FORVM, WWW-Ausgabe
September
2018

Sämtliche Erinnerungen

leicht gekürzt

Robert Sommer, als guter Geist des „Augustin“ emeritiert, hat dem FORVM seine vorläufig sämtlichen Erinnerungen anvertraut, danke, des freu´ ich mich – um sogleich alle Verantwortung für seine eigenwillige, von Kalauern durchsetzte Sprech- & Schreibweise zurückzuweisen und alles Lob nebst Bewunderung an ihn zu weiterzuleiten. Sein Text findet sich hier unredigiert authentisch und nur an Zufallsstellen korrigiert, zunächst auch leider ohne die Kursivierungen des Autors; die mit fortschreitender Durcharbeitung nachgetragen werden sollen: das kann allerdings dauern. -G.O.

Vorbemerkung des Autors

Dieses Buch will nicht zur Ware werden, obwohl zu fragen wäre, ob es überhaupt möglich ist, in einer vom Warentausch, also vom Markt besiegten Gesellschaft die poetische Utopie des Schenkens vorwegzunehmen. Dieses Buch jedenfalls kannst du nicht über den Handel erwerben; du musst – das sind die Mühen der nötigen Transformation unserer Welt – eine Gelegenheit abwarten, wo es dir als Geschenk überreicht wird.

Im Modus der Ruhe zur Unruhe

Seit Jänner 2017 ist Robert Sommer Pensionist „im Unruhestand“. Fast täglich schreibt er an seinem groß angelegtem autobiografischen Vorhaben namens „Sämtliche Erinnerungen, leicht gekürzt“, er arbeitet manchmal daran wie im Schreibrausch und bar jeder Erwartung, einen für dieses Experiment offenen Verlag zu finden. Jedes Kapitel ist mehr oder weniger exakt eine Buchseite lang, und allein schon die Versammlung der Kapitelüberschriften deutet auf einen Autor hin, der seine Aufmerksamkeit nach vielen Richtungen strömen lässt. Aber nicht nach allen: Im schwarzen Loch seines Interesses verschwinden ausgerechnet Themen, die zu den wichtigsten in allen Zukunftsdiskursen zählen: die Eigendynamik der neuesten Technologien, die Metamorphose unserer Gesellschaften durch den Triumph des Digitalen. Die Erinnerungen sind nicht chronologisch geordnet. Das Buch brav von vorne bis hinten zu lesen, macht also wenig Sinn – genau so wenig, mit einem Kapitel zu beginnen, das der Wind, der vom Ötscher her kommt, zufällig aufgeschlagen hat. Auf eine Anregung von Karl Kraus verzichtet R. S. oft, die Quellen der tausend Informationen und Ideen zu nennen und die Zitate durch Anführungszeichen kenntlich zu machen, weil die geneigten LeserInnen ihm ohnehin zweierlei zutrauen: erstens, dass ihm nichts heilig ist, am wenigsten das Copyright (es sei denn, das UrheberInnenrecht wird von kommerziellen Kräften ausgehebelt); zweitens, dass ohnehin alles aus seinem Kopf, seinen Intuitionen, seinen Fantasien kommt. Als Enzyklopädie seiner breit entfalteten Neugier ist dieser Text sehr uneinheitlich. Am Anfang überwiegen noch stichwortartige Eintragungen, die für R. S. Erinnerunghilfen sind, die aber bei Fremden oft keinerlei Assoziationen auslösen. Doch bald überwiegen jene Kapitel, die das Unvergessliche durch kleine (manchmal das gesamte Kapitel beanspruchende) Geschichten unvergesslich macht. September 2018

LULUMILCHLOSER DOPPELBUBE I

Seit 1985 lebe ich mit Riki zusammen – und erfahre erst jetzt, im März 2007, dass sie zur Minderheit der WicklerInnen gehört. Zum Arschauswischen wickelt sie das Klopapier um Zeigefinger und Mittelfinger. Die meisten Klogänger sind Papierfalter oder Papierzerknüller. Am hygienischten ist die bloße nasse Hand, die man nachher wäscht. Diese Technik gilt bei uns kurioserweise als unhygienischte. Die gefährlichste Illusion ist die angebliche Ohnmacht des Einzelnen. «So haben es unsere Väter schon immer gemacht: Weh jenen, die diesem Spruch folgen. Sie werden immer unter den Folgen ihres Tuns leiden. Politiker als Abschleppdienstopfer – «gibt´s nur in Österreich». Vor dem Herrn und vor dem Abschleppdienst der MA 48 sind alle Parksünder gleich. D´r Schnuuf isch eam weggbliaba. Pressgassenfeste: Gedränge in der kleinen Küche, in der ein heißes Würstl nach dem anderen sein tödliches Aquarium verlässt. Eine Konservendose Kieler Sprotten wird geöffnet, und wieder ist jemand zur Stelle, der einen gespielt überraschten Blick in die Dose wirft, sogar zwei sind zur Stelle. So klein und schon im Öl, sagte der eine. So klein – und darf schon nach Österreich, sagt der andere. Man sollte bedauern, dass der Begriff Overkill aus dem Sprachschatz der jungen Generation verschwunden ist. Wo er doch so sexy ist. Biertrinken ist für die Tschechen eine Kulturtat, sagte ein tschechischer Minister, der die höhere Besteuerung alkoholischer Getränke in Frage stellte. Was ast du getan, o Zidane. Das Kapital gewinnt alle Kämpfe, aber wir haben die Kampflieder. Das Haus hat allen zu gefallen, zum Unterschied vom Kunstwerk (Loos). Lulumilchloser Schlammteich in Gugging: Lasse mir von Tepen nicht anschaffen was für Klumpert mir wo ich mitnehme. Einsam / ist ein Wort das passt / für jeden (Nils Jensen). entweder oder sowohl als auch oder auch als sowohl, denn entweder oder ist sowohl entweder als auch oder (Achleitner). Rikis Albtraum. Auf dem Teller ein noch zuckendes afrikanisches Baby. Verhexte Kinder aus Kinshasa: Ich habe 800 Männer gegessen. Österreich hat 2359 Gemeinden und 45 Bürgermeisterinnen (9 Jahre später, 2016, sind es schon rund 140). Saumseliger Geliebter. Samenseliger Geliebter. Samenzählender Geliebter. Sambaseliger Geliebter. Saumäßiger Beliebter. Saugfähiger Geliebter. Saugseliger Gelobter. Zaunseelischer Geliebter. Samensehnlicher Belobter. Saumäßig Gebildeter. Saumäßiger Gebieter. Saumselig Geborener. Zaunfähiges Gefieder. Sauähnliches Gelaber. Saumselig Abgelegter. Sambaseelisches Gelaber. Saumselige Belieferung und Belagerung. Vielgeliebter Samariter. Ich liebe nur samstags. Schau, ein halber Liter! So ein globaler Scheißpapierkonzern, und weit und breit kein Schwager zwischen Cape Town und Singapur, der mit der whistle blowt. Kleiner Wirtschaftsunterricht: Zur Ökonomie des Weihnachtsfestes. Die Beschenkten messen ihren Geschenken deutlich weniger Wert bei, als für diese bezahlt wurde. Das bedeutet, dass mit dem Prozess des Schenkens volkswirtschaftliches Vermögen vernichtet wird, laut einer Studie zehn Prozent des Kaufpreises. Rikis Methoden, das Stottern zu verbergen. Methode 1, empfehlenswert bei telefonischen Anfragen. Die einfachste Antwort kann drei Wörter enthalten, die der Armen im Mund stecken bleiben; sie kennt diese Wörter. Dann kriegt halt der Nachfrager keine Antwort außer die Vorspiegelung einer gestörten Leitung. Riki schreit nämlich ins Telefon: Hören Sie mich? Hören Sie mich? Dann legt sie auf, verschwindet ins Klo, täuscht einen Drang vor, bleibt genügend lang sitzen, dass der sich erneut meldende Anrufer eine Kollegin an die Strippe kriegt, die keine Sprachhandikaps hat. Bill Gates’ und George Soros’ Wohltätigkeit beobachten. Erlebnis Kapuzinergruft. Victor Adler über Alkoholismus: Autoritär, spießbürgerhaft. Guter Rat meines Onkels: Erbschleichen bei der (anderen!) Tante. Mir genügt, was du mir vererbst, antworte ich. Ich habe fünf Kinder, sagt der Onkel. Ich werde sie alle überleben, erwidere ich. Unsere Nachbarn in der Kaunitzgasse, die Chinesen, kennen keine Wäscheklammern. Sie werfen ihre Wäsche einfach über die Leine. Der Wind wirft sie in den Dreck. Dürfen sie so den österreichischen Pass erhalten? Später stellt sich heraus, sie besitzen vietnamesische Pässe. Wild nights / Wild nights / Were I with thee / Wild nights should be / Our luxury. Der Schmäh des Hans Kratky: Ich kann 90 Prozent aller Fragen in der Millionenshow beantworten; Riki testet ihn: Chemische Formel für Wasser? Kratky, der schlaue Hund: Und welches Wasser meinst du? Warum schauen manche Habsburgergräber in der Kapuzinergruft wie Panzer aus? Aus 1 Buch abschreiben ist ein Plagiat, aus 2 ein Essay, aus 3 eine Kompilation und aus 4 eine Dissertation. Homonym-Anhäufung: die Obmanndebatte. Ob man Depperte abmahnte. Diskriminierung der «Schiachen». Was kümmert mich der Tod. Die optische Täuschung der Schlögener Schlinge.

LULUMILCHLOSER DOPPELBUBE II

Skorpion: Du siehst die Treue deines Partners nur positiv. Hast du dir schon überlegt, dass man sie auch ganz anders bewerten könnte? Als Ausdruck von Schwerfälligkeit, Langsamkeit, Beharrlichkeit und als Beweis von Veränderungsängsten im Gemüt des Partners? Waage: Dein Kriterium, die Menschen zu beurteilen, sollte nicht länger sein, ob sie Desinfizieren oder Desinfiszieren sagen; Auch die ersteren können ganz liebevolle und bereichernde Menschen sein. So sterndelt Andy Wahl. Das Gesicht der Berge. Zur Frömmigkeit der führenden Schicht des Katholizismus. Zum Kant’schen Imperativ. Valentin, der letzte Groteske. Ottwald John zu Lisl Sburnys Robert-Sommer-Porträts: sieben schleier / ein gesicht / so schaut er aus / mehr zeigt er nicht. Zweiter Bloomsday in der Augartenstadt. Die einzige Nation, die ich will, ist die Insurbordi-Nation. Nestroy bevorzugt die Resig-Nation. Pressgasse, Brief an die Nachbarn. Kein Schiff von Hainburg nach Bratislava. Der Spinner von Kleinebersdorf. Frühpensionisten täuschen Invalidität vor, behauptet der Ärztestar. Die 2 wichtigsten DINGE in Wlascheks Leben: Weiber und das Piano. Tina Leisch findet, der Augustin sei schlechter geworden. Aha, Schwechat hat eine Kellergasse. Aus dem Leben eines Glaubenichts. Dostoprimitschatjelniosti = Sehenswürdigkeiten. Neuer Pfarrer weigert sich, Füße von Frauen zu waschen, wie es Brauch war. Warum fehlt investigativer Journalismus im Augustin? Der falsche Augustinverkäufer – eine Beschwerde und meine Antwort. Die Steinle-Sommer-Affäre. Ich bin umsetzungsorientierter Ideensprüher, aber leider völlig unaufmerksam. Plagiat = Gefundenes Fressen. Goytisolo und das Katalanische. Algarve: 3-sprachiges Medium. Der Sozialist und Emigrant in Lederhosen: Oskar Maria Graf forderte über das österreichische Radio seine deutschen Landsleute auf, auch seine Bücher der «reinen Flamme des Scheiterhaufens zu übergeben. Es war dem bayrischen Chaoten peinlich, dass die Nazis nicht nur vergessen hatten, ihn auf die Liste der verbotenen Literatur zu setzen, sondern dass sie vielmehr den Namen Graf auf die Liste der empfohlenen Werke setzten. Wo katalanisch gesprochen wird: in Katalonien, in Andorra, in Arag­on, in Valencia, in Regionen des französischen Roussilon, auf den Balearen und im sardinischen Alghero. Venezuelas Ölkonzern liefert stark verbilligtes Heizöl an die Armen der Bronx. halt den mund / sagte die mutter zum kind / soll ich auch deinen halten / fragte die kleine. Karl Markus Gauß vernichtet den Roman des Deutschen Kevin Vennemann: Es ist schwierig, aus diesem Buch zu zitieren, das sich mit seinen elliptischen Sätzen, seiner Rhythmisierung, den Wiederholungen und der forciert originellen Interpunktion als unfreiwillige Parodie auf stilistische Eigenheiten von Uwe Johnson, Thomas Bernhard und Marlene Streeruwitz liest. Das dienerische Wesen des Wienerischen. Was nicht im Google steht, gibt es nicht. To Google or to think. WOZU EIGENTLICH? WIEDER EIN BUCH GEMACHT / FÜR WEN / FÜR NIEMAND / WOZU / FÜR NICHTS / WAS BRINGT ES / NICHTS AUSSER SPOTT UND GELÄCHTER. Und wieder eine neue Krankheit: die Deipnophobie. Ist gleich die Furcht davor, durch die Unfähigkeit zum Small Talk aufzufallen. Wienerisch-Sprachkurs: `Schottowa. Es schadet aber. Umadumbuan. Umhertollen. Woher kommt das Wort «buan»? Meine Memoiren erscheinen nicht unter dem Titel «Aus dem Leben eines Glaubenichts»: Copyright Dietrich Kittner! Riki findet es sinnvoll, dass ich mir ihre BH-Größe merke: B85. Die Effekte der afrikanischen Palavermaske bei Konfliktbewältigungen außerhalb des von den Europäern eingeschleppten Gefängnissystems: die sprechenden Masken lösen Humor aus. 14. 4. 2007: Ich löse meinen Roman Potlatch hiermit auf. Warum bepinkelte Sigi Maron an einem 19. April flächendeckend die unteren Zonen der Fassade des Hitler-Geburtshauses. Weil am nächsten Tag, Hitlers Tag, viele Faschos aus der ganzen Welt zum Hitlerhaus strömen würden, um die Wände mit Küssen zu überziehen.

SCHWER ZU HEBN LEICHT ZU HABN

Kaspar, Melchior und Balthasar: Zermännlichung und Christianiserung alter heidnischen Göttinnen. Everest-Besteiger Hillary gilt in seiner Heimat Neuseeland als Über-drüber-Neuseeländer, eine prototypische Mischung aus Abenteurertum und Altruismus. Autorisierte Biografien sind nicht automatisch wahrer, weil sie autorisiert sind. Die Germanisierung der Universität Zürich. Kennengelernt: Herrn Fritz Renner, Autor des Niederösterreichischen Dialektwörterbuchs, und Erwin Prause, ein Privatmuseumsbesitzer, der den Kameradschaftsbund durch die Musealisierung von Wrackteilen alliierter Bomber ärgert. Kommunismus ist ein Aspirin von der Größe der Sonne, laut Roque Dalton. Kamadi, kamasd, kamada, kamadma, lewada, dadadi (zum Gardasee fahren). Samara, eine Nacht im Gespräch verbringen. 18. Februar 2008, der Tag, an dem die Augustin-Vertriebskolleg_innen dem Redaktionsteam das Ende des Augustin-Projekts vorführten – mit schreiendem, weinendem und verzweifelten Personal. Den Inkas soll es fast gelungen sein, die Spanier aus dem südlichen Kontinent zu vertreiben. Behauptungssätze widerlich, zerstören jedes Palaver. Klitoris, zehnmal größer als zumeist angenommen. Kein literarisches Werk trifft die spanische Realität mehr als Brechts Dreigroschenroman. Heidi Patakis «Elf Thesen über Lyrik». Spanien – eine Hälfte glaubt an Gott, die andere Hälfte an die Lotterie. Plan, dem Palmenhaus einen nächtlichen Besuch abzustatten, um zu sehen, welche Schnösel hier Party feiern. Die Straßenmusiker des 1962er Jahrs aus Schwabing zu Gast in Wien: sie lösten die «Krawalle» aus. Der bescheidene Eichkogel bei Guntramsdorf regt meine Fantasie an. Vom balzenden Auerhahn, der mir als vermeintliche Auerhenne eine beeindruckende Performance gibt. Infotafel für die Gäste aus fast fern bis ganz fern: An dieser Stelle hat Robert Sommers Schwester fast gewohnt. Große Städte, große Sünden, ein Gedicht. Bratislava, Stadt ohne RadfahrerInnen. Das Geheimnis der Waschmaschinenwanderung. Sexuelle Devianzen: bis hintern Horizont sich ziehender Streit zwischen Gerald Grassl und Christoph Witozynskyi. Rotheau, etymologisch. Hätten wir 1897 eine direkte Demokratie gehabt, hätte eine Bürgerinitiative die Zerstörung so vieler Hügel nicht zugelassen. Die Semmeringbahn war nur diktatorisch durchzusetzen, danke, Herr Kaiser und König. Eine wahre Geschichte, am besten von Uschi Schreiber erzählt: die Geschichte vom Jubilar, der eine komplette Schiaurüstung zum Geburtstag bekommt und der auf der Probefahrt im Stiegenhaus eine Pensionistin niederfährt, die bloß nachschauen wollte, wer da so viel Lärm errege. Ein Khatschapuri-Rezept. Der schönste aller Jesusse Europas scheint heute nicht anwesend zu sein, bald ist er wieder in Melk. Jeder wahre Dichter ist zugleich Scheissal und Scheusal. «Ich bin etwas angepisst», schreit Arno Uhl lauter als die Sittenpolizei es erlaubt. Gottland, das Karel Gott-Museum bei Prag gilt als Haus des politischen Opportunismus. Beispiele Gugginger Kunst. möglichst weit fliegen / auf brechen und biegen / nach bangkok / auf an Punkrock... Der Wasserleitungsweg. Kriterien unserer speziellen Art «Stadtflanerie». Bei den vorher-nachher-Bildern bilde ich immer nur das Vorher. Wörter sind besonders stark, wenn sie 2 Sinne haben (Chlebnikow). Donauwalzer-Flashmob mit 150 Menschen am Praterstern, Freitag, dreizehnter Februar 2009. Warum hat das Forum-Theater, das Boal-Theater in Österreich nie Staub aufgewirbelt, wenn es doch – laut Selbsteinschätzung – das revolutionärste Theater der Welt ist? Kollegium Kalksburg singt alle seine 101 Lieder in einer Nacht, von 20 bis acht Uhr. Savonlinna. Finnische Stadt, in der seit dem Jahr 2000 regelmäßig die Weltmeisterschaft im Handy-Weitwurf stattfindet. 6 Quellen meines autobiografischen Materials: Ordner («Das ganze Leben«) und die Bücher, auf die in den Ordnern Bezug genommen wird; die Pickbücher; mein Archiv im Computer; die gesammelten Hefte des Augustin; die gesammelten Hefte der Volksstimme; meine private Fotosammlung. Führen wir jemals wieder Schildkröten in den Passagen spazieren? So viele linke Strategien, wie es Fischsorten gibt. Das Kleinbürgertum ist die experimentelle Klasse; sie ist die einzige Klasse, die Kunst und Mode, Philosophie und Architektur, Kritik und Design erzeugt.» Was tun mit Ladenhütern? Trahütten und Glashütten. Das Grubenkraut. Wehrli, Katalog von fast allem. Mauedl, Mühlviertler Dialektausdruck für Mond. Wie kommts zum Aufstand? Im Jänner 1967 wurde eine soziologische Studie vorgestellt: StudentInnen werden als unpolitisch, nur ihrer Karriere dienend beschrieben. Die 68er Rebellion entwertete diese Studie im Fluge.

OHNE ZÄUNE GUTE NACHBARN

Dem Wesen des Schachspiels wesentlich ist der Kiebitz. Die vierzehn Stämme Irlands, die dreizehn Stämme Österreichs. Arenabar, Startveranstaltung. Jeder Mensch braucht mindestens EIN Fenster. Idee für einen Film mit dem Titel DING, in dem Menschen porträtiert werden, die in ihrer Wohnung zumindest 1 Ding haben, dem wir Informationen entlocken können. Das Phänomen der «zwei oder drei» Wahrheiten – für jedes Kollektiv eine Herausforderung. Änderungssalon. Geh-Orgien. Die Angst der Künstlerin vor dem Wald. «Wenn wir Alten (Karl, Riki und ich) weg sind, bleibt der Augustin nicht bei seiner antagonistischen Rolle» (September 2009, eine Fehleinschätzung). Redeflussstörungen gelten als Behinderungen, schaffen wir diesen Begriff Behinderung ab. Wir produzieren das, was die Leute wollen, antwortet der Gewerkschaftschef eines BRD-Autokonzerns, und der meint das nicht ironisch. Saurier starben aus, weil Blütenpflanzen die Farne ersetzten. Menasse interviewt Faymann, der wichtelhaft antwortet. Todesstrafe in Texas: Werden alle schwarz beim Warten? Die hören sollen, sie hören nicht mehr / vernichtet ist das ganze Heer / Mit dreizehntausend der Zug begann / Einer kam heim aus Afghanistan. 8 Millionen Autos in China 2000, mindestens 100 Millionen im Jahr 2020 prognostiziert. SP-Maidemonstration als Farce. Mein Friedhof der gescheiterten Projekte. Straßenzeitungs-Symposium der TAZ spaltet das Augustin-Team. «Ein weit unterschätzter Autor». Thatcher: «Gesellschaft? Sowas gibt’s nicht». Wer kooperiert, tauscht nicht –und umgekehrt. Lafontaine, der Klügste der SPD. Das Kapital ist nur mehr sprachlich kreativ. Aha, in Russland Privatbesitz von Grund und Boden weiterhin verboten. Aha, es gibt eine direkte Bahnverbindung von Wien zum Gardasee. Tony Juth zu Privateigentum. Südsteiermarktipps. Topopoesie Südsteiermark: Maletschen, Repolusk, Sabathe, Amesch, Trinkaus, Tonawitz... Erkläre ich meine Texte zu schnell als «fertig»? Liebesstöter im Profifußball. Vorstellungen weiblicher Unreinheit in allen monotheistischen Religionen. DDR bezahlte britischen Bergarbeiterstreik. Katharina Tiwald sorgt sich um den Augustin. Nur 30 bis 40 Schriftsteller in Österreich leben gut von ihrer Literatur. Gerald Grassl erzählt einen jüdischen Witz. Topopoesie Mecklenburger Seenplatte: Poppentin, Roggentin, Woggersin, Wulkenzin. Habakuk ist sehr verschmust. Topopoesie Flachgau: Entham, Kerschham. Scherschham, Schalkham, Hankham, Wankham ... Beim Heurigen mit Erwin Riess. Branko Andric, Sohn des Branko Andric. Naturgemäß von Marianne Fritz um 600 Euro erworben. Die Politik und das Politische. Die Jugendmannschaften des FAVAC. Kreisky und Wiesenthal. Benni Raichs neue Kraftquelle (der hässlichste Neubau Tirols). New York wird ökologische Musterstadt. Text und Musik: Fritz Nussböck. Über Unterbergers Rechts-Blog. Augustins Wien-Kritik im journalistischen Vergleich. Das mit den Fingern in der Luft angedeutete Gänsefüßchen als deutsche Kulturtechnik. Gescheitere Verabredung ist geschenkte Zeit, nach Fellini. Interdisziplinäres Symposion Kamel und Wirtschaft. Arschpartie – Stadtflanerie zum Thema Arsch. Gscheadasien oder Gscheadindien? Budapest: Stadt ohne Kopftuchfrauen. Suche Zugehfrau mit Putzfimmel. «Hosda Aungsd vua Leichn? Ned? Daun leich ma viazg Euro. Inuit und Wikinger besiedelten Grönland zur gleichen Zeit – wer zieht bei diesem Klima den Kürzeren. Schampa wulla wussa Olaba. Hat sich die Nachwelt je um mich gekümmert? Aktionisten übertrafen Zeitgenossinnen an Radikalität. Emma Goldmanns Autobiografie «Gelebtes Leben». Aus Okopenkos «Lexikon-Roman: Sämtliche Küsse, leicht gekürzt. Die Schweizer waren für Hitler das «erbärmlichste Volk». Es gibt Fußballer, die ab der 70. Minute wie die Blöden rennen. «Wiss das man zwölf Partein findt, wo nur ein Dutzend Deutsche sind.» Penisprothese für Kriegsgott Marsyas. Gott sieht alles –wozu braucht er Überwachungskameras in der Kirche? Osar Wilde: Ich habe einen ganz einfachen Geschmack. Ich bin immer mit dem Besten zufrieden. Gaunz glozzad is aa oasch. A Weana in Nju Joak. Beim Blick auf den für ihn durchaus bunten Sternenhimmel klassifizierte der englische Astronom W.H. Smyth alleine die weiß erscheinenden Sterne wie folgt: Perlweiß, Leuchtend weiß. Blassweiß. Klar weiß. Flockenweiß. Cremeweiß. Hellweiß. Reinweiß. Silberweiß. Da schrie´n und lachten alle drei / als dort dort das Mohrchen ging vorbei / weil es so schwarz wie Tinte sei // Was kann denn dieser Mohr dafür / dass er so weiß nicht ist wie ihr? Die Überlebenden. Fotoserie zeigt Angehörige ermordeter ungarischer Roma bei Anschlägen 2008, 2009.

FRISCH GEPRESSTER MARMOR

August Walla. Das schönste Englisch-Deutsch-Lexikon in England und Deutschland. Die weißen Strümpfe auf übereinander geschlagenen Beinen der elfjährigen Tochter des römischen Autorenehepaares in seiner Villa am Fuße des Schafbergs, wo es den Augustin gegen den ihm unbekannten Wohnungsstadtrat zu instrumentalisieren trachtete, was nicht wegen der Stärke der Resistance, sondern wegen plötzlich einsetzenden GRAUPELSCHAUERS (mein Lieblingswort 2008) ins Wasser fiel, eine Katastrophe, die die mit ihren elf Jahren, senkrecht sitzend, extrem zugerichtete Jungdiwa in tiefe Depressionen stürzte. Kahlenbergerdorf mit kahlenbergerdörflerischer Legende zum Pfaffen von Kahlenbergerdörfl. Eissorten des Schwedenplatzes. Die Stadt in lauter Poesie gebadet. Ich riss mir meine Augen aus und warf sie unter die Barbaren, die durchaus ihre Energien hatten und besser nicht so arrogant begrüßt hätten werden sollen. Groteske Situation gegenseitiger Anpassungsversuche. Über ihm sammeln sich die Geier, ein Zeichen, dass er zum Aas geworden war. Drei Häuser für die Kirche dessen, dem die Häuser um drei zu viel waren. Wüste Wallfahrten als Beginn der Empörung. Jesus hätte geschuhblattelt. Alte Leute, die gefährlich sind, weil sie keine Angst vor der Zukunft haben. Muslime lieben keine Rottweiler (außer Bewerb). Der unnötige Konflikt mit dem Graffitiforscher. Keramikhitler plötzlich ohne Kopfkeramik. Wie Branka sich nach oben putzte. TOOLS LOOPS POOLS – wie wird der vierte Band heißen? Bitte hier eintragen. Cannabis und die Sozialdemokratie. Die Unantastbarkeit der Feierabendmenschen. Bullenpfefferspray in der Atmosphäre. Bloomsday in der Telefonzelle, in der es früh zum Gedränge kam. Der richtige Moment kommt nie. Fluch: Du bist der Schatten deiner Scheiße. Das hat was, aber keinen Wiener Schmäh. Der unermüdliche Wolfram P. Kastner. Die Idee der Führung durch Marianne Fritz` Wohnung wird ausgebrütet. Deutschlands Fernsehmoderator zur Fußball-EM verrät sein Land in der Stunde der Niederlage. Das Volk, das blöder als Beckenbauer ist. Deutschlandlied – und kein Zucken im Mundwinkel. Hundert Symbole Österreichs, vom Doppler bis zur Schneekugel. Kultur- und Ideengeschichte der Uraufführung. Ich bin ein Mädchen von Piräus Piräus Piräus. Yoko Ono, non ono. Jede Stadt braucht zumindest einen Mörder und einen Stalinisten. Erzbischöfe, die an Gott glauben? Vatikan Crime City. Seebühne Hiddensee, Junispielplan. Jeder Dermatologe darf sich Schönheitschirurg nennen. Bald nur noch 1 Bierkonzern auf der Erde. City Center of Rostock. Hansestadt Stralsund. Kleinstautos will niemand. Die Art stirbt als erste aus in der Familie der Vierräder. Begegnung mit dem geschriebenen Plattdüütsch. Zwölf chinesische Wörter für «Spiel». Chronologie von «Kottan ermittelt». Wer realisiert die 25. Folge? Tauet Himmel den Gerechten. Komm in meines Fleisches Hülle. Slow Looking = pomali art. Genosse Arlt, der Eigentümer Soyfers. The Fields of Athenry. Entschuldigung, was tun sie für die Entschulung? Ambivalentes Rotes Wien. Das Auto spaltet jede Mieterbewegung. Unverkrampfter Patriotismus ist wie frisch gepresster Marmor. Die Donauschifffahrt ging den Bach runter. Benediktinerbewegung modernisieren und ihre Ziele realisieren. 150 Jahre Österreichischer Kameradschaftsbund. Aufstellung zur Formation. Ab jetzt ist die Homepage die Heimseite. Fee gate has heenan hoyti. Und Kolibris essen. Madonna-Konzert als neuer Gottesdienst. Topopoesie des Hochschwabgebietes. Ein guter Frühling braucht auch ein paar Gefängnisausbrüche. Dreimal hintereinander zu gewinnen, ist Lakota-Sünde. Aus Wiener Sicht sind selbst Passauer Piefkes. Verfassung oder Hymne der Republik Reinprechtsdorf. Wie geht es ihnen heute?

MIZZI CASPAR, MARY VETSERA, ANNIE KURANDA

Wofür bist du berühmt, wofür bist du berüchtigt. Evolution Memory Floating, ein von mir erfundenes Label, das für die Verbindung der Feldenkrais-Therapie mit dem Floaten in der Salzwasserwanne steht. Das Reh habilitiert nie zum Hirschen. Kaum hatte es aber seine Habilitation erreicht, ließ es den Jäger in Punkto Intelligenz weit zurück. Ein Jäger, der von einem betrunkenen Augustinverkäufer gefragt wird, was sagst du als Außenstehender zum Thema Intelligenz, wird nie mehr seinen Hochstand betreten können. Vom vernichtenden Wüten der heftig erregten Hussiten weiß die offizielle Znaimer Tourismusbroschüre, die weiters folgende Informationen in angeblich deutscher Sprache enthält: Dem, was nicht in einer Weinbaugegend lebt, geht nicht in den Kopf, dass fast jede Familie ihren eigenen Weinkeller hat. Klar ist, dass jeder das seine finden wird. Von Weinkellern, wo man auf umgekehrten Kisten sitzt, bis hin zu Weinkellern, in die viele von Ihnen hineinpassen. Schwerlich kann man in einige Worte die unglaublichen Möglichkeiten, die für einen mehrtägigen Aufenthalt ausreichen, fassen. Bei der Auswahl, wohin auf einen mehrtägigen Ausflug, zeigte die Spitze unserer imaginären Wählnadel auf den südwestlichen Teil von Mähren. Die Spitze bohrte sich direkt in das Herz dieser Gegend – in die Stadt Znojmo. Dem Wein bekommt am meisten, wenn man über ihn redet. Heute kann schon jeder von uns sagen: Ich bin ein Mähre! Obwohl fast ganz Österreich Blunzn isst, ist mir Österreich blunzn. Die Demo-Lithurgie der Lügen. Modernen Menschen ist das Singen peinlich. The family of Hermann Leopoldi was not amused. Riki schult mich ein: Hast du gewusst, dass Erdnüsse keine Nüsse sind? Sie gehören, wie die Bohnen, zur Familie der Hülsenfrüchte. Afrikanischer Augustinverkäufer wie Fußball getreten. Das Geheimnis des Todes. Es sei kaum zu glauben, dass ein verständiger Mensch, der sehr auf sich achtet, nicht besser als jeder Arzt sollte unterscheiden können, was ihm gut oder schlecht täte, soll Sokrates gesagt haben. Die Suche nach dem koscheren Uhudla. Ein scherzender Engländer ist nie glücklich. Kuhle Wampe und Mata Hari. Hommage an die Schweizer KonduktorInnen. Obama ist Muslim, sagt der katholische Mob. Oder der evangelikale, oder der protestantische. Ginsbergs Geheul ist eine Hymne der Subkultur. Zum 60. Jahrestag des Prozesses gegen das «obszöne» Gedicht «Howl» muss mir was einfallen. Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war. Komasaufen und Islamic Banking – und die westlichen überlegenen Werte. Jugo: schönes Land, idiotischer Staat. Weltmusik ist Musik für Weiße, weiße Musik. In meinem Favoritner Jugo-Stammbeisl bin ich gefürchtet wegen meiner Musikwünsche; manche flüchten, wenn ich mir einen Goran Bregovic aus dem Computer hole. Karins Traumberuf ist Augustinredakteurin: unser Erfolg versetzt uns in die Lage, solche Menschen enttäuschen zu müssen, obwohl sie uns nichts Schlechtes getan haben. Frühling in Wien, 1920. Männer und Duschvorhänge – ein Missverständnis. Vortrag-Ende des Vortragenden. Wien GNARRt. Was in Westdeutschland die Ostfriesen, sind ... Seine Aktmodelle sollten den Maler Kronberger torten. Sämtliche Werke, leicht gekürzt. Die Stadt der 4000 toten Flugzeuge. Blütenstaub stinkt. Höher das Bip – kluge Autounfälle führen zu komplexen Operationen. Alles Lachen abziehen, das auf Kosten von Dritten geht: was bleibt da an Humor? Höflich sein heißt lügen oder Theater spielen. Nur mit Langeweile kann man heute schockieren. How many nipples in the National Galery? Liste der Kennrufe der Faschingsgilden. Nur einer ahnt das Picknickmassaker. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Ötscher-Mythos. Der Mythos des Meidlinger L. Wisconsin und der Tahrir-Platz. Zum Brauch des Tellerzertrümmerns. 3244 DDR-Betriebe in 3 Jahren abgewickelt. Deutschland muss siegen, wünscht Thomas Mann. Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär. Der Wind is a Wiener und raunzt durch die Baam. Gegen die Einbahn radeln, Madeln! Wenn das ein Auto ist, bin ich eine Sachertorte. Steirerhut global produziert. SED: Mut zur Hässlichkeit. Die ÖVP ist tot, nur Istanbul lebt noch. Hätte ich doch ins Gras gebissen. Spintisierer, Mochatscheks. Saudade und Nonchalance. Empfehlung, auf Fernreisen zu verzichten. Für das Wasser auf die Straße gehen heißt Lueger ehren. Was Sommer will & was Brecht will. Die kommunistische polnische Kellnerin. Ich möchte eine Busbucht sein, sagt die Regionalbahn irgendwo in Niederösterreich. Ohne Stadtortwettbewerb wär Wien direkt gemütlich – und würde deshalb den Wettbewerb gewinnen. Über die Beratungsmafia. Die Geburtsstunde der Republik Reinprechtsdorf. Menschen, Haie, Opfer, Täter, Vergleich. Die Gaunersprache der Börsennachrichten. Für eine Europakarte im Maßstab 1:1. Ungarische Sprache: ein in der Donau havarierter Tanker voller Akzente. Aha, die Saubannerzüge. Fritz Babes Poesiefestival.

LEWADYA KAMADMA I

Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrvdrobwlllantysiliogogogoch – der Name eines walisischen Dorfes. Sich allen kirchlichen Ritualen verweigern und warten, ob Gott strafend einschreitet. Befreiung des kirchlichen Immobilienbesitzes von der Grundsteuer. Oho, Friedrich der Große: Wenn Türken kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen bauen. Marina Zwetajewas Arbeitsjournal 2011 in französischer Sprache erschienen, inzwischen auch auf Deutsch? Unbedingt erwerben. Die Flügelspanne meines literarischen Flugs: von Achmatowa zu Zwetajewa. Monopoly – in der DDR verbotenes Spiel. Finale Südamerika-Cup: Falklands vs. Malvinas. Jesuiten unschuldig an Wissensunterdrückung? 1561 ordnet der Bischof von Yucatan an, die Schriften der Maya zu verbrennen, die Jesuiten gibt’s seit 1534. Wenn ich entscheiden müsste, in welchem Jahr ich wiederkomme, würde ich nicht ein zukünftiges wählen, wie 3013, sondern das spannendste Jahr der Geschichte: 1911. Die mexikanische Revolution stürzte 1911 die Diktatur. Die Teuerungen führten zu großartigen Straßenkämpfen und Plünderungen: 1911er-Revolte in Ottakring. Die 1911er Rebellion, die zur Gründung der Republik Portugal führte; Gustav Landauers 11er-Aufruf. 1911 sperrte das Cafe Odeon in Zürich auf. Heute ein Revolutionär zu sein, hieße, seinen gesamten Alltag umzukrempeln. Aha-Erlebnis im Ausland: ich kaufe die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung. Im Impressum der beiden Blätter dieselben Namen. Das Ende der FR macht die Achtundsechziger traurig, denn die FR verstand die Revolte weniger falsch als der Spiegel, dessen Verdrehungen die österreichischen Zeitungen brav wiederholten. SpVgg Bayreuth vs. Real Madrid, Champion-League-Finale. Tief verschneites Spielfeld ohne einen Kicker; der Stadionsprecher kommentiert zweimal 45 Minuten das fiktive Sensationsspiel, das die Bayreuther mit 3:2 gewinnen. Nur die Fanchoräle der Bayern sind echt. In Andy Wahls Provinzkrimi ist die Bürgermeisterin von Niederneukirchen, OÖ, eine Mörderin. Die schlägt mit einem Roman zurück, in dem Andy vorkommt: Er ist der Dorfnarr, der die Bevölkerung mit einem roten Stern am Dach provoziert. Er wird in seinem Haus eingemauert, bis er Reue zeigt und sagt: Ich will wieder unter euch leben! Heinrich Heine aus Paris 1841: Es gibt in Paris etwa 400.000 rohe Fäuste, welche nur des Losungswortes harren, um die Idee der absoluten Gleichheit zu verwirklichen. In Chemnitz zu leben, ist, wie einer Pflaume beim Schimmeln zuzusehen. 1965 gründet Grass eine Schriftstellerplattform zur Unterstützung der SPD. Heute ist in Ö und D ein solcher Liebesdienst der Intellektuellen für die Sozialdemokratie unvorstellbar. Die Autoindustrie duelliert sich mit der Autozuliefererindustrie um die besten Durchhalteparolen des Autoverkehrs. Kulturgeschichte der Schweine. Bachmanns Neujahrswünsche: Volle Netze den Fischern! Mond dem Vulkan! (bitte um Erklärung). Neujahrswunsch Robert Sommers: mit lieben FreundInnen einen Eisstockschießverein gründen. Heines Wünsche: den Dummen Verstand und den Verständigen Poesie. Die Dichterin Elisabeth Bishop entdecken. Munros sammeln: alle Berge Schottlands, die höher als 3000 feet sind, beglaubigt besteigen; alle 283 Munros. Das Fernlicht abschalten, wenn dir ein Auto entgegen kommt: in China ungewöhnlich. Dem Herrgott sollen seine drei besten Erzengeln verrecken! (volkstümlicher Fluch, zwischen Tulln und Gänserndorf verbreitet). Gemeinderatsprotokoll, Thema Betteln. Da bin ich noch / mein Land geht in den Westen. Windenergiedebatte mit Evamaria Glatz. F13-Flyer 13.1.2012. Die Polizei macht mich zum Navigator, der die Demoroute festlegt und dem alle folgen müssen. Was ist das Zertreten eines Navigators gegen den Gebrauch dessen? Unter den 10 wichtigsten Persönlichkeiten Österreichs sind die Schispringer die größte Gruppe; Politiker sind nicht darunter.

LEWADYA KAMADMA II

Österreich ist ein Stadl und Wien ist sein Stüberl. Dreckige reine Männerwelt, je reiner desto dreckiger. Nacktflitzer verdirbt Sängerknaben. Besuch bei Hubert Christian Ehalt. Umschaids Kellerlabyrinth. Gerhard Kny, vergessener Schriftsteller. Brus gegen Kommerz-Literatur. Jones, der Seedorf von Wien, ist tot. 95 Prozent der Männer und 65 Prozent der Frauen masturbieren (wie der Name sagt: Ein Phänomen der urbanen Kultur). Totaler Verlust: die Bahnhofsrestis, Zufluchtsort der Außenseiter. Tanz den Lindenberg – Unterm Säufermond. Es dauerte bis Seite 64, bis mir schwante, das Buch schon gelesen zu haben. Es war Kluges Buch «Die Lücke, die der Teufel lässt.» Vajtundbrajt. Foin zoin boin schnoin. Lamadian & neamd nix gem. Baazaugad. Virafaunga & owaneema, Eine Biologin gründete in Italien Arztpraxen, in denen Leitungswasser teuer verkauft wurde; 200 Euro pro Fläschchen. 500 Patienten waren der Meinung, sie hätten Heilwasser aus Lourdes gekauft. Wie der Ex-Profifußballer Cantona den Kapitalismus abschaffen wollte. Klebt wohl, ihr beiden Hübschen. Maria Theresia verbot das Tragen von Masken bei Festen. Da freute sich der Schwarze Block, der Masken nur bei Demos trug. Was muss Franzobel noch alles machen, damit er von Hacklern gelesen wird? Folgendes? Da der moderne Mensch keine natürlichen Feinde mehr hat und geschützt hinter dicken Mauern lebt, kann er es sich leisten, seine Wollust in die Welt hinaus zu schreien. Diese wahnwitzigen Orgasmusschreie haben mich ruiniert, weil es die Wehklagen von verlorenen Seelen, ja von Teufeln sind und weil ich in ihnen die Erklärung für den Urknall sah. Keine Verschwörungstheorie ist so pathologisch wie die pauschale Verteufelung derselben. Noam Chomsky über Orwells «Animal Farm». Wen man die Zwiebel aus der Glut herausnimmt, sieht sie aus wie ein Ascheball, und wenn du sie auseinander brichst– köstlich! Ihr saftiges Inneres erzeugt Sehnsucht nach Leben. Fortschreitende widerliche Kommerzialisierung von Monte Veritá. Werbung für Korosin-Urasserei: Der schönste Liebesbrief ist ein Flugticket. Bild: Eine Großstadt wacht auf und ist voll von Morgenlatten, die sich der Bewölkung entgegenstrecken. Im Laufe des Vormittags schrumpfen die Wolkenkratzer extrem zusammen. Nabljudatel (russisch) = Der Beobachter, Moskauer Zeitung. Tipp: Urlaub in Fuschl am Fuschlsee. Über die Schwierigkeit, Denken und Handeln zusammenzubringen. Die japanische Sprache ist scheußlich und papageienhaft, schreibt Erich Mühsam, der Antinationalist. Noch einmal rutscht er aus: Ein fluchender Franzose sei für den lieben Gott ein angenehmeres Schauspiel als ein betender Engländer. Diego Riveras Wandbilder sind Kunst der Revolution, von der Elite erworben. Der Flaneur schlendert ziellos dahin und überdeckt das Nichts, das er um sich und in sich spürt, durch eine Unzahl von Eindrücken (Kracauer). Über die KunstSportGruppe Hochobir. A Day of No Importance – schöner Name für eine Veranstaltung von gewisser Bedeutung. Werner Kofler, Gedicht «Lernprozesse». Liste meiner 2012er-Projekte. Ursus Wehrli, bring Ordnung in das Salzburger Schiliftechaos. Ohne den Rausch keine Revolution, das wusste Bakunin, dann wusste es niemand mehr, bis die Surrealisten kamen, die es wieder wussten. Zwischen Simmering und Schwechat ist die Stadt hässlich wie sonst nur zwischen Schwechat und Simmering. Glück steht im Deutschen für Verschiedenstes (in anderen Sprachen ist das nicht der Fall): für einen inneren Zustand, ein äußeres Ereignis, ein zufälliges Zusammentreffen ...

DONNA SENYZA VERGOGNA I

Was der schreibt, interessiert mich nicht: MRR über den türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Was MRR nicht kennt, braucht niemand anderer zu kennen: es ist wertlos. Die jungen DemonstrantInnen der Wiener Anti-Banken-Demo (15.10.2012) sind sauer, dass die streikende MAN-Belegschaft sich ihnen nicht anschließt, sondern Dart spielt, pokert und Austropop hört. Wir schlagen uns nicht die Zeit tot, erklärt der Betriebsrat. Aber wir müssen im Werk bleiben, um die LKWs nicht aus dem Werk zu lassen. Auf die Idee, das zu kommunizieren, ist er nicht gekommen. Den Handelnden stehen oft zwei Strategien zur Verfügung, die beide gut argumentierbar sind. Die Handelnden aber, das ist das Problem, sind jeweils schon für ihre Strategie entflammt. Ohne diese Leidenschaft könnten sie nicht handeln. Die Entflammten beider Seiten wähnen sich im Besitz der richtigen Strategie. Das geht nie gut aus. Allentsteig: der Tüpl wird Allmende, ein Traum. Im Osten gibt es viele verschiedene Arten, klein zu sein: Ulenka, Ulka, Ulunca, Ulenjezka, Ulezka, Ulusia, Uschka, Ulusonka. «Freie» Rede zur Pressekonferenz über das Raiffeisen-Bashing des Augustin. Bei der Anti-Bankendemo massive Polizeipräsenz vor der Kleiderbauerfiliale, kein Bulle vor der Raiffeisenzentrale. Die gesperrte Treppe durch die Weingärten zum Kahlenberg als Symbol für den Ausschluss der Bevölkerung aus der regionalen Verwaltung. Wutbürger contra Heuschrecken (die Tierrechtsbewegung ist garantiert gegen die diskriminierende Haltung gegenüber den Heuschrecken). Was brauchts für ein Gedicht? / Ein Wort, das reimt, mehr nicht. Über den alten Raiffeisenboss in Jelineks online-Roman «Der Neid». Viktualienmarkt, München: Schick wie der Naschmarkt, wird er immer schicker, wie der Naschmarkt. Die Plattenbauten der DDR wirken im Vergleich mit den Blocks von Hackney, Tottenham, fast wie fesche Penthäuser. Ginge morgen die Welt unter, würde ich heute noch ein Polizeiauto anzünden. Kein Parkinson in der Familie, so ein Glück, nur Magenkrebs. Briefwechsel mit Aufbrechenden in Bad Leonfelden. Revolutionen sind der Griff des Menschengeschlechts nach der Notbremse, meint Benjamin. Eine Arbeitsgruppe (des «Aufbruchs», spätere Einfügung) soll sich über mögliche Notbremsen kundig machen und studieren, wie man sie hantiert. Die wirklichen Indianer sind die Adivasi, aber typisch: die Weißen wissen mehr über die amerikanischen Indianer oder die australischen Aborigines, obwohl es 84 Millionen Adivasi, aber nur 2,5 Millionen nordamerikanische Indianer und eine halbe Million Aborigines gibt. Die Korrupten fürchten uns, die Ehrlichen helfen uns, die Helden machen bei uns mit. Jeder kann ohne Angst verschieden sein – das wäre Freiheit. In der VR China ist der Durchschnittslohn seit 2005 jährlich um 30 Prozent gestiegen. Protokoll der Stadtflucht nach Allentsteig. Ludwig Börne nannte die Frankfurter Judengesetze des 18, Jahrhunderts den «Roman der Bosheit». Verwenden wir diesen Titel für alle amtlichen Texteinheiten, vom psychiatrischen Gutachten über die Polizeiprotokolle bis zur Straßenmusik- und Bettlerverordnung. Ein depperter Wickel mit der Waldviertler Künstlerin Ingeborg Bär. Mir, Helmut Seethaler, ist durch das Verhalten der Bediensteten der Wiener Linien ein Schaden passiert. Um Spanien zusammenzuhalten, muss man alle 50 Jahre Barcelona bombardieren. Der Mönch spricht, wenn er redet, ruhig und ohne Gelächter, demütig und mit Würde wenige und vernünftige Worte und macht kein Geschrei. Das Allerentbehrlichste: Straßenschlacht zwischen athenischen Kommunisten und Anarchisten. Erstere verteidigten «ihr» Parlament gegen die Antiparlamentarier. Unterschiedliche Versionen zum Tod der Siedlerbewegung.

YDONNA SENZA VERGOGNA II

Ein schöner Text von Tolstoi gegen den Patriotismus. Wozu braucht man diesen? Nicht einmal zum Umsiedeln der Nashörner von Afrika ins Alpengebiet per Helikopter. Man unterschätzt, wie militarisiert die Gesellschaften der Zwischenkriegszeit waren. Es galt als selbstverständlich, dass alle Parteien ihre bewaffneten Truppen hatten. Landschaften mit Sprezzadura sind vor allem Weingebiete. Unter den Menschen sind nur die Kleinbürger zur Sprezzadura fähig. Das eint die Eliten und die Proletarier. Hurrah schreien, Frauen misshandeln, Dobermänner striegeln und Missetäter anzeigen – Mobleben, angewandte Antisprezzadura. Ganze Stadtbevölkerungen in Pöbel verwandelt, so Rosa Luxemburg 1915 aus dem Gefängnis. Horses, sagt der Tourist und zeigt auf die Fiaker. Jo, hoass is, bestätigt Max; owa bessa hoass ois koit. Jeder Reiche ist ein Dieb oder eines Diebes Erbe. Werner Herzogs einzigartiger Film über die Chauvet-Höhle. Schafft einen Berg vor das Rathaus, wir brauchen eine neue Bergpredigt! Der Punsch ist das System: Heisses Wasser plus Chemie zu Wucherpreisen. Sommer erklärt Krispel die Arbeitsweise eines Augustinredakteurs; Reagieren auf Angebote statt Inhaltsplanung. The Christmas Truce, ein geniales pazifistisches, antinationalistisches Weihnachtsgedicht. Ein Pilot des Ersten Weltkriegs: Wen ich bekämpfe, hasse ich nicht, wen ich beschütze, liebe ich nicht. Raddatz: «Ästhetik des Widerstandes» ein «gigantischer Prosairrtun». Der Stadtplatz ist die Lüge der Provinz. Weisses Theater und postmigrantischer Diskurs. Ernst Jandl schenkte mir zum 60. Geburtstag ein Gedicht: Echt siech / ächz ich / sechzig. Wie Unterrichtsminister Töchterle die Tiefe, die notwendig wäre, nicht erreichen konnte, als er neulich interviewt wurde. A Boy Looked at Kreisky, by Rainer Krispel. WISSEN IST MACHT. WIR WISSEN NICHTS. MACHT NICHTS. Wien lässt viele Otto Wagner-Bauten verfallen. Ritual der Wohltätigkeit in den Monaten mit R. Stefan Schmitzers Gedichte. Schloss Schönbrunn wird Soziales Zentrum. These: Menschen, die resistent gegen das Altöttinger Klima blieben, sind besonders radikal. Empathie mit «falschen» Verkäufern, ein Augustin-Dilemma. Ivana Sajko, Gedichte: Wir sind aus Ficken und trockenem Stroh gemacht / wir sind depressiv wie die Ökonomie / unsere Eltern sind wie alle anderen Eltern: im Minus. Mann mit Herz, Hirn, Haus, Hund und Humor, apropos schwerreich, sucht sportliche Katholikin mit Manieren und Stil. Entdeckung der Feudalismus-Seite der SZ. Predigt auf der Aktionsradius-Weihnachtsfeier 2011. Robert Sommers Schnapsidee: Fußballturnier auf der schrägen Wiese; als ob es darum ginge, die Fußballregeln in Frage zu stellen; das sind doch die einzigen Regeln, die nicht von Menschen, sondern von oben geschaffen wurden. Ein NZZ-Matchbericht (FC Basel gegen Manchester United) als literarisches Schmankerl. Warum die Krise für Reiche eine schwere Zeit ist. Sie müssen z.B. beim Schwimmen auf alles gefasst sein, z. B. auf glitzerndes Plankton. Von Normalsterblichen, die in den Sofas liegen, werden sie belästigt. Herr Grasser, ihr Besitz stört uns, wir sehen uns also gezwungen, eine Besitzstörungsklage einzubringen. Wien – man erhofft hier nichts voneinander; so eine Stadt kann Grauen einflößen. WOHER KOMMEN DIE MÖWEN, die jetzt in Wien sind? Alles über die Hauptstadtbiber. «Ich glaube, die Ente lacht uns aus.» «Soll sie lachen, bis sie knusprig ist». Franz Kafkas testamentarische Verfügungen und Max Brods Verrat. Liste meiner Vorhaben für 2012; bitte mit Realität vergleichen. Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu. Clara Zetkin berichtete, sie und Rosa Luxemburg hätten an Selbstmord gedacht, anlässlich der Bewilligung der Kriegskredite durch die Sozialdemokratie fast aller Länder. Mein 60. Geburtstagsfest. Die verräterischen Zeilen der Leisch. Christian Schreibmüllers Gedicht «Arien». Kann man Ulysses in die Gebärdensprache übersetzen?

ZUM ZWEIMAL HALBTOT LACHEN I

Die Hälfte der Russen unter 30 hält Stalin für einen großartigen Politiker. Auf der Suche nach Dinosaurierknochen drang der Paläontologe Cope 1876 tief ins Indianergebiet ein; das war gefährlich, weil Krieg war und Sitting Bull gerade eine Schlacht gewonnen hatte. Cope geriet in brenzliche, lebensbedrohende Situationen, rettete sich gegenüber feindlichen Indianern durch einen entwaffnenden Trick. Er holte vor den verblüfften Kriegern seine falschen Zähne heraus, lachte sie zahnlos an und setzte sich das Gebiss wieder ein. Wer in Hongkong von Heuschrecken redet, meint die Festlandchinesen in Konsumrausch. Was ich immer schon über Primzahlen wissen wollte. Was ich immer schon über Angler wissen wollte. Ich verrate nur eines: der Haken tut allen Fischen weh. Die RAF wurde nicht durch Rasterfahndung zerschlagen, sie löste sich selber auf. Die Planwirtschaft wird wieder kommen, nicht so ineffizient wie in der DDR; nur Kunst, Rausch, Sex, Religion und Spiel bleiben außerhalb des Plans. Bis Anfang der 70er Jahre wurde in der BRD jede Post aus der DDR geöffnet, insgesamt 140 Millionen Postsendungen. Ein paar hundert Käfer für die Volksgenossen ist keine «Massenmotorisierung», wie die Mär lautet. Was ist das Biberproblem in Neu-Brasilien gegen die Biberplage auf Feuerland? Der vollständige Sieg der nordischen Lebensart über die südliche wäre eine Tragödie. Ostwinde sind immer unangenehm, egal, aus welcher Richtung sie kommen. Aha, Winnetous Ahnen rotteten Pferde wie Büffel aus. Zur Breite der brasilianischen KP: Ex-Sportminister Rebelo, (Ex?-)Vorsitzender der KP, ist Teil der Fußballmafia und Blatterfreund. Eben wird Alexander Herzen von mir entdeckt. Die heraufkommende Ordnung, der Sozialismus, muss nicht nur vom Alten alles retten, was rettenswert ist, sondern sie muss darüber hinaus auch das retten, was für den Aufbau des Sozialismus kein Hindernis bedeutet. Rosa Luxemburg kann sich das nicht erklären: Die Partei der vaterlandlosen Gesellen ließ in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Die Partei erfreut sich eines 50jährugen unaufhaltsamen Aufstiegs, und dann löst sie sich binnen 24 Stunden (Kriegskredite-Entscheidung) einfach auf. Das Konzept der Funktionstrennung in den Städten – hier arbeiten, dort schlafen – hat nicht zum Ideal der lebendigen Stadt geführt, sondern zum urbanen Alptraum. Nach einem Erfolg entwickelt man sich nicht weiter. Ein Spruch, der aus den 30er Jahren stammt: Haribo macht Kinder froh. Zur Kategorie des Bio-Interviews. Ute Laux, Leipziger Malerin in Kloster auf Hiddensee. Die Reste des proletarischen Internationalismus der deutschen Arbeiterklasse wurden 1919 durch die Hetze der Medien gegen die 25.000 afrikanischen Soldaten aus den Kolonien zerstört, die im Zuge der französischen Rheinlandbesetzung eingesetzt wurden. Wer die Handlung nicht gleich begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen: sie ist unverständlich. Gummistiefelweitwurfweltmeisterschaft, finnisch Maailmanmestaruuskilpailut: die Regel besagt, dass Stiefel der Größe 43 zu verwenden sind. Berlin 1931, eine Stadt der Freiheit: 1933 war 1931 unvorstellbar. Eine gute Propaganda macht aus einem Misthaufen einen Ausflugsort (Brecht konnte nicht ahnen, dass Alpenschamanen Heu- und Misthaufenkuren um teures Geld anbieten werden). Mimolette, würziger Käse aus Nordfrankreich, darf nicht in die USA eingeführt werden; die US-Nahrungsmittelkontrolle stuft den Käse als «widerliche, faule und zersetzte Substanz» ein. Brecht verließ die SU 1941 mit dem letzten Schiff, das aus Wladiwostok nach Nordamerika auslief. Er hätte den Stalinismus nicht überlebt. Unsere Halluzinationen gehen uns, anders als unsere Träume, nichts an. Wer leistet mehr als eine Pensionistin, die ihren alzheimerkranken Mann pflegt und 24 Stunden am Tag aufpasst, dass er nichts Dummes anstellt? Sie gilt nicht als Leistungsträgerin. Die Pensionistin leistet aber 1000 mal mehr als der Börsenspekulant, der allein wegen seiner Einkünfte unter die Leistungsträger gereiht wird. Rettet die Bugwellenforschung vor der Invasion der Wirtschaft in die Wissenschaft. Bevor ich vereise muss ich verreisen. SPASMUS sein! – Motto einer Berliner Demo der Mad- und Disability-Bewegung. Zauberberg: Naphta ist Lukacs. Was ist aus Russland geworden, in dem ein Dichter kein Stadion mehr füllt? Wenn schon Lateinunterricht, dann bitte mit Erasmus’ Colloquia Familiaria beginnen und nicht mit Cäsars Gallischen Kriegen. Fritz Brügels Gedicht «Man sieht uns nicht, man kennt uns nicht, wir tragen keine Zeichen ...». Der Präsident hat ein Arschloch – das klingt wie ein Delikt, aber die Machtorgane können scheißen gehen: es ist reine Anatomie für Anfänger. Schon nach den ersten Wochen des dritten Weltkriegs gab es in Großbritannien keinen Whisky mehr. Die Europäer brachten nach Afrika: den Kuss und das Gefängnis.

ZUM ZWEIMUAL HALBTOT LACHEN II

... erkannte er, ich funktioniere wie geschmiert / und wie lange hab ich nicht mehr randaliert – mein Gedicht für meinen Schwager Peter traf nicht auf Gegenliebe. Im ersten Halbjahr 2013 lernte ich kennen (Auswahl): Cesky Krumlov, Margit Schrage, das Konzept Bruttosozialglück, die gemobbte Bürgermeisterin von Kapfenberg, den Wagenplatz in der Seestadt, die jungen Wilden von Bad Leonfelden, das Simmeringer Macondo-Viertel, den Sandleitenhof (wieder), die Rechtsanwältin und Gefängniskritikerin Katharina Ruepprecht, Cecilia Corti, die Demütigung der beiden spanischen Spitzenvereine durch die beiden deutschen Spitzenvereine und neue Seiten von Florin Mittermayr: der Regisseur, der Sänger, der Schauspieler (in: «Die Schmoizhodan-Passion»). PR-Text von Vincenz Wizlsperger für Kollegium Kalksburg. Wenn ein Franzose sagt, er sei ein Patriot, ist er Republikaner; wenn ein Österreicher sagt, er sei ein Patriot, ist er ein Nationalist. Bitte ein bisschen mehr Blattlinie, sagt Lisa. Ich hörte, dass in Wien fast alle Fabriksarbeiter Mährer und Böhmer sind, das erklärt manches aus der dortigen Bewegung. Der echte Wiener sei nicht so blöd, in eine Fabrik zu gehen; er werde Kutscher oder Hausknecht (Engels, 1868). Welches Geräusch lieben die Männer in der Stadt, ohne es zuzugeben? Das Klacklacklack der Stöckelschule, falls es ein sich näherndes Geräusch ist. Jesus wusste bis zu seinem Tode nicht wirklich, ob er ein Wunder gewirkt hatte. Kirchengeschichten, zwischen Halbwahrheiten und Unterlassungen. Topopoesie Ennstal / Steyrtal: Sautalriedel, Toter Hengst, Wurau, Simandl, Predmass, Schrof, Plaissa, Pyret, Stretz ... Die Revolte geht von der Realität antagonistischer Interessen aus, die Bürgerbeteiligung von der grundsätzlichen Kompromissbereitschaft aller Akteure. Wenn das Verwertungsinteresse privater Großinvestoren berührt wird, gibt es keine Partizipation. Tinsch geht, seit ich sie kenne, über dieses strukturelle Tabu der Teilnahme hinweg und ist begeistert, wie Teilnahme dort funktioniert, wo man sie offiziell zulässt. Der Schlaf ist biologisch nützlich, aber ökonomisch sinnlos. Schlaf nennt man jenen Zustand, in dem der Mensch vergisst, dass er einkaufen gehen muss. Beliebter Kokain-Ersatz: geriebener Ytong. Marmeladinger-Gedicht aus Henry Jahms Roman «Perrudja». A Revolution ghead hea damid a Ruah is. Wie Thomas Mann 1914, als 40-jähriger, über den kommenden Krieg begeistert war. Günter Kunerts pazifist. Kindergedicht, was die Kinder brauchen. Latzhose schützt Arbeit vor, vermehrt sich ungeschlechtlich, nicht zu verwechseln mit dem Hosenlatz, einer ausgesprochenen Befreiungseinrichtung. Mannerschnitten / enthalten zu Phil-Zucker / Die viel Harmoniker / fressen sie schwedenbombenweise. Seethaler-Dokumente. Ich glaube, sagte ich zu Ernst Jandl, dass nur 1 Morgenröte uns noch voneinander trennt. Ich sammle Frommstoff in jeder Heilandschaft. Gastarbeiter bringen immer Unglück. Die Italiener z.B. legten die Gleise, auf die dann viele Österreicher ihre Köpfe legten, um zu sterben. Diese müde Gemeinschaft, diese verdammte Bedürfnislosigkeit der Arbeiter. Oswald Wieners Zugang zum Aktionismus. Koloman kam nur bis Hollabrunn; er wollte nach Jerusalem. Melina Mercouri hatte da eine Idee. Friedrich Adlers Sündenfall; noch heute keine linke Partei im Parlament, dank Friedrich. Öl spaltet jede Gesellschaft. Zeigt mir ein Mauseloch und ich ficke die Welt. Die verbotene Rede Jean Zieglers – Zensur bei Salzburger Festspielen. 789 Engel bevölkern das Stift Melk. Die Deutschen haben den besseren Fußball, aber die Engländer den besseren Fußballjournalismus. Bernando Carvalho hat einen Roman über Brasilien geschrieben. Der Roman heißt «Mongolen». Geschriebene Küsse werden von den Gespenstern getrunken. «Robert, ich bin fassungslos.» Die Schreibers zuckten aus, als ihnen Alois berichtete, ich hätte ihren Sessel einfach jemandem geschenkt. Einen von ca. 50 Sesseln des früheren Cafe Troppau.

RATTEN! BILDET RÄTE! I

The Guardian zitiert Blatter: I am the captain weathering the storm». Dann faucht er ins Mikrophon: «Crisis? What is a Crisis?» Die »Zeit» warnt davor, ihn zum Sündenbock zu machen: «Die Meinungen sind gemacht: Blatter ist die Kehrseite der Medaille. Vorne prangt Messi, der Messias des Kurzpassspiels, hinten Blatter, der Teufel in der Hängepartie um die Macht. Messi ist gut, Blatter das Böse schlechthin.» Frage an Hundstorfer: Allerorts wird der politische Stillstand beklagt. Können Sie das nachvollziehen? Hundstorfers Antwort: Das kann ich wirklich nicht nachvollziehen- Wir haben hervorragende Wirtschaftsdaten, wir haben sogar einen Rückgang der Invaliditätspension. Ich weiß nicht, warum die Medien immer verlangen, da muss etwas weitergehen. Was soll geschehen? Sollen wir Zustände wie in Spanien, Frankreich oder Griechenland haben? (Anm. 5 Jahre später wird der Sozialminister als SP-Kandidat für die Bundespräsidentenwahl mit 10 Prozent der Stimmen abgestraft). Abbe Libansky: Jede Propaganda zielt auf die Aufhebung einer anderen Propaganda. Die ästhetische Qualität der Propaganda hängt nicht von der ethischen Qualität der Ideologie ab. Wer Artefakte der Propaganda sammelt, sammelt Trophäen des Sieges oder Scherben des Scheiterns. Die Unsicherheit der Städte ist keine Konstruktion. Ein deutsch-türkisches Ehepaar ist von seiner selbstgebauten Schussanlage gegen Einbrecher erschossen worden. Die 75jährige Frau und ihr um fünf Jahre ältere Mann starben in einer Ferienhaussiedlung in der Stadt Edremit. Die Eheleute hatten bei der Ankunft vergessen, das Sicherheitssystem ihres Ferienappartements auszuschalten. Als Hooligans das Derby Austria gegen Rapid abbrachen, stellten die Medien das Bild eines stark tätowierten Fußballfans als Verkörperung der Gewalt in den Mittelpunkt. Das grünweiße Riesenbaby weiß noch gar nicht, was Bürgerkrieg ist, und schon wird es zum Anführer erklärt. Schönste Krone-Schlagzeile des Monats: Pudel Benni in Baumarkt von Holzstapel erschlagen! Und im Text: Plötzlich das Unfassbare: Ein schwerer Holzstapel fiel wie von Geisterhand um. Geradewegs auf den kleinen, süßen Pudel. Der macht noch einen Japser – und war auch schon im Hundehimmel (sehenswert: das Foto mit der irritierten Hundebesitzerin, die das Foto mit Benni gegen die Kamera hält). Plakias und Umgebung: Die unbrauchbarste Wanderkarte der Welt gibt’s in den Supermarkets von Plakias um 3 Euro. Karten dieser Art lotsen TouristInnen, die den Weg zum Männerkloster suchen, gerne in Sondermülldeponien. Aus einer Zeitung glänzen und stöhnen mir Bodybuilder entgegen. Warum kann ich mir diese muskulären Titanen nicht vor einem vollen Bücherregal vorstellen? Wenn diese Muskelmanen erschlaffen, schauen sie fast wieder so aus, wie Gott, der in der Schwerelosigkeit des Himmels längst Entmuskelte, sie geschaffen hat. Und sie lesen vielleicht Kafka. Oder «Ratten, bildet Räte!» Eine Demokratieregel im klassischen Athen: Verbot der Stimmenthaltung in Entscheidungsprozessen. Zorbas-Tanzen im öffentlichen Raum als Protest gegen das Griechenland-Bashing: ich dachte, das sei meine Idee. Und dann wurde in jeder größeren Stadt der Zorbas getanzt. Beim Heurigen Hirsch in Schönberg am Kamp fielen die Äpfel aus den reifen Apfelbäumen den Heurigengästen auf den Kopf. Für das kurze Geräusch des Aufpralls verwendet man gewöhnlich das Wörtchen «plopp». Beim nächsten Volltreffer werde ich darauf achten, ob das Geräusch nicht adäquater zu verschriftlichen ist. Riki zum Augustinverkäufer: Kannst du bitte dein Hosntürl zumachen? Kommentar eines anderen Verkäufers: Weu a Doda brauchd ka Lufd. Ich überspringe die Kindheitserinnerungen in allen Biografien und Autobiografien. Warum, wurde ich bei einer Lesung meiner Texte überraschenderweise gefragt. So wurde ich noch nie gefragt, ich benötigte also eine THESE, weil ich noch keine hatte. In den der Kindheit gewidmeten Teilen der Biografien, insbesondere der Autobiografien, wird notwendigerweise am meisten gelogen. Die Erinnerungen sind verblasst und schriftliche Dokumente fehlen, falls der oder die Beschriebene kein Wunderkind ist und im Alter von zwei Jahren die Bundeshymne mit dem gegenderten Text singt, mit oder ohne Begleitung, mit oder ohne Besaitung, mit oder ohne Vorbereitung, mit oder ohne Chorleitung, mit oder ohne ... Große Nation, die Schweiz; nur wollen wir uns die Pünktlichkeit ihrer Uhren nicht zum Vorbild nehmen. Und was hast du, großes Österreich, zu bieten, was wir nicht wollen? Almauftriebstheaterkühe? Almauf-almab-Triebtäter? Alm-Triebunale? Albträume? Almtreter? Almretter? Almritter? Almbutter? Das Qira`at, arabisch, ist die besondere Form der Verbalisierung des Koran. Sie unterscheidet sich von jeder anderen Form menschlicher Lautäußerung, ist musikalisch, aber kein Gesang. Es löst in den Zuhörenden Gefühle aus, auch wenn kein einziges Wort zu verstehen ist. Der vagabundierende Gemüsehändler im kretischen Dorf Selia verwendet für die Anpreisung seiner Ware ein säkularisiertes Qira`at, überdrüberdezibeliert mittels Vorkriegsmegaphon.

RATTEN! BILDET RÄTE! II

Rivulverblott, ein Begriff aus Ullysses. Titov Vrv, ein Berg in Mazedonien, auf dem sich jährlich das gesamte Volk des ehemaligen Jugoslawien trifft. Smrt Nazionalizmu – der Künstler Mark Napier kreiert in seinem net.flag-Projekt stündlich neue Nationalflaggen. Die Legende vom sterbenden Bauern, der seinen Söhnen von seinem im Acker begrabenen Schatz erzählt, gefunden in «Philosophische Kultur» von Georg Simmel, Seite 23. Materialen des Archivs für neuen Internationalismus. Ich bin der Träumer des neuen Internationalismus, ohne seine drei Sprachen zu beherrschen: Englisch, Popmusik, Blogismus. Für Österreich würde ich nicht in den Krieg ziehen, nicht einmal, wenn ich sicher wüsste, dass wir ihn verlieren. Beschreibung einer Arbeitswoche mit 2 Höhepunkten: erstes Treffen mit Lisa, der kommenden neuen Redakteurin des Augustin (Herbst 2011). Weiters das Missverständnis zwischen der Allentsteiger Künstlerin Ingeborg Bär und den TeilnehmerInnen der «Stadtflucht» zum TÜPL. Uschi ist Feuer und Flamme für die Belgrader Otpor-Bewegung und lädt den «Lehrer» dieser Bewegung zum Gaußplatz ein. Ich warne sie, dass die Soros-Stiftung dahinter steht. Sie weist das als interessegeleitetes Gerücht ab. 5 Jahre später hat sie mir recht gegeben. Als Ottakringer Bub mit dem Judenstern spielt der kleine Arik Brauer mit den arischen Halbstarken Fußball. Die HJ will dies verhindern. Einer der Halbstarken baut sich mit dem Messer vor dem HJ-Führer auf und sagt: Waun ana kickn kaun, daun schbüüd ea, du Oasch. Organisationskultur: Wie eine Herde Katzen sein (dazu muss man wissen, dass sich Katzen nie verherden). Ingeborg Bachmanns Liste der Ohren. Riki wirft den Blick auf meine Handschrift und erschrickt. Sie diagnostiziert geistige Zerrüttung. ZEIT: Woher wissen Sie, dass die Menschen im Urwald nicht auch gerne in die Mittelklasse aufsteigen und einen schönen Mercedes Benz fahren möchten? Roy: Sie wollen in Ruhe gelassen werden und im Wald leben. ZEIT: Aber doch wohl mit Geschirrspüler und Haarfestiger. Roy: Was jeder braucht, ist sauberes Wasser. In Mühsam-Tagebüchern finde ich den Satz: ... bekannte mich zu einem rebellischen Tolstoianismus. Warum kostet es mich eine so große Überwindung, endlich Tolstoi zu lesen. Tote Menschen, die mich beschämen: Irakli Zereteli (Menschewik, Gegner Lenins in der Konstituierenden Versammlung); Sinowjew und Fischmann, lieferten sich beim 1. Sowjetkongress der Nördlichen Zone ein exzellent intellektuelles Streitgespräch. Maria Spiridowna: Linke Sozialrevolutionärin, unter den Bauern sehr beliebt; die acht Anarchisten, denen im November 1866 in den USA der Prozess gemacht wurde; 7 der 8 hatten deutschen Migrationshintergrund. Wir sind nicht Österreicher, Europäer, Türken. Wir sind in einem Streik der Identität. Wir sind, was wir tun. Wir wollen, was wir sind. «Österreich ist das Mattersburg Europas», einer der schönsten Standard-Titel. Aber keine Ahnung, was er meint. Der notorische Streit über Partizipation als Herrschaftstechnik mit der Bereichsleiterin für Partizipation. Das Kulturamt der Stadt Wien versteht den Aktionsradius nicht und umgekehrt. GEMEINGUTSVERWALTUNG. Der Traum vom Schiff in der Asperner Seestadt, auf dem die Selbstverwaltung des Stadtteils in Permanenz tagt (Assoziation: Mayflower). Das Problem der Linken ist, dass das Universale im Gegensatz zum Besonderen nicht identitätsbildend ist. Prof. Max Otte aus Köln wird vom Aktionsradius eingeladen, über die Eurokrise zu reden. Der Wienbesuch scheitert an einer Kleinigkeit: Otte verlangt 5000 Euro Honorar. Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu besuchen, wo man nichts trinken kann. In der Verfassung der Republik Uzhupis steht geschrieben: Ein Mensch darf frühestens 5000 Jahre nach seinem Tod rekonstruiert und wiederbelebt werden (Lex Ötzi genannt). Vroni, meine Cousine, hat aufgeschnappt, dass die Polizei-Wachstuben dem Verbot der Straßenprostitution ambivalent gegenüber stehen. Seit die Damen nicht mehr in den nächtlichen Straßen stehen, haben es die Einbrecher wieder leichter, ungestört und unbeobachtet zu arbeiten. Vaters aufregendstes Kriegserlebnis: der vermeintliche Angriff der Kartoffelstauden an der eingenebelten Westfront. In dem Maße, in dem die Frontnebel sich lichteten, schienen die rätselhaften Dinger näher zu rücken, bis der Punkt erreicht war, an dem die Halluzination als solche erkannt wurde. Dank www wird die Jugo-Sphäre nicht untergehen. Großgrundbesitzer, die zum Gegner ihrer Klasse wurden: Plechanow, Tolstoi, Kropotkin, Bakunin, Lenin.

