Wurzelwerk, Wurzelwerk 15
Oktober
1982

Trübe Kosten

Die aufwendigste Baubranche seit dem Straßenbau ist in ein schiefes Licht geraten: einer markanten Kostenexplosion stehen gravierende Spätfolgen gegenüber. Kanalisation und Kläranlagen haben alle Merkmale gigantischer Fehlinvestitionen.

Der Duft kommt durch geschlossene Fenster in Wohn- und Arbeitsräume, verursacht zumindest Übelkeit und Kopfschmerzen. Die Qualität dessen, was die „Kläranlage“ verläßt, steht oft in Frage.

Die Sache ist wichtig. Doch die technokratische Superlösung, Konsequenz des großindustriellen Blähungssyndroms, verpufft oft schon angesichts ihrer Bewährungsprobe. Viele österreichische Seen sind in den letzten Jahren wieder sauberer geworden: das ist auch ein Verdienst kleinerer Anlagen ohne übermäßigen industriellen In-Put. Viele österreichische Fließgewässer sind in den letzten Jahren endgültig zur Kloake degradiert worden: das ist eine bedrohliche Begleiterscheinung zentraler Großentsorgungssysteme.

Für die Bauindustrie und Zulieferbranchen, aber auch für Verrohrungsspezialisten u.a. ist das Kanälegraben ein ausgesprochener Hoffnungsbereich, ergeben sich doch aus der gesetzlichen Festschreibung des Anschlußzwanges einseitig freundliche Perspektiven. Für Vollandwirte gibt es ja Ausnahmeregelungen. Obwohl gerade alte Senk- und Sickergruben von Ökologen als ernsthafte Gefahrenquelle lokalisiert werden. Andere Landwirte verdienen ein kräftiges Scherflein dazu, indem sie den Inhalt von dichten Senkgruben auf Äckern ausbringen. Leider setzt sich dieser heutzutage neben gewissen organischen Substanzen, die auch nur bis zu einer gewissen Dosierung (darüber hinaus passiert Überdüngung) von Boden und Grundwasser überhaupt nicht zuträglich sind.

Man sieht schon, es muß gar nicht immer gleich die „böse“ Industrie sein, zumindest nicht direkt ...

Auf die ungeklärte Substanz ihrer Abwässer an den Produktionsanlagen näher einzugehen erübrigt sich. Zu virulent sind die Probleme allerorts. Wieweit diese jedoch überhaupt geklärt, zumindest aber entschärft werden können, hängt wieder von ihrer Zusammensetzung ab. Heute werden überwiegend sogenannte vollbiologisch-mechanische Kläranlagen verkauft und gebaut. Ihre Wirksamkeit hängt nicht zuletzt von der möglichst gleichmäßigen Quantität und Zusammensetzung der einströmenden Mengen ab. Auch ein Klärbecken ist eine Art Biotop. Bestimmte Bakterienstämme bringen Abbau- und Zersetzungsprozesse in Gang. Neben mechanischen Reinigungsvorgängen sind diese wiederum mechanisch belebten Schlämme der wirkungsvollste Reinigungsvorgang. Solange sie nicht überhand nehmen. Kommt es nun zu stoßartigem Eindringen chemisch hochaktiver Abwässer z.B. durch Öffnen einzelner Schieber in den Werken — so löst dies unterschiedliche Reaktionen in den Klärbecken aus. Meist nicht mehr die gewünschten.

Die fixe Integration diverser Entlastungsstränge (Auslauf: der nächstgelegene Fluß) bei fast allen größeren Anlagen bezeugt, daß man sich der Probleme bewußt war.

Die Benutzung von Regenwasser als Vorfluter ist zwar praktisch und verdünnt die Brühe, ökologischer Weitblick aber ist es nicht. Grundwasserabsenkung und alle damit verbundenen Folgen stellen sich oft ebenso ein wie der vermehrte Bedarf nach den Entlastungssträngen.

