Heft 3-4/2005
Juni
2005

Wer hat die geladene Pistole auf dem Tisch gelassen?

Der Philosoph Víctor Farías über die chilenische Linke

Der Chilene Víctor Farías, Professor am Lateinamerika-Institut der FU-Berlin, sorgte in den letzten Jahrzehnten mit seinen Publikationen immer wieder für Furore, sei es durch sein Werk „Heidegger und der Nationalsozialismus“, seine sechs-bändige Dokumentation über die chilenische Linke, die beiden Bände über „Die Nazis in Chile“ und nicht zuletzt durch sein jüngst erschienenes und heftig diskutiertes Buch über Salvador Allende und dessen eugenische und rassistischen Ansichten.
Mit ihm sprach Mary Kreutzer.

Dr. Farías, könnten Sie zu Beginn kurz die Entstehungsgeschichte Ihres neuen Buches skizzieren? Wann und warum kamen Sie auf die Idee, Allendes Dissertation unter die Lupe zu nehmen?

Ich kam in den 60er Jahren als Philosoph nach Freiburg und studierte bei Martin Heidegger. Später realisierte ich, dass ein Verständnis Heideggers ohne Kenntnis der faschistischen Ideologie nicht möglich war. So entstand nach vielen Jahren Arbeit „Heidegger und der Nationalsozialismus“, welches zunächst international eine Welle der Diskussion verursachte. Heutzutage gehören 90 Prozent meiner damaligen „Verrücktheiten“ zum wissenschaftlichen Jargon, man braucht mich nicht einmal mehr zu zitieren. Als ich an diesem Werk arbeitete, merkte ich, dass ich als Philosoph nicht die wissenschaftlichen Elemente besaß, um sowohl die historischen als auch politischen Theorien und Ideologien mit dem philosophischen Diskurs zu verbinden. Ich musste einen weiteren Beruf erlernen und wurde „Halb-Historiker“. Mein Sohn, er ist Professor für mittelalterliche Frühgeschichte an der Universität in Barcelona, half mir bei der Aneignung des Knowhow für die archivarischen Recherche. Ich durchkämmte etliche historische Archive, in der BRD, der DDR, und vor allem in Österreich, wo ich Unterlagen über Abraham a Sancta Clara und den Klerikalfaschismus suchte. Ständig stolperte ich am Rande über den Namen meines Landes, Chile. Ich notierte mir diese Begegnungen auf kleinen Zettelchen und legte einen eigenen Ordner an. Als mein Buch über Heidegger fertig war, systematisierte ich den besagten Ordner und mir wurde bewusst, wie eng und umfassend die Beziehungen zwischen der chilenischen Gesellschaft und dem Nazifaschismus waren. Daraus entstanden viele Jahre später die beiden Bände über „Die Nazis in Chile“. Dort finden Sie auch Fakten zu einem weiteren dunklen Kapitel der chilenischen Linken. Simon Wiesenthal bat mich 1990, jene beiden Briefe zu finden, die er Allende während dessen Präsidentschaft 1970 und 1972 schrieb und in denen er den sozialistischen Staatschef ersuchte, den SS-Standartenführer und 100.000-fachen Mörder Walther Rauff, der in Chile als reicher Mann lebte (er wurde nicht enteignet), nach Israel auszuliefern. Doch Allende berief sich auf die chilenische Verfassung und die „Verjährung von Mord“ und weigerte sich. Ich verschaffte mir Zugang zur gesamten linken Presse von 1963, als Wiesenthal seinen ersten Auslieferungsantrag von Rauff stellte. Rauff, die Nazi-Bestie, das Monster, ...! Sofort erschießen! Hängen! Ab in die DDR oder in die Sowjetunion! schrieen die Kommunisten. Als die Linke an der Macht war — die Kommunisten etwa hielten wichtige Positionen im Justizministerium — wollte sie von all dem nichts mehr wissen. Mehr noch: in ihren Reihen fand der Verteidiger von Rauff, Enrique Schepeler, eine neue Heimat.