HIMMELFREUNDPOINTNEROVA I

FAVAC gegen Post 2:5. Denöbisupp, Denöbisupp, Wokimmahi? Wokimmahea? Du Oasch host ma mei freindin ausgsponnt. Nicht einmal Pavel Althamer kann politischen Aktivismus einfach in Kunst umtopfen. In seinem «Kongress der Zeichner» auf der Berlin Biennale weigerten sich die aus Sao Paulo eingeladenen Pixadores (Graffityszene), ihren Kampf auf extra hergerichteten Resopalplatten zu übertragen. Die Sprayer besprühten die denkmalgeschützten Mauern der Kirche, in der die Ausstellung stattfand. Die Biennale-Leitung holte die Polizei. Westbank: finanzielle und ideologische Kosten der Besatzung. Wir sind frei, wenn wir unsere Herrscher ohne Blutvergießen loswerden können. Meine patriarchalisch abgerichteten Hände greifen seltener nach Büchern weiblicher Autorinnen, sodass in meiner Bibliothek bisher leider fehlt: «Die Republik der Frauen» von Gioconda Belli. So viele Opfer haben wir in unserem Kampf gegen die Diktatur gebracht, um am Ende Angestellte im öffentlichen Dienst zu werden. Müsste die Mannschaft des FAVAC die Bundeshymne singen, würden nur zwei Spieler mitsingen: Ruhaltinger und Raffetseder. Die Avantgarde malt dann doch wieder Tafelbilder, die Anarchos ziehen ins gute, alte Parlament, die Kollektivisten gehen einzeln ins Gebirge, und ich streichle eine Blume, die wie Unkraut aussieht, und bin sogar geneigt, mit ihr zu reden. Leben wir in der Zeit eines Epochenbruches? Supermarkttrick Zahnpaste-Regal: Eine einzige Zahnpaste kostet 6,50 Euro, die anderen alle zwischen 2 und 3. Im Vergleich mit der 6,5-Ware scheinen alle anderen Marken ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis zu haben. Rauscher erklärt im Standard die Ursachen des Augustin-Absatzrückganges. Die «undichte Stelle» des Papstes in «Titanic» – ein Brunzfleck auf der Soutane. Wie die Polizei die Stadt Frankfurt lahmlegte, um zu verhindern, dass die Stadt von der Occupy-Bewegung lahmgelegt wird. Auch Ostbands wollen bis zur Rente rocken. Ejakulierte Sprache (Mayröcker). Die Krähe lacht. Die Krähe weiß / was hinter Vogelscheuchen steckt / und dass sie nicht wie Huhn mit Reis / und Curry schmeckt. Drei Millionen Rumänen sind seit 1990 ausgewandert (Stand: August 2012). Das hebräisch-arabisch-deutsche Gehsteiglexikon. Akupunktur und Eurozentrismus. Jetzt erst wird die Nakba ins Hebräische übersetzt. Robert Walser: Wir Weichen kämpfen am schönsten. Das Gulag-Lied von Bulat Okudshava, von Biermann übersetzt. Arbeit dient nicht mehr zur Herstellung dessen, was gebraucht wird. Robert Walsers umständliches Dankeschön für das Regenschirm-Geschenk. Die Aurora verkommt in der Biegung der Newa. Die New York Times lehnt die Autorisierung von Zitaten ab. Wo liegt die Grenze zwischen poetischer Schönheit und Kitsch. Man sieht hier öfters hübsche Mädchen, aber alle haben es meistens sehr eilig und darum hat man wenig davon (Walser in Bern). Wenn Leute aus dem selben Dorf in die Stadt ziehen, werden sie einander fremd –– entzückend. Was verkauft der Augustinverkäufer in der Postprintzeit? Das Graue Haus der Lüge. Hamburg verscherbelt, Text von Schorsch Kamerun, und eine Übersetzung ins Wienerische. Die Hundehütten zwischen Wien und Cesky Krumlov. Primetzhoferova, Hodlmoserova. Mein persönlicher Krummau-Stadtplan. Wir Tschechen wissen, wer die schöne Stadt Krumau gebaut hat, sagte der Buchhändler. Von den 90.000 deutschsprachigen Neuerscheinungen im Jahr kaufe ich neun. Goethe: Zerstreut wie die Juden in alle Welt müssten die Deutschen werden, um die Masse des Guten und zum Heil aller Nationen zu werden, die in ihnen liegt. Lied für Riki, nach der Melodie von Grandola vila morena. Das Kulakentum verkörperte nach Orlando Figo die Tradition bester russischer Bäuerlichkeit. Aber wie konnte sich Bäuerlichkeit bilden unter Bedingungen des Feudalismus? Arundhati Roy gegen die NGOs. Ich möchte an den Regionalbahnhöfen mindestens ebensoviel kaufen können wie an Tankstellen. Deutsche (?) Zaunordnung. MRR´s Hesse-Bashing. Die sowjetische Generation 41: Nur 3 Prozent der 1923 geborenen Soldaten überlebten den Krieg. Der Schluckauf in den deutschen Dialekten. Die Schleuder in den deutschen Dialekten. Erstarrungskunst ist keine Kunst, sagte der Kulturstadtrat von Rom, und vertrieb die lebenden Statuen aus seiner Stadt. Republik Reinprechtsdorf u.a.: wo ich derzeit aktiv bin. Nicht die Nazis haben die erste deutsche Autobahn gebaut; sie waren sogar dagegen, weil die Baufirma jüdisch war. Isländisch angeblich vom Aussterben bedroht. Schwedenmöbelcomicstrip. Engels mag den fetten Bakunin nicht. Das Leben ist das, was passiert, während man auf etwas anderes wartet. Man wird die Frage nicht mehr los, die der Kommunismus gestellt hat. Die Ästhetik der Augartenbrücke. Norddeutsche Künstlerkolonien. Was kommt, was bleibt. Das Geld bleibt, aber es kommt die Frage, warum es bleiben sollte.

HIMMELFREUNDPOINTNEROVA II

Bundesbahnblues: Achtung Gleis vier / Zug fährt ein und endet hier. Bei Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und dem napoleonischen Frankreich stellten sich Marx und Engels auf die Seite Deutschlands, weil sie erwarteten, dass ein Sieg Preußens die Entwicklung zum deutschen Einheitsstaat beschleunige, was wiederum die zentralistische Organisiertheit der Arbeiterpartei fördere. Die deutsche Partei sei fortgeschrittener als die französische. Erfolg der Herrschenden: sogar den Linken eingeredet zu haben, es mache Sinn, zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden. David Coopers kohärente Antipsychiatrie. Die Windenergiegegner. ZEIT: Herr Reithofer, Sie sind ein Verführer. / Norbert Reithofer: Ich verkaufe Träume. / ZEIT: Männerträume. / Reithofer: Auch, aber nicht nur. / ZEIT: Finden Sie die Vorstellung eigentlich angenehm? / Reithofer: Ja, denn BMW ist Studien zufolge die wertvollste Automarke der Welt. Das erreichen Sie nur, wenn sie emotionale Fahrzeuge anbieten. I mechd gean auf an aundan schdean / und schaun wos d´ duat fia musi hean / owa ned jedn dog. Engels 1849: Als die Preußen kamen, konnte ich der Lust nicht widerstehen, den Krieg mitzumachen. Das Kugelpfeifen ist eine ganz geringfügige Geschichte. Es würde wieder geheißen haben, die Herrn von der Rheinischen Zeitung seien zu feig, sich zu schlagen. Ich bin ein Schillingalzheimer. Phettberg: Mein Schwanz, die Schneeflocke, ist so winzig, dass ich ihn beim Urinieren nicht herausbrachte und in die Blue Jeans pissen musste. Jetzt sitz ich allein windelnass am Computer und gestioniere. Die Stürme werden stärker, aber sie hinken der Steigerung des Drama-Bedarfs der Medien hinterher. Die provisorische Verfassung der Republik Reinprechtdorf. Wie ich nicht Österreicher des Jahres wurde. Hat Reinhold Messner schon einmal den Yeti bestiegen?
Hoggds eana de Bana o! Was tut die Bergrettung eigentlich für die Berge? Was tun Anarchisten, nachdem sie das bestehende System gestürzt haben? Um nicht zu Bürgern zu werden, gibt es nur einen Weg: In Schönheit zu sterben. Meine Ich-mag-nicht-Liste. Ich mag nicht: Die Kindheits-Abschnitte in Biografien und Autobiografien. Der Neoliberalismus hat das Trauerjahr wegrationalisiert. Trauerjahr ist unerlaubter Müßiggang. Wir können es uns nicht mehr zurückkämpfen, denn wir haben das Trauern verlernt. Franz I.: Meine Völker sind eines dem anderen fremd – umso besser. Ich schicke Ungarn nach Italien und Italiener nach Ungarn. Aus ihrer Antipathie entsteht die Ordnung und aus ihrem wechselseitigem Hass der Friede. Die erste Kunstdebatte: A: Ich sag immer, Malerei muss raus aus den Höhlen. B: Aber ist das dann noch Höhlenmalerei? Warum der Augustin das Magazin der Katholischen Aktion als Beilage ablehnt. Die Lektion der Aborigines für Naomi Klein. Oder soll ich wie so viele / ein Loblied singen auf gefüllte Taschen / soll eines Hofmanns Lächeln mir erhaschen / indem ich seinen Narren spiele / Nein, vielen Dank! Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss ein Ende haben. Politiker müssen mit der Zeit gehen, denn sonst müssen sie mit der Zeit gehen (Farkas). Engels an Marx, 1847: Nach einer höchst konfusen Sitzung wurde ich mit zwei Drittel gewählt. Ich hatte diesmal gar nicht intrigiert. Engels: Bakunin ist eigentlich nur dadurch etwas geworden, dass kein Mensch russisch konnte (Engels lernte die slawischen Sprachen, um Bakunin zu besiegen). Karli Berger in der Augustin-Debatte: Für den Bestand des Augustin ist es meiner Meinung nach notwendig, dass der Verkauf als Arbeit aufgefasst wird und klar vom Betteln getrennt wird. Wenn wir Betteln mit dem Augustin tolerieren, wird es das Angebot Augustin möglicherweise nicht mehr allzu lange geben. Meine Antwort: Wir kennen die Gründe des Rückganges nicht.

LENINGRAZ STALINGRAB I

Nestroys Zensor als fleischgewordener Strich durch die Erzeugnisse des Geistes. Der Adler sieht aus 500 Meter Entfernung einen Gegenstand, den der Mensch erst aus 50 Metern erkennt, die Ameise trägt das x-fache ihres Körpergewichts, der Löwe macht einen Biss und du bist mausetot: Selbst Tiere sind den Menschen überlegen. Das relativiert den Sensationsgehalt der Roboterrevolution. «Wir holen uns die Oskars»? Nein, Haneke holt sie sich. Die literarische Fiktion, wie phantastisch sie auch immer sei, entspricht dem wahren Leben weit mehr als der wissenschaftliche Diskurs oder die philosophische Lehre. Ein Fußwandertipp des Augustin sorgt für Empörung in der Neusiedlersee-National-parkverwaltung: er missachte ein Wegeverbot im Nationalpark. Der Bericht ermutige andere, es dem Autor gleichzutun. Der Augustin wertet das als großes Kompliment. Ihm wird zugetraut, viele Menschen in die verbotene Zone zu locken. 2013: Liste meiner 25 Projekte, darunter das Buch über Schrage, das Reinprechtsdorfer Hoftheater und das Ab-ort-Theater. Ein redaktioneller Beschwerdebrief an den immer säumigen Kolumnenschreiber Hubert Christian Ehalt. Helmut Lethen wertet die K-Gruppen auf: ihre disziplinierende Kraft bewahrte verzweifelte Linke vor dem Abgleiten in den Terrorismus. 3 Pfeiler der US-Weltherrschaft, nach Hillary Clinton: Militär, Diplomatie, Entwicklungshilfe. Poesie & Disziplin. Die 4 Hauptstädte der Juden: Mazzesinsel, Auschwitz, New York, Tel Aviv. Nelly Bly ehren!!! Die liturgische Hinrichtung der Zarenfamilie; Trotzki legitimierte die Hinrichtung als politische Notwendigkeit. Hinter dem Copyright steht die Musikindustrie. Ein großes Werk, die Geschichte Frankreichs von Michelet. Die überzeichneten, lächerlichen, schwerfälligen Metaphern des Historikers Taine. Marx über die französische Weinvielfalt: Wenn man bedenkt, dass jeder dieser Weine einen anderen Rausch hervorruft ... Das – fast beruhigende – Phänomen des meistens verblüffenden und ansatzlosen Ausbruchs von Revolutionen. Der ereignisreiche Februar 2013. Topopoesie des Mühlviertels: Afiesl, Hintring, Idangl, Sumpa, Geng, Koxeder, Auodt u. v. a. Marx: In Deutschland kann ich nicht mehr leben; man verfälscht sich hier selbst. Hunderttausende Menschen ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in den sozialexperimentellen Kommunen Nordamerikas – die USA als erstes Land des realen Sozialismus? Franzosen und Russen gehört das Land / die See gehört den Briten / wir aber haben im Luftreich des Traums / die Herrschaft unumstritten (Heine). Vielleicht war das rücksichtslose Zurückstoßen anderer Sozialisten eine unentbehrliche Bedingung dafür, dass Marx und Engels ihren eigenen scharfsinnigen Standpunkt aufrecht erhalten konnten. Manchmal benötigt die Grüblerin einen langen Anlauf zur korrespondentischen Hochform. 3 Lebensessentials: Geborgenheit, Lebenslust, Dissidenz. Sie sähen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nichts in ihren Scheuen; Gott ernährt sie trotzdem. Die russischen Kommunisten sammelten 50.000 Unterschriften pro Umbenennung von Wolgograd in Stalingrad. In jedem steckt ein bisschen Schöpfungsgeschichte – jeder von uns hat seinen ganz eigenen Urknall. Winter in Dürnstein. Kein einziges Lokal geöffnet, nicht einmal Kebab. Wir geloben, keine Arbeiten anzunehmen oder durchzuführen, ohne diese zuvor darauf geprüft zu haben, ob sie direkte oder indirekte Vernichtungsarbeiten darstellen. Wir geloben, die Arbeiten, an denen wir gerade teilnehmen, in diesem Fall aufzugeben, H.C.A schimpft: Du ausgesprochener Wurm vom Sohn einer vielleicht nur noch mit Einschränkungen vernaschbaren Mutter. des schdingade des gfeude / des woglade vabeude / des hadschade vafeude / da hamliche ogsseude / dem ficki seine reude / wien is a freude! Wie Karl Kraus die Wiener_innen interviewt. Warum Girardi der Wienerischte aller Wiener ist.

LENINGRAZ STALINGRAB II

Der Wiener leidet an der Sehnsucht nach dem Bauernhof, aus dem er letztlich stammt, und kompensiert dieses Leiden durch die Liebe zu den 3 Wiener Höfen: Steinhof, Zentralfriedhof, Karl Marx-Hof. Kunstszene Ostdeutschland. Toteninsel – Offener Brief der Bürgermeisterin von Lampedusa. Beschreibung einer dichten Arbeitswoche, darunter Schrage-Recherchen in der WienBibliothek. Port Said ist im Winter 2012 / 13 die Welthauptstadt der Revolution; in den Medien ist der ArbeiterInnenaufstand keine Zeilen wert. Der Oasch-mit-Ohren-Prozess. Kreisky und Taus begegnen sich im öffentlichen Pissoir. Weiter erzählen ... K: Haben Sie ein Pendant? V: Ein Pendant wozu? K: Hamms eigentlich recht! Über das Kulturgut Doktortitel. Riki schreit aus der Toilette: Manche Ameisenstraßen-Verläufe kapiere ich nicht! Warum kann man nur im Internet Verläufe löschen. Demoralisierte chinesische Gesellschaft: Das System ist außer Kontrolle. Jeder Beamte ist korrupt, es ist nur die Frage des Wieviel. Keiner vertraut in China mehr den anderen. Zum ersten mal in der Geschichte haben die Chinesen nichts mehr, an das sie glauben, außer ans Geld. FÜRCHTET EUCH NICHT als Kampagne gegen die ständige Konstruktion von Unsicherheit, eine Idee von Walter Famler. Kunstaktion; Der Londoner Künstler Michael Landy lud seinen gesamten Besitz auf ein Fließband und ließ es zerstückeln. Friedrich Engels Kommentar zur Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands: Furchtbarer Name! Elemente des faschistischen Syndroms: Konventionalismus; Autoritäre Untertänigkeit; Aggressive Autoritätssucht; Aberglaube und Stereotypie; Macht & Robustheit; Destruktivität & Zynismus; Projektionen. Vor lauter Eigenunterhaltung haben wir bald den Bildschirm abgeschaltet (Hemmetmayer über Thomas Bernhard). Für jedn Schas, den i lass, bekomm ich schon einen Preis (Bernhard an Hennetmayer). Das einzige Land der Welt, wo Leute in nennenswerter Zahl «Mein Kampf» lesen, ist Indien. Der Centralpark in NY ist ein abgerissner Slum. Winterkorn, VW-Konzern: Die E-Autos sehe ich eher als typisches Zweitauto im Stadtverkehr. Die Wildschweine vermehren sich wie die Unzufriedenen. Liste der Aktionsradius-Veranstaltungen des Jahres 2012. Nach Berlin umzuziehen aus der dümmsten Stadt der Welt – wie das lockt! «Der Glaube an Jesus Christus» ist ein Buchtitel, der mich nicht reizt, blödes Vorurteil, denn der Autor ist Jon Sobrino, einer der genialsten Befreiungstheologen. Elfriede Jelinek: Man muss die Sprache, auch wenn sie es nicht will, zwingen, ihre Verlogenheiten preiszugeben. Die chinesischen Zen-Aktionisten: z. B. Wang Hsia, lebte im frühen 9. Jahrhundert. Im betrunkenen Zustand, radikaler als Hermann Nitsch, tauchte er seinen Kopf in einen Kübel voll Tusche und schwenkte ihn über ein Stück Seide. Lao Tsu stellte sich den idealen Staat nicht größer als ein Dorf vor. Heidi Grüblers verrückte Korrespondenz aus Berlin: Im übrigen habe ich vor ca. einem halben Jahr eine Anzeige wegen einer Körperverletzung bekommen, weil mir mein Nachbar mit dem Fahrrad über den Fuß gefahren war und ich ihm dann ins Gesicht gespuckt hatte. Immer noch verlassen die Werksbäche die Traisen, aber sie finden ihre Fabriken nicht mehr. Der Bärlauch versteckte sich unter dem Theaterschnee (Schneetheater) und geriet so nicht in die Bärlauchsuppe. Das war mir schnuppe. Ich bestellte Fritattensuppe. Zum dritten Male verwerfe ich die Kapitel-Struktur meines Schrage-Buches. Die Fülle der Wortwitze im Augustin hebelt sich selbst in ihrer Wirkung aus. Dichte erste Aprilwoche 2013, mit Hubsi Kramars Wolfgang-Bauer-Revue und einem Besuch im Wagenplatz Gänseblümchen. Die Botschaft der sich von der Frauenrunde entfernenden Männerrunde. Der 5:0-Sieg der österreichischen Fußballnationalmannschaft gegen die kommunistische CSSR war der Volksstimme äußerst peinlich. Die Schönheit des schlafenden Mannes ist in jeder Sprache schwer zu beschreiben. Neben Hämorrhoiden bleibt die Lieblingserkrankung der Intelligenzia bis heute der Schmerz für das Volk (V. Jerofejew). Mensch werden heißt warten lernen. wo gehen ich / liegen spucken / wursten von hunden. Aufruf zu Waldsperrgebietswanderungen. Friedrich Achleitner über die Pirschgänge in die Unorte mit H.C. Artmann, in sich einem Nutzen verweigernde Gefilde, allesamt poetische Acte. In vielem ist China westlicher als Indien, z.B. hat es keine vom Staat nicht auflösbare Guerillabewegung. Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Grad eben noch lebte König Salomo, und nun sind schon 3000 Jahre vergangen.

DOPPELTGERÄUCHERTER MENSCHENSCHLAG I

Das sind meine Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht passen, hab ich noch andere. Erwähnenswert isch i däm Zämehang, dass es ds dütsche Fernseh isch gsi, wo gwüsse Anglizisme het aafoo zrüggdränge. Ir Fuessbausproch isch es so: D Anglizisme si ds Ursprüngleche, und d Germanisme si Nöischöpfige. Rauchverbot: Wenn die Politiker das Volk für unmündig erklären, muss ihre Wahl für ungültig erklärt werden, denn sie wurden von Unmündigen gewählt. Die Grüblerin: Fühle mich wie der lebende Beweis dafür, dass Psychiatrie Scheisse ist. Prognostiker sind kompetent wie Schimpansen. Der Eberhartinger-Gabalier-Streit. Mit Illich gegen Entwicklungshilfe. Römischer Pergamentkodex aus dem Jahr 512: rund 1000 Arzneimittel beschrieben und 4740 Anwendungen. Mailand oder Madrid, egal, Hauptsache Italien. Wenn es fertig wird, wird es prachtvoll sein (Stendhal über das Kolosseum in Rom). Alles ist auf Zeitgewinn angelegt, sogar die Trauerzeit ist auf 2 Wochen reduziert worden. Indianer pflücken keine Blumen. Erinnerungskultur: Machen wir Feste für die toten Künstler im Ehrengräberbereich. Der 12. Parteitag der KPI in Bologna 1969: Höhepunkt der kommunistischen Bewegung. Seethaler zwischen Resignation und Leidenschaft. Turrini bei der Premiere der 11%K.Theater-Produktion Sauschlachten, 24.1.2015. Großer Brockhaus, Stichwort Erinnerung. Enthauptungen von Geiseln: Soziale Kürzungen. Über den Niedergang des Journalismus in Lettre International 107. Es gab noch keinen Freistoßspray und ein paar deutsche Arbeiter abonnierten die Peking-Rundschau. Ernst Jüngers 20 Schussnarben. Darf Johnson & Johnson den Augustin sponsern? Revolution als harmonische Widervereinigung von Apollonischem und Dyonisischem. Nonnenmörderfangkostüm, ein Text der Grüblerin. Eine Linke, die nicht den Muttertag abschafft, ist keine Linke. Es ist der Islam, der das Kalifat bekämpft. Wir werden wieder singen: Steh auf, du Riesenland! Du darfst über alles predigen, bloß nicht über fünf Minuten. Die Warenvielfalt als letztes Stadium des Kapitalismus. Die Rote Armee besiegte den Faschismus ohne Kalaschnikow. Wie Krupp versuchte, die Aufführung von Hochhuts Stück «Der Stellvertreter» zu verhindern. Kleine Geschichte des Kondoms. Die historische Mission der USA: Eroberung der Wildnis. Re-enactments: Keine Frauen als Soldaten. Varianten des Schuheschnürens. Mir ist der Körper auseinandergefallen (Mayröcker). Die Bourgeoisie ist eine ansteckende Krankheit (Pasolini). Autorität ist immer Terror, auch wenn sie eine noch so süße Sprache spricht (Pasolini). Eine gute Stadt ist eine, in der man mit wenig Geld gut leben kann. In der Nacht vom 20. Zum 21.3.2015 wurde ich in einer dunklen Favoritner Gasse zum Opfer eines marokkanischen Umarmungsdiebstahls. Peter Hacks zur Notwendigkeit der Stasi: Wie denn sonst sollte die Regierung erfahren, was das Volk denkt? Egal, wenn die Haie mich fressen. Hab was besseres vor als zu überleben. Das Sterben der Shopping Malls beginnt. Robert Sommer, Vor dem Jahr der Kamele. Partisanenlied «Das Herz rotweißrot». Ich entpatriotiziere: «das Herz dunkelrot». Eine Nation ist eine Gruppe von Personen, geeint durch einen gemeinsamen Irrtum über ihre Vorfahren und eine gemeinsame Aversion gegen ihre Nachbarn (Karl Deutsch). Riki aus der KJÖ-Zeit: Finanzkontrolle der Partei gegen die Empfehlung an die Delegierten, schwarz zum Kongressort zu fahren. Rauchverbot: Die Grünen verderben uns das Leben durch Gebote und Verbote; sie sind die neuen Konservativen. Die Grüblerin beschenkt mich und vier andere mit ihrem Wahnsinn: Es gibt kein gutes Fernsehprogramm, doch es gibt gute Waschprogramme im Waschsalon am Rosenthaler Platz. Die Pickbücher haben begonnen mich zu beherrschen: Täglich fordern sie mich auf, für Nachschub zu sorgen. Und ich schneide, schreibe, klebe, schneide, schreibe, klebe. Du Depp! Sagt sich leichter als Sie Depp! Sollte man bei jedem Angebot, das Siezen aufzugeben, bereit haben. Biografie? Ich richte mir den Dieter Schrage so her, dass er sich zum Schluss zurückrichten lässt. Alle Erdgeschoßflächen und alle Dachflächen sollten Commons werden, das müsste im Mieterschutzgesetz geregelt sein. Schmetterlinge, die von der russischen Lampe angezogen sind, sterben, bevor der Morgen graut. Die Ausladung der selbsternannten Balkan-Kennerin Veronika Seyr. Messi macht nüchterne Sportjournalisten zu Poeten. Als rund 75 Minuten gespielt waren, entschied Messi, dass das Spiel von ihm her erzählt werden müsse. Das Schöne an Messi sei, dass er auf einem Meter dreimal die Meinung ändern kann. Mit einem einzigen Hüftwackler verdrehte Messi den Körper des Innenverteidigers von Bayern München. Messi verstreue die Knochen des Gegenspielers wie Saatgut. da heazzschriddmocha is nixi zan locha. Wohlstand für alle ließe sich leicht realisieren. Man müsste lediglich den Kapitalismus abbauen.

DOPPELTGERÄUCHERTER MENSCHENSCHLAG II

Besorgen: Suchy Irene, «Wiener Schmäh. Schmäh als ästhetische Kategorie». Jede Menge Poesie. Ein Wahnsinniger sucht 300 Jahre alte Bauernhäuser, legt sie zusammen, packt sie ein, mitsamt dem alten Weinstock an der Fassade, und baut sie in Niedersulz wieder auf. Und im nächsten Jahr holt der die Trauben vom ungesetzten Weinstock. Ich erfuhr exklusive, dass er auch den Radioapparat in der Küche reparierte, der seit 300 Jahren nicht mehr funktionierte. Einmal adabei sein: Mostviertler Volksmusikantenwallfahrt auf den Sonntagsberg, Tag des Mostes, immer letzter Aprilsonntag. «Ulysses» enthält 29.899 verschiedene Wörter, aber wen interessiert´s. Umgedrehte Ukraine: zehn Jahre Haft als Höchststrafe für Bürger, die die sowjetische Fahne hissen. bad gast ein, bad gast aus. bad gast raus. bad gast rein. fein. Der 4000-Einwohner-Fremdenverkehrsort verkraftet jährlich 200.000 Gäste aus aller Welt, aber nicht 40 Flüchtlinge aus dem nahen Osten. Wird die neue Generation mit Pflanzen sprechen? Eventuell auch online? Heili okkar er mesti blekkingameistari alheimsins. Der Kader von Red Bull Salzburg: je Kapitalismus, desto multikulti. Die Blütezeit der Wiener Uni entspricht der Spanne 1900 bis 1920. Joseph Strauß an Vater Johann: Stoßen Sie mich nicht in jenes unstete, rauhe, allen Sinn für das Menschliche zerstörende Treiben hinaus, zu dem ich nicht tauge, zu dem ich nicht geboren bin. Ich will nicht Menschen töten lernen, will nicht durch Jagdmachen auf Menschenleben ausgezeichnet werden mit einem militärisch höheren Rang, ich will den Menschen nützen als Mensch und dem Staat als Diener. Die Russen haben es in 70 Jahren nicht geschafft, eine Autobahn von Moskau nach St- Petersburg zu bauen. «Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild» war ein 24-bändiges Werk. Atheist Bus Campaign: Gott ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein tschechischer Schlagersänger. Hat Gott ein Arschloch und Brustwarzen? Im Roman «Manituana» des Autorenkollektivs WUMING, wird die Entstehung der Vereinigten Staaten quer zu Siegergeschichte, nämlich aus der Sicht der Irokesen beschrieben. Die Irokesen-Abordnung hat ein Lager auf der schrägen Wiesn am Donaukanal aufgeschlagen, wo sie die Vorlesung «Der Schmäh der Wiener» von Professor Dr. Fritz Babe absolviert. Sie tut dies schon ein halbes Jahr und kann bei folgendem Witz keinen Pointe finden, weiß also nicht, warum alle lachen. A: weißt du übrigens, wer gestern gestorben ist? B: Mir is a jeda recht.» Die Mehrheit stimmte dreimal gegen Thatcher, die regierte deshalb nur zehn Jahre. Hermes Phettberg sagte, er stelle sich Gott wie Harry Rowohlt vor. DU DEPP sagt sich leichter als SIE DEPP. Die verschiedenen Produzenten des Glücks fabrizierten menschliche Miseren. Die Bewohner Palmyras hatten nichts von den Früchten im großen Feigenbaumgarten. Die Perser waren so scharf auf die Feigen, dass sie die Bäume vor der Zeit abernteten. In England gelten die Polen als die Perser von heute. Der Zwieback soll eine Erfindung Wallensteins gewesen sein, mit dem Ziel, seine 100.000-Privatarmee zu versorgen. Nun verstehe ich meine Allergie. Die spannendste Zeit in Europa war die Wende 14. /15. Jahrhundert. Anfang des 15. Jahrhunderts – die Jahre der Jacquerie – gab es so viele Volksaufstände in ganz Europas wie noch nie. Die Bauern Flanderns, die TextilarbeiterInnen von Florenz und die böhmischen Hussiten bewegten sich, ohne voneinander zu wissen? Das glauben nur die Erfinder des «finsteren Mittelalters». Wussten Sie, dass Hatatitla, der Name von Winnetous Pferd, sich aus «Hat an Titl» herleitet? Juni 2015, zugespitzte Lage in Griechenland. Warum keine Internationalen Brigaden nach Athen? Müssen ja nicht bewaffnet sein. Begegnungen im Aufzug dauern oft schlicht zu lange, um die höfliche Nichtbeachtung aufrechterhalten zu können. Es ist ein ziemlicher Aufwand, sich in einer Begegnung nicht zu begegnen. Referendum: Möchten Sie von dieser Bundesregierung wie bisher belogen werden, stimmen Sie mit JA. Möchten Sie von dieser Regierung unverschämter als bisher belogen werden, stimmen Sie mit NEIN. Als ich in den Brennesselstauden / meine Leiche fand / fiel mir leider nicht ein / wie lange ich zu trauern habe. Im Literaturteil des Augustin erscheint eine Kurzgeschichte über Schuhe. Ein Mitarbeiter der Firma GEA beschwert sich, dass seine Firma namentlich nicht erwähnt wird, obwohl der Augustin ja geschäftliche Beziehungen mit GEA pflege. Ich sage das dem GEA-Gründer, meinem Freund Heini Staudinger. Vergiss es, sagt Heini. Der ist nicht ganz dicht. Die Hälfte der BewohnerInnen Melks sind Melkerinnen, aber man sieht nichts vom Milchüberschuss. Der Kapitalismus möge an der Warenvielfalt krepieren. Die Oberschenkellücke als weibliches Schönheitsideal. Danke für das Beuschel vom Inneren Schweinehund. Jeden Morgen packe ich die Pausenbrote für meinen Mann wie kleine Abschiedgeschenke ein. Trotzdem kommt er immer wieder zurück.

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Richards «Süßes-schwarzes-Mädchen-Multikulti-Renommierpüppchen-im-Arm-der-weißen-reichen-Onkels»-Cartoon entzweit die Redaktion. Das Eindeutige gehöre an allen Ecken und Enden bekämpft, verteidigt sich der Cartoonist. Meine Großmutter würde zur «Flüchtlingskrise» sagen: Der Mensch geht dorthin, wo seine Vorteile sind. Welch ein Schauspiel, vom Kahlenberg aus gesehen: die Ordnung der prächtigen osmanischen Zelte plus die Schlachtordnung der 200.000 osmanischen Belagerer. Zu viel Ästhetik für einen türkischen Sieg. Du bist umzingelt / wien / von einer ordnung / der du nichts entgegensetzen kannst als / zufälle. / kennen die türken nicht / die wiener kampierverordnung? Aramäische Plauderei zweier Frauen vor dem Tichy. Eine, fast ungehalten: Ja, die Sprache von Jesus! Die Hochklassigkeit von Gaisbergers unterklassigen Fußballtipps. Zufällig lese ich, wie klein die Minderheit der Handylosen geworden ist. Ideenebben, Ideenfluten. Jede Kriegsführung gründet sich auf Täuschung. Wenn wir fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen. Bürgerbeteiligungsverfahren: Nichts, was die Bürger wirklich interessiert, ist verfahrensgegenständlich. Das affektiv am meisten aufgeladene Symbol der Neonazi ist die Sonne. Kein Kommunismus ist auch keine Lösung. Erinnerung an den Film «Logan´s Run – Flucht ins 23. Jahrhundert». I trog schwoaz, ein Gedicht von Harald Pessata. Schwitters Experimentierfreude war nicht zu bändigen (versuchte wer, sie zu bändigen?). Das Erzählen stirbt nicht aus. Jeden Augenblick befinden sich eine halbe Million Menschen in der Luft, im Flugverkehr. Wolken reisen, sagte der Zenmeister. Aber bist DU eine Wolke? Literatur, oh du Universum des Trostes! Oh du Compagnero des Mostes! 2 Bedeutungen des Wortes WEGWEISUNG. In meinem ganzen Leben habe ich keinen Befehl erteilen können, ohne dabei lachen zu müssen und ohne dass man darüber gelacht hätte (Sartre). Karl Marx wieder ätzend: Der Liebknecht ist endlich zu etwas gekommen, nämlich zu einem jungen Liebknecht. Die Klon-Parade der Miss-Korea-Anwärterinnen, die nur ungeschminkt individuell sind. Günter Eich, Gedicht gegen das Einschlummern. Begegnung mit Stefan Horvath in Oberwart, an der Stelle, wo sein Sohn zerfetzt wurde. Gab es Sklaven in Aguntum? Wer wählte die 100 Gemeinderäte und die 2 Bürgermeister? Wie wurde Carnuntum regiert? Ohne die unpraktischen Naturen würde alle Praxis nur auf eine ewige und langweilige Wiederholung des Gleichen hinauslaufen (Alexander Herzen). Plumpsklos auf den Almen: Berge zum Scheißen. Sagt ein Würstl wirklich «plumps»? Topopoesie Osttirol: Perlog / Petogg / Gumriaul / Rewischg / Kobreil / Mukulin / Stuidl / Kuenz / Judengras.... Modellstadt Andernach, die essbare Stadt. Peter Esterhazy, der genialste Verwerter von Fremdtexten. Man kann 4000 Bücher im Leben lesen. 2000 Iren wandern pro Woche aus. Na und? Zur Zeit der Hungersnot waren es 20.000 pro Woche. Die schönsten Gedichte Bachmanns: Das Spiel ist aus, und Alle Tage. Friedrich Engels belehrt Karl Marx drei Seiten lang über Eisen im Blut. Der verrückte Pass gehorchte nicht / Eine Verleumdung / Wer in Waschwolk die kleine Städteschrift sabotierte? / Apfelbäumchen weiß es nicht? (Marianne Fritz). Die SPÖ spielt ein Scheiss Spiel. Dem Sozi Rainer Krispel reicht´s. DER GUTE MENSCH DENKT AN SICH, SELBST ZULETZT. Der Himmel ist die bisher beste Utopie. Was gesagt werden muss, umstrittenes Gedicht von Günter Grass. Autowerbung: Zeit, Träume auf die Straße zu bringen – Erleben Sie jetzt die Traumwagen-Wochen bei Mercedes –Benz. Autojournalismus: In dieser Version ist der bequeme Vierplätzler 305 km/h schnell. Nicht zwingend eine Notwendigkeit im Alltagsverkehr, doch allein um die vorhandene Kraft zu wissen und sie beim Fahren zu spüren, ist schon etwas Besonderes. Der Gezipark-Ticker: Ein Tag im türkischen Frühling, 7. Juni 2013. Im Gähnen tut sich der Mensch selber als Abgrund auf (Walter Benjamin). Könnt ihr euch noch in den Spiegel schauen? Ein Leserinnen-Protest gegen ein OMV-Inserat im Augustin. Stift Klosterneuburg, der zweitgrößte Grundbesitzer von Wien. Idee: Wenn die Burenwurst und der Senf weggegessen sind, kommt das Gedicht auf dem Wegwerfteller zum Vorschein. Heiner Müllers Gedicht Wolokolamsker Chaussee – es verfolgt mich seit 50 Jahren. Revolutionen – Lokomotiven der Geschichte? Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesen Zügen reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse (Benjamin). «Selbst Robert Sommer, Redakteur der Zeitung Augustin, traute sich nicht offen gegen Caritas und Kirche Stellung zu beziehen. Geht es um die SPÖ, lässt er es gerne einmal krachen und einen Bürgermeister mit einem nassen Fetzen davonjagen. Kritik an der Caritas scheint ihm aber ein zu heißes Eisen zu sein. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert, heißt es.» auch ich war da / und sage ja / zu meinem Dagewesensein: / mehr ja als nein (Ernst Kostal, Grabspruch).

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Einmal mehr erregt ein satirischer Cartoon Richard Schuberths im Augustin die Gemüter. Zwei weiße Herren renommieren mit einem schwarzen Mädchen, der Multikultirenommierpuppe. Karl Berger dazu: Ich kann in dem Witz keine Tendenz erkennen, die ich nicht teilen könnte. Erstaunliche Phämomene: Türken, die sich nicht einmal von der Scharia distanzieren, wählen in Deutschland linksradikal oder die Grünen, in ihrer Heimat aber die Ultrarechten. Ich rede schon Jahre von der notwendigen Gewerkschaft der kommenden Generationen, habe aber noch keinen Schritt in diese Richtung getan. Warum soll ich an die zukünftigen Generationen denken? Haben die zukünftigen Generationen denn jemals etwas für mich gemacht? Ich bin Minderheitenangehöriger: Es gibt in Österreich nur noch 5 Prozent handylose Menschen (Stand 2013). Ideenebben, Ideenfluten. Jede Kriegsführung gründet sich auf Täuschung. Wenn wir fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen. Vorgetäuschte Unordnung erfordert perfekte Disziplin. Bürgerbeteiligungsverfahren: Was die Bürger interessiert, wird als «nicht verfahrensgegenständlich» erklärt. Kein Kommunismus ist auch keine Lösung. Harald Pesatas Gedicht «Warum trogst du Schwoaz?» Das Erzählen stirbt nicht aus (in der Literatur). Most, ungarisch: Jetzt. Most, serbokroatisch: Brücke. Most, österreichisch: Apfel- und / oder Birnenwein. Stadtamseln sollen lauter singen als Dorfamseln. Die Flyer des Maydays 2013. Türken vor Wien: du bist umzingelt / wien / von einer ordnung der du nichts entgegensetzen kannst / als zufälle. Sind die Osmanen über die Wiener Kampierverordnung informiert? Ein amerikanischer Freund begleitete Sartre auf den Hundefriedhof. Wütend gab er einem Zementhund einen Fußtritt. Das Ohr brach ab. Er hatte recht, meint Sartre: wenn man die Kinder und die Tiere zu sehr liebt, liebt man sie gegen die Menschen. Marx an Engels: ... weil ich mit Herzen nirgendwo und niemals zusammen figurieren will, da ich nicht der Ansicht bin, durch russisches Blut das Old Europe erneuert zu sehen. Klon-Erlebnis: Die Kandidatinnen zur Miss Korea-Wahl. Ein Gedicht Günter Eichs: Ich beneide sie alle, die vergessen können. «Stadtflucht» ins Burgenland. Stefan Horvath, Vater eines ermordeten Rom, erzählt über das Oberwarter Attentat und über seinen Besuch bei den Eltern des Bombenbastlers Fuchs. Aktuelle Südtiroler Bestsellerliste, man glaubt es kaum. Es führt das Buch von Bischof Ivo Muser, «Credo — ich glaube» vor ein paar Regionalkochbüchern. Aus Alexander Herzens Autobiografie: Diese Art des Hinabgießens von Wein und Schnaps kann man nur in Russland und Polen beobachten. Ich habe in ganz Europa keinen Menschen gefunden, der ein Glas Wein in einem Zuge trinken und ein ganzes Glas herunterstürzen konnte, ohne abzusetzen. Topopoesie, Osttirol: Zauche, Ainet, Tschwabele / Petogg, Tallet, Mukulin / Ritschant, Kuenz, Gumriaul / Kobreil, Anras, Silian. Die Autobiografie ist die verlogenste literarische Gattung überhaupt. Peter Esterhazy ist der Weltmeister der «intertextuellen Bezüge», der genialste Klauer und Verwerter von Fremdtexten. Nach Ingeborg Bachmann ist auszuzeichnen, wer von den Fahnen flieht, wer vor dem Freund Tapferkeit zeigt, wer unwürdige Geheimnisse verrät und wer jeglichen Befehl missachtet. Schmankerl aus dem dritten Teil von Marianne Fritz´ Werk «Naturgemäß»: Weißt du was ein Hals ist? Irgendwer äugelt immer. Ins innere Argwohlpflegen. Nichttätowierte begreifen nicht, wie tief die Wurzeln der Tätowierung in uns hineinreichen. Thomas Münzer an die Bevölkerung Erfurts: Gott sagt durch seinen Propheten, ihr Vögel des Himmels, kommt und fresset das Fleisch der Fürsten, und ihr wilden Tiere, saufet das Blut der großen Gänse! Welche Sprachen sprechen Sie, wurde ein Heiler aus Togo befragt. Seine Liste ist beeindruckend. Der Himmel ist die bisher beste Utopie. Günter Grass´ umstrittenes Gedicht «Was gesagt werden muss». Ein NZZ-Autojournalist zum BMW M6 Gran Coupé: Wer das optionale M-Driver´s-Package bestellt, der erhält die Lizenz für extrem schnelles Fahren, inklusive der Einladung zu einem Fahrtraining. Das ist eine kluge Sache, denn in dieser Version ist der bequeme Vierplätzer 305 km/h schnell. Nicht zwingend eine Notwendigkeit im Alltagsverkehr, doch allein um die vorhandene Kraft zu wissen und sie beim Fahren zu spüren, ist schon etwas Besonderes. Werner Ehrensberger, so heißt der Journalist, propagiert ungeniert Gesetzesverletzung (Tempolimit) und spritzt dabei ab. Der Gezipark-Ticker: Ein Tag im türkischen Frühling, der 7. Juni 2013. Im Gähnen tut sich der Mensch selber als Abgrund auf. Er macht sich der langen Weile ähnlich, die ihn umgibt (Walter Benjamin). Ein Horizont aus Panzern ist der Deutsche / der auf dich zufährt so ein Himmel aus / Flugzeugen ist der Deutsche und ein Teppich / aus Bomben der sich über Russland legt. Weit und breit keine Hand, die uns füttert: Wen sollen wir beißen? Essbar ist alles, was im Wasser schwimmt, außer dem Unterseeboot

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Wenn du Gott bist, schenk mir doch einen Stadtplan von Hiroshima im Maßstab 1:1. Kurze Phase des Wahnsinns im Augustin-Team: vereinsinterne Korrespondenz in Reimform. Kreative Schmerzambulanz listet 100 Arten des Schmerzes auf, von pulsierend bis marternd, von nagend bis dumpf, von siedend bis kribbelnd, von krampf- bis kolikartig. Raffiniert: Um sicher oben zu bleiben, bot Stalin seinen Rücktritt an. Bree Newsome, 30jährige afroamerikanische Aktivistin, kletterte in Bergsteigerausrüstung auf einen Fahnenmast und holte die US-Flagge runter. BIS ITZ ISCH RÄCHT GSI (der zweite Satz seines Lebens), beantwortete der kleine Bub das Staunen der Mutter, die ihn noch nie sprechen hörte, bis er plötzlich bei Tisch den wirklich ersten Satz seines Lebens von sich gab: DAS ISSI NID! Wer hat je an die Unfehlbarkeit des Papstes geglaubt? Die Päpste, dieses verluderte Pack, mit Sicherheit nicht. Die Türken kennen nur 2 Tempi: total entspannt, total panisch. Mit dem Balkon nimmt man am Draußen teil, ohne wirklich hinaus zu müssen; doch in der warmen Feriensaison WILL man nach draußen und verzichtet dennoch nicht auf den Balkon. «Marko Arnautovic ist ein 26jähriger Profifußballer, Österreicher und, um es in seiner Muttersprache zu sagen, ein Ungustl, der ein bissl zu oft auszuckt», so Michael Neudecker in der Süddeutschen. Falsch. Der Ungustl ist Michael Neudecker, und Markos Muttersprache ist nicht das Wienerische Deutsch, sondern serbisch. Das Gute ist, dass ich jedes Mal schon im Fallen sterbe. Den Aufprall spür ich nie. Und wieder die Grüblerin: Literatur ohne sieben Zwetschken. Männer fahren über Jungs und Mädchen drüber (unerheblich modifizierter Werbespruch von Mercedes Benz). Mutterficker sind auch nur Vatermörder. Wo bist du aufgewachsen? In meinem Zimmer. Illich zur Automobilisierung. Verzweifelt wandten sich die männlichen Aufständischen an denjenigen, der am besten die hohen Werte des Macho-Zapatismus vereint. Das heißt, an mich (Subcomandante Galeano). Wenn man die RAF mal braucht, gibt es sie nicht. Heute wollen sie Decken, was werden sie morgen verlangen, unsere Frauen? (Jelinek, Die Schutzbefohlenen). Aus Sicherheitsgründen gibt es keine Erlaubnis, den Berg Ararat zu besteigen. Bauern im Moskauer Theaterpublikum: Ihr Lachen übertönte das Bühnengeschehen. Eine Dame, welche schon anfing, nicht mehr jung zu sein. Gefährliche Deutsche: sie ziehen plötzlich ein Gedicht aus der Tasche. Kommunisten: Achselzucken und Widerwillen gegen Patriotismus, Ruhm und Krieg (alles Heine). Vom Werk zur Aktion, von der Aktion zur Autoaktion, von der Autoaktion zur Autodestruktion. Normgerechtes Schreiben wird wieder zur Ausnahme. In Integrations- und Flüchtlingsdebatten: Immer zuerst darüber reden, was funktioniert, und bei den Vorwürfen präzise sein. George Soros macht die Präsidentin. Die wirklichen Bauern sind außerhalb des Bauernverbandes; die wirklichen Gottesmänner sind außerhalb der Kirche; die wirklichen Führer sind außerhalb der Politik. Kein Ende des Islam-und-abendländische-Werte-Streits im Aktionsradius. Du kommst ja doch zu mir / warum denn heute nicht? Anna Achmatowas Gedicht über den herbeigesehnten Tod. RAINERS ANRAINER. War net Wien / wann net durt / wo ka Gfrett is / ans wurdt. Und vielleicht sogoa fürs Tachinieren, mein Schwarzfahrersong. Über die Nuit debout-Bewegung in Frankreich. Sind die Kellergassen noch zu retten? Ich weiß nicht, was ich eröffne, aber hiermit eröffne ich es. Ein sehr moderner, sehr anarchistischer Text von Henry Miller, aus dem Jahre 1950. Schlagzeile in einem Regionalblatt: DIE TÄTER WAREN TESTAMENTSERBEN. Automatisch lese ich: TESTAMENT-SERBEN. Map of Illmitz 2050. Täter sind immer die Serben. Leitner: Wenn es das Christentum nicht gäbe, was wäre dann nicht in der Welt? Holl: Die Nächstenliebe. Fertig, aus. To him falls me nothing more in. Marcel Proust verteidigte Napoleons Ausspruch, den dieser nach der verlustreichen Schlacht von Bordolino geäußert haben soll: dass nämlich die Zahl der an diesem Tag für Frankreich Gefallenen in einer einzigen Liebesnacht in Paris durch Neu-Zeugung ausgeglichen werden könne. Proust nickt: In manchen Nächten ergreift die Hauptstadt Frankreichs ein Eifer der zärtlichen Kraft. Marens Flyer «Kunst und Revolution»: Ästhetik des 68er Jahres für die «Widereröffnung» des Perinet-Kellers. Salon der ausgestopften Hunde, vom Affenpinscher zum Inneren Schweinehund, vom unvermeidlichen Grubenhund bis zum Hundianer. Kurt Schwitters: Eine Kunst, welche sich auf eine bestimmte Klasse von Menschen bezieht, gibt es nicht. Weder eine proletarische noch eine bürgerliche Kunst.

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Das Volk hat die Landkarten, die es verdient. Das Augustin-Team kommuniziert in Reimen. Liste der Schmerzarten: pulsierend, klopfend, hämmernd, pochend, dumpf, schneidend, wühlend, beklemmend, quälend, würgend ... sind wir nicht ein Volk im Schmerz? Der zivilisatorische Reichtum unserer Sprache zeigt sich in den Möglichkeiten der Differenzierung des Schmerzes. Stalin raffiniert: Er bietet seinen Rücktritt an; diese Geste finden die Genossen rührend. Sie flehen ihn an, zu bleiben. Bree Newsome, die afroamerikanische Aktivistin. Bester Schweizer Witz: Ein Kind fängt nicht zu sprechen an. Es schweigt und schweigt und schweigt. Die Jahre vergehen. Doch eines Tages schiebt es beim Essen den Teller weg und sagt: Das issi nid. Die Mutter betropitzt: Warum hast du bisher nichts gesagt? Der Kleine: Bis itz isch rächt gsi! Zu spät, Genosse Küng, Eine «freie, unvoreingenommene und ergebnisoffene» Diskussion über die Unfehlbarkeit des Papstes, wie Sie sie fordern, interessiert inzwischen niemanden mehr. Mithilfe des Balkons nimmt der Mensch am Draußen teil, ohne ins Draußen gehen zu müssen. Wie das Draußen ist, ist sekundär: Der Balkon ist wichtiger als das, wohin der Balkon zeigt. Der Balkon ist im allgemeinen wichtiger als die Badewanne. Die Südddeutsche verbreitet den schlechten Ruf des Arnautovic. «Alles was ich unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgerechnet habe, habe ich an einem noch blauen Fahrzeug gegenüber dem Haus der Älteren Bürgerin Ecke Morusstraße / Werbellinstraße montiert und die Kette vor Verrostungen geweißelt» (ein starkes Stück der Grüblerin). Ich bin nicht im Iran aufgewachsen, sondern in meinem Zimmer. Illich zur Automobilisierung, schon 1979. Von den 10 bis 12 Millionen Afrikanern, die zwischen dem 16. Und 19. Jahrhundert nach Amerika verschleppt wurden, landeten fast 40 Prozent in Brasilien. Überraschend: Die Sklaverei hatte in den Vereinigten Staaten einen viel geringeren Umfang als in Südamerika und der Karibik. Frauenfußball in der zapatistischen Guerilla, aus der männlichen Sicht des Subcommandante. «Wissen Sie, ich interessiere mich in der Literatur für die Leidenschaft und die Liebe, auch der Intellektuellen, aber nicht für ihre Gedanken. Gedanken sind nicht Gegenstand der Literatur. Für Gedanken haben wir die Wissenschaft», meint Reich-Ranitzky. Heute wollen Sie Decken, Wasser und Essen, was werden Sie morgen verlangen? Unsere Frauen? (aus Jelinek, Die Schutzbefohlenen). Die Behörden fühlten sich durch den leeren Kofferraum im Auto des verhafteten PKK-Mitglieds provoziert. «Dort gibt es frischen Fleischsalat und keine Direktion» (Brecht, Aufstieg und Fall Mahagonnis). Erstens kommt das Fressen / zweitens kommt die Liebe dran / drittens das Boxen nicht vergessen / viertens saufen so viel man kann / vor allem aber achtet scharf / dass man hier alles dürfen darf (Heine). Die 3 Radikalisierungsschritte der Avantgarde-Malerei: 1. Vom Werk zur Aktion, 2. von der Aktion zur Autoaktion, 3. von der Autoaktion zur Autodestruktion. Wolfdietrich Schnurre ist schockiert: Etwas Furchtbares ist geschehen. Man hat (gerichtlich auch noch!) gegen meine Verurteilung Einspruch erhoben. Sie wollen, man soll mich entlassen. Jetzt! Bin verzweifelt. Es gibt keinen Ausweg. Ich werde entlassen. Wer mag mir jetzt das wieder eingebrockt haben? Antonio Fians Dramolett «Identitär». Tipp zur Flüchtlingsdebatte: Immer zuerst darüber reden, was trotz Widrigkeiten funktioniert in der Beziehung zw. Einheimischen und Flüchtlingen. Von Kunst kann man nicht leben. Ohne Kunst kann man nicht leben. Henry Miller: Die wirklichen Landarbeiter sind außerhalb des Bauernverbands, die wirklichen Heiligen sind außerhalb der Kirche und die wirklichen Führer sind außerhalb der Politik. Hans Rauscher empfiehlt im Standard die Einführung der Null-Toleranz-Strategie in Wien gegen Störer der öffentlichen Ordnung. Antipodisch: mein Leben und das der Anna Achmatowa. Achmatowa und ihre Generation haben mehr erlebt als sie tragen konnten: 3 Revolutionen, 2 Weltkriege, den Bürgerkrieg, die Vernichtung des russischen Bauerntums, mehrere Wellen des Großen Terrors, die Erschießung von Annas ersten Mann, die Trennung von den in den Westen geflüchteten Freunden, den Verlust zahlreicher hingerichteter Genossen. Lügen die Meinungsforscher, oder irren sie sich bloß. War net Wien, wann net durt, wo ka Gfrett is, ans wurdt. Nett, aber eigentlich nicht zitierbar, sagt Wizlsperger, weil der Autor ein Arschloch ist. Schwarzfahrerlied nach der Melodie der Glasscherbentanz: Gratis foan is aa / fia unsa Klima gut / weu jeda gean sei Auto / daun entsorgen tut / Dann san de Strossn da / fürs Demonstriern / und vielleicht sogoa / fürs Tachiniern // In derr U.Bahn / zur Rapid foan / in da Tramway / übern Ring foan /do kaunsta d´ Wohnung spoan /es is schee woam beim Foan / Lieber Kontrolleur / nimms net so schwer. Thema Kellergassen als potemkinsche Dörfer ohne Rauchfang, entfremdet vom Weinbau.

EUROPA SOLID ARISCH II VERSION 1

Ich erzähle keine Witze, sagte ich, und erzählte einen Witz. Kommt gleich. Wir können uns die Reichen nicht leisten. Zentrale Losung der «Aufbruch»-Konferenz, in der 1000 Menschen aus allen Bundesländern einmal mehr den Versuch unternehmen, eine politische Bewegung (Wahlbewegung? Das bleibt offen) links von SPÖ und Grünen zu etablieren. Ich ärgere mich über die Ignoranz und das Desinteresse der Medien. 14. Parteitag der KPTsche, 22. 8. 1968. Eine Wortmeldung: «Genossinnen und Genossen, entschuldigt, dass ich unterbreche, aber hier sind zwei wichtige Mitteilungen. Die eine betrifft den Kreis Süd-Mähren, die andere sowjetische Militärfahrzeuge. Was Süd-Mähren betrifft, gebe ich hier eine Änderung bekannt. Statt Morawek Antonin … den streicht bitte aus – schreibt Mrazek Kosel hin. Ferner, vor dem Tor, das ist jetzt bestätigt, stehen gepanzerte sowjetische Mannschaftswagen. Wir sollten unsere Arbeit wirklich etwas beschleunigen.» Der Parteitag fand unter Bedingungen der Illegalisierung in einer Fabrik statt. Der Witz, den ich erzählte, ohne jemals Witze zu erzählen, beginnt so: Am achten Tag schuf Gott die Dialekte der deutschen Völker. Als die Wiener dran kamen, waren dem Herrgott die Dialekte ausgegangen. Aber er hatte eine feine Lösung parat. Beim Fußball kompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft (Sartre). Bitte wie lange sollen wir warten, bis die Schastrommel-Gesamtausgabe als Buch erscheint? 2018 wäre ein gutes Jahr dafür. Günter Brus wird 80. Die Kirche den Künstlern, eine Initiative des Grazer Pfarrers Hermann Glettler. Die Hauptbedenken kommen nicht aus der Pfarrgemeinde, sondern aus dem Denkmalschutzamt. Dokumentation aller Installationen. Putins Antwort auf die selbstfahrenden Google-Cars: die automatischen Alleebäume. Nähert sich ein automatisches Auto, springt ihm ein Baum vor den Bug. Durch Selbst-Updating lernt das Roboterauto die neue Gefahr kennen, aber wenn er sie in sein Sicherheitssystem integriert hat, sind längst andere russische Destruktivkräfte im Einsatz. Obwohl ich grundsätzlich keine Witze erzähle, muss ich folgenden erzählen: Kohn geht ins Café und ertappt seinen Freund Cohn bei der Lektüre des «Stürmers». Warum er nicht den «Vorwärts» lese. Ist doch nicht schwer zu begreifen. Im Vorwärts werden wir Juden immer nur verfolgt. Aber im Stürmer steht, wir kontrollieren die Banken und beherrschen die Welt. Die Troasn entspringt in den Hysterischen Alpen. Ihrem schnellen Lauf werfen sich viele Wehre domestizierend entgegen. Angesichts der Kriminalstatistik und der Mordrate erscheint der Ruf nach mehr Law-and-Order-Politik völlig absurd. Mutmaßungen über den Poetischen Act. Eine Pose in ihrer edelsten Form. Eine Pose, frei von jeder Eitelkeit. Eine Pose voll heiterer Demut. Eine Pose, die vollkommen wertlos ist. Friedrich Achleitner soll uns das näher erklären. Wie verändert sich eine Gemeinschaft / Gesellschaft, wenn alle wissen, dass die Welt in einer Woche untergeht. Und was passiert, wenn alle begriffen haben, dass es die Regel und nicht die Ausnahme ist, dass Böses aus normalem Denken erwächst und von normalen Menschen begangen wird. Ein Hirn haben heißt Anarchist sein. Koloman Wallisch, großer Volksheld von Bruck an der Mur. Als die Arbeiterklasse 1933 zu allem bereit war, unterstützte Wallisch mit der bewährten Methode des Verbalradikalismus die Bemühungen der SP, die Werktätigen ruhig zu halten. Ein Jahr später erreichte seine revolutionäre Praxis endlich eine Übereinstimmung mit seiner Rhetorik, doch die Mehrheit der Klasse war mittlerweile in Resignation verfallen. Wallisch ist die tragischte Figur der österreichischen Arbeiterbewegung. Millionen Kindern ist das Daumenlutschen ausgetrieben worden. Das Daumenlutschen machte sie widerstandskräftig. Wer schützt uns vor der Eigendynamik der Brandschutzindustrie und –bürokratie. Im Straßenverkehr kommen jährlich zehnmal so viel Menschen zu Tode als bei Bränden. Analog zur Brandschutz-Rigorosität müsste man ein obligatorisches Tempo 20 im Autoverkehr erzwingen. In einer gespaltenen Gesellschaft, in der zufällig die Alpen omnipräsent sind, ist es nicht überraschend zu sehen, dass die Politisierung der Berge von rechts wie von links betrieben wird. Die rechten Berge sind die Berge Harrers und Trenklers, die linken sind die der Partisanen und haben schönere Nahmen: Hochobir, Koschuta, Topitza und Uschowa. Nicht nur, dass ich keine Bestseller lese; ich lese auch keine Bücher, von denen ich nicht wissen konnte, dass sie später auf Bestsellerlisten aufscheinen würden. Am Nachmittag nimmt die Bevölkerung etwas zu, aber es bleibt trocken. Pforzheimer! Pflanzt Pfifferlinge und pfeift auph das Phruttosozialphrodukt. Meine Wenigkeit ist ein Navigationssystem, das dem Strudel der windischen Nebenstraßen Südostkärntens nicht gewachsen ist. Der Kreisverkehr in diesem Bauernland hat die Funktion, die motorisierten Affen so gerecht wie möglich in alle Windrichtungen zu zerstreuen.

EUROPA SOLID ARISCH II VERSION 2

Claudia K., KPÖ-Funktionärin aus dem 5. Bezirk, testete KP-Mitgliedschaftsanwärter mit der Frage: Glaubst du an die Erkennbarkeit der Welt? Die beste Aussicht, nicht aufgenommen zu werden hatten jene, die antworteten: Die Welt ist nicht erkennbar. Wesentlich an ihr sind ihre Rätsel. Ich weiß nicht, was ich hier eröffne, aber hiermit ist es eröffnet. Der Anarchist Henry Miller: Wenn wir jemals eine neue Erde bekommen sollten, darf Geld auf ihr keine Rolle mehr spielen. Es muss vergessen und gänzlich wertlos sein. Egon Christian Leitner zu Holls Behauptung, zumindest die Nächstenliebe sei ein Eintrag des Christentums in den Humanismus: Ich bezweifle den Zusammenhang Christentum-Nächstenliebe. Ich halte das für eine christliche Ideologie. Aus meinem Futurismus entsteht wenigstens ein Plan der Seewinkel-Gemeinde Illmitz aus dem Jahre 2050. Marcel Proust verteidigte Napoleons These, die dieser nach der verlustreichen Schlacht von Bordolino geäußert haben soll – dass nämlich die Zahl der an diesem Tag für Frankreich Gefallenen in einer einzigen Liebensnacht in Paris durch Neu-Zeugung ausgeglichen werden könnte. Proust: In manchen Nächten ergreift die Hauptstadt Frankreichs ein Eifer der zärtlichen Kraft. Eine Credit Suisse Filiale irgendwo in der Schweiz. Ein Kunde hinter vorgehaltener Hand, ängstlich um sich blickend: Guten Tag, ich komme aus Österreich und möchte 5 Millionen Euro anlegen. Der Mann am Schalter: Sie müssen nicht flüstern. Armut ist keine Schande. Proletarische Kunst? Bürgerliche Kunst? Eine Kunst, welche sich auf eine bestimmte Klasse von Menschen bezieht, gibt es nicht, und wenn sie bestehen würde, wäre sie für das Leben gar nicht wichtig, antwortet Kurt Schwitters. Hat mich 40 Jahre lang nicht interessiert, liest sich heute wie ein Dokument leidenschaftlichen Widerstands: der Bericht vom 14. Parteitag der KP der Tschechoslowakei, der im August 1968 in der Illegalität stattfand. Die Bedeutung dieser Anstrengung nicht anzuerkennen, war die größte Denkblockade meines Lebens. Ausschnitt aus der Debatte: «Genossinnen und Genossen, entschuldigt, dass ich unterbreche, aber hier sind zwei wichtige Meldungen: Die eine betrifft den Kreis Südmähren, die andere gewisse Militärfahrzeuge. Was Südmähren betrifft, liegt hier ein Änderungsvorschlag vor. Statt Morawek Antonin – den streicht bitte aus – schreibt Mrazek Karel. Ferner, vor dem Tor, das ist nun bestätigt, stehen gepanzerte sowjetische Mannschaftswagen. Wir sollten vielleicht unsere Arbeit etwas beschleunigen.» Der Witz über die deutschen Dialekte, die Gott am achten Tag schuf, und wie er dabei das Problem löste, dass er für die Wiener Delegation keinen Dialekt mehr im Kasten hatte. Weder die Schastrommel noch die von Günter Brus beschriebenen Schulhefte sind als Buch verlegt worden, was für eine Unvernunft. Die Künstlerkirche des Grazer Pfarrers Hermann Glettler. Die russische Antwort auf das selbstfahrende Google-Car: Roboter-Alleebäume, die selbstfahrende Autos erkennen und sich auf diese stürzen können. Pauli Skrepek: Der Perinetkeller ist für meine Kasperlmaschin ums Oaschleckn zu klein. Ich widerspreche: Deine Kasperlmaschin ist für den Perinetkeller ums Oaschleckn zu groß. Das Manifest des poetischen Actes. Wie verhält sich die Gesellschaft, eine Gemeinschaft, ein Individium, eine Familie, wenn sie erfahren, dass die Welt in einer Woche untergeht. Und wie, wenn bekannt wird, dass sie in 30 Jahren untergeht. Fritz Brupbacher: Ein Hirn haben heißt Anarchist sein. Im März 1933 war die gesamte Arbeiterklasse in Österreich bereit, gegen die Faschisierung des Landes loszuschlagen. Der große Lebensfehler des Koloman Wallisch war, sie im Sinne der zurückweichenden Politik der Parteiführung im Zaun zu halten. Ein Jahr später war er zur konsequenten Klassenpolitik bereit. Aber da war es zu spät. Der Großteil der Arbeiterklasse war in Resignation verfallen. Vom Daumenlutschen. Eltern versuchen, den Kleinkindern diese «Unart» auszutreiben. Unbewusst vollstrecken sie damit eine Strategie der Pharmaindustrie. Denn Kinder, die Daumen lutschen, entwickeln später seltener Allergien. Brandschutzbestimmungen sind die Rache der staatlichen Bürokratien für die Selbstorganisation innovativer Menschen und Menschengruppen. Ideal auch zum Abwickeln subkultureller Zentren. Die Politisierung der Berge von links (Kärntner Partisanen) und rechts (Trenkler, Harrer) lässt sich in einer polarisierten Gesellschaft nicht verhindern. Meine Berge haben die wohlklingenderen Namen: Koschuta statt Eiger Nordwand. Die autoritäre Interpretation der Legende des Bauern, der seine Söhne an sein Sterbebett bittet. Der Aufstand vom Juli 1927 in Wien gehört weder den Sozialdemokraten noch den Kommunisten. Am Nachmittag nimmt die Bevölkerung etwas zu, aber es bleibt trocken. Entwicklungshilfe ja oder nein, ein Briefwechsel mit Christine Schubert. Ansichtsachbeschädigungen, Verunstaltungsserien.

SEEUFER-SAEUFER I

Kein Säufer kennt Soyfer / und kein Boot fährt hier / dauni vom Laund. Habe Sehnsucht nach meinen noch nicht geschriebenen Büchern, sagte die Mayröckerin. Außerdem gesteht sie eine ungewöhnliche Vorliebe für das Überfrankieren von Briefen. Ihren Briefen. Sie verspreche sich dadurch eine raschere und sorgfältigere Beförderung des Briefs. Die meisten Revolutionen der Welt führten die aus, die keine Erfahrungen damit hatten. Die elendigste Postkarte der Welt; das Foto zeigt eine Horde von Straßenmenschen in Neapel, sitzend oder liegend, auf einem breiten Trottoir. Dem Tode geweihte männliche Fremdarbeiter(kinder). Kleiner Sprachkurs zur Kreppa in Island. Warum ist die schwäbische Eisenbahn in die Geschichte der Folklore eingegangen, während die uns bekannten Regionalbahnen von der Bevölkerung so bekämpft wurden, dass eine Folklorisierung nicht machbar war; man erkennt das heute daran, wie groß die Distanz zwischen dem Ortszentrum und den entsprechenden Stationen oder Bahnhöfen ist. Je größer die Distanz, desto gesünder der Ort, war die Devise. Fürchteten sich die Schwaben vor gar nichts? Niemand will was über Zwerge und Chinesen lesen. Diesen Rat bekam der US-Schriftsteller Ross Thomas von seinem Verleger. Ross bedankte sich für den nützlichen Hinweis, ging nach Hause und stürzte sich in seine nächsten beiden Bücher. Sie hatten die Titel «Chinaman´s Chance» und «Der achte Zwerg». So out kann Kassandra sein. So schön kann Fußballberichterstattung sein: Auch Canhaloglu ist ja, wie eigentlich alle Meister der ruhenden Bälle, ist ein Wiedergänger des Sisyphos, ein Mann, der sich selbst zu sterilen Übungen in Freistoßmathematik verdammt hat. Peter C. Gotzsche, Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität, 2014. Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert. Warmer Hans, Leberkaspeppi u. a.: Linz bewahrt eine Würtstelstandskultur, die in anderen Städten durch die Kebab-Kultur abgelöst worden ist. Das Lentos-Kunstmuseum beherbergt das VALIE EXPORT-Archiv. Ein VALIE EXPORT Center entsteht, eine Forschungsstätte für Performance-Kunst. In der Gesamtbetrachtung gelange ich als erkennende Behörde zu dem Schluss, dass Sie keineswegs einen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht haben, dem schlüssig die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft entnommen werden können und gehe ich als Behörde davon aus, dass es sich bei Ihrem Vorbringen um ein bloßes Konstrukt handelt und Sie nicht Ihre wahren Beweggründe für das Verlassen Ihres Heimatlandes dargelegt haben, womit festzustellen war, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig ist. Ohne leidenschaftliche Persönlichkeiten, die ihre Nachbarn oder die OrtsbewohnerInnen mitreißen können, auch weil sie sich über die Zumutung hinwegsetzen, sich einem der traditionellen politischen Lager zugehörig fühlen zu müssen, geht in der Regel gar nichts. Dancehall / Death Metal / Deutschrock / Dirty South / Disco und hundert andere Kategorien der Musikindustrie. Die niederländische Band bots und ihre Hits «Was wollen wir trinken» und «Das weiche Wasser bricht den Stein» wieder ausgraben und nutzbar machen! In der Schweizer 20.000-Einwohnerstadt Renens hat die linksradikale POP – Parti ouvrier et populaire – die Mehrheit im Gemeinderat und stellt die Bürgermeisterin. Die Seilschaften der britischen Elite festigte sich durch den gemeinsamen Exzess. Der Premier David Cameron war zum Beispiel als Student in Oxford Mitglied des berüchtigten Bullingdon Clubs, dessen Ruf sich aus dem Verwüsten von Restaurants oder dem Verbrennen von Banknoten vor Obdachlosen speiste. Projekt Reinprechtsdorfer Hoftheater. Beim Liegen und Schreiben setzt der Stift aus. Er kann nicht nach oben schreiben. Ich lese über so viel Schönes hinweg, nur auf der Jagd nach jenen Sätzen, Worten, Absätzen, die ich anwenden könnte. Was für 1 Jämmerlichkeit (F. Mayröcker). Das Freiheitsverständnis des männlichen Blicks orientiert sich an einer totalen Unabhängigkeit: von nichts und niemandem abhängig sein. Das feministische Freiheitskonzept geht demgegenüber davon aus, dass das Bedürfnis nach Freiheit sehr eng verbunden ist mit dem Wunsch nach Anerkennung. Menschen wollen beides: ihr eigenes Leben leben und darin anerkannt sein von den anderen. Ein Gemeinwesen ist nicht nur dann eigenständig, wenn niemand sich in andere Gegenden begeben muss, um seinen täglichen Aktivitäten nachzugehen, sondern auch, wenn niemand sich dorthin begeben will (Leopold Kohr). Wien – Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle, 1980, vom US-Historiker Carl E. Schorske: Ein New Yorker erklärt der Welt die Wiener Moderne. Otto Lechner übersetzt spontan meinen Slogan «Wir wollen alles – aber sofort» ins Wienerische; I WÜ NIX – OWA NED GLEI.

