Wurzelwerk, Wurzelwerk 12
Juni
1982

Warum ich noch immer gegen’s Zwentendorfer AKW bin

Noch eine Gefahr!

Niemand bezweifelt ernsthaft, daß Atomkraftwerke eine Erhöhung der bestehenden Gefahrenquelle bedeuten. Es gibt schon mehr als genug davon und AKW-Anhänger, keine Angst, auch den anderen industriell hergestellten Gefahrenquellen geht es Stück für Stück an den Kragen. Atomkraftwerke sind nur ein Stein im grauen Fortschrittsmosaik, egal wie groß er nun eigentlich wirklich ist. In einem „Mosaik der künstlich geschaffenen Lebensgefahren“, das mittlerweile das System der natürlichen Lebensgefahren in den Schatten gestellt hat.

Muß ich dann noch mehr essen?

Aber da fällt mir noch ein zweiter Anti-AKW-Grund ein. Denn schließlich hat jeder Schaden, jede Gefahr auch ihren Nutzen, der mitunter die Sache ihre Gefahr wert macht. Meine Augen sehen ihn nicht, meine Haut nicht und nicht meine Ohren. Der Sprung vom Verhungern aufs ausreichend Nahrung-Haben ist klein, aber zuweilen anstrengend und wichtig. Weiter dann, der Sprung von der ausreichenden Nahrung bis zu dem, was wir Industrieland-Bewohner so futtern, ist da schon viel größer. Er ist die heutige Abtötung von Natur (Mensch, Tier, Pflanze) schon gar nicht mehr wert. Und jetzt soll ich eine Gefahr in Kauf nehmen, die mir einen noch viel wertloseren Sprung fortwärts bringen soll. Es ginge um Leben und Tod, ums Überwintern mit kaltem Hintern, wenn ich den jetzt nicht täte ...

Ich versteh das nicht, überhaupt nicht. Dieses ständige Fortwärts-Springen macht uns doch bloß noch mehr kaputt. Und das, weswegen wir ständig Fortwärts-Springen sollen, müssen sollen, das scheint mir am eigentlichen Grund irgendeines Springens vorbeizugehen. Springen tu ich doch einfach so, ich bin einfach da, hab einfach Beine und so, spring’ halt einfach. Ich weiß gar nicht so sicher, ob das Glücksstreben, das Befriedigungsstreben, das Unannehmlichkeiten-Vermeiden da so eine wichtige Rolle spielt. Ob das wirklich die Kategorie ist, in denen sich unser Dasein abspielt.

Dem Glück nach- und davonlaufen

Aber selbst die Art, in der wir mit unseren Autos, Zuckerln und Arbeitsplätzen nach Glück und Befriedigung streben, ist mir in ihrem Ansatz schon faul. Glück, Zufriedensein gibts doch bloß in der dauernden Abwechslung mit Unglück, Unzufriedensein und so. Gibts denn einen 24-Stunden-Glückszustand, wie ihn das jetzige System ununterbrochen anstrebt und verspricht? Ist das nicht bloß ein ewiges Höherstecken der Ziele, die uns glücklich machen dürfen. Ein Höherstecken, bei dem wir unsere Hoffnungsspitzen so hoch tragen, unsere Augen so vollmachen, daß wir die Grenzen der Belastbarkeiten von Natur (= Mensch, Tier, Pflanzen und alles andere auch) übersehen.

Ganz verklärte Realisten leugnen sie sogar, die Grenzen. Ich will nun eine der Ratten sein, die dem Kapitän das Steuern des Schiffs abnimmt, mit dem der demnächst untergehen will, ich will noch nicht von Bord gehen, wie es die Ratten meist tun. Aber egal. Einfach gesagt: Die Steigerung von materiellem Wohlstand (was man heute unter materiellem und unter Wohlstand versteht), die mit AKW verbunden sein soll, ist es mir nicht wert. Und wenn das Wirtschafts-System mit der Bremsung derartigen Wachstums nicht fertig werden kann, möcht ich schleunigst zu seiner Korrektur beitragen, weil es dann mit seinen AKWs, etc. den Keim seines Zusammenbruchs ja doch nur hinausschiebt.

Wir brauchen weniger Energie

Es gibt mir dann aber noch eine Dritte Sache, die mir das Zwentendorfer Beton-Ding so vergessenswert macht: und die zeigt die lustige Position der AKW-Befürworter am ärgsten: Die Theorie nämlich, den materiellen Wohlstand zu steigern — wenn man von diesem überholenswerten Wert schon nicht ablassen will —, braucht es mehr Energie. Diese Theorie nämlich ist bereits widerlegt, als Vorurteil entlarvt. Vielmehr wissen diejenigen, die sich mit den Dingen ernsthaft befaßt haben, daß selbst bei einer drastischen Senkung der Energieerzeugung eine leichte Steigerung und Verbreitung des matetiellen Wohlstands noch möglich wäre. Natürlich nur, wenn man die sparsame Technologie, die bereits in den Schubladen etc. existiert, zum Teil bereits erprobt ist, in die Tat umsetzt. Nachzulesen u.a. in „André Gorz: Ökologie und Freiheit. roro-Taschenbuch 4429“ oder in „Es geht auch anders. Katalog für Energiealternativen“ des Sanfte-Energie-Zentrum in D-33257 Springe-Eldagsen, Telefon BRD/05044/380. Angesichts dieser Tatsache erscheint das „Inkaufnehmen“ der Gefahrenvermehrung Atomkraftwerk (worin auch immer sie besteht) vollkommen grotesk. Der Fortschritt ist wohl schon so schnell geworden, daß er seine eigenen Einpeitscher überholt hat. Ich bin ihnen nicht böse, hab aber die entschlossene Lust, ihn zu bremsen, bis er wieder lenkbar ist. Das ist, glaub ich, erst dann, wenn die Gefahren wieder so klein sind, daß sich ihre „Inkaufnehmer“ mit denselben gemeinsam auf ein abgelegenes abgegrenztes Experimentiergebiet begeben können. Auf eigene Verantwortung und Gefahr. Nicht auch auf meine.

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