Streifzüge, Heft 65
November
2015

Symmetrische und asymmetrische Kriege

Teil I — Von entfesselter Konkurrenz und Atomwaffen

„Ich geh mit meiner Laterne“ (Kinderlied)

Eigentlich leben wir in einer schönen Welt. Ein ausreichendes Maß Ressourcen an Naturstoffen, hochtechnologisierte Produktionsmittel und die historisch gewachsenen menschlichen Fähigkeiten könnten für alle Menschen ein gutes, genussvolles Leben frei von Armut und Hunger gewährleisten. Dass es so ungeheuer vielen Menschen auf diesem Planeten in den verschiedensten Schattierungsstufen schlecht geht, ist völlig unnötig. Genauso wenig kann irgendjemand die sich in neuerer Zeit auf dem Erdball ausbreitenden Kriege gebrauchen, die die Tendenz zeigen, gar nicht mehr enden zu wollen. Dass etwas grundsätzlich nicht mehr stimmen kann auf dieser Welt, scheint langsam ins Allgemeinbewusstsein einzusickern. Ein Sprachrohr dieser Entwicklung ist Jorge Bergoglio, bekannter als Papst Franziskus. Im November 2013 ging der „Papst der Armen“ in seiner ersten Lehrschrift „Evangelii Gaudium“ („Freude des Evangeliums“) mit dem herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystem mit den klaren Worten „Diese Wirtschaft tötet“ ins Gericht und geißelte die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. „Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben“, sagte Bergoglio in einem Interview mit der spanischen Zeitung La Vanguardia. Mit seiner 2015 veröffentlichten Enzyklika „Laudato si’ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ übt er harsche Kritik an der kapitalistischen Entwicklung und spricht von einem „strukturell perversen System“. Er verurteilt den Finanzmarktkapitalismus und fordert soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz.

„Schön, schön war die Zeit“ (Freddy Quinn)

Die Gemeinschaft der Christen braucht aber keine Angst zu haben, dass ihr Oberhaupt plötzlich zum „Leibhaftigen“ selbst – zu einem Kommunisten! – mutiert wäre. Bergoglio bringt mit seiner Kritik nur seinen frommen Wunsch zum Ausdruck, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können in die Zeiten eines prosperierenden Fordismus mit sozialer Marktwirtschaft – ohne Finanzkapital und Globalisierung – und ohne zu wissen, dass die innere Dynamik kapitalistischen Wirtschaftens von diesem Punkt aus stets ähnliche katastrophale Ergebnisse hervorbringen würde. Die moralische Betrachtung der Oberfläche der kapitalistischen Krise und der romantisierende Blick in die Vergangenheit sind nicht mit einer marxistischen Analyse vergleichbar. Erst von dieser Warte aus nämlich werden der Systemzusammenhang von abstrakter Arbeit, betriebswirtschaftlicher Rationalität, Marktwirtschaft und Wachstumszwang und die gesellschaftliche Reproduktion über „Arbeitsmärkte“ unter dem leitenden Selbstzweck des Geldkapitals erkennbar. Dieser Blick zeigt den inneren Zusammenhang zwischen dem historischen Stand der kapitalistischen Ökonomie und dem Charakter der dort stattfindenden Kriege und verhilft zu der Einsicht, dass die kapitalistische Gesellschaft kein bewusst initiierter und kooperativ vollzogener sozialer Stoffwechsel ist, sondern von einer vom Konkurrenzmodus geprägten und von Fetisch-„Gesetzen“ getriebenen Marktlogik durchwirkt ist. Ohne die „Kritik der politischen Ökonomie“ kann die Unbrauchbarkeit einer moralisierenden Differenzierung von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital, die Bergoglios Aussagen zugrunde liegt, nicht evident und kann der globalisiert-entfesselte Finanzmarkt nicht als Unfähigkeit des Kapitals, weiterhin gewinnbringend in die Realwirtschaft zu investieren, und somit als fundamentale Krisenerscheinung des kapitalistischen Systems dechiffriert werden.