Bevor Sie nach dem Putsch Pinochets das Land verlassen mussten, waren Sie aktives Mitglied der linksradikalen MAPU. Wie wurde innerhalb ihrer Partei mit der Tatsache umgegangen, dass ein Nazi-Verbrecher ungestört und unenteignet in Chile lebte?

Rauff war inzwischen gemeinsam mit seinen Söhnen, die bis heute in Chile leben, Millionär geworden und pflegte beste Beziehungen mit sämtlichen Faschisten und ehemaligen SS-Angehörigen in Lateinamerika. Übrigens auch die Colonia Dignidad — diese konnte unter Allende sogar expandieren. Sie waren von einer kleinen Gruppe von verrückten Rassisten zu einer Transnationalen geworden. Heute spricht man nur noch von Pinochet und der DINA in diesem Zusammenhang, die natürlich Verbrecher sind, aber: wer hat die geladene Pistole auf dem Tisch gelassen? Damals war ich der einzige, der einen Prozess einleiten wollte, welcher mit einem Kommando enden sollte um Rauff nach Israel abzutransportieren. Wiesenthal hatte das Flugzeug bereits startbereit in Mendoza — er wusste nichts von meiner Person und ich nichts von ihm — doch der Plan scheiterte an gewissen infiltrierten Deutschen innerhalb meiner Partei. Ich bekam einen Prozess an den Hals, man warf mir „Amiguismo“, also Freundwirtschaft, vor. Ich hatte auch gemeinsam mit einer Frauen- und Bauernorganisation Landbesetzungen auf Ländereien der Colonia Dignidad organisiert und kam damit gewissen Interessen in die Quere. Damals lehrte ich an der Universität, mein „Richter“ wurde einer meiner Studenten und wir unterbrachen die „Verhandlungen“ wenn die Vorlesung begann. Dieses Theater nahm mit dem Putsch ein jähes Ende ...

Ihr Buch über die Dissertation Salvador Allendes sorgt in Lateinamerika und Europa für großen Wirbel und Missmut, nicht nur seitens der Allende-Stiftung, sondern auch seitens ihrer KollegInnenschaft, der Presse und der Solidaritäts-Bewegung.

Nein, das stimmt so nicht, ich bekam sowohl von linker als auch von rechter Seite Unterstützung. Von rechts wurde ich massiv unterstützt vom Spiegel, ich würde diese Zeitschrift als mitte-rechts einordnen, von der FAZ, der Welt, der Berliner Tageszeitung, usw. Von links bekam ich wunderbare Aufsätze, im Konkret und auch in der Jungle World — das sind die Gegner jener Stalinisten, die meinen Kopf gefordert haben, also die Ausweisung aus der Universität. Ich habe gelernt, innerhalb der Linken sorgfältig zu differenzieren!

Gab es außer den wütenden Abwehrreaktionen und der Denunziation von einigen linken Sekten, wie etwa rund um die nationalbolschewistische Zeitung Junge Welt, und außer dem erwähnten Lob auch fundierte Kritik von links an Ihnen?

Nein, das gab es nicht. In Chile herrscht über das Buch großes Schweigen unter den Leuten von Format, unter guten Historikern wie Alfredo Jocelyn-Holt, Ruiz, oder Maturana und auch Illanes, die zur Geschichte der Medizin forschen. Sie wollen das Thema lieber totschweigen. Nur die Abgeordnete Isabel Allende reagierte empört. Sie ist die Tochter von Allende — nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Autorin dieser Romanschinken, die Tochter von Tomás Allende, Salvadors Halbbruder. Tomás war einer der ganz großen Nazis in Chile, und hatte eine führende Position im MNS (Movimiento Nacional Socialista). Er erhielt übrigens einen Posten im diplomatischen Dienst als sein Bruder Minister wurde. Auch dieses Kapitel, die Verbindungen zwischen den beiden Brüdern muss noch geschrieben werden. Aber zurück zur Abgeordneten Isabel Allende. Sie fand nur einen so genannten Historiker, der sich zum Buch äußern wollte, Gonzalo Vial. Er sagte, dass die Enthüllungen über Allende keinerlei politische Bedeutung für die Interpretation der Geschichte Chiles hätten. Denn „damals waren alle so eingestellt ...“. Dazu fällt mir höchstens ein spanisches Sprichwort ein: Mal de muchos, consuelos de tontos. (Das Übel von vielen ist der Trost der Dummen). Vial hatte Präsident Allende schon einmal verteidigt, in Bezug auf seine Weigerung, Rauff auszuliefern. Nach dem Putsch von 1973 erschien Vial gemeinsam mit anderen Historikern im Fernsehen und präsentierte ein Dokument, den „Plan Z“. Darin enthalten war eine Liste von Offizieren und Generälen, die hingerichtet werden sollten und aus diesem Grund habe Pinochet den Putsch sogar vorverlegt. Jahre später sahen wir ihn nochmals im Fernsehen, als er zugab, dass dieses Dokument eine Fälschung war, um die Militärregierung zu legitimieren.

