Streifzüge, Heft 32
Oktober
2004

Wissen contra Verwertung

Auf dem Weg zum Wissenskommunismus?

André Gorz ist ein sehr kurzweilig zu lesender Autor. So auch in seinem neuesten Büchlein, das, abgesehen vom IV. Kapitel (welches ein leidenschaftliches Plädoyer gegen Entsinnlichung, Gentechnologie und Menschenzucht ist) wohl als Zusammenfassung, aber auch Modifizierung schon bisher entwickelter und vorgetragener Thesen angesehen werden muss. Sein Denken und Schreiben zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sich was traut und dass er was vorschlägt. Ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als der analytische Aspekt, ist für Gorz stets die handlungsorientierte Komponente gewesen.

Mit seinem paradigmatischen Essay „Abschied vom Proletariat“ (1979) war er der erste, der die Verherrlichung von Arbeiterklasse und Arbeit konsequent in Frage stellte. Und er ist auch nie Renegat geworden, obwohl nicht wenige seinen Weg kreuzten. Auch heute versteht sich der 1923 in Wien als Sohn eines jüdischen Holzhändlers geborene Gorz als Kommunist, strebt eine Gesellschaft jenseits von Ware, Wert und Tausch an. Er steht wider jeden Pragmatismus, der sich dem Schicksal ergibt. Er ist ein ausgezeichneter Marx-Kenner und aufmerksamer Leser diversen Schriftguts, wenngleich manchmal etwas eklektizistisch in der Auswahl der Zitierten.

Des öfteren wird man den Eindruck nicht los, als käme der Kommunismus hinterrücks und unzweifelhaft. Was die klassische Kritische Theorie an Pessimismus pflegte, pflegt Gorz an Optimismus. Was ihn vorantrieb, war eine Art optimistischer Überschuss, ganz programmatisch hieß eines seiner Bücher „Wege ins Paradies“ (1984). Gorz war immer Medizin gegen die Verbitterung, den Zynismus und die Illusionslosigkeit der Linken, allerdings kann eingewendet werden, dass er gelegentlich etwas voreilig Rezepte (z. B. die „Dualwirtschaft“) präsentierte.

Wer sich mutig vorwagt, läuft ab und zu in die Irre. André Gorz weiß das, er ist ein selbstkritischer, kein eingebildeter Intellektueller. Jedenfalls gibt er sich keinen partiellen Lösungen hin, es geht ihm um das Nachdenken über die gesellschaftlichen Zusammenhänge, über Totalität und Entwicklung, über Perspektive und Ziel. Das unterscheidet ihn wohltuend von vielen Zeitgenossen, auch oder gerade weil es heute antiquiert wirkt. André Gorz ist zweifellos ein Übriggebliebener. Im Gegensatz zu anderen dürfte von ihm etwas übrig bleiben.

Kapitalismus am Ende?

Eine seiner grundlegenden Überlegungen ist die, dass Wissen zur Hauptproduktivkraft der Gesellschaft geworden ist. Dieses „kann im Unterschied zur allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit nicht in einfache, abstrakte Einheiten übersetzt und nach solchen bemessen werden. Es ist nicht auf eine Quantität abstrakter Arbeit reduzierbar, deren Ergebnis, Produkt oder Äquivalent es wäre. Es umfasst und bezeichnet eine große Vielfalt von verschiedenartigen Fähigkeiten, also von Fähigkeiten ohne gemeinsamen Maßstab.“ (S. 31)

