Heft 6-7/2004
Oktober
2004

Zuschauen beim Massenmorden

Seit Beginn dieses Jahres hat sich der Krieg im Westen des Sudan zu einer systematischen Vertreibung und Ermordung der lokalen Bevölkerung ausgeweitet. Die internationale Öffentlichkeit beschränkt sich dabei bisher auf substanzlose Ankündigungspolitik während die Linke schweigt oder bereits vor möglichen Interventionen warnt.

In der westsudanesischen Region Darfur findet für Jan Egeland, den UN-Nothilfekoordinator für den Sudan das schlimmste humanitäre Drama der Welt statt. Bereits am 23. April erklärte er, dieses spiele sich weder im Irak noch in den palästinensischen Territorien, sondern in Darfur ab.

Tatsächlich hat sich in Darfur, wo seit einigen Monaten neben der Sudan Liberation Army/Movement (SLA/M) mit dem Sudan Justice and Equality Movement (JEM) noch eine zweite Guerillabewegung aktiv ist, die Lage seit Anfang 2004 dramatisch zugespitzt. Insbesondere die bäuerliche Bevölkerung der Fur und der Zaghawah wurde seit Herbst 2003 Opfer systematischer Vertreibungen und Massaker. Ganze Dörfer werden von regierungsnahen arabischen Janjawid-Milizen ausgelöscht. Im September wurden sogar erstmals Berichte veröffentlicht, die vom Einsatz chemischer Waffen durch syrische Sondereinheiten sprachen. Die Tageszeitung Die Welt berichtete mit Berufung auf nicht näher genannte westliche Geheimdienste, dass syrische Offiziere im Mai in einem Vorort von Khartum mit Vertretern der sudanesischen Armee zusammengetroffen wären, um über die Ausweitung einer militärischen Zusammenarbeit zu beraten. Die syrische Delegation habe dem Sudan eine engere Kooperation auf dem Gebiet der chemischen Kriegsführung angeboten.

Als Folge dieser Beratungen sollen chemische Kampfstoffe an Zivilisten in Darfur getestet worden sein. Bereits Anfang August hatten sudanesische Augenzeugen in einem Artikel der arabischen Webseite Ilaf von sonderbaren Vorgängen in Khartums Al-Fashr-Hospital berichtet. Im Juni wären eine Reihe eingefrorener Leichen ins Krankenhaus gebracht worden, die am ganzen Körper Verletzungen aufwiesen, wie sie nach dem Einsatz chemischen Waffen auftreten. Insgesamt sind seit Anfang 2004 fast eine Million Menschen auf der Flucht, hunderttausende haben im Nachbarstaat Tschad eine prekäre Zuflucht gefunden, wo sie völlig von internationaler Hilfe abhängig sind. Dabei droht vielen von ihnen auch noch im Tschad der Tod. „Viele Flüchtlinge finden an den Orten wo sie Schutz gesucht haben zu wenig Trinkwasser. Die nächsten Wasserstellen sind oft viele Kilometer entfernt und bei 45 Grad Tagestemperatur für die Flüchtlinge zu Fuß unerreichbar“, berichtete Christine Decker von der österreichischen Caritas, als sie Mitte Mai aus dem Kriegsgebiet nach Europa zurückkehrte.

