FORVM, No. 222
Juni
1972

Verhütungsmittel

Zu ihrer Technologie und Ökonomie

I.

Verhütungsmittel sind ein Produkt der technologischen Entwicklung. Wenn heute eine gewisse sexuelle Freizügigkeit möglich ist, so verdanken das die Frauen nicht irgendwelchen progressiven Aufklärern oder liberalistischen Manifestationen, sondern einzig und allein der Entwicklung der Industrie: die sexuelle Revolution ist ein Nebenprodukt der industriellen Revolution.

Die kritische Reflexion der Sexualpräparate muß sich daher auf zwei verschiedenen Ebenen bewegen — einerseits gerät die Frau in eine fatale Abhängigkeit von dieser Industrie, sie ist auf den Konsum ihrer Produkte angewiesen und dazu gezwungen, deren Profitrate ständig zu erhöhen; anderseits muß sie darüber noch froh sein, daß Verhütungsmittel überhaupt erzeugt werden und ihr somit zum ersten Mal in der Geschichte eine wirksame Waffe in die Hand gegeben ist: Verhütungsmittel sind Mittel zur Selbstbestimmung der Frau.

Denn weil die Frauen durch eine Laune der Mutter Natur die Kinder austragen müssen und weil eine technische Kontrolle der reproduzierenden Funktionen entweder völlig fehlte oder nur ungenügend vorhanden war, wurde die Frau von der Gesellschaft fast ausschließlich zur Kindergebärerin degradiert. Sie wurde nicht als ein selbständiges Individuum anerkannt, sondern nur in Beziehung zu Mann und Kind gesetzt; diese Relation allein bestimmte ihre Existenz.

Welche sonstigen Betätigungen ihr auch von der jeweiligen Kultur zugestanden wurden — ihre fundamentale Funktion war und blieb doch das Austragen und die Aufzucht der Kinder. Daher ist alles, was die soziale Kontrolle über die Fortpflanzungsfunktionen der Frau in Frage stellt und verändert, eine gefährliche Bedrohung der überkommenen Gesellschaftsordnung.

Die verschiedenen Rollen der Fortpflanzung, die herrschende Arbeitsteilung innerhalb der menschlichen Reproduktion bilden die fundamentale Dichotomie der Gesellschaft. Daraus wird alles andere abgeleitet, man bedient sich dieser Diskriminierung, um jeden angeblichen Unterschied zwischen Mann und Frau zu rationalisieren, sie dient als Rechtfertigung für alles Unrecht, das man der Frau angetan hat, und für jede Unterdrückung, die sie erleiden muß.

Ohne die unumschränkte Möglichkeit, ihre eigene Reproduktion zu kontrollieren und zu limitieren, ist jede „Befreiung“ der Frau eine lächerliche Farce. Gelangt sie jedoch in den Besitz dieser Fähigkeit — dann werden auch all ihre anderen Fähigkeiten nicht mehr länger negiert werden können, weil ja die wahre Ursache dieser Negation verschwunden ist.

Wenn alle früheren Versuche einer Befreiung der Frau ihre hochfliegenden Pläne meist bald wieder zurückstecken und sich auf muffige „Reformen“ beschränken mußten, so hatte das unter anderem einen ganz realistischen Grund: Die medizinische Technologie hatte zu diesem Zeitpunkt keine wirksamen Verhütungsmittel und keine sicheren Abtreibungsmethoden entwickelt; und man setzte natürlich auch kein Interesse in Entwicklungen dieser Art. Frauen, die etwas anderes sein wollten als Gebärmaschinen, standen vor recht trostlosen Alternativen. Sie konnten wählen zwischen sexueller Enthaltsamkeit oder Masturbation, zwischen Homosexualität oder grausamen Verhütungsmethoden, und sie konnten sich auch einfach auf ihr Glück verlassen. Außerdem wurden alle noch so geringen Kenntnisse, die man damals von Alternativen zum Kinderkriegen und Empfängnisverhütung hatte, aus politischen und religiösen Gründen der Öffentlichkeit vorenthalten; vielfach wurde diese Geheimniskrämerei zum Gesetz erhoben und oft bis heute nicht revidiert.