Wissen und Wert gehen nicht so leicht zusammen. Wissen sperrt sich gegen die Verwertung, es muss zwangsweise in das Korsett von Wert und Preis gepresst werden: „Wissen eignet sich grundsätzlich nicht dazu, als Ware behandelt zu werden. Seine Gestehungskosten sind oft unbestimmbar, sein Warenwert lässt sich nicht mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit messen, die für seine Schöpfung verausgabt wurde. Niemand kann bestimmen, wo die erfinderische Wissensarbeit im gesellschaftlichen Zusammenhang anfängt und wo sie aufhört.“ (S. 11) „Da die Grenzkosten der Software äußerst gering sind, kann sie sehr viel mehr Arbeit einsparen, als sie kostet, und das in gigantischen, noch vor kurzem unvorstellbaren Ausmaßen. Das bedeutet, dass das formale Wissen unermesslich viel mehr , Wert‘ zerstört, als es zu schöpfen erlaubt. Anders gesagt, es erspart Unmengen von bezahlter gesellschaftlicher Arbeit und verkleinert folglich den (monetären) Tauschwert einer wachsenden Anzahl von Produkten und Dienstleistungen.“ (S. 41) Kapital, das Lohnarbeit abschaffen will, entzieht sich letztlich die eigene Basis.

Solche Positionen sind vom wertkritischen Gedankengut nicht weit entfernt, etwa wenn der Autor schreibt: „Tendenziell geht der (Tausch)Wert der Produkte zurück. Früher oder später muss es zu einer Senkung des (Geld)Wertes des insgesamt produzierten Reichtums sowie zu einer Schrumpfung des Profitvolumens kommen – unter Umständen zu einem Zusammenbruch der auf dem Tauschwert basierenden Produktion.“ (S. 41) Die zentrale Frage ist laut Gorz nämlich unbeantwortet: „Wie kann die Warengesellschaft weiterbestehen, wenn die Produktion von Waren immer weniger Arbeit verwertet und immer weniger Zahlungsmittel in Umlauf setzt?“ (S. 48)

Die Paradoxie des aktuellen Kapitalismus beschreibt Gorz so: „Immer gilt es ,drohenden‘ Überfluss in neue Formen der Knappheit zu verwandeln und zu diesem Zweck den Waren den unvergleichlichen, unmessbaren Eigenwert von Kunstwerken zu verleihen, die kein Äquivalent haben und zu überhöhten Preisen angeboten werden können. Die künstliche Schöpfung von Knappheit wird der Schöpfung des größtmöglichen allgemeinen Wohlstands vorgezogen. Sie erlaubt die beste Kapitalverwertung. Wertschöpfung und Reichtumsschöpfung klaffen immer offensichtlicher auseinander“ (S. 11-12). Folgerichtig fordert er die Entkoppelung des „Reichtumsbegriff(s) vom Warenwertbegriff“. (ebenda)

Seine Perspektive ist klar: „Alles formalisierbare Wissen kann von seinen stofflichen und menschlichen Trägern abgetrennt, als Software praktisch kostenlos vervielfältigt werden und in Universalmaschinen unbeschränkt genützt werden. Je weiter es sich verbreitet, umso größer sein gesellschaftlicher Nutzen. Sein Warenwert hingegen schwindet mit seiner Verbreitung und tendiert gegen Null: Er wird zu allgemein zugänglichem Gemeingut. Eine authentische Wissensökonomie wäre ein Wissenskommunismus, in dem sich Tausch- und Geldbeziehungen erübrigen.“ (S. 10-11) So das Ziel. Und doch ist es zweifelhaft, die Bewegung der „freien Software“ gleich als „Dissidenten des digitalen Kapitalismus“ (S. 12) zu bezeichnen oder gar euphorisch zu behaupten: „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, in der verschiedene Produktionsweisen gleichzeitig existieren.“ (S. 15) Viel Umbruch lässt sich beim Zusammenbruch leider nicht bemerken. Zweiterer ist nicht ersterer, jener ergibt sich nicht aus diesem.

Existenzgeld für alle?