„Alle gegen alle“ (Laibach)

Eingebettet ins kapitalistische System stellen die Menschen ihre Vergesellschaftung über den Austausch von Waren unter dem Diktat der Konkurrenz her. Sie werden sozial erst dann relevant, wenn sie Ware gegen Geld, Geld gegen Ware, Arbeitskraft gegen Lohn etc. erfolgreich tauschen können. Wenn sie das aber nicht mehr können, sind sie in der Sphäre des Marktes entwertet, werden komplett uninteressant und eine Last für die Gemeinschaft. An diesem Brennpunkt entwickelt sich in den letzten Jahrzehnten weltweit ein Problem, das Robert Kurz in seinem Buch „Kollaps der Modernisierung“ (1991) folgendermaßen zusammenfasst: „Die Konkurrenz zwingt und peitscht die Menschen in die abstrakte Verausgabung ihrer Arbeitskraft hinein, aber sie ist gleichzeitig das dynamische Prinzip, das tendenziell die ‚Arbeit‘ aufhebt und obsolet macht durch ihren anderen, ebenso unerbittlichen Zwang zu immer neuen Produktivitäts- und Verwissenschaftlichungsschüben.“ (S. 86) Der Erfolg oder Misserfolg einer Kapitalinvestition und das Ausstechen der Konkurrenten entscheiden sich am Kriterium des „billigsten Warenangebots“, das nur den Unternehmen mit der höchsten Produktivität eine Überlebenschance lässt. Da Produktivität aber nichts anderes heißt, als mit möglichst geringem Aufwand lebendiger Arbeit eine große Masse an Produkten herstellen zu können, hat das Kapital ein vitales Interesse, die Last der Kosten menschlicher Arbeitskraft durch Technologisierung der Produktion zu minimieren. Jede Innovation soll noch mehr Menschen und Arbeitsplätze einsparen.

Mit der dritten industriellen Revolution, d.h. der Durchsetzung und Verallgemeinerung der neuen elektronischen Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologien, wurde die Anwendung des Wissens auf die Produktion endgültig zur Hauptproduktivkraft. Das verschaffte dem Kapital zwar einen bisher ungekannten Freiheitsgrad gegenüber der Lohnarbeit, das Überflüssigmachen von Arbeitskraft im großen Stil blieb allerdings auch für das Kapital nicht ohne Folgen: Es verflüchtigt sich die „Substanz“ allen ökonomischen Werts und mit ihm die zahlungskräftige Nachfrage nach Industrieprodukten mangels ausreichender Gelegenheit zum Verkauf von Arbeitskraft. Die Folgen sind Massenarbeitslosigkeit und große Billiglohnsektoren, die ein Abschmelzen der Kaufkraft auf den Binnenmärkten bewirken. Angewiesen auf den Verkauf eines gleichzeitig immer größer werdenden Warenausstoßes, ist das Kapital gezwungen, sich zu globalisieren, um auf dem Weltmarkt die Kaufkraft, die es noch gibt, auf sich zu ziehen. Die produktivitätsstärkeren Kapitale sind zunehmend auf allen Märkten der Erde gleichzeitig präsent, verschärfen damit die allgemeine Konkurrenzsituation und erzeugen mehr und mehr „Verlierer“ im internationalen Maßstab.

„Highway to Hell“ (AC/DC)