SEEUFER-SAEUFER II

Veranstaltung zu Doris Kittlers Filmdialog zwischen Vincenz Wizlsperger und Robert Sommer: 2 Anachronisten im Wortwechsel – mit Bürgerbeteiligung. Wir brauchten zwei Stunden, um uns auf diesen Titel zu einigen. Meine Missachtung des Narrativs eines literarischen Textes darf nicht dogmatisch werden. Die Ornung des 1 Euro-Ladens: 1. Dinge, die gelb sind. 2. Dinge, die sich sofort verzehren lassen. 3. Dinge, die an andere Dinge erinnern. 4. Dinge, die sich gut anfühlen, wenn man darüber streichelt. 5. Dinge, die sehr stark verpackt sind... usw. usw. Rice you together, Bobby. Für uns ist Gott Luft; wir atmen ihn ein. Alles, was sie uns antun, wird irgendwann zu Kunst, sagt Ai Weiwei. Er fügt nicht hinzu, dass es bei ihm nicht nur Kunst wird, sondern auch Macht, Geld und Ansehen. Der komfortable Gefängnisaufenthalt in China stärkte seine höchst verwertbare Märtyrerrolle. Warum stinken Fürze? Damit auch Taube auf ihre Rechnung kommen. Ob sie mich wegen meines jüdischen oder meines serbischen Blutes umbringen, ist mir egal (Illich). In den 40er Jahren machte der Witz die Runde, dass eine typisch puertorikanische Familie aus Vater, Mutter, Kindern, Großeltern und einem feldforschenden Sozialwissenschaftler besteht. Marx an Engels, 1864: Da Lasalle tot ist und nicht mehr schaden kann, muss man natürlich – soviel wie möglich, d.h. ohne sich selbst zu kompromittieren – ihn gegen die kleinbürgerliche Canaillen verteidigen. Hüffdsnix schoddsnix. Die Leere der österreichischen Kirchen ist ein Ausdruck der breiten Zustimmung der ÖsterreicherInnen zum Papst, der den barocken Prunk zum ersten Unort der Gläubigen erklärt hat, aus dem man am besten sofort heraustreten sollte. Wenn Obama in Nordkorea im Staatsfernsehen als «ekelhafter Affe» herabgemacht wird, freuen sich manche Linken klammheimlich. Sie sehen den ungeheuren Rassismus nicht, der in dieser Überheblichkeit steckt. Kommt Natodraht, kommt Attentat. Umweltsünder Flugverkehr: hoch subventioniert, doch nirgends ein Protest dagegen; denn man MUSS heutzutage in CRAZY REYKJAVIK gewesen sein. Die Wohnung verwandelt sich zwei Tage lang in eine Lebkuchenwerkstatt. Erste Annäherung an Sir Leopold Kohr. Titel-Brainstorming für das Dieter Schrage-Buch: Den Staat ruft man nicht zur Hilfe; Wer trägt nun die brennende Fahne; Der Anarchist der höheren Etagen; Ich habe den Staat gewarnt; Der skrupulöse Revolutionär; Die Partei ist immer nur Minimum; Prominenz & Delinquenz; Poesie und Disziplin. 1 Achterl Uhudler – 13 Schluck Freiheit. Josef Ackermann, Ex-Chef der Deutschen Bank, wird gefragt, ob denn sein Jahresgehalt von 13,2 Millionen Euro gerechtfertigt sei. Das muss so sein, antwortet er, andernfalls würde er jeden Respekt verlieren und man würde sagen: Der hat keinen Marktwert. Robert Sommer als «Wiener der Woche» in der Kronenzeitung. Leserinnenbrief: Wenn nun die Zeitung wieder zum Hausiergegenstand wird, haben in meinen Augen viele vieles verloren. Wie starr der Blick alter Menschen ist – als ob sie zuviel gesehen hätten. Staberl-Kolumne Juni 1978: TV – der bisher größte Skandal. Am Dienstag gab es in dem berüchtigten Club 2 des Fernsehens die bisher längste «Diskussion» in dieser von einer linksradikalen Clique jetzt offenbar total unterwanderten Sendereihe. Bis spät in die Nacht, an die dreieinhalb Stunden lang, durften die zwei aus Deutschland herbeigeholten Anarchisten Daniel Cohn-Bendit und Rudi Dutschke ihre Politshow abziehen. Es wurde allen Ernstes darüber diskutiert, ob der Mord an Schleyer gerechtfertigt gewesen sei oder nicht. Friedrich Adler während des Ersten Weltkriegs: Allen Regierungen die Niederlage und allen Völkern die Unbesiegbarkeit! Treppelweg. Ein Freund des unendlichen Wartens auf den zappelnden Fang. Riki fragt frech: Na, wird´s z’mittag schon an Fisch gebn oda miassma uns wida a Schnitzl kaufn? Der Angler: Kauft´s eich liaba a Schnitzl, des is SICHRIGA. Norbert Elias hat sich als «Menschenwissenschaftler», Max Weber als «Wirklichkeitswissenschaftler» verstanden. Die Geschichte der Uhudla-Augustin-Transformation und der Konflikt mit Max. Vom Hundertsten ins Tausendste kommen als Gesprächskultur. Transethnische Identität: die Aufhebung der kroatischen Minderheit des Burgenlands in der dreifachen Hegelsschen Bedeutung des Worts. Wenn Männer ihr Haus verlassen, liegt Krieg in der Luft. Unsere Mutter liebte Lebensweisheiten und Kalendersprüche. Als ich im Jugendalter wieder mal Probleme mit den Kieberern hatte, brachte sie mir einen dieser Sprüche eindringlich nahe: Junge, du darfst alles machen, du darfst dich nur nicht erwischen lassen. «Kinderlärm» gehört zum Leben und ist demnach kein Lärm, der nach dem Immissionsschutzgesetz beurteilt werden könnte. Das Beisl zwischen den Puffs. Die Windenergie ist nur erträglich, wenn sie Common ist? Gilt auch für Wasserkraft, Seeufer, Kellergassen, Truppenübungsplätze ...

ZITTERND ZITIERT I

Die Geschichte des Guerilla Gardening beginnt in Berkeley, Kalifornien. Studies verhinderten die Bebauung eines brachliegenden Grundstücks und errichteten den «Power to the People Park». Reagan, damals Gouverneur von Kalifornien, ließ das Gelände räumen und beschimpfte die AktivistInnen als Kommunisten und Homosexuelle. Die Piefkes, einer Umfrage zufolge, hätten lieber den Dalai Lama zum Papst als den deutschen Benedikt. Ansichtsachbeschädigung. Verunstaltungsserie. Die nostalgischen Burgenländer-Picknicks der Amerika-Auswanderer nützten nichts: Die BurgenländerInnen waren in Amerika rasch integriert. Schon der Prozess der Vorbereitung und Organisierung der Picknicks machte Unterpullendorfer zu US-Bürgern. Im Burgenland hatten sie vor ihrer Flucht aus der Wirtschaftsnot nie Picknicks abgehalten, sie trafen einander lieber zum Kirito. Ein Straßentunnel um 250 Millionen Euro gilt den Entscheidungsträgern als normal und preiswert. 10 Millionen Euro für neue Busse oder für die Ausbesserung der Schienen gelten als unbezahlbar. Vorschlag einer Stadtflanerie, um zu zeigen, wie die exzessive Bevorzugung des Autoverkehrs das Gesicht der Stadt massiv verändert hat. Robert Sommer wird exekutiert. Für eine Literatur, die auf die Silbe «...ung» verzichtet: Ende der Forderungen, Herabsetzungen, Ausfertigungen, Steigerungen, Nachzahlungen, Hinterlegungen, Teilzahlungen, Pfändungen, Bewilligungen, Sonderzahlungen, Verpflichtungen etc. Pickmuseum: Hermann Leopoldi. Obama mag nicht: Made in China-Dinge, die in den USA verkauft werden. Obama mag: US-Dinge, die in China verkauft werden. Die Kuh scheißt ja auch nicht ins Gras, damit der Skarabäus-Käfer seine Bampaledsch über den Winter bringt. Die meisten Arten sind ausgestorben. Soo intelligent war der Schöpfer anscheinend nicht. Der Duft der Autos. Neuwagen riechen bald nach Zitrusfrüchten. Freiburger Wissenschaftler haben gemeinsam mit einem Automobilhersteller einen Kunststoff aus Orangenschalen entwickelt. Unglaublich, es gibt nichts, worüber es nicht Bücher gibt. Glenn W. Most schrieb eine Biografie des ungläubigen Thomas. Lew Kopelew und Alexander Scholschenizyn waren im selben Gulag. Es war Saraschka, das Gulag für Intellektuelle. Sie waren sehr befreundet. Nach dem Gulag, im Exil, gingen ihre Wege auf sehr russische Art auseinander: Kopelew wurde Westler, Solschenyzin Ostler. Kola der Schreckliche. Die zwanzig Millionen und das Gelächter. Ein Buch des englischen Schriftstellers Martin Amis über die Geschichte der Communist Party of England. Lassen wir doch die Leute in dieser Stadt reden, wie sie wollen, antwortet der Augustin einem Leser, dem die Germanismen vom Schlage «Moment mal» missbehagen. Auch in Österreich rührt sich die Zivilgesellschaft, wie dieser Leserbrief an den Augustin beweist: Sehr geehrte Damen und Herren! In der Straßenbahnstation Schottentor ist, wie an vielen Hinweisschildern am Bahnsteig und bei den Eingängen ersichtlich ist, Rauchverbot. Heute Vormittag hat ein Augustinverkäufer in dieser Station geraucht. Alexander Herzen über die Freiräume der Moskauer Salons Mitte 19. Jahrhundert: Am Montag versammelten wir uns bei Tschaadajew, am Freitag bei Swerbejew und am Sonntag bei der Jelagina. Überlebender ukrainischer Zwangsarbeiter über seine Situation im Pinzgau, 1944: Das war die schönste Zeit meines Lebens. Heck und Bug brachen auseinander und starben getrennt – das ist die wahre Tragödie der Titanic. Die Revolution wird aus dem Süden kommen, gehen wir ihr entgegen. Engels über die irokesische Gentilgesellschaft; ohne Soldaten, Gendarmen und Polizisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekten, ohne Richter, ohne Gefängnisse ... geht alles seinen guten Gang. Wenn die Reichen sich um die Angelegenheiten der Armen kümmern, so ist das Wohltätigkeit. Wenn sich aber die Armen um die Angelegenheiten der Reichen kümmern, dann ist das Anarchie (Herbert Müller-Gutenbrunn). Liste der Literaturhäppchen für den ehemaligen mechanischen Zigarettenautomaten (das gescheitertse aller meiner gescheiterten Projekte; mildernder Umstand: Tinsch teilt meine Schuld). Claus Pandi widmet eine Seite der Krone der Anti-Raiffeisen-Kolumne des Augustin («Noch ignoriert Raiffeisen das kleine Blatt»), was dem Falter-Thurnher die Gelegenheit gibt, dem Augustin eines auszuwischen: «Neue Partnerschaft zwischen Sandlerblatt und Krone». Offener Brief der 9000 MedizinerInnen an die Autoren des amerikanischen Diagnose-Handbuchs der Psychiatrie. Karl Schwarzenberg über echte Wiener und echte Prager: Ich kann mich an ein Treffen vor einiger Zeit erinnern, als ein gewisser Kanzler Vranitzky, ein Finanzminister Lacina und der Generalsekretär des Außenamtes namens Klestil die Vertreter Prags trafen. Der Finanzminister hieß Klaus, der Außenminister Dienstbier und der damalige Kanzler Schwarzenberg.

ZITTERND ZITIERT II

Obama entzaubert. Wenn jemals ein Prsäsident das geflügelte Wort von Mario Cuoma bestätigt hat, dass Kandidaten mit Lyrik Wahlkampf machen, aber in Prosa regieren, dann war das Barack Obama. Die Demokraten hatten immer große Angst, als militärische Weichlinge und als wirtschaftsfeindlich zu gelten. Während der Auseinandersetzung um das Gesetz zur Bankenregulierung vertrat die Obama-Regierung konsequent all die Positionen, für die sich auch die Banken einsetzten. Auferstehung und Sonntag sind im Russischen Homonyme. Ist der Augustin-Text Teil eines linksradikalen Diskurses, oder berichtet der Augustin – aus der Perspektive eines wohlwollenden Beobachters – über diese Diskurse? Mögliche Differenz Robert-Lisa (die neue Redakteurin). Slowenien ist ein gebenedeites Land (es hat Alpen und Alpenseen, veneziansche Mittelmeerstädte, Meer, Weinberge, Puszta und Partisanengeschichte), doch es hat viele ungebenedeite Menschen. Detroit – 1955 zwei Millionen Einwohner, heuet 800.000 – soll die Stadt mit der größten urbanen Landwirtschaft der Welt werden: ein Projekt der Firma Hantz Farms. Der klassische Riese ist acht bis zehn Meter hoch. Buchtipp: Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie. Im nächsten Leben würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen und mit mehr Kindern zu spielen (Borges). Bruck an der Leitha. Des is aa so a Leckminoasch-Baunhof. Beschreibung einer Skulptur: Eva uriniert sitzend 4 Urinkugeln, die zwischen ihre Beine rollen. Ich muss einem alten journalistischen Fuchs wie dir nicht lang und breit erläutern, dass Änderungen von namentlich gezeichneten Kolumnen ohne Absprache einen massiven Vertrauensbruch darstellen, Über die Konsequenzen, die ich daraus ziehe, werde ich dich informieren, wen ich dann aus der Zeitung erfahren habe, was du konkret verändert hast. Kollegiale Grüße – Vorsicht! Die überzüchteten Hunde dieser Region sind höchstens gepökelt genießbar, sonst tödlich. Mit dem Sponsern des Augustin werde ich wohl aufhören müssen. Denn Sie rufen in der Nummer 316 unter dem Titel FREIE FAHRT offenbar allen Ernstes zum organisierten und systematischen Schwarzfahren auf öffentlichen Verkehrsmitteln auf. Was sagt uns das österreichische Gesetz dazu? In diesem Haus herrschte absolutes Filzpatschenverbot. Der Dalai Lama wird auch manchen linken Leuten heute als humorvoller kluger Mensch erscheinen. Warum checkt er dann nicht, dass er von westlichen Regierungen, die ihn hofieren und wie einen Staatsbesucher empfangen, missbraucht wird? We are building the kind of Vienna we want to live in. Lichtenberg ist entzückt über Dänemark, wo noch unter König Christian die Strafbestimmungen gemildert und die Gefängnisse humanisiert werden, aus der Erkenntnis heraus, «dass mehr oder weniger grausame Strafe in keinem Staate größeren Gehorsam gegen Gesetze zur Folge hatte. Und das im 18. Jahrhundert! Ein Leser beschwert sich über die gegenderte Sprache: «Schade um die/den Augusti_nin! Es gab manchmal durchaus interessante Artikel_innen und Beiträg_innen! Ich meldete mich telefonisch und prophezeite ihm: Wenn Sie in zehn Jahren Ihr Beschwerdemail wieder lesen, werden Sie sich schämen. Garantiert werden Sie sich dann daran gewöhnt haben. Thomas statt Jesus – bitte durchdenken. Die österreichische Tausendmeterregel. Ab der Höhe von ca. 1000 Metern über dem Meeresspiegel muss das Siezen dem Duzen und Geduztwerden weichen. Wenn man diese Vertikale auf die Fläche legt, wann beginnt das Duzen, ausgehend vom Zentrum Wiens. Ab Scheibbs? Ich finde übrigens die 1000-Meter-Regel aus vegetationswissenschaftlichen Gründen nicht ganz nachvollziehbar. Die 1000-Meter-Grenze verschwindet buchstäblich im Fichtenmeer: nördlich dieser «Grenzen» Fichten, südlich dieser Grenzen Fichten. Auf Höhe 1600 bis 1700 ändert sich wirklich was: plötzlich merkst du an den Latschen, dass der Landschaftstyp sich verändert hat. Das Staunen darüber bewirkt ein Köpfe-Zusammenstrecken, und daraus entsteht ein Vertrauen, das das SIE unaussprechbar erscheinen lässt. J. Edgar Hoover war von 1924 bis 1972 FBI-Chef. In all diesen Jahren – Jahre des Kalten Kriegs – waren seine Gegner immer die gleichen: Bürgerrechtler, Pazifisten, Anarchisten, Kommunisten. Letztere bekämpfte er auch noch, als sie politisch schon bedeutungslos geworden waren. 1972 entmachtete Nixon den FBI-Chef, weil das FBI keinen einzigen der 40 Weathermen-Anschläge aufklären konnte. Gefängniskritik: Gegen Menschen, die man nicht kennt, werden Strafen vollstreckt, deren Wirkung ein Rätsel ist. Mein Kommunismus: Kronstadt plus Berditschew. Ihr Kommunismus: Murmansk und Bukarest. Berditschew ist der jüdische Ort im sowjetischen Film «Die Kommissarin», wo die Kommissarin der Roten Armee zurückgelassen wird, weil sie schwanger ist.

SCHWIDDSDA FÄUDA, FÄUDA DUSCHDA I

Wer die Schweizer Berge liebt, muss für Zuwanderungsstopp sein??? Die mexikanische Linke hat drei Wahlen gewonnen und wurde dreimal um den Wahlsieg betrogen. Das Verhalten der Hirsche am Ex-Eisernen Vorhang und das Verhalten des Schwarzen Blocks, der langsam zum Platzhirsch der Widerstandsbewegung wird. Überdies bitte ich dich auch, gelegentlich ein wachsames Auge auf unsere plötzlich schnell heranwaschsende Tochter zu haben. Ihr Gesicht bekommt immer mehr diesen seltsamen Ausdruck sentimentaler Verblödung (aus einer Radio-Soap der Bachmann). Ich hätte da einen Titel auf Lager: HARTE WORTE ZUR HOHEN WARTE. Fehlt nur noch der dazugehörende Text. Langes Gedicht «Dialog um fast nichts»: sie sehen es korrekt: / granteln tu ich nur / am muttertag / was ich übrigens / sehr sehr mag: trinkgeld, überhöht / das hat mich nie erschreckt. Über einen Meister der Entschlüsselung der Tätowierungen russischer Strafgefangener. Regelung des Erscheinungsbildes des österreichischen Soldaten: Tatoos nun erlaubt. Das DU begegnet dir von Gnaden; durch Suchen wird es nicht gefunden. Die Schweizer sollen bitte in der Schweiz siegen – Russland bleibt in rot-weiß-roter Hand. Jeannee reagiert nicht auf die Einladung zur Diskussion über die «Uni-Ferkelei» 1968, ein Begriff, den er selbst erfand. Strafverfügung gegen Zettelpoet Seethaler. Ich wollt ich wär Geflügelzüchter. Thomas Mann übertrifft sich selbst beim Lobe Brechts. Ein Volk ist der Umweg der Natur zur Erzeugung von drei, vier großen Männern. Es bereitet mir Lust, den Schädel kleiner Vögel zwischen den Zähnen zu zerknacken (Salvador Dali). Moang kimd filaichd wida da dings / das dings filaichd wida. Bewahren und Aufbruch, ein Manifest aus 1953. Peking, ungeeignet für menschliches Leben. Ich suche bosnischen Referenten, Richard Schuberth interpretiert das als Suche nach dem «echten» Bosnier. Ich kann nur in den unteren Etagen atmen, sagt Robert Walser. Kommt Schinken von Schenken? Deine Stärke ist die Sprache, nicht das Bild, durchschaut mich Linde Waber. Kein Massentourismus in den Wallfahrsorten, daher keine Massensuggestionen im Winter, daher keine Heilungen in dieser Jahreszeit. Albert Einstein, Von den Minderheiten. Ich bin der boss / ich hab ein schloss / eindeitig bessa / ist haben zwei schlessa. Michael Scharang, willst du zum Gespött der poetischen Welt werden? Ein Geschichtsprofessor verherrlicht den Krieg als männliches Abenteuer. Holger (später RAF) steht auf und sagt: Herr Professor, Sie haben fünf Jahre Zeit gehabt, den Heldentod für Ihren geliebten Führer zu sterben. Warum haben Sie diese Gelegenheit nicht wahrgenommen? Wenn ich das Wort ergriff, wurde meine Überlegenheit ohne Diskussion anerkannt (Dali). Er sah aus wie ein zarter, noch selbstgenügsamer Schmetterling (Joseph Brodsky, als er zum ersten mal in seinem Leben einen 2CV sah). 1913 dominierte in der Gesellschaft ein Nein zum Krieg, 1914 hatte sich das gewandelt. Vorschlag, zwischen El Louza (Tunesien) und Lampedusa einen öffentlichen regelmäßigen Linienverkehr für Flüchtlinge, Geschäftsleute, JobpendlerInnen und TouristInnen aufzuziehen. Der schwarze Block möge durch das heeresgeschichtliche Museum rasen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Der Krieg gehört ins Museum, ja doch, aber nicht so. Kuani boradeis / und kun Eadebfi-Biree. Soldatische Intervention gegen das Kaputtsparen des Bundesheers. Golo Manns Deutsche Geschichte im 19. Und 20. Jahrhundert. Der Aktionsradius, meint Alois, dürfe die fütternde Hand nicht beißen. Fest zur Würdigung Lutz Holzingers, ein Konzept. Wenn Lebensmittel auf den Boden fallen, tritt der urbane 5-Sekunden-Mythos in Kraft. Pele, in seiner ganzen Ambivalenz. Streit zwischen Hautmann und Lackner über die Kriegsbereitschaft der sozialdemokratischen Massen. Bloomsday 2014: Rauchensteiners Ulysses-Stimmgeraune. Also sprach Putin: Wer den Untergang der Sowjetunion nicht bedauert, hat kein Herz. Aber wer die Sowjetunion wiederherstellen will, hat keinen Verstand. Heini Staudingers GEA-Politik. Der Anarchist als verblödender Mundkuss-Statistiker, langweiliger Chronist seiner freien Sexualität. Joseph Roths politische Weitsicht: Abgesehen von privaten Katastrophen führt das ganze zum neuen Krieg; ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben, schreibt er im Februar 1933 an Stefan Zweig. Warum ließ Grass mich kalt? Was hielt mich ab, die Blechtrommel zu lesen. Das Buch schlug in den stickigen deutschen Literaturbetrieb wie eine Bombe ein; das Wühlen zwischen Schweinskopfsülzen, Aalgeschlängel und Geschlechtsorganen wirkte 1958 wie eine Befreiung. Wo ist der Tibet-Film ohne Religionskitsch? Ungarns Rechte lehnt die von den meisten Wissenschaftlern unterstützte Hypothese ab, die Ungarn seinen ethnisch mit Finnen und Esten verwandt. Sie leiten die Ungarn direkt von den Hunnen ab. Die jährliche «Hunnenolympiade», das Nagy-Kurultaj-Festival in der Steppe, beschwört die Einheit der turksprachigen Stämme: Ungarn, Usbeken, Uiguren, Türken, Kasachen...

SCHWIDDSDA FÄUDA, FÄUDA DUSCHDA II

Lob der Sozialdemokratie. Kreisky klebte seinen abgelutschten Kaugummi an die Unterseite des Runden Tisches. Geschmacklos hing er da und hängt er. Das geschah vor vierzig Jahren, aber die Erinnerung ist noch frisch. Niemand außer mir bemerkte es. Ich nahm das Geheimnis mit bis heute, und schon ist es zu spät, es zu bewahren. Franz Beckenbauer: Gut, es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage. 1871 wurde der deutsch-amerikanische Anarchist Johann Most aus der österr-ungarischen Monarchie gewiesen. Kommissär: Sie reizen das Volk auf. Die Regierung hat daher beschlossen, Sie für immer aus allen österreichischen Kronländern zu verbannen. Most, mit boshaftem Lächeln: Für immer? Kommissär: Für immer! Most: Wer sagt denn, dass dieses Österreich für immer existiert? Das Dschungeldorf Macondo aus Garcia Marquez´ Roman «Hundert Jahre Einsamkeit» ist ein mythisches Dorf. In Wirklichkeit heißt es Aracataca, die Heimatstadt des Schriftstellers in der Karibikregion Kolumbiens. Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben, aber immer schwappte ein Meer von Scheiße an seine Mauern (Flaubert). Der bisherige Burgfriede in der DDR basiert doch darauf, dass zwei Stunden gearbeitet, aber acht bezahlt wurden (Heiner Müller, 1990). Paradoxes Albanien. Italien, Synonym von Freiheit in den 70er und 80er Jahren, verliert dort an Bedeutung. Die jungen Tiraner können heute besser englisch als die jungen ItalienerInnen. Albanien scheint derzeit eines der freiesten Länder der Welt zu sein, in Bezug auf die überall sonst wachsende Überregulierung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbereiche. Dabei sind heute Menschen an der Macht, die aus der dritten oder vierten Reihe jener Partei kommen, die unter Envar Hodscha eine nordkoreaähnliche Diktatur in Albanien errichteten. Was Nietzsche nicht mag: Krämer, Christen, Kühe, Weiber, Engländer und andere Demokraten. Was ich dagegen nicht mag: Lebende Hühner, Gummi, Nietzsche, Raupen, Verbieter, Vorbeter, automatische Wasserspender. Masterplan Wilhelmsburg am Traisenstausee. Beispiellose Demütigung des FC Bayern-München: 0:4 gegen Real Madrid. Oh lord won´t you buy me a Mercedes Benz. My friends all drive Porsches, I must make amends. Jetzt wieder einige Listen; Die 6 drängendsten Fragen eines Sitzenden; 10 Worte, die Shakespeare am häufigsten benutzte; 1000 Orte, die ich noch besuchen wollte, bevor ich sterbe; Nahrungsmittel mit wenig Kalorien. Sollten wir nicht ausnahmsweise Gott um Hilfe rufen? Ja, aber er soll diesmal selber kommen und nicht seinen Sohn schicken. Topopoesie Radkersburg und Umgebung. Edla, Puxa, Risola, Mitschok, Globitsch, Dedenitz, Jamswart, Osang, Thorwartl, Ingerl, Frutten, Radochen. Die französische Justizministerin Taubira stammt aus Französisch-Guyana. Im Fernsehen war deutlich zu sehen, dass sie kaum den Mund aufmachte, als das gesamte Parlament die Marseillaise anstimmte. Die Rechte forderte Taubiras Rücktritt. Die Marseillaise ist aber tatsächlich unsingbar. Sie zählt zu den aggressivsten aller Hymnen: In ihr werden die Bürger zu den Waffen gerufen, damit «das Blut der Unreinen unsere Ackerfurchen tränkt». Vorhaben für den Herbst 2014: A Night of No Importance – Quatschen, Trinken und sich vernetzen in der Wohnung Reinprechtsdorferstr. Strawanzen – Geführte Stadtspaziergänge, fokussiert auf das Ausrangierte, Unnütze. Revolutionär sein heißt für Peter Weiss, den Zustand herbeizuführen, in dem das Gesicht, der Blick, die Stimme, die Haltung, das Denken von Grund auf verändert sind. Der Revolutionär besitzt dieses nie zu bändigende Verlangen nach dem großen Atemholen, dem befreiten Lachen. Ererbte Millionen sind Unglücksquellen. Gefunden in der NZZ: Zwischen den runzligen Pastinaken und den bärtigen Steckrüben machen die blassgrünen, vor Kraft strotzenden Stangen eine jugendfrische Figur. Die eigentümliche Röte, die ihnen in die Haut geschossen ist, lässt sie noch juveniler erscheinen, freudig entflammt, voller Erwartung, kussbereit. Eine Beschreibung des Rhabarbers. Die Herrenhausliste.

BEGRIFFSDRACHEN I

Schwerelos wie ein Hai / kleb ich bis morgens um halbdrei. Birgit Hebeins Doppelrolle als Funktionärin einer Regierungsfraktion im Wiener Rathaus und als Aktivistin der radikal kritischen NGO Bettellobby löst einen umfangreichen E-Mailverkehr aus. Leider glaube ich: in dieser Umgebung wird es schwer sein, Revolutionärin zu bleiben. Wir sind herausgevögelt und können nicht fliegen (Werner Schwab). Statt «Sitz nicht immer nur da, tu endlich was!» sollte es heißen: Tu nicht immer irgendwas! Sitz einfach nur da!», sagt ein Zenmeister. Die Rangfolge der 10 Philosopohen, die 2007 am häufigsten zitiert wurden: 1. Michel Foucault, 2. Jaques Derrida, 3. Jürgen Habermas, 4. Judith Butler, 5. Gilles Deleuze, 6. Immanuel Kant, 7. Martin Heidegger, 8. Noam Chomsky, 9. Jean Piaget, 10. John Rawls. So ein zügelloses und doch aggressionsloses Volksfest wie das Augartenfest im Jahre 1840 hat der finnische Philosoph Snellmann noch nie erlebt. William Shakespeare über Sigmund Freud – da staunste. Nach dem Gespräch mit dem Schwiegersohn von Chruschtschow resümierte Papst Johannes 23.: Das einzige, was uns unterscheidet, sind unsere Ansichten. Kaufen, was einem die Kartelle vorwerfen / lesen, was einem die Zensoren erlauben / glauben, was einem die Kirche und die Partei gebieten / Beinkleider werden zurzeit mittelhoch getragen / Freiheit gar nicht (Tucholsky). Jedes Kind ist vor der Indoktrination durch Familie und Schule seinem Wesen nach ein Künstler, ein Erfinder, ein Revolutionär (H. Kipphardt). Das Dumme am Reisen ist: Man nimmt sich mit. Eine Rätselaufgabe. Wen meint Engels im Folgenden? Er ist durch und durch Slawe, sentimental in der Frivolität und sogar in der Schweinerei, kriecherisch und hochmütig, und hat vom Engländer nur die outrierte Schweigsamkeit. Ich habe so lange wie möglich versucht, von dem Kerl eine gute Meinung zu haben. Aber es ist unmöglich. Wir haben die längste Zeit nicht über unsere Verhältnisse, sondern unterhalb der Verhältnisse gelebt, wie jeder Blick auf die Produktivitätssteigerungsstatistik zeigt. Liebe Frau Stadträtin, seit uns die Fernwärme im letzten Winter hinlänglich ausgesaugt hat, schützen wir uns vor dem Erfrieren mit Smirrnoff Wodka, Grassl Gebirgs-Enzian und Bailoni Gold Marillenschnaps. Wie bitten um Sachleistungen im Rahmen der «Wiener Energie Unterstützung». Die Spielregeln bestimmter surrealistischer Stadtwanderungen, von den Herumwandernden Psychogeografie genannt, entnehme man der Zeitung «Derivee». Schlingensief ist stets auf der Suche gewesen: nach der Schönheit der Fehler. Wer sonst als die Chinesen wird die Stadt Carnuntum wieder aufbauen? Ich bin nichts / Ich werde nie etwas sein / Ich kann auch nichts sein wollen / abgesehen davon trage ich sämtliche Träume der Welt / in mir. Was machen Sie? Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen. Weid sama kuma / koits eich den Schaas / Schee is wos aundas / wos kossdn dea Schaas? Kulturgeschichte der Hochwässer in Steyr. I gib ned auf / i draa ned zua / i loß nix aus / und gib ka ruah / wea nu vü sei / und nix mea wean / suach mein friedn / wea weida stean / hob sovü lebm / und nua an Tod / aun den i ned / mei söö varod / woa scho imma / woa no nia / hob a lust / und so a gier / loch dem teifi / frech ins gfrieß / suachs paradies / wuascht wos is / suachs paradies / wuascht wos is. Wird das Verbot der ländlichen Sparvereine in den Wirtshäusern durch die Bankenaufsichtsbehörde endlich die Revolution auslösen? Nein. Bloß ein Wirtshaussterben. Alles in Ordnung, antwortete Goldenberg, nur unsere Ansichten müssen geändert werden. «Zwei Drittel der OMV-Investitionen fließen in den Bereich Suche und Förderung von Erdöl und Erdgas. Auch in den Wachstumsregionen Naher Osten und Nordafrika hat die OMV zuletzt viel erreicht.» (OMV, 2012). Wenn die Russen die spanische Küste aufkaufen, kaufe ich die Russen glasweise, auch wenn sie bloß Heringe sind, auch in ihrem Aggregatszustand Teufelsroller. Die Kunst, sagt Norbert Elias, ist die letzte Enklave der politisch Besiegten. Einst war er Fisch / jetzt isst er Fische / noch ist er Fischer / einst war er Tisch / jetzt ist er Tischler / und isst Tische / und zwar ganz frische frische / Und niemand kennt / den Frischler. Diese an die Luft geklebte Vordergrundsfigur: Karl Kraus` Charakterisierung des Wieners. Schreiben Sie Passagen des Buches oder einzelne Sätze so um, dass sie verständlich werden. Er halte Patriotismus für ein Verbrechen, sagte Peter Bichsel. Lustige Gebräuche eines privaten Gesangsvereins namens «Lokomotive 293». Im traditionellen Liedgut wie in der Popmusik ist das Wörtchen «Blut» sehr beliebt. Jedesmal, wenn im Liedtext «Blut» vorkommt, vollführen die SängerInnen die Geste des Pulsadernaufschneidens. Dann halten sie die Hand über das Glas Bier, sodass das imaginäre Blut sich mit dem realen Bier mischt. Die Vereinigung der beiden Lebenselexiere Blut und Bier bringe Glück, sagen sie Gästen, die sich über den Sinn des Brauchs informieren. Was Gäste normalerweise nicht tun.

BEGRIFFSDRACHEN II

Das ursprüngliche Symbol der Niederlage der Frau ist nicht der Schleier, sondern der freie Hals. Analogie zur Tierwelt: Darbietung der Kehle zur Anerkennung der Überlegenheit des Stärkeren. Ich kann im Traum nicht besser Fußball spielen als in Wirklichkeit. Elfriede Jelinek: Philosophie z.B. lese ich wie ein Greifvogel. Etwas blättert vor sich hin, zu spät merke ich, dass ich das bin, und plötzlich stoße ich mit einem unhörbaren Schrei auf eine Stelle herunter, die ich gerade erblickt habe, reiße sie mir, noch tropfend und blutig und eklig, heraus, verleibe sie mir ein, der Denksaft rinnt mir vom Kinn ... Die Kunst des vollkommenen Satzes: Wolf von Niebelschütz über die Provence. Kein philosophischer Irrtum ist so ungeheuerlich wie der, nur die Philosophen zu den Philosophen zu rechnen (Paul Valery). Vollständiges und chronologisches Verzeichnis der Wunder, die Jesus Christus gewirkt hat. Meerblick ist der Blick des Meeres ins Fenster, in das sonst niemand blicken soll – und zwölf andere Premiumlagen. Passage aus Walter Eckharts Romanfragment «Westend Blues». Bologna der 70er Jahre: Hoch attraktiver Sozialismus. Konkrete Utopie der kommunalen Demokratie. Bevor sie zum Vorbild wurde, wurde sie vom Staat liquidiert (darin ähnelte sie dem Roten Wien). Die Speisekarte des Musikbeisels Jelenka in Cesky Krumlov, betrieben vom Althippie Bedrich Pingitzer. Das Konzert sämtlicher Hähne im Tal von Hermigua und das ständige Babygeschrei. Zuviele deutsche Babys hier. Reisenotizen von Tinsch. Kuldinn eykst. Die Kälte nimmt zu. Lygin kemst upp. Die Lüge kommt raus. Kleiner Sprachkurs zur isländischen Kreppa. Verklärung der Rolle der USA im Krieg. Das Deutsche Reich hat Amerika 1941 den Krieg erklärt, nicht umgekehrt. Die US-Regierung pflegte bis 1941 korrekte diplomatische Beziehungen zu Nazideutschland, bis hin zur diplomatischen Anerkennung des Vichy-Regimes. MEINE ZWANGSLÄUFIGE PHASE. «Wir sind Zukunft» (BMW-Inserat). »Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer» (SP-KP-Lied). Neben dem Vulgärmarxismus vermittelt nur noch die Autoindustrie den Glauben an den linearen gesellschaftlichen Fortschritt. Ein jüdisches Dorf an der polnisch-russischen Grenze. Landvermesser kommen, um den vergessenen Grenzverlauf zu rekonstruieren. No, wo gehören wir jetzt dazu, wollen die Dorfbewohner wissen. Eindeutig zu Polen, sagen die Landvermesser. Das ganze Dorf verfällt in einen Freudentanz. Warum so entzückt, fragen die Fremden. Nie mehr diese schrecklichen russischen Winter, lachen die Feiernden. «Die Anarchie hat von Syriens zweitgrößter Stadt (Aleppo) Besitz ergriffen» – schön wär’s. In Kärnten ist das Böse immer ganz extrem böse. Dass der Umkehrschluss nicht möglich ist, macht das Gute in Kärnten zusätzlich sympathisch. Wer einen Olivenbaum pflanzt, hat selber nichts davon. Revolutionäre Politik machen ist wie Olivenbäume pflanzen. Heino Fischer erschließt mir den Anarchismus in Udo Lindenbergs Liedtexten. Der 2011er Kalender: Jahr meines Buches vom Rand, Jahr des falschen Augustin, das kretische Jahr, das ungarische Jahr, das Jahr der geschlagenen Eisenbahn und der bahnbrechenden Politik, das Jahr der unrealisierbaren Ideen und des stinkenden Blütenstaubs, das Jahr Jon Gnarrs, das letzte Jahr der Fleischerei, das Jahr, in dem Franz Parteder wieder die Lieder von 1980 sang, das Jahr der Rüdigerhof-Konferenzen, das Jahr des Günther Brödl, das Jahr des Hadersdorfer Massakers. Was kommt nach Vorpommern und was kommt vor Nachpommern? Das Meer oder die See, oder mehr Seen? Bedrohlich, wie die braunen Sachsen wachsen. Die revolutionäre Gesundheitsministerin wird es nicht leicht haben; sie muss gleichzeitig die Pharmaindustrie zurückbauen, die Monsterspitäler schließen, die weißen Götter entkräften und die MedizinerInnen umschulen. Warum hasse ich eigentlich die Arbeiteraristokratie mehr als die Aristokratie? Der eine isst gern Zwiebeln, der andere hat mehr Gefühl für warme Freundschaft, und ich als ehrlicher Mann muss aufrichtig gestehen, ich esse gerne Zwiebeln und eine schiefe Königin ist mir lieber als der schönste Schönheitsfreund (Heine, zitiert von Kraus). Goethe zu Gerüchten, sein Großvater sei unehelicher Herkunft: Ich erwiderte darauf, dass ich davon keineswegs beschämt sei, weil gerade darin das Herrliche und Erhellende unserer Vaterstadt bestehe, dass alle Bürger sich einander gleich halten dürfen und dass ein jeder seine Tätigkeit nach seiner Art förderlich und ehrenvoll tun könne. Das Leben sei so hübsch, dass man völlig für gleichgültig halten könnte, wem man es zu verdanken habe, denn es schriebe sich doch zuletzt von Gott her, vor welchem nun alle gleich wären. Es ist klar, dass überflüssige Güter das Leben überflüssig machen (Pasolini). Demonstrative politische Supermarktplünderungen sind schadensökonomisch irrelevant: 30 bis 50 Prozent der produzierten Nahrungsmittel gelangen nicht zu den Verbrauchern oder werden weggeworfen. «Ihr seid rührig!» Was haben wir falsch gemacht?

DER CANNABISCHOF IM CANNABISTRO I

Aus mangelnder Neugier hatte er seine Vorhaut noch nie zurückgezogen, sodass sich dort ein Gutteil sozial unerwünschten Ausflusses angesammelt hatte, bei erstaunlich guter Gesundheit. In jeder barocken Kirche findest du ein Gemälde oder eine Figuration, zu der du spezielle Informationen wünscht. So ein Bild ist Paul Trogers 6 Meter langer wasserspeiender Drache im Stift Altenberg. Ich dachte, er speit Bier. Andreas Gamerith, Waldviertler Kunsthistoriker, käme in Betracht. Alle Drachen-Mythen der Welt zusammen genommen: Wie viele Drachen sind von Menschen getötet worden? Und wie viele Menschen von Drachen? Der Antiparlamentarismus zählt in Österreich zur Folklore: A Autofahrer mit sein Karrn / is ans Parlament angfahrn / dös Hirn, dös pickt heraußn dran / weil man drin kans brauchen kann. Wen müsste man überzeugen, dass Magdalena Steiners Literatur-Illustrationen (Musil, Joyce, Kramer, Proust) zusammengefasst herausgegeben werden müssen? Schlaf mein Bub / ich will dir singen / bajuschki baju / sachte fließt / auf Silberschwingen / dir das Mondlicht zu / Durch die Felsen / durch die Lande / strömt des Terek Flut / Der Tschetschene / schleicht am Strande / schärft sein Messer gut. Auch was antiitalienisches gefällig? Wir kommen nach Merano / und machen dort a Kur / und gehen auf Promenade / und finden goldne Uhr / Wir haben sie aufklauben / und haben sie verkauft / und die schöne Geldi / die haben wir versauft. Der Check-Trick Salvador Dalis. Konstantin Kaisers Liste der Mitglieder der Gruppe HUNDSBLUME. Kaum jemals in der Weltgeschichte ist die Wahrheit so verdreht worden wie in Deutschland während der Julikrise 1914. Lobau-Gedicht von Theodor Kramer: Um Pfingsten hatten wir schon braune Rücken / wir schwangen nackt im Gras den Schleuderball. Pasolini: Viele Katholiken bringen, wenn sie Kommunisten werden, den Glauben und die Hoffnung mit und vernachlässigen, ohne es überhaupt zu bemerken, die Nächstenliebe. So entsteht Linksfaschismus. Des letzten Fußgängers MANIE AMBULATOIRE. Wenn man bedenkt, dass es Idioten gibt, die Trost aus Kunstausstellungen und Museumsbesuchen schöpfen. Warum es Pasolini bei der Schlacht in der Valle Giulia mit der Polizei hielt. Direkter Urbanismus, eine neue Art, stadtbezogen zu handeln. Die Ironie hat Konjunktur, denn wer keine eindeutige Position bezieht, kann sich via Ironie alles offen halten. Die unvollkommene Liste der Geschlechter, von nichtbinär bis transfeminin. Soziologisch betrachtet zählen die Polizisten zu den Verdammten dieser Erde. Theodor Kramer hat nie Prosa geschrieben. Als Jean Renaud vom Kriege heimwärts fand / trug er sein Eingeweide in der Hand. Mongolen und Pferde, Hunnen und Pferde, ein ungarisches Märchen, aber nicht nur. Kein Zufall, dass der kasachische Filmemacher Timur Bekmambetov das Historienepos Ben Hur recyclen will, mit einer der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte, dem Wagenrennen mit Charlton Heston und Stephen Boyd. Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe auf der Wiese (Nietzsche). Wieder eine Grüblerei aus der Berliner Irrenszene: Besucht meinen geilen Klodeckel oder es spielt Karamber. Achtet auf meine Rapsöl-Allergie! schillernd neigt sich die linke / dem ende zu / dem ende des anfangs. Ein einziges Dach über den Schweineköpfen von 1500 Lübzower Mastschweinen, die nur einmal in ihrem Leben den Schweinehimmel sehen: wenn es zum Schlachten geht. Um Aufregungen zu ersparen, hat der Schweinemastbetrieb beschlossen, die Tranfers zum Schlachtbetrieb nur nachts durchzuführen. Die Chefs kommen aus der Stadt und wissen nicht, dass über Lübzow noch alle Sterne stehen. Wozu werden sie die Schweine ermuntern? Bayern geht scheissen: Für die Besucher des Münchner Oktoberfestes werden 1500 Klos bereitgestellt. Und Pissrinnen in der Gesamtlänge von einem Kilometer. Die Gesellschaft ist ganz schön doof: Sie liebt Hunde und hasst Wölfe, obwohl das fast dasselbe ist. Würden alle 7,2 Milliarden Menschen der Welt in der Schweiz leben, hätte noch jeder sechs Quadratmeter Platz für sich allein. Der Papst kommt in Linz an. Ein Reporter drängt sich vor: Werden Sie hier das Laufhaus besuchen? Der Papst ist entsetzt: Was? Hier gibt es ein Laufhaus in dieser christlichen Stadt? Die Reportage beginnt wahrheitsgemäß mit dem Satz: Kaum angekommen, wollte der Papst wissen, ob es in Linz ein Laufhaus gäbe. Die Insel Susak und die Susaker Community in den USA. Der Torjubel muss koscher werden. Ciao, ungewaschenes Russland. Der angepasste Mobilitätsjournalist verachtet den Kleinwagen und liebt die Beschleunigung von null auf hundert in drei Sekunden. Saint Simon stellte sich für seinen utopischen Staat ein Führungsgremium folgender Zusammensetzung vor: 3 Mathematiker, 3 Physiker, 3 Chemiker, 3 Psychologen, 3 Literaten, 3 Maler und 3 Musiker. Ich nehme an, alle sollten auch Philosophen sein. James Joyce´ Vaterunser, lautgemalt: führensnich inzwei verzuckerrüben lösig vom bösen – männ.

DER CANNABISCHOF IM CANNABISTRO II

Unsere nächste Weihnachtsfeier findet in einem afrikanischen Lokal statt, wo es afrikanische Speisen gibt, verkündet Riki dem afrikanischen Langzeit-Augustinverkäufer Vincent, Dieser im breiten, längst angelernten Wiener Dialekt: Na bitte ned, des howi dreisg Joa laung gfressn. 100 Romamädchen, topausgebildete Handtaschlräuberinnen, müssen den Mafiabossen täglich 300 Euro abgeben; die Wiener Polizei weiß alles, kann jedoch keinen einzigen Boss vorweisen. Der schönste der Wiener Wandertage im Februar 2000: 7000 DemonstrantInnen am Küniglberg nach einem 8 Kilometer langen Spaziergang. Eine polizeiliche Sachverhaltsdarstellung zitiert einen bettelnden Augustinverkäufer; «Sie Würstchen! Sie sind ja wirklich der dümmste Polizist, der mir je untergekommen ist. Sie sind eine Schande für den Berufstand der Polizei. Sie sind ein einzige Störfaktor, ein Affe in Uniform.» Die Strafe erfolgt wegen 1) Erregung störenden Lärms in ungebührlicher Weise; 2) Störung der öffentlichen Ordnung, weil zahlreiche Passanten darauf aufmerksam gemacht wurden; 3) Verletzung des öffentlichen Anstandes, indem Polizisten beschimpft wurden; 4) Verunreinigung des Gehsteigs durch Müll. Ich muss zu Phettberg ins Cafe Jelinek, um ihn zu fragen, wie lange er noch im falschen Blatt predige. Ubi hrvata / da siptar nema brata; Sprechchor serbischer Fußballfans (Töte den Kroaten, damit der Albaner keinen Bruder mehr hat). Kurt Landauer – der Mann, der den FC Bayern erfand. Scheißaupaula – woher kommt das? Heddma des aa ealedigd. Die Unterprivilegierten haben etwas Unsympathisches: ihr politisches Bewusstsein. US-Militärpsychologen über die biologische Hemmung, Artgenossen zu töten: Die Militärs gehen davon aus, dass im 2. Weltkrieg nur 15 bis 20 Prozent der Soldaten auf einen exponierten Feind geschossen haben. Die Hemmung zu töten ist so stark, dass die Mehrzahl sogar unter eigener Lebensgefahr daneben zielt. Schönstes aller Partisanenlieder: das Flüsterlied von Fritz Brügel. Strc prst skrz krk (steck den Finger durch den Hals), zmrzlina (Speiseis). Madame Esterhazy bietet der Strabag den Zicksee an, nachdem das Projekt der Brücke über den Neusiedlersee scheiterte. Vom ersten und einzigen Einsatz in der Kampfmannschaft der Union Wilhelmsburg erinnere ich mich nur an 1 Spielzug, an einen gelungenen halbweiten Pass zu meinem Bruder. Wahrscheinlich durfte ich spielen, weil die Erste extrem ersatzgeschwächt war und weil mich Onkel Otto protegierte, der die Juniorenmannschaft trainierte. Das einzige Tor in der Saison schoss ich in Rainfeld im Gölsental. Ein subversiver Vorschlag, das Umdrehen der Bedeutung der Hottergänge betreffend. ZWISCHEN ABEND UND BEBEND. Das ist die Seuche unserer Zeit: Verrückte führen Blinde (Shakespeare, King Lear). Nach dem Sieg über den Kapitalismus wird man mich fragen; Und? Was hast DU gemacht gegen das Schweinesystem? Ich würde die Schachtel herausziehen, in der alle meine Kabarett-Eintrittskarten liegen, und ich würde sagen: Siehst du? Ich war im Widerstand! (Volker Pispers). BARAC KOBAMA / BA RACKO BAMA / BAR ACK OBAMA / BARACKO BAMA / BA RAC KOB AMA / BARACK OBAMA. UNAKA DEMISCH / UN AKADE MISCH / UNA KADEMISCH / UNA KADEM ISCH / U NAKAD EMISCH. Wie komme ich von Straß im Straßertale öffentlich nach Langenlois? Wenn meine Hirnkapazität erschöpft ist, springen die überzähligen Menschen gruppenweise aus meinem Hirn heraus; ich kann diese Entleerung wahrnehmen (Riki). Begegnung in Strass im Strassertale: Hans Windbrechtinger, der ehemalige Schriftsetzer, der heute als autodidaktischer Regionalchronist historische Broschüren herausbringt und drei Gemeindezeitungen macht (Strass, Hohenwarth-Mühlbach und Grafenegg). Er bietet mir spontan sein Auto an. Kann man den Sozialismus in einem Land aufbauen? Ja, aber leben muss man in einem andern. Die NZZ berichtet; Beim Treffen der OSZE-Außenminister präsentiert sich Basel charmant. Die Armee hat 5,6 Kilometer Absperrgitter bereitgestellt und zwei zentrale Plätze in Hubschrauberlandeplätze verwandelt. 3600 Armeeangehörige unterstützen die Polizei. Der Messeplatz ist drei Tage lang vollständig gesperrt. Nur Trams dürfen den Platz durchqueren, allerdings ohne Passagiere. Dem Kanton Basel kostet das Treffen charmante 3 Millionen Franken. Diese öffentlichen Ausgaben werden legitimiert mit dem Hinweis auf ein mögliches Return on Investment in gleicher Höhe. Dieses Return fließt aber in private Hände (Hotelübernachtungen etc.). Großkonferenzen sind also Umverteilungsmaschinen von Öffentlich zu Privat. Das aber steht nicht mehr in der NZZ. Er gervaist vor sich hin / es leberpast eam nix / er nudelsuppt / erdäpfelsterz eam net! Aus einem Gedicht von Wolfgang Kühn.

DER CANNABISCHOF IM CANNABISTRO III

Man redet umsonst von Gerechtigkeit, solange das größte der Schlachtschiffe nicht an der Stirn eines Ertrunkenen zerschellt (Paul Celan). Früher war alles besser, sogar die Zukunft. In Birma leben 135 verschiedene Ethnien: wir wissen nichts von der Welt. Nazi-Fetische in der SM-Szene haben nichts mit Wiederbetätigung zu tun. Phänomen der Beliebtheit der Stalag-Hefte, Groschenromane in Israel in den 60er und 7oer Jahren: Ami-Piloten werden abgeschossen und von heißen Nazibräuten mit offenem Busen gefoltert. Liste der Reformen des Papstes Johannes 23. Beachtliches in aller Stille. Der aktuelle, Franziskus, ist aber auch nicht schlecht: «Der Hof ist die Lepra des Papsttums. Immer, wenn ich einem Kleriker gegenüberstehe, werde ich zu einem entschiedenen Antikleriker.» Meinerseits Hut ab vor Franziskus erst, wenn er auf seinem römischen Balkon steht und der Menge verkündet: Da ich ein religiöser Mensch bin, trete ich aus der katholischen Kirche aus. Man brachte mir grad jetzt / den Ruf zum Militär / Bedaure bitte sehr / ich hab ihn gleich zerfetzt / Schon einmal hat der Krieg / mir meine Frau gestohlen / ihn soll der Teufel holen / im Krieg gibt’ s keinen Sieg. Man hat mir vor langer Zeit erfolgreich eingetrichtert, einen Brief fange man nicht mit dem Wort ich» an. Ich glaubte lange, das gelte auch für journalistische Texte – und hielt mich an diese Regel. Leserbrief an den Falter: «Als Veteran im Kampf für eine bessere Zukunft der Clownerie und Ko-Direktor des Erstbesten Clowntheaters in Wien, des Theater Olé, protestiere ich in aller Form gegen den Falter-Titel dieser Woche. ‚Strache, Sie Clown’ stellt eine freche Diffamierung und Beleidigung aller im clownseken Bereich arbeitenden Menschen dar. Eine ungeheure Respektlosigkeit! Der Clown ist eine Kunstfigur von großer Naivität und Menschlichkeit, von hohem Unterhaltungswert und mit der unabdingbaren Fähigkeit, sich über sich selbst lustig zu machen. Es gibt bestimmt kaum einen anderen Zeitgenossen, der von den genannten clownesken Qualitäten so weit entfernt wäre wie H. C. Strache». Ebola, Ebola, riefen Wiener Jugendliche und wichen vor einem aus Ghana stammenden Migranten demonstrativ zurück. Baden oder duschen, ein ewiger Konflikt. Ich habe, der Tendenz entgegen, immerhin sechs Kinder in die Welt gesetzt, meine Frau hat noch zwei mitgebracht, und wir haben schon achtzehn Enkelkinder; an mir liegt es nicht, wenn die Deutschen aussterben (Günter Grass). Aus dem Rohstoff der Person das Kunstwerk der Persönlichkeit schaffen. Die Schule war für uns Zwang, Öde. Langeweile; eine Stätte, in der man die Wissenschaft des Nicht-Wissenswerten in genau abgeteilten Portionen sich einzuverleiben hatte (Stefan Zweig). Gehe durch die Straßen Beiruts oder Kairos und lächle jeden an, der dir entgegen kommt: es wird dir zurückgelächelt werden. Gehe durch die Straßen Wiens und mache dasselbe: Man hält dich für verrückt. «Wenn ich zum Hautarzt geh, muss ich mich ja auch nackt ausziehen» (ein Wiener Polizeioberstleutnant zur Kritik, dass aufgegriffene Bettlerinnen und Bettler in den Wachstuben gezwungen werden, sich auszuziehen). Nach dem Fall der Marihuana-Prohibition ist nur eine Verschlechterung zu befürchten: die beschissene Gras-Werbung in den Privat-TVs. «Durch Ihren Artikel vermitteln Sie fälschlicherweise aufgrund der offensichtlich oberflächlichen Recherche den Eindruck und unterstellen mir gleichsam, dass ich bei meiner Tätigkeit für die Veterinärmedizinische Universität nicht die Interessen der Universität sondern jene der Raiffeisengruppe vertreten würde, was dem Vorwurf amtsmissbräuchlichen Handelns gleich kommt! Die unberechtigten, durch nichts belegbaren und auch nicht belegten Behauptungen dienen offenbar nur dem Zweck der Anschwärzung». In der Küche stehn wir beide / rühren in dem leeren Topf / schauen aus dem Fenster beide / haben 1 Gedicht im Kopf (Mayröcker). Alte Weiblein kreuzten den Weg ins Dorf / Spinnen fielen aus ihren Augen / und roter Schnee (Georg Trakl). O sete a um – das sieben zu eins, die Niederlage des brasilianischen Fußballteams gegen Deutschland am 8. 7. 2914 , ist ein neues Stichwort für die neue brasilianische Enzyklopädie. Richard Wagner hatte ein mehr als kritisches Verständnis von Geld, Reichtum und Macht. Sein «Ring des Nibelungen» liest sich als Veroperung des «Kapitals» von Marx. Das Ende der amerikanischen Shopping Malls. Comeback der Mainstreet. Heute werden wesentlich mehr Malls dichtgemacht als neu eröffnet, überall im Land liegen verrottete Shoppingcenter. Linksradikale Demos in Zürich: Die NZZ «kann es nicht fassen, dass «die Täter derart böse und gemein sind.» Beim Kampf gegen den IS, das sollte sich herumsprechen, handelt es sich nicht um einen Kampf zwischen dem Westen und dem Islam. Die militärischen Hauptgegner der Islamisten sind sunnitische Araber und alevitische Kurden. Berlin: Im Schnitt 13 Demonstrationen pro Tag – gegen ein System, dass täglich 13 Demos zulässt, ohne mit der Wimper zu zucken.

ULTRASETTANTENNI I

Tauglich zum Dienst mit der Waffe. Was tun? Vernichtende Kritik an Happyland, Klosterneuburg; nimmt das spätere Aus vorweg. Brief an Eva Brenner: Deine Rolle im Projekt «Auf Achse» ist dermaßen federführend, dass eine Partnerschaft (des Aktionsradius Wien) strukturell erschwert ist. Partnerschaft heißt solidarisches Miteinanderhandeln auf gleicher Augenhöhe... Unser Begehren, schöpferisch zu sein, ist groß. Aber im Projekt «Auf Achse» wären wir wohl nur Zuarbeiter. Anmerkung RS: Das war jetzt eine milde Form der Kritik an Evas Führungsstil und am Festhalten einer Regieherrschaft, die schon sehr viele vielversprechende KünstlerInnen vertrieben hat. Wenn wir demnächst alle im Knast landen, weil wir illegal Musik downgeloaded haben, sollten sie uns wenigstens getrennt nach Genres einsperren. Mag nicht mit Operettenfans in die Zelle. Als die Ökonomin Seidl im Sommer 2011 am Wirtschaftsforum Alpbach ein wachstumskritisches Impulsreferat hielt, bildete sich im Saal und am Podium ein hochrangiger entrüsteter Mob. Gehen s’ einmal nach Moldawien und schaun s’, wie sich die dort alle zehn Finger nach Wachstum abschlecken, empfahl eine Bundesministerin in gereiztem Ton. Die vergessenen Verbrechen der Wachstumsreligion: Staudamm oberhalb der Stadt Assuam, 1960 unter Nasser in Angriff genommen. Die UdSSR schickte 2000 Ingenieure. Etwa 100.000 Menschen, hauptsächlich Nubier, mussten für das Projekt umgesiedelt werden. 450 Menschen verloren beim Dammbau ihr Leben. Die Künstlerin F. Pakosta verwaltet Teile von Viktor Matejkas Nachlass. Sie schlug mir ein Buchprojekt vor, zog die Idee jedoch wieder zurück. Wozu einen Roman schreiben, wenn man das Gleiche in zehn Zeilen sagen könnte. Der Tod ist letztlich langweilig, wie wenn man ein Rolló runterzieht. Ein unbekannter Autor hat keinen Hang zum Blabla. Er benötigt nur wenige Sätze, und wir wissen, was die Welt ist. Die Trennung zwischen Sklaven und Bürgern im klassischen Athen war nicht absolut. Im Notfall eines drohenden Krieges gegen Mazedonien plante man die Sklaven freizulassen – in der Gewissheit, sie identifizierten sich mit dem Vaterland. Es kam zu einer friedlichen Beendigung des Konfliktes, die Sklaven konnten Sklaven bleiben. Ein literarischer Satz sollte nie den Eindruck erwecken, dass der Verfasser versucht, «poetisch» zu klingen (Sebald). Bei der Gestaltung eines Joe Berger-Erinnerungsabends muss man sich vor einer Gruppe fürchten – vor den selbsternannten BergerexpertInnen. Lange Mail-Korrespondenz über Urheberrechtsverletzungen und zum Anspruch einer Gruppe, das Andenken an Joe Berger zu monopolisieren. Rauhe Töne, exemplarisch dargestellt in einem Mail an Suzie Wong (Wienbibliothek): Sie scheinen nicht zu verstehen, dass Sie und Robert Sommer SÄMTLICHE Urheber der Materialien, die Sie verwenden, in Kenntnis setzen und eine Genehmigung zur Verwendung einholen hätten müssen. Wie aber stattdessen vorgegangen wird, ist unakzeptabel. Mit freundlichen Grüßen Magister Thomas ANTONIC. BITTE SO AN TON NICHT, HERR ANTON. NICHT? Irgendwie schaffen alle Beteiligten die Deeskalation. Alle sind happy, ich nicht ganz: «Ich finde es ja irgendwie schad, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst. Das ist gar nicht nach Joes Art. Hätte ein Einvernehmen nicht hergestellt werden können, dann hätten wir am Dienstag den kompletten Mailverkehr in Angelegenheit Joe Berger vorlesen lassen können – das wär ein nicht ununterhaltsamer Abend geworden, ganz im Sinne Joe Bergers.» Kratky beschwert sich, dass jene 2 Kollegen, die Wurstsemmel für das ganze Stimmgewitter holen wollten, so lange brauchen. Als sie endlich mit dem Essen auftauchen, flucht Kratky: Wauni aich uman Dood schick, lebi ewich. Frage des Aktionsradius an Adolf Holl: Wir würden gerne Schauplatz der Präsentation Ihres Buches «Können Priester fliegen?» sein. Ist eine performative Ergänzung Ihres Vortrags zum Thema Wunder vorstellbar? Könnte ein Wunder geschehen? Holl sagt den Termin zu, aber: Performativ habe ich wenig zu bieten, weil mir das Messelesen untersagt wurde. Allenfalls ein Seelenkreuzerl für Sie, Herr Sommer, ist immer drin. Honorar wird dankend angenommen. Heftige Debatte mit Eva Maria Glatz über Windkraftwerke. Franz Schuh: Die staatliche Förderung von Kunst kann die Kunst zerstören. Umgekehrt: Der politische Kampf gegen den Staat kann die Kunst fördern. Beschuldigtenvernehmung Helmut Seethaler. Betreff Sachbeschädigung. Wie Shakespeares Hamlet oder Lessings Minna von Barnhelm ausgehen, weiß ich, aber wie das nächste Derby zwischen der Rapid und Austria ausgeht, weiß ich nicht. Der ästhetische und dramaturgische Vorsprung des Hannapi-Stadions vor dem Burgtheater ist kategorial.

ULTRASETTANTENNI II

Anständige SchülerInnen stangeln nie die Schule der Poesie und das Laboratorium der Negation. A Nation of No Importance, Comrades of no Importance, A Body of no Importance, Ideas of no Importance. Ein israelisches Sprichwort: In Haifa wird gearbeitet, in Jerusalem gebetet, in Tel Aviv gefeiert. Daimler ist unter die Utopisten gegangen. Inserat; «Unser großes Ziel ist eine Null. Null Unfälle.» 80 Prozent der Bewohner der Insel Murano sind im Glasgewerbe tätig. Aber nun ist China Muranoglasproduzent geworden. Und die chinesischen Pensionisten werden Murano für ihren Lebensabend entdecken. So können die Glasmenschen wenigstens als Ferienwohnungsanbieter überleben. I mechd gean auf an aundan Schdean und schaun wos s’ duat fia Musi hean. Alle venezianischen Palazzi, die der öffentlichen Hand gehören, werden verscherbelt. Eine andere Art der Enteignung der Öffentlichkeit: Die Privatfirma Riva macht aus den Eichenholzpfählen, auf denen Venedig steht, teure Designertische. An den Deutschen und Tschechen kann man sehen, dass Bier die Männer hässlich macht. Macht macht alle Männer hässlich, darum ist Bier immer noch besser als Macht. Warum der Ecuador-Hut auf der ganzen Welt, außer in Ecuador, Panama-Hut heißt. Cape Town hatte einen Moment, in dem es zur heterogensten Stadt der Welt werden hätte können. Heute sind Schwarze im Zentrum nicht willkommen. Hybridtechnik in Autos ist die Unterordnung des Elektroantriebs unter das Öl. In Italien gibt es keine Literatur, sondern nur ein paar gute Literaten. Einer Straße in einer kurdischen Stadt einen kurdischen Namen zu geben, ist verboten. Klarsicht, Verweigerung, Ironie und Hartnäckigkeit – nach Albert Camus (1939) die vier journalistischen Kardinaltugenden. Engels an Lasalle: Uns Deutschen muss das Wasser bis zum Hals reichen, ehe wir en masse in den Furor Teutonicus versetzt werden. Der Bauer Luca Abba, Anführer der Proteste gegen das Tunnel-Großprojekt Susatal. Staatsgrenzen sind immer surreal, auch die des jugoslawischen Staates. Als dieser 1920 gegründet wurde, blieben 720.000 Südslawen außerhalb des «südslawischen Staates», davon 500.000 Slowenen und Kroaten in Italien. Andrerseits sahen sich plötzlich 2 Millionen Menschen, die keine Südslawen waren, in einem sich als südslawisch definierten Staat zwangsintegriert: 700.000 Albaner, 500.000 Deutsche, 500.000 Ungarn, 300.000 Rumänen. Eva Priester richtet sich vor 500 Delegierten des Parteitages den BH zurecht. Warum gibt es in der DDR so selten einen Bankraub? Weil man fünf Jahre aufs Fluchtauto warten muss. Hodse schweadau midn Korl / hodse schweadau mid de Fraun / hods schweadau mid de Frasn / hodned ogneisd wosa kaun. Pasolinis Gebet: Ich verlangte von Gott, mich zu Sünde zur ermächtigen. Ihre am 24. April 1970 beim hiesigen Amte schriftlich eingebrachte Anzeige, dass Sie aus der römisch-katholischen Kirche austreten, wird im Sinne des Artikel 6 (...) zur Kenntnis genommen. Ihre Kirchenbeitragspflicht gegenüber der verlassenen Kirche endet drei Monate nach dem ihrem Antrag folgenden Monatsersten. Der Präsident des Landes hat seine Adresse vergessen. 1968 war Deutschland ein bezauberndes Land. Die Schüler hatten Spaß an der Revolution ohne Facebook. Ihre Daumen waren noch steif, wie gelähmt. Die Liste der Stadträte der Augartenstadt; ich bin Stadtrat für Osterheiterung und intergalaktische Angelegenheiten. Eine Mag-ich-nicht-Liste: Wort zum Sonntag, Telefaxe, Bachblüten, Arschgeweihe, Nutzwert, Fahrstuhlmusik, Tinnitus, Podiumsdiskussionen, Wellness, Querdenker, passives Abseits ... «Rassismusfreie Zone» als durch und durch weißes Projekt: ein Fürsprecherprojekt. Heimat ist, wo ich mir jederzeit und überall binnen zehn Minuten einen gerade gewachsenen Haselnussstecken machen kann und wo ich zumindest eine Stelle weiß, wo der Holler wächst, der für zehn Marmeladegläser reicht. Ich klebe meine Parteimitgliedsmarken ins Pickbuch, vor der entsetzten Riki: Du kannst doch dein Parteibuch nicht zerfleddern! Ich hoffe, dass mich in diesem Leben kein Mensch mehr dazu zwingt, etwas auswendig zu lernen. Vergessen wir nicht, dass der Kaufmann und der Räuber zwei eng verwandte Berufe waren. Der Kaufmann schwebt, wie der Räuber, stets zwischen den Extremen des üppigsten Reichtums und des völligen Ruins. Anders als man uns glauben machen will, bedeutet Freiheit in erster Linie den Zwang, verunsichert zu leben und unangenehme Entscheidungen treffen zu müssen, sagt Slavoj Zizek. Freedom hurts.

NONNENMÖRDERFANGKOSTÜM I

Fenerbahce holte sich den Meistertitel. Auf dem Reumannplatz stieg eine Fanparty: ein Meer in Blaugelb, den Farben des Meisters. Die wievielte Generation der in Österreich heimisch gewordenen TürkInnen wendet sich vom türkischen Fußball ab und dem österreichischen zu. Die Faustregel: die dritte Generation schwankt zwischen Fenerbahce und Galatasarey, die vierte geht zu Rapid. Nirgendwo in der Welt ist Halbnacktheit akzeptierter als in Brasilien. Nirgendwo auf der Welt, außer den USA, gibt es so viele Schönheitsoperationen pro Kopf der Bevölkerung. Der neueste Trend sind Arschvergrößerungen. Ideal: der weibliche Popo als Abstelltischchen. Was nur wenige wissen: Im Mittelalter waren Teile der Stephansdomfassade kunterbunt bemalt. Wien ist ohnehin zu grau. Darum: Wiederherstellung des historischen Zustands! Den Bürgermeister vom Lemoniberg rollen, bis er richtig grantig wird. Man stelle sich vor: Die BürgerInneninitiaive gegen die Privatisierung des Steinhofs wird von der Stadtregierung beauftragt, Planerinnen zu finden, um zivilgesellschaftliche, gemeinschaftliche Alternativen zur privaten Nutzung zu realisieren. In Triest geschah das nach der Schließung der Psychiatrie. Bei meinem Rundgang durch die Werkbundsiedlung, Beispiel für die Qualität der Beziehungen zwischen Arbeiterbewegung und der intellektuellen Avantgarde dieses Landes, folgte ich einem vermeintlich öffentlichen Pfad, befand mich aber plötzlich am Rande einer Wiese, in der eine Frau ihren nackten Körper der Sonne anvertraute. Sie kam mir, ausgerechnet hier in der roten Siedlung, mit dem Imperativ des Privateigentums: «Sie verlassen jetzt bitte sofort das Gelände!» Die Künstlerin Susanne Kompast macht weibliche Torsi aus Ton, in der Größe der Venus von Willendorf, deren Ästhetik sie simuliert. Die Torsi sind schwer vermarktbar, wie so manches, was die Künstlerin produziert, denn sie kann, wie viele andere Menschen, sich nicht verkaufen. Bevor ich eine Idee, meine nämlich, ausbreiten kann, ist sie zur Stelle mit einem merkantilen Geistesblitz. Sie werde ab nun die Ton-Figuren, fruchtbarkeitsgöttinnengemäß, als Grabbeigaben anbieten, die man Verstorbenen in den Sarg legt, damit kommende AusgrabungsleiterInnen den dringenden Verdacht, nein, den Beweis haben, dass es sich bei der Toten um eine Fürstin handelte. Um die Venus schlagen sich die Kunst, die Wissenschaft und die Esoterik. Letztere repräsentiert durch den «Verein Willendorferin – Initiative zur Stärkung der Frau». Der Verein organisiert die Göttinnekonferenzen; drei fanden schon statt. Ein Großvater Nietzsches hat das Buch «Die immerwährende Dauer des Christentums zur Beruhigung bei der gegenwärtigen Gärung» geschrieben. Thomas Mann über Nietzsche: Welch ein Getriebenwerden ins Weglose! Eine Stadtflanerie zum Derby of Love. Kleiner Sprachkurs des Fahrradfreaks: Ständer–Nabe–Zahnkranz. Parafango–Paracatena–Serie Sterzo; Travao Tras–Selim–Manipulo direito.; Wiudelec–Hamulec–Waga; Markolat–Saharnyo–Fogaskoszoru. A: Waasd wea gschduam is? B: Mia is jeda rechd. Giacomo Matteotti Platz – der Platz mit dem wohlklingendsten Namen in Wien (oder gilt das nur für die Gruppe der Italophilen?). Aus der KPÖ-Geschichte: Aus Moskau kamen die Alleswisser und Weniglächler zurück, um die sanften Revolutionäre zu verdrängen. Solange wir kein Spiel der FIFA-MAFIA-WM versäumen wollen, solange ist der Kapitalismus unschlagbar. Die hohe Wahrscheinlichkeit eines torlosen Unentschiedens, die grundsätzliche Seltenheit von Toren, die Abseitsregel, das riesige Spielfeld und das K.o.System sind keine Konstruktionsfehler. Denn nur wenn es auch für die bessere Mannschaft noch sehr aufwendig bis unwahrscheinlich ist, ein Tor zu erzielen, bleibt für die unterlegene die Chance, mit einem gelungenen Abschluss das Spiel doch plötzlich für sich zu entscheiden. Darin liegt das Geheimnis des Siegeszugs des Fußballs verborgen. Es ist erstaunlich, wie sehr heute die Gebäude der Moderne abgelehnt werden. Was 50 Jahre alt ist, muss weg? Was haben sie gegen den stabilen Beton? Muss nun auch die Wotruba-Kirche gesprengt werden? Die Schweizer Nationalhymne hört sich an wie eine Kreuzung aus Kirchenlied und Wetterbericht: Trittst im Morgenrot daher / Seh ich dich im Strahlenmeer / Dich, du Hocherhabener, Herrlicher / Wenn der Alpenfirn sich rötet / Betet, freie Schweizer, betet. Kein Wunder, dass den Schmarrn kaum einer singen kann. Wolkenkratzer als Prestigeobjekte der Staaten mit geringem Demokratieniveau. Allein in Dubai stehen ein Fünftel der 50 höchsten Hochhäuser der Welt. China hat 30 der 100 höchsten Türme. 90 % der Hochhäuser, die in den vergangenen 4 Jahren gebaut wurden, stehen in China, Südostasien und im mittleren Osten. Bis 1930 standen dagegen 99 % der höchsten Häuser in Nordamerika. Katastrophen sind Schulen der Solidarität und des altruistischen Handelns.