Als aktuelles Etappenziel fordert er nach wie vor einen Basislohn, der allen Mitgliedern der Gesellschaft zukommen soll. Die Durchsetzung eines bedingungslos garantierten Existenzgeldes sieht Gorz jedenfalls als direkte „Attacke auf das Wertgesetz“ (S. 79). Die Variante, die er nunmehr vertritt, ist eine, die sich unabhängig von „Transferleistungen durch die Besteuerung von Löhnen und Mehrwert“ (S. 80) finanziert. Wie jedoch soll eine Parallelität unterschiedlicher Geldsorten, einer wertmäßigen und einer wertlosen, als gleichgesetzte Zahlungsmittel funktionieren? Wie sollen sie am Markt als Gleiches gelten? Zwar sieht keiner einem Geldschein an, ob er erarbeitet oder bloß gedruckt und verteilt wurde, aber doch herrscht eine gesellschaftliche Übereinkunft der Subjekte dahingehend, dass der Schein einen bestimmten Wert habe, für ein bestimmtes Maß an abstrakt verausgabter Arbeit stehe. Ein Nebeneinander von Geld und reinem Zählgeld ist fragwürdig.

Gorz hingegen schreibt: „Kurz, das garantierte Einkommen soll alle Aktivitäten jenseits des Marktes, der Konkurrenz und der Normen ermöglichen, alle Aktivitäten, die sich nicht tauschen lassen und nichts darstellen und produzieren, was gegen anderes austauschbar, messbar und in Geldäquivalente übersetzbar ist.“ (S. 84) Aber Geld kauft Ware, sonst nichts. Das garantierte Grundeinkommen hilft jenen, die dem Geldfetisch nicht mehr dienen können, ihn weiterhin zu bedienen. Geld, das die Leute nicht mehr zu erwirtschaften imstande sind, soll ihnen trotzdem zugesprochen werden, damit sie es am Markt verausgaben können. Das mag notwendig sein, ist aber eine defensive und keine offensive Maßnahme. Das garantierte Grundeinkommen macht nur Sinn, wenn die Aneignung der Güter und Dienstleistungen sich weiterhin als monetärer Warentausch (Kauf/Verkauf) gestaltet.

Zwar soll im Gorzschen Modell das Geld von seiner letzten Quelle, der produktiven Arbeit, entkoppelt werden, aber nach wie vor soll es als Zirkulationsmittel des gesellschaftlichen Zusammenhangs fungieren, d. h. die gesellschaftliche Retorte der Distribution und Konsumtion in Schwung halten. Warum aber sollte der mögliche Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (auch sie bleiben in diesem Szenario Waren) über den Kauf gestaltet werden, und nicht gleich direkt? Wenn Geld keine Größe des Wertmaßes mehr ist, wozu ist es dann noch „gut“? Und kann Geld in letzter Instanz überhaupt etwas anderes sein als jenes? Ist es wirklich vorstellbar, dass Geld erkämpft werden kann, das einen vom Markt freikauft, oder doch nur solches, das einem ein Armenbrot zusichert?

So ganz will uns der emanzipatorische Gehalt des Zwischenschritts nicht einleuchten, nicht zuletzt auch deswegen, weil ihn die meisten Verfechter eines Grundeinkommens nicht gleich Gorz als solchen sehen, sondern überhaupt als das Patentrezept ökonomischer Regulierung. Nicht nur das Einkommen ist von der Arbeit zu entkoppeln, sondern das individuelle Auskommen vom Einkommen.

André Gorz, Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie, Rotpunktverlag, Zürich 2004, 133 Seiten, 15,50 Euro.

Empfehlenswerte Bücher von André Gorz (Auswahl), teilweise noch im Handel erhältlich oder ev. antiquarisch, z. B. www.zvab.com

  • Abschied vom Proletariat. Jenseits des Sozialismus, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1980.
  • Wege ins Paradies. Thesen zur Krise, Automation und Zukunft der Arbeit, Rotbuch Verlag, Berlin 1983.
  • Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft, Rotbuch Verlag, Berlin 1994.
  • Arbeit zwischen Misere und Utopie, Suhrkamp. Edition Zweite Moderne, Frankfurt am Main 1997.
  • Zur Kritik an André Gorz siehe: Heinz Weinhausen, Sphärenklänge. Zum Teilzeitsozialismus des André Gorz, krisis 18 (1996), S. 133-142.
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