Im südlichen Niederösterreich sind 4 Projekte signifikant für die Situation der „Entsorger“: der „Abwasserverband Süd“ soll den Großraum Pittental / Neunkirchen / Wr. Neustadt inklusive diverser schadstoffträchtiger Großindustrie entlasten. Für die Hamburger AG wurde eigens ein Strang durch kilometerweite Flur gelegt. Alle 10 Meter ein Kanaldeckel auf dem Acker ... Die zukünftig „Entsorgten“ dürfen die Anschlußkosten nach Protesten in Raten abstottern. Unlängst wurde die erste Ausbaustufe in Betrieb genommen. Ein Anrainer wittert schon seit längerem Verdacht. Der Disput mit den zuständigen Stellen der Landesregierung hat sich schon zu einem dicken Akt ausgewachsen. Die Lage der Rohre unterhalb eines häufig gegebenen Grundwasserniveaus, mangelhafte bauliche Ausführung wie auch die Integration der Papierfabrik aus Pitten, das ist der Kern der Vorwürfe. Manche Gutachter hegen auch ihre Zweifel, aber im Verborgenen. Noch bevor einer der Sammelstränge in Betrieb geht, strömt bereits Grundwasser in Richtung Kläranlage, Garantie für eine Verringerung der Funktionsfähigkeit. Heißt das, daß auch der umgekehrte Fall — Sammlerinhalt ins Grundwasser — vorgegeben ist ...?

Das zweite Projekt erregt im Piestingtal die Gemüter: nicht zuletzt zur Entlastung der Piesting (für die wechselnden Farbschauspiele beispielsweise ist die Papierfabrik der Heinzel-Gruppe in Ortmann zuständig) werkt auch hier ein Abwasserverband. Der Unmut der Bevölkerung bringt bereits lokale Polit-Größen ins Wanken, doch den Autofahrern hilft das auch nicht viel. Ein Dorado für Stoßdämpferfabrikanten.

Der „Abwasserverband Oberes Schwarzatal“ schlittert bereits in ein finanzielles Desaster: grundlegende Planungsfehler, Mängel in der baulichen Ausführung, möglicherweise auch Überkapazitäten. Kleinere Verbandsgemeinden werfen bereits das Handtuch.

Und schließlich gibt es auch einen Abwasserverband zwischen Puchberg und Bad-Fischau. Die Finanzierung im Umfang mehrer hundert Millionen freilich ist schon seit geraumer Zeit ungewiß. Projektierter Standort der Kläranlage: eine aufgelassene Schottergrube über der Mitterndofer Senke ...

Behördlich-kommerzielles Umfeld: Baubehörde erster Instanz sind Gemeinden, Bauträger meistens auch. Die Wasserrechtsbehörde ist die Landesregierung, in letzter Instanz das Bundesministerium. Lokale Baulöwen machen in jedem Fall ihren Schnitt. Je größer die Anlage, desto größer auch der Profit. Oft sind Auftraggeber und Unternehmer ein und derselbe ...

Alternativen? WURZELWERK 3/82 brachte einen ausführlichen Beitrag über Pflanzenkläranlagen. Die sogenannte „Wurzelraumentsorgung“ nach Kickuth eignet sich besonders für Einwohnergleichwerte zwischen 50 und 5.000 Personen. Nebenstehend noch einmal die wichtigsten Fakten dieser Methode, die die Vorteile aerober (mit Luftbakterien) Abbauprozesse mit den Besonderheiten anaerober Vorgänge vereinigt, ohne die schwierigen Probleme der Anaerobiose aufzuwerfen (Peter Petrich).

WURZELWERK 8/82 brachte einen Bericht über die Anwendung von Teichen in der Abwasserreinigung. Belüftete Teiche mit Belebtschlämmen erzielen abschließendes Klärwasserstadium. Im Ausland gewinnen Abwasserteiche in zunehmendem Maße nach bestehenden, aber in ihrer Wirkung nicht mehr ausreichenden Kläranlagen an Bedeutung. Wegen ihrer enormen Pufferkapazitat eignen sich Teichanlagen besonders gut zum Auffangen und Abbauen von Überlastungsdurchschlägen. Beide hier noch einmal kurz erläuterten Verfahren stellen wirkungsvolle und billige Alternativen bzw. Ergänzungen zu den bestehenden Systemen dar. Es wäre zu hoffen, daß man sich auf den Entscheidungs- und Planungsebenen ehestens damit befaßt. Wo man doch allerorts über soviele hervorragende Fachleute verfügt ...

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