Das bis 1916 selbstständige Sultanat Darfur blieb innerhalb des Sudan stets eine marginalisierte Region. Seine etwas mehr als 7 Millionen Einwohner setzen sich neben den namensgebenden Fur aus einer Fülle anderer Bevölkerungsgruppen wie den Masalit, Zaghawah, Bornu, Tama, Salamat, Meidob oder Birged zusammen. Neben diesen zwar islamisierten, aber nicht arabisierten Bevölkerungsgruppen, die überwiegend als sesshafte Bauern am klimatisch begünstigten Bergland des Gebel Marra leben, nutzen nördlich davon arabische Nomaden, die meist unter dem Sammelbegriff Baggara zusammengefasst werden, die Weidegründe der Trockensavanne am Südrand der Sahara. In diesem ökologisch sensiblen Raum führten bereits seit Mitte der Neunzigerjahre geringe Klimaveränderungen zu einem dramatischen Vordringen der Wüste. Was in Europa als marginale Klimaschwankung erscheint, wirkt sich am Südrand der Sahara als Katastrophe aus. Jährlich versiegen am Ende der Trockenzeit neue Wasserstellen. Die Wüste rückt unaufhaltsam vor. Der Kampf um Wasserstellen wird so zur Überlebensfrage. Bei Auseinandersetzungen um die immer weniger werdenden Wasserstellen kamen bereits in den Neunzigerjahren immer wieder dutzende Menschen ums Leben. Meist zogen dabei die nichtarabischen Bodenbauern den Kürzeren. Schließlich hatte bereits die demokratisch gewählte Regierung Sadiq al-Mahdis in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre die arabischen Stämme mit Waffen versorgt um sich damit in den entlegenen und ökonomisch vernachlässigten Randgebieten regierungstreue Milizen zu sichern, die gegebenenfalls gegen die südsudanesische Guerilla SPLA einsetzbar wären. Diese Politik wurde nach dem islamistischen Militärputsch vom Juni 1989 noch verstärkt fortgesetzt.

Das islamistische Regime unter Umar al-Bashir, das in den ersten Jahren seiner Herrschaft unter massivem Einfluss des später in Ungnade gefallenen islamistischen Chefideologen Hassan al-Turabi stand, verschärfte mit seiner Islamisierungs- und Arabisierungspolitik nicht nur den militärischen Dauerkonflikt im Südsudan, sondern sorgte auch für zunehmenden Unmut an der westlichen, östlichen und nördlichen Peripherie des Landes. Neben Darfur im Westen, ist auch unter den Beja im Osten des Landes eine Guerilla aktiv. Im Norden, bei der nubischen Minderheit, herrscht große Unzufriedenheit über die Pläne zum Bau eines weitern Nilstaudammes, der auch die meisten der noch nicht vom Nasser-Stausee überfluteten Gebiete der NubierInnen unter Wasser setzen würde. Vor allem wurde die Peripherie des Landes jedoch ökonomisch vernachlässigt. Während das Regime mit einem islamisch gefärbten Neoliberalismus zum Musterschüler des Internationalen Währungsfonds wurde und sich viele AnhängerInnen des Regimes mit Hilfe der islamischen Banken und der raschen Privatisierung der Staatsbetriebe bereichern konnten, verarmte die Bevölkerung in den Randgebieten so weit, dass Mangelernährung, fehlende medizinische Versorgung und Schulbildung mittlerweile zum Normalzustand zählen. Der IWF honorierte hingegen die makroökonomischen Erfolge des Regimes bereits 1995 mit der Aufhebung des Status als „unkooperativ“. Ende der Neunzigerjahre konnte der Sudan erstmals seit über einem Jahrzehnt fristgerecht und aus eigener Kraft die vereinbarten Zahlungen an den IWF begleichen. Dabei profitierten auch europäische Firmen wie der österreichische Mineralölkonzern OMV von der wirtschaftlichen Liberalisierung und den neu gefundenen Erdölressourcen in Südkordofan und in der südsudanesischen Provinz Upper Nile. Fritz Edlinger, als Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB) – die laut der irakischen Tageszeitung al-Mada zu den EmpfängerInnen von Saddam Husseins Ölgutscheinen gehört – einer der wichtigsten österreichischen LobbyistInnen in der der arabischen Welt, reiste in diesem Sinne im Juni 2001 mit einer Delegation seiner GÖAB sogar in den Sudan, um, wie er im GÖAB-Bulletin schrieb, „an den Feierlichkeiten anlässlich des zwölften Jahrestags des Amtsantrittes von Präsident Omar Hasan Al Bashirs“, also dessen Militärputsch, teilzunehmen.

