FŒHN, Heft 7/8
Juli
1986

Unternehmerparadies Osttirol

Osttirol gilt als wirtschaftliches Sorgenkind des Landes Tirol. Laut Berichten der Tiroler Landesregierung werden seit Jahren besondere Bemühungen zur wirtschaftlichen Entwicklung dieses Bezirkes unternommen. Wie sehen diese Bemühungen aus?

Die Wirtschaftstreibenden erhalten im Rahmen der immer zahlreicher werdenden Wirtschaftsförderungsaktionen Zuschüsse, Prämien, Darlehen, Zinszuschüsse und Steuergeschenke. Als Kleingewerbeförderung wurden etwa im Jahre 1984 3,7 Millionen Schilling, als Hilfs- und Förderungsmaßnahmen für Klein- und Mittelbetriebe 2,9 Milhonen Schilling und im Rahmen der Zinsenzuschußaktion des Landes 697.251 Schilling ausbezahlt.

Insgesamt gibt es derzeit „weit über 100 verschiedene Wirtschaftsförderungsaktionen in Österreich“ (›Tirols Wirtschaft‹, 18.1.1986).

Das reiche Angebot an Geschenken für die Gewerbetreibenden und Unternehmer hat die Tiroler Handelskammer inzwischen zur Einrichtung einer Finanz- und Steuerpolitischen Abteilung veranlaßt. Ihr Ziel ist es, aus dieser Fülle von Förderungen die maßgeschneiderte Kombination von Förderungen für den jeweiligen Unternehmer herauszufinden.

Eine weitere Geldquelle ist das Raumordnungs-Schwerpunktprogramm. 1984 wurden in Tirol Kredite in Höhe von 119.150.000 Schilling vergeben. Davon erhielten Industrie, Sonderprogramme und regional bedeutsame Vorhaben 54.992.570 Schilling.

Über die 25.590.000 Schilling Raumordnungsmittel, die 1984 Osttirol zugeteilt wurden, berichtet der ›Osttiroler Bote‹ vom 25.4.1985. Unter dem Zwischentitel „Was haben wir 1984 bekommen“ steht unter anderem: „Planungsraum Lienz und Umgebung: Für einen Industriebetrieb 6,5 Mio. S, für 2 Gewerbebetriebe 1.650.000 S. Planungsraum Sillian und Umgebung: Für die Schaffung weiterer Arbeitsplätze in einem Industriebetrieb 3 Mio. S, für einen Gewerbebetrieb 200.000 S.“

Die Millionen haben die Unternehmer bekommen. Die Osttiroler haben gar nichts bekommen.

Seit 1983 gibt es zusätzlich zu diesem Katalog von Förderungen ein Sonderförderungsprogramm für Osttirol. Es handelt sich dabei im einzelnen um:

  1. Gemeinsame Sonderförderungsaktion von Bund und Land Tirol zur Schaffung von industriell-gewerblichen Arbeitsplätzen.

    Die öffentlichen Stellen können bis zu 75% des Investitionsvolumens fördern. Die Gesamtförderung setzt sich zusammen aus Arbeitsplatzprämien (bis zu 100.000 Schilling pro Arbeitsplatz) und einer 15%igen Investitionsprämie (bis zu 5 Millionen Schilling).

  2. Sonderförderungsaktion von Bund und Land Tirol für die Nationalparkregion Hohe Tauern.

    Ein Projekt kann durch Gewährung eines Zuschusses im Ausmaß von maximal 75% der Gesamtkosten, höchstens jedoch mit 1,5 Millionen Schilling gefördert werden. Bund und Land Tirol stellen für diese Sonderaktion jährlich ab 1984 6,6 Millionen Schilling, vorläufig auf drei Jahre, zur Verfügung.

  3. Wirtschaftsförderungsmaßnahmen des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie und des Landes Tirol.

    Die bereits bestehende Aktion nach dem Gewerbestrukturverbesserungsgesetz wird ausgeweitet. Anstelle von Zinsenzuschüssen von 3% auf 5 Jahre werden jetzt 5% für längere Zeit gezahlt.
    Bei der Fremdenverkehrs-Förderungsaktion wird 10 Jahre lang ein Zinsenzuschuß von 5% bezahlt.

Von 1983 bis 1985 wurden im Rahmen dieses Programms Förderungen in der Höhe von 32,75 Millionen Schilling und Zinsenzuschüsse für eine Gesamtkreditsumme von 156,64 Millionen Schilling ausbezahlt.

