Programms dürfen sich auch keine Fragen mehr ergeben.

Die „Vereinzelung“ des Lernenden und die „Atomisierung“ des Stoffes machen Einsamkeit und bedingungslose Anpassung perfekt.

Neue Lehrmaschinen und andere fortschrittliche Hilfsmittel werden den Unterricht rationeller und effektiver gestalten, so daß trotz starker Zunahme der Schüler, die Lehrer ausreichen.

(„Der Unternehmer“ [22])

Gleichzeitig ist die programmierte Instruktion ein unverzichtbarer Posten in der Kalkulation der Bildungspolitiker: sie effektiviert und verkürzt die Ausbildung, spart Arbeitskraft von Lehrern, bringt zudem den Unterricht in kürzester Zeit auf den jeweils neuesten Stand von Forschung und Technologie (unabhängig vom Wissenstand des Lehrers) und gewährleistet eine einheitliche Durchsetzung und Gestaltung des erforderlichen technischen und ideologischen Wissens. [23]

Eine weitere Vereinheitlichung des Bildungsgutes findet durch den Fernunterricht statt. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht aus dem bisher Gesagten hervorginge, daß diese Bildung nicht den Effekt haben wird, den sie vorgibt zu haben — Emanzipation, statt dessen Kontrolle und Steuerung.

„Lehrmittelproduzenten“ werden zunehmenden Einfluß auf das, was sie als „Bildungsgeschehen“ bezeichnen, haben. Dies wird mit der Monopolisierung der Bildungsmedien und Inhalte enden. Man vergleiche das heutige Verhältnis zwischen Hochschulforschung und Industrieforschung etwa und die zunehmende Abhängigkeit — schon rein ökonomisch — der ersteren von letzterer, um eine Vorstellung zu bekommen, wie eine stark auf Medien bauende Bildung in die Abhängigkeit der Produzenten der „Bildungsträger“ kommen muß. Solange die Produktion der Medien zur Monopolisierung tendiert, wird das Produkt monopolisiert. Nur eine vergesellschaftete Produktion von Medien würde eine mögliche Voraussetzung für ihren Einsatz unter voller Ausschöpfung ihrer emanzipatorischen Möglichkeiten darstellen.

Es gibt auch eine innere Schulreform, ihre Inhalte sind vorwiegend dem „idealistischen Teil“ unserer Zitatensammlung entnommen. Ihre Durchführung hängt weitgehend von den Lehrerpersönlichkeiten ab. Aufgrund der wissenschaftlich ungesicherten Tätigkeit des Pädagogen — ständiges Improvisieren ist erforderlich — scheint die Lehrerpsyche besonders anfällig zu sein für autoritäre Äußerung, die gepaart ist mit Autoritätshörigkeit und dem Wunsch nach möglichst mit empirischen Fakten „aufgepäppelten“ Rezepten.

Durch die „objektive Leistungsmessung“ (Tests usw.) soll die Unsicherheit des Lehrerurteils umgangen werden, wodurch der Lehrer an Machtfülle verliert. Sein sozialer Status wird immer mehr in Frage gestellt.

Um die angeführten Bildungsziele zu erreichen, ist es notwendig, daß sich die Lehrer eines demokratischen Führungsstils bedienen.

(SPÖ-Programm [24])

Inwieweit die Studienreisen österreichischer Parlamentarier die Schulreform hierzulande beeinflussen werden, ist schwer zu sagen. Vorsichtige Abwehr eventueller Anregungen ist festzustellen.

Ich bin aber trotzdem der Meinung, daß man das System des schwedischen Schulwesens nicht einfach auf Österreich übertragen kann. Warum? Im österreichischen Schulwesen sind ganz andere geschichtlich gewachsene Voraussetzungen vorhanden, um es genau zu sagen, ich meine eine Fortentwicklung, ohne daß man die Grundkonstruktion aufgibt ...

(Abg. Josef Gruber, ÖVP [25])

Der Verweis auf die Besonderheit der österreichischen Situation erlaubt es, die rasche Übernahme ausländischer Erfahrungen zur Verkürzung eigener Experimente zu vermeiden: „Wir wissen schon recht genau, was wir nicht tun werden. Gewiß ist, daß wir Schulversuche durchführen müssen, well es ein ausgesprochen österreichisches Modell im Ausland nicht gibt“ (Gruber [26]).

[1Herbert Stubenrauch: Kritik der Gesamtschule, in „Schulreport“, Frankfurt 1970, S. 20.

[2Dr. Alois Mock, im Vorwort zu „Schulreform 1“, Bericht an das Parlament, BMfU 1969.

[3„Schulprogramm der SPÖ“, S. 11.

[4Ebd. S. 30.

[5Univ.-Prof. Dr. Rudolf Weiß, in „Schulreform 2“, S. 13.

[6SPÖ-Programm, S. 13.

[7Schulreform 2, a.a.O., S. 12.

[8Schulreform 1, a.a.O., S. 6.

[9SPÖ-Programm, a.a.O., S. 11.

[10„Der Unternehmer“, a.a.O., S. 274.

[11„Der Unternehmer“, a.a.O., S. 277.

[12Schulreform 2, S. 12.

[13Heinrich Roth: Gutachten zum deutschen Bildungsrat — Bildungskommission, in „Begabung und Lernen“, Stuttgart 1969, S. 44.

[14Roth, a.a.O., S. 44.

[15Roth, a.a.O., S. 44.

[16Stubenrauch, a.a.O., S. 19.

[17SPÖ-Programm, S. 20.

[18Ebd., S. 45.

[19Ebd., S. 26.

[20Stubenrauch, a.a.O., S. 17.

[21Ebd., S. 24.

[22„Der Unternehmer“, a.a.O., S. 239.

[23Klaus Jürgen Bruder in „Betrifft Erziehung 6“, S. 30.

[24SPÖ-Programm, S. 12.

[25In „Schulreform“, 4. Sonderbeilage zur „Wiener Zeitung“, S. 4.

[26Ebd.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)