Heft 5-6/2005
Oktober
2005

„... wenn es einen funktionierenden irakischen Staat gibt ...“

Ein Interview mit Mufid al-Jazairi

Mufid al-Jazairi über die neue irakische Verfassung, die Wahl­en und den Rückzug der US-Truppen.

Context XXI: Wie zufrieden sind Sie mit der neuen ira­kischen Verfassung?

Mufid al-Jazairi: Ich bin ehrlich gesagt nicht sehr zufrieden, aber wir konnten uns nach dem schwachen Wahlergebnis in vielen Fragen nicht gegen die Dominanz der schiitischen Parteien durchsetzen. Trotz aller Mängel finden sich in der Verfassung aber eine Reihe positiver Aspekte, die wir in Zukunft weiterentwickeln können. Die Verfassung ist üb­rigens trotz aller Schwachstellen immer noch die fortschritt­lichste in der Region. Die Menschen im Irak wünschen sich zurzeit vor allem ein Ende des Terrors, einen Wiederaufbau des Landes und ein normales Leben. Wenn die Verfassung nun abgelehnt worden wäre, wäre dieser Prozess noch weiter verzögert worden. Deshalb haben wir trotz unserer Bedenken bei der Volksabstimmung für ein Ja geworben. Wir hoffen, dass die Dominanz der Religiösen in Zukunft geringer sein wird und sich dann noch Verbesserungen vor­nehmen lassen.

Die letzten Wahlen waren ja, wie sie richtig feststellen, kein großer Erfolg für die irakischen Kommunisten. Drei Man­date konnten die kurdischen Kommunisten im Rahmen der Kurdistan-Liste bekommen, zwei Mandate bekamen die ira­kischen Kommunisten über die Liste der „Volksunion“. Wird die Kommunistische Partei bei den Wahlen im Dezember wieder in dieser Konstellation kandidieren?

Nein, die Irakische Kommunistische Partei wird dies­mal im Rahmen eines großen säkularen Blocks mit der Par­tei des ehemaligen Ministerpräsidenten Iyad Allawi kandi­dieren. Die Kommunistische Partei Kurdistans wird jedoch wieder im Rahmen der Kurdistan-Liste kandidieren.

Findet ihr euch dabei nicht mir einer Reihe ehemaliger Ba’thisten wieder? Iyad Allawi selbst war ja lange in der Ba’th-Partei.

Wir können nicht alle Mitglieder der Ba’th-Partei ausschließen. Viele waren nur aus Opportunismus in der Partei und haben sich persönlich nichts zu Schul­den kommen lassen. Diese müssen wir wieder ins poli­tische Leben integrieren. Wir waren immer gegen den Entba’thisierungsplan von Paul Bremer in seinem pauschalisierenden Ansatz und wollen jene, die selbst keine Verbrechen begangen haben, rehabilitieren. Es waren einfach zu viele IrakerInnen in diesem Regime involviert und wir können nicht ein oder zwei Millionen Mitglieder der Ba’th-Partei als Feinde behandeln.

Uns erinnert diese Vorgangsweise etwas an den Umgang mit ehemaligen Nazis nach 1945 in Ös­terreich. In den letzten Jahren gab es allerdings noch eine direktere Verbindung zwischen Österreich und dem Irak. Nach einem offiziellen UN-Bericht waren 57 österreichische Firmen und Einzelpersonen, darunter auch der Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch Ara­bische Beziehungen, Fritz Edlinger, in Korruptionsgeschäfte mit dem Ba’th-Regime im Zusammenhang mit dem Oil for food-Programm verwickelt. Wie schätzen Sie die Verwicklung österreichischer Firmen und Politiker in das Regime Saddam Husseins ein?

Mich hat dieser Bericht nicht verwundert. Wir wissen im Irak schon lange, dass Österreich eine Hochburg der UnterstützerInnen Saddam Husseins war. Noch heute gibt es in Österreich viele, die dem alten Ba’th-Regime nachtrau­ern und die neue irakische Regierung nicht ausreichend unterstützen. In Wien gibt es sogar Gruppen, die Geld für den Terror sammeln.

Die Irakkriegsgegnerlnnen in Europa und den USA sehen sich durch das anhaltende Chaos im Irak bestätigt. Wie sehen Sie die anhaltenden Demonstrationen in den USA und in ei­nigen europäischen Staaten, die einen sofortigen Rückzug der Besatzungstruppen fordern?

Ein linker amerikanischer Journalist hat mich vor kurzem angerufen und mir vor einigen größeren Demons­trationen in den USA dieselbe Frage gestellt. Ich habe ihm geantwortet, dass ich ihre Aktivitäten in den USA durchaus begrüße und als echte Solidaritätsbekundung mit dem ira­kischen Volk betrachte. Wir wollen ja auch die völlige Wie­derherstellung der irakischen Souveränität und hoffen, dass uns dabei die europäische und die US-amerikanische Linke unterstützen. Allerdings sagte ich diesem amerikanischen Journalisten auch, dass ich der Meinung bin, dass die Forderungen und Slogans dieser Demonstrationen geändert werden sollten. Die US-amerikanische und europäische Linke sollte mehr Druck auf die US-Regierung ausüben, der irakischen Regierung zu helfen, rasch einen effektiven Sicherheitsapparat, eine funktionierende, gut bewaffnete und trainierte Polizei und ein ebenso gut trainiertes Militär aufzubauen. Wir brauchen einen funktionierenden Staat mit funktionierenden Institutionen und eben auch mit funktionierenden bewaffneten Organen um selbst die Ter­roristen bekämpfen zu können.

Sind Sie für einen raschen Abzug der alliierten Truppen?

Die Besatzungstruppen sollen abziehen, allerdings erst, wenn es einen funktionierenden irakischen Staat gibt und die Macht einem solchen irakischen Staat über­geben werden kann. Ein übereilter Rückzug würde die Sache nur noch viel schlimmer machen. Bei allen Feh­lern, die die Besatzungstruppen gemacht haben und bei aller Ablehnung der Besatzung durch die irakische Bevölkerung, fürchten sich die Irakis immer noch am meisten vor den Terroristen und den Überbleibseln des alten Regimes, die oft besser trainiert und bewaffnet sind, als die neue irakische Polizei. Die derzeitigen Be­satzungsmächte dürfen uns diesen Terrorgruppen nicht wehrlos überlassen.

Mufid al-Jazairi ist Mitglied des Zentralkomitees der Irakischen Kommunisti­schen Partei und war Kul­turminister in der ersten irakischen Übergangsre­gierung nach dem Sturz Saddam Husseins. Heute ist er Abgeordneter im irakischen Parlament und Vorsitzender der parla­mentarischen Kulturkom­mission. Mit dem weit über die Grenzen seiner Partei respektierten Politiker sprachen Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger.

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