Ähnlich wie der sozialdemokratische Lobbyist sehen auch manche Linke aus Deutschland den Konflikt im Sudan. So entdeckte selbst Jürgen Elsässer seine Liebe zur konservativen FAZ wenn diese nur schreibt, was der Ex-Antideutsche lesen will. „In der Provinz Darfur begannen afrikanische Stämme im März 2003 einen Aufstand, und zwar ‚just zu dem Zeitpunkt, als die Friedensverhandlungen zwischen Khartoum und dem Süden ins Stocken geraten waren’. Durch die Eröffnung dieser zweiten Front wollten die Südrebellen die Regierung ‚zu schnellen Konzessionen ... bewegen’,“ konnte Herr Elsässer „der FAZ entnehmen“ und wollte dies am 29. Mai gleich den LeserInnen seines neuen Hauptpublikationsorgans, der Jungen Welt, mitteilen. Die Berichte über die katastrophale humanitäre Situation in Darfur werden für Elsässer zu „unüberprüfbaren Meldungen der Interventionshysterie“.

Der einfachen Logik des ehemaligen konkret-Autors, der mittlerweile seine Elaborate lieber für die notorischen IsraelhasserInnen der Jungen Welt verfasst, entspricht die Wahrnehmung, dass eine Regierung, die nur gegen „den Westen“ auftrete, so schlimm nicht sein kann.

Aber eine ähnliche Wahrnehmung des Konfliktes unter anderen Vorzeichen, die in „den Arabern“ das Problem sieht, geht jedoch ebenso am Kern des Problems vorbei.

„Die Araber“ gibt es auch im Sudan nicht als politisch einheitliches Subjekt. Vielmehr findet das islamistische Militärregime auch unter der arabischen Bevölkerung des Landes keine ausreichende Unterstützung und muss so auf den üblichen Repressionsapparat eines Militärregimes zurückgreifen. Die traditionellen Parteien des Nordsudans, von den traditionell religiösen Parteien DUP und Umma bis zur Kommunistischen Partei hatten sich bereits in den ersten Tagen nach dem Militärputsch vom Juni 1989 gemeinsam mit den Gewerkschaften in der Nationalen Demokratischen Allianz (NDA) zusammengefunden, die seither als Zusammenschluss der sudanesischen Opposition fungiert. Durch die Erweiterung dieser Oppositionsallianz um die südsudanesische SPLA konnte die NDA bis zum Ausscheiden der Umma-Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Sadiq al-Mahdis tatsächlich für sich beanspruchen, einen umfassenden Querschnitt der sudanesischen Opposition unabhängig von ihrer regionalen oder „ethnischen“ Herkunft zu repräsentieren.

So wenig es sich um einen Konflikt „der Araber“ mit dem Rest der Bevölkerung handelt, so wenig spielt sich im Sudan ein Religionskrieg ab. Zwar nützt die islamistische Militärregierung den Islam, um ihre Kriegsverbrechen mit einer islamischen Rhetorik zu beschönigen und all dies als „Gihad“ zu verkaufen, allerdings sind es gerade im jüngsten Konflikt in Darfur auch Muslime die unter dem Krieg und den „ethnischen Säuberungen“ der Regierung zu leiden haben. Die Bauernbevölkerungen Darfurs sind ebenso seit Jahrhunderten islamisiert wie die Beja im Ostsudan oder die NubierInnen im Norden. Dieser Krieg ist der Krieg einer islamistischen Militärdiktatur, die es geschickt versteht, arabisierte NomadInnen, die selbst unter den ökologischen Verwüstungen leiden, für ihre Zwecke einzuspannen, aber kein Krieg „der Araber“ oder „des Islam“.

