Heft 2/2000
April
2000

Sozialer Nonsens, rassistischer Konsens

Die neue Koalition betreibt eine Transformation der Sozialpartnerschaft. KritikerInnen sollten sich dennoch nicht auf die „soziale Frage“ konzentrieren.

Seit dem Wahlerfolg der FPÖ und ihrer Koalitionsvereinbarung mit der ÖVP ist in zahlreichen Artikeln zu Recht auf die Gemeinsamkeiten von sozialdemokratischer und freiheitlicher Politik verwiesen worden. Insbesondere im Bereich der Migrationspolitik liegen diese Gemeinsamkeiten so offen zu Tage, daß der jetzige Versuch der SPÖ, sich als Anwalt der von der FPÖ drangsalierten AusländerInnen aufzuspielen, nur noch lächerlich ist.

Differenzen der Freiheitlichen zur SPÖ bestehen jedoch im Bereich der Organisation des Sozialen. Schon der bisherigen Sozialpartnerschaft war ihr Ursprung in korporatistisch-reaktionären Modellen und in der Volksgemeinschaftsideologie anzusehen. Die sich bereits abzeichnende neue Form der Austragung von Konflikten zwischen Kapital und Arbeit weist jedoch bereits offen faschistische Züge auf. Zunächst soll es der Gewerkschaft, die laut FPÖ „in ihrer bisherigen Form (...) längst ihre Existenzberechtigung verloren (hat)“, [1] an den Kragen gehen. Die neue Regierung plant, den Gewerkschaften das Recht, auf der Makroebene Löhne auszuhandeln, weitgehend zu entziehen. Statt dessen sollen Lohn- und Arbeitszeitverhandlungen in den jeweiligen Betrieben stattfinden. Die Vorstellung vom strengen, aber gerechten „Unternehmer“, der sich mit seinen ArbeiterInnen ohne störende Gewerkschaften ins Einvernehmen setzt, entstammt der FPÖ-Programmatik und erinnert an die NS-„Betriebsgemeinschaft“. Haider selbst begeisterte sich unlängst im Interview mit dem Organ des Movimento Sociale für den faschistischen Korporatismus: Er nennt dort die ständestaatliche Organisation des Sozialen ein „Ziel, das erreicht werden soll“. [2] Sein Koalitionspartner wiederum verehrt immer noch den austrofaschistischen Miniführer Dollfuß, der die 1934 etablierte Diktatur ebenfalls ständestaatlich verbrämte. Gleich den FaschistInnen halten auch deren Nachkommen die disziplinierende Kraft der Arbeit hoch: Langzeitarbeitslose sollen künftig zu „gemeinnützigen“ Hilfsarbeiten gezwungen werden können.

Gemeinsamer Nenner von ÖVP und FPÖ?
Austrofaschist Dollfuß

Die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften üben sich angesichts des neuen Kurses, der als Umverteilung von unten nach oben und Angriff auf ArbeiterInnenrechte begriffen wird, bereits in Drohgebärden. Hatten sie vorangegangene Einschnitte ins Sozialsystem noch mehr oder weniger stillschweigend hingenommen, geben sie sich nun kämpferisch. Das allerorts gefürchtete Ende des sozialen Friedens wirft die Frage auf, was die ÖVP und mit ihr maßgebliche Teile der heimischen Bourgeoisie beim Einschwenken auf den offenen Konfrontationskurs angetrieben hat. In einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Machtrausch und weltanschaulicher Verselbständigung rückten sie vom erfolgreichen Kurs der sozialpartnerschaftlichen und materiellen Integration ab. Das neue Integrationsmodell, in welchem die FPÖ den Part der SPÖ übernimmt, könnte sich aber als nicht minder erfolgreich entpuppen.

Während es die Sozialdemokratie in der fordistischen Blütezeit vermochte, die „kleinen Leute“ vor allem über materielle Transferleistungen an sich und den Staat zu binden, erfolgt die Integration nunmehr in erster Linie ideologisch. Der integrale Nationalismus hat hierbei erfolgreich den Sozialpatriotismus abgelöst. War letzterer noch bestimmt von positiver Identifikation der ÖsterreicherInnen als BürgerInnen eines neutralen, international angesehenen und prosperierenden Staates, so dominiert bei ersterem die aggressive Abgrenzung vom (inneren) Ausland. Unter dem Schlachtruf „Österreich zuerst!“ bildet Haider eine exklusive Gemeinschaft, die sich nunmehr in erster Linie negativ bestimmt. Zentrale Größen hierbei sind — aufbauend auf den jahrhundertealten antisemitischen Traditionsbestand — kollektiver Verfolgungswahn, Bunkermentalität und Rassismus.

