Heft 5-6/2002
November
2002

Sexualität in der Obdachlosigkeit

Zimmer ist Macht

Wer alles verloren hat und auf der Straße steht, verliert auch das Recht auf Sexualität, auf Intimität. Wo die Nützlichkeit im Vordergrund steht, wird es fast unmöglich, Beziehungen zu leben. Der Versuch einer Annäherung an ein Tabuthema.

Die englische Sprache unterscheidet mit den Begriffen „sleeping rough“ und „homeless“ zwischen Menschen, die tatsächlich auf der Straße übernachten und leben und solchen, denen es gelungen ist ein Stück Dach über dem Kopf zu ergattern und zu erhalten. Im Deutschen gibt es dafür die weit weniger plastischen Begriffe „obdachlos“ und „wohnungslos“: obdachlos sind also jene Menschen, deren Leben im öffentlichen Raum stattfindet, wohnungslos solche, die in einem der Heime einen Platz gefunden haben. [1] Von letzteren soll im Folgenden die Rede sein: von Menschen, die alles verloren haben, die Hilfe in Anspruch nehmen (müssen) und dadurch dem Diktat der städtisch verordneten Nützlichkeit ausgeliefert sind.

Praktisch alle vorhandenen Obdachlosenasyle sind direkt oder indirekt von der Stadt Wien subventioniert und damit in einem mehr oder weniger spürbaren politischen Abhängigkeitsverhältnis. Selbst die Caritas ist über die Jahre mit der Stadtverwaltung dermaßen verbandelt, dass sie wohl oder übel die meisten politischen Entscheidungen mittragen muss. [2]

Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie mit der Inanspruchnahme von Hilfseinrichtungen die je nach Grad der politischen Abhängigkeit und dem Mut von MitarbeiterInnen und Vorgesetzten etwas unterschiedlich gefärbten (Über-)Lebensbedingungen zu akzeptieren haben. Und diese Bedingungen lauten: möglichst schnell aus der Sozialhilfe raus und in den Arbeitsmarkt rein, im Sinne der Stadt Wien „wohnfähig“ werden (Miete zahlen, Ordnung halten, kein Alkohol- oder Drogenkonsum), eine Schuldenregulierung angehen und einhalten.

„Es ist ganz eindeutig,“ so eine Sozialarbeiterin, die es wissen muss. „Unser Auftrag lautet: Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und zwar so schnell wie möglich. Was die Menschen sonst noch für Bedürfnisse haben, ist egal.“

Die Verordnung zur gesellschaftlichen Nützlichkeit fragt nicht nach Individualität, nach individueller Lebensgestaltung, persönlichem Glück, der Ausformulierung und Verwirklichung eigener Wünsche. Intimität wird, wie jeder Rückzug auf das Individuelle, nur bedingt und meist gar nicht gewährt. So kann auch Sexualität nur unter fragwürdigen bis untragbaren Umständen, in jedem Fall aber weit von einer Normalität entfernt, stattfinden.

Beispiel 1: Die Meldemannstraße

Das Männerheim in der Meldemannstraße ist eines der ältesten städtischen Obdachlosenheime. Die als Übergangseinrichtung gedachte Schlafstätte beherbergt ihre Bewohner im Durchschnitt für fünf bis sechs Jahre, einen bereits seit 41 Jahren. Erst vor knapp zwei Jahren erhielt die Meldemannstraße ein Team von SozialarbeiterInnen, deren Auftrag nun die schrittweise Absiedelung ist. Denn 2003 wird das Heim geschlossen, von den über 300 Personen übersiedeln etwa 200 in ein neu errichtetes Haus in Wien 21.
Die von allen „vergessenen“ Bewohner der Meldemannstraße leben in Einzelkabinen, auf 3,5m2 dient eine schmale Pritsche als Bett, ein Spind als Schrank, eine nach oben und unten offene Metallwand trennt das eine vom nächsten „Zimmer“. Pro Stock stehen Duschen, Waschbecken und ein WC zur Verfügung, im Erdgeschoß gibt es eine Gemeinschaftsküche, einen Aufenthaltsraum und ein Stückchen Garten.