NONNENMÖRDERFANGKOSTÜM II

Faustregel: Je komplexer ein Gegenstand, umso weniger wird er kritisiert, Ausnahme: Das Grillen, Es gibt nichts Einfacheres, dennoch kritisiert es niemand. Vielleicht deswegen, weil die Kritiker meistens männlich sind und ihren Geschlechtsgenossen (Grillen gilt als Männerangelegenheit) nicht wehtun wollen. Warum grillen fast nur Männer? Weil es in der Kochkunst nichts Einfacheres als das Grillen gibt? Umstritten. Viele besuchen nie eine Kunstausstellung, manche trauen sich zuweilen hinein, müssen aber feststellen, dass ihre Augen beim Betrachten der Bilder wie zugewachsen sind; es wird jemand benötigt, der diese Augen mittels Übersetzung der Bilder in die Sprache zu öffnen versteht. Günther Anders paternalistisch über Hannah Arendt: «Während ich ihr die Bilder erklärte, blickte sie fassungslos hinein, so als wären ‚Wände’ zu Fensterscheiben geworden.» Ein 30-jähriger Kalifornier führt mit 69 Hotdogs in 10 Minuten. Sein härtester Rivale, ebenfalls USA, ist dafür im Gyros-Essen besser: 5,5 Kilo in 10 Minuten. Weitere aktuelle Rekorde: 141 hart gekochte Eier in 8 Minuten; 7 Liter Vanille-Eiscreme in 6 Minuten. Die entsprechende professionelle Liga nennt sich Mayor League Eating (MLE), eine art FIFA für Vielfraße. Einzelne Wettkämpfe werden in den USA von bis zu 30.000 Zuschauern besucht. Bei Hemingway, gesammelte Werke Band 10, eine schöne Liste entdeckt: «Das Wirkliche besteht aus Kenntnis, Erfahrung, Wein, Öl, Salz, Essig, Bett, Morgendämmerungen, Nächten, Tagen, der See, Männern, Frauen, Hunden, Lieblingsautos, Fahrrädern und Tälern, dem Erscheinen und Verschwinden von Zügen auf geraden und krummen Strecken, dem Trommeln eines Schneehuhnmännchens auf einem hohlen Baumstamm, dem Geruch frischer Gräser und frischgegerbten Leders und Sizilien.» Thoreaus Reisebericht über Kap Code ist der Bericht eines Menschen, der mir zumindest in einem gleicht: es gibt nichts, was ihn NICHT interessiert. Ich hebe folgende Stellen hervor: Bericht über den Charakter der Bevölkerung (Seite 39), über die Hai-Legenden der Küstenbewohner (Seite 139), über die reale Bedeutung des Strandguts samt Bemerkungen zur Eigentumsfrage (Seite 151), über die Alltäglichkeit des Schiffsbruchs (Seite 192), über den Charakter der Bevölkerung nach näherem Kennenlernen, etwa durch das Erlebnis der spuckenden Männer im Fischladen, das jeden Appetit auf Fische aus diesem Laden verdirbt (Seite 251) usw. Werte Unterkunftsgeber. Wir buchten eine Ferienwohnung, die Sie als «Dachsteinblick-Zimmer» anbieten. Während die Gäste des «Seeblick-Zimmers» den See immer in Sicht hatten, verhinderten Nebel und Wolken die Sicht auf den Dachstein zu 50 Prozent unserer Aufenthaltsdauer. Sie werden uns verstehen, dass wir nicht bereit sind, den vollen Preis für die Ferienwohnung zu bezahlen, weil ihr wesentlichstes Qualitätsmerkmal nur temporär erfahrbar war. Die urnette Pensionistin aus Boston / USA, einer in Macao geborenen Chinesin. Dreimal habe sie Hallstatt besucht, dreimal habe es geschüttet. Jetzt versuche sie es zum vierten Mal. Es schaue ganz so aus, als ob es auch diesmal regne, sagte ich, und beide zugleich pressten wir nach dieser Prophezeiung die Hand auf den Mund. Da wusste ich: diese Welt ist klein. Die abergläubische Angst vor dem «Verschreien» einer sich unerwünscht realisierenden Ahnung teilt auch die chinesische Frau. Revolverjournalisten wussten nicht, ob sie die MieterInnen der Wohnblocks in Alt-Erlaa wegen ihrer «Privilegien» verurteilen oder sie vor der «Menschenmassenhaltug» vor dem Kriminalität generierenden Hineingepferchtsein retten sollten. Sie taten beides, und die ihnen Hörigen taten dasselbe. Pseudohumanistisch kritisierten sie die «Verhausschweinerung» der Menschen, andererseits fanden sie die Ausstattung der Wohnblöcke mit gemeinschaftlichen Dachbädern (und überwältigender Aussicht), alles für die BewohnerInnen gratis, als für eine Prolo-Hochburg völlig verschwenderisch. Die genialste Besetzungsidee des Sicheritz-Kultfilms «Muttertag» ist, dass Roland Düringer acht Rollen spielt. In der kommunalen Wohnsiedlung Am Schöpfwerk fragten MieterInnen bei «Wiener Wohnen» an, warum in den Grünanlagen keine Obstbäume gesetzt werden. Antwort der Wohnhäuserverwaltung: Obstbäume ziehen Bienen an und Bienen stellen eine Gefahr für die SchülerInnen dar. Red Bull Ebola gegen Malaria Hoppers. Schon im Aufwärmtraining die ersten Toten. Der letzte Spieler starb beim Anpfiff des Schiedsrichters. Passt, denn er hatte die gelben und roten Karten vergessen. Der Linienrichter starb im Abseits. Dafür gibt es einen Videobeweis. 90 Prozent der Zuschauer warteten, bis die Verlängerung vorbei war. Ich schreibe, weil ich nicht nicht schreiben kann (der Computer rät mir, das zweite «nicht» zu streichen; es freut mich immer, wenn sich die neue Technologie als vertrottelt herausstellt).

NONNENMÖRDERFANGKOSTÜM III

Olé = Allah. Beethovens Neunte dient allen – den Guten und den Bösen. Filmprojekt: Aus der Perspektive der allerletzten Bienenkönigin. ZOVINUTA BLANCIA E ROSA / CON CHEL STRAS DI VESTIDIN / LA TO MUSA DOLOROSA / A SOMEJA AL ME DESTIN // O PAIS DAI VECIUS MUARS / VUEI BEAS TAL PARADIS / DIS TU A LOUR CU LI CIAMPANIS / C`A SI PENSIN DAI SO FIS (Pasolini). Unbekannte chinesische Realität: In China gibt es Künstlerdörfer und –städte. Beispiel Song, nahe bei Peking. Dort leben 100.000 KünstlerInnen zusammen, die nichts haben außer ihren Schaffensdrang und ihren Fähigkeiten. Eleganz bzw. Raffinesse ist allen Bestandteilen einer Gesellschaft inhärent. 25.07. 2014, Mail von Walter Famler: Lieber Robert, leider ist meine – wie ich glaube ganz gute – Geschichte durch massive Kürzung nun zu einer schlechten Glosse geworden. Ich hoffe sehr, dass du diese Zeilen bitte nicht als Freundschaftsentzug auffasst. So viele Türken auf einem Fleck halte ich nicht aus, sagte der türkische Taxifahrer, nachdem er das Freundschaftsmatch Rapid gegen Galatasary gesehen hatte; im Stadion waren 2000 ÖsterreicherInnen und 7000 TürkInnnen. Die Natur ist grundsätzlich kreisfeindlich (außer Sonne, Mond, Orangenquerschnitt, Karottenquerschnitt, Regenbogen und den Kreisen des stillen Teichwassers, wenn der Stein geworfen ist, gibt es wenige natürliche Kreise), die Kultur ist kreisfreundlich (Bsp. Halay, Kolo, Pallaver, Rad). Darum sammeln die Menschen lieber Geldmünzen und Bierplatteln als runde Steine. Letztere kommen in der Natur selten vor, Platteln und Münzen überhaupt nicht. Der «Taxifahrer» des Severin Groebner: Die Serben sind gut in der Verteidigung, die Kroaten im Angriff und die Bosnier in der Mitte. Alle zusammen wären wir locker weiter gekommen. Das Blut unserer Gefallenen (1994, Mexiko) war noch frisch ... da begann ein kompliziertes Ablenkungsmanöver, ein riesiger und wunderbarer Zaubertrick, ein listiges Spiel des indigenen Herzens. Es begann die Konstruktion einer Figur, die Marcos hieß ... Wie auch immer, nehmen Sie mich nicht zu ernst. Heute sind wir zehnmal schneller unterwegs als vor 30 Jahren. Wohin ist die eingesparte Zeit verschwunden? Falter-Chef Klenk nach der Räumung der Pizzeria Anarchia (1700 Bewaffnete und ein gepanzertes Fahrzeug gegen 19 HausbesetzerInnen): Der Staat ist nicht der «erbitterte Feind», als der er von den linken AktivistInnen wahrgenommen wird. Meine nicht veröffentlichte Replik: Der Chefredakteur sei dem analytischen Wissen der AnarchistInnen nicht gewachsen. Nonnenmörderfangkostüm, ein in Gedichtform gebrachtes Prosastück der Grüblerin. So starb eine Partei: «Genossen, wir dürfen uns nicht von der Geduld hinreißen lassen! Die Deutschen sind einfach unbeschreiblich widerliche Menschen, trotz allem, auch wenn man nicht weiß, was man ihnen eigentlich vorwerfen kann, höchstens eine Reihe von Korrektheiten (Milena Jesenská). 8. August 2014. Unternehmerisch schnappten wir Alu-Leiter, Gartenschere und Kübel, bestiegen den 67er und betraten, mut Vorfreude auf die eigene Hollermarmelade gefüllt, die Wienerberggründe. Dort warteten zwei Kategorien von Holundersträuchern auf uns: die mit den verdorrten und die mit den noch grünen Beeren. Es war trotzdem gut, die Leiter hatte noch die den Wienerbergerteich gesehen. Da das Nazigift bis in unser Denken eindrang war jeder richtige Gedanke eine Eroberung; da eine allmächtige Polizei versuchte, uns zum Schweigen zu bringen, wurde jedes Wort kostbar wie eine Grundsatzerklärung; da wir verfolgt wurden,. Hatte jede unserer Gesten das Gewicht eines Engagements... Niemals waren wir freier als unter der deutschen Besatzung (Sartre). Man muss in den Städten bleiben, man darf sie nicht verlassen. Wenn man sich zu weit hinauswagt, trifft man auf den Vegetationsring. Die Vegetation ist kilometerweise auf die Städte zugekrochen. Sie wartet (ebenfalls Sartre). Apropos Abenteuer Hollerernte. Obwohl die Hollerstauden niemanden und allen gehören, strafte uns ein Spießbürger, der in dieser Allmende mit einer Spießbürgerin unterwegs war, mit einem bösen Privateigentümerblick. Hätten wir das Outfit eines rumänischen Bettlers und einer rumänischen Bettlerin gehabt, hätte der Passant sofort die Polizei geholt, und am nächsten Tag hätte die Kronenzeitung getitelt: OSTMAFIA FRISST UNSEREN HOLLER WEG! Sartre wusste, dass 50.000 Menschen zu seinem Begräbnis kommen würden. Die musste er mit Widersprüchen unterhalten, mit Sagern, die Freund und Feind betropitzten. Kennen Sie den? Ein Mann will sich in Purkersdorf eine Zugfahrkarte nach Peking kaufen ... Die Jelinek integrierte den Witz in ihre Prosa. Riki: Über diesen Witz kann man auch AugustinverkäuferInnen an die Kunst der Jelinek heranführen.

VATIKAN ALLES VATIKAN NIX I

Wenn Tolstoj noch lebte, wäre der Krieg nicht ausgebrochen, behauptete Heinrich Mann 1914. Wär’ dein Leben ein Film – würdest du ihn dir anschauen? ich sammle religionsmaterie / ich sammle frommstoff / in der heilandschaft / in den kirchhalden / im barock plus minus hundert. Es schreibt keiner wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund. Okopenko behauptete, kein Leben passe in ein Buch. Das erscheint mir logisch, denn zum Leben eines Menschen gehört die Summe aller halberinnerten Träume, und allen diesen Träumen ist kein Buch gewachsen. Wer immer sich Massai-Schuhe oder Massai-Schmuck zulegt und Massai-Tanzkurse bucht, kann sich sicher sein: Die Massai sehen von diesem schönen Geld nichts; nun aber kam ihnen endlich die Idee, sich als Marke eintragen zu lassen. Erich Hackl, über das Neue Deutschland: «Das ND ist anspruchsvoll, hat aber keine intellektuelle, sondern – ihren Briefen nach zu schließen – eine gebildete Leserschaft, zum Großteil jenseits der 60». Von 1938 bis 2011 war Adolf Hitler Ehrenbürger der Stadt Braunau. Beeindruckend die Führung der (inzwischen Ex-)bürgermeisterin Ulrike Böker durch ihre Gemeinde Ottensheim. Die demokratischen Essentials der Stadt: die Alt-Neu-Synthese der Rathausarchitektur; der von Podrecca gestaltete Stadtplatz; die Rollfähre (auf der ich Kunst im Takt der Donauüberquerungen machen würde: Die «Überfuhr» als neues Label der regionalen Kultur); das Otelo-Haus; die Klangbilder Josef Baiers; die Betonröhren des Parkhotel-Experiments; das senegalesische Flüchtlingsboot am Donauufer; der feine Randsandstrand; die gemeinschaftliche Streuobstwiese; der Köglerhof am Dürnberg, Aushängeschild der biologischen Landwirtschaft. Es drängt, sich die Schule von Null aus neu denken, denn der 45-Minutentakt mit sechs Fächern pro Tag hat ausgedient. Lehrer wie Schüler beziehen ihr Wissen aus denselben Wikipedia-Beiträgen. Die Google-Brille schafft Zugang zum Weltwissen mit einem Wimpernschlag. Sie bedeutet das Ende der Quizsendungen und das Ende des Schulunterrichts, zweier Dinge, die die Welt nicht braucht. Die Naziideologie ist mischlingsfeindlich, bastardfeindlich, mestizenfeindlich. Nazi Zweigelt bewies jedoch, dass eine Kreuzung zweier Rebsorten oft zu einer Qualitätssteigerung führt. Falten sind ein Produkt des immerwährenden Nachdenkens und nicht etwa, wie das Volk sagt, der übertriebenen Sonnenbäder für die nackte Haut. Beauty-Experte_innen raten ihren Kundinnen: Achten Sie darauf, dass Sie beim Radfahren keine nachdenkliche Mimik machen. blutend und weinerlich stand ich / an der rotheauer kreuzung, bis mama einen aus eschenau kommenden lkw stoppte / der uns zum traisner arzt brachte / dieser doktor muss ein pfuscher gewesen sein / meine zernarbte stirn wird seinen pfusch / immer verraten / alles andere an diesem tag / war langweilig / dieser elfte april neunzehnvierundfünfzig / so bestätigte später die soziologie / war in der tat / der langweiligste tag / des zwanzigsten jahrhunderts. Die Autowerbung redet stellvertretend für die Belegschaft in der Autofabrik von der Revolution. Auf einem Plakat für das Renault-E-Auto steht: «Nie zuvor hat eine Revolution so wenig Lärm gemacht.» Die Frauen der Tiv sorgten dafür, dass jede bei jeder immer ein bisschen Schulden hatte – so schufen sie die Gesellschaft. Die Gewohnheit, bitte und danke zu sagen, setzte sich während er kommerziellen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts durch. Marx an Engels, 1868: «Herr Bakunin ist so herablassend, die Arbeiterbewegung unter russische Leitung nehmen zu wollen. Diese Scheiße existiert seit zwei Monaten.» Auch nach seinem Tod hinaus ärgerte Bakunin seinen deutsche Kontrahenten. Marx regte sich in einem Brief an Engels über einen «widerlich lobhudelnden Artikel über Bakunins Begräbnis» auf. Der Wein ist ein soziales Lebewesen. Die Erde ist ein Hund. Der Rotweinfleck ist der mit dem Salz der Stammtische bekämpfte Nachlass des guten Lebens. Immer mehr Südtiroler finden es nicht mehr der Mühe wert, Italienisch zu lernen. In den deutschen Schulen Südtirols ist Englisch beliebter als die Staatssprache. Die Selbstaufgabe der österreichischen Schiindustrie: der «österreichische» Atomic-Schi wird in Bulgarien produziert. Von den 3600 Arbeitsstellen befinden sich nur 600 im Inland. Die Atomic-Marke gehört einem finnischen Konzern. Der «österreichische» Fischer-Schi und der «österreichische» Blizzard-Schi werden in der Ukraine produziert. Blizzard wird von einem italienischen Eigentümer betrieben. Der «österreichische» Head-Schi wird in Tschechien von einer spanischen Firma hergestellt. Erst strauchelt man, dann baumelt man: darum besteht das Vagabundendenkmal in der Au aus einem Haselnussstrauch und einem Haselnussbaum. Die Bewegung der Krasnoludki in Polen, absurde zwergische Interventionen, vom Tourismusbetrieb aufgesaugt.

VATIKAN ALLES VATIKAN NIX II

Bin jetzt 40 Jahre in Wien und kenn den Türkenschanzpark nicht. ich will keinen landregen / denn dann kann ich nicht brandlegen. seine erste frau hatte er / noch in der beiwagenmaschine / beim kurven an einem felsen zerrieben / sie erschien ihm manchmal. ich hoffe / der kunst zuliebe / dass die weltrevolution von den stahlarbeitern / und schrebergärtnern / statt meinen kollegen durchgeführt wird / denn die erstgenannten sind nette menschen / und werden es nicht lange aushalten / ohne platzkonzerte / und ohne die chance, künstlerische volxhochschulen zu gründen (nach Andreas Okopenko). waunsd in hümi sogda / du wüsd kema sogda / muasd de liabsde sogda / aa midnema sogda / wäu do obn sogda / do wiasd schaun sogda / gibds nua mauna sogda / kaane fraun. Die meisten Menschen reden links und handeln rechts. Es ist, als hätte die gegenwärtige Mischung aus französischem Wutbürgertum, Staatsglaube und Staatsverdrossenheit, Gemeinschaftsgefühl und korporatistischem Eigensinn, ideologischer Enthemmung und spontaner Zerstörungslust dem Land Frankreich die Sprache verschlagen. DES LIADL HODSE SINGA LOSSN / UND WERA GÖD HOD SOI MI DRINGA LOSSN. auf da oim is guad hausn / auf da oim mochds nix aus / dea kiabua dea sogd nix / und sunsd is neamd zhaus. Mei muaddal mochd knedl so kloani / drum issi´s aum liabsdn aloani. Pöchlarn verkümmert zwischen der Lärmschutzwand der Westautobahn und dem Donauhochwasserschutzdamm. Beide gelten als Segen für die Bevölkerung, nach genauerer Betrachtung stellen sie sich als Faktoren der Zerrüttung heraus. Der Damm zum Beispiel zerstörte die Jahrhunderte alte Symbiose von Fluss und Städtchen. Pöchlarn liegt da wie in Deckung gegangen. Wer so geschützt wird, ist verloren. Weg mit dem Hochwasserdamm. Der Strom hat Pöchlarn schon so viel gegeben, sogar den Ruf der Nibelungenstadt. Dafür darf die Donau doch bitte alle zehn Jahre ihren Schlamm durch die Erdgeschosse jagen, um Gottes willen! Mondstaub ist eine Plage. Extrem fein, kaum abschüttelbar. Es ist derzeit einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus. Erster Weltkrieg, Schlacht an der Somme, 1916: von den 120.000 beteiligten Briten starben 57.000 am ersten Tag, 19.000 in der ersten Stunde. Franzobls Vorschlag, Blunzngrestl in das Weltkulturerbe aufzunehmen. Ein Quedlingsburger Rechtsanwalt mit eigener Weltanschauung ist eine sonderbare Erscheinung. Gibt es gutartige Tumore in einem bösartigen Leben? Die österreichische Linksfahrordnung überraschte die deutsche Wehrmacht. Am Tag des Anschlusses, beim Einmarsch, gab es 25 Tote durch Verkehrsunfälle. Dass die Wehrmacht an diesem Tag sechs Flugzeuge verlor, muss andere Gründe haben. Neuer städtischer Brauch: Schlafen auf fremden Menschen in den Öffis. Antifluglärminitiativen: Fliegt nicht über Liesing! Fliegt über Gloggnitz! Fassbinder lehnt Preis für Film «Deutschland im Herbst» ab. Woody Allen-Lexikon, Stichwort intellektuell: W. A. gilt als intellektueller Komiker, wofür zu 50 % seine Brille und zu 50 % der Umstand verantwortlich ist, dass er sich über Intellektuelle lustig macht. Der Owengl (Kürzel für die Standard-Engel-Figur in der Otto Wagner-Kirche am Steinhof) als Symbol des Widerstands gegen den Ausverkauf. bist du mir fremd oder bist du mir fremd / fragst du mich nach heftigen denkvorgängen / auf der suche nach schluplöchern in meine welt / ja, ich fühle mich auch in nichtraucherlokalen wohl / im workshop «wie vermeidet man lärm während der revolution» / oder in der vorlesung / in der ich erfahre / seit wann die menschen BITTE und DANKE sagen / lass mich in dieser kuriosen welt / vier tage – dann hab ich sie ohnehin satt / und komm zurück in dein balkonien. Das Kinderheim als totale Institution. Innovative GEWISTA überraschte Zetteldichter Seethaler mit einer Anzeige wegen «fortgesetzter gefährlicher Drohungen». Er hatte mehrmals angekündigt, weiterhin seine Gedichte auf Werbeplakate zu kleben. Obdachlose Frauen erzählen, dass es sie nicht vor männlicher Gewalt schützt, wenn sie seit zwei Wochen ungewaschen sind. Stattdessen können sie sich vor aggressiven Männern schützen, wenn sie sich in sechs Mäntel hüllen. Die Aussicht auf die beschwerliche Arbeit, sie nackt zu kriegen, turnt die Herren ab. Ich habe Erfolg, aber keinerlei Wirkung (Tucholsky). Das bürgerliche Gesetzbuch beruht in seinem Rechtsdenken vollkommen auf dem römischen Recht, das Heinrich Heine als die Bibel des Egoismus bezeichnete. Dieser gepriesene Rechtskodex sei ihm als Jurastudenten immer verhasst gewesen, weil er ermögliche, dass Räuber ihren Raub durch Gesetze schützen. Vor 1914 brauchte man nur Bahnfahrkarten, um durch ganz Europa zu reisen. Obwohl Katholik der Herkunft nach, war er gänzlich humorlos. Das Nihilistische dieser Religion hatte nicht einmal einen Bodensatz von heiterer Skepsis in ihm hinterlassen (Oskar Maria Graf).

VATIKAN ALLES VATIKAN NIX III

Der Lexikon-Roman von Okopenko zählt für mich zu jenen literarischen Werken, die mir den Mut zu schreiben nehmen. Satz für Satz ein Leseabenteuer, ein Dschungel aus verspielten Kombinationen. Wer Widerstand leistet, kann nur überleben, wenn er sich eingliedert, meinen Adorno und Horkheimer. SEID GELIEBT UND AUSGELÖFFELT / WENN IHR AUCH NUR SUPPEN HEISST. Ein Mann betritt das Café Da Capo in der Laxemburgerstraße. Wie geht’s, fragt ein ihn ein Hawerer. «Des Leben ist hoat und mei Frau haasd Herta», antwortet der Eintretende. Wer nur durchs Restaurant ruft «Einen Kaffee», hat schon verloren, er zahlt 7 Euro. «Einen Kaffee bitte» ist schon besser. Einen abscheulichen Plan des zukünftigen zweiten Bezirks, ein einziges regelmäßiges Raster, legte Otto Wagner der Stadtverwaltung vor. Der Plan wurde zurecht nicht realisiert, aber Otto Wagner bleibt uns für immer entzaubert. Weder Lienz noch Lainz haben einen See, nicht einmal Linz. Nur Lunz hat einen. Warum darf eine Frau nicht Priester sein? Bischof Kapellari: «Ich verstehe, dass das viele Menschen nicht begreifen. Die Päpste haben mit der ihnen aufgegebenen lehramtlichen Autorität und keineswegs in Geringschätzung von Frauen erklärt, dass eine Weihe nicht möglich ist. Das kann man nicht einfach als irrational abqualifizieren. Der Priester repräsentiert den menschgewordenen Gottessohn Christus und ist als solcher nicht ersetzbar. Das Christentum ist keine Naturreligion, sondern eine Religion der Heilsgeschichte. Es glaubt also an einmalig Geschehenes. Daran stoßen sich immer wieder Zeitgeist und Weltgeist.» Die Sozialistische Linkspartei (SLP) zum Ausgang der Nationalratswahl: «Mit etwa 1000 Stimmen (für ganz Österreich) ist das Ergebnis nicht schlecht». Wieder ein eigenes Gedicht: Oh Land der Seen! Und ein kleineres: gravitation // wirf katzen in die luft / sie fallen auf die füße / wirf sätze in die luft / sie landen als botschaft / oder als rätsel. Wer Lateinamerika wirklich verstehen will, muss Roberto Bolanos Monumentalwerk «2666» lesen. Alle meine Krankheiten haben zu mir gepasst. Was sich von vielen meiner Gesundheiten nicht sagen lässt. Größenwahnsinnig wie kleine Berge, zu alt für Motorräder, zu schüchtern für das ganz große Verbrechen (Wolf Wondratschek beschreibt seinesgleichen). Kann man heute Bücher von Roger Garaudy lesen? Die USA geben mehr für ihr Militär aus als die 13 nachfolgenden meistgerüsteten Staaten zusammengenommen. Ausflugstipp: Kellergasse Raschala bei Hollabrunn. Ich heiße Karajan, sagt der Dirigent vor der Rezeption, nachdem er erfahren hat, dass das Hotel restlos ausgebucht ist. «Und waun S´ da Conrads wärn», weist ihn der Rezeptionist ab. Der Papst bestellt sich eine Umfrage unter dem Kirchenvolk: «Wie steht es um die wirkliche Kenntnis der Lehren der Bibel, um die Kenntnis von ‚Gaudium et spes’, ‚Familiaris consortio’ und anderer Dokumente des nachkonziliaren Lehramts über die Bedeutung der Familie nach der Lehre der katholischen Kirche?» Besäße ich ein paar Leben, würde ich den Ruhestand in einem dieser Leben dafür verwenden, James Edwards 14-bändige Darstellung des Landkriegs an der Westfront des Ersten Weltkrieges aus britischer Sicht zu inhalieren. Am Himmel brennt das brave Abendrot: vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot. 2022, Fußball WM in Katar: Man kann Stadien aufheizen. Aber kühlen? Ganz abgesehen davon, dass die nach Katar reisenden Fans beim Verlassen des Stadions, wenn es denn wirklich zu kühlen wäre, einem Hitzeschock ausgeliefert wären. Die Einheimischen gehen nie ins Stadion, sie haben Klimaanlagen und große Screens. Die ethnischen Gruppen des Vatikan: Petersdomestiken, Vatikanaken; Vatikannaillen. Die Gewässer des Vatikan: Schweizergardasee, Vatikanal. Der aktuelle Film im Vatikankino: Die Pfarrerflucht des Kardinallah. Die Institutionen des Gottesstaates: Sixtinische Kapazität; Petersiliendom; Sexdienliche Kapelle. Ferguson relativiert die Erzählungen von der «Kriegsbegeisterung der Völker» im Jahr 1914. Die Mehrheit der patriotischen Pro-KriegsdemonstrantInnen in London, Paris, München und Berlin waren keine Arbeiter und Bauern, sondern Mittelschichtsangehörige, was man an den Panamahüten in den historischen Fotos erkennt. Dem Rabbi wird gemeldet, dass der Mann, den er wöchentlich aus der Armenkasse unterstützte, sich eben das Beste aus dem Markt geholt habe und wie im Schlaraffenland schlemme. Der Rabbi erwiderte: Ich muss ihm sofort sein Wochengeld erhöhen. Ich konnte ja nicht wissen, dass er so anspruchsvoll ist. wir alle wünschen jedem alles gute / dass der gezielte schlag ihn just verfehle / dass er, getroffen zwar, sichtbar nicht blute / dass, blutend wohl, er keinesfalls verblute / dass, falls verblutend, er nicht schmerz empfinde / dass er, von schmerz zerfetzt, zurück zur stelle finde / wo er den falschen schritt noch nicht gesetzt / wir jeder wünschen allen alles gute (Ernst Jandl)

TIEFSEEKRAKENKULT I

10 Jahre kleben / Das ganze Leben / Auch aus einem Gammler / wird manchmal ein Sammler. Man kann eine Zeitung nach der Anzahl der Krawatten beurteilen, die man aus ihren Fotos schnipseln kann. Der Augustin ist übrigens völlig krawattenlos. «Wenn Menschen ernordet werden, bloß weil sie ausgehen, in Cafés und Restaurants sitzen, ein Konzert oder ein Fußballspiel besuchen, dann geht es um den Kern der westlichen Kultur. Wie kann man sich dagegen wehren?» (FAZ 2015). Man kann sich wehren, indem man sich für die tausenden Zivilpersonen entschuldigt, die Opfer der «humanitären» Schläge westlicher Armeen wurden; auch sie saßen in Cafés und Restaurants. Man kann sich wehren, indem man sich für den Kolonialismus entschuldigt, der die Kolonialisierten gar nicht erst in die Restaurants hineinließ. Wurde Pablo Neruda doch ermordet? Fielen heute die Mongolen in Österreich ein und errichteten ein Regime, das die soziale Utopie verwirklicht, oder eher als je ein Regime an diese herankommt, ich für meinen Teil würde diesen Kulturbringern zu Ehren alles was irgendwie an meine österreichische kulturelle Abkunft erinnert, schmerzlos und unhinterfragt der Klospülung überantworten, Mongolisch zu meiner Muttersprache machen, freudig das Spiel der Rosshaargeige erlernen und auf meinem Steppenpferd den ganzen lieben Tag jagend und träumend durchs Marchfeld preschen, als hätte ich, wie meine Ahnen zuvor, und deren Ahnen und Ahnensahnen, nie etwas anderes gemacht (Richard Schuberth). George Bush auf der Klimakonferenz in Rio 1992: Der amerikanische Lebensstil ist nicht verhandelbar. Das kanadische Kabinett entspricht der Bevölkerung: 2 Mitglieder gehören zu den indigenen Völkern, 3 sind nicht in Kanada geboren, sondern in Indien und Afghanistan, 2 sind Sikh, 2 sind Muslime, 1 hat Brustkrebs, 1 ist im Rollstuhl, 2 sind Atheisten, 1 ist blind, 1 ist offen schwul, 1 ist offen rothaarig. Die DDR war ein Geschenk für eine Generation der Besiegten, die hier einen schönen Lebensabend verbringen durften. Das war´s. Es gab in der DDR unglaublich viel Zeit. Offene Frage: War die DDR, deren Gründung bekanntlich als Gegengründung erfolgen musste, nach der Proklamierung der Bundesrepublik Deutschland, in keinem Augenblick lebensfähig? Potlatch-Buchpräsentation in der Arenabar: 44 BesucherInnen, vor allem Ex-GenossInnen aus der KP und Augustin-FreundInnen. Meine direkten ArbeitskollegInnen interessierte das Buch nicht die Bohne. Die Fotoserie zum Thema Zäune und Mauern. Auswahl peruanischer Kartoffelsorten: quevillos, yuraq ghachun wacachi, acac kuman, waca urpi, saqra maki, puko ghachun wacachi. Die vier Kardinalstugenden des Journalismus, nach Albert Camus: Klarsicht, Verweigerung, Ironie und Hartnäckigkeit. Wenn´s irgendwo «Komm und sieh» von Elen Klimov spielt – dann nichts wie hin. Der Vorsitzende der Schweizer Volkspartei, der größten Partei des Landes, auf die Journalistenfrage, wie viele Flüchtlinge pro Jahr die Schweiz problemlos aufnehmen könne: «Hundert.» Eine schöne utopische Stelle bei Marx, Deutsche Ideologie, nimmt ein bisschen Illichs Entschulung der Gesellschaft vorweg. Der Mensch wird auch weiterhin die Städte anderer Menschen zerstören (Hesiod, vor 27 Jahrhunderten verfasst). Die afghanischen Flüchtlinge haben kein Geld und kennen das Meer nicht. Sie sehen es bei der Flucht zum ersten Mal. Die syrischen Flüchtlinge kennen das Meer und haben Geld. Gerald Grassl, Kleinverleger: «Polatch» ist viel zu gut für unseren Verlag. Irgendwann wird er zur Weltliteratur gezählt werden. Innerlich schön gebliebene Akademiker suchen junggebliebene AkademikerInnen. Will you still need me / will you still feed me / when i´m sixty-four? Bachofen verwendet den Begriff «Matriarchat» nie. Es ist das Recht des Lesenden, Schlüsse aus dem Text zu ziehen, von denen der Text nichts weiß. Nichts ist schwerer zu ertragen / als eine Reihe von guten Tagen (Goethe). Es ist schwer ein Gott zu sein: Film nach dem gleichnamigen Roman der Gebrüder Strugatzki. Die Dreharbeiten zogen sich über sieben Jahre hin, danach saß Regisseur Alaksei Geman weitere sieben Jahre im Schnittraum, und nach seinem Tod brachten seine Witwe und sein Sohn das dreistündige Werk zu Ende. Zwei Drittel der US-Bevölkerung können die Milchstraße nicht mehr erkennen. Johann Heinrich Pestalozzi geißelte die Wohltätigkeit als «Ersäufung des Rechts im Mistloch der Gnade». Eigenartiger Säkularisierungsprozess: keiner der bekannten Fußballer, außer vielleicht der heilige Alaba, geht in die heilige Messe, aber wenn sie ins Stadion einlaufen, küssen sie den Boden oder bitten mit Blick himmelwärts einen da oben Lebenden um Kraft zum Toreschießen. Es gibt Länder dieser Erde, die in den Nachrichten nicht vorkommen, vor allem nicht in den Mainstreammedien. Zum Beispiel Barbados. Man kann heute nur in langweiligen Staaten leben. Deshalb kommen dann viele – und vorbei ist´s mit der Langeweile.

TIEFSEEKRAKENKULT II

Der Karabinerschenkel springt über die Nase nach vorne in den Blockiermodus. Die Bremshandposition muss stimmen. Alle drängen in Richtung Mehrseillängenrouten. Es gehört zu einer erwachsenen demokratischen Kultur, dass Bilder von Staatsoberhäuptern nicht die Größe einer Briefmarke übersteigen. Die Entdeckung des Perinetkellers. Vor 50 Jahren der heißeste Punkt der Hauptstadt trotz seiner Feuchtigkeit. Ist die «leichte Sprache» ein emanzipatorisches Projekt? Die Produkte der Technologiemesse CES lassen sich in 3 Kategorien einteilen: funktioniert, ist aber langweilig / echt cool – aber erst in einigen Jahren fertig / völlig gaga, braucht kein Mensch. FREE SCHACH: ein von Gunter Falk erfundenes anarchistisches Tischspiel, unter anderen von Joe Berger beherrscht. Können Sie mir sagen, wie ich zum Naturhistorischen Museum komme? Wos woins duat? Lossns Ihna ausstopfn? Ein Philosoph aus Karlsruhe behauptet, Deutschland leide an thymotischer Unterversorgung, einer Armut von Zorn und Wut (Thymos). Die athymotischen Piefkes können gegen die hochthymotischen Muslime nur den Kürzeren ziehen. Ich legte meinen Körper hin und ging weg. Das muss geübt werden, das gelingt nicht aufs Erste. Nichts war schwieriger als in einem «sozialistischen Land» ein Sozialist zu bleiben. Geh flida fladan / an flida flada / an flida fraunz / i bin heit genau / a joa dei frau. Am Beispiel der Demo gegen den spanischen Faschismus 1975 in Wien ein Vergleich der Mobilisierungskraft der Linken, gelesen in Oberschlicks FORVM: SPÖ: 1500 Personen; KPÖ: 2000 Personen; FÖJ: 800 Personen; GRM: 600 Personen; KB: 1000 Personen; schließlich ein paar hundert Linkskatholiken. Nichtzuordenbare waren damals Rarität. Die weißen Enkeln der weißen Kolonialherren, die noch keine Gedanken über das Patriarchat verschwendeten, entdecken den Feminismus in dem Moment, wo der erste arabische Flüchtling eine blonde deutsche junge Frau begrapscht; gefallen sich als Retter dunkelhäutiger (das Dunkle ist reine Einbildung) Frauen vor den dunkelhäutigen Männern (bei ihnen stimmt das Attribut «dunkler als wir selbst»), die ihre Frauen in Burkas zwingen; können plötzlich exakt unsere abendländischen Werte und die der unzivilisierten Welt des Orients definieren und schwören, durchzusetzen, dass alles bleibt wie es ist: dass die Gleichberechtigung der Frau im Zentrum des westlichen Werteempfindens stehe. Ich beschreibe da ein bisschen die KollegInnen vom Aktionsradius, dessen Team langsam auseinandertriftet. Ossi Wiener vernichtete 1959 sein komplettes literarisches Werk und wurde Computerexperte bei Olivetti. 1968 beteiligte er sich bei «Kunst und Revolution». Alle österreichischen Zeitungen sind mehr oder weniger identisch mit dem «Pinzgauer Waldboten» (Günter Brus in der «Schaastrommel»). Brus, eindeutig der klarste Denker der Aktionisten, ist laut Gutachten des Psychiaters Gross (sic) der Minderbegabteste der Gruppe. Der Augustin lehrt die SchülerInnen des Gymnasiums Kundmanngasse, wo man aus Gründen der Zivilcourage Verordnungen missachten muss. Das Meer und die Geliebte: Was nicht anwesend ist, ist es manchmal dadurch gerade sehr. Von Robert Walser nur der Satz hinterm Doppelpunkt. Wunderschönes Gedicht der mir naturgemäß unbekannten Verena Staufer. Ein wirklich großer Gedanke passt nicht mehr zu mir. Braucht Kunst die Methoden der Wirtschaft? Bis zum letzten Tropfen! Wollt ihr die totale halbe Wahrheit der Begierde? Straftaten gegen Flusskreuzfahrten unter Tränen verdreifacht. Schatz tanke Finanzen und genieße glücklich die Börsen. Die Liste der Aktionisten-Performances im Perinetkeller. Gründe, warum die Revolution in Marokko und Algerien beginnen wird. Der Großstadtjäger kam in Rom an. Er mochte das Kolosseum schon in seinem gegenwärtigen Zustand. Es wird großartig sein, wenn es fertig ist, sagte er jedem. Das Erlebnis «Fahren» kann einen Zustand der höchsten Ruhe oder aber der höchsten Bewegung schaffen. Aufda Wisn singda Haischregg / und auf amoi isa schdaad / so hod eamda Baua / den Schel ogmahd. Kein Künstler ist von allen Seiten überzeugend. Entweder ist er zuwenig Clown, oder zuwenig Magier, oder zuwenig Seher, oder zuwenig Rebell. Großes selbst zu erfahren ist längst keine gültige Devise mehr. Auf zu neuen Abenteuern, solange die Landschaft noch nicht still wie ein unausrottbarerer Gott daliegt. Der große Wagen für die Zukunft hat vier Gänge: einen Vorwärtsgang, drei Rückwärtsgänge – wie die italienischen Panzer im Weltkrieg. Man fährt nur mit dem Herzen gut, es sei denn, man benützt die Schweizer Eisenbahnen. KünstlerInnen sollten sich weigern, U-Bahnstationen künstlerisch zu gestalten. Entweder nur Kunst – oder nur Kommerz, sollten sie sagen. In der neuen Düsseldorfer U-Bahnlinie fehlt jegliche Reklame, jegliches Logo, jegliches Plakat, jeglicher kommerzielle Kiosk. Wie befreiend. Nur Kunst. DO YOU LIKE BEUYS? NO, GIRLS.

FAST EIN NICHTS BEINAH I

Verlautbarung des Instituts ohne direkte Eigenschaften: Wir wollen nicht abstreiten, dass wir in der Programmierung des Perinetkellers an einem positiven, wiewohl marginalem Aspekt des Wirkens der Aktionisten in den 60er Jahren anknüpfen: an die Idee, dass Kunst etwas mit Revolution und Revolution etwas mit Kunst zu tun hat. Der Linksextremismus der Zeitung Ziegelbrenner. Der aufgedruckte Preis dieses Heftes gilt für alle Länder der Erde. An alle! Keine Revolution führt zum Ziel, wenn nicht vorher die Presse erbarmungslos vernichtet wird! Hasserfüllte Menschen schaden dem Gehassten kaum. 17 Millionen Starbucks-Umsatz im Jahr 2014 in Österreich ergäben 3 Millionen Umsatzsteuer. Die Firma zahlte 814 Euro. Kann man einen Satz, der sich über eine ganze Buchseite ausbreitet, so lesen, dass der Zuhörer wahrnehmen kann, dass es in dem Text absolut an Punkten mangelt? Die Neurochemie verwandelt die Befindlichkeit einer Person in den Befund eines Organismus. Das Handbuch der psychiatrischen Diagnosen, das die «Krankheiten» klassifiziert, wird von der Pharmaindustrie finanziert. Das Unglücklichsein bekämpft man durch die neue Glücks-Tablette. Muss eine liberale Gesellschaft Kinderstarshows und Männer in Trainingshosen mit Kampfkötern aushalten? Die Burkaverbotsdiskussion als koloniales Vermächtnis. So wenig das Tragen eines Nikab ein Zeichen für die Freiheit seiner Trägerin ist, sowenig ist es ein Bikini. Ein Verstoß gegen das Burkiniverbot kostet in Nizza 38 Euro. Betroffene Frauen brauchen nur eine Mail an einen bekanten französisch-algerischen Kapitalisten schicken. Er zahlt ihnen die Strafe und macht die Verbotspolitiker zu lächerlichen Figuren. Hungrige speisen / Dürstenden zu trinken geben / Nackte bekleiden / Fremde aufnehmen / Kranke besuchen / Gefangene besuchen / Tote begraben / Sünder zurechtweisen – die leiblichen Werke der Barmherzigkeit. Die Kunst ist die letzte Enklave der politisch Besiegten. Liste der Mitglieder des Herrenhauses 1861 bis 1918. Die städtischen Bestattungen des Tages in München, ein Service der Süddeutschen Zeitung. Mit Namensliste. Unglaublich, dass das ein Ausschnitt aus der Population der bayrischen Hauptstadt ist. In der Auflistung fehlt die Vielfalt der Namen, die einer multikulturellen Stadt angemessen ist. Die Namen könnten genauso gut auf den Gräbern eines beliebigen Innviertler Dorffriedhofs stehen: Bauer, Gimpel, Holzbock, Brunnthaler, Fesslmeier, Reschmaier, Mayr ... Bürgerbauern oder Bauernbourgeoisie? Nach der Lösung der Klassenfrage werden sich die KommunistInnen der Lösung der Welträtsel widmen, was für sie als Anhänger der Erkennbarkeit der Welt von geringer Anstrengung sein wird. Jeder Trottel kann heute französischer Premierminister werden? Das spricht nicht gegen den Trottel, der keiner ist, sondern für die Durchlässigkeit des politischen Systems: Trotteln, Kleinhäusler und Köchinnen können den Staat regieren, ohne je in Oxford auf Cambridge geschissen zu haben und umgekehrt. Was werden das wohl für Leute gewesen sein, die in den ostbayrischen Alpen drei Gipfelkreuze an einem Tag umgehackt haben? Den Marokkanern ist alles zuzutrauen, sogar die Unfähigkeit, mehr als ein Kreuz pro Tag zu fällen. du brauchst einen baum / du brauchst ein haus / keines für dich allein / nur einen winkel ein dach / zu sitzen zu denken zu schlafen / zu träumen zu schreiben / zu schweigen / zu sehen den freund / die gestirne das gras die blume den himmel. Mayröcker. Der Alpenverein ist nicht für die Gipfelkreuze zuständig, sagt die Leiterin der Kulturabteilung des Alpenvereins. Mein Vater erzählt mir, russische Soldaten hätten ein Wettschießen auf das Gipfelkreuz der Veitsch veranstaltet, als er, der Wanderer, am Gipfel angelangt war. Okkupantenwillkür? Angewandter Atheismus? Ich möchte in einer Zeit leben, in der es fünf traditionelle WIENER Fußballklubs gibt, die in der obersten Liga auf gleicher Augenhöhe sich Derby auf Derby liefern: Rapid, Austria, Vienna, Sportklub, FavAC. Robbenroboter, die winseln und quieken, wenn sie von Patienten gestreichelt werden. Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet. Buchkritik muss ständig das kritisieren, was die Verlage gerade gerne herausgegeben haben. Der Kritiker wird zum Afterliteraten. Jedes Kind muss programmieren lernen, fordern die Vertreter der effizienten Erziehung. Ich möchte in einer Stadt leben, dessen Himmel, wenn ich in ihm schon nicht die Sterne erkennen kann – morgens und abends sich verdunkelt durch den Schwarm der Raben. polizisten anzuschreien / ist das schwerste / was leicht zu machen ist. Die drei von allen geliebten Spinner des Weinviertels sind Friedl Umschaid aus Herrnbaumgarten, Hermann Bauch aus Kronberg (gest. 2006) und Peppi Geißler aus Niedersulz. Ich sollte mich auf die Suche nach einer anderen Kategorie von Spinnern machen, die nicht angetreten sind, die Region zu verschönern.

FAST EIN NICHTS BEINAH II

Präsidentschaftskandidat Trump und sein innerparteilicher Konkurrent lieferten sich vor laufender Kamera einen Streit, wer von ihnen den längeren Schwanz habe. Die Kriminalgeschichte der Vergiftung des «Süßen Flusses» in Minas Gerais durch eine Eisenerzmine. Der Umsatz der thailändischen Rotlicht-Branche entspricht 14 Prozent des BIP. Phettberg kündigt Besuch im Perinetkeller an: Herzlieber Robert, selbstverständlich werd ich mit vollen Windelhosen bei euch antanzen (er kam und hielt scheinbar drei Stunden durch, ohne sich anzubrunzen; vielleicht aber saugten die Windelhosen alles unmerklich auf). Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland bitten einander in einem 100-seitigen gemeinsamen Text um Vergebung für ihre Herabsetzungen und Gewalttaten. Kinder, das interessiert doch heute keine Sau mehr. Die Vergebensbereitschaft muss man inszenieren wie mit jenem ironischen Happening, mit dem sich die fiktive Augartenstadt für die Vernichtung Magdeburgs im 30-jährigen Krieg entschuldigte. Frühstücken am Gehsteig vor dem Perinetkeller. Ein Irokese, der im Haus darüber aufgewachsen ist, kommt aus purem Zufall vorbei. Er schreibt an seiner autobiografischen Geschichte, Ein Irokese aus Wien. Kann sich vorstellen, dass im Keller aus dem Konvolut gelesen wird. Er würde sich ins Publikum setzen und seine Identität nicht verraten; so könne er beobachten, wie die Leute auf seine Texte reagieren. Terminvereinbarung will er keine: «Manitou hat mich zu euch geführt, Manitou wird auch entscheiden, wann es zur Lesung kommt.» Man sieht einem Indianer nicht den Ironiegehalt einer Aussage an. Diverse 4Beindl: Äffl, G.Pardl, Elfantl, Hasl, Löwl usw. Manifest DER KELLER SPINNT. Die einzige Grenze, die man anerkennen kann, ist die Latschengrenze. Oberhalb derselben fällt das unten gewohnte Siezen ab wie die Alltagsniedergeschlagenheit. DER KELLER GEHT AUS; zum Beispiel zu VALIE EXPORT nach Linz. Anlässlich der Brennholzlieferung werde ich zurechtgebogen: Man sagt hier nicht Kubikmeter, man redet von Festmetern. Rosenhan-Experiment in psychiatrischen Spitälern. Nicht die Ärzte und das medizinische Personal entlarvten die neun Selbsttestpersonen, die sich unter dem Vorwand, schizophren erkrankt zu sein, den Patientenstaus erschlichen und sich nach der Aufnahme in der Klinik, wie besprochen, in jeder Beziehung normal verhielten. Stattdessen fiel der Schwindel manchem der Mitpatienten auf. Einer von ihnen wurde die Phantasie nicht los, eine führende Zeitung habe einen Undercoveragenten in die Anstalt geschmuggelt. Die Studie machte offenkundig, dass man in psychiatrischen Kliniken Gesunde nicht von Geisteskranken unterscheiden kann. Franzobel und seine Blunzngrestl, nach deren Genuss er kistlbrunzen muss. Eigenbau: wenn der rausch vorüber ist / hören die farben zu leuchten auf und die poren zu atmen / die stadt wird wieder grau / und ich muss durch mund und nase atmen / was ist das für ein leben / ewig die luft durch die nase zu zuzeln. Halluzinogene Bienen. 80 Millionen Bomben liegen noch im neutralen Laos, die Zahl derer, die im Frieden zerrissen werden, wird unvorstellbar sein. Wauni nua mein Dsudslflek weggawoschn kennt. Seltsames Gedicht über die Hunnenolympiade in der ungarischen Puzsta. Sebestyen über Helmut Qualtinger: Er tat alles, um sich selbst zu vernichten. Graslos waren meine Zimmer immer, lange Zeit auch grasslos. Oskar Mazerath ist immer noch ein Unbekannter für mich. Nach dem Beispiel der Weltbühne des (letzten) Jahrgangs 33 eine Rubrik VERLUSTANZEIGE einrichten, auf der alles, was aufgrund der neoliberalistischen Durchdringung unserer Gesellschaften aus unserem Leben verschwindet, dokumentiert wird. Da eine autochtone Schmetterlingsart, dort der Blick auf die Milchstraße. Die Willkommenskultur ist gekippt, Ablehnung der Flüchtlinge macht sich stattdessen breit, konstatiert der Standardjournalist im Gespräch mit dem evangelischen Bischof. Der widerspricht: Nie gab es mehr ehrenamtliche HelferInnen als seit dem Beginn der syrischen Katastrophe. Sie leisten heute unsichtbare Solidaritätsarbeit, weil sie in den Medien nicht mehr vorkommen. Die Medien sind gekippt, nicht die Zivilgesellschaft. Dennoch hat auch Brecht recht; Was für eine Kälte muss unter die Leute gekommen sein. Im Jänner 1933 frohlockte die Weltbühne über den überwundenen Höhepunkt des Aufstiegs Hitlers, und zwei Monate später war die Zeitung verboten. Und die Demos gegen das Verbot. Die Gesichter des republikanischen Parteitags. Daschauher – die Neutralität steht vor der Gemütlichkeit und dem Schweinsbraten unter den österreichischen Essentials. Und hurrah, wir haben einen neuen Musil, den Krone-Leserbriefschreiber Dkfm Edi Musil. Blütenlese: In den Erfindungen, Ideen / wir unsren größten Rohstoff sehn / Drum muss auch Bildung danach trachten / dass auf Begabungen wir achten.

FAST EIN NICHTS BEINAH III

Der gesunde Menschenverstand ist die Ideologie des Spießbürgers. Puritanische Verschärfung, Synonym von Wachstum des religiösen Fundamentalismus. Monotheismus, genau wie Religion im Allgemeinen, ist immer ambivalent. Natürlich verleitet ein Gott wie der jüdische, der sich ein Volk unter allen Völkern auserwählt, zur Gewalt gegen die Nichtauserwählten. Ein Sortiment von Flaggen, auf die niemand scheißen wird, nicht einmal wenn damit der Aktionismus persifliert würde. 8 Fahnen der 8 unschuldigsten Staaten der Welt. Warum schauen in der Regel die Zebras in den illustrierten Zoologiewälzern nach rechts, vom Leser aus gesehen? Konstantinopel war ein Jahrtausend lang, von 300 bis 1300, die reichste, zivilisatorischte und schönste Stadt der Welt. Was wird das sein in 1000 Jahren, wo heute New York steht? Zebraherdenweide? Die Eigenschaften der Avantgarde, nach Eysteinsson, sind: radikale Darstellung, der Schock des Neuen, das unvollendete Werk, die Hervorhebung des Arbeitsprozesses, das Manifest als Genre und Ausdrucksform, Anti-Ästhetik, Anti-Kunst, Performanz, Spiel in der vollen Mehrdeutigkeit des Wortes u. a. Die Worte des neuen Subcomandante Galeano: Am 1. Jänner 1994, vor 22 Jahren, machten wir das Basta!, das wir in würdigem Stillschweigen zehn Jahre lang vorbereitet hatten. Unseren Schmerz verschweigend, bereiteten wir den Schrei unseres Schmerzes vor. Aus Feuer war damals unser Wort. Und wir sahen, dass uns kein anderer Weg mehr blieb, als unsere Waffen zu nehmen. 37 Kampfelefanten im Heer Hannibals, als er aufbrach. Bei der Schlacht am Trasimenischen See lebte nur noch einer, Suru. Ich, Anhänger aller eigenartigen Listen, sollte mich auf die Suche nach den Namen der 36 zu früh gefallenen begeben. Keine Frau kann sechs Gynäkologen, die um ihr Krankenbett herumstehen und medizinlateinisch reden, überleben. Bis ins 19. Jahrhundert hatten viele Städte noch ihre eigene Zeit. Als die Eisenbahnen aufkamen, ging das nicht mehr. Peter Ahorners skurriles Gedicht «Trotz Wien». 2 aus 34 Strophen: Vollmond, mach die Trenndiät / Sonst verschütten alle / Fetter warst du heuer nie / Hör bloß auf mit Lila // Kathedralen kühlen uns / Steinmetz Pfingsten kudert / Liturgie im Schlotterhemd / Corpus Christi lüfttet... Der ist im Fußball ganz schlecht = Dea kaun nedamoi an Hüüdrantn üwaschbüün. Wü eam a Guakal mochn und gneisd ned, dass da Hüüdrant kane zwa Haxn hod. Die einzige Grenze, die wir anerkennen (außer der Grenze Islands), ist die Latschengrenze bzw. obere Baumgrenze. Der Weiße erobert die Welt. Gemeint ist der weiße Plastiksessel, stapelfähig. Die Frage, ob es in Österreich einen authentischen Spitzenpolitiker gäbe, hinterlässt allenthalben Friedhofsruhe, tatsächlich liegen die wenigen Authentischen in den Ehrengräbergruppen des Zentralfriedhofs. Wenn in Moskau die Schneeflocken fielen, schalteten die kommunistischen Schipistenbetreuer Tirols die Schneekanonen aus. Burkaverbot? Von rund 2 Millionen in Deutschland lebenden Muslimas tragen rund 300 eine Vollverschleierung. Fürze lassen sich leichter mit eingebildeten Hämmern an die tragenden Wände nageln. Vor jedem Länderspielgegner legt sich das Volk von San Marino nieder und zelebriert seine Niederlage. Die sensationell unsensationelle Rurik VERLUSTE in den letzten Ausgaben der «Weltbühne»: Folgende hohe Beamte wurden ihrer Ämter enthoben ... Folgende Zeitungen wurden verboten ... Folgende Versammlungen wurden aufgelöst ... Die Clique eines Jugendlichen namens Manés Sperber. Mädchen wie Jungen gewöhnten sich daran, sich stockgerade, den Kopf hoch, ein ganz wenig zurückgeworfen, zu halten, niemals dahinzutrotten, sondern auszuschreiten. Auch im Winter blieben unsere Hemdkragen offen (...) Wir gingen stets barhaupt, niemand benutzte je einen Schirm. Der Regen durfte uns nicht stören, und nie wurden Wanderungen wegen schlechten Wetters abgesagt. Das hätte Pose sein können, doch war es eher eine Kundgebung der völligen Unabhängigkeit gegenüber aufgezwungenen Bedingungen, ein Beweis der Freiheit.

FAST EIN NICHTS BEINAH IV

Mutmaßungen der Kronenzeitung über die Gesellschaft: «Das dringende Bedürfnis nach radikaler Veränderung haben wenige. Der Stolz der Österreicher auf die Heimat soll größer geworden sein.» Die Heimat besteht aus schönen Bergen, guter Küche und verstorbenen Musikern. Der Linkskandidat der US-Präsidentenwahl, der Demokrat Sanders, forderte seine innerparteiliche Konkurrentin Hillary Clinton auf, die Rede zu veröffentlichen, die sie für ein sechsstelliges Honorar vor Wallstreet-Bankern gehalten hätte. Sie weigerte sich logischerweise, das zu tun; mittlerweile ist die Rede bei Wikileaks zu lesen. In angloamerikanischen Fachdiskursen beginnen viele Aufsätze mit dem Hinweis, bei der Verwendung von «animals» (Tiere) richtigerweise den exakteren Begriff «non human animals» (nicht-menschliche Tiere) vorauszusetzen. Merke: Die alten Religionen sind immer ambivalent, immer! Monotheismus ist immer ambivalent. Jede Praxis, die schönste und die brutalste, ist aus den heiligen Büchern legitimierbar. Ein Sortiment von Fahnen, auf die niemand scheißen wird, weil die Fahnen so bunt und verlogen sind, dass die Scheiße wie eine naturschöne ungeschminkte Nacktschnecke aussieht, die – von allem Bösen und Guten unbehelligt – so harmlos geworden ist, dass nicht einmal ein Jeannée nach Zucht und Ordnung schreit und dass auf der rotweißroten Tischschonung der Schanigärten aller österreichischen Niveaus und Milieus die Würstel vergeblich auf ihre Skandalisierung warten, weil Schonungen nun einmal dazu da sind, das Gute, Schöne, Wahre vor den Emissionen der Ausscheidung zu schonen. Wer immer Zebras zeichnete, ließ sie nach rechts schauen, vom Zeichner aus betrachtet. «Die bewaffnete Volkspolizei liebt das Volk» steht auf den Transparenten der Soldaten. Eine unerhörte Gegendemonstration symbolisiert die Zerrissenheit der Gesellschaft. «Das Volk liebt die bewaffnete Volkspolizei», schreit es von Gegentransparenten. Man kann aus Wien schlecht ausmachen, wer hier links und wer hier rechts ist. Dass die Polizei das bewaffnete Volk liebt, wird schon von den ganz Kleinen ausgeschlossen. Das bewaffnete Volk aber liebt die unbewaffnete Polizei. Unzerwaffnet ist jeder Waff plötzlich waff, wobei die Linke paradoxderweise waffer ist als die so genannte Rechte. Die Gefahr geht heute von Linkswaff aus. Treffen aber viele Zebras zusammen, herrscht Chaos in der Hütte. Kannte Hannibal alle seine 37 Kampfelefanten namentlich? Am Ufer des Trasimenischen Sees wollte er die Namen auswendig lernen. Aber es war bald bloß ein einziger Elefantenbulle am Leben geblieben. Der wusste am Ende auch nicht mehr, wie er hieß. Hiermit setze ich den Text von Peter Ahorner fort, ohne Folgen für die Welt: blutorangen dezimiert / derrische kapelle / siebn zu null verlier ma nie / geier malen kreise // spiegel spiegel an der drau / wässriges verhältnis / samon schlägt nach hinten aus / fetisch ohne forint. NEDAMOI AN HYDRANTN kann ich im Traum austricksen, ich bin schon voller blauer Flecken, die kann ich mir doch nicht im Himmel angeeignet haben, der gängigsten Utopie. Wer als authentisch bezeichnet wird, spielt den Authentischen. Er vermittelt den Eindruck, er selbst zu sein, UNVERSTELLT. Dort, wo sie gespielt wird, kommt Authentizität am wirksamsten zur Geltung. In der österreichischen Politik scheint es nur wenige Menschen zu geben, die die Rolle des Authentischen einnehmen, und naturgemäß noch weniger, die echt authentisch sind. Es wird nicht danach gefragt; gefragt ist derzeit nur, was so unverschämt lügt, dass man es nicht mehr zurückbewahrheiten kann. In einer Gesellschaft, die sich historisch und notorisch verstellt, kann man als Einzelner kaum unverstellt sein. Wenn in Moskau die Schneeflocken fallen, setzten die Gewerkschaftler der Pistenbelegschaft die Schneekanonen made in China in Gang. Die Trottelmaschine ist aber nicht auf Flocken programmiert, sondern auf massenejakuliertes nordchinesisches Riesenslalomweiß. Schneeflocken sind ja auch für Moskau zu zärtlich. Eine Ansammlung von Selbstmordgefährdeten unter ewigem Hochnebel, das ist das Bild, das du dir von Moskau machen kannst, ohne dass du die Schneeflocken prinzipiell ausschließen müsstest. Schneeflocken passen besser zu Mayerling als zu Moskau. 50 Prozent Silva, 50 Prozent Forestum – das wäre ein Verhängnis, auf das sich der österreichische Gesamtwald einpendeln könnte. Ich möchte dann der Minister für Silvae sein. Fürze lassen sich leichter mit eingebildeten Nägeln an die Wände nageln. Die Auswahl San Marinos hat von den 137 Länderspielen seiner Geschichte 132 verloren. Bis zur Vernichtung des Marxismus wird es wohl noch zehn Jahre dauern. Warum Blunzngrestl in der gehobenen Gastronomie noch immer nicht Franzobel heißen? Weil sich auch Franzobel noch nicht Blunzngrestl nennt, vielleicht.

FAST EIN NICHTS BEINAH V

Wo immer er mich trifft, erinnert mich Alex Miksch, der Liedermacher, an unsere Idee, eine Miksch-Nacht zu planen: Alle seine Lieder in einem. Seit der Nacht der 101 Lieder des Kollegium Kalksburg weiß ich, dass die Musiker an ihre Grenzen geraten. Das Publikum hingegen hätt´s fein. Man könnte um 24 Uhr gehen, aber wer bis zum Schluss bleibt, kriegt den ganzen Eintritt zurück. Ich muss ein Buch haben: Arno Borst, Der Turmbau von Babel. Und noch ein Buch: Axel Weigert, Das rote Berlin. Was treibt eigentlich der Club der fröhlichen Südburgenländer? Will eine Geschichte über die heimische Reenactment-Szene schreiben, z.B. über das KuK Infanterieregiment in Hollabrunn, das immer wieder aufs neue gegen Napoleon verliert. Im Februar 2014 hatte ich die Idee, eine Ausbildung für korrektes, menschenrechtskonformes Schleppen anzubieten. Im darauffolgenden Jahr waren hunderte AktivistInnen der Flüchtlingssolidaritätsbewegung mit ihren Privatautos im Burgenland, Ungarn und am Balkan unterwegs, um die Flüchtenden über Grenzen zu bringen. Sie brauchten meine Kurse zum richtigen Schleppen nicht. Daimler entwickelt 1905/06 einen Panzer, vor den Engländern. Der Panzer wird dem Kaiser bei einem Manöver vorgeführt. Er ist not amused. Viel zu laut, macht die Pferde scheu, so das fachmännische Urteil des Monarchen. Sympathisch unmilitärisch, also bitte kein überhebliches Auslachen, ihr Bellzisten. Die «Weltbühne» freut sich im Jänner 1933 über eine politische Trendwende; die NSDAP habe ihren Höhepunkt überschritten; im März 1933 wird sie von den noch längst nicht am Höhepunkt angekommenen Nazis verboten. Wie man sich täuschen kann. AM END A FEST. Ich tanze / ich stolpere in die RENITENTE. Franzobels Blunzengröstlhymne. Mein ü-e-Miniatürchen: der braten briet perfekt / dazu die flasche sekt / die tafel schmatzt beglückt / und fragt jetzt nach dem sükt. Einen Seethaler-Zettel pflücke man dreifach motiviert. Erstens tut man es für sich: das Gedichtchen kann man wo aufkleben und in eine Art Haussegen verwandeln; meistens wird man mit dem Inhalt einverstanden sein; in der Adventzeit ist bei Helmut immer Anti-Konsumismus-Lyrik angesagt. Zweitens tut man es für die PassantInnen. Indem sie uns pflücken sehen, begreifen sie die Bestimmung dieser am Dixoband klebenden Blätter, vielleicht beginnen sie ebenfalls mit der Ernte. Drittens tut man es für Helmut Seethaler. Der verlässt ja in der Regel den Tatort nicht, wenn er fertig geklebt hat, sondern beobachtet aus der Ferne, wie das Publikum und wie die Behörden auf die Klebeliteratur reagieren. Joseph Roth 1938: Österreich ist kein Staat, keine Heimat, keine Nation. Es ist eine Religion. Auch die Menschen aus dem sozialdemokratischen und christlichsozialen Lager fühlte sich nach dem ersten Weltkrieg als Deutsche. Dann haben 1000 Jahre (1938 – 1948) genügt, um die Sehnsucht nach Vereinigung zu tilgen.

STOLZER BLONDER NORDLANDSZORN

Zur Abwechslung was gegen den Müßiggang, tut auch hin und wieder gut. Arbeit gehört zum Glutkern des Menschen ... siehe das Glücksgefühl, wenn etwas gelingt, ein Stuhlbein oder ein Artikel. Und wenn dann die Kapitalisten in den Orkus der Geschichte gestoßen sind und alles gut ist, fischen wir am Morgen und kritisieren am Abend ein neues Buch, es braucht keinen Müßiggang, nirgends, der Glutkern wäre befreit, für alle; doch seinen Vorschein können wir heute schon hegen. Standard-Dossier über neue Technologien. Und nun bitte genießen wir alle die Sprache Robert Walsers: Wieder, wie schon so oft, wurde eine Schöne aus Unzufriedenheit mit mir uninteressant. (...) Die Landschaft lag still wie ein unausrottbarer Gott. (...) Der Tag war schön wie eine Liebe für immer, wie ein stolzer, blonder Nordlandszorn, der nachlässt. Von Italien hörte wohl noch niemand nie. Durch zu eifriges Empfohlenwordensein wurde das gute Buch uninteressant. Die Zeitung akin sucht Regisseur für das Stück «Heimat so weit, weit aus der Zeit». Aus Phettbergs Predigt-Dienst: Jeder Gartenbesitzer muss jeden Baum melden, den er umschneiden muss. Und er muss sofort jeden Baum melden, den er anstelle des umgeschnittenen Baums anpflanzt. Dr. Aschauer entschied sich für Felsenbirne statt Lärche. Friederike Mayröcker: Man muss ganz traurig sein zum Schreiben. Ich muss heulen dabei. Wenn´s mir gut geht, kann ich nicht arbeiten. Ich verstehe überhaupt nicht, dass man schreiben kann, wenn man gut aufgelegt ist, die ganze Welt himmelblau sieht. Ich mag auch den blauen Himmel nicht. 30 Jahre Tschernobyl-Katastrophe – eine TAZ-Sonderausgabe. Wiener Zeitung-Dossier zum Thema Schule. Der ÖGB-Bundesvorstand rehabilitierte alle Arbeiter, die 1950 aus der Gewerkschaft ausgeschlossen wurden, weil sie sich am Oktoberstreik beteiligt hatten. Wenn sie nicht gestorben sind, sind sie heuet wieder als Mitglieder des ÖGB anerkannt. Basis dieser Rehabilitation ist das Resultat der Arbeit einer Historikergruppe, die nun bestätigte, was die KommunistInnen seit 1950 sagen: Es handelte sich um eine Streikwelle und nicht um einen Putschversuch der KPÖ bzw. der sowjetischen Besatzungsmacht. Der kurze Frühling der Nuit Debout Bewegung. Nestor Machno, der ukrainische Revolutionär. In der sowjetischen Historiographie ist er bloß ein Wegelagerer. Heute wollen sie Decken, was werden sie morgen verlangen? Unsere Frauen, unsere Kinder, unsere Berufe ... (Elfriede Jelinek, die Schutzbefohlenen). Gedankenausschank, Gedankenschenke. Karawanken voller Gedanken. Gedankenatlanten. Vier Menschen hatten sich aus dem Vorhandensein wegbegeben. Sie lagen scheinbar für immer beruhigt am Boden. Ist euch aufgefallen, dass Berlin eine Stadt ohne Gassen ist? Kennt ihr das Gegenteil? Lissabon, die Stadt der Gassen? Die Algarve ist die Summe aus Olivenbäumen, Feigenbäumen, Mandelbäumen und Johannesbrotbäumen. Lisboas beste Adresssen: die Rua Angola, die Rua Cidade Cardiff, die Rua Macao, die Rua Paraiso, die Rua da Saudade, die Rua Poco dos Negros, die Rua Patriarcal, die Rua da Gloria und die Rua do Cruzifixo. Ich frage Max, was Portugal außer Kork exportiere. Schuhe, sagt Max. Und Kuhglocken aus Alcacovas. Günter Brus über Ostberlin: Meine Frau Anna durfte mit ihrem Ausschnitt ein Speiselokal nicht betreten. Ich hasse dieses Besserwisserreich. Westberlin liebte er hingegen: Eine Firma in Berlin zu gründen, war leichter, als einen Traktor im Heuhaufen zu finden. Keine Anträge, keine Formulare, keine Steuern, keine Kontrolle. In uns steckte ein gewisses Maß an Anarchie, welches man sich in Wien als denkender Mensch abgewöhnen musste. Der Kunstpapst der Moderne, Monsignore Mauer, ließ mich aus einer Vernissage entfernen, vermutlich weil ich eine Lenin-Mütze trug. Ich wünscht´ mir wär ein Lottoglück von größter Größe so sicher, wie dass du mit einem Augenzwinkern mehr Schwänze steifst als andere mit entblößter Möse (G.G. Belli). Meine Stellung zur Kunst ist gut. Meine Stellung zur Antikunst ebenfalls (Joseph Beuys). Los Pelos del caimán. Verlautbarung des Subcommandante Galeano: Am 1. Jänner 1994, vor 22 Jahren, machten wir das «Basta!», das wir in würdigem Stillschweigen zehn Jahre lang vorbereitet hatten, öffentlich. Unseren Schmerz verschweigend, bereiteten wir den Schrei unseres Schmerzes vor. Aus Feuer war damals unser Wort. Und wir sahen, dass uns kein anderer Weg mehr blieb, als unsere Waffen zu nehmen. Die Israel-Palästina-Debatte hat schon einige linke Projekte in Österreich zerstört. Diesmal ist das Amerlinghaus dran, das mehrere Veranstaltungen zum Thema Israel-Palästina absagen musste, weil die rotgrüne Stadtregierung der Forderung der Kultusgemeinde nachkommen wollte, den «antisemitischen» Leiterinnen des Kulturzentrums die Subventionen zu entziehen. Auch nach drei Jahren weiß niemand so genau, wohin Franziskus die Kirche führt.