Dann bleiben wir gleich bei den Reaktionen von rechts. Im Verlag Ediciones Altera, in dem Ihr Buch erschien, publiziert auch Pío Moa, ein von links nach rechts gewanderter Historiker, der revisionistische Thesen in Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg vertritt und Ihr Buch in den Himmel lobt.

Ich würde Pío Moa anders beurteilen, wobei ich nur seine Dokumentensammlung zum Spanischen Bürgerkrieg kenne, die er nicht kommentiert, sondern Fakten präsentiert, die die PSOE, die spanischen Sozialisten, belasten und ihre Mitschuld an diversen Verbrechen nachweisen. Ich kenne nicht sein gesamtes Werk, jedoch das bis jetzt Gelesene erscheint mir seriös recherchiert. Er fordert, so wie ich das ebenfalls im Falle von Chile tue, die linke Verantwortung ein. Die Demokraten unter den Rechten sollen Pinochet für seine Gräueltaten zur Rechenschaft ziehen, aber wir, die Linken, müssen wie Goethe es so schön sagte, vor unserer eigenen Türe kehren. Viele meiner Genossen haben im Exil Selbstmord begangen. Sie mussten aus ihrem Land fliehen, weil sie von unverantwortlichen Revolutionären, oder Halbrevolutionären, ans Messer geliefert wurden, ohne dass ihnen Waffen für ihre Verteidigung ausgeliefert wurden. Wenn Moa die Verbrechen der Linken in Spanien auflistet, etwa die Ermordung von Anarchisten durch Kommunisten, dann muss er nicht über Franco schreiben. Oder nehmen wir das Beispiel von Pablo Neruda, über den mein Assistent David Schidlovsky dissertiert. Neruda hat alle Anarchisten von dem berühmten Schiff schmeißen lassen und nur Kommunisten aufgenommen, als er ihre Flucht vor den franquistischen Truppen von Frankreich nach Chile organisierte. Es gibt ein Telegramm von ihm, in dem er schreibt: „Nur unsere Leute sind auf dem Schiff. Wir bekommen 1.500 Dollar pro Kopf.“ Warum soll ich über Franco, Pinochet oder den Geheimdienst DINA sprechen? Wichtig ist doch die neue Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass solche Monster entstanden, also die Brecht’sche Fragestellung.

Ihr Buch wird weiters vom Klerikalfaschisten César Vidal gelobt. Er ist ein Verschwörungstheoretiker, der vor kurzem ein Buch über die Freimaurer publizierte. Diese stünden hinter der PSOE und hätten Zapatero den Wahlsieg verschafft! Er freut sich, dass endlich gezeigt wird, was für ein Monster Allende war und fühlt sich bestätigt in seiner Auffassung, dass der Putsch Schlimmeres verhindern konnte.