Jahrhundertelang waren die im Volk verbreiteten Methoden der Geburtenkontrolle — Kontrazeption wie Abortus — das unumstrittene Monopol von Hebammen, Hexen und „weisen Frauen“. Sofern man den Chroniken trauen kann, müssen diese Underground-Praktiken zwar nicht zimperlich, doch für damals sogar recht wirksam gewesen sein; wenn auch gewiß oft das Kind mit dem Bade ausgegossen wurde. In der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ steht das Gedicht „Großmutter Schlangenköchin“: „Maria, wo bist du zur Stube gewesen? Maria, mein einziges Kind!“ — Ich bin bei meiner Großmutter gewesen, ach weh! Frau Mutter, wie weh! — „Was hat sie dir dann zu essen gegeben? etc.“ — Sie hat mir gebackene Fischlein gegeben, etc. — „Wo hat sie dir dann das Fischlein gefangen? etc.“ — Sie hat es in ihrem Krautgärtlein gefangen ... — „Womit hat sie dann das Fischlein gefangen?...“ — Sie hat es mit Stecken und Ruten gefangen ... — „Wo ist dann das übrige vom Fischlein hinkommen? ...“ — Sie hat’s ihrem schwarzbraunen Hündlein gegeben ... — „Wo ist dann das schwarzbraune Hündlein hinkommen?...“ — Es ist in tausend Stücke zersprungen ... — „Maria, wo soll ich dein Bettlein hin machen? Maria, mein einziges Kind!“ — Du sollst mir’s auf den Kirchhof machen, ach weh! Frau Mutter, wie weh!“ [1]

Jene Gevatterinnen, die den anderen Frauen bei der Geburt beistanden, waren häufig Ausgestoßene der Gesellschaft, Parias, die keine andere Arbeit finden konnten. Das Entbinden einer Schwangeren wurde zwar nicht gerade als Sakrileg empfunden, war aber doch ein schmutziges Geschäft; da ja alles, was mit den weiblichen Genitalien zu tun hat, als unrein und furchterregend galt (und gilt). Dann kam der Aufstieg einer eigenen Profession der Medizin, und sämtliches Wissen über brauchbare Verhütungsmethoden wurde sorgsam in die Hände von Ärzten gelegt, und dort ist es im großen und ganzen auch heute noch unter Beschluß. Denn aus dem gesetzlich verankerten Verbot der Anpreisung und des Vertriebs von Verhütungsmitteln und ihre Abgabe an Jugendliche oder Unverheiratete blieb theoretisch zwar nur mehr die Tatsache übrig, daß für Verhütungsmittel keine Werbung gemacht werden darf, praktisch jedoch blieb alles beim alten. Der Zugang zu den modernsten und relativ sichersten Verhütungsmitteln, wie die Antibabypillen, ist gegenwärtig nur durch ärztliche Verschreibung möglich: wie in einer Sakristei steht der Apotheker schützend hinter seinem Ladentisch; wie ein Cerberus lauert der Onkel Doktor vor seinem Giftschrank.

Das erste Verhütungsmittel, das nicht auf einem volkstümlichen Hausmittelchen beruhte, sondern das die industrielle Entwicklung hervorgebracht hat, war das Kondom — ein Produkt der Vulkanisierung, der Perfektionierung in der Behandlung von Kautschuk. Bezeichnenderweise war es nicht für die Frau, sondern für den Mann bestimmt. Das Kondom war ursprünglich überhaupt kein Kontrazeptiv, also ein empfängnisverhütendes Mittel, sondern ein echtes Präservativ, ein bloßes Vorbeugungsmittel für den Mann, um sich vor der gefürchteten „Offizierskrankheit“ (die der Frau natürlich!) zu schützen. Dafür spricht auch das betont männliche Image der „Pariser“ — das Schild mit der Aufschrift „Ihrer Gesundheit zuliebe“, mit dem schematischen Umriß eines Mannes. In Österreich ist es das einzige Verhütungsmittel, das man aus Automaten beziehen kann, vor allem in Männertoiletten. Um den sinkenden Konsum der Antibabypillen in Schweden zu konterkarieren, versucht man mit Hilfe des staatlichen Gesundheitsdienstes, dieses verrucht-männliche Image des Kondoms zu revidieren, und richtet die Appelle nun an die weibliche Bevölkerung. „Den größten Profit von der Kondom-Kampagne für Frauen erhoffen sich Schwedens Präservativ-Produzenten. Mit Warnungen an die Männer vor den Schrecken der Gonorrhöe hatten sie ihren Absatz 1970 bereits um 15 Prozent, 1971 um weitere 30 Prozent auf 44,4 Millionen Stück steigern können.“ [2]