TESTAMENTS-ERBEN & TESTAMENT-SERBEN

Was wäre, wenn Ingeborg Bachmann heute noch lebte. Würde sie hinter folgendem stehen? Ich glaube wirklich an etwas, und das nenne ich «Ein Tag wird kommen». Und eines Tages wird es kommen, ja, wahrscheinlich wird es nicht kommen, denn man hat es uns ja immer zerstört. Es wird nicht kommen. Seit so vielen tausend Jahren hat man es immer versperrt. Von der Blutorgel Juni 1962 bis zur Aktion «Kardinal» im Frühling 1967, eine Chronik des Muehlschen Perinetkellers. Große Sammlung von zensurierten Volkssängertexten im Niederösterreichischen Landesarchiv St.Pölten. Etwa 30.000 Texte, viele davon wissenschaftlich noch nicht bearbeitet. Am dreizehnten Tag schrieb Olé / das tausendseitige Handbuch der Verschwörungstheorien / er schuf die Untergöttin, die für Geschwindigkeitsüberschreitungen zuständig ist / er schuf schließlich das Dreiecksverhältnis / vorher schuf er noch schnell Schattenkabinette der Arbeiterklasse / die, aus dem Schatten tretend, rasch Kabinette werden. Die entfleuchende Kunst, wie Boabdil zu lieben / mit feierlicher Langsamkeit. Kennst du einen der jungen Bauern da drüben? / Schaut eher aus wie schnell erfickt und rächt sich durch noch schnellere Ficks. Gendergerechtes modernes China: auf Männer-T-Shirts steht der Slogan «Die bewaffnete Volkspolizei liebt das Volk»; auf Frauen-T-Shirts ab der kleinsten Größe: «Das Volk liebt die bewaffnete Volkspolizei.» als ich in den brennesselstauden / meine leiche fand / fiel mir leider nicht ein / wie lange ich zu trauern habe. Richard Schuberth kontert auf die Kritik, er schreibe unverständlich: Jeder neue Terminus ist eine Bewusstseinserweiterung, weil er neue Nuancen, neue Assoziationsnetze spinnt. Auch in meiner Diplomarbeit wirst du keinen Satz finden, der nicht der Lösung gedanklicher Widersprüche, einem kritischen Ethos dient, das war mir schon damals heilig. Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantik. Die atlantiküberquerenden Hochseeschiffe waren gut organisierte Ausbeutungsmaschinen. Nicht die Plantage, sondern das Hochseeschiff ist der Vorläufer der kapitalistischen Fabriksdisziplin. Auf den Schiffen lernten sich aber auch die Totengräber des Kapitalismus kennen. Der surrealistische Widerstandskämpfer René Char. Alle Prognosen über die Ausbreitung von Elektroautos waren falsch. «Die KPÖ übernimmt die Erbschaft des Juliaufstands» (1927, Justizpalastbrand). Das ist falsch. Der Platz vor dem Justizpalast gehörte keiner der Arbeiterparteien, beide wurden sie von der Heftigkeit und Selbstorganisation der Rebellion überrascht. Der Juli-Aufstand war ein Sieg der Spontaneität. Noch so einer, der in Wien weltberühmt ist. Bergsteigernazis wie Trenker und Harrer politisieren unsere Alpengipfel. Die in die Ostmark verrückte Eiger Nordwand ist ein Modell für das Dritte Reich, weil eine österreichische und eine deutsche Seilschaft im gleichen Auf- oder Abstieg zu Tode kommen, der Prototyp der Schicksalsgemeinschaft. Genieße das Land, doch besitze es nicht! Ich glaube, dass Wasser das einzige Getränk für einen vernünftigen Menschen ist. Super – in der Mannschaft von Steyr spielt tatsächlich einer, der Himmelfreundpointner heißt. Der Hype des Pokemon Go. Homogenes Tokyo: die am wenigsten internationalisierte Metropole der Welt. Das Unvollendete in der Kunst hat eine lange Geschichte. Alles über das Erben. Avantgarde Critical Studies. 1999 erschienen, 30 Bände, noch nicht alles ins Deutsche übersetzt. Paris 1895 bis 1933 – die freieste Stadt der Welt, egal ob für Künstler oder für die Bevölkerung. Eysteinssson listet die Eigenschaften der Avantgarde auf: radikale Darstellung, der Schock des Neuen, das unvollendete Werk, die Hervorhebung des Arbeitsprozesses, das Manifest als Genre und Ausdrucksform, Anti-Ästhetik, Anti-Kunst, Performanz, Spiel in der vollen Mehrdeutigkeit des Wortes u. a. Der Dialog zwischen dem Richter und dem Angeklagten Felix Feneas ist ein Gustostückerl anarchistischer Ironie. Polizeiprotokoll des Perinetkeller-Happenings vom 28. 6. 1963. Hans Bogenreiters Film-Drehbuch «Am kalten See»- Der Künstler entscheidet, welche Rolle er einnimmt: Clown, Magier, Seher oder Rebell. Aber dann herrscht Rollenzwang. PEREDELKINO, Kolonie der 50 Sommerhäuser. Sie ist vollkommen russisch und vollkommen kosmopolitisch (über Lilja Brik, Freundin Majakowskys). Eine einzige Liebesnacht in Paris kann via Neu-Zeugung die vollständig vernichtete Armee ausgleichen, beruhigte Napoleon. Das Gutachten des Dr. Gross über Brus. Die Täter waren Testamentserben, Testament-Serben? Henry Millers Anarchismus. Das Kapitalismus-Tribunal, eine Kunstaktion. Ich bin frei: ich habe keinen einzigen Grund mehr, zu leben. Lassen wir die Ankommenden zwischen unseren Städten ihre Städte bauen: Neu-Aleppo, Neu-Dnipropretowsk. Hermes Phettberg: Ich suche eine Erklärung für die Popularität der Blue Jeans seit vielen Jahrzehnten, weltweit. 1000 Menschen «brechen auf»: Endlich eine neue Linke?

EUNUCHEN VERSUS MANDARINE

Der Informatikprofessor der Uni Wien ohne Smartphone. Oh, mein Rechtschreibprogramm kennt kein smartphone. Das Internet hat kein Außerhalb, keine Alternative, kein Ende – es ist also totalitär. Gerhard Oberschlick, der spätere Herausgeber des FORVM, war Mitwisser beim Unternehmen Palmers-Entführung, behauptet Sohn Christian Palmers. Zwei Monate vor dem Kidnapping war er Sprecher der APG, Arbeitskreis politischer Gefangener, der Organisation der drei Entführer Gratt, Keplinger und Pitsch. Dem APG stand die Infrastruktur des FORVM zu Verfügung. Wenn Oberschlick Mitwisser war, werfe ich ihm vor, die drei mutigen Repräsentanten der Stadtguerilla in Wien nicht darauf hingewiesen zu haben, dass es taktisch unklug sei, ausgerechnet den in Österreich beliebtesten Unternehmer zu kidnappen. Wir sollten unsere Lebensqualität daran messen, wie oft unsere Augen zum Leuchten kommen. Wie der Wohltäter Soros die Ukraine in den Westen zog. Meine unerfüllte Sehnsucht nach sexueller Befriedigung begann damit, als unser Ortsrauchfangkehrer es strikt ablehnte, mich Zwölfjährigen übers Knie zu legen und mich über den Arsch zu streicheln (Phettberg). Eunuchen gegen Mandarine, ein inner-elitärer Kampf in der Ming-Dynastie. Erstere waren die Modernisierer Chinas, letztere die Bewahrer des Alten. Dschingis Kann hatte vier Söhne: DSCHOTSCHI, TSCHAGATAI, ÖGÖDEI und TOLUI. Ein Darm voller Fäkalien zwischen einem Gehirn und einem Geschlecht. Der Sufismus als der liberalere Islam? Ein Missverständnis. Ein paar Geheimnisse überleben jede Entzauberung. «Ich möchte, dass die Polizei abgeschafft wird»: eine amerikanische Debatte über die Strafjustiz. Das Jahrzehnt der roten Raubdrucke. Der Ursprung der Sprache. Kirill, Oberhaupt der orthodoxen russischen Kirche, über die ersten beiden Amtsperioden Putins: Durch ein Wunder Gottes und unter aktiver Beteiligung der Führung des Landes gelang es, aus dieser schrecklichen Systemkrise herauszukommen, die die Grundlagen des Volkslebens zerstörte. Die Geschichte der Vergiftung des Süßen Flusses. DES KONNSDA DENGA. Sloterdijks Roman über den Orgasmus der Frau als Höhepunkt der Naturgeschichte. Mein Arbeitskollege Schoko zählt die Attwenger zum Mainstream in der Musik. Zum Thema Mainstream ein NZZ-Essay. Aus meinem Vorwort zu Walter Eckhards Roman Westend-Blues: Löscht alle Schulden und verteilt das Land neu! Es gab eine Zeit, in der mich solche Sätze fast zu Tränen rührten. Danke. Lieber Walter, dass du mich daran erinnert hast. Im Roman viele Situationen voll prallem Leben, z. B.: Aus dem Küchenofen plauderts mit einer Akkuratesse – das Feuer. Draußen hereinbrechende Dunkelheit, sporadisches Winseln des Windes in den Zweigen des Sassafras. Und dann endlich ein Weib: Mein Gott bist du schön! Im Rohr der Schweinsbraten ... They released Zine Nr. 2 in my Souterrain. Die Peinlichkeit des 100-jährigen Dada-Jubiläums: elektronisches Environment der Neulengbacher Künstlergruppe Graf+Zyx. Leben und Werk des Widerstandskämpfers Richard Zach. Aha-Erlebnisse im Kronberger Himmelskeller. Mehr Platz für die Anarchistische Bibliothek – aber eine Bitte: Albert soll uns auch in den neuen Räumlickeiten mit seiner Minimal- und Contramoderation beglücken. Das Phänomen Bernie Sanders: Er entflammte ein neues Interesse an marxistischer Theorie und formierte eine «Tea Party von links», die die Regierung Clinton unter Druck setzen wird. Die griechische Linke und ihre deutschen Kritiker. Drei Texte zum Anarchismus. Den Ersten Weltkrieg gab es, weil ein bestimmter Teil der englischen Elite ihn plante, sagte der deutsche Journalist Effenberger im Aktionsradius-Lokal. Sein Auftritt empörte die Linke des Aktionsradius-Umfelds. Effenberg zählt zu den Autoren, die es nicht für notwendig finden, sich gegenüber Ultrarechten und Verschwörungstheoretikern abzugrenzen, die auf bestimmten Feldern inhaltlich übereinstimmen, z.B. in der Kritik des imperialistischen Charakters der US-Politik. Die Haltung gegenüber solchen Autoren entzweit den Aktionsradius. Eine Klausur ist anberaumt, Ende offen. Sprachlich der Bevölkerung entgegenkommende und sie ausschließende Anarcho-Gazetten aus Wien. Konstantinopel / Istanbul: 337 n. Chr. 50.000 Einwohner, 400 n. Chr. 100.000, 500 n. Chr. 1 Million Einwohner. Zehn Jahrhunderte lang (300 bis 1300) blieb Konstantinopel die reichste, zivilisatorischte und schönste Stadt der Welt. Ihre Bewohner sprachen griechisch und nannten sich: Römer. Wie entstanden die kreolischen Sprachen? Auf den Sklavenschiffen. Das waren die Orte, an denen die afrikanischen Sprachen verschwanden. Auf diesen Schiffen wurden die Menschen, die die gleiche Sprache sprachen, voneinander getrennt. Der Migrant bildet sich dann aus Spuren eine Sprache nach, indem er Fertigkeiten nachahmt, die für alle Gültigkeit haben können. So entstanden die kreolischen Sprachen, der Jazz und die karibische Musik.

WIENER WOHNAN(K)LAGEN I

Gerechtigkeit für ein Genie: Metternich. Die Bilder des Hieronymus Bosch inspirierten die Surrealisten und suggerieren die Gabe der Prophetie. Sind das nicht die Höllen des 20. Jahrhunderts von Verdun bis Auschwitz? Verdun – das ist der Erste Weltkrieg in einem Wort. Dada lebt und Gott ist tot. Der Neandertaler in uns. Bernie Sanders – Daddy cool. «Linkes» unreifes Heini Staudinger-Bashing. Die Gründung des Dadaismus vor 100 Jahren – der Urknall der Moderne. Die Wohnanlage (Wohnanklage) Sandleiten. Walter Wippersbergs Zeitung «99»: Der marktwirtschaftliche Kapitalismus ist dabei, nach der Politik auch Kunst und Kultur zu übernehmen. Nur weil einer Burgtheaterdirektor ist, muss der nicht noch grindig bezahlt werden. Daher hat sich Hartmann zu seinem mäßig anmutenden Grundjahresgehalt von 220.000 Euro auch Regiegehälter von 54.800 Euro pro Inszenierung (bis viermal im Jahr) ausgehandelt. Bezeichnende Aussage des Ex-Bundesverfassungsrichters Paul Kirchhof; «Die noch heute geltenden Ideale der französischen Revolution lauten Freiheit, Gleichheit, Sicherheit.» Sie verrät den überragenden Rang, den Sicherheitspolitik als Staatsaufgabe heute beansprucht. Besuch bei Beate Klarsfeld in Paris. Die Kölner Silvesternacht (besser: Die Bilder von ihr) hat auch Österreich verändert. Sunniten und Schiiten enzyklopädisch. Als Andre Gide von einer seiner UdSSR-Reisen zurückkehrte, beleidigte er seine Gastgeber zutiefst, als er sagte: Was ich an Leningrad bewunderte war St. Petersburg. Alte Städte haben offenbar einen grundlegenden Zweck urbanen Lebens erfüllt, der den Stadtplanern unserer Zeit entgangen ist. China, der Mythos des Langen Marsches. Norbert Elias definierte sich als Menschenwissenschaftler, Max Weber als Wirklichkeitswissenschaftler. Nur solche Gedanken können wahr sein, die sich selber nicht verstehen? Wer übersetzt mir diesen Adorno? Die RAF war die einzige linksradikale Gruppierung (in Deutschland?) mit mehr weiblichen als männlichen Mitgliedern. Jakob Taubes hielt seine PhilosophiestudentInnen dazu an, in jedem erdenklichen Werk nach dem Satz zu suchen, um dessentwillen es geschrieben sei. Horror, Schwerpunktthema der «Anschläge». Marxismus und Kapitalismus als Religionen. Auch im Christentum sind fundamentalistische Strömungen stark im Aufwind. In der Schweiz ist die Zahl der Evangelikalen seit 1970 von 37.000 auf über 200.000 gestiegen. Eine nicht ganz ernstgemeinte Stundenliste als Rache für den Diebstahl vieler Tage. Zum Beispiel: 8:00 bis 12:00 Uhr: Technikkurs, erster Teil: Wie schaltet man die Musikanlage ein? Die Blutorgel-Aktion füllte die Straße mit hunderten Wichteln. Kurt Hillers Zeitschrift «Die Weisheit der Langeweile». Ist meinen KollegInnen eigentlich bewusst, dass der literarische Niederschlag der langen Intermezzi der durch mündliche Verträge gesicherten Untreue vollständig im Lehm der Feigheit versickerte? Die Süddeutsche Zeitung traut sich nicht die Frage zu stellen, ob nicht eher die italienische Elite für den Mord an Aldo Moro verantwortlich war als die Brigate Rosse. Sie quält sich nur mit den aus allen Richtungen längst eingeprasselten Ahnungen: «Und doch fragen sich die Italiener bis heute, warum der Staat gerade im Fall Moro so unnachgiebig war, ob es nicht möglich gewesen wäre, ihn zu retten.» Nicht nur «die Italiener» stellen solche Fragen: Scherte Moro nicht aus der Politik des Kalten Krieges aus, indem er die Strategie des «Historischen Kompromisses» zwischen den Christdemokraten und den Kommunisten (die nirgends stärker waren als in Italien) verfolgte? Malewitsch und sein schwarzes Quadrat. Thomas Bernhard als junger Journalist. Bewegend die beiden Reportagen über das Elend der Flüchtlinge in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. In einer Käthe Kollmitz-Biografie las ich, dass sie einen Laib Brot um umgerechnet 70 Milliarden Euro einkaufen musste. Ein paar Tage später habe sich die Situation verbessert. Der Brotpreis fiel auf 40 Milliarden. Absturzexistenzen, eine Neuprägung von Lahoda und Lazarsfdeld, Die Welt wurde wahrscheinlich auch deshalb nicht verändert, weil sie zuwenig interpretiert wurde, ätzt Adorno, an die Adresse Marx´ gerichtet. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Satz Ende der 60er Jahre in den Auseinandersetzungen zwischen «Theoretikern» und «Aktivisten» oft zitiert worden ist. Gilt auch für den nächsten Adorno-Sager: Denken ist ein Tun, Theorie eine Gestalt von Praxis. Enzensberger postuliert die Rechte der Lesenden: das Recht, hin und her zu blättern; ganze Passagen zu überspringen; Sätze gegen den Strich zu lesen; Schlüsse aus dem Text zu ziehen, von denen der Text nichts weiß; dein Buch zu einem beliebigen Zeitpunkt in eine Ecke zu schmeißen. Hermann Hesse: Die Herren der Welt sind, heute wie immer, nur Herren des Augenblicks, und die «großen» Zeiten hinterlassen große Schutthaufen.

WIENER WOHNAN(K)LAGEN II

Bei der österreichischen Staatsmeisterschaft im Hirschrufen sind drei Disziplinen offiziell anerkannt: 1. Röhren wie ein brünftiger Hirsch, der ein Weibchen sucht. 2. Imitation des Röhrens eines Platzhirschen, der sein Revier verteidigt. 3. Röhrduell zwischen gleich starken Hirschen. Mehrfachstaatsmeister Christian Hochleitner bietet Hirschschreikurse an. Aktuelle Anmerkung: Kurs im Perinetkeller vorschlagen! Das Horror-Grusel-Monster-Vampir-Zombie-Psycho-Genre. Die Schöne und das Biest: Liebe zwischen männlichem Monster und menschlicher Frau. Die Interpretationsweisen der artenübergreifenden Liebe sind zahlreich: Die Filmwissenschaftlerin Andrea B. Braidt sieht im Liebesverhältnis zwischen Monster und Frau eine Festschreibung von Hollywood-typischen Sexismen und Rassismen. Das Monster steht für den potenten nicht-weißen Mann. Manche schätzen an Horrorfilmen, dass sie auf realen menschlichen Ängsten beruhen und diese überzeichnen. Gerade Zombiefilme besitzen ein großes gesellschaftskritisches Potenzial. Man muss aber genau hinschauen, um es zu entdecken. Der Historiker Wolfram Siemann räumt in einem 1000-Seiten-Werk mit den Metternich-Klischees auf – so sehr, dass sich ein «Zeit»-Essayist eine Merkel erträumt, die die «strategische Kunst» Metternichs beherrscht. Die Dadaisten und Surrealisten liebten Hieronymus Bosch, der vor 500 Jahren starb und prophetische Bilder hinterließ: Sind Bosch´s Höllen nicht die Höllen des 20. Jahrhunderts von Verdun bis Hiroshima? Und überhaupt Verdun. Das 300-Tage-Gemetzel mit 162.000 gefallenen Franzosen und 143.000 gefallenen Deutschen gilt als die erste Materialschlacht der Menschheitsgeschichte. Das «Nie wieder!» war danach Konsens in Europa – niemand konnte sich vorstellen, dass die Menschen Verdun so leicht und so schnell vergessen würden. Und überhaupt die Dadaisten. Wie kann es sein, dass sich Millionäre und herumstreunende Anarchisten gleichermaßen für Dada interessierten? Der Zürcher Schokoladenfabrikant Sprüngli stellte den Dadaisten eine ganze Etage seines Hauses in der Bahnhofstraße zur Verfügung. Ein Bild ging um die Welt. Es zeigte die Leiche des dreijährigen Flüchtlingskindes Alan Kurdi auf einem Strand der Insel Lesbos. Ai Weiwei imitierte den Leichnam bei einem Fotoshooting einer indischen Zeitung. Auch dieses Bild ging um die Welt. Dem chinesischen Künstler ginge es nur darum, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, kritisierten viele. Auf einer der Persiflagen steht über dem im Schotterstrand liegenden Ai Weiwei: STOP WHALING. Mir gefällt besser, was der Zeitschrift «Charlie Hebdo» zu Alan Kurdi einfiel. Was aus ihm geworden wäre, wenn er nicht im Mittelmeer ertrunken wäre, wird jemand in einem Cartoon gefragt. Die Antwort lautet: «Ein Hinterngrapscher in Deutschland». Besser kann man die Wende in der Flüchtlingsdebatte nach den Ereignissen im Kölner Silvester (2015-16) nicht ausdrücken. Und überhaupt die Zuwanderer. Der kanadische Philosoph Charles Taylor rät, die Frage «Wer ist Wiener?» so zu beantworten: Jene Menschen, die dafür sorgen, dass Wien so funktioniert, wie es funktioniert. Taylor weist auch auf einen verblüffenden Unterschied in der Haltung gegenüber Fremden auf. Frankreich hat zwischen den beiden Weltkriegen Menschen aus Italien, Spanien und Portugal wie selbstverständlich integriert. Yves Montand war selbstverständlich französischer Schauspieler. Nach dem 2. Weltkrieg nichts dergleichen: Die Integration der Maghrebiens hat nie funktioniert. Die Jungen aus den Banlieues pfeifen, wenn im Fußballstadion die Marseillaise erklingt. Und überhaupt, Europameisterschaft. Österreich ist Europameister im Verbrauch von Boden. Maßeinheit ist übrigens – das Fußballfeld. 30 Fußballfelder werden in Österreich TÄGLICH für Bauten, Parkplätze und Straßen dem Grünland entzogen. Linke sehen die Bernie Sanders-Kampagne als Beginn einer neuen Ära fortschrittlicher Politik in den USA. Wie oft haben wir solche «Anfänge» schon gefeiert? Immer wurden Abfänge draus. Abgänge. Engagement-Abfälle nach kurzwährenden Anfällen von Solidarität. Und überhaupt Abgänge. Ausgewählte Themen der Literaturzeitung 99, herausgegeben vom verstorbenen Walter Wippersberg: Die Wirtschaft ist dabei, nach der Politik auch Kunst & Kultur zu übernehmen; die Kunst hat sich aufgespalten in 2 Bereiche, die wenig miteinander zu tun haben, die Marktkunst und die Kunstkunst; Ex-Burgtheaterdirektor Hartmann nahm neben seinem Grundgehalt von 220.000 Euro pro Jahr Regiegehälter von 55.000 Euro pro Inszenierung (viermal jährlich); Künstler und Kulturinstitutionen sind natürliche Gegner; Trivialliteratur wurde noch nie derart schamlos von der Literaturkritik beworben, die Handlangerin der großen Verlage geworden ist; es gibt immer mehr Kulturprojekte und immer weniger Kunstwerke; wie der Songcontest in die Kultursendungen und Kulturbeilagen wanderte, wo er dem Konzept nach nichts zu suchen hat.

IN DER NUDELSUPP SPIEGELT SICH DIE DACHSTEINGRUPP

Buschöfen von den Bischöfen – eine fragwürdige Aktion der katholischen Kirche? Nein, schon um des Reimes Willen ist das Solidaritätsprojekt sinnvoll, weil es zur Poetisierung der Welt beiträgt. Die schwierige Geburt eines Augustin-Interviews mit Richard Schubert. Richard formuliert die Hauptfrontlinie, den Kampf zweier Sprachkonzepte: «IHR bürgerlichen Linksromantiker (Sch. meint die Augustin-Redaktion) seht immer nur edle Plebejer, die von elitären Hirnwixern, die automatisch mit Bankern, Bischöfen und Politikern die Logen des Establishments bewohnen, per Geheimsprache vom Wissen ausgeschlossen werden. und ICH sehe geistfeindliche Lumpenintellektuelle in Union mit tendenziell rechten Rednecks, die sich für die eigene Depravierung nicht an den oberen Klassen rächen, sondern an den Besserwissern.» Zum Augustin-Argument, die amerikanische Wissenssprache sei wohltuend unhermetisch und ein Vorbild für den Transport von Wissen weit in die Mitte der Gesellschaft hinein, bemerkt Richard: Amerikanische Wissenschaftstexte sind oft dermaßen seicht und peinlich, dass man sich wieder ein bisschen europäische Abgehobenheit wünschen würde. Notizen aus dem Ausseerland. Jedem Kaiserschmarrn der Kaiser, den er verdient. Die Männer aus dem steirischen Salzkammergut erkennt man an den Rinderhornknöpfen auf den Lederhosen. Die Menschen vom oberösterreichischen Salzkammergut ziehen Hirschhorn als Material vor. Almauftrieb: Mit dem Rindfleisch auf Bergtour. Die Geschwindigkeit der auf die Alm zustrebenden Kühe entspricht meinem Wanderdurchschnittstempo. Wer Kuhglocken nicht leiden kann, soll in Cesenatico Urlaub machen. Philosophieren heißt Abstand nehmen, versucht mir Francois Jullien auf 40 Seiten zu erklären. Tidl und die Waldheimaffäre. Der Klimawandel kommt – es wird uns nichts übrig bleiben, als uns anzupassen. Entwertet Arbeitslosigkeit die Alltagszeit? Eine Auseinandersetzung mit der Marienthal-Studie. Luis Trenker-Mythos. Neue Bücher von Konrad Bayer. Von Riki, dem Gschissenen, bis zu Rikis Hirnverstopfungen. Bloomsday 2017 zwischen Gaußplatz 11 und Perinetgasse 1? Der Sprayer von Zürich. Ich habe keine Angst, mir zu widersprechen (Kübel kaufen). Anthropologie der Macht. Erinnerung an die Tupamaros. Verkleinerte Kopien von Pickbüchern. Gegner des Silobaus in Aschach an der Donau. Konstantin Kaiser, Gedichte. Die letzten isoliert lebenden Völker des peruanischen Regenwaldes suchen Kontakt zur Außenwelt. Rätsel über La Navidad, der ersten europäischen Ansiedlung in der Neuen Welt. Elisabeth Wehling, Die Sprache der Politik. Sie manipuliert die Menschen mit Konstruktionen wie «Steuerlast». Das Wort bedeutet: Steuern zahlen ist eine Belastung, die von den Politikern minimiert werden muss. Aufstieg des E-Books? Max Frisch kommentiert das Protokoll seiner Überwachung. Die Krise des VW-Konzerns. www.capitalismtribunal.org. Jonathan Lethems Plädoyer für die Kunst des «höheren Abschreibens»: Mehr Plagiate, weniger Copyright, muss die Parole lauten. Die Situation in Traiskirchen, 2015. «Der Mann, der Europa spaltet»: News-Interview mit Yanis Varoufakis. Leopold Kohr, Probleme der Stadt. Er zitiert Hesiod, der vor mehr als 27 Jahrhunderten nicht optimistisch war: «Der Mensch wird auch weiterhin die Städte anderer Menschen zerstören.» Ein Gemeinwesen ist nicht nur dann eigenständig, wenn niemand sich in andere Gegenden bewegen muss, um seinen täglichen Aktivitäten nachzugehen, sondern auch wenn niemand sich dorthin begeben will. So gesehen ist die Seestadt Aspern kein eigenständiges System. Die SeestädterInnen müssen de Seestadt verlassen, wenn sie gute Filme sehen wollen oder nichttriviale Bücherflohmärkte oder Museen oder Altwiener Cafés oder Performances der europäischen Spitzenklasse oder Biobauernmärkte oder ein Jazzlokal.

MEIN ARM BEGEGNETE EINER ÄRMIN

Franco Bifo Berardi endlich auf Deutsch: «Der Aufstand. Über Poesie und Finanzwirtschaft». Berardi über die Demokratie: In einer Zeit, in der das Finanzwesen alles entscheidet, sprechen unsere Politiker nur aus Heuchelei noch von Demokratie. Die Institutionen der Demokratie sind übrig geblieben, ihre Rituale. Wir halten Wahlen ab, so wie manche Urvölker Regentänze aufführen. Hatten ihre Tänze Einfluss auf den Gang der Wolken? Emma Goldmann zum Thema Prostitution. Künstlerische Avantgarden, die Kunst und Technik miteinander verbinden wollten. Solidarische Landwirtschaft – KonsumentInnen-Produzent-Innen-Einheit im Raum Genf. Beilage der WOZ zu Schule und Bildung. Volksstimme-Dossier zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Was geschieht an Europas mediterraner Außengrenze? Alexander Fortunats Schwarz-Weiß-Fotos von Augustinverkäufern. Wos soi dea Schdrich do im Büro / Wea hod den gmochd – de Redaktion? / De Riki lochd: Die Redaktion / mochd so was ned – I hob eam zogn / Weu heite schick i eich aum Schdrich / Ohne Gnad / Weu mia is fad. Manfred Kren zieht nach Kuba und stellt sein Projekt «Los Pelos del Caimán» vor. Die AsiatInnen der USA treten aus dem Schatten ihrer Geschichte. Protokoll einer Flüchtlingshelferin, die einer 20 Autos starken SchlepperInnencrew angehört. Wikipedia als ständiger Kampfplatz anonymer Attacken. Ostdeutsche Bodenreform. Staudingers «Brennstoff». Wieder einmal große Pläne zur Zukunft des NSDAP-Seebads Prora. Arno Schmidt: Es hat einigen beliebt, mich als deutschen Künstler hinzustellen. Ich protestiere feierlich gegen diese Lüge! Arbeit neu denken, das Thema der ATTAC-Sommerakademie Juli 2015. Hermann Fritz besucht Dieter Schrage im Spital. Trara trara die Hochkultur, alle Strophen. 1890 wurden in den USA die Sonnentänze der Indianer verboten. Heinrich Heine: Die Frauen haben nur eine einzige Art, wie sie uns glücklich machen können, während sie uns auf 30.00 Arten unglücklich zu machen wissen. Diejenigen, die eine Revolution anfangen, sind gewöhnlich ihre Opfer. Topopoesie Freiburg im Breisgau: Elme / Walke / Ippichen / Ullerst / Winzeln / Wittichen / Muggarth / Notschrei / Blasiwald / Oberaha / Unteraha / Bösenbiesen / Fluorn / Todtmoos / Wonnental / Brogen / Schoren / Pfohren / Liel. DDR-Hausbesetzerbewegung. Theater: Abschied von der Guckkastenbühne und vom psychologisch-realistischem Spiel. Die Misere der italienischen Linken. No future in Süditalien. Astana, kasachische «Idealstadt». Jedes Großprojekt beginnt mit einer Lüge. Beispiel Flughafen Berlin-Schönefeld. Der autogeile chinesische Markt. Venedigs Bürgermeister verhindert eine Ausstellung, die zeigt, wie Kreuzfahrtschiffe die Stadt zerstören. Arthur Cravan: Ich lag auf meinem Bett / wie ein Löwe auf dem Sand / und, ein bemerkenswerter Effekt / ich ließ meinen Arm herabhängen. Erstaunlich ist, welche Ähnlichkeiten Nerudas und Theodorakis’ Lebenswege haben. Projekt Grand Paris für 6,5 Millionen Einwohner. Franz von Assisi, der letzte Christ (laut Holl) und Papst Franziskus, der demzufolge kein Christ mehr ist. Könnte erstmals ein Sozialist US-Präsident werden? Ein Sanders-Porträt der FAZ. Obwohl die Zahl der Asylanträge in Deutschland dramatisch gestiegen ist, hat sich die Zahl der Abschiebungen nicht verändert. 2014 gab es in Deutsch-land 200.000 Anträge, aber nur 10.884 Abschiebungen. Fabian Scheidler, Das Ende der Megamaschine. Athen, die «Wiege de Demokratie», war eine hochmilitarisierte Gesellschaft. Athen hatte 500.000 Einwohner und erhielt eine Flotte von 40.000 Mann. Auch Rom militarisiert. 3 Viertel des römischen Staatshaushalts flossen in die Rüstung. Das Bild des finsteren Mittelalters hat mit der Realität nichts zu tun. Welle von Volksbewegungen im 14. Jahrhundert, so dicht wie noch nie. Julius Mende-Essay Hasenherz mit Hasenschwanz. Immer wieder das Thema Flüchtlinge. Theodorakismaterial. Vortrag «An den Grenzen des Rechts» von Günter Frankenberg. Fritz Katers Stück «demenz depression und revolution».

KEIN HLEMMUR IN CORTISONA

Jon Gnarr über seine Autobiografien: Es wäre schade, wenn diese Bücher als Biografien gelesen würden. Weil Memoiren Fiktionen sind. Jede Erinnerung ist Fiktion. Unser Gehirn ist der größte Täuschungskünstler im Universum. Nachhilfeunterricht in Sachen Atomwaffenarsenale. Ernst Jandl wäre heute 90. Jeder Zweite kommt gestresst aus dem Urlaub zurück. Deutsche Rüstungskonzerne sorgen dafür, dass die griechische Regierung beim Militärbudget nicht spart. Zur Selbstkastration des lehrenden Personals. «Die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften marginalisieren die Figur des öffentlichen Intellektuellen, der in verständlicher Sprache zeitdiagnostische Deutungsarbeit leistet und sich um Wirkung bemüht. Es droht das Ende der Einmischung. Architektur und Verbrechen, ein «Zeit»-Essay. Königin Erdnuss? Nein, Erdnussdämmerung. Dafür zwei Kugeln Haselnusseis in einer Tüte. Nein, nicht im Sackerl, in einer Tüte, tatsächlich. Das Sackerl ist für Haselnüsse gemacht und nicht für Haselnusseis. Menschen brauchen Monster. Interview mit Varoufakis. Nächstes Sylvester in Lindau am Bodensee. Vor 25 Jahren stellten große Arschlöcher die Produktion des 2CV ein. Die Teiche bei Trebon, ein Triumph der Menschen gegen die Natur: Borek, Burda, Rozmberk, Ruda, Hurky, Tobolky, Kanov, Verfle, Dvoriste, Blato, Polom, Zablatsky, Holna, Tocnik, Senekov ... rebel without a cause. In Briefen an die Eltern bezeichnete der junge Che die Sowjetunion als Cortisona (zusammen gesetzt aus Cortina = Eiserner Vorhang und Cortison = umstrittenes Medikament). Der junge Castro wiederum rühmte sich, bei der Belagerung einer bestimmten Klosterschule vier spanische Priester vom Glockenturm herunter geschossen zu haben. Der junge Che wiederum nannte sich einen optimistischen Fatalisten. Der Litschauer Flohmarkt ist völlig unbeeinflusst vom Antiquitätenmarktpreis. Gesehen: Eine Doors-CD um 60 Cent und eine Karel-Gott-CD, ebenfalls um 60 Cent, letzteres kriegst du aber vom Verkäufer, weil der froh ist, dass die Ware weg ist. Ein Heidelbeer-Rechen um 1 Euro. Bücher aus dem Nachlass eines Intellektuellen, alle um 1 Euro, Trivialromane, 1 Euro pro Stück. Ich erstand das Buch über den Hirsch, der ab dem Moment, wo er nicht mehr unterscheiden konnte, ob die Brunftschreie von einem «Tier» (Hirschin) stammten oder von einem raffiniert täuschenden Jäger, an sein Sterben dachte. Er starb dann wirklich, als er in eine Lawine geriet, und er spürte nicht mehr, dass ein Steinadler sich neben ihn setzte und auf seinen Tod wartete. Literarische Annäherungen an das Mittelmeer, auf durchaus deutsche Art. Unsere Katholiken glauben paradoxerweise, dass der Islam eine Reformation braucht. Was eigentlich braucht keine Reformation? Jedes System dieser Erde braucht sie. Und zwar immer aufs Neue. Warum uns die Langeweile zu unserem eigenen Schaden so fremd geworden ist. US-Wirtschaftsspionage in Deutschland. Überwachungs-Dossier des Standard, Juni 2015. Der Kosovo-Krieg der NATO führte zu einem eigenständigen Kosovo, der der Bevölkerung nichts brachte außer ein Abgehängt-Sein und der für andere Regionen ein nachahmenswertes Modell ist, selber Nation zu werden. Was heißt eigentlich Wissenschaft? Egon Christian erklärt es mir. Leopold Kohr und die Stadt der Plätze; urbane Utopien. Die NS-Endphaseverbrechen in Treffling. Werner Hörtner presente! Natur und Essen, Spezialthema der «Versorgerin». Peter Paul Wipplinger, Europa und die neuen Toten. Forschungen zum Ursprung der Sprache. Dorfgebärdesprachen in Dörfern voller Tauber sind aufschlussreich. Nabokow gehört zu den arrogantesten Autoren der Weltliteratur. Er stammte aus einer der reichsten Familien im zaristischen Russland. Dort wurde der Schüler Nabokow im Auto zur Schule gefahren. Sartre war für ihn kein Schriftsteller, weil «große Ideen« nichts mit Literatur zu tun hätten. Sartre ging immerhin als «französischer Journalist» durch. Mit seinen Studenten kommunizierte Nabokow aus Prinzip nicht. Er ließ nur Schallplatten abspielen und prüfte dann den Inhalt ab. Ich nehme mir vor, die Plankheit der weißen Mauer bis ins Theaterblut zu reizen. Nirgends scheinen die Mauern so weiß wie in den Mittelschulen der Ettenreichstraße. So viele junge Leute, die zu anständig sind, um eine Spraydose zu nehmen, um ein Herz zu zeichnen und darin die einschlägigen Initialen zu halten. Ich schreibe an die leere Wand; CITTA SENZA VANDALISMO? WO SAMMA? Der Verfall der deutschen Dörfer. Der Dorfbahnhof ist um 100.000 Euro zu haben. Noch ein Grund, aus diesem Dorf Stadtoldendorf in Niedersachsen zu fliehen. Aber wie kommt man weg von hier, wenn`s keinen Bahnhof mehr gibt? Die geplante Abschaffung von Bargeld wäre ein großer Schritt in Richtung totaler Kontrolle. Vielleicht ist Kanada das einzige Land der Erde, in denen ALLE Parteien massive Einwanderung als Notwendigkeit befürworten, WOZ-Dossier «Zeit für Utopien». Srebrenica, die andere Erzählung.

BRENNENDE FAHNE IM WOLKENBART

O Veronika Seyr, mein Sargnagel. Schriebst ein Buch über Jugoslawien, in dem du Peter Handke anpatzt, weil er die westliche Erzählung vom Zerfall dieses Staates in Frage stellt. Ich hatte dein Buch nicht gelesen, das war mein Fehler, aber andere hatten es gelesen. Kurzum: wir (Aktionsradius Wien) luden Seyr wieder aus. Konstantin Kaiser, Verleger des Buchs, zeterte: Zensur! (letzter Stand: Affäre vergessen). Drei Tage vor meinem Tod kriegst du eine Liste von Dingen, die du in mein Grab werfen musst, sagte Riki. Auch ich schrieb eine Liste: Dinge, die Olé erst am 13. Tag schuf, z.B. ein Register der verlogenen autorisierten Biografien oder die Niedlichkeit eines jungen Wolfes in den Gemütern unserer Geliebten oder eine 2CV-Fabrik oder besorgniserregende Erkrankungen aller Kontrollbesessenen. Die Nazis und der Kältepol, ein Ausflug nach Lunz am See (mit Folgen). Lunz und die Kupelwieser-Dynastie. Das Leid der Welt in 14 Stationen, ein Karfreitagswerk Tiroler Wirtschaftshistoriker, beschrieben als Kreuzweg des Konsums. Was ich vorschlagen werde: einen Ausflug des Perinetkeller-Teams zum Wanderverein Bakuninhütte in Meiningen. Wiens Anschluss an die Reichsautobahn. «Ganz normale Leute, die Mitte der Gesellschaft in der PEGIDA-Bewegung?» Das Problem ist bloß, dass die Mitte rechtsextrem wird. Da schau her, Kärnten hat die KATZ — die Kärntner Autoren Theater Zeitung. Judenburg als Ort der Begegnung. Es trafen sich Fichtenblüten- und Saharadünenstaub. Wie schafft es der Tausendfüßler, seine tausend Beine zu koordinieren, mit dem triumphalen Resultat, dass sie sich dabei nie auf die Beine treten. Israelische Soldaten brechen das Schweigen über die Kriegsführung ihres Staates gegen den Gazastreifen. Die Wikinger handelten mit Haarkämmen, ihre Raubzüge kamen später. SZ-Beilage zum 8. Mai 1945, illustriert mit Fotos der professionellsten Kriegsfotoreporter. Der 27. April ist in Österreich kein Feiertag. Es geschah nichts wichtiges an diesem Tag. Außer vielleicht, dass Österreich an diesem Tag die Unabhängigkeits-erklärung unterzeichnete. Richard Schuberth: Ich muss einseitig sein, denn wenn die ganze Welt mit ihrer Einseitigkeit das Boot zum Kentern bringt, darf ich nichts unversucht lassen, auf die andere Seite zu kraxeln, auch wenn mein Fliegengewicht nichts bewirken wird. Przemysl im Werk der Marianne Fritz, von Otto Dünser. Herbert Stumpfls Studie über einen «autoritären Idealismus». Primitivurteile vom Schlage «Otto Muehl Triebtäter» unterschlagen die sozialutopische Dimension der Kommune. Was brauchst du – ein schönes Gedicht von Friederike Mayröcker, nebst anderen Texten von ihr. du brauchst ein haus / keines für dich allein / nur einen winkel ein dach... Ein Stück des ersten Wiener Fürsorgetheaters, von Schrage geschrieben? Muss verifiziert werden. Manche Fragestellungen scheinen nichts miteinander zu tun haben. Wie verschwand die säkurale Linke aus den islamischen Ländern? Stirbt die Handschrift aus? Liegt das Bedürfnis nach Gerechtigkeit in der Natur des Menschen? Todesstrafe, untertänigst: ein Goethe-Stück von Fritz Hermann. Der ewige Traum vom Leben ohne Wachstum. Ein kleiner Text von Barbara Huemer: Was ich sah und hörte während meiner Wanderungen in und um St. Moritz. Ich hörte den slowakischen Kellner «naskledano» zu mir sagen und konnte ihm auf Tschechisch antworten. In den USA sitzt jede hundertste erwachsene Person im Gefängnis – so viel wie nirgends sonst. Helmut Seethaler dokumentiert seinen Kampf. Fritz Hermanns Elegie auf Dieter Schrage nach dessen Austritt aus der SP: wer trägt nun die brennende fahne / im wolkenbart / wer dreht nun das linke papierstreiferl / durch die gebetsmühle. Amerikanische Überwachungswut. Der Flake von Rammstein, einziger deutscher Weltstar. Eine bürgerliche Ehrenrettung der Schlepper und Schleuser. Im automatisierten Auto wird der Fahrer zum Passagier, er muss sozusagen seine Degradierung in Kauf nehmen. Ein kleines Weltwunder in der Print-Welt: Die Zeitschrift «New York Review of Books» wurde Gegengewicht zum Internet. Zweiwöchig wie der Augustin, besteht hauptsächlich aus sehr langen Texten, in denen kompetente Leute in aller Ruhe, Klarheit und Gründlichkeit Fakten darlegen und die Dinge zu Ende denken. Pilz-Dossier über die Überwachung Österrreichs. Cabu, der Anarchist bei Charlie Hebdo. Erich Mühsam: Wedekind hat doch vielleicht recht in der Behauptung, dass das Führen von Tagebüchern gleich bedeutend sei mit Mangel an Erleben. Der Mythos der Streif. Bismarcks Sozialistengesetz von 1878. Der Kreis um die Familie Feuerlöscher. Die Kindermissbrauchkirche. Die Zerstörung Dresdens. Das Schröksnadel-Imperium muss delegitimiert werden. Bukowski: Das Abschiedswinken durchs Zugfenster, wenn man das ernst nimmt, dann ist das eines der traurigsten Erlebnisse im ganzen Leben, und am besten wendet man den Trick an, man sei gelangweilt, sonst kann einem das auf die Nieren gehen,

RAPA NUI – DER NABEL DER WELT

Ein Frühling in Kreta und nur die zwölfbändige Geschichte Frankreichs von Jaurés im Gepäck. Plan? Traum? Wenn es eine deutsche Übersetzung gäbe. Als Jaurés auf dem Basler Sozialistenkongress 1912 die Hauptrede hielt, galt er als die größte politische Persönlichkeit Europas. Viele sagten, er sei der einzige, dem es gelingen könnte. die Katastrophe des kommenden Krieges abzuwenden; sein Leben ist frei von Skandalen, und er gilt weithin als nicht käuflich. Dieter Schrages erstes Österreicherlebnis. In Deutschland gehörte er dem SDS an, der späteren Avantgarde der studentischen 68er Bewegung. Als er 1960 nach Österreich übersiedelte, ging er zur Bruderorganisation, dem Verband sozialistischer Studenten Österreichs. Dort wurde er aufgefordert, beim nächsten Aufnahmeansuchen zwei Bürgen mitzunehmen, die die sozialistische Rechtschaffenheit des Migranten bestätigen müssten. Der Vsstö blieb schragelos. Der Mythos des Wiener (weichen) Klanges: die Frankfurter Allgemeine arbeitet daran, in einem Essay über die Wiener Philharmoniker. Die Bevölkerung der Osterinsel, 7000 Einwohner, besteht zur Hälfte aus den Indigenen, die sich Rapa Nui nennen, und eingewanderten Chilenen. Die Rapa Nui nennen sich auch Te pito o te henua (Nabel der Welt) oder auch Mata ki te rangi (Augen, die zum Himmel schauen). Nomadelfa, die urchristliche, urkommunistische Gemeinschaft in der Toskana. Erinnerungen der 2 US-Soldaten, beide 89jährig, die 1945 als erste die Tore des KZ Gunskirchen öffneten. Phänomen unserer Zeit: Exhibitionismus der Kaltherzigkeit. Menschen dürfen Ängste haben, aber das macht ihr Verhalten nicht richtiger. 13 gängige Aberglauben im Überblick. Alles ist aufgeschrieben, und man schreibt noch immer, seufzt Oswald Wiener in seinem Roman «Die Verbesserung von Mitteleuropa». jedesmal lese ich diesen ganzen stumpfsinn wieder ... ich weiß es gibt seit vielen jahren kein einziges buch mehr, das eine stunde muße wert ist ... was man mit der sprache alles anfangen kann, das lockt doch keinen köter mehr. Das Wissen lässt sich in drei Bereiche einteilen; Gedächtnis, Vernunft und Einbildungskraft. Die Zahl der heute bekannten Sterne: 19 Millionen. Es empfiehlt sich, etwaiges Publikum raten zu lassen. Protokoll des 2. deutschen NSU-Prozesses, über die Rolle des Verfassungsschutzes beim Aufbau rechtsradikaler Terrorzellen. Emil Zola: Ich kann kein junges Mädchen vorbeigehen sehen, wie das dort, ohne mir zu sagen: Ist dies nicht besser als ein Buch? Wo sollten die zur Macht gelangten Revolutionäre denn Gerechtigkeit gelernt haben? Die Brutalisierung der Rennschipisten, Ausdruck der Ökonomisierung des Sports. Dass die Sprünge der Abfahrer immer spektakulärer werden, ist ein Imperativ der Wirtschaft und der Television, sehr ungesund für den Schiläufer. Goethes unheimliche Begegnung mit der französischen Revolution. Nora Barnacle und James Joyce hatten eine schreckliche Auseinandersetzung über einen neuen Hut. Höllerer fragte Doderer, was ein realistischer Roman sei. Doderer antwortete: Unter einem realistischen Romanschriftsteller verstehe ich einen Autor, der in ein erfundenes Gewand schlüpft und bei dem wirkliche Ärmel herauskommen. Ist der Kirchenbann, die Exkommunikation eine zeitgemäße Strafform? (Achtung: ironische Frage). Der Westen und Russland, umfangreicher «Blättchen»-Essay. Anarchismus nach Athener Art. Viele gute Aufsätze in der Zeitschrift «Kirche In», z.B. über das Comeback der Exorzisten. Standard-Dossier zum Thema Zeit. Peter Paul Wiplinger und seine antifaschistische Arbeit in Haslach, sein Kampf um das Denkmal der Haslacher Euthanasieopfer. Nach Ernest Renan lebt eine Nation von dem Gedanken, in der Vergangenheit große Dinge gemeinsam getan zu haben und andere in der Zukunft miteinander tun zu wollen. Nach dieser Formel ist Österreich keine Nation. Deswegen muss durch Schispring- und Schilaufübertragungen ein patriotisches Gefühl erzeugt werden, das in einen künstlichen Nationalstolz münden soll. Warum Alexander Girardi unter den echten Wienern der echteste ist. Gauß über die Romasiedlung von Kosice: Da Roma von keiner Bank Kredit erhalten, hat sich bei ihnen ein eigener Stand von Geldverleihern herausgebildet, der sich mit einem Stand der Schuldeneintreiber umgibt. Diese organisieren die europaweiten Bettelfahrten ihrer Schuldner. Warum bilden die Juden in Amerika anderthalbtausend Ghettos, jedes mit dem Herkunftsort und nach dem Herkunftsanlass ummauert? Warum stecken die Opfer und Opfer-Nachkommen des Kischinewer Pogroms noch heute gassenweise zusammen? Warum lernen sie nicht die englische Sprache und besuchen nur jiddische Theater? Nachlesen, wie Egon Erwin Kisch diese Fragen beantwortet. Ein Gespräch mit dem Pressesprecher des Stiftes Klosterneuburg. Eine im Grunde feine Unterhaltung zweier Menschen, die einander Feinde sind.

NOCH NIE HÖRTE ICH SO EIN TIEFES SCHWEIGEN 1

Das europäische, insbesondere das österreichische Gedenken an den Ersten Weltkrieg ist ganz auf Europa konzentriert. Manche Historiker stellen sogar die Kategorie «Weltkrieg» in Frage. Allein in Ostafrika gab es während des Krieges eine Million Tote. England und Frankreich setzten insgesamt 650.000 Kolonialsoldaten auf europäischen Schlachtfeldern ein. Es gab Aufstände gegen diese Rekrutierungen. Die Nierenhändlermafia macht sich die verschwommenen Grenzen zwischen Altruismus und Geschäft zu Nutze. Die Rolle der «christlichen Soziallehre» in den so genannten christlichen Parteien. Die Konstantinische Schenkung bescherte den Päpsten jahrhundertelang Macht und Reichtum. Die Urkunde erwies sich als Fälschung Die historischen Folgen des Justizmords an Jan Hus. Wer schenkelklopfend erzählt, wie die Berliner Mauer fiel, interessiert sich kaum für die neuen Mauern, die überall entstanden. Für neue Automodelle liegen bis zu 200 Namensvorschläge auf dem Tisch. Ein Opel wurde z.B. Adam genannt. Steyr: Zivilgesellschaftlicher Aufstand für die Freiheit der Straßenmusik. Wunderbar, diese Stille. Hier kann ich mich erholen von den Arschlöchern wie mir: Ein Comic im Bananenblatt, die Zeichnung zeigt einen Schifahrer abseits der Pisten. Eine andere Zeichnung: Alter Mann trifft auf Kröte, Kröte sagt: Fick mich! Ich bin eine verzauberte Pornoqueen! Vor dieser Satire hat keiner Angst. Marxismus und Erster Weltkrieg, ein Dossier der Jungen Welt. Die Polizei, ein Dossier der Jungen Welt. Und wieder eine Liste: Was Olé am dreizehnten Tage schuf. der dümmste bulle wiens / fast ein nichts beinah / ein mann von minderer raffinesse / ein affe in uniform / pasolini hätte ihn geliebt: / der affe verbrachte seine kindheit / im slum / den seine gegner, terroristische studentInnen aus den besten familien bolognas / immer nur von oben sahen / wenn die maschine aus havanna / zur landung ansetzte / pasolini hasste sie, so wie sie – rot zwar – pflastersteine auf die proletarischen polizisten warfen. Hallo, Juan Carlos. Wir sind gekommen, um dich zu erledigen. Reg dich nicht auf, bleib locker: eine Kugel, und das war´s. Wir werden dich nicht ertränken oder aus dem Flugzeug werfen (ein Lied von Victor Jara). Bei Demos gegen den Akademikerball kündigt die Polizei an: Es wird gefährlich. Wenn nichts passiert, verkauft sie das als ihren Erfolg. Wenn was passiert, hat sie korrekt davor gewarnt. Der Justizsprecher der SPÖ, Jarolim, wird gefragt, war er von einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten halte. Er antwortet: Ich bin dafür. Auf allen Helmen sollten Nummern stehen, die sich ständig ändern, damit nur der Einsatzleiter weiß, wer die Einzelnen sind. Da kann man im Falle einer Beschwerde den betreffenden Polizisten ausfindig machen, ohne dass sein Name schon im Vorhinein öffentlich ist. Das versteht Jarolim unter Transparenz. Das Geschenk der französischen Revolution an alle Konterrevolutionäre: die Guillotine. Sie ermöglicht den schnellen, schmerzlosen Vollzug der Todesstrafe und stellt eine Humanisierungsmaßnahme dar, die in einer Umgebung der Folter von Delinquenten nur als Segen betrachtet werden kann. Titel, die die Zeit widerspiegeln: Die Rückkehr der Religionen / Wiederkehr der Götter / Comeback der Religionen / Die Wiederverzauberung / Das Ende der Aufklärung ... Die Wehrmacht marschierte in Prag ein und Milena Jesenska notierte: Die Menschen standen da und schwiegen. Noch nie hörte ich so viele Menschen so tief schweigen. 25 Jahre nach dem Mauerfall, ein Dossier des Standard. Die Belgrader Architektin Iva Cukic will die Stadt vor der totalen Privatisierung bewahren und gründete das Ministarstvo prostora, das Raumministerium. Es kämpft gegen den Bau der neuen Waterfront an der Save, das Projekt eines arabischen Großinvestors, und für öffentliche Nutzung der 14 privatisierten Belgrader Kinos, die heute leer stehen. Mundraub.org vermittelt Früchte, die keiner ernten will: kriminell oder vorbildlich? Eine polnische Legende, genährt auch vom Filmemacher Andrzej Wajda, der im Film «Lotna» in einer surreal anmutenden Sequenz Ulanen gegen deutsche Panzer reiten lässt. Die Geschichten von der Kavallerie, die sich todesmutig – und mit Lanzen – gegen die deutschen Panzer wirft, haben Historiker schon seit Jahrzehnten als Humbug entlarvt. / in den garagen / proben rockbands / jeder ehrenamtliche musiker / punks inbegriffen / ist mit dem eigenen auto da / aber sie können die garagen / nicht benützen denn / in den garagen / proben islands rockbands. In einer Stadtratssitzung beschimpfte mich ein Oppositionspolitiker, wie so oft, als unzurechnungsfähig. Die Wut kroch in mir hoch, aber ich blieb ruhig und grinste ihn nur dümmlich an. Als der Mann fertig war und zitternd abtrat, meldete ich mich zu Wort. Ich sagte, es sei schade, dass er eine so schlechte Meinung von mir habe und dass sein schlechtes Bild von mir nicht auf Gegenseitigkeit beruhe. Im Gegenteil, er sei eigentlich voll in Ordnung.

NOCH NIE HÖRTE ICH SO EIN TIEFES SCHWEIGEN II

Interview mit Jon Gnarr. Was the actual job – mayor of Reijkyavik – more a show for you, an art concept, or was it politics? Gnarr: I was playing. I don`t know which is more real, the mayor or me. For me it was like playing a woman. And I like to play woman. But I`m not a woman. Was heißt, den Text als Material zu begreifen? Ein einfaches Beispiel: Es gibt keinen Grund dafür, mit dem ersten Satz anzufangen. Wenn wir mittendrin mit Lesen beginnen, erleben wir eine Geschichte ganz anders, kryptischer. Diese Art zu lesen aktiviert unsere Kreativität. In Visegrad, Bosnien, lässt sich Emir Kusturica, inzwischen serbischer Nationalist, eine historische Fantasiestadt bauen. Der Held dieser Stadt ist Attentäter Gavrilo Princip. Um 60 Cent kann man von Podolinec in die Romasiedlung Lomicka fahren. Aber der durchschnittliche Bewohner von Lomicka hat nur einen Tag im Monat diese 60 Cent zur Verfügung. Es ist der Tag der Auszahlung der Sozialhilfe. Mit dieser zahlt er seine Schulden, sodass er zum Monatszweiten schon wieder völlig plank ist. Nur die Musiker, die in den Fußgängerzonen Mitteleuropas ihre temperamentvollen Christuslieder singen, haben auch noch am zweiten Tag etwas Geld. Den prallen, süßen Holler, der an der Straße wuchert, erntet niemand, als sei er das Giftigste, das die Natur hervorbringt. Man könnte tonnenweise Hollermarmelade machen, aber wer bezahlt den Zucker? Sich gleichermaßen als Gezeichneter und als Ausgezeichneter fühlen. Thomas Mann, 7. August 1914, in einem Brief an Bruder Heinrich, der ziemlich schockiert gewesen sein dürfte, als er den Schwachsinn las: «Muss man nicht dankbar sein für das vollkommen Unerwartete, so große Dinge erleben zu dürfen? Mein Hauptgefühl ist eine ungeheure Neugier und – ich gestehe es – die tiefste Sympathie für dieses verhasste, schicksals-und rätselvolle Deutschland, das, wenn es Civilisation bisher nicht unbedingt für das höchste Gut hielt, sich jedenfalls anschickt, den verworfensten Polizeistaat der Welt zu schlagen.» Thomas und Heinrich sahen einander in den ganzen Jahren des ersten Weltkriegs nur zweimal. Marcel Proust: Ich finde es dumm, wenn jemand sich anmerken lässt, dass man jemand liebt (...) Ich bin ganz entsetzt bei dem Gedanken, wie dumm ich ohne dich geblieben wäre (...) Wenn ein Dichter an einer infektiösen Lungenentzündung dahinsiecht, kann man sich dann vorstellen, dass seine Freunde den Pneumokokken erklären, dies sei ein hochbegabter Mann und sie müssten ihn Heilung finden lassen (...) Wenn die Sprache nicht erfunden worden wäre, hätte statt ihr die Musik (...) Er ist ein sehr wertvoller Mensch, der enorm viel weiß, aber deshalb nicht verknöchert wirkt; er ist gar kein Bücherwurm wie so viele andre, die förmlich nach Tinte riechen. Er hat sich eine Weite des Blicks und eine Duldsamkeit bewahrt, die bei seinesgleichen überaus selten sind. Karl Kraus über die Wiener: Zu den grauslichsten Begleiterscheinungen des Durchhaltens, als wär´s kein Leiden, sondern eine Passion, gehört dessen tägliche Feststellung, Belobung und behagliche Beschreibung. Wie der Wiener schon in Friedenszeiten davon durchdrungen war, dass er ein Wiener ist, sich das täglich zum Frühstück und zur Jause nicht nur selbst ins Ohr sagte, sondern es auch zweimal in der Zeitung zu lesen bekam, und in einer Art, dass wenn ihm erzählt werden sollte, viele Leute seien auf dem Stephansplatz herumgestanden, ihm stattdessen gesagt wurde, es seien viele Wiener gewesen – so wird in der Zeit der schweren Not keinem das Durchhalten so leicht gemacht wie dem Wiener, denn keiner trifft es so leicht wie der Wiener, weil er eben vor allem ein Wiener ist und wiewohl der Wiener nicht nur Bedürfnisse hat wie ein anderer, sondern auch speziell als Wiener eine speziellen Gusto auf Spezialitäten, diese Triebe doch spielend zu unterdrücken vermag, indem er eben ein Wiener ist und deshalb also natürlich auch zu seinem Kaffee, den er nicht bekommt, Hab die Ehre sagt ... (Weltgericht 1, Seite 135). Lasalle will eine Zeitung gründen. Als Redaktionsteam schlägt er vor: Marx, Engels und er selbst, Lasalle. Auch zur Absicherung demokratischer Entscheidungsprozesse innerhalb des Teams hat er einen Vorschlag: «Nur dürftet ihr zwei nicht mehr Stimmen haben als ich, da ich sonst jedesmal überstimmt würde.» Marx in einem Brief: lieber Engels, ich schreibe dir so spärlich, weil ich WIE EIN PFERD an dem Buch arbeite. Hat wer eine Ahnung, wie Pferde an Büchern arbeiten? Engels ärgert sich über die Trägheit der Zivilgesellschaft: Der populus ist hülfloser, als wenn er 3000 Jahre unter österreichischem Zepter gehungert hätte. Du wirst nur dann Gast bleiben, wenn du nicht verlangst, Gast zu bleiben. Journalismus vom feinsten: Thomas Steinfelds Reportage über die herrenlosen Hunde von Istanbul.

SCHNEELEOPARDENGESCHNETZELTES

Am Anfang jede Menge Gebrauchsgrafik für den Augustin, zwischen Kunst, Unterhaltung und Design. Ein seltsamer Dialog. A: Hören Sie sofort auf, ihm wehzutun. Sonst schreie ich laut: Schneeleopardengeschnetzeltes! B: Bitte nicht Schneeleopardengeschnetzeltes schreien! Fromme Zeilen aus dem Tagebuch des Helmut Dobscha: Da unsere innig befreundete, kleine Gemeinschaft namens Blaues Kreuz unter Mitgliederschwund leidet, wurde wieder einmal beim Genießen die leidliche Frage erörtert, wie das zu ändern sei, wo doch die Alkoholkrankheit in unserem Land das größte Suchtproblem ist. Ich selbst bin ja froh, der Gemeinschaft schon so lange treu zu sein, weil sie mich über dem berauschend blauen Wasser hält. Es tut gut, in eine solche Gemeinschaft integriert zu sein, wo keine wüsten und gemeinen Sitten herrschen, welche hauptsächlich der Alkoholmissbrauch auslöst. Als – wenn auch lahmärschiger und altersmüder – Jünger Jesu bin ich wieder im Glauben bestärkt, dass unser geringgeschätztes, manchmal verspottetes Werk kleine Steine ins Wasser des großen Welttheaters wirft, die noch große Kreise ziehen können, wann immer es dem Herrn gefällt. Aber dem Herrn, lieber Hömal, scheint die Krise des Blauen Kreuzes gar nicht aufzufallen. Ein Fahrplan der Linienschifffahrt auf der Donau, mit Anschlusszügen, aus der Monarchie. Auf dass er sich für die Wahl stärke, entstaatlichte er die Stahlwerke; das steirischkühle Gösser-Bier trinkt man mit Lust, nein, besser: Gier; just, als sich Ruth verknöchelte, geschah´s, dass Knut verröchelte ... und viele andere Schüttelreime von Christian Christiansen. Dieter Schrage erinnert sich an ein Treffen zur Theorie der Subkultur im Café Jelinek im Mai 1997. Die Teilnehmer: Dieter Schrage, Rolf Schwendter, Jeff Bernhard, Jörg Liebscher, Horst Zemanova und Richard Gronald. Es kam zu Differenzen zwischen Schrage und Schwendter, als die Begriffe Subkultur und Gegenkultur zu definieren waren. Ich versuche gar nicht erst, den Streit zu verstehen; die Debatte scheint mir sehr akademisch zu sein. Mögen sie den Streit auf Wolke Numero 13 fortsetzen. S 93980 / BV / 11. Wien am 19. 06. 2012. Straferkenntnis. (Wegen Nichtanmeldung einer Demo gegen das Bettelverbot soll der Augustin 44 Euro Strafe zahlen). Das Verschulden kann nicht als geringfügig angesehen werden, da weder hervorgekommen ist, noch aufgrund der Tatumstände anzunehmen war, dass die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe, oder dass die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können. wenn sie ihr fenster öffnen werden / auch nur einen kleinen spalt / wird ihnen die kleine brise frischen windes / die kleider vom körper reißen und / sie werden atmen. Texte von Kathrin Butt aus Linz. Die Augustin-Story der ägyptischen Zeitung Alhayat ist erst auf Seite 17 abgedruckt, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Zeitungen aus unserer Perspektive hier von hinten nach vorn gelesen werden. «Kuhstall bei Nacht» von Bernhard Kathan ist ein Monolith unter den Schmankerln dieses Ordners. Geerbtes Vermögen ist ohne die geringste Leistung zu haben – wie verträgt sich das mit dem Selbstverständnis einer Leistungsgesellschaft? Wer in unserer Zeit Bevölkerung statt Volk sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Mit meinem Freund Brecht stürme ich gegen einen eingeführten Titel an: Fest der Völker im Augarten. Ich bin bei keinem Volk dabei – ist das Fest nicht für mich gemacht? Meine Frage löst Kopfschütteln aus. Vor hundert Jahren wurde Friedrich Heer geboren, die Wildsau Gottes, oder Gottes Wildsau. Hermes Phettberg: Unendlich viele Jeansboys geraten mit ihren Freundinnen ins Cafe Jelinek hinein. Und jedes Mal, wenn ich dieses Drama sehe, erinnere ich mich an den Silvesterabend vor hundert Jahren, als ich von einer jungen Frau eingeladen wurde, als ihr Begleiter, auf den Bisamberg zu einem «Fick-Gelage». Doch ich sah nur die Jeansboys, und sonst nix. Und in der Sekunde rannte ich aus dem Haus, in das ich eingeladen worden war, und erreichte extrem knapp den letzten Zug nach Wien-Mitte und ging dort aufs Klo. Und seither weiß ich «alles» (...) Ich liebe, wie die Fingerkuppen der Finger meiner linken Hand riechen. Und immer, wenn ich nicht weiter weiß, riech ich ihren köstlichen Geruch (...) Bei jeder Begegnung will ich mich verankern. Und im Unterbewusstsein merken das die Begegnenden und haben Angst vor mir. Rat der geistigen Arbeit, Allgemeiner Studentenausschuss, Rat der bildenden Künstler, Aktionsausschuss revolutionärer Künstler – Intellektuellen-Organisationen, die der Münchner Republik zur Seite standen. Typisch für die Wandlung von der nationalen Kriegsbegeisterung zur internationalen Kriegsgegnerschaft war der Werdegang Ernst Tollers. René Schickele: Ich bin Sozialist. Aber wenn man mich überzeugte, dass der Sozialismus nur mit der bolschewistischen Methode zu verwirklichen sei, so würde ich, und nicht nur ich, auf seine Verwirklichung verzichten.

UND FASCHISTEN SCHREI´N: SIESTA! I

Ein Bischof muss da sein, wo ein Bischof gebraucht wird! Auf einem Bahnhof! Wo Menschen auf dem Wege sind, wo Menschen ankommen, vor schwierigen Entscheidungen stehen oder gerade Schwieriges entschieden haben, wo ein Mensch ständig in die unwirtlichen Randzonen seiner Existenz hinabzugleiten droht, dort muss ein Bischof sein! Heute sind Bischöfe von kaum einem Bahnhof mehr wegzudenken. Aus Max Goldt, Die Ansprache eines Bahnhofsbischofs. Rolf Dieter Brinkmann, Hymne auf einen italienischen Platz: o Piazza Bologna in Rom! Banca Nazionale Del Lavore und Banca Di Santo Spirito, Pizza Mozzarella Barbiere, Gomma Sport, Gipsi Boutique und Willi, Tavola Calda, Esso Servizio, Fiat, Ginnastica, Estetica, Yoga etc. Eiscreme wurde vor 4000 Jahren in China erfunden, es war eine pastenartiges Zuchtviehmilcheis. nattern flattern in den fasching / und faschisten schrein: siesta! / nonnen schlürfen cuba libre / und verfluchen hodenhaarwuchs etc. etc. Ein Songtext von mir, den ich vertonen lassen möchte. Ohne Tiere lässt sich die menschliche Geschichte nicht erklären. Über die junge Disziplin der Human-Animal-Studies. Hier wird unter anderem erforscht, ob die Brüche des 20. Jahrhunderts – Weltkriege, Zusammenbruch des Kommunismus – für Tiere genauso wichtig waren wie für die Menschen. Pferde litten in den Kriegen wie Menschen. Mehr als 1,5 Millionen Pferde starben im 2. Weltkrieg allein an der Ostfront. Tiere hinterlassen keine Quellen und keine Schriften, aber das trifft auch auf 99 Prozent aller Menschen zu. Paradox: Trotz der Veralltäglichung des weltweiten Reisens nimmt die Fremdenfeindlichkeit zu. Die Elendsten der Welt sind unfähig zur transkontinentalen Migration; eine Ausreise aus Ghana mit dem Ziel: italienische Küste kostet zwischen 20.000 und 30.000 Dollar. Über die peinlich anmutende Unterwerfung der Rektorate unter die fragwürdige Leistungsmessung diverser Ranking-Agenturen. Breschnew, deine Orden hängen wie Eiszapfen an deiner Brust! Dein Moskau ist eine Stadt ohne Punkrock. Tritt ab! (aus Glasnost, Zeitung der KPÖ Brigittenau). KJÖ 20 Novemberprogramm 1977. Di 8. 11. Was war los beim ÖGJ-Kongress? Di 15. 11. KJÖ 20 Poesiezirkel. Di 22. 11. Der 23. Parteitag der KPÖ. Referent: Gen. Erwin Heller. Di 29. 11. Kabarett «Die Gemeinderöte» Di 6. 12. Diskussion über das Bundesheer. Sa / So 19. / 20. 11. Wochenendschulung 60 Jahre Oktoberrevolution in Mauerbach. Sa 26. 11. explo-club. Sigi Maron, Jazz, Magie, Disco. Flyer von damals: Rote Großmütter erzählen. Anschließend Fest mit dem Roten Gamsbart, Steiermark. Explo-club spezial: Freundschaftstreffen mit DDR-Jugendlichen. Livemusik: Roter Fäustling. Das erste linksradikale Flugblatt für das Traisental nach der Befreiung Österreichs 1945 hatte den Titel «Macht kaputt was euch kaputt macht», war zweiseitig und dicht beschrieben und lud zu Treffen im KP-Lokal von Traisen ein. Meines Wissens folgte niemand der Einladung. Kreisky mit Sprechblase: Also sowas! 115.000 Schilling im Monat sollen zuviel sein für einen, der so arbeitet wie ich? während der gesunde brigittenauer seinen staberl liest, rotten sich die schwarzen schafe zusammen zum 3. treffen der linken, subversiven und alternativen elemente de 20. bezirks. haberer und -innen mitbringen (flyer aus 1976?)). Kopenhagen als Zukunftsmodell: die Fahrradrevolution. Angeklagt: Kuh, Schaf und Geiß. Tierhaltung belastet die Umwelt. Vor einer neuen industriellen Revolution: der totalen Digitalisierung. Über den Hass im Netz. ich bin nicht über dir / ich bin nicht unter dir / ich bin neben dir / komm schlaf bei mir. HETERRORIST. Die repräsentative Architektur der Stalin-Ära steht hoch im Kurs. Die Geschichte der europäischen Nationalstaaten belegt, dass sich Gefühle der Verbundenheit und der Nähe nicht verordnen lassen. Die Subkultur der Urban Explorers, eine Art Zurückeroberer der Stadt. Bradley Garrett, einer von ihnen, hat zwei Jahre sämtliche stillgelegten U-Bahnstationen in London erkundet und ist dafür bestraft worden (Unbefugtes Betreten von Bahngleisen).

UND FASCHISTEN SCHREI´N: SIESTA! II

Ein Geschenk der aufmerksamen Zsuzsi Vecsei: Fotos aus den 1960er Jahren. Polizei vor dem Perinetkeller, noch nicht bürgerkriegsmäßig eingekleidet, friedliche Kappen statt zweifüßige, gepanzerte Strafroboter mit schusssicherem Männerbusenhalter. Wie der greise Günter Grass sich mit ästhetisch unsäglichen Texten – dem Anti-Israel-Gedicht und dem Pro-Griechenland-Gedicht, beide aus 2012, in die Öffentlichkeit drängte und nicht bemerkte, dass diese schon gähnte. Das Griechenland-Gedicht ist grottenschlecht, dennoch finden sich Bewunderer seiner angeblichen Poesie. Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht / bist fern Du dem Land, das die Wege Dir lieh / Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt / wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert. (Griechenland). Warum sage ich jetzt erst / gealtert und mit letzter Tinte / Die Atommacht Israel gefährdet / den ohnehin brüchigen Weltfrieden ... Raddatz meint dazu richtigerweise in seinem Tagebuch: Wenn ich nun sehe, wie artistisch impotent der Ex-Freund Grass geworden ist, was die beiden Gedichte auf geradezu schmerzhafte Weise vorführen, dann wird man tief pessimistisch. Er kann halt nicht mehr, hat nicht mehr die Kraft zu gestalten (...) Wie biegen wir in die allerletzte Kurve? Auf Papier onanierend? Im Spiegel wurde das Israel-Gedicht als «lyrischer Erstschlag» denunziert; es bediente antisemitische Verschwörungstheorien, behaupteten die Freunde der autoritären israelischen Regierungen. Ich plane keine terroristischen Anschläge, ich habe also vor der Totalüberwachung keine Angst. Denn ich habe nichts zu verbergen. Das ist eine übliche Haltung gegenüber den Angriffen auf die Privatsphäre. Gerade denjenigen, denen der Schutz der Privatsphäre eigentlich egal ist, tun alles Mögliche, um IHRE Privatsphäre zu schützen. Sie verändern dauernd ihre Passwörter, sperren die Schlafzimmertür ab und machen ihr Heim durch eine Thujenmauer unsichtbar. Das Nazi-Argument, wer nichts zu verbergen habe, habe nichts zu befürchten, korreliert mit dem Satz, dass einem die Meinungsfreiheit egal sei, weil man nichts zu sagen habe. Noam Chomsky zitiert dazu den uralten Blaise Pasqale: Der Mangel eines Raumes, in dem man still und ungestört sitzen kann, ist die Wurzel menschlichen Unglücks. Chomsky hält die Terrorismusgefahr für weit übertrieben. Wirklich gefährlich war für die Engländer der irische Terrorismus. Ihm zum Opfer zu fallen, passierte weit häufiger als heute dem IS-Terror zum Opfer zu fallen. In Belfast herrschte Krieg. Es gab aber keine Bush´s und Obamas in England, darum kam es nicht zu einem Flächenbombardement von Nordirland, sondern die Bereitschaft, mit den Todfeinden zu verhandeln. Das Ergebnis ist ein Sicherheit ausstrahlendes Belfast und das Verschwinden des Terrorismus. Das Ergebnis der Terrorismusbekämpfung vom Stil Obamas ist die Multiplizierung der Terroristenzahl. Zwei offizielle amerikanische Untersuchungen, warum die USA außerhalb der USA so verhasst sei. ATTAC-Papers zur Frage der Demokratie, der Globalisierung, der Bankenkrise, des Grundeinkommens, der Ernährungssouveränität, der Steuertricks und der Konzernmacht. Huizingas Definition des Begriffs Spiel lässt sich auf das Schaffen der Wiener Avantgarden anwenden. Jandl: unsere ansichten gehen als freunde auseinander. Apolizität und Anarchie heißen die beiden Freunde, wenn es um die Avantgarde geht. ich komm aus einem andern stern / dort ist man ums verrecken gern / ganz ohne herrn. In Miroslaw Krlezas Buch «Die Fahnen» sagt der Anarchist Kamilo über seinen Vater: Wenn wir uns in der Einsamkeit bis zu einem gewissen, ja sogar selbstzerstörerischen Grad langweilen, wird uns dennoch nie so langweilig sein wie in der Gesellschaft hohler Menschen, die ausschließlich den banalen Gesetzen der Erdkruste unterliegen, unabhängig davon, dass wir mit diesen Menschen beinahe unser ganzes Leben verbracht haben und mit ihnen sozusagen täglich 24 Stunden vergeuden. Dieser Menschenschlag sieht nur sich selbst und kennt ausschließlich sich selbst. Eine hervorragende Stelle auf Seite 152, Band 1, über den Unsinn des Altgriechisch-Unterrichts. Aus den Stalingrad-Protokollen der sowjetischen Historikergruppe. Die Menschen fürchteten die Sirenen der deutschen Bombenflugzeuge mehr als die Bomben. Die Sirenen machten die Menschen wahnsinnig. Das Kloblatt, ein Fanzine. Thomas Eders Perinetkeller-Vortrag über «ZOCK und die Folgen». Über die polabische Sprache – eine westslawische. Verschwörungstheorien, ein Standard-Dossier. Die Sorben – nur noch Fiktion. Kulturgeschichte der Trainingshose. Uschi Schreibers Liebling, der Guru-Ökonom Rahim Taghizadegan, inszeniert sich als ideologiefeindlich, hängt aber der Ideologie der Wiener Schule der Ökonomie an, die heute nur noch Sekten-Charakter hat. Aktionsradiusinternes Paper von mir, in dem ich versuche, die Gründe zusammen zu fassen, die gegen eine Einladung eines FP-Politikers zu einer Podiumsdiskussion sprechen.