Ich kenne dieses Material nicht und würde mich freuen, wenn Sie es mir zuschicken. Aber ich habe noch viel Besseres auf Lager: Le Pen hat mich auch gelobt! Wenn einer einen Kugelschreiber erfindet, dann kann Gabriela Mistral ein wunderbares Gedicht damit schreiben oder ein Wahnsinniger sticht damit in die Augen eines Kindes. Muss der Erfinder dafür Rechenschaft ablegen? Das ist absurd. Als mein Buch über Heidegger erschien, das heute als antifaschistischer Klassiker gilt, erhielt ich einen aufgeregten Anruf vom Direktor des Goethe-Instituts in Santiago. Bei einer Veranstaltung mit über 500 Zuhörern wurde über mein Buch diskutiert, als sich plötzlich Miguel Serrano erhob und zu einer Rede ansetzte: „Ruhe! Ich muss nun hier sprechen, und zwar um als Nazi und als Chilene meine Ehrfurcht und meinen Stolz auszudrücken, dass ein Chilene endlich bewiesen hat, dass der größte Denker des 20. Jahrhunderts ein Volksgenosse von uns ist!“ Der Chef des Goethe-Instituts war außer sich und fragte mich, was um Gottes Willen er jetzt tun solle. Das ist eine deutsche Frage, nicht meine, ich bin Wissenschafter und sammle Dokumente, suche Fakten. Was damit gemacht wird, liegt außerhalb meiner Verantwortung. Norberto Ceresole, einer der schlimmsten Nazis in Argentinien und enger Vertrauter von Chávez, hat ein in diesem Sinne wunderbares Buch geschrieben, „Mein Freund Chávez“. Darin lobt er mich, weil ich endlich den großen Denker Heidegger heim zu den Nazis gebracht habe. Andererseits erhielt ich drei Anrufe von Stalinisten, die ihre Freude darüber ausdrückten, dass „dieser Revisionist, Reformist, falsche Marxist, Leninist, dieses Schwein ...“ bekomme, was er verdiene. „Adelante compañero!“ sagten sie zu mir, „mach weiter so!“ Soll man das noch kommentieren?

Trotzdem: wenn Sie diese Umgebung nicht schätzen — wieso publizieren Sie in einem Verlag, der den neurechten Alain de Benoist herausgibt, z.B. sein Buch „Comunismo y Nacismo“ (Kommunismus und Nationalsozialismus)?

Fakt ist, dass ich gar keinen Verlag gewählt habe. 14 der besten und größten spanischsprachigen Verlage ließen mich schriftlich wissen, dass das Manuskript wunderbar aber unveröffentlichbar sei. So half mir mein Freund Agapito Maestre einen kleinen Verlag in Chile zu finden, in dem das Buch zuerst gedruckt wurde. Übrigens sollte man Gabriel García Marquez fragen, wieso er mit dem Verlag von Berlusconi reich wird. Seine linken Freunde haben ihm das letzte Geld aus der Tasche gezogen und es für die Verbindungen zwischen Fidel Castro, der Guerilla und der Mafia von Pablo Escobar genutzt. Márquez hatte die Schnauze voll davon und will nun auch seine Brötchen verdienen, in der freien Marktwirtschaft. Er hat Krebs und muss seine Behandlung bezahlen können, seit damals arbeitet er mit dem Verlag Mondadori. Dieser hat übrigens ebenfalls Angst davor gehabt, mein Buch auf Spanisch in Chile zu veröffentlichen. Und so passierte mir dasselbe wie mit dem Buch über Heidegger: ich saß auf dem Manuskript, ohne Verlag, und meine Frau wettete, dass mein Buch nie veröffentlicht wird. Das Heidegger-Manuskript ging an sämtliche große Verlage in Deutschland: Rowohlt, Fischer, Suhrkamp, Beck — ich bekam die Pakete ungeöffnet zurück und sie lagen sechs Jahre lang im Keller. Meine Freunde Habermas und Tugendhaft hab ich in meinem Büro in den Telefonhörer schreiend erlebt, als sie versuchten, einen Verlag zu finden. Eine kleine Gruppe von Juden in der Nähe von Paris haben sich dann für mich eingesetzt, sie wollten unbedingt, dass das Buch veröffentlicht wird — innerhalb eines Tages war der Vertrag unter Dach und Fach. Dann kamen die Japaner und dann der Rest. Also, die Antwort auf Ihre Frage lautet: ich suche nicht, ich finde, wie Picasso sagt. Und noch was: wieso ist Herr Walser nach wie vor bei Suhrkamp? Wieso verlegt Rowohlt nach wie vor den italienischen Faschisten, den Heidegger- und Mussolini-Freund Ernesto Grassi?