Daneben spielt Haider in der neuen Koalition die schon in der Bewegungsphase eingeübte Rolle als „Anwalt der kleinen Leute“ weiter. Anstatt der Sozialdemokratie begleitet nun er den fortgesetzten Sozialabbau mit sozialen Phrasen. Damit die Demagogie in dieser Inszenierung nicht zu offensichtlich wird, trat Haider formal als FPÖ-Obmann zurück. Dieser spektakuläre Schritt, der von AnhängerInnen und KritikerInnen als letztes Vorspiel zur Kanzlerschaft gesehen wird, erlaubt ihm das Verharren in der Opposition. Den Feldzug gegen „Bonzen“ und „Bürokraten“ wird Haider künftig auch als nationalen Abwehrkampf gegen das Ausland führen. Dementsprechend fiel auch die erste Reaktion Haiders auf die EU-Maßnahmen aus: „Diese Bürokraten haben offenbar Angst, dass eine politische Kraft wirksam wird, die sich den Bürgern mehr verbunden fühlt als dem Kartell der Mächtigen.“ [3]

Linke FreundInnen des Volkes

Bereits am 12. November 1999 versammelten sich in Wien tausende um das ökonomische Wohl der Heimat besorgte ExportbürgerInnen, um gegen eine „Koalition mit dem Rassismus“ zu demonstrieren. Gestört wurden sie dabei nur von einer kleinen Gruppe von AntirassistInnen, die etwa eine sozialdemokratische Spitzenfunktionärin mit einem Pfeifkonzert bedachten. Zu Recht: Es waren nämlich gerade SozialdemokratInnen, die mit ihrer Politik als Durchlauferhitzer des Rechtsextremismus agierten. Tatsächlich gibt es kaum einen FPÖ-Vorschlag zur Eindämmung der „Überfremdung“, welcher nicht von der sozialdemokratisch geführten Koalition umgesetzt worden wäre. Das blau-schwarze Migrationsregime unterscheidet sich daher auch kaum vom vorangegangenen und es überrascht keineswegs, wenn Haider über die (ergebnislosen) Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ berichtet, sie hätten eine Übereinstimmung in der „Ausländerfrage“ an den Tag gebracht.

Diese Einigkeit hat ihre Ursache nicht zuletzt in der weitgehend gemeinsamen sozialen Basis der beiden Parteien, den ArbeiterInnen. Diese sind in politischer Hinsicht als Mischung aus Lumpenproletariat und Kleinbürgertum zu qualifizieren. Ihr Überlaufen zur FPÖ, die mit 47% in diesem Segment nun voran liegt, ist in erster Linie mit rassistischen Einstellungen zu erklären.

AntifaschistInnen, die sich immer noch nicht von der Vorstellung des österreichischen Proletariats als potentiell revolutionäres Subjekt verabschiedet haben, müssen sich die überproportionale Zustimmung zur FPÖ unter ArbeiterInnen jedoch irgendwie erklären, ohne daß ihre Liebe zur fehlgeleiteten Klientel Schaden nimmt. Gerne wird hier anstelle des Rassismus die soziale Deprivation als Erklärungsansatz herangezogen. Im Wählen der FPÖ äußere sich nicht vor allem eine Aggression gegen Gruppenfremde, sondern bloß eine „Unzufriedenheit“. Es erscheint als Protest gegen die für den Sozialabbau maßgeblich verantwortliche Sozialdemokratie. Als Gegenstrategie wird dann der Kampf zur Rettung des Wohlfahrtsstaates ausgerufen.

Dieser massenorientierte Flügel der Linken greift wie die rot-grüne Opposition vor allem die Regierung an und schweigt über deren Massenbasis. Hatten die linken VolksfreundInnen schon vorher Schwierigkeiten damit, den Rassismus von unten als solchen zu benennen, gerät er nun vollständig aus dem Blick. Statt dessen wird demagogisch ein Widerspruch zwischen der Regierung und dem „Volk“ als deren Opfer behauptet. Einige DemonstrantInnen der letzten Tage brachten ihre theoretische Verlotterung auch in Parolen wie „Wir sind das Volk“ zum Ausdruck. Der linke „Widerstand“ gegen die blau-schwarze Regierung, der den Rassismus nur an der politischen Macht bekämpft, versucht vor allem mit Anti-Sozialabbauparolen massenwirksam zu werden. Unversehens findet er sich dabei in einer Front mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften, welchen die Rolle als Stütze des institutionellen Rassismus nachgesehen wird. Schließlich treiben einige „WiderstandskämpferInnen“ die Opferrhetorik noch weiter und inszenieren ihr Engagement als Kampf gegen eine Art faschistischer Diktatur. Dabei orientieren sie sich an den Vorbildern aus dem patriotischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, dessen Symbol „O 5“ wieder das Wiener Straßenbild prägt, und verdrängen, dass weniger die Regierung Österreich zum „Nazi-Land“ macht als der massenhafte Antisemitismus und Rassismus. Wenn die Regierung die Kritik mit dem Verweis auf ihre demokratische Legitimität abzuwehren versucht, so kommt sie dabei der Realität näher als jene, die in der Koalition eine Diktatur gegen das Volk sehen. Die Möglichkeit eines „demokratischen Faschismus“, von welchem Michael Scharang schon 1986 sprach, kommt den massenorientierten Linken nicht in den Sinn.

Der auch von ausländischen KritikerInnen dauernd strapazierte „antitotalitäre Konsens“ wird seine Wirkungslosigkeit bald offenbaren. Wenn nur der Grad der Frontstellung gegen die liberale Demokratie als Ausgrenzungskriterium genommen wird, gehört die demokratische FPÖ auch am europäischen Parkett bald dazu. Einer offiziellen Problematisierung des Rassismus von FPÖ und Anhang steht die ideologische wie politische Realität Schengen-Europas im Weg. Es wird daher Aufgabe der europäischen Linken sein, die Tatsache, dass die FPÖ den ausgrenzend-repressiven Charakter der „europäischen Wertegemeinschaft“ ohne Phrase verkörpert, gegen die „Festung Europa“ zu wenden.

[1Neue Freie Zeitung Nr. 6/2000

[2Linea, 17. 10. 1999

[3ORF-Mittagsjournal, 29. 1. 2000

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