Mit den SozialarbeiterInnen der Meldemannstraße ins Gespräch zu kommen ist nicht so einfach. Erst die Absegnung durch Zuständige der MA 12 ermöglicht einen Termin vor Ort und — ungeachtet aller möglichen journalistischen Intentionen — werden sowohl die Heimleitung, als auch eine Sozialarbeiterin und ein Betreuer [3] zum Gespräch geholt. Daraus lässt sich eine hier praktizierte Bevormundung bereits erahnen, im Ton der vorauseilenden Antworten auf Fragen, die noch gar nicht oder nicht so gestellt wurden, zeigt sich eine gewisse Frustration.

„Wer sein Leben aus der Hand gibt, weil er nicht mehr alleine zurecht kommt, der gibt damit auch gewisse Rechte aus der Hand,“ so lautet das Eröffnungsstatement der Heimleitung. Und: „Frauenbesuche oder eine Art Besucherregelung sind hier nicht handhabbar. Außerdem lassen die Räume ja gar keine Intimsphäre zu.“
Anders sei die Situation für schwule Männer. [4] Hier, so ist die Heimleitung überzeugt, hätten die Menschen keine Probleme und könnten auch ihre Sexualität ausleben. Reibereien, Schwierigkeiten unter den Bewohnern, gibt es ohnehin immer nur dann, wenn eine Frau im Spiel ist und „eine vernünftige Frau geht da sowieso nicht mit“, weiß der Betreuer.

Bei der anschließenden Führung durch das Haus wird noch einmal deutlich, was die Würde des Einzelnen in der Meldemannstraße wert ist. Mit dem Generalschlüssel öffnet der Betreuer insgesamt drei verschiedene „Zimmer“ — ohne anzuklopfen, ohne sich zu vergewissern, ob es von wem auch immer begutachtet werden darf. Und die Bewohner wiederum sind diese Grenzüberschreitungen sichtlich gewöhnt: nicht einmal ein Aufschauen ist die Reaktion.

Das neue Haus im 21. Bezirk wird zwar keine offenen Trennwände haben, dennoch wird auch dieses Heim eine normal gelebte Sexualität nicht zulassen können: die Anzahl der Bewohner ist auch mit 200 eine zu hohe, die Einzelzimmer sind nicht mit Sanitäreinrichtungen ausgestattet, sodass auch hier wieder Bad und WC pro Stock geteilt werden müssen. „Eine Besucherregelung wird es vielleicht geben können,“ so die Heimleitung kalt. „Aber sicher nicht gleich. Wir werden das alles erst einmal üben und ausprobieren müssen.“ Und auf die Frage, warum die alten Strukturen in ein neu gebautes Haus übertragen werden, heißt es: „Der Beschluss, das Haus zu bauen, fiel schon vor Jahren. Wir müssen das Erbe eben jetzt antreten.“

Piktogramme

Beispiel 2: Die Geibelgasse

Das betreute Wohnheim in der Geibelgasse beherbergt Frauen, Männer und Paare und wird von der ARGE für Nichtseßhaftenhilfe betrieben. Trotz Subventionierung durch die Stadt Wien und der relativen Abhängigkeit, gehen BetreuerInnen hier deutlich mutigere Wege: je weniger in das Leben des Einzelnen eingegriffen wird, desto besser können die Menschen später mit ihrer Freiheit umgehen, wenn sie nach etwa zwei Jahren ihre Gemeindewohnung erhalten haben. Mit dem Ziel eine größtmögliche Normalität in der Lebensgestaltung zuzulassen, ist Sozialarbeit hier etwas, was in Anspruch genommen werden kann aber nicht muss.

In den kleinen Wohneinheiten teilen sich die BewohnerInnen jeweils zu dritt Küche, Bad und WC. Männliche Bewohner sind in der Überzahl. Besuche über Nacht sind erlaubt, solange die/der neue FreundIn nicht einzieht. Dass dieser doch sehr freie Ansatz in der Betreuung dennoch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, begründet eine ehemalige Mitarbeiterin [5] so:

Die meisten sexuellen Kontakte entstehen innerhalb der Szene. Deshalb will die Freundin natürlich am liebsten gleich mit einziehen. Aber was das für die anderen zwei Männer in der WG bedeutet, wenn da immer eine Frau anwesend ist, kann man sich ja leicht vorstellen. Dann gibt es Streit, Übergriffe, letztlich fliegt die Frau raus. Und weil sie in einer ziemlich verzweifelten Lage ist und wieder auf der Straße landen würde, versucht sie es beim nächsten. Sie wird quasi weitergereicht. Dann ist sie unter den Bewohnern verschrieen und wird dementsprechend behandelt. Naja, und dann muss ich als Sozialarbeiterin der Frau Hausverbot erteilen bzw. sie dazu drängen, sich etwas eigenes zu suchen.

