MOZ, Nummer 52
Mai
1990

Verlorene Kämpfe

Jetzt durften mal die Volksvertreter ran.

Peinlich befragten sie in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Persönlichkeiten aus Regierung und Staatsbürokratie zu verschiedenen Themen, vor allem in Zusammenhang mit „Lucona“, „Noricum“ und Milchwirtschaftsfonds. Nicht nur die Bundeskoalitionsabgeordneten richteten im Namen des Volkes, auch die Kollegen in den Provinzen trugen bei zur Aufklärung politischer Hintergründe diverser krimineller Geschehen. Ausschußarbeit, wohin man blickt.

Da unterstützten höchstrangige Politiker einen Wurschtl, der einige Ungereimtheiten nicht zu erklären vermochte. — Wirklich überrascht von der männerbündlerischen Kumpanei konnte man allerdings nicht sein. Empörung wurde vor allem dort geäußert, wo einige Leitartikler mit ihren Projektionen nicht zurechtkamen.

Da produzierte ein verstaatlichtes Unternehmen Waffen für den Kriegsgebrauch und lieferte sie in Staaten, die sie verwendungsgemäß einsetzten. Die Umgehung eines Gesetzes, das die Waffenproduktion zwar erlaubt, die Ausfuhr in kriegführende Staaten aber verbietet, mag wohl niemanden verwundern, der/die schon mal was von internationalen Kriegsmaterialiendeals gehört hat.

Und schließlich indirekte Parteienfinanzierung in Zusammenhang mit dem großen Milchgeschäft. — In Wahrheit haben das doch alle längst gewußt, nur mit den Beweisen gab es Schwierigkeiten. Und ein wenig mit den Machtverhältnissen.

Was also ist passiert im vergangenen Jahr? Erfüllt unser Parlament plötzlich nicht nur seine gesetzgebende, sondern auch seine kontrollierende Funktion? Mitnichten. Es spendet den Segen seiner demokratischen Legitimation all jenen, die helfen, unser Land zu modernisieren. Den Bewußtseinsproduzenten, die eine neue Zeit ausrufen. — Im Namen des Interesses einer neuen gesellschaftlichen Gruppe, die, immer bedeutender werdend, Einfluß im Staate begehrt.

Als Ergebnis einer sozio-ökonomischen Umstrukturierung sieht sie sich — gemeinsam mit ihren Besten — mit Institutionen konfrontiert, deren Problemlösungskapazitäten längst nicht mehr ihren Bedürfnissen entsprechen. Denn, träge wie manch ungeheure Gebilde eben sind, haben sie den Anschluß verpaßt.

Parteien, Verbände, Kammern, Staatsbürokratie, Sozialpartnerschaft, alles Begriffe, die hierzulande bald mindestens ebenso diskreditiert sein werden, wie etwas weiter östlich der Begriff „Sozialismus“.

Das eigentliche Fazit aus all der Ausschuß-Arbeit ist demnach die allerorts veröffentlichte Erkenntnis, Beamte seien korrupt und feige, manche — vor allem sozialdemokratische — Politiker ungemein unmoralisch, insbesonders verstaatlichte Betriebe besonders menschenverachtend und — wenn auch schon viel zaghafter — Planwirtschaft bringt’s wirklich nicht, auch wenn die Raiffeisen-Gruppe dabei kräftigst absahnt.

Und sonst nix.

Sämtliche österreichische Nachrichtenmagazine haben dies denn auch erkannt und recherchierten die Hintergründe der Entwicklung. Von der „Feigheit der hohen Beamten“ bis hin zur „Verschlafenen Perestrojka“ zierten die Titel die Titel. Alleine, selbst die witzigste Recherche zum Thema begnügt sich — notwendigerweise — damit, zu konstatieren.

Und erwischt hat’s vor allem die Staatsbürokratie.

Denn die ist — neben Kammern, Verbänden und Parteien — eindeutig oberste Bremserin im Zug zur Neuen Zeit.

Und neigt dazu, auch heute noch, im Parlament gerade mal eine Art Beratungsausschuß der Regierung zu erkennen.

Die liberalen Geister Österreichs versuchen heute zu erreichen, woran ihre Vorläufer — nahezu traditionell — immer schon gescheitert sind: die Durchwirkung des Staatsganzen nach so richtig liberal-bürgerlicher Fasson: wenig Staatsinterventionismus, Deregulierung, Liberalisierung, — eben Freiheit für alle und für immer.