Auch wenn für die aktuelle Eskalation in Darfur die Verantwortung primär beim islamistischen Militärregime liegt, so blicken die zahlreichen Regionalkonflikte des Sudan doch auf eine weit längere Geschichte zurück. Letztlich geht die ökonomische und politische Spaltung des Sudan bis auf die anglo-ägyptische Kolonialherrschaft im Sudan zurück, die lediglich für eine wirtschaftliche Entwicklung der Zentren im Nordsudan, und über das System der „indirect rule“ für eine (Re-)Tribalisierung des Sudan sorgte. Wo keine „Stämme“ nach der Vorstellung der Briten existierten, wurden einfach Stammesstrukturen erfunden. Der Südsudan wurde unter christlichen Missionsgesellschaften aufgeteilt. NordsudanesInnen durften den Süden nur mit Sondergenehmigungen betreten. Bis zu Beginn der Fünfzigerjahre befürworteten Teile der Kolonialmacht die Errichtung zweier Staaten auf dem Territorium des heutigen Sudan und forcierten die Anglisierung des Südsudans. Als klar wurde, dass der Sudan 1956 als ökonomisch, kulturell und politisch gespaltenes Land gemeinsam in die Unabhängigkeit gehen würde, begannen im Süden schon einige Monate vor der Unabhängigkeit Kampfhandlungen.

Damit wurde ein Bürgerkrieg losgetreten, der erst 1972 mit einem Autonomieabkommen für den Südsudan endete. Das Autonomieabkommen, das von Militärdiktator Numairi mit den Rebellen abgeschlossen worden war, litt jedoch von Anfang an einerseits am Mangel an Demokratie auf nationalstaatlicher Ebene, andererseits an den teilweise ethnisierten Rivalitäten südsudanesischer politischer Akteure. Diese Rivalitäten wurden vom Regime genutzt um 1983 das Autonomiegebiet in drei Teile aufzuteilen und damit zugleich die Autonomie des Südens zu schwächen. Diese Schwächung der Autonomie und die Einführung der „Septembergesetze“, die den Sudan in einen „islamischen Staat“ bzw. das was Numairi darunter verstand, verwandeln sollten, führten noch im selben Jahr zum Wiederaufflackern der Kampfhandlungen. Mit der ethnisch-tribalen Anya Nya II und der ursprünglich marxistisch orientierten SPLA traten zwei neue Guerillabewegungen auf den Plan. Letztere, die über eine weit größere Basis und mehr KämpferInnen verfügte, war bis heute, trotz mehrerer Spaltungen, der wichtigste politische und militärische Akteur im südsudanesischen Bürgerkrieg.

Dabei gelang es dem Regime trotz massiver militärischer Anstrengungen und der Ausrufung eines „Gihad“ gegen die Ungläubigen nicht, den Krieg im Südsudan für sich zu entscheiden. Der seit Dezember 2003 bestehende Waffenstillstand und der am 26. Mai abgeschlossene Friedensvertrag zwischen Regierung und SPLA ist letztlich ein Resultat des Drucks der US-Regierung und der internationalen Organisationen, sowie der Unmöglichkeit den Krieg zu gewinnen und damit die ungestörte Ausbeutung des vor einigen Jahren im Kriegsgebiet gefundenen Öls sicherzustellen. Bisher konzentrierte sich der Friedensprozess jedoch primär auf die Aufteilung von Ressourcen und Einflusssphären zwischen der Regierung und der Führung der SPLA unter John Garang. Von einer umfassenden Demokratisierung des Landes, die auch die traditionellen Oppositionsparteien im Kernland des Sudan einbinden müsste, ist wenig zu sehen. Die anderen Guerillaorganisationen waren nie in die Verhandlungen eingebunden. Das Regime nützte den Waffenstillstand im Süden vielmehr um seine geballte Militärmacht in den Westen des Sudans zu verlegen und in Darfur den Krieg zu intensivieren.

Für österreichische und deutsche Linke ist der Sudan jedoch weiter kein Thema. Mit Ausnahme der Wochenzeitung Jungle World und der entwicklungspolitischen Zeitschrift iz3w schweigt der linksdeutsche Blätterwald. Die Zeitschrift konkret weigerte sich sogar kommentarlos einen bei mir bestellten Sudan-Artikel abzudrucken. Bei den verbleibenden linken Zeitschriften in Österreich sieht die Situation noch düsterer aus. Mit Ausnahme dieser Zeitschrift bleibt die Berichterstattung über die Massaker in Darfur der bürgerlichen Tagespresse vorbehalten. Schließlich sind damit keine Pluspunkte im Kampf gegen Israel oder die USA zu gewinnen.

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