„... wenn es einen funktionierenden irakischen Staat gibt ...“
Mufid al-Jazairi über die neue irakische Verfassung, die Wahlen und den Rückzug der US-Truppen.
Mufid al-Jazairi: Ich bin ehrlich gesagt nicht sehr zufrieden, aber wir konnten uns nach dem schwachen Wahlergebnis in vielen Fragen nicht gegen die Dominanz der schiitischen Parteien durchsetzen. Trotz aller Mängel finden sich in der Verfassung aber eine Reihe positiver Aspekte, die wir in Zukunft weiterentwickeln können. Die Verfassung ist übrigens trotz aller Schwachstellen immer noch die fortschrittlichste in der Region. Die Menschen im Irak wünschen sich zurzeit vor allem ein Ende des Terrors, einen Wiederaufbau des Landes und ein normales Leben. Wenn die Verfassung nun abgelehnt worden wäre, wäre dieser Prozess noch weiter verzögert worden. Deshalb haben wir trotz unserer Bedenken bei der Volksabstimmung für ein Ja geworben. Wir hoffen, dass die Dominanz der Religiösen in Zukunft geringer sein wird und sich dann noch Verbesserungen vornehmen lassen.
Nein, die Irakische Kommunistische Partei wird diesmal im Rahmen eines großen säkularen Blocks mit der Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Iyad Allawi kandidieren. Die Kommunistische Partei Kurdistans wird jedoch wieder im Rahmen der Kurdistan-Liste kandidieren.
Wir können nicht alle Mitglieder der Ba’th-Partei ausschließen. Viele waren nur aus Opportunismus in der Partei und haben sich persönlich nichts zu Schulden kommen lassen. Diese müssen wir wieder ins politische Leben integrieren. Wir waren immer gegen den Entba’thisierungsplan von Paul Bremer in seinem pauschalisierenden Ansatz und wollen jene, die selbst keine Verbrechen begangen haben, rehabilitieren. Es waren einfach zu viele IrakerInnen in diesem Regime involviert und wir können nicht ein oder zwei Millionen Mitglieder der Ba’th-Partei als Feinde behandeln.
Mich hat dieser Bericht nicht verwundert. Wir wissen im Irak schon lange, dass Österreich eine Hochburg der UnterstützerInnen Saddam Husseins war. Noch heute gibt es in Österreich viele, die dem alten Ba’th-Regime nachtrauern und die neue irakische Regierung nicht ausreichend unterstützen. In Wien gibt es sogar Gruppen, die Geld für den Terror sammeln.
Ein linker amerikanischer Journalist hat mich vor kurzem angerufen und mir vor einigen größeren Demonstrationen in den USA dieselbe Frage gestellt. Ich habe ihm geantwortet, dass ich ihre Aktivitäten in den USA durchaus begrüße und als echte Solidaritätsbekundung mit dem irakischen Volk betrachte. Wir wollen ja auch die völlige Wiederherstellung der irakischen Souveränität und hoffen, dass uns dabei die europäische und die US-amerikanische Linke unterstützen. Allerdings sagte ich diesem amerikanischen Journalisten auch, dass ich der Meinung bin, dass die Forderungen und Slogans dieser Demonstrationen geändert werden sollten. Die US-amerikanische und europäische Linke sollte mehr Druck auf die US-Regierung ausüben, der irakischen Regierung zu helfen, rasch einen effektiven Sicherheitsapparat, eine funktionierende, gut bewaffnete und trainierte Polizei und ein ebenso gut trainiertes Militär aufzubauen. Wir brauchen einen funktionierenden Staat mit funktionierenden Institutionen und eben auch mit funktionierenden bewaffneten Organen um selbst die Terroristen bekämpfen zu können.
Die Besatzungstruppen sollen abziehen, allerdings erst, wenn es einen funktionierenden irakischen Staat gibt und die Macht einem solchen irakischen Staat übergeben werden kann. Ein übereilter Rückzug würde die Sache nur noch viel schlimmer machen. Bei allen Fehlern, die die Besatzungstruppen gemacht haben und bei aller Ablehnung der Besatzung durch die irakische Bevölkerung, fürchten sich die Irakis immer noch am meisten vor den Terroristen und den Überbleibseln des alten Regimes, die oft besser trainiert und bewaffnet sind, als die neue irakische Polizei. Die derzeitigen Besatzungsmächte dürfen uns diesen Terrorgruppen nicht wehrlos überlassen.
Mufid al-Jazairi ist Mitglied des Zentralkomitees der Irakischen Kommunistischen Partei und war Kulturminister in der ersten irakischen Übergangsregierung nach dem Sturz Saddam Husseins. Heute ist er Abgeordneter im irakischen Parlament und Vorsitzender der parlamentarischen Kulturkommission. Mit dem weit über die Grenzen seiner Partei respektierten Politiker sprachen Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger.