Als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Friedrich Engels) organisiert der Staat die allgemeinen Bedingungen für die Kapitalakkumulation und dient dem Kapital dadurch als Wegbereiter seiner stummen Funktionslogik. Dafür braucht er Geld, das er sich via Steuern und auf den Finanzmärkten besorgt. Die Höhe seiner Einnahmen richtet sich nach dem Erfolg der Kapitalakkumulation, gemeinhin als Wirtschaftswachstum bezeichnet, weshalb der Imperativ der gelungenen Kapitalverwertung zum Wesensbestand des Staates gehört. Es geht ihm um die Profilierung „seines“ Standorts als Referenz für profitträchtige Investitionen, um freien Zugang zu möglichst vielen Märkten dieser Welt, um die hierarchische Optimierung der eigenen Position in der globalen Staatengemeinschaft und um den ungehinderten Zugriff auf strategische Rohstoffreserven. Die sich im globalen Maßstab aufheizende Konkurrenz um Marktanteile, die schwindende Kaufkraft, der dem kapitalistischen Wirtschaften inhärente Zwang zu stetiger Expansion und letztlich die Verschränkung des ökonomischen und politischen Willens zur Aufrechterhaltung des Automatismus der Weltmarktbewegung schließen die Option der militärischen Gewalt ein. Pazifismus war noch nie ein Prinzip der Herrschenden, gegen Gewalt als solche haben sie gar nichts. Wie uns die Geschichte lehrt, sind Krieg und Gewalt geradezu Kristallisationskerne, um die herum sich Staat und Kapitalismus formiert haben und die in Krisenzeiten wieder erkennbar werden. Der französische Sozialist Jean Jaurès formulierte es treffend mit den Worten: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ Etwas weniger bildlich, aber ebenso zutreffend äußerte sich der preußische Generalmajor und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz: „So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.“ Krieg ist demnach nichts anderes als ein politisch definierter Wille zur unbedingten Fortsetzung der Konkurrenz mit militärischen Mitteln, zur skrupellosen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Sein Wesenskern umfasst alles nur vorstellbare menschliche Leid und Elend – den unnötigen und massenhaften Tod inklusive. Außerdem ist er die schrecklichste Art der Barbarisierung von Zwischenmenschlichkeit. Werfen wir ein Auge darauf, welche neuen Gesichter der Krieg in der heutigen Zeit zeigt.

„Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit“ (Sanctus)

Wenn wir in Europa an Krieg denken, so fällt den meisten schon wegen der eigenen Familiengeschichte der Zweite Weltkrieg ein. Er gehört zu jener heute noch nicht abgeschlossenen Epoche der Kriegsgeschichte, in der die Staaten als faktische Kriegsmonopolisten aufgestellt sind und als Akteure gegeneinander antreten. Weniger die gleiche Stärke als vielmehr die organisatorische Gleichartigkeit ist die Voraussetzung dafür, dass sie sich reziprok als Gleiche anerkennen. Die militärisch ausgetragenen Konflikte zwischen solchen Staaten werden „symmetrische Kriege“ genannt.

Die USA gingen zweifelsohne als die stärkste Siegermacht aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Ihre damalige, im globalen Vergleich überwältigende ökonomische Macht erlaubte ihnen nach 1945 die „permanente Kriegswirtschaft“ mit einer sich bis heute weiterentwickelnden technologischen Ausrüstung und militärischen Stärke, die die übrigen Mächte der Welt rasch deklassierte. Im Jahr 2014 beliefen sich die Ausgaben der USA für ihren Militärhaushalt auf fast 700 Milliarden US-Dollar; etwa 1000 Militärbasen, auf denen eine Viertelmillion Soldaten stationiert sind, sichern ihr jederzeit globale Eingreifoptionen. Der US-Militärhaushalt ist seit Jahrzehnten der höchste der Welt und war zeitweise sogar höher als jener der restlichen Welt zusammen. Zur vergleichenden Einordnung bietet sich Russland an, das für seine Streitkräfte im gleichen Jahr „nur“ 85 Milliarden US-Dollar aufwendete und weltweit über gerade einmal 25 Militärbasen hauptsächlich in ehemaligen Sowjetrepubliken verfügt. Die Armee der Vereinigten Staaten ist mit großem Abstand die bestausgerüstete, mobilste und schlagkräftigste Kriegsmaschinerie, die die Menschheit jemals gesehen hat.