HIRLATZ LUPITSCH SUNIWEL I

Februar 1945, das Gemetzel von Porcus, eine schreckliche Episode des italienischen Widerstands. Die kommunistischen Partisanen der 2. Brigade Garibaldi erschossen 14 Mitglieder der anarchistischen 1. Brigade Osoppo. Unter den Opfern: der Bruder Pasolinis. Vorher hatten sich die beiden in Friaul operierenden Brigaden temporär zusammengeschlossen. DICADALAGA, einer der vielen Dialekte der friulischen Sprache. Wird am rechten Ufer des Tagliamento gesprochen. Kommt von di cá da l`aga, diesseits des Wassers. Nicht immer ist einer, der in der Literatur links ist, auch in der Politik links, meint Pasolini. 1968: Die Entscheidung der Kleinbürger, sich dem politischen oder gewerkschaftlichen Leben zuzuwenden, kann von ideellen Motivationen bestimmt sein, kann aber auch (und gleichzeitig) bestimmt sein von der mehr oder weniger bewussten Überlegung,, dass sie, wenn sie sich an die Seite der Arbeiter stellen, Führungspositionen einnehmen können, während sie, wenn sie sich der Bourgeoisie zuwenden, untergeordnete Beamte würden. Pasolini hat die Freiheit, sich zu widersprechen, zur Institution erhoben. als ihr euch gestern in valle giulia / geprügelt habt / mit den polizisten / hielt ich es mit den polizisten! / weil die polizisten söhne armer leute sind /sie kommen aus randzonen, / ländlichen oder städtischen. Noch einmal Pasolini: Viele Katholiken bringen, wenn sie Kommunisten werden, den Glauben und die Hoffnung mit und vernachlässigen, ohne es überhaupt zu bemerken, die Nächstenliebe. Genauso entsteht der Linksfaschismus. Pasolini, zum allerletzten mal: Ich kann nicht mehr an die Revolution glauben, aber ich kann nicht umhin (ums Verrecken nicht, würde ich schreiben, rs), auf der Seite der jungen Menschen zu stehen, die dafür kämpfen. (Anm. rs: Selbst wenn sie sich mit der Polizei prügeln?) Die Flughäfen sind die Kathedralen unserer Zeit. Die Architektur zielt darauf ab, die Passagiere zum Staunen zu bringen. Aber kein Mensch braucht auf seinem Weg zum Gate 50 Meter Deckenhöhe. Auffallend ist, dass gerade in autoritären Ländern die spektakulärsten Flughäfen in Auftrag gegeben werden. Der Erste Weltkrieg in Österreichs Schulbüchern. Dass die Attentäter von Sarajewo auch von anarchistischen Motiven zum Tyrannenmord getrieben waren, ist in keinem Lehrmaterial zu finden. Die deutsche Propaganda feierte den Sieg über Polen im September 1939 als «Feldzug der 18 Tage» Dieses Tempo wurde durch Brutalität erreicht: Die Zerstörung Warschaus war das erste städtevernichtende Bombardement des Krieges. Jacques Riviere (1886 - 1925) über die Deutschen: Was mir auf den ersten Blick auffällt, ist ihr Mangel an Temperament und das, was Maurras einmal sehr treffend «die Mittelmäßigkeit des deutschen Grundstocks» nannte (...) Man spürt an ihnen eine nahezu unendliche Leere und vor allem, was mich mehr als alles andere aufregte, diese gute Laune von Menschen, die keine Wünsche haben, die damit zufrieden sind, zu tun, was man ihnen befiehlt, weil sie sonst nicht gewusst hätten, womit sie sich die Zeit vertreiben sollen (...) Zwar ist der gegenseitige Beistand unter den Deutschen gewiss sehr groß, aber sie lieben einander kaum. Es genügt, sie untereinander sprechen zu sehen, um sich davon zu überzeugen (...) Es ist unglaublich, wie langsam der Deutsche darin ist, sich das richtige Verhältnis zu den Menschen, auf die er trifft, zu vergegenwärtigen. Das liegt daran, dass er von keiner gefühlsmäßigen Regung, von keiner unmittelbaren Empfindung darüber aufgeklärt wird (...) Sie begehren, sie erwarten, sie verlangen nichts. Plädoyer für einen «Guten Tag»-Tag in Wien. Manfred Wieninger über Ottokar Kernstock (Steirische Holzer, holzt mir gut / mit Büchsenkolben die Serbenbrut). Christoph Altrogge, Texte über Retz u.a. an die Schreibwerkstatt. Eva Jancaks Erzählung «Tauben füttern». Hundsblume, Kassiber Extra, 1970: Leander Kaiser hat in einem Druckwerk durch die im Text unter der Überschrift «Vom Ende der Kirche» verwendeten Formulierungen, und zwar durch die Bezeichnungen «Anachronistische Bestie», «Klapprige Gestalt» und «Ladenhüter» die Gesamtheit der Einrichtungen der katholischen Kirche und durch die Ausdrücke «vorgestrige Anmaßung», «Blindheit», «Dummheit», «geringer Dreck» und «Unsinn» die Morallehren der katholischen Kirche herabzuwürdigen versucht. Der Richter sagte zu Beginn der Verhandlung:Ich bin so vermessen anzunehmen, dass ich eine etwas höhere Ebenen habe als Sie – und diskutieren kann man nur auf gleicher Ebene.

HIRLATZ LUPITSCH SUNIWEL II

Die Mutter darf den ganzen Tag die Kinder nicht aus den Augen lassen, die Kleinen nicht und die Großen nicht. Durch ihre Wachsamkeit lernt die Mutter die bösen Neigungen der Kinder zu kennen und zu bekämpfen. Von der Feinheit des Herzens hängt das Lebensglück des Kindes ab. Kein Zweifel, dass hier die bösen sexuellen Neigungen der Kinder gemeint sind. Manfred Wieningers Portrait des österreichischen Jahrhundertfußballers Bimbo Binder. Vom «Sturm 19»-Kicker zum Rapid-Fußballgott. In seinen ersten drei Spielen im Rapid-Dress (Herbst 1930) schoss er 13 Tore. Manfred Chobot über Christian Loidl, ein Nachruf. 1993 unterrichtete Loidl eine Klasse an der Schule für Dichtung unter dem Motto SALAMIHERSTELLUNG AUS HEILIGEN KÜHEN, ausgehend von der Frage: Wie können wir Texte anderer dazu verwenden, unsere eigenen Texte zu schreiben? Einführung in die Arbeit des NEUE MUSIK-Duos Hemma Geitzenauer und Katharina Klement, Die Laborantinnen. Experimente mit Blockflöten, die einer speziellen Mikrofonierung in deren Inneren unterzogen wurden. In Wiener Schulen ist Kaugummikauen während der Schulzeit verboten, während in Finnland nach jeder Kindergartenmahlzeit der berühmte finnische Xylit-Kaugummi verteilt wird – eine finnische Erfindung. Das Geheimnis der Erdställe oder Schrazellöcher, wie unterirdische Gang- und Kammersysteme in Niederösterreich genannt werden. Die Filme von Zelimir Zilnik – und die Idee, ein kleines Perinetkellerfestival, kuratiert von Tina Leisch, zu veranstalten. Erinnerung an die Hirscheninsel im ehemaligen Überschwemmungsgebiet der Donau in Wien, unter den Wichteln und Spießern verrufen, weil hier in der Zwischenkriegszeit die legendäre autonome FKK-Bewegung entstand (die ihrerseits nicht frei von spießbürgerlichen Aspekten war). Der Titel HIRSCHENINSEL drängt sich für einen Blog oder ein Zine auf, für ein Medium, das gleichermaßen wienerisch wie revolutionär ist. Der Starkünstler aus China, Ai Weiwei, spielt mit der Pekinger Regierung eine Schachpartie. Er scheint zu gewinnen. Seine Installation «Map of China» erzielte im April 2014 laut NZZ bei Sotheby´s Hongkong über eine Million Dollar. Die Maras-Banden in El Salvador – Selbstorganisation der Arbeitslosen, die um´s Verrecken entbehrlich ist. Der gespaltene türkische Mittelstand: rechts die Aufsteiger anatolischer Herkunft, die religiös-konservativ denken und AKP wählen, links der traditionelle kemalistische Mittelstand mit urbanen, säkularen, westeuropäischen Werten. Helmut Heißenbüttel hat 1981 das Buch D´Alemberts Ende auf den Markt gebracht, der meinen Dauerdiebstahl von Fremdtexten vorwegnimmt, allerdings in radikalisierter Form. Das Buch hat die Form einer epischen Großcollage. Es besteht ausschließlich aus montierten Zitaten. Beispiel. Wie viele Male muss er etwas neu schreiben, bis es fertig ist. Notiert er es mit der Hand? Kann es sein, dass es schon das Richtige ist? Woher weiß er, wann es richtig ist und ob es fertig ist? Gibt es ein Vorbild oder schließt er sich an etwas an? Die Deutsche erleben die Freiheit immer am Tag ihrer Beerdigung (Marx). hirlatz lupitsch suniwel / espang mannschlacht hebenkas / kranawetter kammertret / zirmel zleim und gscheiriedl / zwicker zinkitz poserer / tibschern zipfveit katzenmoos / dindl ramai hinterrad: Ausseerland topopoetisch. Als die Flut kam, plünderten junge Leute zwei Supermärkte. Sie holten Säfte für die Kinder, Biere für die Arbeiter und Regenschirme für die Durchnässten. Einer nahm für sich sechs Schwedenbomben mit. Fünf Freunde beachteten ihn nicht. Da teilte er auch diese Beute. Der rapide Untergang der Inka und Azteken nach der spanischen Eroberung ist eine Siegererzählung, insbesondere der Teilmythos vom entwaffnenden Erschrecken der Indigenen vor «Monstern», wie die Menschen, deren Vorfahren 30.000 Jahre zuvor die Pferde durch Massenjagd ausgerottet hatten, die berittenen Europäer nannten. Auch die SchülerInnen Schwedens kommen zum Unterrichtsbeginn asexualisiert, die Matura aber erreichen sie schon in der Evolutionsstufe der Sexbombe, das wissen die boats-people (wussten Sie, dass ein freiwilliges schwedisches Frauenregiment, bekannt geworden durch den finnischen Spielfilm «Blonde Zombies auf der Streif der Hölle» jene Scharfschützinnen ins Militärgefängnis steckten, die innerhalb einer Woche keinen einzigen deutschen Soldaten töteten?) Die Scharfschützinnen hatten entdeckt, wonach ihre männlichen Rohre seit Jahrzehnten vergeblich suchten, nämlich nach einer halbwegs sicheren Methode, die gegnerischen Scharfschützen zu orten. Scharfschützen waren ja hüben wie drüben extrem unsichtbar. Die Russ_innen nagelten einen Handschuh auf ein Holzbrettchen, hielten das Brett mit Hut in die Höhe und mussten nicht lange warten, bis es durchschossen wurde. Anhand des Durchschusskanals ließ sich die Richtung bestimmen, aus der die Schüsse fielen.

HIRLATZ LUPITSCH SUNIWEL III

Sie durchsuchten meinen Spund und fanden antikommunistisches Rauschgift. «Hegel – ist das nicht ein bürgerlicher Philosoph?» Obwohl nur ein kleinbürgerliches Element, konnte ich beipflichten. Heiner Müller nach der «Wiedervereinigung»: Was in Osteuropa einschließlich der DDR gescheitert ist, war der Versuch, die Zeit anzuhalten. Das Leben fand in der Warteschleife statt. Die so genannte Wiedervereinigung (in der bisherigen Geschichte waren die Deutschen immer nur einig gegen die Franzosen, Briten, Russen) findet in Form einer Kolonialisierung statt. Die deutsche West-Ost-Begegnung ist ein Nord-Süd-Konflikt. Für Jahrzehnte wird nach dem vorläufigen Sieg des Kapitalismus die Kunst der einzige Ort der Utopie sein, das Museum, in dem die Utopie AUFGEHOBEN wird für bessere Zeiten. Peter Hacks über literarischen Diebstahl: Wenn Dichter stehlen, stehlen sie bewusst, und es ist oft weniger eine Frage des Gewissens als eine der Weltgeschicklichkeit (Werkgeschicklichkeit?), ob sie die Eigentumsübertragung lieber zugeben oder lieber für sich behalten. Brecht benutzte den Trick, einen Diebstahl dort zuzugeben, wo er gar keinen begangen hatte, um hierdurch ein Vertrauen in seine Penibilität und Ehrenfestigkeit zu stiften. Die Antwort «Weil Grillen einfach und unkompliziert ist» auf die Frage «Warum grillen fast nur Männer» ist eine männliche Koketterie und kann folgende Replik hervorrufen: Wenn Männer für die Familie grillen, ziehen sie die simpelste Art des Grillens vor, nahezu eine Demonstration der Missachtung der Familie durch den Boss himself. Gegrilltes ist nicht Gegrilltes, und es gibt Maestros und Maestras des Grillens. Die Wiener Gasanstalt hat die Belieferung der Juden mit Heizgas eingestellt. Der Gasverbrauch der jüdischen Bevölkerung brachte für die Gasgesellschaft Verluste mit sich. Die Juden benützten das Gas vorzugsweise zum Zwecke des Selbstmordes. Dallas Miller: Aus mangelhafter Neugier hatte er seine Vorhaut noch nie zurückgeschoben, sodass sich dort ein Gutteil sozial unerwünschten Ausflusses angesammelt hatte – bei erstaunlich guter Gesundheit (...) Er hatte sein Auto auf die andere Fahrspur gesteuert, um sie nicht mit Regenwasser zu bespritzen, doch über diese Gefälligkeit hinaus war ihm nicht nach Intimität. Adolf Wölfli, ein Schweizer Art Brut-Senjor. Christliche Erziehungsmethoden im Speziellen und Erziehungsterror im Allgemeinen. Ein paar eigene Texte, z.B. «Anarchistischer Hottergang» oder «No Nation, kein Holler« oder «Der Tscheche rannte» oder «Die Geringschätzung des Messers». Erstaunlich, du fährst, aus dem Burgenland kommend, über die Leitha – und schon kennt kaum einer den Begriff Hotter. Apropos Grenzfluss. Aus dem Innenministerium ist mir zugeflüstert worden, dass für ChinesInnen eine Verschärfung des Tests bei Einbürgerungen vorgesehen sind. Die angehenden Ösis aus dem fernen Osten sollen folgene Zeilen rasch und laut rezitieren: grüß dich du grenzwertiger gartenzwerg / mit grammelschmalz verstopfst du / die kernölquellen / du grollst und grantelst / und grimmelst pröllig aus dem most / vergiss mein prost! schreit eine neue figur / sie schreit den schrei aus der brust unter dem herzschrittmacher / den grauen schrrrrrei aus der gruft / halloooo. Das wird die Strrrreu vom Weizen trrrrennen. Die Pickbuchgalerie, verkleinerte Kopien. Der Papst hat die Mitglieder der Mafia exkommuniziert. Das tut ihnen weh, denn sie halten ihr Christentum hoch vor sich her. Abschied von Subcomandante Marcos. Der neue nennt sich Subcomandante Galeano. Seine Sprache behält die Poesie Marcos´ bei. Am 21. Dezember 2012 okkupierten Zehntausende von uns Zapatisten jene Gebäude, von denen aus unser Verschwinden gefeiert wird. Zum Ursprung des bewaffneten Widerstands der Zapatisten sagt Galeano: 1994 ist eine Armee von Riesen, das heißt, von rebellischen Indigenen in die Städte hinabgezogen, um mit ihrem Schritt die Welt zu erschüttern. Das Blut unserer Gefallenen war noch frisch, da merkten wir in den Straßen der Städte, dass die von Draußen uns nicht sahen. Gewohnt, die Indigenen von oben herab zu betrachten, erhoben sie den Blick nicht, um uns anzuschauen. Ihr Blick blieb auf dem einzigen Mischling hängen, der eine Gesichtsmaske trug, das heißt, sie schauten nicht. Es begann ein listiges Spiel des indigenen Herzens, Wir forderten die Kommunikationsmedien heraus – durch die Konstruktion einer Figur, die wir Marcos nannten. Es gab einen Marcos für jede Gelegenheit, für jedes Interview. Bei der Konstruktion und Erhaltung dieser Figur begingen wir einige Fehler. Die Figur des Führers ist überflüssig geworden. Wir sind überzeugt, dass zur Rebellion weder Führer noch Caudillos noch Messias noch Retter nötig sind. Um zu kämpfen, braucht es nur ein wenig Schamgefühl, ein Quantum Würde und sehr viel Organisation.

KARRIEREFREIER ZUGANG I

Mopso Sternhaus über das KZ Ravensbrück: Warum ich dort «glücklich» war? Weil ich die Möglichkeit hatte, mein Christentum auszutoben, es unter einem politischen Vorwand auszutoben. Ihre privilegierte Stellung nutzte sie aus, Gefangene zu retten. In Senegambia, 16. Jahrhundert, kostete ein Pferd sechs bis acht schwarze Sklaven. Ich weiß nicht wer, aber irgendwer, las ich, hatte deshalb pathologischen Schiss vor Pferden. «Mit jedem Greis, der in Afrika stirbt, verbrennt eine Bibliothek», eine weiße, vulgärethnologische Überlieferung! Der Satz wird meistens so ausgelegt, in Afrika sei Literatur immer nur schriftlos, nur mündlich verbreitet; erst die Kolonisierer hätten die Schrift nach Afrika gebracht. Doch lang vor dem lateinischen Alphabet wurde auch in Schwarzafrika die arabische Schrift verwendet. Ein Zimmer, schreibt Debora Vogel, ist ein Kampf gegen den Raum. Sie liebte schlichte Innenräume, aber die Schlichtheit durfte nicht mechanisch sein. Die Schlichtheit musste eine Seele haben. Schausd aus wiara gschbiems öpfiko. Von den Medien ignorierte antinationalistische Friedensaktivitäten in der Ukraine und in Russland. In Flashmobs in der Ukraine singen Menschen russische Lieder, während am Kiewer Bahnhof in Moskau ukrainische Lieder gesungen werden. «Schau mir in die Augen, Kleines» ist ein Übersetzungsfehler. Im Original sagt Bogart: «Here`s looking at you, kid». Es ist ein Trinkspruch, der ans Glas und nicht an die Liebe appelliert. Die Buchrezensionen im Feuilleton bestehen zu 80 Prozent aus Inhaltsangaben. Eine pseudoanarchistische Geste des Anti-Anarchisten Fidel Castro: Sein letzter Wille war, in Cuba dürften keine Castro-Denkmäler aufgestellt werden. Der schlaue Fuchs wusste, dass das seiner Vergöttlichung nicht schaden würde. raumanzüge / traumanzüge / träumer zügeln / zeugendrama / dramazunge / traumzucht, / raumanziehung / großraumfahrzeug. Jerusalem als letzte Enklave des christlichen Weihnachtsbrauchtums. herrlich! heute irgendetwas / sehr schwer verwüsten / aber meiner meinung nach / gemeinsam. Die Tschuschenkapelle spielt den Robert-Sommer-Walzer (ein Geschenk zum 65. Geburtstag) beim traditionellen Neujahrskonzert im Volkstheater. Die nicht enden wollenden Sätze des Miroslav Krleza (aus «Die Fahnen», Band 1): In der Flut der Nasen, die genauso diskret und aufdringlich sind wie ihre Schnauzen und Bewegungen, ihre Kleider und Schuhe, in der Flut hohlster Worte, offensichtlichen Schwachsinns und von Lügen, die aus ungewaschenen, kratzigen, nach Nikotin stinkenden, weit aufgerissenen und gierigen Rachen herausquellen, zwitschern die hohen kindlichen Soprane, ihr aufrichtiges Beileid bekundend, die verstorbene Hochwohlgeborene sei eine große Wohltäterin gewesen, eine feine Seele, so lügen die charmanten, rosafarbenen, fleischigen Frauenlippen, reißen die dunkelhäutigen, scharfzähnigen Schnauzen auf, knurren wie Hunde und wedeln mit dem Schwanz, da grinsen die fleischigen Masken mit gefährlichen, harten, kriminellen, vorstehenden, grob abgeflachten Unterkiefern, dichte, zerzauste Haare ... Der Guerillero hat gewonnen, wenn er nicht besiegt wird. Mein Song vom Unort: ich komm aus einem andern stern / dort ist man ums verrecken gern / ohne herrn ganz ohne herrn / die liegen uns so fern so fern / wie kirschen ohne kern / am morgenstern. Er endet: ret marut verteilt die schlüsseln / für die kellersubkulturen / wo niemand tickt wie schweizer uhren ... Österreich darf nicht die Streif werden! Ich erwarte Widerstand gegen das Projekt «Winterolympiade Innsbruck-Kitzbühel 2026». SCHNEEELITE no pasaran. Die Geschichte der heißen Würstchen lasse ich aus. Zum Würstel nur ein Bild: Eine Völkerwanderung von Spaniern, die ihre Hotdogs im Stehen zermampfen. Ein roter Punkt auf meiner Stirn, von wem auch immer geklebt. Und ich vor dem Spiegel. Als ich zwei war, versuchte ich, den Punkt von der Spiegeloberfläche zu entfernen. Mit drei Jahren versuchte ich, den roten Punkt aus meinem Gesicht zu wischen. Als ich neun war, versuchte ich, mir den roten Punkt aus meinen Augen zu reiben. Mit 60 verschwand der rote Punkt. Als ich endlich weise wurde, erkannte ich, dass mich der rote Punkt beobachte. Ich erzählte niemanden davon. Fernsehstar Rahim Taghizagedan: Sein ständiges guruhaftes Lächeln nervt mich, während Uschi es für ein Zeichen wunderbarer Gelassenheit hält. Meine literarisch-künstlerisch-politischen Institutionen: Perinetkeller, Aktionsradius, Arena Bar, Anstalt für Dichtungen aller Richtungen, Bloomsday. Ein Kriterium guter Lyrik: Erfolgt in einem Gedicht eine bloße Verrätselung oder strahlt es ein Geheimnis aus? Rätsel sind zweidimensional, Geheimnisse sind Räume. Man hat die Willkommenskultur, die anfängliche Begeisterung über die Flüchtlinge, für Empathie gehalten. Ich glaube aber, das beruht auf einer Verwechslung. In sehr vielen Fällen haben sich die Menschen nämlich nicht mit den Flüchtlingen empathisch auseinandergesetzt, sondern sich mit den Heldenfiguren, den Rettern identifiziert (Fritz Breithaupt).

KARRIEREFREIER ZUGANG II

Erstmals auf den Beipackzettel meines Parkinson-Medikaments SIFROL ein Auge geworfen. Im Kapitel Nebenwirkungen steht: «Abnorme Bewegungen sehr häufig». Stimmt. Auch mein Anarchismus, die abnorme Bewegung schlechthin, hat sich erst im Laufe meiner Medikamention aus dem Gefängnis meines zum Dogmatismus selbstverstümmelten Marxismus herausgebildet. Es ist nicht immer Mumpitz, was im Kleingedruckten steht. Die Unfähigkeit, sich ruhig zu verhalten, nennt man Hyperkinesie. Hyperkinetisches Verhalten ist scheinrevolutionär. Nur die Dialektik von Unruhe und Ruhe (wobei allerdings die Betonung auf ersterer liegt) schafft die Gelegenheit zum revolutionären Erfolg. Frühen waren die Italiener eine reine Frechheit, und die nicht akzeptable Schweiz ist ein gefährliches Produkt: solche Sachverhalte können herauskommen, wenn man mit dem Gesamtwortschatz von 20 Kronenzeitungs-Schlagzeilen eine Mini-Geschichte erzählt. Die Schlagzeilen, wie der Name treffend aussagt, erschlagen dich selbst dann, wenn du ihre Wörter in einen Hirnmixer schüttest und neue Inhalte daraus formst – in Form des bekannten Erpresserbrief-Designs. Das hieße: Die Sprache der Kronenzeitungsredakteur_innen ist irreversibel kontaminiert, sodass die für ihre Titel benützten Wörter selbst dann Wichtelscheiße ergeben, wenn sie ganz aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen werden. Einmal mehr eine falsche Verwendung des Begriffs Anarchie in einer süddeutschen Qualitätszeitung (Heribert Prantl, erklär´s ihnen!). Besonders stark ausgesetzt seien die Flüchtlinge der libyschen «Anarchie». Die Zahl derer, die in Libyen ausharren, werden auf 300.000 bis 1.000.000 geschätzt. 80 bis 90 Prozent der 181.000 Migrant_innen, die 2016 Italiens Küsten erreichten, kamen aus Libyen, die größte Gruppe unter ihnen sind die Nigerianer_innen. Gäbe es anarchistische Zustände in Libyen und nicht die anhaltenden Konkurrenzkriege verschiedener Stammesfürstentümer um die Macht im Lande, gäbe es keine Ressentiments der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen, sondern eine Willkommenskultur, ohne die Anarchismus nicht denkbar ist. Hough! Nachtrag zum Thema Parkinson: Interessant, dass der junge Falter-Schreiberling, der mich (in schlecht geschriebenen Sätzen) porträtierte, so viel Wert drauf legte, meine Parkinson-Erkrankung zu erwähnen. Er bat mich extra darum in einem Mail am Tag nach dem Interview. Er nahm sie wahr, weil ich zwei Tabletten aus der Filmdose rollen ließ. Hätte ich am Tag des Gesprächs unter tobenden Kopfschmerzen und Gicht in den Händen gelitten, wäre er nie auf die Idee gekommen, so etwas zur «Komplettierung» des Sommer-Bildes zu erwähnen. Was macht den umgedrehten Hype von Parkinson aus? Was ein afrikanischer Schriftsteller in einer der beiden großen Kolonialsprachen schreibt, ist keine afrikanische, sondern eine afro-europäische Literatur. Inge Müller über einen Luftangriff: als ich wasser holte fiel ein haus auf mich / wir haben das haus ertragen / der vergessene hund und ich / fragt mich nicht wie / ich erinnere mich nicht. Inge Müller. Von ihr auch die schöne Formel: Einmal kommt, von uns gesandt, der vorgeahnte Mensch. Der junge Anarchist Kamilo in Krlezas Megaroman Die Fahnen: Wenn wir uns in der Einsamkeit bis zu einem gewissen, ja, selbstzerstörerischen Grad langweilen, wird uns dennoch nie so langweilig sein wie in Gesellschaft hohler Menschen, die ausschließlich den banalen Gesetzen der Erdkruste unterliegen, unabhängig davon, dass wir mit diesem Menschen fast ein ganzes Leben verbracht haben und mit ihnen sozusagen täglich 24 Stunden vergeuden. Dieser Menschenschlag sieht nur sich selbst und kennt ausschließlich sich selbst. Ein Aufruf zur Erhaltung der (Auslandschlachthof-)Arena – vergilbt, aber nicht von gestern – ist von den üblichen Verdächtigen der linken Literatur-, Kunst- und Theaterszene der 1970er Jahre unterzeichnet, schade drum, ein subversives Netzwerk, das sich später zwecks Anpassung an die neue Zeit ganz von selber, ohne Drang von oben, entnetzt und damit entwaffnet hat (wobei einige sogar, bewaffnet mit Medienmacht, auf der anderen Seite gelandet sind und somit, das wird die Geschichte zeigen, als Künstler in die Vergessenheit geraten, was noch das unschmerzlichste dessen ist, was sie erleiden werden. Fritsch-Turrini-Unger-Scharang-Corti-Zenker-Jelinek-Ernst-Wiesinger-Pevny-Kofler-Herbst-West-Grassl-Holzinger-Rothstein-Kutscher-Lämmert-Resetarits-Schrage-Kerschbaumer-Haslinger-Padhi-Jaschke-Kogelmann-Heinisch-Menasse-Kain uvm. Warum fehlt Julius Mende? Als allgemeiner Revolutionsrat einer Räterepublik Österreich wäre die Liste in Schönheit gescheitert. «Wenn er doch nur ein Denunziant wäre! Aber nein! Er ist ein einziger erhobener Zeigefinger!» Aus einer sich gegenseitig aufmunternden Korrespondenz zwischen Gerald Grassl und Walter Eckhart bezügl. Heino Fischer, der der erste war, der aus vorliegendem Werk SÄMTLICHE ERINNERUNGEN LEICHT GEKÜRZT öffentlich las..

KARRIEREFREIER ZUGANG III

Wie kann ich die Beschimpfung «Sozialfaschisten» aus den 1920er und 30er Jahren nachvollziehen! Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Deutschlands eilt nach Peking, weil VW die vorgeschriebene E-Quote bei allen Autos, die in China verkauft werden, nicht schafft, und deshalb eine Ausnahmeregelung für den VW-Konzern verlangt, anstatt dem Konzern die Wadeln nach vorn zu richten. Die Vizebürgermeisterin von Graz, Elke Kahr, verkörpert die Hoffnung der Linken. Ihre KPÖ ist mit 20 Prozent die zweitstärkste Partei in der zweitgrößten Stadt Österreichs. In Wien wird sie von vielen Linken unterschätzt: man stellt sie als pragmatische Politikerin hin, die durch Einkommensverzicht Almosen austeilen könne und nicht die Revolution, sondern mehr Rechte für MieterInnen anstrebe. Ja, sie ist eine pragmatische Politikerin, aber die kommunistische Glut brennt noch in ihr. Ohne die Glut erkältete die Empathie für die kleinen Leute. Ich konnte Elke nach Wien, in unsren Keller derselben Glut einladen. Mit dem Speer werfen / in ein fremdes Herz und / das untergehende Auge sieht zu (Mayröcker). Es geht nirgends so schlimm zu wie auf der Welt. Der junge Falter-Redakteur ist fest der Meinung, gewissenhaft gearbeitet zu haben, und dann liest man Sätze wie: Er schreibt für die Volksstimme bis 1990, immer linientreu. «Das Bestehende war für mich immer ein Skandal». Wien, seine Stadt, die er seit den 1970ern kaum verlassen hat. 1 Missverständnis pro 1000 Zeichen. Das größte konnte ich verhindern; er bezeichnete mich als «Leiter» des Augustin, obwohl ich nichts mehr betonte als den Wert der kollektiven Leitung. die vagina ist sehr heisz / und jedesmal wenn der penis / hinein geht stirbt er (Mayröcker). Mut von der Größe eines Hirsekorns. Kurto wünscht der dumpfen, präpotenten österreichischen Gesellschaft ein Erdbeben; Hochwasser reiche nicht aus. Ich merke an, dass er damit der Gesellschaft in der Tat was Gutes tue, denn eine schlimme Katastrophe mobilisiere das Beste im Volk, die Aufopferung für die Unglücklichen, die «natürliche» Bereitschaft zur Solidarität. Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich (Rühm). Peter Esterhazy schrieb einen 500seitigen Roman eines ungarischen Schriftstellerkollegen handschriftlich auf ein einziges Blatt Papier. Das Flimmern, das durch dieses ständige Überschreiben erzeugt wird, muss die Verschiedenartigkeit der Handschriften, mit denen der Roman übertragen wurde, erahnen lassen – mehr oder weniger deutlich. In dem Moment, in dem ein Baum fällt, verspürt man einen unglaublichen Adrenalin-Rausch, schreibt die polnisch-deutsche Schriftstellerin und Sozialwissenschaftlerin M. Stokowski. Sie könne wärmstens empfehlen, ebenfalls Bäume zu fällen! Ritualisierte und dadurch entbrutalisierte Kriege im klassischen Griechenland. Zwei Männerformationen laufen aufeinander mit Hochgeschwindigkeit zu. Jeder Soldat trägt Lanze und Schild. Im ersten Aufeinanderprall starben, das ergibt sich aus dem Bild, wohl 50 Prozent aus den vorderen Reihen. Manchmal dauerte die Brauchtumsschlacht eine Stunde. Die meisten dürften diese Stunde nicht überlebt haben; das Ambulatorium, das menschenschonend Lanzen aus den durchspießten Körpern zog, war am Schlachtfeld nicht zu haben; auch woanders nicht. Streitfragen konnten auf diese Weise rasch entschieden werden. Man ersparte sich hohe Personalverluste und hohe Kriegsausgaben. NZZ: Seit dem schmutzigen Donnerstag ist die Innerschweiz fest in der Hand der Fasnächtler. Die Schnittmuster aus den Hobbyschneider-Blättern sind komplizierter als klassische Schlachtpläne. Ich bin dafür, irgendeine großflächige Außenmauer eines Stadthauses mit so einem Schnittmuster zu bedecken. Das wäre auch ein Statement gegen die Auslagerung des Schneiderhandwerks in die arme Welt. Das Torverhältnis der letzten Begegnungen zwischen Bayern München und dem HSV, aus der Sicht des letzteren: 0:6, 0:5, 2:9, 1:3, 0:8, 0:5, 0:8.

KARRIEREFREIER ZUGANG IV

Sterben die Fliegen in der Luft? Oder fallen sie aus ihrer Flugbahn todgeweiht in unsre Augenwinkel, wo wir sie mit einer Träne aus dem Auge wischen und dadurch mit hundertprozentiger Sicherheit töten. Oder kennt wer eine Fliege, die so ein vernichtendes Bad überlebt hätte? Es gibt Stücke, die man wegen ihrer Regieanweisungen liest, wie z.B. laues Wasser, gemischt mit dem Urin 46jähriger Frauen, rinnt über entzundene Schenkel. Oder. Es wäre zu viel Energie verschwendet, würde die Szene mit dem nachtigalligen Inzestorgasmus nicht in verschiedenen Varianten, das Gesamtspektrum des Schreis ausnutzend, durchgespielt werden; durchgespült. Das ist wohl ein Witz: Die Ärztekammer beginnt im Jahre 2017 Zeitzeugen zu suchen, um die Geschichte der Ausschaltung und Vertreibung eines großen Teils der Wiener Ärzteschaft aufzuarbeiten – nun, da sie die Gewissheit hat, keine lebendigen Zeitzeugen mehr zu finden. Parlamentarische Anfrage des Teams Stronach bezüglich einer Stermann-Grissemann-Satire-Show zum Wahlkampf. Ist ihnen, so lautet ein Punkt der Anfrage an Vizekanzler Mitterlehner, der Spruch bekannt: Österreich ist auf dem Erdkreis das letzte. Wenn nein, warum nicht? Der Bierbauch kommt von vielem, nur nicht vom Bier. Der kämpferischen Gegenkultur in Wien und Berlin passten sich die Titel der Avantgardemedien. an: Die FACKEL in Wien, der STURM, die AKTION, die TAT. Nach den Schreibmaschinen verschwinden die Stechschrittmacher. Der Hass gegen die Deutschen vergiftet unser eignes Gemüt – das sei der wahre Sieg des Faschismus, schrieb die holländische Jüdin Etty Hillesum ein Jahr, bevor sie in Auschwitz ermordet wurde. Und sollte es nur noch einen anständigen Deutschen geben, müsste er gegen die barbarische Horde in Schutz genommen werden. Mein Artikel über die «Kunstpassage» des gebürtigen österreichischen Künstlers Ernst Caramelles – er usurpiert mit einer nicht sehr spannungsreichen Kunst im öffentlichen Raum einen täglich von 200.000 Menschen passierten Durchgang – hat die Kriterien der Redaktion nicht erfüllt. Ich verfertigte eine zweite Version, in der die Verantwortung der Politik betont wird. So viel akkumulierte Trauer im Auge der Elefantin, dass man sich wundert, warum diese Art nicht längst ausgestorben ist. Kann man wissen, wie viel Schichten von Trauer im Auge des Dinosauriers lagen? Wie wird meine Schwester mit den tausend Elefanten leben, die ihr Mann Peter zurückgelassen hat? Werden sie sich in Luft auflösen wie Peters hundert Bonsaibäume? Wird das Weib in meiner Schwester mit einem Weiberschrei erwachen? Wizlsperger schickt mir aus bestimmten Anlass ein Gedicht: meine kunst ist streng geheim / meine meinung mehr privat / mein trank ist von dem rebstock / meine speise der salat. Die Ordnung der Welt ist am besten abgebildet durch das Drohnenfoto, das eine Johannesburger Mittelklasse-Siedlung und ein Slumviertel zeigt, die nur durch eine zebrastreifenlose Straße getrennt werden. Die Übergangslosigkeit dementiert alle Märchen von der Durchlässigkeit sozialer Grenzen. Niemand in China bringt die Ideen der Selbstorganisation, der Räte, der Basisdemokratie, der Hierarchielosigkeit in die politische Debatte ein. Die Notwendigkeit einer Elite, die das Land anstelle des Volkes regieren muss, sehen sogar die so gennannten Demokraten und Liberalen, auch die Dissidenten ein. In Südkorea fabriziert: Kampfroboter für den Grenzschutzeinsatz, die «Hände hoch» schreien, wenn ihre Sensoren einen Verdächtigen entdecken. Poesie muss schön sein wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Sezier-Tisch. Unsere Ansichten gehen als Freunde auseinander (Jandl). Die zentralen Komponenten des Spiels sind Freiwilligkeit, Selbstzweck, geografische Begrenzung und definierter Zeitrahmen (Huizinga). Auch das ein Grund, warum der Potlatch-Roman nicht funktionieren konnte. Die Wucht der Reformation: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war in den österreichischen Ländern nur ein Viertel des Bürgertums und des Adels katholisch geblieben. Die Wucht der Gegenreformation: 800 Adelige aus 85 Geschlechtern wanderten nach 1598 alleine aus der Steiermark aus, um der Zwangsrekatholisierung zu entgehen. «Mir ist wurscht, ob ich überwacht werde, ich plane keine Anschläge und habe nichts zu verbergen». Interessant, dass gerade jene, die so reden, alles mögliche tun, um ihre Privatsphäre zu schützen. Sie legen sich teure Sicherheitsschlösser zu, wechseln ständig die Passwörter und umgeben ihr Haus mit einer undurchdringlichen Thulienmauer. Einsame Jungen suchen einsame Mädchen zum Einsamen (Klospruch). Joachim Fest berichtet von der Liebe zwischen Hitler und Speer. Raddatz empört: Das ist doch unmöglich. Ein wesenloses Wesen wie Hitler konnte doch gar nicht verliebt sein, seine Finger sind doch gewiss nie eine Kniekehle entlang gefahren, seine Zunge eine Ader. Diesen Hautsack voller Hass kann man sich weder beim Küssen noch beim Ficken vorstellen.

RENTNER, RENITENT I

Korrespondenz mit der Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Beschwerde über Pfarrer Pirich aus Hollabrunn (2005). Der Sexualtäter wurde mit feierlicher Messe und Geschenken verabschiedet. Er entschuldigte sich für seine FEHLER, wie er sagte. Welche Verniedlichung seiner Verbrechen. Der Vorschlag, Pilich an eine Stelle zu versetzen, an der er keinen Schaden mehr anrichten kann, sei wohl auch «fehlgeschlagen». Es kostet mich nur mehr ein resigniertes Kopfschütteln, ihn als Held für die Rekonstruktion eines Gnadenbildes (zuerst hatte ich automatisch KNABENKIND geschrieben. R.S.) in der Zeitung zu sehen, die noch dazu sein strahlendes 40-jähriges Priesterjubiläum ankündigt. Ich verstehe nicht, wie ein solcher Mensch im Namen der Kirche noch «verantwortungsvoll arbeiten» und in die Kamera lächeln kann. Hat er wirklich nichts begriffen oder hat er Sie (der Brief ist an Schönborn adressiert) wirklich so hereingelegt mit der Behauptung, er hätte denn auch Gutes getan. Magdalena Steiners Skizzen für den Ulysses-Comic. Die Dokumentation über NS-Verbrechen in der Heil- und Pflegeanstalt Gugging. Der Haupttäter floh 1945 in den Irak, wo er bis 1961 als Arzt tätig war. Die Bilder der Sascha Putrja, 1977 - 1989, gemalt unter dem radioaktiven Himmel von Tschernobyl. Aus den Stalingrad-Protokollen eines sowjetischen Historikerteams. Als Rostow 1942 fast kampflos in deutsche Hände fiel, erließ Stalin den berühmten Befehl Nr. 227: Kein Schritt zurück! Deserteure seien an Ort und Stelle zu erschießen. 1940 hatte Stalingrad 500.000 Einwohner. Als der deutsche Vormarsch begann, war die Stadt zusätzlich mit Flüchtlingen gefüllt. Vom 23. August bis zum 13. September 1942 wurde die Stadt von der deutschen Luftflotte, die aus 780 Bombern und 490 Jagdfliegern bestand, unaufhörlich bombardiert. Als die Rote Armee Stalingrad zurückeroberte, zählte sie 7655 überlebende BewohnerInnen. Maria hatte kein Verständnis für die Eskapaden ihres Erstgeborenen, Jesus. Sie hielt ihn für besessen, für einen Wahnsinnigen. Ihr Verhalten gegenüber Jesus soll sich erst geändert haben, als dieser am Kreuz hing, meint Schalom Ben-Chorin, der jüdische Dichter und theologische Denker, in seinem Buch über Maria. Der Nachbau der Steinzeithöhle Lascaux. Die Wissenschaft der Enträtselung von Bedienungsanleitungen. Die Rolle der Poeten in Nicaragua. Domestizierung der Katzen vor 12.000 Jahren. Der einflussreichste Schweizer Ökonomieguru Rainer Eichenberger in der NZZ über die Liberalen: «Aus meinen Überlegungen folgt etwas Unliberales: Realistisch betrachtet gibt es nur einen richtigen Ansatz, den liberalen. Denn die liberalen Rezepte folgen nicht nur aus dem spezifischen Menschenbild der Liberalen, sondern auch aus dem den Liberalismus auszeichnenden Realismus. Ob menschenfreundlicher oder menschenkritischer Realismus: Die liberalen Rezepte wie mehr Markt, Freiheit, Vielfalt, politischer Wettbewerb etc. sind so oder so richtig... 1918 und die Dolchstoßlegende. Rund um Peking entsteht bis 2030 die größte Megametropole der Welt mit 130 Millionen Einwohnern: Jing-Jin-Ji. Die Probleme schrumpfender Städte am Beispiel von Hoyerswerda. Es gibt auf der Welt einen Test, der geht so: Sage ein Musikinstrument, sage ein Werkzeug, sage eine Farbe. Schreib es vorher auf einen Zettel, sie glauben es sonst nicht. Und ich schwöre euch, jeder sagt: Geige, Hammer, rot (Schernikau). Man sage nichts, was als Wertung verstanden werden könnte, denn mit Wertungen geht man Verpflichtungen ein. Nenne ich etwas gut, gebe ich bekannt, dass ich es werde verteidigen müssen, wenn es angegriffen wird. Nenne ich etwas schlecht, gebe ich bekannt, dass ich es werde angreifen müssen, falls es meinen Gründen nicht einfach weicht (Schernikau). Alltag der Deutschen – ein gigantisches Forschungsprojekt, das 1930 startete. Iran-Dossier in der Zeitung AK. Das Jahr 1967, ein Reinhard-Mey-Essay in der FAZ. «Zeit»-Dossier über Roboterisierung. SZ-Geschichte über die Macht von Schröcksnadel. Die Mythen der Kölner Silvesternacht. Renitenter Rentner – Dokumente eines Festes, das der Selbstvergewisserung eines Lebensbruches diente. Weibel: Dass die Aktion, geschichtlich betrachtet, das Theater abgelöst hat, wie eine Produktionsform die andere, ist für mich ein so selbstverständlicher und einfacher Gedanke, dass er mir beinahe banal erscheint. Drei populäre Mythen zu Gentryfizierung Wiens, etwa über die angebliche Verhinderung der Gentryfizierung wegen des wienspezifischen Fakts des sozialen Wohnbaus. Peter Ahorners Text über Trump. Die fehlende Aufklärung in der islamischen Welt, die «fortdauernde Wissensverachtung» des Islam – das sind rassistische Bilder. Diese Bilder beinhalten nicht die tatsächliche Rettung der Erkenntnisse der griechischen Aufklärung durch die von muslimischen Intellektuellen ins Arabische übersetzten Haupttexte der Athener Klassik.

RENTNER, RENITENT II

Seit Jahren keine Silberfische im Klo gesehen! Silberfischsupergau übersehen? Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht? Im 10. Jahrhundert war fast die gesamte wissenschaftliche Literatur der Antike ins Arabische übersetzt: Philosophie, Medizin, Mathematik, Astronomie, Astrologie, Dialektik, Logik... In dieser Form kam das Wissen ins europäische Mittelalter. Das sollte man wissen, wenn vom grundsätzlich aufklärungsresistenten Islam die Rede ist. Angelika Neuwirth, deutsche Islamwissenschaftlerin: Die Behauptung, dem Islam fehle die Aufklärung, ist ein uraltes Klischee. Die islamische Wissenskultur war sehr lange der westlichen oder überhaupt der außerislamischen weit überlegen. Das hat nicht zuletzt mit den medialen Vorsprüngen zu tun. In der islamischen Welt wurde beispielsweise schon seit dem 8. Jahrhundert Papier hergestellt. Dies ermöglichte, immense Massen von Texten zu verbreiten. Dieser Vorsprung blieb bis ins 15. Jahrhundert erhalten. Offener Brief der 120 konservativen islamischen Gelehrten, die sehr wahrscheinlich die Mehrheitsströmung des Islam repräsentieren, an die Anhänger und Kämpfer des selbsternannten «Islamischen Staates». Sie schreiben: Als sich der Islam politisch von Zentralasien bis Nordafrika ausbreitete, blieben die meisten Einwohner dieses Imperiums noch jahrhundertelang Christen. Erst Stück für Stück nahmen sie die «Einladung» (da’wah) des Islam an. Sie wurden nicht durch Zwang muslimisch. Somit ist Strenge weder das Maß der Frömmigkeit noch das Mittel der Verbreitung des Islam. Der Prophet sprach bei der Eroberung von Mekka: Jene, die Zuflucht suchen, dürfen nicht getötet werden, den Verletzten darf nicht geschadet werden und wessen Tür geschlossen ist, der ist sicher. Westliche Medien informierten kaum über diese islamische Auseinandersetzung mit der Ideologie des IS. Wie deutsch ist die Deutsche Bank? Der Geschäftskern, das Investmentbanking, sitzt in London. Ein Großteil der Aktiva wird nicht in Frankfurt, sondern in New York verwaltet. Frankfurt ist nur noch der offizielle Hauptsitz. Nicht einmal 50 % der Mitarbeiter der Deutschen Bank sind Deutsche. Die Deutsche Bank Trust Co., über die der Großteil des internationalen Geschäfts des Konzerns vollzogen wird, ist eine New Yorker Bank, die von der FED überwacht wird. Spannende Frage: Welcher Staat ist in der Pflicht, wenn es um die «Rettung» der Bank geht? Den Bevölkerungen welcher Staaten wird die Bankenrettung zugemutet? USA? England? Deutschland? Andere Frage: Wer sind die Männer hinter Trump? Offenbar teilt kaum jemand meine Faszination über das Kapitel «Pavian» in Brehms Tierleben. Seit Jahren versuche ich vergeblich, diesem Kapitel zu literarischen Ehren zu verhelfen. Niemand will diese Pavian-Beschimpfung, eine moralische Entgleisung des sonst seriösen Wissenschaftlers, öffentlich vortragen. O-Ton Brehm: In ihrer sinnlichen Liebe sind die Paviane wahrhaft scheußlich. Geilheit und Frechheit zeigen sich bei keinem anderen Thiere in so abschreckender Weise wie bei ihnen. Brehm zitiert seinen Kollegen Scheitlin: Die Paviane sind alle mehr oder minder schlechte Kerle (...), ihr hundeartiges Gesicht entstellt, ihr After das Unverschämteste. Schlau ist der Blick, boshaft die Seele. Der Veranstalter von Q202, des Atelierrundgags in 2. und 20. Bezirk, verbietet partizipierenden Ateliers, sich in ihrer Kunst mit Politik zu beschäftigen. Das schließt z.B. ein Adbusting-Verbot ein. Dazu ein Text über das Verhältnis von Politik und Kunst beim Adbusting. Peter Ahorners absurder Rhythmus: «Trotz Wien!»: Kathedralen kühlen uns / Steinmetz Pfingsten kudert / Liturgie im Schlotterhemd / Corpus Christi lüftet. Ist Ulrich, Hauptfigur im »Mann ohne Eigenschaften», ein Widerständler oder ein Angepasster? Walter Fanta, Herausgeber der Musil-Werke: Antwort liegt im Musil-Nachlass. Jeder Schluss wäre möglich: Widerstand, Rückzug oder Anpassung. Musil hat alle drei Lösungen erwogen und sich entsprechende Schlusskapitel ausgedacht. Über reaktionäre und esoterische Staatsverweigerer, Freeman, Reichsbürger. Phettberg zitiert in seinem Predigtdienst das angeblich früheste Liebesgedicht der Welt, auf den Sarg des Echnaton geschrieben: ich atme den erfrischenden odem, der aus deinem munde kommt / deine schönheit schaue ich täglich / mein wunsch ist deine liebliche stimme im nordwind zu hören / auf dass mein leib jung werde mit leben aus liebe zu dir / (...) mögest du immer meinen namen rufen ohne dass er in deinem mund erstirbt / mein herr echnaton / du bist bei mir für immer und ewig / da du wie die sonne lebendig bist. Und was fällt dem Hermes noch auf? In Wien hat es im Moment ein Grad. Und trotzdem fliegen sensationell viele Fliegen um mich herum. Sie sind viel kleiner als die, die ich aus Unternalb gewohnt bin. Über Landgrabbing und dessen europäische Hauptakteure. Auch Ösis haben ihre verdorbenen Finger in Furchen, die ihnen nicht gehören.

IN DER SERVIETTN IST DIE MILCH VERSAUFT I

Irgendwann 1985. Wie verrückt ist die Idee, das Zentralorgan der KPÖ in den Wirtshäusern der Brigittenau zu verkaufen, vorausgesetzt, der Wirt lässt dich mit der Volksstimme überhaupt herein. Wir wussten, dass es verrückt ist, andernfalls hätten wir die Versuche der Volksstimme-Kolportage öfters unternommen, ich kann mich aber auf ähnliche Anstrengungen nicht erinnern. Karli, Herbert, Manfred und ich bilanzierten: in 25 Gaststätten des 20. Bezirks kauften insgesamt fünf Menschen das Zentralorgan. Da machst du dir ein Gesicht zurecht, auf dem zu lesen ist, wie gottverdammt alltäglich der Straßenvertrieb der Volksstimme ist, aber die Leute sind in solchen Sachen clever und nehmen dir die vorgespielte Coolness nicht ab. ich brauche geld / das schafft den wein her / und die ausflüchte / über östliche und südliche grenzen / ich brauche die partei / sie bindet mich an die welt / sie hebt mich aus der welt / sie braucht mich / ich brauche die dichter / sie erschufen mich am 7. tag / und erklären mir alles simpelst (in tausend worten) Anmerkung aus heutiger Sicht: offensichtlich hielten es die Kommunist_innen in Österreich für unkorrekt, Urlaub in den Westen zu planen. Laura, die dreieinhalbjährige Tochter einer kommunistischen Lehrerin, macht sich über eine sowjetische Katastrophe lustig: Tschernobyl. «In der Servietten ist die Milch versauft, singt sie den ganzen Tag. Durch einen Blick auf die Fernsehnachrichten gneißt die Mutter erst viel später, dass die Tochter den Satz «In der Sowjetunion ist die Milch verseucht» aufgeschnappt hat und recht großzügig verrätselt. hoch der erste mai / hoch die bumserei / wo bleib ich dabei / ich reiße den frauen / leere kaffeeschalen aus den händen / vor der abwasch / dem altar des neuen mannes / nicht mehr samen soll er spritzen in die frau / sondern spülmittel ins abwaschwasser. Ein Brief von Heike, meiner Eintagesbrieffreundin aus Ostberlin, und meine naive Antwort, die deshalb erinnerungswürdig ist, weil sie meine relative Distanzierung von den «kommunistischen Tugenden» klar macht. Indem ich Seka Monteiro, den portugiesischen Genossen, würdige, formuliert sich in mir die Formel für die Distanz. Disciplina ist für einen Revolutionär wichtig, aber noch wichtiger ist die Fantasia. Rasputin, Abschied von Matjora: interessanter Vergleich zweier Übersetzungen ins Deutsche. Elena Panzig (Verlag Volk und Welt): ...mal soll er sich an Holzkohlendunst totgeschluckt haben. Alexander Kaempfe (Rowohlt): ... mal hatte er angeblich eine Kohlendioxydvergiftung. Panzig: Wie er starrt, der Stummling, das geht einem durch und durch wie ein spitzer Nagel. Kaempfe: Starr mich nicht so an, Stummer. Panzig: Ein Himmelsvögelchen, bloß dass es so verhurt zwitschert. Kaempe: Ein Gottesvögelchen, freilich ein lästiges. Panzig: Den Zweiten kennen Sie nicht, der sieht nach Büro aus. Kaempe: Der Zweite war ein Unbekannter vom Typ Büroangestellter. Panzig: Er tauschte Ratzen gegen Spatzen. Kaempe: Er tausche alles Erdenkliche gegen alles Erdenkliche ein. Panzig: Hurenarrsch! Kaempe: Hurenbrrrut! Kilian Hupka über Michael Jeannée. Wir Österreicher wählen, wen WIR wollen (und nicht die Ostküstenclique, eh schon wissen). Aus dem DEFA-Film «Blonder Tango»: ein alter Antifaschist, deutscher Spanienkämpfer, wendet sich an einen in der DDR lebenden Chilenen, der von Pinochet vertrieben worden war. Wenn Du Deinen Mund nicht aufmachst, um auch auf unsere Probleme einzugehen, entziehst du uns die fremden Augen, die manchmal mehr sehen als unsere eigenen, lässt uns allein in einer Provinz, und wenn das geschieht, glauben womöglich einige, dass das hier schon die Welt ist, und wir ihr Nabel. Die Pessimismus-Inszenierung deutscher Intellektueller am Beispiel Franz Xafer Kroetz. Sabine Kebir über Alltagsverstand, Kultur und Hegemonie. Es genügt nicht, dass Intellektuelle zum Marxismus gelangen – sie müssen auch in der Lage sein, ihr Denken populär umzusetzen. Favoritens Bezirksvorsteher hievt seine Leibesfülle auf das denkmalgeschützte Hutschpferd und absolviert im Gewitter der klickenden Kameras seine Ringelspielpflichtrunden. Das ist der gewerbebehördliche Belastungstest, ätzt ein Politikerkollege derselben Coleur. Für die Arbeiterklasse ist das Bier speziell nützlich, da es den Schnaps verdrängt. Spanien 36-39. Valentin Gonzales, genannt El Campesino, berichtet, wie sie mit den Senoritos, den feinen Herrn der Oberschicht, in die Berge fuhren, um sie dort im Moment des Sonnenaufgangs zu erschießen, damit diese Nichtstuer, die normalerweise den Morgen im Bett verbringen, auch einmal, wie die landlosen Bauern bei der Feldarbeit, die Sonne aufgehen sehen. Dabei mussten sie dann «cara al sol» singen, die Faschistenhymne, Gesicht zur Sonne. Nach Mitternacht werden die offenen Fragen des Tages zwischen unseren Körpern zermalmt, frage die Nachbarn. R.`s Fleisch zuckt wie ein toter Karpf. Spielen wir am nächsten Tag wieder Krise.

IN DER SERVIETTN IST DIE MILCH VERSAUFT II

Im Juli 1986 fährt die Friedensinitiative Brigittenau zum AntiWAAhnsinnsfestival nach Wackersdorf, Bayern. Wieviel mögen die von Karli Berger gezeichneten Flyer heute wert sein? Riki: Ich kann mich an die Stimme meines Vaters nicht mehr erinnern. Doch, ja! Er hatte ja gar keine Stimme. Er schrie nur. Toskana-Urlaub 1986. Das Land besitzt eine vertrottelte Fliegenart. Man könnte so einer Fliege die Flügel ausreißen, ohne dass sie etwas merkt. Sie schillert grün, woran man ihre Dekatenz ebenfalls erkennt. Sie gneißt nichts, aber auch gar nichts. Sie ist ganz leicht wegzuschnalzen (wegzukatapultieren). Jacques Stephen Alexis, die Mulattin: Proleten schätzen ordentliche Arbeit. Wenn sie hackeln, sind sie mit Leib und Seele dabei. Sie können nicht anders, selbst wenn der Chef ein Schwein oder ein Spitzel ist. Eine Hure betreibt ihren Job mit proletarischem Bewusstsein, mit einem angeborenen Sinn für ordentliche Arbeit. Aus Garcia Lorcas Gedicht “Kleiner Wiener Walzer»: Ich werde in Wien mit dir tanzen / in Maskengewand, das soll haben / den Kopf eines Flusses / Ich lass meinen Mund dir dann zwischen den Beinen / meine Seele in Fotografien ... Autowerbung der 50er Jahre. Am Straßenrand steht ein Ford Taunus mit aufgeklapptem Kofferraum. Der Familienvater, weißes Hemd und Krawatte, deponiert das letzte Gepäckstück. Neben ihm die Ehefrau im Pepitakostüm, Dauerwelle, Sohn an der Hand. Dahinter ein vierstöckiger schmuckloser Neubau. Aus den Fenstern recken sich die Mieter. Der Text: Alle Nachbarn können sehen, wie wir uns für die Wochenendfahrt rüsten ... In entlegenen Bauerndörfern der chinesischen Provinz Hunan fanden Sprachwissenschaftler Bücher in einer unbekannten Schrift. Sie wurde nur von Frauen geschrieben und nur von Frauen gelesen. Turrini-Text, gelesen am Volksstimmefest: Die Gattin Kurt Waldheims sagte in einem Interview, die Zeit des Wahlkampfes sei für ihren Mann die schrecklichste seines Lebens gewesen. Ich glaube seiner Gattin aufs Wort. Zwischen dem entzogenen Weltschreibtisch (UNO) und dem noch nicht zur Verfügung gestellten Staatsschreibtisch fiel er in ein Loch. Er war in einem buchstäblichen Sinn staatenlos geworden, der schlimmste Zustand für einen Österreicher seiner Prägung. Amerikanischer Wahlkampfauftakt der SP in der Stadthalle. Zilk und Waluliso erscheinen im Scheinwerferkegel, Zilk wird mehrdeutig als hautnaher Politiker begrüßt. Er reagiert auf die Anspielung prompt: «Noch vor 20 Jahren hätte ich gerne jedem schönen Weibsbild die Nachtruhe gestört», bejammert er sein fortgeschrittenes Alter. Dann wird dem Sinowatz – er steht patschert auf der Bühne, weil ihm die Show im Grunde zuwider ist – das nackte Bein der Marlene Charell im Blitzgewitter der Fotoapparate in die unbeholfenen Hände gelegt, und nur die am nächsten Stehenden hören, dass Sinowatz burgenlandkroatische Sprüche der derbsten Gattung beherrscht. In einem Moment der Überbeanspruchung nennt eine bekannte Frau ihre Kinder «gesammelte Werke». Der nackte Busen, eine Kurzgeschichte von Italo Calvino. Cafe Astoria, Budapest. Der Kellner zieht seine Ameisenspur mit gesenktem Haupt. Er stützt das Doppelkinn auf seine Brust. Steckt wenigstens in ihm die Partei oder ist sie so weit weg wie der Marmorsteinbruch. Ein fiktiver Parteitag der KPÖ. Eine Delegierte, kaum sichtbar hinter dem Redner_innenpult, Haare wie eine von hundert Kühen gleichzeitig abgefressene Almwiese, naturgemäß schmerzlichts aufgeregt vor der ersten Rede, die naturgemäß zur Macht wird. Die Sprecherin vom anderen Stern, das heißt vom anderen Ufer, hält in ihrer Rede inne. Dann sagt sie laut und deutlich wie kein Satz, der bis zu diesem Zeitpunkt vom Rednerpult aus gefallen war: Und jetzt, Genossen, eine Frage: Wer von euch will heute mit mir schlafen? 1987, Moskau: Der Film «Die Reue» (Pokajanje) erregt die Gemüter. 1987, Berlin im Winter. Rote Grütze, Tunke, Schnee und Ausreiseanträge. Wiener haben keine Schnauze: dass sie sich dennoch immer schneuzen, selbst beim Grüßen und beim Tanken, ist ELBEsonderlich. Mühlbach am Hochkönig, Anfang April 1987: der fremdenverkehrsverein / glättet die falten der alpen / die schmisse der pisten / schon vieles gelernt hat heute der bobo / aus sankt petersburg / «owi» heißt: richtung saustalldisko / wo ein vorsitzender planungspiefke / die glemmsprach nicht versteht / das enziantropisch (eine erlaubte geschäfts- und verkehrssprache, über die schischaukel bis nach purkersdorf verbreitet). Julius Mende: Alles ist Kultur – ist alles Kultur? Hochkultur, Subkultur, Massenkultur. Riki erzählt mit eine Traum. Aus einer Zeit, in der noch die Männer die Kinder kriegten, durch ein Loch im Bauch, das man Vaterländische Landstraße genannt hat. Meine Peru-Reportagen für die Volksstimme. Atahualpas Verhalten gegenüber den Spaniern ist bis heute ein Rätsel. Warum erlaubte er einer Handvoll christlicher Soldaten, plündernd durch sein Land zu ziehen?

IN DER SERVIETTN IST DIE MILCH VERSAUFT III

Frei Betto: Den Marxismus zu fürchten, das ist dasselbe, als hätte man Angst vor der Mathematik. Fidel: Als wir in Kuba Freiwillige suchten, um Unterricht in Nicaragua zu erteilen, boten sich 29.000 Lehrer an. Und als einige von ihnen in Nicaragua von den Contras umgebracht wurden, ließen sich 100.000 in die Liste eintragen. Welche lateinamerikanische Gesellschaft kann heute 100.000 Lehrer mobilisieren. Bartholome de las Casas – ein Dominikaner, der sich gegen das kolonialistische Vorgehen der Christen wehrte. Geliebte, unbeliebte GLASNOST mit den Abo-Kasterl: Ich weiß, dass die KPÖ stark wie der russische Bär, aber selten wie der tibetanische Yeti ist. Aber ich möchte mehr wissen. Schickt mir ... Titel-Auswahl: Wie punkig ist Billie Bragg / Bolsche Vita am Allerheiligenplatz / Einstürzende Neubauten / Grün, grüner, Rot / Zilk-Gold für die Gummiwurst / Come on, Russian Rock / Tuten & Blasen / Punks in Leningrad / Rock statt Mock / Leonid, du machst uns traurig / Was muss passieren, bevor was passiert (über das angeblich sichere AKW Tschernobyl) / Hat du Lust komm ins Fritz zum Lust & Laune Benefiz / Aufstand der Kunst / Berger kann noch jedes Rennen gewinnen / Zahlt sich Widerstand aus? / Bittschen nua ka Politik / Will Peter Pilz Sklaverei in Moskau? / Die so genannte Bundesschulsprecherin / BAP in Peking / Krimsekt in der Brigittenau / Dylan ging rüber (er spielte vor 75.000 Leuten im Ostberliner Treptower Park). «Komm und sieh», ein Film von Elem Klimow über die Ausrottung eines Dorfes in Weißrussland. Die abbrennende Holzkirche wird zum Massengrab der gesamten Dorfbevölkerung. Dem Fotographen gelingt nicht, die wilde Partisanengruppe zum Stillsitzen für ein Foto zu zwingen. Der Fototermin wird zum Muladschag. Die brennende Fackel wird ins Wasser geworfen: die deutschen Kriegsgefangenen sollen nicht verbrennen wie die Dorfsleute. Der Kampf mit dem Sumpf. Das schnelle Altern des 12-järigen Überlebenden. Glaschas Tanz im Regen. Der Film sollte in allen Schulen gezeigt werden. Das Glasnost-Fest im Parteilokal Raffaelgasse am 7. November 1987. Franz Parteders Auftritt mit Beatles-Übersetzungen und Sandler-Gedichten. Die Bolschoi-Schick-Moderschau (Billy Votawa, Ilse Knapp und Riki als Models). Karli Berger moderiert die Tombola. Sternderlwerfer. Alle singen Stille Nacht, Heilige Nacht, obwohl wir erst den 7. November haben. Gäste sind unsere Freunde von der Alternativen Liste des 20. Bezirks. Czibi Grossman, KPÖ-Obmann der Bezirksorganisation, Hüter des Bewährten, prophezeit: Glasnost wird die Partei spalten. Ist er gefragt worden, als die Stadtleitung entschied, mich zu seinem Nachfolger zu machen? Aus «Paradiso» von Lesama Lima. Über ein Fest: Dabei handelte es sich nicht um eine Gedenkfeier, um ein Heiligenfest, um ein vom Kalender vorgeschriebenes Jubiläum. Es war ein Tag ohne Tag, ohne Heiligen und ohne Zeichen. Günther K. Lehmann, Ästhetik-Professor an der Uni Leipzig, schreibt 1988 im «Sonntag»: Sicher gibt es bei uns einen Nachholbedarf an international ausgewiesener Unterhaltungskunst, der Import von Rockstars beweist das. Warum aber gibt es Affinitäten zum Star-Kult? Was ist das Talmi oder Charisma, eine Mischung von Bewunderung und Faszination, die vielleicht doch massenhafte Identitäts-Bedürfnisse anspricht und befriedigt, und nicht nur bei der Jugend. Wenn dem so wäre, warum gedeihen in den sozialistischen Ländern so wenig charismatische Künstler, zumal in der Unterhaltungsbranche? Und wer sagt, dass Unterhaltungskunst erst produktiv wird, wenn sie «sinnvoll» ist?

IN DER SERVIETTN IST DIE MILCH VERSAUFT IV

Parteiliteratur verhält sich zur Revolution wie die Pornografie zur Erotik (Galeano). Die Silberstadt Potosi, Bolivien. Die Stadt, die der Welt am meisten gegeben hat und am wenigsten besitzt. 7 von 10 Indio-Bergleuten kehrten nicht aus den Minen zurück. Durch den Rauch der Schmelzöfen gedieh im Umkreis von 10 km kein Gras mehr und keine Saat. 1500 gab es noch70 Millionen Ureinwohner in Amerika, 150 Jahre später nur noch 3,5. Der Zinnhügel Juan del Valle ist in seinem Inneren ein von unendlich vielen Stollen, Gängen, Tunneln und Wetterschächten durchzogener Ameisenhaufen. Sämtliche Ausgaben der Zeitung GLASNOST. «Komm und sieh», ein Film von Elem Klimow, über die Zerstörung eines weißrussischen Dorfes durch die Nazis. Bester Film ever. Für jeden wahren Künstler fällt der Augenblick der Schöpfung stets kurz nach Mitternacht (...) Nach solch reichlichem Urinieren – die Engel hatten den Schwamm seiner Nieren bis zur Erschöpfung ausgedrückt – schien er einzuschlafen. riki / die nie altert und immer blüht / taucht in den milden platz / den der november hütet / und wärmt / sie atmet heiß und schüttet küsse / auf den platz / ein geschlagener haufen zieht / wachgeküsst / zum stillen ozean / wo man das pack zum teufel jagt / karli mach schnell ein foto / das pack ersäuft. Alle Werke der Literatur sind nichts im Vergleich mit den Biografien derer, die an einer Revolution teilnahmen (Bagrizki). Das Neue Deutschland druckte 1987 seitenlang die Reden der Delegierten des 10. Schriftstellerkongresses der DDR ab. Soviel Aufmerksamkeit gegenüber der Literatur gab´s in dieser Zeit nur in der SU. Aus der Rede von Hermann Kant, Präsident des Schriftstellerverbands: Er ermahnte die Kollegen, dass ihr Ruf im Westen auch deshalb so fabelhaft war, weil sie aus der DDR kamen: Immerhin handelte es sich bei dieser DDR um eine unerhörte Neuheit. Um eine Republik von Deutschen, die sich als Arbeiter- und Bauernstaat begriff. Um einen deutschen Staat von unvertrautestem Zuschnitt neben einem anderen, dessen Zuschnitt viel vertrauter war. Um ein Land, zu dem andere Länder Bruder sagen. Eines, das wirklich auf Frieden aus zu sein scheint. Eines, in dem man sich an Gleichheit versucht und auch in der Kunst, sich von Furcht und Elend zu befreien. Eine Gesellschaft, die in dieser Neuheit schwierig ist. Manchem so schwierig, dass er sich entzieht. Wodurch Schwierigkeiten nicht geringer werden. Ein nicht nur verleumdeter, ein geleugneter Staat. Kein armer und kein reicher, einer ohne Reiche und ohne Armut aber. In dieser Hinsicht eine mittelmäßige Angelegenheit, in anderen nicht so sehr. Eine Gegend, in der Widersprüche noch zu haben sind. Ein Land für Literatur. Kant ist ein zwischen Gorbi und Honecker Zerriebener; was sagt er zur Zensurbehörde? Inzwischen gibt es im Ministerium einen Beirat, der die Liste der ungespielten Stücke durchgehen wird. Man sollte sich auf eine Überraschung einstellen, die unsere Freunde vom Fernsehen bereits hinter sich haben: Zu manchem, was unvorzeigbar schien, will einem partout nicht mehr einfallen, wo seine bedenklichen Stellen waren. Noch besser, scheint mir, wäre es, wir alle gewöhnten uns das Denken in bedenklichen Stellen ab. Hermann Kant-Zitat, Ende. Aus der Eröffnungsrede vom Stephan Hermlin: Manche unserer Kollegen haben die DDR verlassen, und unter ihnen befinden sich einige wesentliche Schriftsteller. Gewiss hängt das mit bürokratischen oder dogmatischen Behinderungen zusammen, aber ich glaube nicht, dass die Verantwortung nur auf einer Seite zu finden ist – zu den notwendigen Tugenden eines Schriftstellers gehört die Verteidigung der Poesie, um einen Titel Bechers zu zitieren. Geduld, sagte Rosa Luxemburg, ist die Tugend des Revolutionärs. Die Verteidigung der Poesie erfordert Geduld. Alles Wichtige, auch die Literatur, setzt sich kämpfend durch. Das kann manchmal lange dauern. Schließlich die Rede vom Jurij Koch: Im Autoradio hörte ich eine Nachricht, die mich so erregte, dass ich stehenblieb, um über die Mitteilung nachzudenken. Ein Reporter schildert den Augenblick, in dem in Anwesenheit eines Ministers unter den Klängen eines Blasorchesters der erste Kohlezug eines neuen Tagebaus beladen wird und wie der Abbau eines Kohleflözes beginnt, wozu in zweieinhalb Jahren 42 Millionen Kubikmeter des darüber liegenden Deckgebirges abgetragen wurden, wie es weitergehen wird mit der planmäßigen Erweiterung und Steigerung und ... Beschädigung? Danach wird nicht gefragt, denn es ist nicht üblich, die andere Seite der dialektischen Einheit mitzudenken (...) Was geschieht hier unter Pauken und Trompeten? Bis zum Jahr 2000 wird fast ein Viertel des Gesamtterritoriums meines Bezirkes devastiert sein. In Jahrhunderten entstandene Siedlungen müssen den Abraumbaggern weichen. Ich sah die Abfahrt des ersten Kohlezuges. Ich sah das absurde Bild von jubelnden Menschen auf dem Ast, an dem sie sägen.