So wurde etwa gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dem ohnehin nur mickrigst verankerten Liberalismus der Garaus gemacht. „Was nun sicherlich den finanziellen Sturz mitverschuldet“, schrieb der konservativ-reaktionäre und antiliberale Albert Schäffle, „weil es die hervorgegangene Lage zum größten Teil mitgeschaffen, das ist der Geist, in dem die herrschende Partei seit 1867 Staatsgeschäfte getrieben. Sie hat im Parlament Börsengeschäfte, an der Börse Politik getrieben, Börse und Politik so vermengt und verflochten, daß für das geübteste Auge die Grenze zwischen beiden nicht zu erkennen war. Die Politiker bauten Eisenbahnen, die Börsenmänner gründeten Banken, und gegenseitig halfen und beteiligten sie sich an den Geschäften.“

Die Liberalen hatten es sich verscherzt, als Folge der mißlichen Situation wurden Rufe nach mehr Staatsinterventionismus laut. Die allerorts vorherrschende antikapitalistische Stimmung brachte wohl Otto Bauer auf den Punkt: „Die kleinbürgerlichen Parteien, die ausgezogen waren, die Herrschaft der Großbourgeoisie und des Feudaladels zu brechen, ergriffen nicht selbst die Macht, sie wurden vielmehr zur Stütze des bürokratischen Absolutismus, durch den die Großbourgeoisie und der Feudaladel nunmehr die Macht ausübten. Alle besitzenden Klassen Deutsch-Österreichs, von der Großbourgeoisie bis zu den Kleinbürgern und Bauern, waren nunmehr ralliiert unter der Hegemonie der regierenden Bürokratie."

Und so was schafft Schwierigkeiten.

Entgegen der manchmal geäußerten Meinung, die österreichische Staatsbürokratie hätte etwa größere Probleme mit dem Nationalsozialismus gehabt, blieb sie bis heute von wirklichen Veränderungen verschont. Denn das Anschmiegen an die jeweiligen politischen Konstellationen macht ihr nichts aus. Wie auch ihre spezifischen und ganz intimen Eigenheiten weitenteils dem Forschungsbereich der Politikwissenschaften entzogen geblieben sind. Und sollte doch einer wollen, dann, schreibt Eva Kreisky, „begeben sich diese insofern in eine Sackgasse, als sozialwissenschaftliche Forschung in Österreich eben weitgehend von öffentlichen Aufträgen (das heißt von der Bürokratie, bzw. von den Juristen in der Verwaltung) und öffentlicher Finanzierung abhängig ist. Damit liegt es freilich fast ausschließlich in der Hand der Bürokratie, sich selbst einer wissenschaftlichen Analyse unterziehen zu lassen.“

Und wie sollte sie das wollen. Kreisky bezeichnet das „Juristenmonopol“ in der Verwaltung als großes Übel, Johan Galtung erkannte: Gesellschaftliche Rückständigkeit und hoher Juristenanteil korrelieren auffällig stark.

Dies nun — via Ausschuß — auch „live“ mitzukriegen, mag sicherlich faszinieren. Neu allerdings ist es keineswegs.

Doch heute findet die „klassische“ Bürokratie auf aktuelle Probleme immer weniger Antworten, werden die internen Systemwidersprüche zu groß, um per Verordnung abgetan zu sein. Nord-Süd-, West-Ost-Gefälle — kein Problem, was kümmert’s. Arbeitslosigkeit, Rationalisierung, Technologieschub — alles machbar. Nur: Wie reagieren auf solch Entwicklungen, die mit der Aussöhnung von Ökologie und Ökonomie zu tun haben? Was tun in Zeiten, in denen perspektivisches Denken zum Zwecke der Selbsterhaltung gefragt wäre, weil alle betroffen sind? Hier liegen die wesentlichen Elemente zukünftiger Auseinandersetzungen.

Deregulierung, Verstaatlichtenentstaatlichung, Anti-Protektionismus, Auflösung des Zunft- und Kleinkrämertums, — im besten Sinne der Modernisierung. Hier wird die Bürokratie — will sie mithalten — umdenken müssen, wird ihr Beharrungsvermögen strapaziert werden.

Die Zeichen der Zeit stehen also gegen die letzten Aufrechten in den Verbänden, den Parteien, den Kammern und so weiter. Sie kämpfen an verlorenen Fronten, ihr Widerstand wird schwächer. Doch das Ergebnis trägt keinesfalls an und für sich emanzipatorische Züge.

Die Aufhebung des kafkaesken Status-quo mag höchst erleichternd sein, hinter der konsumglänzenden Fassade allerdings wird anderes Ungeheuerliches passieren. Dies zu thematisieren — wiewohl nahezu ketzerisch in Zeiten wie diesen — mag Aufgabe derjenigen sein, die unter Emanzipation mehr als ein progressives Element des ewigen Fortschritts verstehen möchten.

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