FORVM, No. 485/486
Juni
1994

Unbe-Hagen oder Wie Menti Mediensponsor wurde

Von Prof. Dr. pr. Dipl. Werb. Alois J. P. Kaeufflich

Also zuerst muß ich den Titel kritisieren. Nicht grundsätzlich, wo würd’ ich denn, Titel sind etwas Gutes, nicht nur das, sie sind das einzig Gute! Alles, was dann kommt, ist eigentlich überflüssig, um nicht zu sagen: unprofitabel. Titel, Schlagzeilen — noch besser: einfach ein Wort, zugleich Produktname, ohne definitive Aussage und doch mit der unverhohlenen message: »kauf mich, kauf mich, kauf mich« — das ist eine der großen intellektuellen Forderungen unseres Berufsstandes.

Nun zum Titel, der uns hier vorliegt. Es ist vor allem der erste Teil, der mich irritiert. Ich kann mit »Unbe« nicht allzu viel anfangen. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, wäre da nicht die unverkennbar negative Botschaft »un«. Wie, um Mammons Willen, kommt ein »un« in einen Titel! Negative Botschaften sollte es nicht mehr geben, sie gehören ausgerottet, wo kämen wir denn da hin, schließlich könnte schon die Silbe »un« die Leute vom Konsumieren dieser Zeilen abhalten und ohne Konsum ist die Wirtschaft tot und ohne Wirtschaft sind wir tot, und daher Schluß mit diesen ewigen Schwarzmalern, diesen »Un«-Holden, diesem linkslinken Gesindel. Gänsehaut könnte einem darob die wunderschön massierte, gecremte, gestraffte Haut glatt ver»un«stalten.

Gehen wir lieber weiter zum »be«. Kein schlechter Ansatz, kann er doch in: behaupten, be-eindrucken, be-jubeln, be-hämmern, be-schwatzen, be-nebeln, be-lügen und — nicht zuletzt — be-fehlen münden. Wer denkt da schon an: be-denken, be-greifen oder be-gründen?

Der Teil des Titels, der mich am meisten anspricht, ist wohl zweifellos »Hagen«. Erinnere ich mich recht an das, was in meiner Schulzeit so an mir vorbeigerauscht ist, so war dieser Hagen doch ein recht vifer Bursche, ehrgeizig und strebsam. Wie jeder Werbefachmann muß auch er ein guter Journalist gewesen sein. Immerhin hat er recherchiert, wo dieser blonde, blauäugige, viel zu laut singende Jüngling Siegfried die Stelle hat, an der man ihn erwischen kann. Die Stelle, wo das glänzende Material direkt und unbeeinträchtigt in ihn eindringen kann, so daß es ihn umhaut. Freilich waren die Methoden damals noch nicht so ausgereift, sonst wäre es nicht passiert, daß der Typ, nachdem ihn die metallische Nachricht umgeworfen hat, fad und faul da liegen blieb und sich tot stellte.

Heute sind wir in annähernd 100 Prozent der Fälle so weit, daß der Adressat unserer Bemühungen, nennen wir ihn »Menti« (von »Konsument«), beglückt aufspringt und über Telephon bei »Gabi«, der Bestellungsaufnahmemaschine von GRO-FIT [1] oder gleich direkt über Computer seine Bestellung aufgibt. Schließzeiten der Geschäfte sind, Mammon sei Dank, kein Hindernis mehr. Und wenn man kein Geld hat, dann geben einem freundliche, altruistische Bankkaufleute Kredit. Auf die Idee, daß man ihm nach dem Leben trachtet, kommt Menti — im Unterschied zu Siegfried — nicht mehr. Und wenn er gepfändet ist und an den Folgen einer zerstörten Umwelt zugrunde geht, ist er als Konsument ohnehin nicht mehr interessant.