Schabbesabend
In der rechtsextremen Despierta Chile ist ein Jubelartikel und ein Interview mit Ihnen abgedruckt. Auf dieser Internet-Seite werden ebenfalls Bücher empfohlen, die Pinochet verherrlichen, Artikel, die Paul Schäfer in Schutz nehmen. Dort wird der Faschisten bzw. der „Märtyrer des Terrorismus“ gedacht und gemeint sind hochrangige Militärs, die von der MIR ermordet wurden. In einem „Essay“ werden linke RegimegegnerInnen als „Ratten“ — so heißt auch der Essay — bezeichnet und die „Entrattifizierung von 1973“ erneut eingefordert!

Damit meinen sie auch mich, ich bin in deren Sinn also eine Ratte! Nein, ich gab diesen Leuten kein Interview, sie haben es von La Segunda aus Santiago übernommen. Dies geschah ohne meine Autorisierung und selbstverständlich hab ich dafür auch kein Geld bekommen. Jemand sagte vor kurzem zu mir: „Du hast dein T-Shirt gewechselt.“ Aber das habe ich nicht. Ich antwortete: „Es gibt kein Stadion mehr!“ Es geht nicht mehr um dieselbe Sache wie früher. Heute ist es unsere Aufgabe intellektuell etwas zu leisten, damit aus der Geschichte gelernt werden kann. Wir müssen nicht Kulturpolitik betreiben sondern zivilisatorische Fortschritte erringen. Wir müssen die Quellen studieren, damit die Linke sieht, was falsch gelaufen ist. Und genau das wird mir verweigert. Selbst hier am Institut wurde ich torpediert, 25 Jahre lang! Ich wurde beinahe rausgeschmissen als ich eine 6000 Seiten umfassende Dokumentation über die chilenische Linke zusammenstellte, „La Izquierda Chilena“. Damals hatte ich dasselbe Problem: sämtliche linke Kollegen stellten sich gegen das Projekt. Sie reisten sogar nach Spanien, um die Verlage „im Namen der Solidarität“ davon abzuhalten, die Dokumentensammlung zu publizieren. Zufällig traf ich in Berlin einen chilenischen Schriftsteller namens Arturo Fontaine, der diese Vorkommnisse kaum glauben konnte und mir spontan anbot, die Sammlung im „Centro de Asuntos Públicos“, einem Think Tank von Rechtsliberalen — natürlich sind das keine Faschisten — zu veröffentlichen. Meine Bedingung war, dass kein Wort und kein Beistrich verändert werden dürfe, denn die Dokumente enthalten u. a. vertrauliche Briefe unserer Genossen in Concepción, in Arica, usw., die detailreich die Ermordung von Menschen durch Pinochets Truppen beschreiben. Was die Linke unterdrücken wollte, wurde nun also von der Rechten publiziert. Und heute können die Studenten in Chile und in ganz Lateinamerika Dokumente jener Zeit lesen, zu denen sie sonst keinerlei Zugang gehabt hätten. Ein Journalist von El Mercurio, eine nicht gerade linke Zeitung, fragte mich ob ich nun ein linker oder rechter Historiker sei und ich antwortete ebenfalls mit einer Frage: „Wenn Sie zum Zahnarzt gehen, wählen sie einen fortschrittlichen, einen konservativen, oder doch lieber einen, der Zähne ziehen kann?“ Ich wähle nicht zwischen Optionen der Geschichtsbeurteilung, sondern verstehe mich als Archäologe, der Notgrabungen durchführt. Doch die Linke torpediert mich, wo sie nur kann. Ich bin unzählige Male mit dem Auto durch Spanien gefahren, jahrelang! Ich war x mal kurz davor das Buch zu publizieren und jedes Mal kam irgendeine „Delegation“, meist Linke aus Deutschland, spielten sich als Papas der Chilenen auf und sagten: Nein, das wird nicht veröffentlicht — und es wurde nicht veröffentlicht! Soll ich also sogar den Linken in Chile die Auseinandersetzung mit sich selbst, die eigene Wirklichkeit, verweigern, nur weil ein Benoist im selben Verlag publiziert? Übrigens, dieser Benoist bekommt bald einiges von mir zu hören, in meinem zweiten Band über Heidegger und die Neonazis. Mal sehen ob der Verlag Altera dann nicht was unternimmt. Wir Intellektuellen sind durch diese geopolitische Katastrophe der Linken endlich ungestört, denn die brauchen uns nicht mehr, außer für Propaganda und für’s Geschäftemachen wie diese beiden Katalanen der Allende-Stiftung, Garcés und Pey.