Welche Beträge erhalten die Unternehmer? Einen Hinweis darauf geben folgende Zahlen: Das ERP-Finanzbüro im Bundeskanzleramt hat 1984 7,5 Millionen Schilling für drei Anträge bewilligt. Das Land Tirol hat den Richtlinien des Sonderförderungsprogramms entsprechend diesen Betrag verdoppelt.

Wenn schon so ausgiebig gefördert wird, warum verschwinden dann die kleinen Handwerker, sperrt ein kleiner Betrieb nach dem anderen zu? Eben deshalb. Die Millionen erhalten die großen. Auf daß sie größer werden. Und ihre Gewinne.

Art und Ausmaß der Förderungen bewirken eine Verschärfung des Konkurrenzkampfes. In kleinen und mittleren Betrieben werden zwar gediegenere, aber viel teurere Produkte hergestellt als in Großbetrieben, deren Ausstattung mit Maschinen Bund und Land Tirol großzügig gefördert haben. Nicht mehr konkurrenzfähige Betriebe sperren entweder zu oder werden Zulieferbetriebe für große Firmen.

Die kleinen werden in den Ruin, bei den Großen die Gewinne in die Höhe getrieben.

Bei der Ansiedlung neuer Betriebe in Osttirol ist den öffentlichen Stellen in den letzten Jahren einiges gelungen. Als besonderen Erfolg bezeichnen es diese Stellen, daß es ihnen gelungen ist, auch ausländische Investoren zu Betriebsgründungen zu bewegen. Liebherr-Austria (Lienz) gehört dem Deutschen Liebherr. EGO-Austria (Heinfels) gehört einer deutschen Mutter. Euroclima (Sillian) gehört dem italienischen Industriekonzern Schmidhammer.

Was bewegt ausländische, aber auch heimische Firmen dazu, in Osttirol zu investieren? Da sind einmal die massiven Förderungen. Über Euroclima-Sillian berichtet der ›Osttiroler Bote‹ vom 7.2.1985: „Entgegenkommend zeigten sich die Agrargemeinschaft als Grundbesitzer und das Land Tirol bei der Zuteilung von Raumordnungsmitteln anläßlich der Betriebsgründung.“

Die Gemeindeverwaltungen sind großzügig. Sie stellen meist kostenlos das Fabriksgelände und die Anschlüsse an Kanal, Wasser und Strom zur Verfügung. Und heben häufig mehrere Jahre auch keine Lohnsummensteuer ein.

Der Hauptgrund aber ist ein anderer. Die Osttiroler sind fleißig, arbeitsfreudig, ruhig. Und vor allem billig. Je billiger die Arbeitskraft ist, desto mehr Gewinn ist aus ihr herauszuholen.

„Der größte Schatz des Bezirkes sind seine Menschen“, schrieb die ›Neue Tiroler Zeitung‹ einmal. Daß dieser Schatz ihre Arbeitskraft ist, schrieb die ›Neue Tiroler Zeitung‹ nicht. Diesen Schatz holen heimische und ausländische Investoren aus den Osttirolern heraus.

Das mittlere Einkommen der Arbeiter in Tirol lag 1984 um 3,5% unter dem österreichischen Durchschnitt. (Der österreichische Durchschnitt lag unter dem italienischen, der italienische unter dem deutschen, usw.). Die Verdienste der Osttiroler wiederum lagen zwischen 10% und 38% unter dem Tiroler Mittelwert.

Es werden sehr niedrige Löhne bezahlt. Mitunter nicht einmal die Kollektivlöhne. Dabei haben die Unternehmer sehr viel Geld aus den verschiedenen öffentlichen Förderungsaktionen bekommen. Für diese Förderungen ist eine Stellungnahme der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer notwendig, in der diese bestätigen, daß die Kollektivvertragslöhne bezahlt und die arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Sie bestätigen meist, auch wenn es nichts zu bestätigen gibt, weil sie sonst als die Schuldigen dafür hingestellt werden, daß die Leute keine Arbeit haben.

1985 war von ca. 10.000 bei der Sozialversicherung Gemeldeten nur ungefähr die Hälfte Mitglied der Gewerkschaft. Gesetze hin, Gesetze her, zur Gewerkschaft zu gehen, bedeutet für viele Entlassung.

In einer Schneiderei in der Region Villgraten werden trotz Förderungen weder Kollektivlöhne bezahlt, noch gibt es einen Betriebsrat. Aber was heißt „trotz Förderungen“? Der Betrieb wurde gefördert, gerade weil dort so billig gearbeitet wird und weil er die Löhne auch in anderen Textilbetrieben drückt. In der Zeitung wird so etwas dann „Musterbeispiel regionaler Strukturpolitik“ genannt (›Osttiroler Bote‹, 3.5.1985). „Ein Arbeitsplatz ist ein Stück Menschenwürde“ stand einmal im ›Osttiroler Boten‹. Wie Menschen werden die Osttiroler Arbeiter und Arbeiterinnen nicht behandelt. Für ihre Chefs sind sie nur billige Arbeitstiere.