Die Anwendung dieses, gemessen an modernen Produkten, geradezu vorsintflutlichen Mittels ist, trotz seines umfassenden Sortiments innerhalb des Sexartikelversandes („auch solcher, die dem Ausgleich anatomischer Unterschiede dienen“; „in vielen Farben“; „gleitactiv & gefühlsecht“ ...), scheinbar noch immer in unheilschwangeres Dunkel gehüllt. Dazu paßt auch der Text einer soeben in der BRD erschienenen Aufklärungsschrift:

Wie wendet man ein Kondom an? Es wird einfach über das versteifte Glied gestreift, nachdem die Vorhaut zurückgezogen ist. Diese kleine Vorbereitung kann in das Liebesspiel einbezogen werden, da ja beide Partner heute viel unbefangener miteinander umgehen und sich von vielen traditionellen Hemmungen befreit haben. Sehr wichtig ist es, daß man das Präservativ nach dem Samenerguß gleichzeitig mit dem Glied aus der Scheide zieht und ... [3]

Das meistgeübte Mittel der Empfängnisverhütung war freilich von allem Anfang an der Koitus interruptus, obwohl ihn die Kirche als „Sünde Onans“ verdammte. Der starke Geburtenrückgang während der Industrialisierungsperiode des 19. Jahrhunderts wurde dem übermäßigen Brauch des Koitus interruptus zugeschrieben, der besonders in den Großstädten unter dem Proletariat allgemein verbreitet gewesen sein soll. Aktuellen Schätzungen zufolge ist das „Aufpassen“ auch heute noch, und nicht nur in den Industriestaaten, die gebräuchlichste Verhütungstechnik. (Wie auch die Abtreibung die gebräuchlichste Methode der Geburtenkontrolle auf der ganzen Welt ist.) Welches Vertrauen muß die Frau bei dieser Technik in den Mann haben, in seine guten Absichten, in seinen festen Willen! Und nicht zuletzt in seine Geschicklichkeit. Gewiß sind die meisten Pannen auf ein unbegründetes derartiges Vertrauen zurückzuführen. Ähnlich ist die Situation beim „Vatikanischen Roulette“ (Knaus-Ogino-Zyklus), der einzigen päpstlich approbierten Verhütungsmethode neben der sexuellen Abstinenz. Ihre Fehlerquote ist hinlänglich bekannt.

II.

Um jedem Mißverständnis vorzubeugen — die Segnungen der pharmazeutischen Industrie sind keineswegs aus der primären Überlegung entstanden, der Frau das Leben zu erleichtern und ihr das Kinderkriegen abzunehmen. Im Gegenteil — das bisher fortschrittlichste Verhütungsmittel, die Antibabypille, war sozusagen nur das Abfallprodukt der Bemühungen von Wissenschaft und Industrie um eine Potenzierung der Gebärfunktionen.

Ein Vergleich mit der rasanten Entwicklung in der Erforschung der Reproduktionsfunktionen zeigt, daß Millionenbeträge dafür ausgegeben werden, um beispielsweise eine Geschlechtswahl des Kindes noch vor der Geburt oder eine ganz exakte Zeitbestimmung der Empfängnisbereitschaft zu ermöglichen. Die „sanften“ Verhütungsmittel sind bloße Anhängsel der medizinischen Technologie oder umfunktionierte Gebärhilfen.

Anders ist die Sache allerdings, wenn es um politische Interessen, wenn es um eine radikale Eindämmung der Überbevölkerung in Ländern der Dritten Welt geht, zum Beispiel in Indien oder Puerto Rico — da kann es dann an blutigen Eingriffen gar nicht genug sein, da werden Bäuche aufgeschnitten und Pessare eingesetzt, da wird sterilisiert und hysterectomiert — weg mit der Gebärmutter! Der Einwand, durch eine behutsame Einübung der Bevölkerung zur Gewöhnung an die Pille würde sich das Waten im Blut der Frauen vielleicht erübrigen, wird stets mit dem Hinweis beantwortet: Die Frauen leben ja wie die Tiere, sie kennen keinen Kalender, die Frauen lernen das Pillen-Einnehmen nie.