Mit der Entwicklung der Atombombe vollzog die Militärtechnologie allerdings einen Qualitätssprung, der wiederum die konventionellen Heeresteile in ihrer militärischen Bedeutung erschreckend relativierte. Die Kernwaffe kann ganze Städte auf einen Schlag zerstören, viele hunderttausende und sogar Millionen Menschen töten und als destruktivste aller Massenvernichtungswaffen einen Krieg in kürzester Zeit entscheiden. Wenn nur ein einzelner Staat mit Atombomben bestückt wäre, würde das die absolute Vormachtstellung in der Konkurrenz der Welt bedeuten. Erstmalig eingesetzt wurde die militärische Kernwaffentechnologie auf Befehl des US-Präsidenten Truman 1945 während schon laufender Kapitulationsverhandlungen mit Japan durch den Abwurf zweier Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, zwei militärstrategisch völlig uninteressante Städte. Die Explosionen töteten etwa 92.000 Menschen sofort, fast ausschließlich Zivilisten. An Folgeschäden starben bis Jahresende 1945 weitere 130.000 Menschen. Es handelte sich um zwei verschiedenartig entwickelte Atombomben – die eine auf Uran-, die andere auf Plutoniumbasis aufbauend – die die USA noch vor Kriegsende auf ihre Kriegstauglichkeit hin „testeten“. Derzeit besitzen die USA ein Atomwaffenarsenal von über 7000 Atomsprengköpfen strategischer und taktischer Art und können mit ihren Tarnkappenbombern und Interkontinentalraketen blitzschnell jeden Zipfel dieser Welt mit nuklearem Grauen überziehen.

Die forcierte Entwicklung der eigenen Nukleartechnik war die Reaktion der Sowjetunion auf „Little Boy“ und „Fat Man“, die makaber-lustigen Spitznamen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Im August 1949 zündete sie erfolgreich ihre erste eigene Atombombe und läutete damit den bis 1989 andauernden Kalten Krieg ein. Gekennzeichnet war die Ära des Kalten Krieges durch die Doktrin des Gleichgewichts des Schreckens (Mutually Assured Destruction, MAD, wörtlich übersetzt „wechselseitig zugesicherte Vernichtung“). Derzeit sind die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea eigenständig nuklear bewaffnet. Wie viele Nuklearwaffen notwendig wären, um alle denkbaren Gegner nuklear zu vernichten, haben Rüstungskritiker in einem Computermodell errechnet. Für Russland bräuchten die Amerikaner 51 Atomwaffen, für China wären wegen der sehr viel größeren Bevölkerung 368 nukleare Sprengsätze nötig. Umgekehrt könnten die USA mit 124, die gesamte Nato mit 300 Atomwaffen ausradiert werden.

Der Nuklearwissenschaftler Alan Robock beschreibt eindrücklich, was passieren würde, wenn im Kriegsfall 50 Atombomben innerhalb eines kurzen Zeitraums zum Einsatz kämen. An den unmittelbaren Folgen der Atomwaffen wie der Druckwelle, der Radioaktivität und der Feuerstürme sowie der massiven Verschmutzung würden Millionen Menschen in den unmittelbaren Explosionsgebieten sterben. Aber die Feuerbrünste hätten durch die Entwicklung ungeheurer Rauchmengen eine noch viel umfassendere Wirkung. Der Rauch würde in der Stratosphäre über die ganze Erde verweht und die Temperaturen sehr rasch auf ein Niveau unterhalb der Kleinen Eiszeit (zwischen 1600 und 1850) sinken lassen. Bei einer weiteren Erhöhung der Rauchmenge käme es zu einem „nuklearen Winter“, der sich auf das gesamte Leben auf der Erde extrem zerstörerisch auswirken würde.

Die Atommächte der Welt verfügen nicht über 50, sondern über etwa 16.300 Atomsprengköpfe. Welche desaströsen Auswirkungen der Einsatz von nukleartechnologischen Produkten hat, wissen alle. Trotzdem wird vor allem in den USA seit Beendigung des Kalten Krieges fieberhaft daran geforscht, wie Atomkraft zum militärischen Einsatz kommen kann, ohne dass gleich die ganze Welt untergeht. Im Umgang mit der Nukleartechnik bestätigt sich leider die These von Günther Anders, „dass wir der Perfektion unserer Produkte nicht gewachsen sind … und dass wir glauben, das, was wir können, auch zu dürfen, nein, zu sollen, nein, zu müssen“.