Aber sie beginnen sich zu wehren und vor allem sich gemeinsam zu wehren. Sie erkennen, daß ihre Arbeit den Reichtum schafft, und sie wissen, wer sich mit ihrer Arbeit bereichert.

Die Liebherr International-AG mit weltweit 12.750 Mitarbeitern, zu der das Liebherr-Werk in Lienz gehört, hat im Jahre 1984 einen Gewinn von 602 Millionen Schilling gemacht.

Von Gewinnen wird in Osttirol nicht geredet, dafür umso mehr von Arbeitsplätzen. Gemeinde-, Bezirks- und Landesfunktionäre, Firmenchefs und Geschäftsführer reden in ihren Zeitungen dauernd von Arbeitsplätzen. Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit weisen sie darauf hin, wie viel sie für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen tun.

Nicht um Arbeitsplätze geht es ihnen, sondern um Arbeitskräfte. Die 100.000-Schilling-Prämie pro Arbeitsplatz, die jeder Unternehmer dafür erhält, daß er sich sein Geld von einer billigen Osttiroler Arbeitskraft vermehren läßt, ist eine Art Kopfprämie. Gefördert wird nicht, damit die Leute Arbeit haben, sondern weil sie billig arbeiten.

Die Politik der massiven Förderungen vor allem ausländischer Investoren ist in allen österreichischen Bundesländern gang und gäbe. Sie wird von SPÖ-Regierungen ebenso gemacht wie von ÖVP-Regierungen. Wie sicher aber sind die Arbeitsplätze in den Betrieben, die ausländische Konzerne in Österreich errichten?

Eine Reihe von Beispielen zeigt, daß die Konzerne, wenn sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen oder ein Land finden, in dem sie noch billiger produzieren lassen können, in diesen Betrieben zuerst die Leute entlassen oder Kurzarbeit einführen oder sie gleich zusperren: Saniped in Großpetersdorf (Burgenland), Bauknecht in Rottenmann (Steiermark), Siemens-Halbleiter-Werk (Kärnten). Für das General Motors-Werk in Wien-Aspern wurden an den amerikanischen Konzern Förderungen zur Schaffung von 3000 Arbeitsplätzen bezahlt — derzeit sind dort 1300 Arbeiter beschäftigt.

Wenn es bei der Wirtschaftsförderung darum ginge, sichere Arbeitsplätze und Arbeit für alle zu schaffen, müßte das Geld anderen gegeben werden und z.B. dafür eingesetzt werden, eine starke Verstaatlichte Industrie aufzubauen. Die Wirtschaftspolitik der derzeitigen Bundesregierung und der Landesregierungen ist aber alles andere als kurzsichtig. Es ist konsequente Politik für die in- und ausländischen Unternehmer. Gegen die Arbeitenden.

Das durchschnittliche Realeinkommen der Arbeiter war 1984 niedriger als 1975. Seit 1980 wurden die Reallöhne jährlich um 0,7% gesenkt. 1984 wurden, laut Sozialbericht, die Einkommen der Unselbständigen um 0,2% gesenkt, die Gewinne von Kapitalgesellschaften um 1,9% und die Einkünfte aus Besitz und Unternehmen um 4,8% gesteigert.

Und wie sieht es mit der „erdrückenden Steuerlast“ aus? 1970 blieben den Arbeitern und Angestellten von ihren Bruttoeinkommen 82%. 1984 waren es aufgrund der Steuererhöhungen und der angehobenen Sozialversicherungsbeiträge nur mehr 75%.

Auf der anderen Seite haben nach Berechnungen der Arbeiterkammer Selbständige und Unternehmer derzeit Steuerschulden von 28 Milliarden Schilling. Nach Schätzungen des Wirtschaftsforschungs-Instituts werden jährlich rund 60 Milliarden Schilling aus Kapitaleinkünften mithilfe geheimer Konten vor der Steuer hinterzogen.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Aber damit, sie aufzuschreiben, sie zu lesen, ist noch nichts getan.

KlassenGegenSätze

„O Herr Pfarrer, ich wünschte, ich könnte mein Geld mitnehmen“, sagte der reiche Mann, als er zum Sterben kam.
„Lieber nicht“, antwortete der Geistliche, „es möchte Ihnen schmelzen!“

Spanien, um 1810
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