VON WOSROSCHDENIJE NACH PHJÖNGJANG I

Im Französischen und Italienischen steht das deutsche Lehnwort «Mitteleuropoa» für das Wien der vorletzten Jahrhundertwende. Es steht für Otto Wagner, Sigmund Freud und Franz Kafka. KPÖ-Chefideologe Ernst Wimmer im W&Z vom Oktober 1989: «Es macht eine der Stärken der SED aus, dass sie von der Existenz objektiv unterschiedlicher Interessen ausgeht...» Was für ein starker Ausgang. D. Kugultinow, im Zuge der Deportation der Kalmücken (1944!) vom Kaukasus in den Wilden Osten zwangsübersiedelt, kommt in F. Hitzers «Die große Unordnung» zu Wort: Die Steppenmenschen mussten in Sibirien Wälder roden. Ein Drittel der kalmückischen Gesamtbevölkerung starb dabei. Schon in den Übersiedlungs-Waggons verreckten viele. E. Varga, Über die asiatische Produktionsweise: Das Fehlen einer Stadt als eine besondere, politische Einheit ist ein Unterscheidungsmerkmal der östlichen und westlichen Entwicklungswege. Siehe Rudi Dutschkes «Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und westeuropäischen Weg zum Sozialismus». Im Willen der Eltern, «das Beste» für das Kund zu tun, betritt die Barbarei die Bühne der Bildung. allmächtiger, du schufst zwei hände / du machtest / dass jeder einen kopf auf den schultern trägt ­– / warum schafftest du nicht / dass man ohne zu leiden küssen und küssen und küssen kann. Toscana-Eintragung «Wieder ein wenig intensiver leben! Mehr Kunst!» Peter Schneiders Kurzgeschichte über den arbeitslosen Westberliner, der sich einen Sport daraus machte, bei jeder Gelegenheit in die falsche Richtung über die Mauer zu springen, von West nach Ost, und dafür psychiatriert wurde; und als er wieder einmal einem Journalisten begegnete, der ihn nach seinem Motiv befragte, sagte er völlig unaufgeregt: Wenn es so still in der Wohnung ist und draußen so grau und so neblig und gar nichts ist los, da denke ich: Ach, springste wieder mal über die Mauer. Christof Hein, Die Ritter der Tafelrunde: Ja, damals war alles klar und einfach. Wir wussten, was zu tun war. Die Vergangenheit ist unser einziger fester Halt, sie wird uns leider keinen Weg zeigen. Werte Belegschaft! Alles, was nicht von globalen Interesse ist, kommt mir derzeit etwas kleinkariert vor. Dennoch überfliege ich mit Aufmerksamkeit unsere Seite 5 (Wiener Lokalnachrichten), da wehn mir die vertrauten Düftlein der heimatlichen Deponien um die Nase, da schnalzen mir die aufplatzenden Rathaussumpfblasen ins Gesicht, da wird mir so weh ums Herz wie einem Bauern, der sich in der Ferne plötzlich an den Dampf seines Misthaufens erinnert. Um die Ecke steht ein Wodka-Laden. Er hat nachmittags offen und ist durch eine 200 Meter lange Menschenschlange gekennzeichnet, die sich sofort auflöst, wenn der Wodka aus ist. Das ist unser Moment. Ohne große Mühe kommen wir zum moldawischen Weißwein, den die Moskauer weit weniger schätzen als den Wodka. Wosroschdenije, Wiedergeburt, nannte sich eine unter Gorbatschow gegründete Initiative zur Rehabilitierung der Sowjetdeutschen. Sie wollte die Autonomie der Reste der deutschen Minderheit auf ihrem ehemaligen Territorium wiederherstellen. Stalin hatte die Deutschen 1941 deportiert und zu Zwangsarbeitern gemacht. Wosroschdenije ist auch der Name einer verschwundenen Insel im Aralsee. 2002 wurde sie im Zuge der Austrocknung des Sees zur Halbinsel, 2008 wurde sie zum Teil des Festlandes und stellt kein erkennbares Landschaftsmerkmal mehr da. In der Stadt Kantubek auf Wosroschdenije errichte das sowjetische Militär an 1948 ein Labor für chemische Waffen, mit brutalen Affen-Experimenten. Heute ist Kantubek eine Geisterstadt und das Territorium ist verseucht von Milzbranderregern. Die Bewohner der umliegenden Orte wissen so gut wie nichts darüber. Wosroschdenije ist auch der Name einer russischen Bank. Brief eines kommunistischen Polizisten an die Chefredaktion der Volksstimme vom 26. 7. 1989. Er wolle eine Zeitung, die von Kommunisten und nicht von Aktivisten sozialer Bewegungen gemacht werde. «Ich war auch einmal jung und sozialschwärmerisch, aber ich habe mich nie mit Kriminellen oder Verbrechern solidarisiert (...) Die Herren Lokalredakteure, die vom Tuten und Blasen keine Ahnung haben, verzapfen nach wie vor ihre vorgefassten Meinungen von den ach so armen und schlecht behandelten Kriminellen und der bösen Folterpolizei. Freilich, ich gebe schon zu, wie in einem Mädchenpensionat geht es bei der Kriminalpolizei nicht zu (...) Wenn ihr bei diesen Jungjournalisten vielleicht einmal eine kleine marxistische Nachschulung vornehmen wollt, so empfehle ich euch, einige Passagen von Marx über das Lumpenproletariat vorzulesen. Im übrigen gebe ich zu bedenken, dass sich aus den Reihen dieser von euch so gerne in Schutz genommenen Strolche vielleicht einmal die künftigen Fünf-Schilling-Manderln, SA- und SS-Männer rekrutieren könnten ...»

VON WOSROSCHDENIJE NACH PHJÖNGJANG II

Im Sommer 1989 dürfen eine mehrteilige Nordkorea-Reportage und ein Artikel über die chinesische Medizin – Verfasser: Erich Feichtinger – nicht in der Volksstimme erscheinen. Die Argumente des Genossen Muhri gegen die Veröffentlichung: erstens, sie enthielten «zu 80 Prozent Negatives»; zweitens, sie seien «zu journalistisch» (Muhri meinte damit den gängigen schludrigen Schreibstil der saloppen Oberflächlichkeit, demgegenüber er die vertraute Weise der politischen Belehrung bevorzugte); drittens sei ein Platz in der Volksstimme zu wertvoll, als dass er mit weit hergeholten Themen wie Pädadogik in Nordkorea vergeudet werden könne; viertens weise der Gesamttext «historische Fehler» auf. Muhri fand einen positiven Satz, auf den aufbauend Feichtinger einen Artikel schreiben solle, der den sozialistischen Aufbau im demokratischen Korea widerspiegle: «In der Hauptstadt Phjöngjang sieht man keine Slums mehr. Diese Zensur spielte eine große Rolle im Abnabelungsprozess. Franz Primetzhofer, charismatischer Wirt, legendäre Figur der provinziellen regionalen Subkultur, bekanntester Kommunist des Unteren Mühlviertels, wehrt sich in einem Flugblatt an jeden Perger Haushalt gegen das widerliche Mobbing, das vor allem vom Redakteur der Mühlviertler Rundschau, Felix X. Eder ausging. Eine unglückliche Verstrickung mit dem Tod des Naarner Säufers Horst Steininger, den Primetzhofer bei sich in der Wohnung aufgenommen hatte, war gefundenes Fressen für die Rache an dem Kommunisten: Horsts Tod wurde von den meisten Medien mit einer «abscheulichen Schadenfreude» missbraucht, schreibt P. Herr Eder, selbsternannter Moralwächter, heizte «das gesunde Volksemfinden» gegen die linke Leitfigur der Region und den Mitbegründer des anarcho-kommunistischen Schwertberger Kulturvereins KANAL an. Ein Schlüsseltext: «Alexander Solschenizyns Comeback» vom Philosophen Leonid Ionin in der «Neuen Zeit», 1989. Zitat: «Solschenizyn ist Slawophiler und Westler, Russophiler und Internationalist, Anhänger des autoritären und zugleich des demokratischen Systems. Das russische Archiv in der Stanford University, von sowjetischen Medien als eines der Zentren des Antisowjetismus verschrien, enthält Sensationelles, das hoffentlich auch ins Deutsche übersetzt wird. Darunter das Tagebuch des russischen Historikers Juri Gotier. Er führte es von 1917 bis 1923 – eine Alltagschronik aus einer extrem unalltäglichen Zeitspanne. mit unseren bäuchen / durchpflügen wir / die berge des chianti / sodass vorne die echsen / nach links und rechts / wegspritzen. Beschreibung der Wanderung von Siena nach Florenz mit dem Vater und der Schwester. Als man begann, die Dinge mit Namen zu trennen, wurden die Namen selbstherrlich (Laotse). Rätedemokratie oder Staatsbürokratie in Ostdeutschland nach dem Sturz des Faschismus: Eine Weichenstellung erfolgte in Form des Befehls Nr. 76 der sowjetischen Besatzungsmacht vom 23. April 1948. Er regelte das Management der «volkseigenen» Betriebe. Keine Einbeziehung der Arbeiter in die Betriebsverwaltung. Der Befehl beschränkte die Teilnahme der Belegschaft von vornhinein auf die «Durchführung von Wettbewerben mit dem Ziel der ständigen Verbesserung der Produktion». Andrerseits: Wieso sollten die Russen jene Soldaten, die eben Städte wie Moskau und Leningrad dem Erdboden gleich machen wollten, ung´schaut wieder mit Macht ausstatten? Das Denken, lässt Bertolt Brecht seinen Galilei sagen, gehört zu den größten Vergnügungen. Um dieses Vergnügen darf man keinen Menschen bringen. Auch nicht im Namen irgendwelcher Parteilichkeit. Auf die kann freilich keine politische Bewegung verzichten (Michael Schneider). Durch die Perestrojka kann man in der SU endlich Koestlers Roman «Die Sonnenfinsternis» lesen. Er brachte dem Autor den Ruf des Antikommunisten ein. Er war jedoch genaugenommen ein Antistalinist. Die Romanfigur Rubaschow spricht im Prozess fast wortwörtlich den Text, den Bulgarin auf der Anklagebank vorlas. Die Aufklärung, sagt Foucault, welche die Freiheit entdeckt hat, hat auch die Disziplin erfunden. Und damit zugleich die Ausgrenzung aller nicht disziplinierbarer menschlicher Fähigkeit und Möglichkeit. Trotz absoluten Mangels an Facebook wurde die 1848er Revolution binnen weniger Wochen zu einem Welt-Ereignis Am 13. März erreichte die revolutionäre Welle Wien, in den darauffolgenden Tagen Pest, Mailand und Venedig. Petöfi war der Protagonist der Massendemo in Pest vom 15. März, die die Bauernbefreiung brachte. In Trstenik wartet eine US-Touristin auf die Fähre nach Miljet. Sie liest, was alle Amerikaner derzeit lesen: die Gorbatschow-Biografie. Die schönste Zeit ist immer jene, wo die eine Macht nicht mehr da ist und die andere noch nicht da ist. Schon wegen dieser Idee musste der Film «Die Kommisarin» in der Sowjetunion 20 Jahre verboten bleiben.

VON WOSROSCHDENIJE NACH PHJÖNGJANG III

Stöckl-Holzknecht an Pirker: Lieber Werner, unser Zentralkomitee hat den Wunsch, mit Genossen Robert Sommer eine wichtige Angelegenheit am Telex zu besprechen. Wir bitten dich daher zu veranlassen, dass Genosse Sommer sich am Mittwoch 24. 2. bei deinem Telex aufhält. Podolsky an Sommer: Im Namen der Wiener Stadtleitung und aufgrund eines einstimmigen Beschlusses der BL 20 ersuchen wir dich um Zustimmung, die Funktion des Bezirksobmanns in Wien 20 bereits bei der kommenden Bezirkskonferenz anzunehmen. Das heißt, in Abwesenheit gewählt zu werden. Würde mich freuen, wenn das ohne Bedenkzeit möglich wäre. Die politischen und organisatorischen Gründe sind dir bekannt. Sommer an Podolsky: Gibt es im 20. Bezirk eine revolutionäre Situation, weil die Entscheidung so schnell fallen muss? Podolsky an Sommer: Im Prinzip ja und in revolutionären Situationen müssen kurzfristig die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Es lebe die Revolution. Sommer an Podolsky: Ebenfalls. Aus einem Gedicht über Riki, 1988 in Moskau geschrieben: als sie nicht übers eis tänzelte / war sie schöner als die männer / die wie stiere und nicht wie feen / demselben ziel zustrebten / die sommer waren zu kurz / in der mulde des böhmischen waldes / für die rülpsende sonnenblume / die farben auf den fingernägeln hatte / die der hergott nicht geschaffen hat / ragt ein berg vor ihr auf / will sie nicht wissen was dahinter ist / sie schnurrt und will geschaukelt werden / schau dort pickt ein sanfter brutalo an der wand / «rikis rache» steht auf der fensterscheibe / in fingernagellackschrift / eine dreiviertelzigarette / steckt senkrecht im schneehaufen / um die ecke dringt jetzt lärm / russen schreien lachend otschin karascho / sie applaudieren, denn / sie aerobict auf der zweiten stufe / auf die schon die sonne fällt / oans zwoa oans zwoa oans / ruft sie wo es sich rufen lässt: im takt. Was Burkhart Lindner als halluzinatorischen Realismus bezeichnet hat erfasst eine Grunddimension der künstlerischen Methode von Peter Weiss (Ästhetik des Widerstands). Walter Benjamin prägt für diesen Aspekt des Visionären den Begriff profane Erleuchtung und versteht darunter jene Aufnahmefähigkeit im Umgang mit der alltäglichen Wirklichkeit, die die Zeichen, die Keime möglicher Zukunft in der Gegenwart sinnlich wahrnimmt und entziffert. wenn sie brücken überquerte / dachte sie gern an frösche / plattgedrückt im sand / eines dorfwegs: 2 Texte von Waltraud Haas. Im Lokal meiner KPÖ-Gebietsorganisation führte eine Gruppe auf meine Initiative Schatrows Perestrojka-Stück «Weiter weiter weiter» auf. Drei von den zehn Mitwirkenden waren keine Parteimitglieder, ebenso ein Drittel der mehr als 30 BesucherInnen. Sie gratulierten uns zur Konsequenz in Sachen Entstalinisierung der Politik und der Köpfe. Etwas, was sie der Partei nicht zugetraut hätten. Wenn sie wüssten, dass der Wiener Obmann Podolsky versucht hatte, uns zu einer Absage zu überreden: eine Aufführung würde zur Polarisierung in der Partei beitragen. Im Flugblatt zur Aufführung ein Marx-Zitat: Proletarische Revolutionen kritisieren beständig sich selbst, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche. Als ich in das Schlafzimmer eintrete, hält sich Riki, die sich vom Bett aus einen TV-Film anschaut, beide Augen zu. Was ist passiert, frage ich erschrocken. Nichts, aber ich kann einfach nicht zusehen, wenn in einem Film arme Leute ein einem Restaurant vom Kellner die Rechnung serviert bekommen. Im Film reißt dieser Moment ein armes Pärchen aus einem kurzen Traum. Die Moskauschulung, schrieb ich im März 1988, ist schauderhaft interessant, meine Skepsis über Langzeitkurse für KP-Funktionäre in Moskau ist längst verflogen. Jenes gemobte Land, dass offiziell an der Schwelle zwischen entwickeltem Sozialismus und Kommunismus steht, ist nach Ansicht unseres Ökonomie- und Vertrauenslehrers Alexander Narushewic noch lange nicht sozialistisch. Die Probleme der Perestrojka seien Probleme einer Übergangsgesellschaft zum Sozialismus, die sicher länger als zehn Jahre dauern werde. Am Land ist die Partei immer schrulliger, sie besteht aus Arbeiterhelden, Dorftrotteln und Töchtern von Zeugen Jehowas. Weil die Partei am Land veraltet ist, besteht das Parteileben vor allem aus Begräbnissen. Ich sage zu den alten Genossen, die immer brav zu jeder Beerdigung kommen: Zahlt es sich noch aus, dass ich euch heimbringe? Der kommunistische Gemeinderat in Hallein, Genosse Gold, hat sich eine Standardeinleitung für seine Grabreden zurechtgelegt: Er war ein gläubiger Mensch. Er glaubte auf seine Weise. An die historische Mission der Arbeiterklasse. Die Pfarrer, die parallele Reden halten, nennt er Himmelskomiker. babuschka fischt aus dem müllcontainer / burda moden / tropfen von milcheis / und brennende blicke / fallen auf die prawda die aufgeregt zittert / denn wiedermal wurde irgendwo am aralseee / ein feudalreich entdeckt.

ZIRKUS SALUTI 3 WEIBER 5 DUTTI I

Heiner Müller im Standard-Interview, Dezember 1993: Der Eppler hat neulich einen tollen Satz geschrieben. Was würde passieren, wenn Afrika plötzlich verschwände? Es würde fast keinem auffallen. Die Dritte Welt stört nur noch (...) Ich würde meine Stasi-Akte – sie ist furchtbar langweilig – gern vergleichen mit meiner CIA-Akte, die es mit Sicherheit auch gibt. Da ist zum ersten Mal ein Staat in Mitteleuropa einfach verschwunden, und den kann man jetzt alles ausbaden lassen. Man weiß, dass Geheimdienste ohne kriminelle Aktivitäten nicht auskommen. Da wird gemordet und vergiftet, was das Zeug hält. Deshalb musste auch die Stasi kriminelle Aspekte haben. Interessant am Bespitzeln ist der protestantische Aspekt daran. Die DDR war ganz wesentlich ein protestantisches Gebilde. Und die Verlagerung des Beichtaktes auf die Stasi war eine untergründige Leistung des Protestantismus. Die Syphilis gehört allen: Die Spanier nannten sie «französische Krankheit» (Ende 15. Jahrhundert), die Franzosen «napolitanische Krankheit», die Polen nannten sie später «deutsche Krankheit» und die Russen «polnische Krankheit». Im 16. Jahrhundert konkurrierte der Mythos des edlen Wilden mit dem Mythos des Ungeheuers, diese Polarisierung entspricht genau unserer Konfrontation zwischen Ausländerhassern und Ausländerfreunden. Die europäischen Krankheiten wie Typhus, Cholera, Pocken oder Ruhr schadeten der indigenen Bevölkerung Amerikas eher indirekt. Sie erschütterten die Autorität der Medizinmänner und damit die Glaubwürdigkeit der sozialen Institutionen, weil diese sich machtlos gegenüber den neuen Krankheiten zeigten. Das Zapflheben in der ostalpinen Volksmedizin: Aufziehen des «herabgefallenen» Gaumenzäpfchens als magische Heilpraktik. Dazu musste ein bestimmtes Haar in der Mitte des Scheitels gefunden werden. Unter tausenden Haaren das richtige zu finden, das war die Kompetenz der Wendter. Während die Franziskaner die alten Religionen abschaffen wollten, versuchten die Jesuiten, sie zu benutzen. Sie verwandelten die prähispanische Gottheit Huitzilopochtli in eine Art Moses. Der Dino-Kult als die modische Form des Heimwehs nach dem Paradies, ein Hauptelement des Mythos. Nach Mircea Eliade greift Marx die jüdisch-christliche eschatologische Hoffnung eines absoluten Endes der Geschichte wieder auf. Am Anfang wie am Ende der Religionsgeschichte der Menschheit begegnet einem das gleiche Heimweh nach dem Paradies. Die Volkskunde weiß alles über den Weinbau, aber nichts über den Suff als soziale Wirklichkeit. Regel bei burgenländischen Hochzeitsfeiern: Kracherl für Dreizehnjährige, Wein für Vierzehnjährige. Zirkus Saluti – drei Weiber, fünf Dutti. Lichtenberg: Es regnete so stark, dass alle Schweine rein und alle Menschen dreckig wurden. Heiner Müller: Es kann nur etwas Neues entstehen, wenn man das macht, was man NICHT kann. Wir Marxisten-Leninisten wissen nichts über das Sozialismus-Konzept der russischen Sozialrevolutionäre, eine Schande. Zur Überwindung unseres inneren ML-Schweinehundes sollten wir das nachholen. Was im Deutschen Völkerwanderung heißt, wird in den romanischen Sprachen Barbareneinfälle genannt. Ludwig Börne, 1830: Die einen werfen mir vor, dass ich ein Jude sei, die anderen verzeihen es mir, der dritte lobt mich gar dafür; aber alle denken daran. Sie sind wie gebannt in diesem magischen Judenkreise, es kann keiner hinaus. Rat, sich in Acht zu nehmen vor einem, der nie ärgerlich ist. Denn nur wer gelegentlich den Kopf verliert, ist aufrichtig. Als ich das las, fühlte ich mich ertappt. Pfingsten 1993, Fall einer Kommunionsverweigerung eines Kittseer Pfarrers. Betroffen sind zwei Kinder, die dem Kommunions-Unterricht «unzureichend» folgten. Was für ein Stoff für den Uhudla. Die populistische Variante des Reagierens: Uhudla kämpft für das Recht auf freie Kommunion. Die linke Variante: Über die Kirche kann man nichts Satirisches mehr schreiben. Die Bauern haben alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, sagt Preisegger, ein Biobauer aus Wiesen. FR-Dokument, 1993: Wie der laizistische Staat Atatürks Schritt für Schritt unterwandert wird. Liessman über das Böse. Ludwig und Robespierre: Rolf Schneider über die beiden Hinrichtungen. Irmtraud Morgner entdeckt meine Mundart: Die Bezeichnung «das Mensch» hatte in der Gegend, wo Laura aufwuchs, die Bedeutung, die der Bezeichnung «der Mensch» unvergleichbar war, ja entgegenstand. Wer ein Auto kauft, kauft mit zehnprozentiger Sicherheit den Autounfall. Das nimmt er gern in Kauf; der Mann schafft durch das Sichselbstüberschreiten (Werkzeuge, Kriege, Reproduktion der Art, Entwürfe) Werte, die die bloße Wiederholung (biologische Mutterschaft der Frau) in den Schatten stellen, laut Simone de Beauvoir. Sichselbstüberschreiten ist Existenz – zum Unterschied vom einfachen Leben. Tagebuch der Wochenwanderung in den Piemontesischen Alpen, Juni 1993.

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Die Enzianwiesen des Mairatales haben auch akustisch etwas zu bieten: Die Wanderer bewegen sich im Klangteppich der Murmeltierpfiffe. Es gibt hier, zwischen Chiappera und Chiesa, so viele Murmeltiere wie Tauben in Wien. Fast vergessen: die Ballongeschichte, die Machtverhältnisse sichtbar machte. Vier Männer, zwei Frauen, zwei Kinder in einem Heißluftballon. Knapp über der Erde fängt er zu brennen an. Alle vier Männer retten sich durch einen Sprung auf die Wiese. Der entflammte Ballon, befreit vom Gewicht der Männer, steigt wieder in die Höhe. Die beiden Frauen und die beiden Kinder haben keine Chance. Eine Psychologin stellt die Frage, warum die Männer nun auch unfähig zur traditionellen patriarchalischen Frauenretterpose geworden sind. Hoffentlich sind sie zu Schuldgefühlen fähig. 13 Sonette von Günter Grass über Polen: «Novemberland», 1993. Das Bild der lächelnden Trägerin kurzer Röcke und schlechter Religionsnoten in Kerschbaumers »Die Fremde». Der zweite Ehemann Herminias erwies sich wie der erste, nur ohne Geld, als ein Irrtum. Johann Caspar Goethes Italienreise 1740. Über die Buchhandlungen in Venedig schreibt er: «Bei dieser Gelegenheit will ich anmerken, dass eine derart maßlose Neigung zu Büchern ebenso eine Krankheit ist wie die Wassersucht. Sie zerstört den Menschen ganz genau so». Aus den Logen der venezianischen Theater wird auf das Parkett hinunter gespuckt und Mist hinab geworfen, darum sitzt niemand im Parkett. «Diese abscheuliche Unsitte ist nur in Venedig üblich, dessen Bewohner meistenteils im Schmutz ebenso gut leben können wie der Salamander im Feuer». Die Venezianer scheuen sich auch nicht, hinzupissen, wo es ihnen gerade passt, kein Wunder, sie sind halbe Juden, meint G. (Wenn der wüsste, von welcher Lust des keinen Ort tabuisierenden Zuwibrunzens meine durchaus arische Wenigkeit befallen ist). Reste der animistischen Religion in unseren Breiten: Da bist du noch mit den Mücken geflogen! Insekten als Seelentransporter. Dialektausdruck Mia hod draamd: Jemand ließ es in mir träumen. Etwas vom richtigen Goethe: Es sind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur Tat fähig sind. Der Sinn erweitert, aber lähmt. Die Tat belebt, aber beschränkt. Für Sinn muss man hier wohl Geist setzen. Weil es für Geistesmenschen kein Entweder-oder gibt, warten sie mit ihrem Angriff. Das geschundene Volk versteht dieses Abwarten nicht, und schon ist die Bewegung uneins. Zuerst nur in der Frage des richtigen Zeitpunkts, dann in allem, z.B.: Soll man Rechtsradikale zu Podiumsdiskussionen einladen? Die Faschos nehmen uns gelegentlich die schönsten Namen und Titel weg, etwa indem sie eine faschistoid-okkulte Zeitschrift «Heidenspaß» nennen. Warum bin ich ihnen nicht zuvorgekommen? Albert Drach, Die Abschaffung Gottes und dessen Ersatz durch die Behörde. Eine Sonntagsgeschichte im Neuen Deutschland, das jetzt (1992/93) ständig tolle Schriftstellertexte abdruckt. Aldous Huxley, Der Teufel von London: DIE LUFT IST IM SOMMER NICHT SO VOLL VON FLIEGEN WIE ZU ALLEN ZEITEN VON UNSICHTBAREN TEUFELN. Charakteristisch für die letzten Zivilisationsschübe war die allgemeine Zurückhaltung der Affekte. Auf die Gefahr hin, eine Mehrfachdoublette zu produzieren: In meinem ganzen Leben habe ich keinen Befehl erteilen können, ohne dabei lachen zu müssen, ohne dass man darüber gelacht hätte. Sartre, Die Wörter. Ebendort: Ein amerikanischer Freund begleitete mich auf den Hundefriedhof. Wütend gab er dem Zementhund einen Fußtritt und brach ihm ein Ohr ab. Er hatte recht: Wenn man die Kinder und die Tiere zu sehr liebt, liebt man sie gegen die Menschen. Sala de espera. Welch schöne Sprache, die für Warten und Hoffen dasselbe Wort hat. Durchs Schweigen ist es uns einigermaßen gelungen, einander zu verstehen (Gide). In Johannes Burkhardts Geschichte des 30-jährigen Krieges interessant das Kapitel «Krieg und Frieden als Medienereignis». Man könnte den Krieg als ersten Medienkrieg der Geschichte bezeichnen. Die Flugblätter-Invasion soll den Hergang dokumentieren, aber sie stimuliert auch den Krieg. Ribeiro, «Brasilien, Brasilien»: die Folgen der katholischen Missionierung eines brasilianischen Dorfes. Seither wissen die Dorfleute, was gut und böse ist. Vorher hatten sie nicht einmal die Begriffe dafür. Auch wissen die Dorfleute nun, was Versuchung ist. Vielleicht alles, was geschieht. Beispiel eines positiven Urteils, ausgesprochen in adäquater Sprache: Schöner als ein Blumengarten und klüger als die Bienen. Gramsci zur Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen: Was in der Stadt zu Schrott geworden ist, ist in der Peripherie noch Werkzeug. Gegen den Arbeits-Ethos. Milizionäre der Kolonne Durutti weigerten sich, Spaten zum Eingraben an die Front mitzunehmen. Wir gehen, um zu kämpfen und zu sterben, nicht aber, zu arbeiten. Das überließen die Anarchisten den Kommunisten, und die arbeiten immer gerne, manchmal sogar in Panzerfabriken.

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Ein radikaler Intellektueller kann unter Bürgern nicht heimisch werden, aber es steht ihm auch nicht der Ausweg des Hollywood-Westerns zur Verfügung, als Revolverheld in einer Wolke wunderbarer Musik, sagen wir Calexico, in die Stadt zu reiten, dafür zu sorgen, dass die Schurken verschwinden (bis zum nächsten Film) und danach wieder in die Ebene hinaus zu reiten, weil man mit dem Horizont, nicht nur wegen dessen Ferne, nicht kommunizieren muss. M. Walzer über R. Bournes: Er fühlte sich fremd in Kleinstädten. Er ging nach New York, um im großen Maßstab entfremdet zu sein (...) Distanz und Ferne waren wie für ihn gemacht. Walzer über Gramsci: Er ist im 20. Jahrhundert ein seltener Vogel: ein unschuldiger Kommunist. Durch die Schlucht bei Litochoro dem Olymp zustreben, ist leicht gesagt. Irgendwo zeigt keine Markierung mehr die Fortsetzung der Gipfelroute an. Anfang der 1990er Jahre wollten Investoren auf diesem griechischen Mythos-Berg ein Schisportzentrum errichten. Eine Kritik an diesem Vorhaben, sehr löblich, als Infoteil der Wanderkarte. Die Schröknadeln der Welt sollten auf Bergen wie dem Olymp Betretungsverbot ab Latschengrenze haben. Wieder Walzer: die Leere zwischen dem Volk und den Intellektuellen ist ein ungeheurer Raum, den selbst die Dialektik nicht überbrücken kann. Aus Silones Roman Samen unter Schnee: Zwei Übel, das Geld und der Staat – alt wie die Läuse und der Husten, von Natur immer verabscheuenswert, waren erträglich, solange sie in gewissen Grenzen blieben... Rikis Selbstbeobachtungen: Ich komme mir so überkandidelt vor, wenn ich mit einem Kugelschreiber in der Hand vor einem leeren Blatt Papier sitze, ich bin mir dann selber ganz fremd. DA HÄNGT EINE FRAU ihren kuss an den mund eines mannes. (Hans Augustin). Protokoll von der Gründungssitzung des UHUDLA vom 24, Juli 1991. Anwesend; Edi Danzinger, Max Wachter, Erich Kovacs, Wolfgang Kovacs, Walter Eckhart, Robert Sommer. Was ich einbringe: Jede Menge Rubrik- und Kolumne-Titel; den Vorschlag, dass die AutorInnen anstelle eines Honorars eine Flasche Uhudler pro Artikel erhalten plus jedes Jahr eine Einladung zum Lammbraten; so beginnt auch die Burgenland-Episode meiner Biografie, die bis zum Jahre 2000 währte; schließlich die Kür des Minusmannes des Monats, der auf Postwege eine gebrauchte Unterhose eines Uhudla-Teammitglieds zugeschickt bekommt. Eine schöne (jüdische?) Geschichte über eine Maus, die jemanden ganz Besonderen heiraten wollte und zur Sonne ging, erzählt von Lena Rothstein. Protokoll von der Gründung der Zeitung Wolkenbruch am 28. Juni 1991. (Im Rückblick wird sich mein 1991 als das aktionsreichte Jahr meines Lebens herausstellen). Uns Bayern könnte nur eine Revolution helfen, aber die ist nicht erlaubt (Georg Seeßlen). KURZER EINBRUCH DER ZUKUNFT IN DAS LEBEN EINES NOCH PARTEITREUEN. Eine ganze Partygesellschhaft unterschreibt am 21. März 1991 eine Austritterklärung aus der KPÖ. Begründung: «Die Partei hat immer recht – wir sind link.» Ausgetreten sind hiermit Alexander, Regina, Lambert, Erich, Kurt, Robert, Karl, Margit, Waltraud, Reinhard, Helmuth, Michael, Eva-Maria und Andi. Mehr als 20 Jahre später, 2013 oder 2014, lasse ich bei einem Volksstimmefest eine Kopie dieses den 20. Bezirk erschütternden Dokuments zirkulieren. Sissi geht die Liste durch, ein zweites Mal, ein drittes Mal, dann schreit sie: So eine Scheisse! Ich bin immer noch Mitglied! Sie war auf besagter Party, vielleicht war sie grad scheißen, als alle die Austrittserklärung unterschrieben. Jedenfalls sah sie zwei Jahrzehnte später, dass ihr Name fehlte. Am 22. April 2017 holte sie die Austrittserklärung nach. Im Perinetkeller, in dem genauso auch der umgekehrte Schritt gefeiert werden könnte. Ein Parteieintritt, der unter aktuellen Bedingungen wie ein dadaistischer Akt anmutet, mehr noch als ein Austritt. 60 Jahre vor unserem Befreiungsakt verließ Münzenberg die KP – mit Argumenten, die heute genauso zu formulieren wären: Die freie und öffentliche Diskussion wird verhindert durch eine Organisationsform, die mit der ursprünglichen Partei wenig gemeinsam hat; durch das Übergewicht eines bürokratischen Apparates; durch eine Leitung, die sich trotz aller Niederlagen seit 1933 unfehlbar und unersetzbar dünkt. Ich will meine Schwachheit bewahren, ich will unter den Schwachen bleiben (Peter Weiß). Protokoll des Kuba-Urlaubs im Jänner und Februar 1991. Wie erwähnt – ein starkes Jahr. Fast alle Errungenschaften der alten Welt (Afrika, Asien, Europa) wurden in der Neuen Welt selbständig erfunden: natürlich auch das Rad, wie sonst könnte man die rothaartige Nachbarin rädern? Weiters Korbflechten, Ackerbau, Kultivierung von Pflanzen, Domestizierung von Tieren, Textilherstellung, Kalender, Bilderschrift, Rechnen mit Zahlen, Hausbau, Städtebau ... all das erfanden sie drüben genauso wie hüben. Sie wussten voneinander nichts.

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Wörter der Azteken-Sprache: Avokado, Schokolade (xoco = bitter, atl = Wasser), Chili, Kakao, Kopal, Tomate. Ozelot. Wörter aus der Inka-Sprache: Alpaka, Coca, Kondor, Guano, Lama, Pampa, Puma, Chinin. Die Indigenen der Anden benutzten Hunde zum Anwärmen der Betten. Hannah Arendt über den MOB: Er setzt sich zusammen aus ALLEN DEKLASSIERTEN, in ihm sind alle Klassen der Gesellschaft vertreten. Er ist das Volk in seiner Karikatur. Er schreit in allen Aufständen nach dem starken Mann. Auf die Beine gebracht wurde der Mob vor allem durch die eine große Idee: Antisemitismus. Gide formuliert fein, was ich spüre, aber nicht verbalisieren kann: Ich kann keine Aussage mehr formulieren, ohne dass sie mir alsbald als Verfälschung meines Denkens erscheint. Keine meiner Überzeugungen sind solid genug, dass nicht der geringste Einwand sie sogleich erschütterte. Ebenfalls Gide: Eine Meinung beginnt mich zu stören, sobald ich einen Vorteil davon habe. Nicht die Idee beschreiben, sondern Geburt, Leben und Sterben einer Idee beobachten! Ein Roman Gides, Die Verliesse des Vatikan, erweckt in mir das Bedürfnis nach barockem Schreiben: Sechs Seiten braucht Gide, um zu schildern, wie Amadeus Fleurissoire von Wanzen, Flöhen und Gelsen terrorisiert wurde. Wanzen! Er kannte diese Tiere nur dem Namen nach ... Unerfahren und nervös, ekelgepeitscht, doch in absoluter Verkennung der Wanzenseele, begann er den eigenen Körper nach den Tückebolden abzusuchen ... Er jagte fünf Stück aus dem freigelegten Schlupfwinkel hervor, schüttelte sie in seinen Nachttopf, schiffte sie zusammen und sah ihrem Ertrinken mit einer Grausamkeit zu, die ihn etwas munterer werden ließ ... In Toulon waren es die Flöhe ... Zwar wurde gelegentlich so ein schwarzes Biest sichtbar, aber es enthopste dem Zugriff, und selbst wenn mal eines gefangen und anscheinend platt- und totgedrückt war, so pustete es sich in der nächsten Sekunde wieder zu normaler Dicke auf, um frohgemut weiterzustechen. Amadeus sehnte sich nach den Wanzen zurück ... Mählich lockte sänftigender Hauch den Vielgequälten zum Schlafe. Oberhalb des Bettes fiel, nebelgleich, ein Tüllschleier herunter, Fleurissoire erkannte das Mückennetz ... Plötzlich: ein heftiger Stich am linken Nasenflügel ... Amadeus erkannte deutlich das auf vier absurd-dünnen Beinen sitzende und das dritte Beinpaar unverschämt zurückringelnde Filigrangebilde ... Die Beule am Kinn hob sich vulkanisch – und er empfahl sie der Vorsicht des Genueser Figaro, bei dem er sich schnell noch rasieren ließ, damit die Ewige Stadt einen wohlanständigen Christenmenschen eintreffen sehe. In allen Revolutionen des 20. Jahrhunderts hat der Konflikt zwischen den Parteien- und dem Rätesystem eine entscheidende Rolle gespielt. Ein Rat an Ossis: Frage nie einen älteren Wessi nach seiner Nazivergangenheit. Nach der früheren Partei zu fragen ist das Vorrecht der Wessis (Neues Deutschland, April 1991). Komar und Melamid: russische Avantgardisten der 70er Jahre, gründeten Malstil der Soz-Art. Wieland Herzfelde über seinen Bruder, den Dadaisten John Heartfield: Erwähnenswert ist vielleicht, dass er keines der typisch gewordenen Künstlerbekleidungsstücke trug. Georg Seeßlen in einem Text über Karl Valentin: Die DDR ist 40 Jahre lang von einer Partei beherrscht worden; wer einen Fernseher hat, der hört das mindestens fünfmal am Tag. Bayern ist seit der selben Zeit im BESITZ einer Partei. Eine Alternative kann es da gar nicht mehr geben: Die bayrische SPD zum Beispiel versammelt die Zugereisten, die Evangelischen, die Bücherleser, damit die etwas zu tun haben und nicht weiter stören. Bayern ist die paradoxe Erscheinung eines Mezzogiorno ohne Armut: die mafiose Struktur des Alltagslebens ist so erfolgreich, dass es nur wenige sichtbare Opfer gibt. Tatjana Iwanowa in der sowjetischen Zeitung «Neue Zeit»: Prawda-Leser sind meist ältere Herrn in weißen Schirmmützen. Ich versuch schon lange, wenigstens einen Prawda-Leser in Jeans zu entdecken. In der DDR-Revolte und in der folgenden nationalen Vereinigung spielten utopische Konzepte keine Rolle; ja es fehlt überhaupt jeglicher Gedanke, dass sich ein Raum für Veränderung und Neugestaltung eröffnet habe, Die einzige «Utopie» ist die kapitalistische Warenwelt («Freitag», Juli 1991. Eine BEINAHE richtige Beobachtung). Der Sirius ist zwar tausendmal größer als die Sonne, aber er reift nicht unsere Trauben. Bloch zu seinen Leipziger StudentInnen Anfang der 50er Jahre: Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen das für ihre hoffentlich recht bald möglichen Reisen über die Alpen: In der Fremde ist nichts exotisch als der Fremde selbst. Thomas Bernhard über eine beliebte Urlaubsdestination: Bis in den Juni hinein muss im so genannten Salzkammergut geheizt werden, und ab Mitte August wieder. Es ist eine kalte und unfreundliche Gegend. Im Salzkammergut haben alle ohne Ausnahme rheumatische Krankheiten

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Gott, römisch katholisch, schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde. Eine Kuh, vorchristlich germanisch, leckt den Menschen aus einem Eisblock heraus. Andere Götter, andere Schöpfungsmythen. Aus einer Kurzgeschichte von Irmtraut Morgner. In der Tür ließ ich meine Hand wie zufällig über eine Hinterbacke gleiten, um zu prüfen, ob die Gewebestruktur in Ordnung war. Da ich keine Mängel feststellen konnte, fragte ich den Herrn, ob er heute abend etwas vorhätte, und lud ihn ein ins Kino «International». Eine innere Anstrengung, die zunehmend sein hübsches Gesicht zeichnete, verzerrte es jetzt grimassenhaft, konnte die Verblüffung aber doch endlich lösen und die Zunge, also dass der Herr sprach: «Hören Sie mal, Sie haben ja unerhörte Umgangsformen.» «Gewöhnliche», entgegnete ich, «Sie sind nur nichts Gutes gewöhnt, weil Sie keine Dame sind.» Heinrich Heine an seine Frau, ein Brief aus Hamburg, wo der Gatte länger blieb als ausgemacht war: Um Gottes Willen, tue nichts, worüber ich bei meiner Rückkehr böse werden könnte. Verhalte Dich so still wie möglich in Deinem Nestchen, arbeite, studiere, langweile Dich rechtschaffen, spinne Wolle. Heinrich Heine über seinen Bruder Max: Er ist ein Wohltäter der Menschheit, und solche Leute mögen mir vom Leibe bleiben. Da sind mir entschieden schlechte Kerle, die wenigstens Kerle sind und überhaupt etwas sind, viel lieber. Er ist und bleibt nichts anderes als Max Hühnergeschisse. Heinrich Heine an Salomon Strauss, mit dem er sich duellieren will (August 1841): Wer in revolutionärer Zeit sich wie ich gestellt habe, sollte eigentlich jede Verleumdung ruhig ertragen .. wenn mich nicht gelüstete, ein großes Exempel zu statuieren; dieses kann ich nur erreichen durch ein Duell, wo ein Mensch auf dem Walplatze bleibt oder ein zerschmettertes Bein. Am liebsten schösse ich nach Ihrem Bauche. Ruth Rehmann an Anna Seghers: 1942, im mexikanischen Asyl, haben Sie einmal vom «furchtbaren Schweigen der Schriftsteller» im Dritten Reich gesprochen, «denn sie sind von Natur und Gesellschaft ausdrücklich dazu bestimmt, nicht zu schweigen. Wer könnte toter sein als ein stummer Schriftsteller.» Und nun ... hören Sie sich schweigend an, wie der Generalstaatsanwalt 15 Seiten Anklagen gegen Lukacs vorliest. Sie wussten, dass der Prozess eine böse Face war. (Segher saß im Verhandlungssaal und sah zu Boden). Walter Janka, ehemaliger Leiter des Aufbauverlags, DDR, dann politisch gemaßregelt, prophezeit im Juni 1990 im Neuen Deutschland: Die bedingungslose Auslieferung an die Bundesrepublik wird eine Menge Folgen haben. Sicher, einige Leute auch hier in der DDR werden materiell davon profitieren. Das kann ich schon in Kleinmachnow beobachten. Aber jeder Dummkopf weiß, dass wir in ein paar Monaten eine Million Arbeitslose haben werden. Markus Wolf, STASI-Chef, im ND, Juli 1990: In unserem Land sind vielfältige menschliche Beziehungen entstanden durch Studium, Besuche, Stationierung der Sowjettruppen hier, leider weniger zu den Soldaten, die in ihren Kasernen meistens eigeschlossen sind, also mehr zwischen den Offizieren, aber immerhin. Um einen städtischen Platz zu begreifen, muss man ihn aus allen vier Himmelrichtungen betreten. Mindestens. Walter Benjamin: Kleinbürgerzimmer sind Schlachtfelder, über die der verheerende Ansturm des Warenkapitals siegreich dahingefegt ist – es kann nichts Menschliches mehr da gedeihen. Von B. hörte ich, er sei Sozialdemokrat. Er machte aber einen klugen Eindruck. Moskau ist so gut wie befreit vom Glockengeläute, das eine so unwiderstehliche Traurigkeit in den Großstädten zu verbreiten pflegt. Auch das ist etwas, was man erst nach der Rückkehr lieben lernt. Johannes R. Becher, Selbstzensur: Diesen Mann habe ich damals verehrt wie keinen unter den Lebenden ... Der Grundirrtum meines Lebens bestand in der Annahme, dass der Sozialismus die menschlichen Tragödien beende und das Ende der menschlichen Tragik selber bedeute ... Der Sozialismus aber hat erst die menschliche Tragik in Freiheit gesetzt. In ihm hat sich die Tragödie gleichsam selbst überstiegen. Sowjetische Funktionäre legten dem KPÖ-Spitzenpolitiker Fürnberg nahe, den Oktoberstreik abzubrechen. Ich glaube, er ist abgebrochen worden. Majakowskis Nachruf auf Sergej Jessenin. Arbeiterzeitung vom 26. Mai 1990: Die Partei als Ganzes stellt Robert Sommer erst seit seinem Moskau-Aufenthalt in Frage. Hermann Kant, März 1990: Ich fürchte, bestimmte Bedingungen kommen auf uns zu, bei denen sich so mancher von uns plötzlich wieder etwas freundlicher an manches erinnert, was wir erarbeitet hatten. Selbst wenn die DDR jetzt Gefahr läuft, sich ihrer Souveränität allzu spät zu begeben, wird wohl die DDR-Identität nicht so ohne weiters den Bach runtergehen.

BESTIALISCH STINKENDES ÖSTERREICH I

Die Rohheit des 16. Jahrhunderts: Ein beliebtes Spiel, Steine nach Katzen zu werfen, die bis zum Kopf eingegraben waren. Beroalde de Verville, 1610: Ich wünschte, meine Muschi wäre ein Weihwasserbecken, so dass jedermann seine Finger hineintauchen würde. In John Hales Buch «Die Kultur der Renaissance» eine bemerkenswerte Abhandlung über die nationalen Klischees und Vorurteile im 15. bis 17. Jahrhundert. Neben haarsträubenden Urteilen zum Charakter der Nationen gab´s auch viele Stimmen der Vernunft. Der deutsche Kosmograph Johann Rauw schrieb 1597: ES IST KEIN LAND UMB DREI HELLER BESSER ALS DAS ANDER. Die Menschen machen die Geschichte, aber auch ihre Krankheiten tun das. Nach der Leprawelle war Europa nicht mehr, was es war. Die Lepra verschwand, aber die Strukturen der Ausschließung blieben. Im christlichen Mittelalter soll es 19.000 Lager für Aussätzige gegeben haben; im 12. Jahrhundert gab es allein in England und Schottland 1,5 Millionen Leprakranke. Massenmord an Leprakranken 1321 in Paris. DER BROTHERR AND HIS BROTHER. In der Moderne starb manches aus, aber die Ehre blieb. Die Künstler bezahlen ihren dummen Stolz, hochwertig und mit niemanden vergleichbar zu sein, mit Einsamkeit- und Niedergeschlagenheitsgefühlen teuer. Wenn ein Bauer freundlich behandelt wird, schöpft er Verdacht. Ein seltsam berührendes Foto. Die Köpfe wirken viel zu groß, denn sie sehen aus wie Köpfe Erwachsener. An der Kopf-Körper-Relation erkannt man, dass es sich um Kinder handelt. Ich habe noch nie ein Foto so lange betrachtet wie das der Schulklasse aus Unterwart, 1910, aus dem Buch «Die obere Wart». Die Kinder schauen wie erwachsene und alte Kleinwüchsige aus. Alle Gesichter sehr ernst und traurig. Ein einziges von 46 Kindern hat den Mundwinkel angehoben und grinst in die Kamera, wie zum Trotz gegen das Duo der Macht im Zentrum des Bildes: der Lehrer und der Pfarrer. Nur Smily entzieht sich ihrem Einfluss, scheinbar. Was ist aus ihm geworden? Die «griechische» Klassik war mediterran, nicht griechisch. Lang bevor das Mittelmeer ein europäisches Meer wurde, war es ein afrikanisches Meer. Der erste Akt des kulturellen Imprialismus, schrieb Ali A. Mazrini, war, Griechenland in die Landkarte Europas einzuverleiben. Aristoteles bezog sein Wissen aus dem ägyptischen Denken. Ohne die Leistungen der Ägypter gibt es keine griechische Klassik. E-M. Cioran: Man setze dem Leben ein bestimmtes Ziel; im Nu wird es seinen Anreiz verlieren. Einzig die mangelnde Exaktheit seiner Bestimmung macht es dem Tode überlegen. «Blutige Damenbinden in einem Kastl gefallen mir nicht», so ein Kommentar einer österr. Kulturministerin zur Kunst Hermann Nitsch´. Und das noch 1995! Vorschläge zur Ökonomisierung der Sprache: statt Wiese Fuada, statt Wald Hoiz, statt Hund Gulasch, statt Rax Trinkwasserreservoire, statt blühendem Rapsfeld Benzin und statt Kukuruzacker Popcorn. Wie im Westen so auf Erden. Bernhard Heindl anlässlich der feierlichen Präsentation des «Pomali-Prinzips» durch den Aktionsradius Augarten: Bei der Eröffnung der Eisenbahn von Berlin nach Potsdam fragte der preussische König, warum er denn schneller in Potsdam sein sollte. Als Ernst Toller die UDSSR bereiste, suchte er eine der Fabriken zum Geradebiegen der Bauern zu funktionierenden Subjekten der Industrie auf – und er war entsetzt: «In vier geschlossenen Reihen marschieren die Arbeiter in militärischer Ordnung auf, jeder bleibt vor seinem Tisch stehen. Das erste Knarrzeichen der Maschine ertönt. Jeder Arbeiter tritt an seinen Tisch. Ein zweites Knarrzeichen. Jeder Arbeiter ergreift sein Instrument ...» Der Linguist und Anthropologe Franz Boas: Wir würden unsere Zeitungen mit größerer Genugtuung lesen, wenn unsere Sprache, so wie das Indianer-Idiom Kwakiutl, uns zwänge zu sagen, ob der Bericht auf eigener Erfahrung, auf Folgerung, auf Hörensagen beruht, oder ob der Reporter ihn geträumt hat. Machiavelli war der erste, der die Macht kapierte – lächerlich, anzunehmen, sie stamme von Gott. Kerensky ist für das Bündnis mit dem Zaren zum Zweck der Verteidigung des Vaterlandes. Gegenüber seinem Hurrah-Patriotismus heben die kosmopolitischen Bolschewiki sich wohltuend ab. Häresie ist so etwas wie Porno für Theologen und regt ihre Phantasie an. Österreich-Bayern: Im 12. Jahrhundert trennt sich langsam die Ö-Geschichte von der D-Geschichte. Um 1300 betrachteten sich ÖsterreicherInnen und BayrInnen bereits als Feinde. Die letzte 68er-Demo war das Gehen hinter Sartres Sarg, April 1980. 50.000 sollen dabeigewesen sein. Krankengeschichten machen Beauvoirs Buch «Die Zeremonie des Abschieds» streckenweise langweilig. 26. Jänner 1995, Barbados. Ich klappe das Buch «Meister und Magarita» zu, nicht ohne Ärger, denn ich habe es leider nicht verstanden. Der Kamin funktioniert nach dem physikalischen Prinzip der Zigarre. Eco: Warum soll es nicht untergehen, das Abendland. Das ist doch schließlich sein Beruf.

BESTIALISCH STINKENDES ÖSTERREICH II

Revolutionen sind konservativ, wenn sie den verwirklichten Erneuerungen eine vollkommen stabile Form, einen Kodex geben wollen, wenn sie die Veränderungen einzubalsamisieren versuchen. Aber ist eine revolutionäre Revolution denkbar, also eine, die ihre Ergebnisse nicht einbetoniert? (Gramsci). Ruth Krüger erzählt: Nach dem Krieg ging meine Mutter noch einmal zu jener Wiener Greisslerin, die uns mit dem Judenstern nicht mehr bediente. Die Greisslerin sagte: Gnädige Frau, wo waren´s denn so lange? Haben S´ bei der Konkurrenz einkauft? Eine Welle antisemitischer Agitation, für die es keine befriedigende Erklärung gibt, erschütterte 1882 ganz Österreich. ich hass die lüge die sich gibt als nachricht / ich hass den dummen der sie kauft für geld / ich lieb die vorsicht nicht und nicht die nachsicht / die zeigt dass wer von nirgendwas was hält / ich lieb mich nicht wenn ich erschöpft und feig bin / ich hass den sack den man statt eseln haut / ich spuck rosinen aus wenn ich im teig bin / und reiß das haus ein das ihr auf mich baut / ich liebe nicht die ölig satten frommen / und nicht den der ins wasser trifft den hieb / und wenn die großen änderungen kommen / so weiß ich jetzt schon dass ich sie nicht lieb (Wyssotzki). Im ganzen Hl. Römischen Reich gab es um 1500 nur 12 bis 15 Städte über 10.000 Einwohner. In den Niederlanden zumindest 16 in dieser Kategorie. Am 13, Juli 1994 saß ich im Wirtshaus Eder in Eisenstadt und beschloss, drei Bücher zu schreiben: eines über die Wulkau (um zu beweisen, dass man über etwas, das nicht einmal Fluss ist, so viel schreiben kann wie über die Donau); zweitens eines über die 300jährige Geschichte des Schwarzen Adler, so hieß das Wirtshaus Eder; schließlich ein Buch über die jüdische Familie Wolf, eine Eisenstädter Weinhändler-Dynastie. Für Projekt Nr. 1 hatte ich zumindest schon die wesentlichen Unterlagen und ein Konzept. Trotz Unterlagen – eine Niederlage. Florian Berndl, Herrscher des Gänsehäufels: die Lehrbücher sollte über ihn ebenso viel schreiben wie über Sissi. Groll in der Hauptstadt der DDR, eine Riess-Geschichte. An der Stirnwand der Gaststube «Zur Völkerfreundschaft» hängt das Spruchband «Unser Kampfziel: das kulinarische Wohl der Arbeiterklasse!». Groll rettet die KPÖ, eine weitere Geschichte von Erwin Riess, gelesen am Volksstimmefest 1993. Groll im World Trade Center. Groll und die Marchfeldsilos. Groll auf dem Golfplatz. Groll und die Solidarität im Gemeindebau. Groll und der Rhein-Main-Donaukanal. Mit der Macht der Schriftsteller scheint es vorbei zu sein. Das Buch «Hundert Jahre Einsamkeit», ein Bestseller in Nord, Süd, Ost und West, hatte mehr zur Solidarität mit Lateinamerika beigetragen als politische Kampagnen. Emotionaler Tierschutz muss durch ökologische Wissen ersetzt werden. Denn menschliche Gefühle sind für Tiere gefährlich: es gibt wesentlich mehr ungeliebte (ekelerregende) Tiere als geliebte. Die Natur kennt kein Ungeziefer. Die deutsche Sprache konstruiert so eine Kategorie von Lebewesen, die ein Mensch ohne schlechtes Gewissen zertreten kann. Würde seine Muttersprache solche herabwürdigenden Begriffe nicht kennen, wie würde der Zertreter seine Handlung rechtfertigen können? Thomas Bernhards Provokationen greifen – seine Gegner sind so blöd und spielen mit. Als eine perverse Öde und eine fürchterliche Stumpfsinnigkeit empfand ich mein Land. Nur grauenhaft verstümmelte Städte, eine nichts als abschreckender Landschaft und in diesen verstümmelten Städten und in dieser abschreckenden Landschaft gemeine und verlorene und niederträchtige Menschen (...) dieses ganze widerwärtige, schließlich nurmehr noch bestialisch stinkende Österreich mit seinen weltberühmten Kirchen- und Kloster- und Theater- und Konzertgebäuden ist vor meinen Augen in Flammen aufgegangen und abgebrannt. Unterrichtsminister Moritz meinte dazu, wer so schreibe, gehöre in die Psychiatrie. Wörtlich sagte er: Bernhard «wird zunehmend zu einem Thema der Wissenschaft, wobei ich nicht allein die Literaturwissenschaft meine». Vranitzky, damals Bundeskanzler, betonte, dass «derartige Ausfälle gegen Österreich«, konkret ging es um Bernhards Stück «Der Theatermacher», «in Zukunft nicht mehr geduldet werden.» Bernhards Kalkül war aufgegangen, dank der Blödheit unserer Politiker-Kaste, und er konnte dem Bundeskanzler öffentlich die Leviten lesen: Der Herr Vranitzky hat, so scheint es, von Kunst und Kultur keine Ahnung und, wie die meisten seiner Kollegen, die Zeichen der Zeit nicht begriffen. es steigt er steiger / bis er nicht mehr steigt / es schweigt der schweiger / bis er nicht mehr schweigt / es hurt die hure / bis sie nicht mehr hurt / es murt die mure / bis sie nicht mehr murt. Eine Skizze vom Maibaumaufstellen in Forchtenstein. Die Burschenschaft ersetzt den Kran. In Chiapas wird die indigene Welt von 300.000 Tzeltales, 300.000 Tzotziles, 120.000 Choles, 90.000 Zoques und 70.000 Tojolabales bevölkert. Sie alle bringen Holz, Kaffee, Vieh, Stoff, Kunsthandwerk, Mais in die Hauptstadt St. Christopal. Und alle nehmen sie etwas mit: Krankheiten, Ignoranz, Spott und Tod.

VOM VERLUST DER LUST I

Die Erfindung der Schachuhr signalisierte das Vordringen der kapitalistischen Zeitdisziplin in die letzten freien Ecken des Lebens. Vor 150 Jahren wurden die Schachklubs noch von «Bruthennen» bevölkert. Sie dachten stundenlang über einen einzigen Zug nach. Einer der Langsamsten war der geniale Deutsche Louis Paulsen. Bei einem Wettkampf ließ er oft zwei Stunden vergehen, bevor er zum Zug ansetzte. Ein typisches Ernst Strouhal-Thema. Die Lügenforscher stehen vor einem Paradox. Einerseits wissen Menschen recht genau, wie häufig sie selbst sogar sehr nahestehende Menschen belügen, andrerseits glauben sie, dass sie selber von guten Freunden nicht belogen werden. Lügen mit dem erklärten Ziel, dem Gesprächspartner zu schaden, kommen extrem selten vor. Hinter den meisten alltäglichen Unaufrichtigkeiten steckt harmloser Selbstdarstellungsdrang. Im deutschen Philosophie-Betrieb angeblich sehr verbreitet: die Gepflogenheit, sich weniger durch betont eigene Gedanken hervorzutun als vielmehr durch Demonstration von Kenntnis. Und das in einer Gegend, wo Kant und Hegel ihren Ehrgeiz darin legten, ganz eigenständige Gedankengebäude zu errichten. Ich fühle mich als Journalist und unentwegt Schreibender verdammt ertappt. Ich glänze durch die Ansammlungen vermeintlich origineller Ideen, die für wirkliche Kenner auch ohne meine Quellenhinweise als Raubzüge durch den von Intelligenteren gefüllten Gesamtideenschatz wahrzunehmen sind. Ich blöffe Freund & Feind mit der Methode des Zitierens, das nicht als solches erkennbar ist, weil ich die AutorInnen der von mir ins Spiel gebrachten Textstellen verschweige. Aus meiner (fiktiven) Sammlung der Erfolge der Frauenemanzipation: Immer mehr Menschen kommen zu Ärzten oder Psychotherapeuten mit der Klage, sie hätten die sexuelle Lust verloren. Nicht dieser Verlust ist ein Erfolg, sondern die Tatsache, dass die Frauen nicht mehr sagen, ich habe Migräne, oder ich habe meine Tage, sondern dass sie bei der Wahrheit bleiben: ich habe einfach keine Lust. Warum ich damals nicht in die Muehl-Kommune zog: ein Volksstimme-Text von Julius Mende vom März 1998. Dass sich Muehl von allen ersten Idealen der Kommune distanzierte, sei wohl seine letzte Eintrittskarte in den Kunstbetrieb, schrieb Mende. Er, ein 68er und Kommunist, hänge immer noch an diesen Idealen. Und er zählt sie auf: Gemeinschaftseigentum, Auflösung der Ehe, Auflösung der Familie, Auflösung der Trennung zwischen Kunst und Leben. Der amerikanische Zeitforscher Robert Levine vergleicht die Lebensgeschwindigkeiten von Gesellschaften anhand folgender Kriterien: erstens die durchschnittliche Geh-Geschwindigkeit von PassantInnen im Zentrum einer Metropole; zweitens die Pünktlichkeit der Uhren; drittens die Zeitdauer, die für den Kauf einer Standardbriefmarke auf dem Postamt vonnöten ist. Der Exkommunarde Schlomo Skopek im «akin» über den «konservativen Scheißer» namens Muehl. «Der Turrini hat dort drei Monate gelebt». Kurt Palm über den Brecht-Boykott in Österreich. Er birgt eine Überraschung: noch vor der Torberg-Kampagne gegen die Kommunisten im Kulturbetrieb äußerte sich Günther Nenning als Brecht-Basher. Nenning im FORVM Hebst 1958 zur Frage «Soll Brecht im Westen gespielt werden?»: «Die Kommunisten mögen schweigen. Sie haben von der Demokratie keinerlei Freiheiten zu fordern, nicht einmal die ihrer nackten politischen Existenz – welche ihnen die Demokratie aus Prinzip und Nützlichkeit dennoch gewährt.» Der New Yorker Physiker Alan Sokal veröffentlichte 1996 in einer angesehenen Wissenschaftszeitung einen völlig absurden, von postmodernen Allerweltsweisheiten und sonstigem Unsinn triefenden Text, den niemand aus der akademischen Welt als Fake wahrnahm. wenn in arabien die zeiten besser sind / dann heißt es bessarabien / war dir das bekannt? / alles hat einen ausdruck, alles hat einen zweck / außer ich bin hier und du bist weg (Georg Kreislers Liebeserklärung an Topsy Küppers). Autonomie im Bereich des Denkens ist gleichbedeutend mit unbegrenztem Fragen, das vor nichts haltmacht und sich ständig selbst in Frage stellt (Castoriades). Materialien zur Ausstellung über die Situationistische Internationale im Museum Moderner Kunst. Fromms Demokratisierungsidee: Das Geschworenen-Prinzip (Durchschnittsbürger, nach Zufallsprinzip ausgewählt, werden mit allen Informationen versorgt und kommen nach ausgiebiger Diskussion zu Überzeugungen und Urteilen) sollte auf andere Bereiche der demokratischen Herausforderung, z.B. die Stadtplanung übertragen werden. Tom Segev über die Jecken, wie die aus Deutschland stammenden Juden in Israel verächtlich genannt wurden. In der Einstellung zum Land Israel hätten die Jecken «keinen Hauch von Spiritualität», hieß es vorwurfsvoll von rechts. Viele aus Deutschland Geflohene oder nach Israel Eingewanderte verzichteten darauf, hebräisch zu lernen, offensichtlich konnten sie den Alltag lässig ohne das Hebräische bewältigen.

VOM VERLUST DER LUST II

Zur Methode seines künstlerischen Schreibens sagt Paul Feyerabend: Ich wähle meine Worte sehr sorgfältig – sie müssen richtig klingen, den richtigen Rhythmus haben, und ihre Bedeutung muss ein bisschen schräg sein. Nichts stumpft den Geist so sehr wie eine Reihe vertrauter Begriffe. WER IST VORZUZIEHEN, DER SCHURKE ODER DER DUMMKOPF. Gramscis Argumente für den Lateinunterricht, Seite 1526 der Gefängnisbiefe. Gerhard Roth beschreibt Gralla und Umgebung, die Heimat des Bombenbastlers. Ein vom Oberwarter Bürgermeister einberufenes Treffen sechs Wochen nach dem Attentat auf die Roma, berichtet Peter Wagner, endete mit einem Fiasko. Das Geschehene sollte reflektiert werden, von allen wesentlichen MeinungsbildnerInnen der Bezirkshauptstadt. Der Bürgermeister ließ in der Aula der Hauptschule 300 Sesseln aufstellen. Gekommen sind 16 Personen. Aus der Sporthalle neben der Schule rollten die Jubelschreie der 3000 BesucherInnen eines Basketballmatches herüber. K. P. Liessmann und der Tod Dianas, der den «Diana-Effekt» hervorrief, der laut Medien als Sieg der Emotionen gegen die Rationalität bewertet werden könnte. Die Stadt Wien bezog lange Zeit sein Flair daraus, dass alles vergammelter war als in München oder Hamburg. Mittlerweile ist die Wiener Innenstadt herausgeputzt und renoviert, aber das, was die eigentümliche Schönheit der Stadt ausmachte, ist dabei verlorengegangen- Das Stadtbild kann die Ostlage der Metropole nicht mehr vermitteln (Josef Haslinger). Vom Uhu, der Fledermaus, dem Boheme oder vom Dieb aus gesehen ist der Sonnenuntergang die Zeit des Aufwachens. Vom Eingeborenen aus gesehen ist das Pittoreske der Tourist. Von den Indios der karibischen Inseln aus gesehen war Christoph Columbus mit seinem Federhut und seinem roten Samtgewand ein Papagei von nie gesehenen Ausmaßen (Eduardo Galeano). Ein Sparvorschlag von Karl Valentin, verkürzt: Es ist kein Wunder, dass im Krieg überall Benzinmangel herrscht. Die deutschen Flugzeuge fliegen nach England, um ihre Bomben abzuwerfen. Dann fliegen die englischen Flugzeuge nach Deutschland, um dasselbe zu tun. Viel Benzin könnte man sparen, wenn die deutschen Flugzeuge über Deutschland blieben und die eigenen Städte zertrümmern würden. Die englischen Flugzeuge bräuchten dann nicht so weit nach Deutschland fliegen; auch sie könnten ihre Bomben auf die eigenen Städte abwerfen. Das Resultat wäre doch annähernd dasselbe. «Die Weltgeschichte ist das Weltgericht»: Löwys Biografie über Bucharin gelesen. Enttäuschend: nur der politische Bucharin wird porträtiert, nicht der vielseitig interessierte Intellektuelle. Die Zeit 1929 bis 1938, zwischen seiner Entmachtung und seiner Ermordung, ist im Buch ein weißer Fleck. Muss mir eine alternative Bucharin-Biografie zukommen lassen. So lebte sie dahin. Dahin möchte ich ihr folgen (Karl Kraus). Die Leute aus Teterow, Norddeutschland, setzten einen riesigen Hecht in den See und berieten, wie sie es einzurichten hätten, dass sie ihn jederzeit finden und herausfischen konnten. Sie schnitten genau dort, wo sie den Hecht ins Wasser ließen, eine Kerbe in den Kahn. Chinesisches Sprichwort: Wenn du am Fluß sitzt, warte, bis die Leiche deines Hauptfeindes vorüber treibt. Interpretieren Sie die Aussage Adornos, auf dem Mond sehe es auch nicht anders aus als auf der Müllkippe von Wanne Eikel. Welche von unseren zwei Grundwiderstandsarten ärgern den Feind mehr: VOICE oder EXIT? Aussteigen oder die Stimme zum Protest erheben? Kleine Typologie des Bergsteigers. Der Technokrat. Ein vollkommen wetterunabhängiger Alpinist, der weiß, wie viel rote Blutkörperchen der Mensch auf dem Montblanc pro Minute fabriziert, der keinen Alpinismuskurs in der Volkshochschule auslässt und der deshalb keine Zeit zum Bergwandern mehr hat. Der Leistungsfetischist. Die Berge sind für ihn dazu da, die auf den Hinweistafeln angegebene offizielle Gehzeit zu unterbieten. Beim Wandern blickt er immerfort auf seine Uhr. Der Extreme: Ihm gehen die Berge über alles, sie sind ihm wichtiger als eine Liebschaft. In der Stadt ist er zerfahren und nervös. Am Berg ist er die Gelassenheit in Person. Der gute Kumpel. Der hat eigentlich zum Klettern und zum Bergwandern kein Talent, aber es ist ihm ein Anliegen, dass in den Hütten der Schmäh rennt, insbesondere bei der Tiefausschnitts-Wirtin von der Hinteralm. Der Führer. Erfindungen wie Demokratie oder Konsensentscheidungen hält er im Bergsteigerbereich für total entbehrlich. Der Genussbergsteiger. Das Rucksackpacken ist für ihn ein eintägiges Zeremoniell. Oft trägt er eine Flasche Rotwein auf den Berg hinauf. John Bergers Versuch, die Fels-Meisterwerke von Chauvet zu verstehen. Ein Schweizer Publizist: Zwei Länder werde ich im Leben nie betreten: Finnland und Österreich. Ich kenne die Filme von Aki Kaurismäki und Ulrich Seidl und habe keine Lust, mich unter depressive Völker zu mischen. Seidls Wien ist eine Mischung aus duckmausgrau und hawaiihemdbunt. Man möchte ihr im Dunkeln nicht begegnen.

VOM VERLUST DER LUST III

Die berühmten Bienen im Sexualkundeunterricht – ein Missverständnis. Sollte man stattdessen nicht die Verrichtungen des Gemeindestiers öffentlich machen? Der Gemeindestier live als Triebsmodell? Journalistische und literarische Texte müssen auf Einschüchterungsversuche durch Jargon verzichten. Der Philosoph Feyerabend hat diese Einschüchterungsversuche als universitäre Pornografie oder als Wixvorlage für Intellektuelle bezeichnet. Mit drei Millionen Angehörigen stellen die Burakumin die größte japanische Minderheit dar. Die Geschichte Japans ist eine Geschichte der Diskriminierung der Burakumin, eine Art Paria-Klasse. Sie setzen sich aus zwei Unterarten zusammen, den eta (Beschmutzten) und den hinin (Nichtmenschen). In den 1920er Jahren verbündet sich die (erste) Burakumin-Befreiungsbewegung, «Suheisha», mit Kommunisten, Anarchisten und Aktivisten der christlichen Minderheit. 26. Jänner 1997: der Tag, an dem der Donaukanal die frierenden Wiener mit den von Möwen besetzten Eisschollen überraschte; oder der Tag, an dem sich die Möwen auf Eisschollen donauabwärts treiben ließen; der Tag, an dem die Mörbischer Schilfschneider nicht meckerten, so kalt war er. Gut, Lateinamerika braucht eine neue Guerilla. Denn die Macht ist nirgendwo auf dem Kontinent bereit, sich abwählen zu lassen. Der ungarische Schriftsteller Istvan Eörsi zum Aufstand 1956: Mit heutigen Augen betrachtet, war er ein Weltereignis von verblüffend linker Natur. Obwohl die Arbeiterräte Kommunisten aus den Fabriken warfen, kam es nirgends zu Vorschlägen, die Betriebe den früheren Besitzern zurückzugeben. Das Mundbuch, eine Enzyklopädie des Essbaren. «Wer begann, Äpfel zu züchten? «Man weiß es nicht». «Wer begann, Haselsträucher zu pflanzen?» «Man weiß es nicht». Das Tapp- und Tastkino, sagt Valie Export, «habe ich als erste Aufführung im Rahmen eines Wiener Filmfestivals vorgeführt, und dann ausschließlich im öffentlichen Raum. Und zwar in den Straßen von München und Amsterdam, nie in Wien. Ich habe einen Wink bekommen, die Polizisten in der Wiener Innenstadt hätten den Auftrag, mich festzunehmen». Sensationell antitibetanisch meldet sich Jutta Ditfurth zu Wort, erfrischend in all dem Dalai Lama-Hype des Zeitalters der abgewickelten Aufklärung. Hundezüchterrassismus. «Als Züchter dürfen wir Jungtiere mit Zeichnungsfehlern nicht am Leben lassen», steht im Magazin des Schweizerischen Klubs für Berner Sennenhunde. Als Nichtzüchter bemerken wir ein unachtsames Hineingleiten in den Hundearten-Rassismus der Züchterväter. Vor dem ersten Weltkrieg kostete ein guter Gamsbart so viel wie eine ganze Kuh. Deshalb kam es im alpinen Raum immer wieder zu Schlägereien, und diese wurden in Salzburg zum Anstoss des Verbots, als Bursche einen Gamsbart zu tragen. Pasolini: Mein Roman folgt keiner Bratspießanordnung, sondern dem Gewimmel, und daher ist es verständlich, wenn der Leser ein bisschen desorientiert klingt. Und ganz besonders in den Alpen / wild wie die Rothaut nach den Skalpen / sind hier die Burschen auf den Fährten / der Gemsen wegen ihren Bärten. Wie konnten wir nur das 100jährige Jubiläum des Stacheldrahts ignorieren? Über historische Kommunikations-geschwindigkeiten: Die Eroberung von Nikosia vom 9. September 1570 wird am 24. September in Konstantinopel bekannt, am 26. Oktober in Venedig und am 19. Dezember in Madrid. Das genügt. Man hätte kein Kabel gebraucht. Heine muss Hugo verachtet haben. Was wir bei Hugo am unleidlichsten vermissen, ist das, was wir Deutsche «Natur» nennen. Er ist gemacht, verlogen (..) Er liebt nur sich. Er ist ein Egoist, und damit ich noch Schlimmeres sage, er ist ein Hugoist. Ich will nicht bloß darauf hindeuten, dass in seinen Romanen und Dramen die Haupthelden mit einem Höcker belastet sind, sonders dass er selbst im Geiste höckericht ist. Ein Treffen der Gruppe OBSTLER in Forchtenstein, 12. April 1996. Eine ältere Dame erzählt, dass sie ihre Obstbäume nach Kriterien der Erdstrahlung gesetzt hätte. Dann sagt sie, dass Pflanzen nicht nur auf Musik reagierten, sondern dass sie die Musik bräuchten. In der Obstler-Gruppe geht es daraufhin rund zu; dass vier Meinungsrichtungen zu brauchbaren Entschlüssen kommen, ist strukturell ausgeschlossen. Die erste Richtung: Erdstrahlen sind zu berücksichtigen und Pflanzen können keine Musik hören. Zweite Richtung: Erdstrahlenkunde ist Humbug, Pflanzen reagieren nicht auf Ansprache, sondern auf Liebe und Zuwendung. Dritte Richtung: Obst ist kultiviertes Unkraut, Faschiertes ist kultiviertes Ungeziefer. Vierte Richtung: Pflanzen lieben Musik, aber nicht die von Zigeunern. Die Frauen werden vom einen zum anderen gereicht, wie Freiwild. Stopp, Freiwild, abstrakt gesehen, ist so ein schönes, stolzes Wortbild, gebildet aus Freiheit und Wildheit. Dass das Gewitter eine Form der Strafe Gottes ist, konnte nach der Erfindung des Dorftrottels nur noch der Blitzarbeiter behaupten.