Das Projekt NMD (National Missile Defense), geläufiger unter dem Namen US-Raketenschutzschild, dient der Militarisierung des Weltalls. Mit gigantischem Wissenschaftsaufwand wird der Zweck dieses Projekts vorangetrieben, anfliegende Interkontinentalraketen mit satellitengestützter Überwachung zu erkennen und entweder bereits nahe der Abschussrampen, auf ihrer Bahn im Weltall oder während des Sinkfluges in der Erdatmosphäre mittels Raketen oder Lasern zu zerstören. Auf diese Weise soll ein Verteidigungsschutzschild für die Vereinigten Staaten realisiert werden, der freilich auch zum Abfangen von Gegenschlägen einer feindlichen Atommacht taugt und damit den atomaren Angriffskrieg vonseiten der USA möglich werden lässt.

Begleitet von einer Propagandakampagne zur „Heimatverteidigung“ ließ das Pentagon parallel dazu eine „gering wirksame“ Atomwaffe – die sogenannte mini-nuke – entwickeln, die für das konventionelle Schlachtfeld konzipiert ist. Ihre Sprengkraft bewegt sich zwischen einem Drittel bis zum Sechsfachen der Potenz jener Atombombe auf Hiroshima, sei aber laut wissenschaftlichen Studien harmlos für die Zivilbevölkerung und sozusagen eine „humanitäre Atombombe“. Dieses konstruierte Teletubby-Image des neusten Atombombenentwurfs dient einzig und allein dem Zweck, bisher nicht vorhandene Akzeptanz gegenüber dem militärischen Einsatz der Nukleartechnologie zu erzeugen und zu fördern. Zu alldem passend formulierte das US-Verteidigungsministerium 2005 seine neuen Optionen für nukleare Militäroperationen. Atombomben sollen danach zur Abwehr potenziell übermächtiger gegnerischer konventioneller Streitkräfte eingesetzt werden sowie zur Demonstration der amerikanischen Entschlossenheit und Fähigkeit, auf den gegnerischen Einsatz oder auch nur möglichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen jeglicher Art zu reagieren. Auf dieser Basis lässt sich gerade mit Blick auf die Begründung des Krieges gegen den Irak 2003 (angeblicher Besitz von Massenvernichtungswaffen) mühelos jeder Atombombenabwurf rechtfertigen.

„Horch, was kommt von draußen rein, hollahi, hollaho?“ (Volkslied)

Dass spätestens im Irak-Krieg 1991 und danach in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan und im 3. Irak-Krieg 2003 massenhaft Atomwaffen eingesetzt wurden, wird vor der Weltbevölkerung möglichst geheim gehalten, verharmlost und vertuscht. Die Rede ist von DU-Munition (depleted uranium munition), die von Panzern oder Flugzeugen aus verschossen wird. Dieses abgereicherte Uran entsteht als Abfallprodukt der Atomindustrie bei der Herstellung von Brennstäben aus Natururan. Es ist leicht radioaktiv und wie jedes andere Schwermetall hochgiftig. Weltweit sind bis heute weit mehr als eine Million Tonnen DU als Problemabfall angefallen, bis Militärdesigner das Material für ihre Zwecke entdeckten, es zu Metallstäben formten und beschleunigten. Geschosse aus abgereichertem Uran haben eine andere Wirkung als die Uranbombe, wie sie in Hiroshima eingesetzt wurde. Deren Zerstörungskraft beruhte auf der atomaren Kettenreaktion des angereicherten Urans. Die beabsichtigte Wirkung der Urangeschosse ist aber die mechanische, panzer- und bunkerbrechende Wirkung durch Druck- und Hitzewellen. KE(Kinetische Energie)-Penetratoren durchbrechen jedes Hindernis und entwickeln dabei eine Reibungshitze bis zu 5000° Celsius, die das abgereicherte Uran ohne Zugabe weiteren Sprengstoffs explosionsartig verbrennen lässt.