Gegenstrategien liegen auf der Hand: Das Machtgefälle zwischen jenen, die ein Dach über dem Kopf haben und jenen, die keines haben, aufheben und der Frau ein Stück Unabhängigkeit ermöglichen, damit sie erst gar nicht in derlei Abhängigkeitsverhältnisse schlittern muss.

„Meine Erfahrung ist einfach die,“ so die Sozialarbeiterin weiter, „dass mit dem Zimmer und einer relativen Stabilität die Sehnsucht nach einer Beziehung, nach Liebe, nach Sex größer wird. Das habe ich dann in den Gesprächen erfahren. Aber für Beziehungsarbeit ist einfach keine Energie da. Und das hat sehr viel mit der ganzen Situation im Heim zu tun.“

Dass die meisten Kontakte innerhalb der Szene bleiben, hat auch finanzielle Gründe: es ist billiger mit einem Doppler im Zimmer zu sitzen, als in einem Lokal auf eine schöne Begegnung zu hoffen. Außerdem gibt es da immer die Angst, wie eine Frau außerhalb der Szene die Tatsache aufnimmt, dass ihr neuer Freund wohnungslos ist.

„Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach, dass 80% der Leute völlig zu Unrecht in solchen Heimen sitzen,“ so die Sozialarbeiterin verärgert. „Wenn man den Bezug von Gemeindewohnungen [6] nicht mit derart übertriebenen Forderungen verknüpfen würde, könnten die meisten sofort in eine eigene Wohnung ziehen. Warum sollen sie nicht in der eigenen Wohnung mal eine Flasche Wein trinken? Und den Besitz eines Arbeitsplatzes an die Miete einer Gemeindewohnung zu knüpfen macht objektiv keinen Sinn. Es würde genügen, wenn die Leute pünktlich ihre Miete zahlen und sich an die Hausordnung halten. Außerdem: es ist wirklich ein Wahnsinn, dass die Leute ihre Kaution für die künftige Gemeindewohnung auf der Straße ansparen müssen.“

Und nach den Hintergründen befragt, warum derlei Hürden Menschen in Heime und fern jeder Normalität zu leben zwingen, sagt sie: „Einerseits nehmen Sozialarbeiter gar nicht wahr, wieviel Macht sie haben und wieviel Macht sie auch ausüben und viel zu viel in den privaten Bereich eingreifen. Andererseits würden sie sich zu fragen beginnen, wofür sie eigentlich ihre Ausbildung gemacht haben, wenn sie nicht mehr tun müssten, als die Miete zu kassieren und nur auf Wunsch mal vorbei zu schauen. Sozialarbeit steht immer unter dem Druck sich selbst zu rechtfertigen.“

Beispiel 3: Die Gänsbachergasse

Frauen, Männer, Paare [7] und Familien finden in diesem Wohnheim der MA 12 Aufnahme. Insgesamt 270 Wohnplätze, aufgeteilt in Gruppen von je 18 Personen stehen zur Verfügung. Die alleinstehenden Frauen und Männer wohnen hier in 6m2-Einzelzimmern und teilen sich Küche, Bad und WC.

Für Besuche von Außenstehenden ist das Haus gerüstet: Sanitäranlagen stehen auch für diese zur Verfügung und es gibt eine Besuchszeitenregelung, die zwischen 8 Uhr morgens und 22 Uhr genützt werden kann. In Wohngruppen, in denen ständig Besuche stattfinden, wird der/die neue PartnerIn nach Möglichkeit in das Geschehen innerhalb des Hauses, den Tagesablauf, die Freizeitangebote, einbezogen und integriert. Die als vorbildlich geltende Organisation in der Gänsbachergasse soll Stück für Stück auch in die anderen Heime der MA 12 übernommen werden.