In den katholischen Ländern der Dritten Welt, für die „Humanae vitae“ verbindlich ist, setzt sich mehr und mehr die „freiwillige“ Sterilisiertung durch: „La Operación“. Die Frau muß dann nur ein für alle Mal diese Sünde beichten, und nicht jeden Sonntag: Ich habe siebenmal gesündigt, ich nahm die Pille. Obwohl die Sterilisation beim Mann freilich nur einen kleinen äußerlichen Eingriff, bei der Frau dagegen eine abdominale Operation erfordert, muß trotzdem meist die Frau herhalten. Im „machismo“ — und nicht nur dort — verwechseln die Männer Fruchtbarkeit mit Potenz; die Frau aber wird durch ihre Rolle automatisch mit allen Fakten der Fortpflanzung identifiziert: sie ist ja die Gebärmaschine, darum wird wie selbstverständlich nur an ihrem Mechanismus herumgepfuscht.

Ökonomisch betrachtet, stellte die zitierte Papst-Enzyklika einen direkten Angriff auf die pharmazeutische Industrie dar. Dabei hat die Kirche in den vergangenen Jahrhunderten eine überaus schwankende Haltung zu sexuellen Problemen bezogen. Doch im Gegensatz zum Mittelalter, als sie politische Macht und intellektuellen Primat repräsentierte, besitzt sie heute keinerlei Machtfunktionen mehr — die Rolle der Kirche ist absurd geworden im Kapitalismus. Ihre letzte Bastion ist die Verewigung der spezifischen biologischen Rollen der Geschlechter, ihre letzten Reservate sind die Erziehung und die Familie. Eigentlich ist die Erbsünde-Theorie die zentrale Doktrin der Kirche; aus ihr bezieht sie ihre Existenzberechtigung: durch die Kontraindikation der Gnade, denn allein die Kirche ist die Gnadenspenderin. Und sie verifiziert die Theorie der Erbsünde, indem sie diese in die Praxis umsetzt am besten durch die Unterdrückung der Sexualität. Ein effektives Instrument dazu ist wiederum das Verbot von Verhütungsmitteln (das natürlich die Frau am meisten trifft).

Der Arzt ist der säkularisierte Priester. Die Kirche schenkt Gnade; der Arzt schenkt Leben. In Wahrheit ist er zwar nichts als ein Biotechniker am Dienst der Gesellschaft, ein Handlanger der pharmazeutischen Industrie; doch würde ihm, wie bei der Abtreibung, zugemutet, „Leben zu zerstören“, so würde damit gleichzeitig auch ein Stück Mythos vom Arzt zerstört. Seine ideologische Rolle ist die eines „Hüters des Lebens“. Das Dilemma des Arztes zwischen Ideologie und Ökonomie, zwischen Kirche und Industrie, läßt sich am Beispiel der Antibabypille am besten demonstrieren.

Durch die Reformvorschläge für eine Liberalisierung des Abtreibungsparagraphen erschrocken aus der Reserve gelockt, plädieren die Vertreter stockkonservativer Richtungen auf einmal mit Nachdruck für „flankierende Maßnahmen“ und eine „gewissenhafte Aufklärung der Bevölkerung“ — das heißt, für die Propagierung von Verhütungsmitteln, darunter auch für die bislang verpönte Pille. Alle bisher hartnäckig geäußerten moralischen Bedenken der Ärzte waren auf einmal wie weggeblasen, ging es doch darum, die Pille nun als respektables Medikament gegen die Abtreibung auszuspielen. Auch von den früher genannten Schwierigkeiten ihrer Verträglichkeit oder ihren Fehlerquoten war nichts mehr zu hören — der Arzt verschreibt sie, Schluß, aus.

Die Situation änderte sich schlagartig, als die kühne Obfrau des „Familienbundes“ eine spektakuläre Aktion startete, die Pille in Zukunft rezeptfrei abzugeben — ohne Rezept zwar, aber natürlich nicht umsonst. Flugs legte der Präsident der Wiener Ärztekammer eine Erklärung ab: „Ich kann vor einer unkontrollierten Anwendung nur warnen. Ich bin als Arzt nicht gegen die Pille, muß aber zu einer solchen Einstellung die größten Bedenken anmelden. Die Folgen einer Aufhebung der Rezeptpflicht könnten für viele Frauen und Mädchen unabsehbare Auswirkungen (sic!) nach sich ziehen.“ Ein prominenter Gynäkologe erklärte: „Die Einnahme der Pille bedeutet einen schweren Eingriff in den Körper ...“ Und der Referent im Sozialministerium meinte: „Die Pille ist ein Hormonmittel und muß als solches ärztlicher Kontrolle überlassen bleiben. Wenn man dieses medizinische Grundprinzip mißachtet, könnte es zu Störungen kommen ...“ [4] Das konnte die pharmazeutische Industrie nicht auf sich sitzen lassen. Da aber für Verhütungsmittel nicht öffentlich geworben werden darf, wurde in ausführlichen Artikeln, beispielsweise in der Postwurfsendung „EXTRA“, die nur von Inseraten lebt, von der Funktion der Ärzte diesbezüglich ein realistischeres Bild entworfen:

