Streifzüge, Heft 1/1997
März
1997

11 Thesen zur Wohnungsfrage

1.

Die Wohnung ist eine Ware. Der Warencharakter des Bodens legt den Warencharakter der Wohnung fest. Die Vermietung der Wohnung stellt ein ganz gewöhnliches Warengeschäft dar. Dieses richtet sich nach den ökonomischen Gesetzen des Warenverkaufes überhaupt, nach den Marktbedingungen, dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage.

2.

Die zwei Parteien, die dieses Geschäft abwickeln, sind der Mieter und der Vermieter bzw. Hauseigentümer. Der Mieter kauft den zeitweiligen Gebrauch einer Wohnung des Vermieters. Der Vermieter verkauft den von ihm erzeugten Wert der Wohnung.

3.

Der Preis für die Ware Wohnung ist der Mietzins. Dieser setzt sich zusammen aus einem Anteil Grundrente, einem Anteil Zins auf das Baukapital einschließlich des Profits für den Bauunternehmer, einem Anteil für Reparatur-, Leerstehungs- oder Mietausfallskosten und einem Anteil, der das Baukapital inkl. Profit in jährlichen Ratenzahlungen abträgt (amortisiert), im Verhältnis wie das Haus allmählich verschleißt.

4.

Die Grundrente ist der Wertaufschlag des Grundstücks, den es im Laufe der Jahre ohne Zutun des Grundeigentümers erfährt (Kapital — Profit, Grundeigentum — Grundrente). Die Grundrente hat im Gegensatz zur Profitrate eine Tendenz zum Steigen.

5.

Durch den Warencharakter des Bodens steht der Wohnungsbau bzw. die Vermietung auf dem Markt in Konkurrenz zu anderen profitablen Nutzungen, etwa dem Bau von Büros, Geschäftslokalen, Betrieben und sonstigen Einrichtungen. Danach richtet sich auch der Preis bzw. die Miete.

6.

Ab den Mieterschutzverordnungen 1917, die aufgrund von drohenden Mieterrevolten während des 1. Weltkrieges erlassen wurden, wurde der Wohnungsmarkt in Österreich durch das Mietengesetz (ab 1922) mehr oder weniger restriktiv geregelt. Auf der anderen Seite stellte die öffentliche Hand (Gemeinden) billigen Wohnraum durch den sozialen Wohnbau zur Verfügung. Für das private Kapital war es dadurch wenig lukrativ, in den Wohnungsbau zu investieren.

7.

Trotz der Aufhebung der Mietzinsobergrenzen (Friedenskronenzins) durch die ÖVP-Alleinregierung ab Jänner 1968 kam es zu keinem drastischen Anstieg der Wohnungspreise in Österreich. Erst Mitte der 80er Jahre wurde der Immobiliensektor für die Anleger interessant. Vorangegangen sind weitere Lockerungen der Mietengesetzgebung (1982 Einführung des MRG, 1986 Freigabe der Kategorie A).

8.

Ein Boom von Hausverkäufen und damit der Wechsel von Althausbesitzern zu Verwertungsgesellschaften hob die Bodenpreise derart an, daß auch die Mieten, verbunden mit einer meist billigen Sanierung der Wohnungen, rasant anstiegen. Die Ostöffnung, der vermehrte Zuzug von Ausländern (Krieg in Jugoslawien), die Expo-Diskussion, die EU-Integration und die Aufwertung innerstädtischer Gebiete durch Stadterneuerung, U-Bahnbau und städtische Umstrukturierung (Wohnraum in Büros und Geschäftsflächen) halfen diesen Prozeß zu beschleunigen.

9.

Im Eilzugstempo wurde einer der letzten noch geschützten Bereiche der Wirtschaft der Vermarktung in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Logik des Kapitalismus zugeführt, die Preise und Mieten dem internationalen Niveau angepaßt. Die Politik stand dieser Entwicklung hilflos gegenüber (vgl. Verstaatlichte Industrie).

10.

Ab dem Beginn der 90er Jahre war es erstmals seit der Gründerzeit für das private Kapital in größerem Ausmaß interessant, Wohnungen ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu errichten und auch zu verkaufen oder zu vermieten. Das Mietenniveau vor allem im Althausbereich, aber auch abgeschwächt bei den Gemeinnützigen (Bodenpreise, Baukosten, Kreditkosten) hat sich dem Markt angeglichen.

11.

Lösungsmöglichkeiten: Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise. Aufhebung von Stadt und Land, Verteilung des ohnehin genügend vorhandenen Wohnraums.