„Wenn man verliebt ist, dann will man Tag und Nacht mit dem Menschen zusammensein,“ merkt die leitende Sozialarbeiterin dennoch selbstkritisch an. „Und das können wir halt nicht ermöglichen. Wir sagen dann immer: kuscheln geht halt nur bis zehn.“

Sex als Tauschware

In der patriarchialen Straßengesellschaft hat eine Frau im Wesentlichen zwei Möglichkeiten zu überleben: sie hat einen Beschützer oder sie „rettet“ sich in eine psychische Krankheit [8] und baut auf diese Weise eine Schutzwand vor Übergriffen und Gewalt auf. Der Satz „ich kann ohne Mann nicht leben“ bekommt hier seine ganze und buchstäbliche Bedeutung. Obdachlos und eine Frau zu sein bedeutet sich „arrangieren“ zu müssen und stets die Unterlegene zu sein, die ausgenutzt wird. Sex ist hier eine Tauschware. Eine Tauschware für ein Bett, Fließwasser, ein WC, für etwas Wärme und vor allem Schutz. Eine Tauschware zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. In dieser sogenannten „verdeckten Obdachlosigkeit“ liegen Gewalt, Prostitution und Beziehung eng beieinander.

„Die Definition von Wohnungslosigkeit ist eine männliche Definition,“ weiß eine Sozialarbeiterin, die sich damit auseinandergesetzt hat. „Weil die Männer sichtbar sind, gehen alle davon aus, dass es keine obdachlosen Frauen gibt. Aber es ist umgekehrt: wenn wir Frauenräume schaffen, dann kommen sie auch, dann erst kommen sie aus ihren Abhängigkeiten heraus.“ Und als Beleg dafür nennt sie das von der Caritas betriebene Frauenheim in der Schopenhauerstraße, das innerhalb kürzester Zeit voll war.

Die Schaffung von Frauenheimen ist zwar unbedingt weiterhin notwendig, dennoch aber als Maßnahme gegen die verdeckte Obdachlosigkeit nur ein Schritt: nur ein kleiner Teil der Zielgruppe wird erreicht. Denn Einrichtungen, die sich ausschließlich an Frauen richten, setzen bei diesen die Einsicht voraus, ein Recht auf einen eigenen Platz und auf Schutz ohne Bedingungen zu haben. Doch diese fehlt. Nicht nur unter dem Großteil der betroffenen Frauen, auch in den Köpfen der Verantwortlichen.

„Die Möglichkeit sich außerhalb des männerdominierten Straßenlebens zu bewegen, kann ein Aufatmen, ein erster Bewusstwerdungsprozess sein,“ so die Sozialarbeiterin weiter. „In der Folge bedeutet das dann vielleicht auch die Erkenntnis, dass nicht sofort wieder eine Beziehung zu einem Mann eingegangen werden muss, um zu überleben, dass ich auch ohne Mann leben kann.“

Frauenräume zu schaffen und damit auch ganz allgemein das gesellschaftliche Bewusstsein zu wecken, dass Frauen Platz brauchen und ein Recht darauf haben, dieser und anderer Aufgaben hat sich das engagierte Team des ersten Frauentageszentrums im 6. Bezirk angenommen. Das in der Szene von Männern abschätzig genannte „Lesbenzentrum“ eröffnete im Mai 2002 und wird von der ARGE für Nichtseßhaftenhilfe betrieben. Wäsche waschen, Essen und Trinken, Duschen, Wärmen, Reden, Leute treffen, Lesestoff, sozialarbeiterische Betreuung — das alles kann hier in einer freundlichen Atmosphäre Winter wie Sommer in Anspruch genommen werden.

Der Mensch als Ganzes

Sexualität in der Obdachlosigkeit ist ein Tabuthema. Ein Recht auf Intimität und damit ein Recht auf Sexualität — das gibt es nicht. Obdachlosenheime, Tageszentren, Hilfseinrichtungen, die sozialarbeiterische Ausbildung und somit die Sozialarbeit an sich, klammern das Thema einfach aus. Doch wer versucht auszuklammern, was nicht ausklammerbar ist, muss mehr oder weniger, früher oder später scheitern. Nur der hilfsbedürftige Mensch als Ganzes begriffen, als ganzes und individuelles Wesen, kann nachhaltig zu sich selbst finden lernen und damit zu einem erfüllten Sein. Neben der steigenden Anzahl von Menschen, die nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes vor dem kompletten Nichts stehen, gibt es auch die „Rückfälligen“, — Menschen, die trotz Gemeindewohnung und Job ihrer Einsamkeit und der tristen Vorhersehbarkeit ihres Lebens erliegen. Dem sozialen Gefüge vor ihrem Abstieg in die Obdachlosigkeit längst entrissen, zerstören Betreuungskonzepte im Dienste des gesellschaftlichen Nutzens den letzten Rest an Gespür für Recht und Unrecht, für Grenzen, für Würde, für eigene Bedürfnisse. Kalt-zynische Politik macht Sozialarbeit zur ihrer Vollstreckerin.