Die Folgen des Einsatzes dieser Waffe sind verheerend. Bei der Verbrennung des DU entsteht ein mit sogenannten Nano-Partikeln angereichertes Metall-Rauch-Gas. Diese Nano-Partikel sind hundertmal kleiner als rote Blutkörperchen und können mit Wind und Staub in große Entfernungen transportiert werden. Wenn der menschliche Körper sich damit kontaminiert, die Partikel also einatmet oder per Lebensmittel zu sich nimmt, kann das abgereicherte Uran zu allen Organen wandern und sich dort festsetzen. Diese Uran-Nano-Partikel sind zwar nur schwach radioaktiv, strahlen aber vom Ort ihrer Festsetzung wie eine nie untergehende Sonne auf die Nachbarzellen und rufen Krebs hervor. In Fortpflanzungsorganen entstehen auf diese Art Chromosomenbrüche, die den genetischen Code des Menschen verändern. Ihre Radioaktivität hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren und breitet sich über Staub, Wind und Wasser nach überall hin aus.

Irak ist das am stärksten durch Uranwaffen kontaminierte Land. Die USA und Großbritannien verschossen in den Kriegen von 1991 und 2003 mindestens 400.000 Kilogramm Uranmunition. Die Zivilbevölkerung war nicht über die Risiken des Einsatzes informiert. Die Anzahl der Krebserkrankungen und der Missbildungen bei Neugeborenen ist im Irak seit dem massenhaften Einsatz der DU-Munition eklatant in die Höhe geschnellt.

Der Filmemacher Frieder Wagner, der etliche Jahre lang zum Thema DU-Munition und ihre Folgen recherchierte und einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Deadly Dust“ herausbrachte, vertritt die These, dass die nuklearen Emissionen der bisher vorgenommenen Atombomben- und Wasserstoffbombenversuche, die sich weltweit auf unglaubliche 2.053 summieren, in Verbindung mit den täglichen Emissionen von Wiederaufbereitungsanlagen, Atomkraftwerken, Schnellen Brütern etc., den Folgen der fürchterlichen Atomkraftwerksunfälle in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima und dem massiven Einsatz von DU-Munition sich in unserer Luft inzwischen zu einer Wolke aus „Todesstaub“ verdichtet hat, der um unsere Erde kreist und lebenszerstörend in unsere Körper eindringt. „Die Katastrophe ist ein Baum, der sprießt“, heißt es in Tschernobyl.

„Uncle Sam does the best he can” (Status Quo – „In the army now“)

Wenn Robert Kurz in seinem Buch „Weltordnungskrieg“ die USA als konkurrenzlose, absolute militärische Supermacht ansieht, so kann ich ihm in diesem Punkt nicht ganz folgen. Lassen wir die NATO-Partner außen vor (und auch die werden im Zuge des Konkurrenz- und Expansionsimpulses kapitalistischen Wirtschaftens irgendwann zwangsläufig zu Gegnern), so verbleiben immer noch Russland und China als atomare Militärmächte, die die USA existentiell in ihrem Fortbestand gefährden können. Indien und Pakistan haben zwar genügend Atombomben, um die USA zu vernichten, ihre Interkontinentalraketen haben aber noch nicht die Fähigkeit, die große Distanz nach Amerika zu überwinden. Zweifelsohne sind die USA der global stärkste militärische Gewaltapparat, der sich dieser Welt in Kriegseinsätzen in Permanenz präsentiert. Solange aber die US-Militärwissenschaftler die militärische Nutzung des Weltalls nicht zu der entscheidenden Reife bringen, dass atomare Erst- und Gegenschläge anderer potenter Nuklearmächte effektiv verhindert werden können, werden die USA ihre globalen Hegemonieansprüche bei Gefahr des eigenen Untergangs im Zaum halten müssen. Unbeeindruckt von jeder momentan erzwungenen Zügelung zeigen die USA aber den unbedingten Willen, sich auch nuklear unangreifbar zu machen. Unter den Vorzeichen des Zerbröckelns des kapitalistischen Weltzusammenhangs werden die Vereinigten Staaten im Fall ihrer nuklearen Unangreifbarkeit nicht zögern, zur Durchsetzung ihrer Interessen ihren Hightech-Gewaltapparat im vollen Umfang und gegen jeden „Schurkenstaat“ zur Geltung zu bringen.

