Heft 4-5/2003
August
2003

Vorläufig die Amerikaner

Der österreichische Mo­derator der Sendung „Kulturzeit“ in 3SAT, Herr Grandits, sagte gestern sinn­gemäß: Da die Amerikaner im Irak das Recht mit Füßen treten, machen es ihnen an­dere Völker nach. In Thai­land erschießt jetzt die Polizei die Drogenhändler, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu verhaften, eine klare Rechtsverletzung, und daran ist Amerika schuld — noch nicht die Juden, nein, vorläufig nur die Amerikaner, sagt er.

In den 20er Jahren schrieb Friedrich Holländer einen Text zur Melodie der Haba­nera aus der Oper Carmen:

An allem sind die Juden schuld,
die Juden sind an allem schuld, allem schuld.
Warum sind denn die Juden schuld?
Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld.

Die Hetze gegen Amerika war in der Sendung, die be­hauptet, etwas mit Kultur zu tun zu haben, in den letzten Wochen gnadenlos. Die abs­trusesten Themen, wie oben, kamen da zur Sprache, nur um Amerika eins auszuwi­schen. Vielleicht sollte man allerdings Herrn Grandits zu­gute halten, dass er zumin­dest so aussieht, als merkte er das nicht. Die Augen starr auf den Teleprompter ge­richtet, leiert er seine Ansa­gen herunter, verspricht sich, zögert vor Worten mit mehr als drei Silben und betont immer wieder das Falsche. Nun gut, sagt man sich, er und diese Sendung sind halt ein weiteres Indiz der Unkultur, die sich in Europa ausbreitet, des Dilettantismus und somit des Kampfes gegen Kunst und Kultur.

Im Fernsehen ist es die „Quote“, die gegen die Kunst kämpft, im Theater die traditionsverachtenden Regisseu­re mit ihren ahnungslosen, sich wichtig machenden Zei­tungskritikern, in der Litera­tur die profitverhafteten Ver­lage mit ihren immer ungebildeter werdenden Lektoren, die um ihre Posten bangen und vermeinen, sich den kul­turlosen Zeitläufen anpassen zu müssen, in der bildenden Kunst sind es die Leute, die neue Ideen schon für Kunst halten, in der Musik die Experimentierer und so weiter. Aber wenn man genau hin­schaut, ist es mehr als das: es ist das Böse, das gegen Kunst und Kultur kämpft und zu­mindest kurzfristig auch tri­umphiert. Und jetzt ist dieses Böse eben wieder auf den Antisemitismus gestoßen, im Westen nichts Neues.

Natürlich hat das auch mit Quote zu tun. Endlich kann man laut sagen, was man bisher nur heimlich dachte.

Man kann sogar Massende­monstrationen veranstalten, und die Leute wissen schon, wer gemeint ist, nämlich vor­läufig die Amerikaner. Laut einer Umfrage in Frankreich, denkt jeder dritte Franzose, dass es besser gewesen wäre, wenn die Iraker gesiegt hät­ten. Und ein Schweizer Künstler sagte dieser Tage zu mir: „Georg, du bist mein Freund, aber Sharon ist ein Kriegsverbrecher.“

Es gibt also wieder „auch an­ständige Juden“, und einer von denen bin diesmal ich.
Fast alle meine Freunde hier in der Schweiz und an­derswo sind Christen, und sie wünschen mir bestimmt nichts Böses. Ich bin über­zeugt, dass sie mich in künstlerischer Hinsicht wie auch charakterlich schätzen, ja so­gar lieben. Sie zeigen mir im­mer wieder, dass sie es gut mit mir meinen, sie sind hilf­reich und ehrlich, obwohl sie wissen, dass ich Jude bin. Sie sind nicht die einzigen, ich treffe auch fremde Leute, die nichts von mir wissen, außer, dass ich Jude bin.

Sie kennen weder meine Lebensgeschichte, noch mei­ne Ansichten, sie wissen nicht, ob ich verheiratet, ho­mosexuell oder Erotomane bin, aber sie wissen, dass ich Jude bin. Sie haben manch­mal noch nie einen Juden zu Gesicht bekommen, aber sie wissen, dass ich einer bin. Sie lehnen jeglichen Antisemitis­mus ab, aber sie wissen, dass ich Jude bin.

So viele Parallelen zur Hitlerzeit fallen einem alten Menschen wie mir ein, so viel hat man schon damals im „Stürmer“ und im „Völki­schen Beobachter“ gelesen. Der Urfeind ist wieder da, egal ob er da ist oder nicht. Der Stumpfsinn mündet wie­der in die Barbarei, der Ab­stand zwischen Kapitalismus und Kannibalismus wird von Tag zu Tag kürzer.

Während der Hitlerzeit war ich in Amerika. Ich fühl­te mich wohl dort, wenn auch ein wenig fremd. Nach dem Krieg kam ich zurück nach Europa, aber ein Zu­hause-Gefühl wollte sich auch da nicht einstellen. In den letzten Wochen hat sich das jedoch geändert. Ich wer­de wieder verfolgt, denke wieder an Flucht, habe wie­der Angst, kurz, ich fühle mich wieder zuhause.

Nachdruck aus Campo de Criptana 2/2003.

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