[1Die offizielle Zahl Obdachloser in Wien wird mit 5000 angegeben, doch nur jene Menschen, die mit Behörden in Kontakt sind, können in dieser Statistik erfasst werden. Obdachlose Jugendliche, die zuhause gemeldet sind, Illegale und Obdachlose, die den behördlichen Kontakt bewusst vermeiden, scheinen hier nicht auf. InsiderInnen schätzen die Zahl daher auf 10.000. Für die offiziell 5000 Obdachlosen stehen nur knapp 3000 Schlafplätze zur Verfügung. Im Zuge der aktuellen Umstrukturierung innerhalb der Stadtverwaltung hat ein massiver Bettenabbau begonnen.

[2Ein Beispiel: der von der Caritas betriebene Bahnhofsozialdienst am Westbahnhof wird im nächsten Jahr geschlossen werden, weil die Stadt Wien im Zuge der gesamten Umstrukturierung der MA 12 meint, auf diesen verzichten zu können. Obwohl MitarbeiterInnen der Caritas und andere InsiderInnen vom Gegenteil überzeugt sind, konnte der Bahnhofsozialdienst nicht gerettet werden.

[3In jedem Stockwerk der Meldemannstraße hat ein „Betreuer“ sein Zimmer. Es handelt sich hierbei um sozialarbeiterisch ungeschulte, große und starke Männer, die im 24 Stunden Dienst für Ruhe und Ordnung zu sorgen haben. Über jeder Tür zum Betreuungszimmer steht ein Schild: Aufseher. Mit dem Einzug der Sozialarbeit in das Männerheim wurde in der Öffentlichkeit auf einen kaschierenden Sprachgebrauch Bedacht genommen und aus „Aufsehern“ wurden „Betreuer.“

[4Die Frage der Homosexualität in der Obdachlosigkeit ist damit natürlich nicht ausreichend beleuchtet. SozialarbeiterInnen erzählen, dass es wohl einmal ein lesbisches Paar gab, das gemeinsam untergebracht wurde und einen transsexuellen Mann, der irgendwo ein Extrazimmer bekam. Tatsache ist, dass Homo,- Bi- und Transsexualität auch hier Tabu ist und die Obdachlosenhilfe damit ebenfalls nicht umgeht.

[5Die meisten SozialarbeiterInnen, die hier zu Wort kommen, wollen anonym bleiben.

[6SozialarbeiterInnen haben ihrem Arbeitsbereich entsprechend verschiedene Möglichkeiten, die Beurteilung ihrer KlientInnen in Bezug auf deren“Wohnfähigkeit„zu beeinflussen. Hier gibt es durchaus Spielräume, die SozialarbeiterInnen meist auch zu nützen wissen.

[7Paarwohnplätze sind allgemein zu spärlich und die Frage, welche Kriterien zwei Menschen erfüllen müssen, um als Paar zu gelten, wird je nach Einrichtung unterschiedlich beantwortet. Doch selbst Ehepaare haben keine Garantie gemeinsam unterzukommen: wenn kein Platz vorhanden ist, werden sie getrennt, ungeachtet der Anzahl der Jahre, die sie miteinander verbracht haben. Hier werden Grundbedürfnisse gegeneinander ausgespielt.

[8Dass die unbewusste „Flucht“ in eine psychische Krankheit ein Schutzmechanismus sein kann, belegt zum Beispiel die Tatsache, dass obdachlose Frauen, denen es jahrelang möglich war, auf der Straße zu überleben, nach einer psychiatrischen Behandlung dazu nicht mehr in der Lage sind. Mit der „Heilung“ kommt die Angst zurück, die während der psychischen Erkrankung ausgeklammert war. Das komplexe Thema psychische Krankheit und Obdachlosigkeit ist ebenfalls ein völlig unterbeleuchtetes. Im Frühjahr 2003 wird eine vom Augustin gemeinsam mit SozialarberiterInnen geplante Enquete dazu stattfinden.

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