Die Aufgabe, der die USA und ihr militärischer Arm in der Gegenwart nachgehen, besteht im Versuch des Erhalts des einheitlichen kapitalistischen Weltsystems auf Biegen und Brechen, obwohl dieses global den größten Teil der Menschheit nicht mehr reproduzieren kann. Mit ihrer massiven militärischen Präsenz im Nahen und Mittleren Osten reflektiert die US-Politik, dass ihr Wirtschaftssystem als Verbrennungskultur auf Erdöl als energetische Basis angewiesen ist. Dessen Vorkommen ist weltweit begrenzt und erschöpft sich zunehmend. Als Speerspitze des transnationalen Kapitals sichern die USA den ungehinderten Zugang zu einem Gebiet, in dem sich etwa 70 Prozent dieser strategischen Rohstoffreserve befinden.

Schauen wir uns am Beispiel der Irakkriege die Stärken und Schwächen an, die die US-Politik samt ihrer Militärstrategie zeigen. Nachdem der Irak August 1990 Kuweit überfallen und annektiert hatte, ermächtigte der UN-Sicherheitsrat die USA und ihre willigen Helfer zu Kampfhandlungen gegen den Irak. Obwohl der Irak nach zehn Jahren Krieg mit dem Iran ökonomisch wie militärisch sehr geschwächt war, handelte es sich bei dem 2. Golfkrieg um einen symmetrischen Krieg: Es standen sich zwei Heere mit ähnlicher Organisationsstruktur gegenüber. In Bezug auf die verwendeten Rüstungsgüter und den Mobilisierungsgrad der Kriegsparteien war der 2. Golfkrieg neben dem Vietnamkrieg der schwerste Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der erste militärische Großeinsatz der Vereinigten Staaten im Nahen Osten. Nachdem die US-Kriegsmaschinerie Kuweit befreit und das irakische Heer erwartungsgemäß innerhalb kürzester Zeit überrollt hatte, kam es zu Waffenstillstandsvereinbarungen und zur offiziellen Beendigung des Krieges im April 1991.

Als Reaktion auf die Vereinnahmung Kuweits verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im August 1990 auf amerikanische Initiative die Resolution 661, die erst nach dem Sturz Saddams 2003 wieder aufgehoben wurde und sich als besonders perfide Form der Kriegsführung gegen das irakische Volk entpuppte. Sie begründete ein umfassendes Wirtschaftsembargo gegen den Irak und wurde durch die restriktive Art ihrer Verwirklichung zu einem Instrument der Massentötung. Das Sanktionskomitee ließ kaum Medikamente, medizinisches Gerät oder Chemikalien ins Land. Alle sich in dieser Zeit entwickelnden Krebserkrankungen – ausgelöst z.B. durch DU-Munition – liefen auf ein sicheres Todesurteil hinaus ebenso wie etliche andere Erkrankungen wie z.B. Diabetes. Von der westlichen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550.000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen – durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung.

Die zwölf Jahre zwischen dem 2. und dem 3. Golfkrieg waren zudem durchsetzt von militärischen Strafaktionen gegen Saddam Husseins Machenschaften. Allein für das Jahr 1999 wurden an 132 Tagen Luftangriffe auf den Irak registriert. Der 2. Golfkrieg hörte faktisch also nie auf, sondern durchlief nur eine „kalte“ Phase. Am 20.3.2003 begannen die USA auf der Basis nachweislicher Lügen den 3. Golfkrieg mit Luftschlägen auf Bagdad, stießen auf ein inzwischen schlecht organisiertes, demoralisiertes irakisches Heer, das zu keinem ernsthaften Widerstand mehr in der Lage war, und erklärten den Krieg nach Einnahme Bagdads am 1. Mai 2003 wieder für beendet: „Mission accomplished!“ Mit der Auflösung der Streitkräfte Husseins, der Elitetruppe „Republikanische Garden“ und des Informations- und Verteidigungsministeriums war die symmetrische Kriegsführung USA versus Irak tatsächlich beendet, aber nur um in der asymmetrischen Form seine kriegerische Fortsetzung zu finden.

„Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ (Christian Anders)

Große Teile der aufgelösten irakischen Armee vom Fußsoldaten bis zum General schlossen sich mit der im Irak beheimateten und mit Hass auf den „Westen“ erfüllten Rebellengruppe „Islamischer Staat“ zusammen, die sich schon vorher über Verstärkung durch Dschihadisten des Netzwerks Al Qaida freuen konnte. Militärisch gut ausgebildet und ausgerüstet und mit jahrzehntelangen Erfahrungen im militärischen Widerstandskampf gegen die Supermächte dieser Welt, treibt dieser Milizenzusammenschluss mit neuen Kriegstaktiken bis heute expandierend sein verworrenes und terroristisches Unwesen und zeigt seine Präsenz zunehmend auch in anderen „failed states“.

Nicht nur der verlorene Vietnamkrieg, in dem der Vietcong mit großem Erfolg seine Guerillataktiken einbrachte, sondern auch der fluchtartige Abzug der US-Soldaten aus Somalia nach der Schlacht um Mogadischu und die Erfolglosigkeit des Einsatzes regulärer US-Truppen in Afghanistan haben der Weltöffentlichkeit schon früher gezeigt, dass der asymmetrische Krieg eine Achillesferse der Supermacht Nr. 1 zu sein scheint. Das nagt am Nimbus der Unbesiegbarkeit der USA. Die Demonstrationen militärischer Hilflosigkeit verzahnen sich folgenschwer mit einem anderen Defizit der USA. Am Ende des Zweiten Weltkriegs als weltweit stärkste Ökonomie positioniert, sind die Vereinigten Staaten heute das Land mit der größten Binnenverschuldung als auch mit der größten Außenverschuldung der Welt. Dieser ungeheure Verschuldungsprozess wird getragen vom Zustrom internationalen Geldkapitals, das als Kreditgeld eine gefährliche Forderung an die US-Ökonomie darstellt, weil es jederzeit abgezogen werden kann.

„Diese Gefahr betrifft nicht zuletzt den Hightech-Militärapparat selbst, der ja permanent Unsummen verschlingt und damit erst recht am Tropf des transnationalen Finanzkapitals hängt. Denn es handelt sich dabei um eine abgeleitete Finanzierung, die somit reell auf einer eigenständigen nationalökonomischen Potenz beruhen müsste, die den USA jedoch schon längst abhandengekommen ist. Das militärische Potential für sich allein ist in seiner gewissermaßen ‚naturalen‘ Gestalt nicht lebensfähig, da es eben wie alles in der kapitalistischen Welt durch das Nadelöhr der ‚Finanzierbarkeit‘ hindurch muss.“ (Robert Kurz, Weltordnungskrieg, S. 25)

Die universelle Konkurrenz des globalen Kapitalismus macht auch vor den Toren der USA nicht halt und bringt Nervosität und noch mehr Unberechenbarkeit ins Spiel. Sie impliziert immer und überall die Logik des Risikos, das beileibe nicht nur in Schwankungen des Einkommens besteht. Der tautologische Selbstzweck kapitalistischen Wirtschaftens produziert weltweit massenhaft „überflüssige“ Menschen, in denen sich die Risiken der Armut und des Elends realisieren. Diejenigen von ihnen, die das Pech haben, am falschen Ort zu leben und die gewaltsame „Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln“ erleben müssen, schauen gar dem unmittelbaren Todesrisiko ins Auge. Wer meint, dass die vielen, die auf die eine und andere Weise unter die Dampfwalze der Wertverwertung geraten sind, sich doch bestimmt radikal vom Kapitalismus abwenden, liegt falsch. Verhaftet in der Warenförmigkeit ihrer Subjektivität produzieren sie stattdessen Irrationalismen, Konfliktlinien und ideologische Strömungen, die sich nur als Momente negativer Weltvergesellschaftung erklären lassen, als Zersetzungsprodukte einer globalen, fundamentalen Kapitalismuskrise.

Wie unheilvoll sich dieses Problem im Phänomen der asymmetrischen Kriegsführung, im Kampf gegen den „Westen“ und in einem „eindimensionalen Antiimperialismus“ auslebt, werde ich im Teil 2 dieses Artikels erörtern.

nächster Teil: Symmetrische und asymmetrische Kriege
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