Wir haben das gleiche Ziel wie Hagen: den direkten Zugang zu Menti zu finden, den Punkt, wo man in ihn rein kann, wo das, was sein Leben bestimmt, quasi eine weiche, knetbare Masse ist.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir uns an der journalistischen Ambition unseres Vorvaters Hagen ein Beispiel genommen und sind dabei, diese — nicht zuletzt im Sinne einer neuen »Ehrlichkeit« — zu vervollkommnen, ja sogar um Wissenschaft und Philosophie zu erweitern!

Da erzählt uns im Fernsehen eine »Journalistin« ganz seriös die Geschichte der Menstruation, die nicht zufällig auch die Geschichte von bestimmten Tampons ist. (In Zeiten des zunehmenden Puritanismus könnte man uns sogar als Vorkämpfer von sexueller Offenheit und Gleichberechtigung am Bildschirm bezeichnen!)

Beeindruckend ist auch der gut gekleidete Herr, der an einem Pult steht — ähnlich dem bekannten Bürgerrechtskämpfer Walter Schiejok — und uns die neuesten harten Fakten und Nachrichten erzählt — aus der Pharmaindustrie.

Daß das Ganze noch innerhalb eines Werbeblocks geschieht, ist ein Fehler, das muß ich zugeben, aber wir arbeiten daran.

Diese Intention deckt sich übrigens zufällig mit den wohltätigen Aktivitäten unserer Auftraggeber. Manche Medien versteifen sich auf »objektive Berichterstattung«. Da für einen solchen anachronistischen Schwachsinn keiner zahlt, gehen sie der Reihe nach ein. Nun investieren unsere Auftraggeber Millionen, damit wenigstens die verbliebenen Medien überleben — als Unternehmen mit zeitgemäß adaptierten Richtlinien, versteht sich. Die anfängliche Entrüstung mancher Medienmanager haben wir ihnen nicht abgekauft. Das besorgten unsere Auftraggeber. Journalisten dürfen nun schöne lange Artikel schreiben, bunte Filmehen machen und brauchen sich nicht mehr so viel ums Geld zu sorgen. Nett und dankbar, wie sie nun einmal sind, berichten sie dann meist auch — ganz objektiv! — über das Produkt dessen, der ihre Existenz sichert. Eigentlich selbstverständlich, nicht wahr. Und wenn sie nicht von selber auf die Idee kommen, hilft man ihnen, macht Vorschläge, schreibt ihnen sogar den Text, wenn nötig.

Das hat allerdings überhaupt nichts mit Werbung zu tun. »Sponsoring« nennt man das. Der Sponsor ist nichts anderes als der Mäzen früherer Zeiten. Ein gutmütiger Mensch mit viel Kultur und viel Geld, welches er zu verschenken bereit ist. Und der beglückte Menti zahlt ihm das alles prompt beim Kauf des Produktes über den Preis zurück. Schließlich müssen auch die armen Unternehmer leben und die armen Werber.

So gesehen unternimmt Menti, wenn er kauft, einen zutiefst sozialen Akt. Und wird praktisch zum Sponsor der Medien.

Epilog

Lieber Gott, mach mich blind,
daß ich alles herrlich find.
Lieber Gott, mach mich taub,
daß ich allen Unsinn glaub.
Lieber Gott, mach mich stumm,
daß ich nicht nach Dachau kumm.
Bin ich blind, taub und stumm
zugleich,
dann bin ich reif fürs Dritte Reich. [2]

[1Unter dem Namen »Gabi« existiert tatsächlich seit kurzem ein sprechender Bestellungsannahmecomputer, allerdings nicht bei GRO-FIT, sondern bei einem österreichischen Versandhaus. Original-Werbeslogan: »›Gabi‹ macht Schluß mit dem Ladenschluß!«

[2Gebet aus dem Wien der Nazizeit. In: Johannes Kunz, Hoffnungslos, aber nicht ernst, Fritz Molden Verlag, Wien-München-Zürich 1976, Seite 64

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