Ihre Recherchen über Heidegger, die Geschichte der Linken in Lateinamerika, deren Antisemitismus, Rassismus, gar Zusammenarbeit mit Nazis, usw. leisten einen wertvollen Beitrag in der historischen und philosophischen Aufarbeitung von Tabuthemen und ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahren weiterhin vieles von Ihnen zu lesen bekommen, auch wenn mir der totalitarismustheoretische Ansatz im neuen Buch massiv missfällt.

Wie meinen Sie das?

Der Applaus von weit rechts kommt nicht von ungefähr. Während Sie im Vorwort Ihres hervorragenden „Die Nazis in Chile“ noch die Einzigartigkeit der Shoah betonen („Denn hier machten Menschen zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte die Auslöschung anderer Menschen zu ihrem Ziel, ohne darüber hinaus weitere Zwecke zu verfolgen.“, S. 11) schreiben Sie im Allende-Buch von „grundsätzlichen Analogien zwischen Kommunismus und Faschismus“, die nicht nur in ihrem Biologismus kongruent seien, sondern auch in Bezug auf Ihre kriminellen Methoden. (S. 161) Sie gehen so weit, den Gulag mit der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie zu vergleichen (S. 12) und verharmlosen damit letztere.

Ich vergleiche nicht, ich bilde Analogien. In meiner Studentenzeit in Chile befasste ich mich mit der scholastischen Philosophie und deren Begriff von Analogie, welcher nicht mit Identität zu verwechseln ist. Analogisieren bedeutet, das ähnliche Verhalten von jemandem in verschiedenen Situation zu beobachten. Stalin war ein Verbrecher, aber er hatte ein Ziel, nämlich die Aufhebung der Klassen. Nehmen wir den Kaiser von China, Pu Yi, der sich als Maoist bezeichnete und somit seinen Lebensabend friedlich als Gärtner seines eigenen Palastes fristete. Das war unter Hitler nicht möglich, sein System war exterminatorisch. Es gab keinen Zweck hinter der Judenvernichtung. Der Zweck war die Vernichtung selbst. Hitler wurde zum Modell für alle möglichen Faschisten betreffend des Gebrauchs eines totalitären Systems in Bezug auf die Nutzung des Staates, der Medizin, der Psychiatrie, des Antisemitismus, der Rassenlehre. Analogisch betrachtet haben beide Systeme, Faschismus und Sozialismus, auf dieselbe Situation, die Krise des Kapitalismus, reagiert. Doch ich sage das genaue Gegenteil von Nolte: hier gibt es keinen Hitler weil es Stalin gab und auch keinen Stalin weil es Hitler gab, sondern beide hatten einen eigentümlichen Bezug zur jeweiligen Ideologie. Hitler ist die beste Blume des Faschismus, Stalin ist die letzte Scheiße des Sozialismus. Hitler ist die absolute Behauptung des Faschismus, Stalin ist der schlimmste Verrat am Marxismus.

Von „Verrat am Marxismus“ steht nichts in Ihrem Buch. Eher gewinnt man den Eindruck, dass Sie die Begriffe Marxismus, Sozialismus und Stalinismus austauschbar verwenden.

Nochmals: Stalin hat den Marxismus wesenhaft verraten, er ist der schlechtestmögliche Marxist, wenn man ihn überhaupt als Marxist bezeichnen kann. Hitler ist jedoch definitiv der bestmögliche Nationalsozialist. Das nennt sich analogisieren, es ist Provokation. Vielleicht bin einfach zu theologisch geblieben. Aber ich werde Ihre Kritik in der deutschen Übersetzung berücksichtigen. Retractatus victoriosus!

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