Genaugenommen müßte der Arzt eine Patientin, der erstmals die Pille verschrieben werden soll, eingehend über ihr Zyklusgeschehen ausfragen ... Viele Frauen erinnern sich aber nur ungenau an die Länge vergangener Zyklen ... Außerdem stehen die Gespräche im Sprechzimmer vor allem bei Kassenärzten unter Zeitdruck. Daher gingen viele Fach- und praktische Ärzte dazu über, ihren Patientinnen einfach zu sagen: ‚Im ersten Monat passen Sie halt noch ein bißchen auf!‘ Das erspart ihnen mehrere Minuten forschender Fragen. Die Pharma-Industrie ist damit aber gar nicht einverstanden, denn ihre Interessen sind in diesem Fall denen des verschreibenden Arztes entgegengesetzt. Er will Zeit sparen und eine idiotensichere Auskunft geben. Die pharmazeutische Industrie aber (die Konkurrenz auf diesem Sektor ist hart) will sagen können: Unsere Pille ist vom allerersten Tag der Einnahme an vollkommen sicher ...

Abgesehen davon, daß die Antibabypillen zuerst einmal überall frei erhältlich sein müßten, mit genauer Gebrauchsanweisung und Gegenindikation auf der Packung, so wie bei vielen anderen Medikamenten; abgesehen davon, daß es keine altersmäßige Begrenzung nach unten geben darf — Eierstock und Uterus bekommt man nicht erst zur Hochzeit geschenkt, beides haben auch schon ganz junge Mädchen —, ist prinzipiell die freie und kostenlose Abgabe aller Verhütungsmittel eine dringende Forderung. Verhütungsmittel sind teuer. Die Männer überlassen es den Frauen, sozusagen als Verlängerung ihrer sonstigen hausfraulichen Pflichten, selber für eine Empfängnisverhütung zu sorgen, und sie sind es, welche die Präventivpräparate aus eigener Tasche bezahlen müssen.

Und vor allem müssen sich die Frauen selber radikal für eine Verbesserung der Verhütungsmethoden einsetzen, weil nur diese die revolutionäre Trennung der Sexualität von der Fortpflanzung ermöglichen werden. Es gibt noch keine Verhütungsmethode, die bereits perfekt wäre, und es gibt noch keinen direkten freien Zugang für alle Frauen zur effektiven Geburtenkontrolle, da dieser Zugang hartnäckig von reaktionären Kräften verrammelt wird: von ideologischen Spekulationen, von spitzfindigen Diskriminierungen der Frage: (noch) Verhütungsmittel oder (schon) Abtreibung?

Empfängnis, Abtreibung, Verhütungsmittel — immer wird im Zusammenhang damit die Ethik zitiert und nach der Moral gerufen: die Sexualmoral ist der Überbau, und die Moral ist als Überbau abhängig von der ökonomischen Basis. Diese Basis besteht einerseits aus den kommerziellen Interessen der Industrie, anderseits aus der Technologie der Sexualpräparate. Besonders am Beispiel der Antibabypille wird deutlich, daß die moralischen Maßstäbe sich immer rasch dieser Basis anpassen; und sie verändern sich auch sofort, wenn neu auftauchende Interessen der Industrie und der jeweilige Stand der sexuellen Technologie es verlangen.

Wer also an Abtreibung und Verhütungsmittel „zeitlose“ moralische Maßstäbe anlegt, predigt eine Moral, die sich von Tag zu Tag ändert.

[1Arnim/Brentano: Des Knaben Wunderhorn. dtv 1963, Bd. 1. S. 12.

[2Spiegel v. 10.4.1972.

[3Spiegel v. 8.5.1972.

[4Kurier v. 24.7.1971.

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