DER LETZTE WUNSCH DES BETTLERS

Als die Rote Armee 1968 in Prag einmarschierte, beschlagnahmte sie die portablen Transistor-Radios der Bevölkerung. Die trug als Zeichen des Protestes daraufhin Ziegelsteine unter dem Arm spazieren. Man sagt, der akademische Marxismus habe eine Niederlage kassiert. Sollte man nicht eher sagen, er habe sich totgesiegt? Das marxistische Bild von Basis und Überbau und das Wissen, wer wen bestimmt, ist zur stummen Selbstverständlichkeit und zur Arbeitsvoraussetzung jedes Gesellschaftswissenschaftlers geworden. Auch wenn der linke Abgang – Elmar Altvater, Frigga und Wolfgang Haug, Klaus Holzkamp, Thomas Metscher oder Joachim Hirsch – nicht ersetzt wurde. augarten / augenart / rauntage / taunager / nur agate / eu-garant / gaunerat / artgenau / artengau / gauraten / ruten-aga / gauenrat / urtage an / augenrat / u! granate! / gea unrat / nagt: au! er / gaunert a / gar tauen / urtage an. Christian Loidl und Otto Lechner, Mai 1999. Eine angenehm gelassene Stimme zur Kampagne gegen den Serbien-Versteher Peter Handke, die Stimme von H. N. Jocks: Wer Handkes Texte zu Jugoslawien aufmerksam liest, entdeckt eine aus Primärbegegnungen gewonnene Lehre vom gelebten Miteinander in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Gaben müssen den Beschenkten so tief treffen, dass er erschrickt. Freud zur Schenklust: Ein Kleinkind wirft sein Spielzeug nicht weg, weil es sich von ihm befreien will, sondern weil es dieses zurück erhalten will. In der Walter Benjamin-Biografie von W. Field auf Seite 288: die chassidische Fabel vom letzten Wunsch. Stammtisch im Wirtshaus eines jüdischen Dorfes. Jeder in der Runde nennt seinen letzten Wunsch. Schließlich kommt der Bettler an die Reihe. Er sagt: Ich wollte, ich wäre ein großmächtiger König und herrschte in einem weiten Land und schliefe im Palast, und von der Grenze bräche der Feind heran, und niemand von meinen Leuten könnte mich verteidigen, und schon wären sie so nahe, dass ich keine Zeit mehr gehabt hätte mich anzuziehen, und ich müsste fliehen, nur mit einem Hemd bekleidet, und sie jagten mich über Berg und Tal, bis ich hier an eurem Stammtisch gerettet sein würde. Verständnislos sahen die Anderen einander an. Das soll dein letzter Wunsch sein? Was hättest du von solchen Wunscherfüllungen, fragte einer den Bettler schließlich. Ein Hemd! antwortete der Bettler. In der Debatte zum weiten Kunstbegriff muss man auch diese Frage stellen: Wenn TerroristInnen das Angebot des «erweiterten Kunstbegriffs» nun anscheinend annehmen und sich als Künstler bezeichnen, wer will sie daran hindern? Wer will die Grenze ziehen, wer will ungebetene Gäste ausgrenzen? Der erweiterte Kunstbegriff schafft dem traditionellen Künstler, auch wenn er noch so auf der Höhe der Zeit ist, Konkurrenz von überall her. Da macht er Kunst, die ihm keiner nachmacht, da fallen Schüsse, die zu Readymades erklärt werden. Und wenn die Kunst tötet: Immer noch erweiterter Kunstbegriff? Oder erweiterter Wahnsinnbegriff? Und wenn die Schüsse nur Kracher sind und wenn die Torte anstelle der Kugel ins Gesicht fliegt: Wer traut sich heute fragen, ob das Kunst sei. Von der Politik, von der Physik, vom Sport, von der Religion ist der Tortenwurf nicht weiter entfernt als vom Theater. Der Betroffene muss nur betroffen sein, er darf nicht etwa lachen. Peymann zu Wiener Feuerpolizei: Die Feuerwehrleute sind verbohrt. Die Statistik beweist, dass sie alljährlich mehr Unheil anrichten als alle anderen. Brennt erst ein Gebäude, vernichtet es die Feuerwehr zur Gänze. Elmar Altvater analysiert den Bombenkrieg gegen Jugoslawien – quer zu den Mainstream-Analytikern. Was für eine Lawine der Nüchternheit. Frigga Haug über die Sozialdemokratie und den Ersten Weltkrieg. Die Stellung zu den Kriegskrediten war nicht so entscheidend, wie es in der Kritik an der Sozialdemokratie oft zum Ausdruck kommt. Als Parlamentsminderheit hätte sie die Kriegskredite nicht verhindern können. Sie hätte außerparlamentarische Mittel gebraucht. Die aber waren nie Sache der Sozialdemokratie. Zur Poesie der Neutralität: Im ersten Weltkrieg war Zürich über Nacht zur wichtigsten Stadt in Europa geworden. Humanisten prosteten in allen Sprachen den Revolutionären zu, und umgekehrt. Leider gingen sie auseinander, weil sie dann doch in der engeren Heimat wirken wollten und nicht planetarisch. Zweig über seine Reise nach Sowjetrussland, 1928: Ich muss gestehen, dass ich selbst in manchen Augenblicken in Russland nahe dran war hymnisch zu werden und mich an der Begeisterung zu begeistern. Der Klubobmann der Wiener ÖVP will die Demos der SerbInnen gegen den Bombenkrieg der NATO aus der Innenstadt verbannen. Eine Serbendemo pro Woche am Stephansplatz sei zu viel. Die Bevölkerung lehne die Dauerdemos ab. Anmerkung: Von einer Bevölkerung kann hier nicht mehr die Rede sein. Es gibt hier nur TouristInnen und ihre Guides, Breakdancer, Konzertkarten-Mozarte und die BüroarbeiterInnen des Erzbischofs.

KLEINFÜRSTEN AUF KUHMIST I

Ob ich einen Zecken habe oder eine Zecke, ist für die Welt nicht von Bedeutung, dennoch zermartere ich mir den Spielkopf, welche Variante ich in der Arztordination verwenden sollte. So kompliziert habe ich es mir beim Denken noch nie gemacht; sind das schon Auswirkungen der Borriolose? Warum erfindet die Pharmaindustrie nicht einen wohlschmeckenden Saft aus der Dose gegen die Borriolose? Wär` das nicht die Bringschuld der stärksten Macht der Welt gegenüber ihren geduldigen Versuchspersonen? Der Grüne Veltliner, auch kein ausgesprochen erfolgsversprechendes Mittel der Zeckenbekämpfung, jedoch eines zur Bekämpfung der postkommunistischen Melancholie, ist in Südmähren ebenso populär wie das böhmische Bier. Anders verhält es sich in der tschechischen Hauptstadt, wo eher dem Bier gehuldigt wird, was den Ruf des Pragers, der Pragerin in Südmähren nachhaltig beschädigt hat. In Mikulov hört man folgende Weinkategorisierung: Wir in Südmähren unterscheiden drei Qualitätsstufen von Wein. Den guten Wein, den mittelmäßigen Wein – und den Wein, den wir nach Prag liefern. Die Ärztin stocherte in der vermeintlichen Bisswunde ein wenig herum und sagte: Da ist jetzt nichts mehr drin. Wenn die Stelle rot und immer röter wird, herrscht Borriolose-Alarm. Diese Stelle schräg überm Knöchel zählt zu den wenigen Orten, die ich nicht rot werden sehen will. Alles soll rot werden, nur dieser kleine Fleck nicht. Eine neue linke Gruppierung, sie nennt sich demokratisch-sozial-souverän-neutral.docx, will den Raum des Aktionsradius Wien, um sich der unter der linken Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu verschaffen. Uschi fragt mich nach meiner Meinung. Ich maile: stichwort «neutral»: ich bin für eine äußerlich wahrnehmbare neutralität des aktionsradius gegenüber allen linken vernetzungen und anläufen, jenen, die es schon gibt, und den vielen, die es noch geben wird. jede gruppe, der wir einen abend gönnen, an dem sie sich präsentieren kann, wird unser entgegenkommen als unsere positionierung im sinne dieser gruppe darstellen wollen. andere vernetzungen würden uns dann als ort ihrer «missionierungs»-kampagne meiden, weil wir dann bereits als teil der konkurrenz eingekastelt wären. es soll für jedem beobachter klar sein, dass wir als team nie hinter einem der konkurrierenden konzepte stehen, sondern dass wir (anders als im kunstbereich, wo wir parrnertschaften und coproduktionen wollen) unsere etablissements und dependancen NUR FÜR UNS SELBST verwenden. auch wenn eine der neuen gruppierungen uns allen im team hundertprozentig sympathisch ist (was eh nicht der fall sein wird), geben wir unsere verantwortung für das, was am abend passiert, nicht ab. leider glaube ich, dass ich mich jetzt sehr unbeholfen ausgedrückt habe – und keine/r kennt sich aus... Uschi antwortet: Okay, ich kenn mich aus und sag dem Nachfrager ab; wertvolles feedback für mich. Der österreichische Bibliothekenveband holt mich zu einer «ExpertInnenrunde» zum Thema Armut und Städtische Büchereien. Deren MitarbeiterInnen grübeln, wieso sie von den Menschen aus Armutsmilieu zwar als Wärmestuben mit Toilette und «Ansprachen», aber nicht als Buchinteressierte besucht werden. Angedacht (um dieses Wort testhalber ein einziges Mal in dieser Sammlung zu verwenden), ist der kostenlose Zutritt zum Leihbuch. Es klingt vielleicht komisch, sage ich, wenn ihr ausgerechnet aus dem Munde des Augustin-Gründers erfährt, dass nicht Geld die Schwelle bildet, die den Verlierer fernhält, sondern das Erwachsenwerden ohne Buch im elterlichen Haushalt, wenn es solchen überhaupt gab im Leben des Betroffenen. Ein Buch ist dann bestenfalls ein Nichts; im schlechteren Fall ist es das, was einen an die Schule erinnert, also an die Hölle auf Erden mit ihren traumatisierenden Erlebnissen, zwischen Fünfern, unerklärbaren Verboten und Klassenwiederholungen. Auf diese Weise entsteht eine Grenzschicht von als Untermenschen Stigmatisierten, die langfristig nur durch das Verschwinden dreier Institutionen in die Gesellschaft integriert werden könne: die Abdankung der Kleinfamilie, der Schule und des Gefängnisses. Die Behauptung, Anfang der 1930er Jahre habe die Sowjetunion unter Stalin in der Ukraine eine Hungersnot initiiert, um politischen Widerstand zu brechen, hält sich zu unrecht bis heute. Die Junge Welt weiß mehr. Bin mit dem Leihauto im Süden der kurios geformten Insel Usedom unterwegs. Benutze für die Fahrt von einem Dorf zum nächsten die Dorfstraße. Meine Hälfte der Straße ist mit DDR-Beton-Straßenplatten bedeckt, die andere Hälfte ist eine Staubstraße. Ein Radfahrer in Profiuniform, bunt wie ein Radfahrer, kommt mir auf dem Betonteil entgegen, keine Anstalt, auf die «richtige Seite» auszuweiten. Ich muss den Wagen zum Stehen bringen. Auch für Österreicher gilt hier Fahrverbot für Autos, bäumt er sich auf. Ich zeige Reue, beeindruckt von seiner Toleranz, und kehre um. Aus welcher Zeit stammen die vorpommerischen Pflasterstraßen, die ein Warnsignal auf dem Display meines Leihautos auslösen, dessen Bedeutung ich nicht kenne.

KLEINFÜRSTEN AUF KUHMIST II

Nach einer zwölfstündigen Flugreise wurde das müde wirkende Pandabären-Pärchen Jiao Qing (Schätzchen) und Meng Meng (Träumchen) von Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) und dem chinesischen Botschafter Shi Mingde wie Staatsgäste empfangen. Im Juli sollen sie der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Taz macht den Kult um den Pandabär voll mit. Wir Vernünftigen sollten schauen, wie man eine Debatte um die Obergrenze von zugeflogenen Bären verhindern könnte. In allen Zeiten, was auch immer Form und Name der Regierung seien – ob Monarchie, Republik oder Demokratie –, lugt eine Oligarchie hinter der Fassade hervor. Mit diesem Satz aus dem Standardwerk «The Roman Revolution», erschienen 1939, ist der britische Althistoriker Roland Syme bekannt geworden. Einmal mehr Topopoetisches (ich fürchte, dieses literarisierende Hobby wird mich anöden, noch bevor es als besondere Form der Lautdichtung anerkannt wird): bansin / gummlin / mellenthin / karnin / kölpin / gerenthin / klotzow / polzow / zarentin / grünz / kublank / züsedom / helpt / ottschlott / pasewalk / golm / görke / schmuggerow / rollwitz / weggun / kamminke. «Großflugtage» nennen deutsche GewerkschafterInnen auffällige Entlassungswellen. Am meisten schmerzte es den alten Herkules, dass er beim Rentnerschach passen musste, weil er den Springer nicht mehr spielen konnte. Warum der Trabi vorzuziehen ist: Bei der bisher großflächigsten Feuerkatastrophe in Portugal schickte Mario Pinhal seine Frau und die beiden Töchter los, sich im neuen Auto in Sicherheit zu bringen; er wolle erst noch nach dem Haus der Familie sehen. Er überlebte. Frau und Töchter starben auf der EN 236. Schuld war die automatische Verriegelung des Autos. Wegen der Hitze fiel die Bordelektronik aus, die drei Personen waren im Auto gefangen. Wenn es stimmt, das früher alles besser war, sollte man die Idee der Revolution durch ein modernes Konzept der Restauration ersetzen. Ostalgie in Usedom 1: Vanillepudding der DDR-Marke Komet gekocht. Ostalgie 2: Pulver zur Herstellung eines Erfrischungsgetränks der DDR-Marke Brause-Plus erworben. Ostalgie 3: Am 24. Juni 2017 in Dargen, Usedom, 19. Ostalgietreffen mit über 150 Fahrzeugen aller Art, die in der DDR produziert, gefahren, importiert oder vertrieben wurden. Riki und ich gingen nicht hin, weil zur selben Zeit das Wenzel-Open Air in Kamp bei Anklam stattfand. The Tourists are Bastards. Die spanische Umweltinitiative Ecologistas en Acción organisierte im Hafen von Barcelona eine Demo gegen das Ankern der «Harmony of the Seas». Dieses Kreuzfahrtschiff der neuesten Generation bietet Platz für 6780 Passagiere plus 2300 Crewmitglieder. Solche Kreuzfahrtriesen seien ein Desaster fürs Meer, für die Atmosphäre und für die Städte, an denen sie Halt machen. Anfang Juni kamen in Dubrovnik an einem einzigen Tag 9000 Touris mit Kreuzfahrtschiffen an und wälzten sich durch die kleine Altstadt, die nach wissenschaftlichen Berechnungen maximal 7000 pro Tag verträgt. Allein im Jahr 2017 werden zwölf neue Hochsee-Superhotels in Dienst gestellt. Alexander Osangs sämtliche Erinnerungen an die DDR, stark gekürzt: die Mauer, die DDR-Fahne, der Palast der Republik, die Honeckers, die Subventionen für Kinderschuhe und Turnhosen, das Industriegebiet Oberspree, der Mauerspruch «Das Chaos ist vorbei. Es war die schönste Zeit», die Deutschlandhalle, die Werner Seelenbinder-Halle, Timm´s Saurer, Apricot Brandy, Pfefferminzlikör, Kirsch-Whisky, Günther Schabowski, der Flughafen Tempelhof, die erfolgreichen Zeiten von BFC Dynamo, Tennis Borussia und Blau Weiss, Für Dich, Freie Welt, Wochenpost, der Trabant, der Wartburg, das Tacheles, der Torpedokäfer, die Avus-Rennen, Harald Juhnke, Manfred Krug, diverse Wagenburgen und besetzte Häuser, DT64, Rias Berlin, die Ostschrippe und die Westschrippe, Heiner Müller, Rio Reiser, die Ernte 23, die Säufer und die Raucher. Und eben verschwindet die gute alte Volksbühne. Aus Norbert C. Kasers Brief an Rosemarie Judisch, wenige Wochen vor seinem Tod: es ist kalt. wind haust im roggen. am hang wo es brennt wird wenig wasser sein. das vieh ist gerettet. es ist kalt sehr kalt auch in mir. unsere höfe stehen einzeln. kleinfürsten auf kuhmist. An den Dekan von Bruneck: da ich ein religiöser mensch bin, trete ich aus der katholischen kirche aus. die haltung der kirche zu kapital und geld schlechthin ist mir ein greuel. reden will ich von der glorreichen liebelosigkeit der kirche. sollten formfehler in diesem schreiben sein die meinen austritt unmöglich machen teilen Sie sie mir schriftlich mit. Aus einem Brief Kasers an Markus Vallazza, aus der Psychiatrie: dr. pinzello stochert in meinem lebenslauf herum um die wunde zu finden der ich mein saufen verdanke. da friss! du trottel siehst du denn nicht, dass alles an mir wunde ist? ich bereue nichts keine lira keinen tropfen wein keinen hass keine träne keine liebschaft keinen schiss. gedanken im alkohol zu ertränken ist eine vergebliche arbeit. sie können sehr gut schwimmen.

KLEINFÜRSTEN AUF KUHMIST III

Die Grenze zwischen dem Bedürfnis, in Badeorten des Ballermann-Typs die Sau raus zu lassen, und der Sehnsucht, in den Ferien Ruhe abseits des stressenden Trubels zu finden, verläuft auch mitten durch einzelne Personen. Diese Personen scheinen mit der Ostseeinsel Usedom gut bedient zu sein. Die antagonistischen Tourismus-Prototypen kommen auf Usedom auf engsten Raum gut miteinander aus. Das kommt auch daher, dass die bekannten Seebäder zwei Blicke erlauben: den Blick von der Strandkorbakkumulation aus ins offene Meer und den Blick aufs Festland, über das schilfige Ufer des Achterwassers hinweg. Oder: dass sie auf der einen Seite den Sandstrand anbieten, auf der anderen Seite die winzigen Binnen-Häfen und sanften Haff-Ufer, die uns an die Seenplatte erinnern. Das fällt mir ein, als eine Abgeordnete der Linken, die ich auf einem Dorffest in Stolpe kennen lerne, die Frage nach dem alleinstehenden Merkmal des Usedom-Tourismus stellt. Der alte Peymann im SZ-Feuilleton, der sich die Organisationskultur des Theaters nur als Monarchie vorstellen kann. Peymann wird als Theaterpatriarch angesprochen; die von diesem Typus geprägte Theaterepoche sei nun bald vorbei. Ja, sie geht vorbei, bestätigt er, aber dieser Schwund komme einem Verlust an Meisterlichkeit gleich und drücke eine «gefährliche Gleichmacherei» aus. Einer müsse Familienvorstand sein. Er habe Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre die Mitbestimmungsmodelle im Theater mitgemacht und miterfunden und dadurch die Erfahrung gemacht, dass demokratisches Theater nicht funktioniere. Einar Schleef hätte nie zugelassen, dass SchauspielerInnen über seine Inszenierung abstimmen. Peymann spricht den meisten Theatermachern aus der Seele – ich aber will mir meinen Utopieüberschuss bewahren, und sei es die Vision einer anarchistischen Schauspielkunst. In der südlichen Hälfte des Bundeslandes Ost keuchen die Radtouristen von Uhudlerberg zu Uhudlerberg und verfluchen Riki, die ihnen ein rundum flaches Burgenland ans Bikerherz gelegt hatte. Flach ist im Burgenland nur der Seewinkel, dieser aber verflucht flächendeckend. Die Falschheit verhält sich zur Flachheit wie die Furchtsamkeit zur Fruchtbarkeit. Wenn die Scheiße, die eben geschissen wurde, 70 Deka schwer ist, heißt das in der Regel nicht, dass der Scheißende um 700 Gramm weniger in die Waage bringt als vor dem Schiss. Der Zusammenhang zwischen Deka und Gramm ist also komplizierter als allgemein erwartet. Das Phänomen der allmählichen Verrottung der Zehnerpotenz ist nach dem Gesetz der Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises das größte Rätsel der Mathematik; Die Schüler erfahren wenig davon, denn es bleibt Unterrichtsziel: Mathematik darf nicht plötzlich Spaß machen. Humor ist kein Mittel der Zurichtung. Beim Bücherflohmarkt im Schloss von Stolpe folgendes um insgesamt 10 Euro erworben: Jost Hermand und Frank Trommler, Die Kultur der Weimarer Republik, 1978 / Claus Gatterer, Erbfeindschaft. Italien - Österreich, 1972 / Isaak Babel, Ein Abend bei der Kaiserin. Erzählungen, Dramen, Selbstzeugnisse. 1969 / Günter Wollstein, Das «Großdeutschland» der Paulskirche. Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution 1848/49 / Oktoberland. Russische Lyrik der Revolution, 1967. Der Mensch optimiert seinen Körper so stark wie nie zuvor. Er spricht nur kaum darüber. Ganz oben in der Liste der Eingriffe (zumindest in Deutschland: DAS FETTABSAUGEN. In Deutschland vergrößerte sich die Zahl der jährlichen Schönheitsoperationen 2016 um zehn Prozent. Weil der schöne Körper eine Ware ist, sind solche Eingriffe im neoliberalistischem Sinn lohnende Investitionen. Der schöne Körper verliert seinen Warencharakter, wenn jedermann weiß, dass diese Schönheit ärztlich konstruiert ist. Auch ich schweige also über meine Schwanzverkürzung. Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen: Aufschrift auf dem Kriegerdenkmal am Hamburger Dammtorbahnhof von 1934. Deutschland muss sterben, damit wir leben können: Konter der Punkband Slime von 1981. Zwecks Überwindung des Kapitalismus sollten sich die Democratic Socialists of America (DSA), die linke US-Zeitung Jacobin, das Movement for Black Lives, die Seattle Peoples Party, das Gegenkulturmagazin Melody & Rhythm, das satirische Internetmagazin Seemoz, die AktivistInnen der Berliner Prinzessinnengärten, das Forum Neurourbanistik und das Institut ohne direkte Eigenschaften vielleicht vernetzen. Auch weitere Netzwerke sind möglich. Dass aus «Wir sind der Keller» aus Unvorsichtigkeit «Wir sind ein Keller» wird, ist völlig ausgeschlossen. Der Getränkebestand im Perinetkeller vom 30. Mai 2017: 17 Flaschen Most, 18 Flaschen Saft, 155 Flaschen Bier, 17 Flaschen Rotwein, 2 Flaschen Weißwein, 119 Flaschen Mineralwasser.

KLEINFÜRSTEN AUF KUHMIST IV

Milovan Djilas beschreibt in seinem Buch «Der Krieg der Partisanen» Erschießungen von vermeintlichen Kollaborateuren und diesbezügliche Debatten, in denen Djilas zunächst die offizielle, das heißt von Moskau ausgehende Position vertrat – die Notwendigkeit der Liquidierung von Verrätern oder Deserteuren. Diejenigen, die den Befehl zur Liquidierung erhielten, mussten oft ihre Bekannten, ja selbst ihre Verwandten erschießen. Djilas gibt zu, dass diese Praxis viele in die Arme der Konkurrenten der Tito-Partisanen, der serbisch-nationalistischen Tschetniks trieb. Vor allem der Usus der Partisaneneinheiten, die Hingerichteten in die Karstdolinen zu kippen, nutzten die Tschetniks aus. Sie holten die Toten aus den Kalksteinuntiefen heraus und übergaben sie ihren Angehörigen. Der im Sisyphus Verlag erschienene Bericht müsste in das Material für eine Ausstellung über DIE MÄNNER UND IHRE KRIEGE eingehen. Der Bogen dieser spezifisch patriarchalen Kriegs-Standards reicht von den pädagogischen Hinrichtungen bis zur Gewohnheit Djilas´, als Kommandeur einer Partisaneneinheit selbst unter vagem feindlichen Beschuss aufrecht im Sattel seines Pferdes zu sitzen: «Meine montenegrinische Eitelkeit überwog meine Angst.» Die «montenegrinische Eitelkeit» ist die euphemistische Begriffsalternative zu unreflektierter Männer-Selbstinszenierung. Eine gute heilige evangelische Messe braucht auch ein paar Rülpser, eine gute heilige katholische Messe braucht auch ein paar Beichtstühle, in den uns anderes erwartet als ein vergebender Pfarrer, ein guter Sommer braucht auch ein paar Gewitter, ein guter Herbst braucht auch ein paar Beerdigungen, ein guter Winter braucht auch ein paar Lawinen, ein guter Frühling braucht auch ein paar Lügen, ein gutes Jahr braucht auch ein paar Zeckenbisse und ein gutes Leben braucht auch ein paar Supergaus. Peymanns letzter Abend im Berliner Ensemble (Anfang Juli 2017) war vielleicht das letzte große linke Fest, das diesen Namen verdient. Irgendwie war es auch das letzte Zucken der Weimarer Republik, und irgendwie das letzte Lachen der imaginären Prenzlauerberg-Republik. Nach den halbstündigen Standing Ovationes rezitierte ein Unbekannter aus dem Publikum: Einst steh auf seiner Ruhmesplatte: Er war ein Mann der Eier hatte. Siehe Berliner Zeitung vom 4. Juli. In einem Istanbuler Nobelhotelzimmerfenster stand ein Drucker, der über Smartphone-Befehl tausend Flugblätter druckte, die auf die Straße flatterten, bis die Polizei ins Zimmer eindrang und den Drucker verhaftete. Dann verhaftete sie auch die zwei Überwachungskameras, die im Hotelzimmer platziert waren; aber es war zu spät: das Video war schon im Netz. Die Flugblätter forderten, auch das noch, zum Sturz des Diktators Erdogan auf. Die Aktion des Berliner «Zentrums für politische Schönheit» steht modellhaft für eine Verbindung von revolutionärer Politik, revolutionärer Kunst und revolutionärer Technikanwendung. Alles andere als eine Zusammenführung dieser drei Energien kannst du vergessen. Die Quelle von Peymanns Eitelkeit ist nicht ein montenegrinisches Herz, sondern das Ei unterm Weimarsch. Gefühlte zwei Jahre lang hab ich mit meiner Genossin Martina Handler die Literaturzeitung 101 herausgegeben. Aus dem Editorial: 101 hat eine politische Linie, aus der neben den gebräuchlichen revolutionären Essentials der Begriff SIESTA heraus sticht. Unsere Anstrengungen, einen besseren Begriff dafür zu finden, werden unsere eigene Siesta-Ruhe nicht tangieren. Denn die haben wir eben sowieso hoffnungslos zerstört, indem wir unsere Privatangelegenheit, die Freude an interessanten und diskutablen Texten, zu unsrem brotlosen Beruf gemacht haben. Wörter für «Arbeit» in den wichtigsten europäischen Sprachen bedeuteten ursprünglich Mühsal. In diesem Sinn war für uns die Herstellung von 101 keine Arbeit. Es war auch keine Siesta, aber es war eine Fiesta. Wir hatten unseren Spaß mit den Texten und Illustrationen, die uns da entgegen flogen. Wenn Copyright nicht eh schon ein Fremdwort wäre, würden wir es zwingen, eines zu sein. Grafiken oder Texte von AutorInnen, die wir von der Verwendung ihres «geistigen Eigentums» nicht in Kenntnis setzten, betrachten wir als Geschenke, unabhängig von der Schenkbereitschaft der SpenderInnen. Wir regen mit der Methode des Textraubes an, darüber nachzudenken, wie eine Kultur des Schenkens funktionieren und sich organisieren kann, ohne dass es normierte Regeln und explizite Sanktionen gibt. Einer beschenkte uns für dieses erste Heft aus dem Grab heraus - sodass wir in diesem Fall nicht einmal ein Gesetz zum Schutz des geistigen Eigentums übertreten, was wir leidenschaftlich gern täten. Es ist der vergessene Wiener Anarchist Müller-Guttenbrunn. Von ihm stammt folgende Definition von Feigheit und Mut, die jeder Deutschlehrer, jede Deutschprofessorin im Unterricht verwenden sollte: Feigheit ist, wenn ein Schießender auf einen Scheißenden schießt. Mut ist, wenn ein Scheißender auf einen Schießenden scheißt.

EINSAME AMEISEN I

Die Augustin-Schreibwerkstatt, «Anstalt für Dichtungen aller Richtungen», hat den Wiener Schriftsteller Jaschke zum Workshop «Anagramm-Fabrik» eingeladen. Anzahl der Besucher: 1! Ich tat, als ob mich dieses Desinteresse keineswegs irgendwie berühren könnte. Du erinnerst dich an das Vorgestern? Als ob es gestern gewesen wäre! Warum sich Marina Abramovic in Prinzendorf nicht sehr wohl fühlte. «An dieser Stelle möchten wir uns bedanken, dass Sie für Ihr Vorhaben an Frau von Habsburg gedacht haben, jedoch lassen es ihre Termine und laufenden Projekte bedauerlicher Weise zeitlich nicht zu, an der Veranstaltung teilzunehmen.» Die Antwort des Francesca Habsburg-Büros an den Perinetkeller, der eine Abramovic-Veranstaltung plante und via Abramovic-Autobiografie erfuhr, dass die Habsburgerin zum Freundeskreis der jugoslawischen Avantgardistin zählte. Gefällt ihr der Keller nicht oder stört sie die Aussicht auf eine Gage im Nano-Bereich? Maria K., Augustin-Urgestein, sparte fleißig für einen Grabstein am Armengrab ihres geliebten Mannes Hans K., Augustin-Urgestein. Die Tränen rollten über ihre Wangen, wenn sie darüber sprach. Inzwischen findet sie diese Investition für den Toten, der sich längst auf eine Ewigkeit ohne Grabstein einließ, weltfremd. Mit Lust haut sie das Ersparnis auf den Markt der Konsumartikel. Günter Brus über das Altern: Historisch betrachtet ist jede Geburt nur eine Todesfolge /Aber der Schimmel galoppiert vor seinem Weiß davon / älter wird man weil man dazu erzogen wurde / Adam war älter als Eva, darum machte Letztere Geschichte / Der Tod an sich ist nur eine Folge des Denkens. Fedrianis Gemälde zeigt eine Leprahölle bzw. ein mittelalterliches Aussätzigen-Ghetto. Die Nacktheit auf dem Bild kommt einerseits lasziv, andrerseits sklavisch erbärmlich daher, und man weiß nicht, was das Bild ursprünglich auslöste. Der Nackte Block möge auf den künftigen Demos den Schwarzen Block ersetzen. Oder: mit übertriebenem Gehorchen reagiert der schwarze Block auf die Forderung der Polizei, die Vermummung zurückzunehmen und verwandelt sich selbst in den nackten Block, nackt wie die zur Schau gestellte Schutzlosigkeit. So wird es leider nicht passieren, denn die Polizei braucht zur Modernisierung ihres Daseins eine maximale Militanz auf Seiten der PolizeigegnerInnen. Anders kann ihre ständige Aufrüstung nicht legitimiert werden. Ich sehe das so: die Revolte grundelt noch tief unter der Oberfläche, einem Grammelknödel vergleichbar, der im Topfwasser liegt und sich nicht nach oben zur Freiheit hin bewegt. Man glaubt schon, der Knödel bleibt immer unten, da plötzlich steigt er auf und streckt seinen Arsch aus der Oberfläche des siedenden Wassers, und jede/r ist überrascht. Der Arsch, der aus den Wellen ragt, bist du und ich. Wer uns verspeist, trägt eine tödliche Krankheit in seinem Körper. Sie nennt sich «Rätsel des Grammelknödels.» Sieh dir ein paar Mal die aufsteigenden Gramnelknödel an, und deine Resignation zerbröselt sich. Liebe Pickbücher-Redaktion, was wurde eigentlich aus der Gruppe Biermöslblosn? Der immer beleidigte Raddatz, aus seinen Tagebüchern: «Ich wäre ein treuer Freund gewesen und geblieben, aber der Beleidigungen zum Einzug in die neue Wohnung waren zu viele.» Ohne Nachfrage teilt der Schreiber mit: 2 Küchenhandtücher als Gastgeschenke! Werbung nach Anarcho-Art für den Perinetkeller: Kellnern wir uns selbst! Ohne Keller keine Revolution! Ohne Kellner keine Revolution! Der Gast ist König? Dann stürzt den Gast von gestern! Elfriede Gerstls Gedicht «vom essen gehen / oder / was werde ich heute wieder alles stehen lassen». Entbehrliche Üsse: Klemmende ReissverschlÜSSE, kanalisierte FlÜSSE, vorschnelle SamenergÜSSE, katastrophale BusanschlÜSSE. Alltagsbegrüßung: A – wie geht´s? B – höhergradige Osteochondrose mit degenerativem Vakuumphänomen, kein wurzelbedrängender Diskuskollaps. Hibayabay als österr. Antwort auf die Frage, ob es beim Bahnhof ein Gasthaus gäbe. Beginn der Serie UNNUTZFLÄCHEN. Hält der Franzose sein Glas in der Hand, so sieht er die Welt. Strecken die Russen ihre Zungen in den Wind, kommt bald ein Gewitter. Trinken die Ungarn Wein, so rinnt er niemals in den Magen, immer nur direkt in den Kopf. Die ökonomische Bedeutungslosigkeit ist die Chance des Gedichts. Drallewatsch ist das sächsische Wort für lepschi gehn. Drallewatsch klingt nach Ballermann, das Wienerische lepschi gehn nach Liebschaft, Leidenschaft, Leberkäs und Leben. Haben die Italiener Probleme, besuchen sie den Magier. 150.00 gibt es davon im Land, und täglich wenden sich 33.000 Italiener an einen solchen. Typische Krone-Schlagzeile: Jedes dritte Kind kann kein Deutsch. Typische Nicht-Schlagzeile: Zwei von drei Kindern können deutsch!

EINSAME AMEISEN II

Obama-Dinner mit Merkel in Hannover: Ein Regierungssprecher stellte auf Anfrage die Namensliste der Wirtschaftsvertreter zur Verfügung, die am Abendessen von Kanzlerin Merkel für US-Präsident Obama am 24. April 2016 in Hannover teilgenommen haben. US-Wirtschaftsvertreter: Greg Brown, Chairman and CEO, Motorola Solutions / Ray Conner, Vice Chairman, The Boeing Company / President and CEO, Boeing Commercial Airplanes / David Cote, Chairman and CEO, Honeywell / Tom Donohue, President and CEO, U.S. Chamber of Commerce / Laurence D. Fink, Chairman and CEO, BlackRock / Ken Frazier, CEO, Merck & Co., Inc. (Kenilworth, NJ, USA) / Marillyn Hewson, Chairman, President and CEO, Lockheed Martin / Charles W. Hull, Founder and CTO, 3D Systems / Natalie Kaddas, CEO, Kaddas Enterprises / Andrew N. Liveris, Chairman and CEO, The Dow Chemical Company / Satya Nadella, CEO, Microsoft / John B. Rogers, Jr., CEO and Co-founder, Local Motors / Jay Timmons, President and CEO, National Association of Manufacturers / Keith Williams, President and CEO, UL. Deutsche Wirtschaftsvertreter: Hans Beckhoff, Executive Partner, Beckhoff Automation / Dr. Kurt Bock, CEO, BASF / Dr. Wolfgang Büchele, CEO, Linde / Cathrina Claas-Mühlhäuser, Chairwoman, Claas / Dr. Marijn Dekkers, CEO, Bayer / Dr. Volkmar Denner, Chairman of the Board, Robert Bosch / Dr. Heinrich Hiesinger, CEO, ThyssenKrupp / Dr. Wolfram von Fritsch, CEO, Deutsche Messe / Ulrich Grillo, President of the Federation of German Industries / CEO, Grillo-Werk / Joe Kaeser, CEO, Siemens / Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Chairwoman of the Board, Trumpf / Matthias Müller, CEO, Volkswagen / Dr. Till Reuter, CEO, KUKA / Marie-Elisabeth Schaeffler-Thumann, Partner, INA Holding Schaeffler / Carsten Spohr, CEO, Deutsche Lufthansa. Ein Querschnitt der deutschen Bevölkerung .... Es schadet häufig, ist man allzu läufig. Die Liebesschlösser auf den Brückengeländern unserer Städte sind Massenproteste gegen die Ideale der 68er Bewegung wie sexuelle Revolution und freie Liebe. Rita und Hermann Nitsch: «Wir haben durchaus auch Steuern bezahlt!» Ja, bei Gelegenheit, wenn sie mal in Staatsbürgerlaune waren. Warum Freizeitreiten zur Frauen- und Mädchenangelegenheit geworden ist. Eine Studie besagt, dass Mädchen ihr Lieblingspferd wichtiger ist als Mutter, Vater und beste Freundin. 50 Prozent aller Autofahrten in Deutschland sind maximal 5 Kilometer weit. In der kirchenoffiziellen Broschüre «33 Argumente für Gott» gilt Napoleons Bekenntnis zu Jesus Christus als ein Beleg für die Existenz Gottes. Frage an Erwin Riess: Das Element Wasser ist dir nah. Warum? Riess: Flüsse transportieren tote Geschichte. Sie entsorgen den historischen Müll in den Tiefen der Ozeane. Flüsse sind die letzte Hoffnung der Menschheit. Vor jeder Reise bin ich krank, während meiner Reisen kränkle ich, und wenn ich glücklich wieder zurück bin, werde ich erst recht krank. Wozu dann noch verreisen? Aber in Wien zu sein, bringt mich um. Aus Erwin Riess, «Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer». Ein Fund im Online-Standard: «Man sollte vielleicht anmerken, dass Herr Sommer keineswegs der alleinige Initiator des Augustin war. Auch die Idee war sicher nicht die seine. Jene jungen, angehenden Sozialarbeiter, die die harte Fußarbeit gemacht haben, vieles koordiniert und zusammengefügt haben, sind die wahren Gründer. Die Herren Sommer und Wachter waren da eher kontraproduktiv unterwegs.» Ein erfreuliches feedback. Schon wieder was über mich im Online-Standard: «Angesichts dessen, wie derzeit im 1. Bezirk von manchen jungen Verkäufern in aggressiver Form gekeilt wird, hätte Herr Sommer schon längst Maßnahmen zusammen mit der Stadt Wien ergreifen können, um die schwarzen Schafe rauszuholen. Hat er aber nicht. Diese Form der täglichen Belästigung bei merkbarer Qualitätsminderung der Artikel war für mich ein Grund, dem Augustin meine Loyalität aufzukündigen. 
Ich habe jahrelang dem schwarzen Verkäufer bei der U4 Johnstrasse eine Zeitung abgekauft, weil er nett und höflich war und ist. Aber inzwischen denke ich mir: Warum hat er in all den 20 Jahren nicht eine andere Ausbildung gemacht? Was immer geschieht: Heute noch werden Sie die Größe haben, mir Rede und Antwort zu stehen! Über jene Frage, die seit Jahren in mir wohnt und doch nur als ein Blick, ein Hauch, ein Seufzen auf sich aufmerksam machte. Gräfin Batthyány an Prinz Eugen. Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schräg /
 Erfolg liegt im Umkreisen /
 Zu strahlend tagt der Wahrheit Schock
 / Unserem Begreifen
 / Wie Blitz durch freundliche Erklärung / Gelindert wird dem Kind / Muss Wahrheit sachte blenden
 / Sonst würde jeder blind.
 (Emily Dickinson, Gedicht 1263)

GEBRÜLL IM WINKEL

Kein Wunder, dass Ernst Kostal dichtete wie ein Verrückter. Er war ja wirklich verrückt. Noch verrückter waren nur seine Psychiater. Das Gleiche lässt sich über unser aller Psychiater sagen. Beispiel 1: Ne Uhr die fuhr in Winterthur / hinein in eine Muschi pur / sie hat dort glatt vergessen / weiter die Zeit zu messen. Beispiel 2: was sich liebt, das neckt sich / was sich neckt, das küsst sich / was sich küsst, das schleckt sich / was sich schleckt, das fickt sich / was sich fickt, das liebt sich. Beispiel 3: wonsd zuahuachsd / wos di muadda / dem klaanan / ollas einidruggd / do griagsd / hianrindnzwidschan und / schdianloppnreumadismus. Beispiel 4: Grabspruch / auch ich war da / und sage ja / zu meinem Dagewesensein / mehr ja als nein. Tausend solche Dichter, und Wien wäre eine Weltstadt. Kostal war es wurscht, ob ihn der Alkohol in einer Weltstadt oder Provinzstadt zur Strecke bringen würde. Was ist eigentlich eine Weltstadt. Franz Schuh hat dazu eine Meinung. «Eine «Weltstadt» ist Wien nicht, falls man unter Weltstadt eine Stadt versteht, in der die Konflikte, die auf der ganzen Welt verstreut sind, mikrokosmisch vorkommen. In solchen Weltstädten ist das Ähnliche vom Unterschiedlichen geprägt, die Identität von der Differenz, also vom Fremden. Wer in Paris so für sich hingeht, kann plötzlich in Nordafrika auftauchen. Solche Städte bringen Urbanität hervor, nämlich die prägende, aus der Notwendigkeit stammende Fähigkeit, mit Unterschieden umzugehen und vor allem mit deren Unüberbrückbarkeit. Umgehen heißt eben auch an ihnen zu leiden, mit ihnen nicht fertig zu werden: Gewalt! Diese Städte haben etwas Unheimliches, jedenfalls sind sie nicht von Gemütlichkeit überstrahlt. Wien ist die Gemütlichkeit nachgesagt worden, von Hilde Spiel allerdings eine doppelbödige, eine Dämonie der Gemütlichkeit (...) Vielleicht ist es ein Irrtum, aber ich glaube, dass die Dämonie, die nicht ausgetrieben wurde, doch allmählich versandet ist. Die Stadt steckt voller Annehmlichkeiten, und das ist dämonisch genug. Wenn Gemütlichkeit – nach dem Wort von Karl Heinz Bohrer – das ’Gebrüll im Winkel’ ist, so kann hier ein jeder in seinem Winkel das Gebrüll hören; man braucht nur eine der ortsansässigen Zeitungen aufzuschlagen. Es war spöttisch, unterschwellig jedoch anerkennend gemeint, als Helmut Schödel schrieb, Wien sei die größte Kleinstadt der Welt. Ich glaube, das ist ein Schlüssel zur Stadt: Wien, keine kleine Stadt, gewährt die Annehmlichkeiten des Kleinstädtischen, ohne sie mit den Nachteilen einer Großstadt zu verbinden. Für mich war das der Grund, warum ich stets wegwollte, und zugleich der Grund, warum ich nie wegkonnte. In Wien kann man kleben bleiben.» Was sehe ich. Kopfschütteln. In einer Abstimmung, in der es nur die Wahl zwischen Ja und Nein gibt, erscheint das Nein vordergründig als die selbstbewusstere Entscheidung. Die Zustimmung verhält sich stets affirmativ, während das Nein ein utopisches Moment, die Veränderung des Bestehenden, enthält. Betrachtet man das Nein jedoch individualpsychologisch, dann gerät diese einfache Unterscheidung ins Wanken. Ende der 50er Jahre hat eine Studie über die Genesis der menschlichen Kommunikation die Grundgeste des Neins, das Kopfschütteln, phänomenologisch mit dem Suchverhalten des Kindes an der Brust verknüpft. «Das motorische Schema des Kopfschüttelns im Suchverhalten», heißt es bei René A. Spitz, «ist eine Suchtechnik mit der Funktion des Hinstrebens, also im Rahmen unseres Begriffssystems eine bejahende Haltung. Später unterliegt die Kopfdrehbewegung einem Funktionswandel, da sie vom vierten Monat an zur Vermeidung der Brustwarze benützt wird. Die Funktion des bejahenden Hinstrebens wird zur Funktion der Verweigerung.» «Die Welt gehört den wenigen, nicht den vielen» – dieser beinharte Protest gegen die Wenigen kann nur von Sloterdyik kommen. In der Wirtschafts- und Demokratiekrise gibt es im Wesentlichen 2 Sieger. Die Elite und die Kunst. Vielleicht auch die Wetterinnen und Wetter, die bei jedem Wetter und trotz jedem Veto der Partnerin ins Casino laufen. Die sind bitte nicht zu vergleichen mit dem Mann aus Kafkas Kurzgeschichte «Der plötzliche Spaziergang», der sich schon entschlossen hatte, zuhause zu bleiben (es gab ohnehin Sauwetter in der Stadt) und dann doch wieder raus musste: « ... wenn man sich auf der Gasse wiederfindet, mit Gliedern, die diese schon unerwartete Freiheit, die man ihnen verschafft hat, mit besonderer Beweglichkeit beantworten, wenn man durch diesen einen Entschluss alle Entschlussfähigkeit in sich gesammelt fühlt, wenn man mit größerer als der gewöhnlichen Bedeutung erkennt, dass man ja mehr Kraft als Bedürfnis hat, die schnellste Veränderung leicht zu bewirken und zu ertragen, und wenn man so die langen Gassen hinläuft, – dann ist man für diesen Abend gänzlich aus seiner Familie ausgetreten, die ins Wesenlose abschwenkt, während man selbst, ganz fest, schwarz vor Umrissenheit, hinten die Schenkel schlagend, sich zu seiner wahren Gestalt erhebt.

SITZEND ANGESTRICHEN FREIER BERGSTOCK

Als ich einmal angeklagt wurde, dass ich als Antisemit der gefährlichsten Sorte (weil ich meinen Judenhass hinter antinationalistischen Bekenntnissen verstecke) eine jüdische Kollegin aus dem Verein gemobbt hätte, mangelte es mir an zwei adäquaten Weisen des Reagierens: erstes an der Kunst des «Ned-amoi-Ignorierens», zweitens an der feinen Polemik. Gar nicht zu reden von der Kombination beider Techniken, wenn das überhaupt möglich ist. Gänzlich fehlt mir die Bereitschaft, in der Polemik selbstdarstellerisch zu sein wie Karl Kraus, der ein tatsächlich unsägliches Anti-Fackel-Gedicht von Alfred Kerr, nämlich drei vierzeilige Strophen, seitenlang hinrichtete: «Gewiss, ich habe ihn in die Verzweiflung getrieben; aber er, er hat vollendet. Ich habe ihn gewürgt, aber er hat sich erdrosselt / Es ist mein Verhängnis, dass mir die Leute, dich ich umbringen will, unter der Hand sterben./ Gestern hat er noch Barrikaden gebaut, heute sitzt er mir schon als Fliege auf der Nase. Ich töte keine Fliege, es könnte in ihr die Seele eines Ästheten sein und dann wäre es eine Herzensrohheit. / Dass er mich unterschätzt, beweise ich durch jeden Satz, den ich über ihn schreibe. / Weil sich nichts Vernichtenderes gegen diesen Kerr unternehmen lässt, als wenn man ihm das Wort erteilt, habe ich ihn abgedruckt. Man lese!» Ich las 2017, erste Hälfte: Milovan Djilas, Der Krieg der Partisanen; Robert Ospald, 380.000 Volt – Hoffnung auf Freiheit; Marina Abramovic, Autobiographie / norbert c. kaser, Prosa; J. M. Presterl, Im Schatten des Hochschwab; Christian Loidl, Gesammelte Gedichte; Kurto Wendt, Das Ende der Jagd; Reemtsma, Geschichten zur Literatur; Wolf Schneider, Wörter machen Leute; Neue Anthologie des Schwarzen Humors; Richard Schuberth, Unruhe vor dem Sturm; Fritz J. Raddatz, Tagebücher; Friederike Mayröcker, Gesammelte Prosa; und immer wieder Robert Sommer, Sämtliche Erinnerungen leicht gekürzt. zum abschluss / einer gemeinsamen / raubwild-bejagungswoche / mit einer gemeindeübergreifenden / baujagd / wurde eine streckenlegung / organisiert / die erlegerbrüche wurden / an die jagdkameraden überreicht / das feierliche verblasen / der strecke/ erfolgte durch die mattigtaler / jagdhornbläser / man muss das bemühen der jägerschaft / bei der abschussplanerfüllung / loben und die wichtigkeit / einer ausgeglichenen geschlechterstruktur / betonen. Wieviele spezielle Wörter muss der Wortschatz eines Jägers umfassen, damit er ohne Probleme eine Jagdzeitung lesen kann? für den kugelbewerb / werden die disziplinen / hundert meter liegend frei / stehend angestrichen fester bergstock / stehend angestrichen freier bergstock / und sitzend angestrichen freier bergstock / vorgegeben / die sieger durften sich / über jeweils / ein viertel hausschwein erfreuen. Peter Altenbergs Kaffeehaushymne, leicht modifiziert. Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene – – – in den Perinetkeller! Sie kann, aus irgendeinem, wenn auch noch so plausiblen Grunde, nicht zu dir kommen – – – in den Perinetkeller! Du hast zerrissene Stiefel – – – Perinetkeller! Du hast 400 Kronen Gehalt und gibst 500 aus – – – Perinetkeller! Du bist korrekt sparsam und gönnst Dir nichts – – – Perinetkeller! Du bist Beamter und wärest gern Arzt geworden – – – Perinetkeller!! Du findest Keine, die Dir passt– – – Perinetkeller! Du stehst innerlich vor dem Selbstmord – – – Perinetkeller! Du hasst und verachtest die Menschen und kannst sie dennoch nicht missen – – – Perinetkeller! Man kreditiert Dir nirgends mehr– – – Perinetkeller! Noch einmal Kostal, weil er so verrückt ist: ich pinkle ohne unterlass / in meines vaters tintenfass / tintenfass und tintenfisch / oktopus und oktopussie:/ ich brauch von allen heut / ein bussi. Wissen Sie, ich interessiere mich in der Literatur für die Leidenschaft und die Liebe, auch der Intellektuellen, aber nicht für ihre Gedanken. Gedanken sind nicht Gegenstand der Literatur. Für Gedanken haben wir die Wissenschaft, schreibt Reich-Ranicki. Wenn ich sowas höre, fangen in mir sämtliche Innereien synchron zu rülpsen an, denn Literatur ist für mich ein Konzept der ästhetischen oder antiästhetischen Archivierung von Ideen, die nicht in Vergessenheit geraten sollten.

WENN DIE KREUZE KRACHEN I

Es gibt Bekannte, die 2 meiner Abneigungen nicht verstehen wollen: gegen das Smartphone und gegen Fernreisen. Letzteren möchte ich gerne eine persönliche Erklärung abgeben. Ich kenne weder Wels, noch Grieskirchen, noch Ried im Innkreis. Ich kenne die historischen Zentren dieser Städte nicht und ich habe keine Vorstellung davon, was die Wander-und Farhrradrouten versprechen, die mir im Rathaus ausgehändigt werden, und ich weiß, dass auf mich da furchterregende bellende Hofbeschützerhunde ebenso warten wie gastfreundliche Mitmenschen­­. Der Bogen zwischen diesen beiden Polen genügt mir als Urlaubsdestination: welches professionelle Tourismusmanagement könnte mir einen aufregenderen, weil ferneren Platz zur Entstressung aufschwatzen. Obwohl Wels einen faschistischen Bürgermeister hat, kam mir diese Stadt, als ich sie im Sommer 2017 das erste Mal besuchte, irgendwie freier vor als die von vielen meiner weltreisenden Bekannten gern aufgesuchten Fernflughäfen, die zunehmend wie Hochsicherheitsgefängnisse organisiert sind. Liebe/r LeserIn, suche ein süddeutsches Pendant zum heinermüllerisch-norddeutschen (ursprünglich: «notdeutschen»; von meinem Computer zensuriert und korrigiert) WAS SCHERT´S DIE KÜSTE WENN DAS SCHIFF ZERSCHELLT. Man könnte meinen, ICH hätte die Debatte um die politische Korrektheit der Gipfelkreuze auf den Bergen der papsthörigen Teilgesellschaft losgetreten. Man blättere zurück auf die Seite 50 des vorliegenden gespürten Gedankendiebstahlsrauschprotokolls. Ich spekuliere dort vor mich hin: Was sind das für Leute, die in den ostbayrischen Alpen drei Gipfelkreuze an einem Tag umgehackt haben? Den Marokkanern sei alles zuzutrauen, besonders die in den so genannten Integrationskursen mit bergsteigerischen Kompetenzen frisch Ausgestatteten. Man will ja nicht fremdenfeindlich sein. Aber: Wo gibt es Gratis-Zugang zu Kletterwänden für unsere echten Favoritner, Ottakringer, Floridsdorfer Interessierten? Gipfelpapst Reinold Messner, trotz seines ungetrübt südtirolischen, sprachähnlichen Geräusches immer noch eine Autorität unter Bergfexen (bzw. über-fexinnen), provozierte durch eine Entsetzen erregende Antwort, die Freund und Feind überraschte: Gipfelkreuze sind historisch überholt, stellen Säkularisierungsfortschritte wieder in Frage und stellen darüber hinaus eine unzulässige Möblierung der Natur dar. Die Gipfeln unserer Berge sollen wiederspiegeln, wohin sich die Welt unter den Gipfeln orientiert.» Auch ich wünsche mir eine Stadt, in der die Religion nur mehr eine geringe Rolle spielt. Wo ein Wiener herzlich lachen kann, wenn einmal ein Muslim herzlich flucht: Deinem Herrgott sollen seine drei besten Erzengeln verrecken! Und wo ein Muslim schmunzelt, wenn ich mit «Gsundheit!» antworte, wenn er «Dschihad!» sagt. Und wo sich ein Imam vor Lachen den Bauch hält, wenn er von einem Koranschüler gefragt wird, ob Allah auch Brustwarzen habe. Und wo der letzte islamistische Terrorist ein Gipfelkreuz niederhackt und anschließend auf der Schutzhütte seinen ersten Schweinsbraten bestellt. Und wo Kardinal Schönborn bei einer Predigt zugibt, dass an der biblischen Schöpfungsgeschichte nur eines bewiesen ist, dass nämlich jeder von uns seinen eigenen Urknall hat. Der häufig zitierte Blick vom sprichwörtlichen Gipfelkreuz in die Täler hinab verliert nichts von seiner allegorischen Tiefe und von seiner Trance-Qualität, wenn sich der, die Meditierende an einen Stoß Lagerfeuerbrennholz anlehnt statt an die Längsstange oder den Sockel des Gipfelkreuzes. Die emotionale Qualität der Gipfelsicht nach unten (eine Metapher für das Hamsterrad, in das auch wir zurückkehren werden, diesmal aber voll mit Plänen zur Emanzipation der Hamster), das fiel mir beim Interview auf, verbindet die durchaus nicht esoterische Buchhändlerin Anna Jeller mit Widerstand gegen alles, was gerne herrscht. Sie nimmt als Symbol naturgemäß einen der Wiener Hausberge, die Rax. «Vor der Internet-Konkurrenz und digitalen Büchern hab ich keine Angst. In einem Buch zu blättern, seinen Geruch aufzunehmen, ist an Sinnlichkeit dem Internet genauso überlegen wie ein wirklicher herumschweifender Blick vom Gipfelkreuz der Rax dem Ergoogeln des Raxgebietes.» WAS SCHERT´S DIE GIPFEL WENN IHRE KREUZE KRACHEN. KEIN Gipfelkreuz auf der Rax ist freilich auch KEINE Lösung. Dasselbe ist bereits zum Alkohol und zum Kommunismus gesagt worden.

WENN DIE KREUZE KRACHEN II

Ich war noch nie in New York. Ich werde dort nie ankommen. Ich saß aber auch noch nie im Zug, der Eferding mit Peuerbach verbindet, oder im Bus, der von Eferding aus direkt nach Engelhartszell fährt. Das Zugticket kostet 5,30. Die Busfahrkarte kostet 7,10. Der Zugschaffner kriegt von mir einen Handkuss dazu. Detto der Buschauffeur. Siebenkommazehn plus einen Handkuss. Im Sommer 2017 habe ich beide Strecken kennen gelernt. Für mich sind es Panoramastrecken, für die meisten Städter, die sie benutzen, wohl auch. Durch die großen Fenster, die dem Reisenden panoramatische Erlebnisse bescheren, dringen jedoch nur selten die Blicke der PendlerInnen und SchülerInen, die den Zug füllen. Zu alltäglich sind für sie die Bilder des rollenden Kinos. Wie weiße Schuppen auf dunkelgrünen Lodenrockkrägen liegen die großen Bauernhöfe, von fern her betrachtet, überall verstreut im Gesichtskreis. Es ist das Panorama des nördlichen Hausruck; ich nenne es Edt-Blick, denn auffallend viele Ortsnamen enden hier auf -edt: Sagedt, Witzenedt, Schikedt, Voredt, Dornedt, Püredt, Reisedt, Edt. Und dazwischen Prünst, Ranna und Rannariedl (Panoranna!). Wie räumt man ein Minenfeld, soll Eisenhower, Sieger des Zweiten Weltkriegs, einen anderen Sieger gefragt haben. Mit den Stiefeln eines marschierenden Bataillons, soll General Shukow geantwortet haben. Wie schreibt man Wiener Dialekt? Noch schwieriger ist nur die Frage, wie man Tierlaute ausschreibt. Zum Beispiel den Schrei von Hirschen, Wildschweinen, Wisenten und Ostseeforellen. Es kommt wahrscheinlich nichts Neues mehr; sondern es kommt wahrscheinlich nichts. Variante fürs Deutschunterrichtsbuch: Wir dürfen nichts erwarten, zumindest nichts Neues. Auffallend ist, dass die alte Bäurin von Oberschaden bei Eferding vom Absterben der Frauen aus dem Ort anstelle von Wegsterben redet. Sie steht an einer Kreuzung und dreht sich im Kreis, denn in jeder Himmelsrichtung liegt ein Haus, in dem ein alter, alleingelassener Mann auf seinen Tod wartet; alle diese Häuser will sie uns zeigen, damit wir in Wien alleinstehenden Frauen, an denen wir ein gewisses Interesse an dörflichem Leben feststellen können, über die Oberschadener Verhältnisse informieren können. Verschweigen sollen wir die Hochwässer des Eferdinger Beckens, die alle fünf Jahre auch die Erdgeschoße der Häuser von Oberschaden, wie schon der Ortsname suggeriert, mit Donauschlamm vollfüllen. Davon dürfen die potenziellen ultimativen Begleiterinnen der von Gott und Weibern verlassenen Mannsbilder nichts erfahren. Sonst wär das letzte Aufflackern ihrer Seniorenabenteuerlust schon abgedämpft, bevor die frohe Kunde des Frauenachschubs aus der Bundeshauptstadt überhaupt ins Eferdinger Becken vorgedrungen wäre. Ihr Städter glaubt, die Hochwässer seien für uns Dörfler Katastrophen, sagte die Bäurin, die an der Kreuzung stand, dort, wo Oberschaden fließend sich in den Nachbarort Unterschaden (eine Feuerwehr) ergießt. Natürlich ist es eine Katastrophe, aber nur bei Hochwasser halten die Schadener zusammen, als seien sie schon Menschen. Unsere Väter und Großväter, dem Spaß abgeneigt und insbesondere ohne Disposition zum Wiener Schmäh, müssen früher, als Jugendliche, alle ganz anders gewesen sein: Mit ihrem Schmäh, so behaupten sie, hätten sie die Nazibrut zur Verzweiflung gebracht. Einer dieser «Widerstandskämpfer» war Rikis Vater. Der pflegte beim Einkehrschwung in die bekannten Wirtshäuser von Oberdonau, in denen die einstigen Sozialdemokraten sich an bessere Zeiten erinnerten, vor Publikum die Beine zusammen zu schlagen, in strammer und zackiger Haltung den Hitlergruß zu zeigen und dabei zu sagen: Sou houch schdeed heit schou da Kukuruzzz! Ein ähnlicher «Widerstandskämpfer» war mein Vater; es fällt mir aber schwer, mir vorzustellen, er hätte jemals in seinem Leben in einen ihm zur Verfügung gestandenen Schmähtopf gegriffen.

ICH LIEG SO GERN AUF WASSERLEICHEN

augschwemmd in da nochd / aum dog vo mia (r) aus / augschwemmd wiara woi / weid weg vom wiaddshaus / augschwemmd ohne naum / und ohne firaschein / hosd an obgaung draad / an debbrimiaddn / hosd an seavas gmochd / kan moddiviaddn / hod die donau gloggd / komm doch zu mir herein / haamdraad hosd du di / gaunz söwa haamdraad sogd a / haamdraad hosd du di / da pfoff is granddig, denn weu / wer si beulisiert / kummd ned in zenträu / derf ned in an hoizpidschama / derf ned zu de aundan baana (...) / wea an obgaung mochd / weu er den trend kennd / wea ins wossa gehd / dass er ned midrennd / wea ned foisch sei kau / in dera foischn wöd / haamdrann kauna si / gaunz söwa haamdrahn und a keazzn griagd a gschdifd / de kummd vom heazzn ... Der Fokus auf Berlin und Paris ist die große Lüge in der (westeuropäischen) Erzählung «1968». Dass den deutschen, österreichischen, französischen StudentInnen der «kommunistische» kambodschanische Schlächter Pol Pot näher stand als die Zengakuren in Tokyo, signalisiert einen keineswegs unschuldigen Eurozentrismus der Bewegung. Zengakuren – das Wort, das in Japan die Gesellschaft im positiven und negativen Sinn unter Strom setzte – blieb vielen bei uns genauso unbekannt wie die phantasievollen Aktionen dieser Bewegung. Der Grund ist ein nicht überwundenes anti-asiatisches Ressentiment, das verhindert, die avantgardistische Rolle der japanischen Dachorganisation der studentischen Selbstverwaltungen zur Kenntnis zu nehmen. Die Ameisen-Metapher für chinesische, japanische, koreanische Massen hält sich hartnäckig. Wir wussten also nichts über jene Städte, in denen die Radikalität der weltweiten Bewegung ihren sicht- und hörbarsten Ausdruck fand. Bereits im Jänner 1968 kommt es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Studies und der Polizei, erst in Tokyo, dann in Sasebo, anlässlich der Ankunft des amerikanischen atombetriebenen Flugzeugträgers «Enterprise». Die Zengakuren belagern die amerikanische Basis, und einer Gruppe gelingt es sogar, in sie einzudringen. Im März 68 wird der im Bau befindliche Flughafen von Narita das Zentrum einer regelrechten Schlacht zwischen StudentInnen und der Polizei, während die Bewegung gegen die US-Intervention in Vietnam sich immer mehr ausbreitet. Japan ist unmittelbares Hinterland der Vietnam-Invasion. Vom Stützpunkt in Okinawa starten die bombenbeladenen amerikanischen B52 in Richtung Nordvietnam. Die Revolte entfaltet sich: dem Komitee, das die Kämpfe koordiniert, treten AssistentInnen, nichtlehrendes Personal und ProfessorInnen von mehr als zweihundert Universitäten bei. Im Oktober 1968 passiert der «Sturm auf Tokyo», an dem nun auch klassenbewusste ArbeiterInnnen massenhaft teilnehmen. Die Protestierenden versuchen, ins Parlament, in die amerikanische Botschaft und in das Polizeipräsidium einzudringen; der Shinjuku-Bahnhof, den jeden Tag mehr als eine Million Personen benutzen, wird besetzt. In der Hauptstadt beteiligen sich Tausende an Stadtguerilla-Aktionen. Die Polizei, obwohl inzwischen zur Bürgerkriegstauglichkeit aufgerüstet, braucht in Japan sehr lang, um das «Chaos» in den Griff zu kriegen. Ohne Bandscheibenvorfall wär das Leben nur halb so lustig. Ende 2015, in einem Bus der Linie 59A. Ein älterer Herr bittet mich, meinen Sitzplatz zu seinen Gunsten zu räumen. Ich: I schau vomiraus gsund aus. Owa i hob an Baunscheimvoafoi und kau ums Vareggn ned schdee. Er: Junga Herr, waun si wissdn, wos in mein Lem scho ollas voagfoin is! Ich: Des «junga Herr» kennans ihna daschboan. I bin fimfasechzg. Er: Aha, schdee kennens ned, owa an oidn Mau bflanzn, des kennans guad. Er bekam meinen Sitzplatz nicht, aber ich spürte stark, dass die Sympathien derer, die diesen Dialog verfolgten, auf seiner Seite waren. Dort, wo auch ich gestanden wäre, hätte ich den VORFALL als Unbeteiligter erlebt. Zu einem anderen Vorfall. Folgendes Erlebnis des Dichters Gerhard Rühm könnte die Dimension des Grabens veranschaulichen, der kulturell zwischen den 50er und (späten) 70er Jahren klaffte. Rühm hatte ein Gedicht mit dem Titel «ich lieg so gern auf wossaleichn» veröffentlicht. Aus Anlass eines aufsehenerregenden Mordfalls in der Wiener Oper wurde der Dichter unvermittelt zur Kriminalpolizei zitiert. Während einer Wagner-Aufführung war im Duschraum der Staatsoper eine Baletttänzerin ermordet worden. Mit der Begründung, jeder, der ein solches Gedicht schreibe, komme als Opernmörder in Betracht, wurde Rühm genötigt, ein Alibi vorzuweisen. Auf der Titelseite des «Express» hieß es am nächsten Tag: «Wiener Mundartdichter muss wegen seiner Verse ein Opermord-Alibi erbringen!» Wenn Freiheit sich als Zustand definiert, in dem man ohne Angst anders sein kann, hat ein angeblich in Österreich nicht vorhandener «Geist von 68» für einen Freiheitsschub gesorgt. Dem schläfrigen Wien fehlte es zwar an der lehrreichen Unruhe der Dutschkes & Meinhofs & Havels & Adornos, aber auch ohne diese Instanzen liberalisierten sich Wien, Graz und Ottakring.

I AM CRAZY FOR SHE

DOPPELTGERÄUCHERTER MENSCHENSCHLAG / verstehst du das / ums verrecken nicht / DER CANNABISCHOF IM CANNABISTRO / verstehst du das / ein wortspiel für die ganze familie / NONNENMÖRDERFANGKOSTÜM / verstehst du das / man kennt niemanden der verstünde / SCHWIZZDA FÄUDA, FÄUDA DUSCHDA / verstehst du das / geht es um die schweiz / VATIKAN ALLES VATIKAN NIX / verstehst du das / wir deutschen sind auch nicht auf der nudelsuppe et cetera / ZUM ZWEIMAL HALBTOT LACHEN / verstehst du das / einmal ganz tot viermal viertel tot / SCHWÖRWUTIGER SCHWUR-BRUCHEIFER / verstehst du das / niemand wird das je das verstehn / LENINGRAZ STALINGRAB/ verstehst du das / prologrätzl in der landeshauptstadt / HIMMELFREUND-POINTNEROVA / verstehst du das / wette, dass sie den hitler gewählt drüben / FRISCH GEPRESSTER MARMOR / verstehst du das / habe ich dieses wunder von jesus vergessen LEWADA KAMADMA / verstehst du das / eine spezialart von tantra massage / DONNA SENZA VERGOGNA / verstehst du das / diesen männertraum kennt jeder / RATTEN! BILDET RÄTE! / verstehst du das / die krähen haben sie schon: schwarze räte / MIZZI CASPAR. MARY VETSERA. ANNIE KURANDA / verstehst du das / namen die in buxtehude nicht vorkommen / LULUMILCHLOSER DOPPELBUBE / verstehst du das / eine in norddeutschland unbekannte spielkartenfigur / I AM CRAZY FOR SHE / verstehst du das / ROTE NELKENGASSE / verstehst du das / ja eine nacht lang / errötete das tanzcafe jenseits. Riki kündigt ein Beziehungsgespräch immer mit den Worten «Jetzt moch ma Nägl mit Köpf» an. Weil ich Beziehungsgespräche grundsätzlich nicht initiiere, kann ich auf solcherlei Openers verzichten. Ist Amerika von Männern in gefüllten Teigtaschen nach osteuropäischer Art erobert worden? Schauen wir uns diese Pirogge an, schlug ich Max, Nargit und Riki vor, als ich im Hafen von Lagos, Algarve, den Nachbau eines historischen Segelschiffes entdeckte und diese adrette Karavelle als Pirogge identifizierte. Keiner von den dreien korrigierte mich. Auf den Karavellen, die in der «Entdeckungs»-Zeit den Ozean überquerten, herrschte eine sechsstufige Hierarchie. Drüben angekommen, hatte sich diese Hierarchie in den Köpf Spanier und Portugiesen irreversibel eingenistet – oder das Gegenteil war passiert: die Nichtprivilegierten stiegen aus den Schiffen mit dem Schwur «Nie wieder wer ober mir, nie wieder wer unter mir.» So oder so: es gibt nichts Erzieherisches als eine lusitanische Karavelle. Die Struktur der üblichen Überfuhrgesellschaft: Die Nummer 1 war der Schiffseigentümer, falls er mitzufahren beschlossen hatte. Nummer 2 war lapidar der Kapitän. Nummer 3 war der Maestro, der die Befehle des Kapitäns an die Mannschaft weitergab. Nummer 4 war der Steuermann. Nummer 5: das Proletariat der Karavelle, bestehend aus Matrosen, Soldaten, für die Mission dienlichen Handwerkern. Nummer 6: die Schiffsjungen. Auf der Santa Maria waren auch königliche Oberbürokraten an Bord, aber das war ja das einzige Schiff der kolumbianischen Dreierflotte, das keine Karavelle, sondern etwas Größeres war. Die Oberbürokraten waren notwendig, um die Einverleibung sämtlichen von Kolumbus besetzten Landes in das Königreich ordnungsgemäß abzuwickeln. Auf den Karavellen waren 20 bis 30 Personen an Bord. Übrigens, dass Kolumbus keinen aztekisch sprechenden Dolmetscher mitgenommen hatte, kann man ihm nicht vorwerfen. Aber dass er glaubte, am brauchbarsten für seine Mission wäre ein Hebräisch-Dolmetscher, scheint schon als damaliger Sicht eine Feigenschnapsidee gewesen zu sein. Alles in der Literatur beiseite zu lassen, was ohne Anspruch auf Innovation, Unberechenbarkeit, Mehrdeutigkeit, Rätselhaftigkeit daherkommt, das wäre eine programmatische Idee für die Schreibwerkstatt im Augustin. Die Schönheit und die Unterhaltsamkeit als Kriterium der Kunst und der Sprache haben ausgespielt. Ich meine die Schönheit im biedermeierlichen Sinn. Und die Schönheit im Sinne des nationalsozialistischen Malers und Bildhauers Odin Wiesinger aus Andorf / OÖ, dem die oberösterreichische Gratiszeitung WOCHENBLICK zwei Seiten widmet, wo er die klassische Schönheit des vom Himmel stürzenden Adlers beschwört. Kreta droht eine 4 Meter hohe Adlerskulptur zur Erinnerung an die deutschen Fallschirmjäger, nachdem das alte Denkmal von «linksradikalen Vandalen» zerstört worden war. Liebe Vandalen, la luta continua. Ich aber würde die Schönheit der Verrücktheit ins Zentrum der Thematik der Schreibwerkstatt setzen. Wenn Robert Walser absurdeste Metaphern generiert, um nicht schreiben zu müssen, vier Personen seien gestorben, dichtet er schönes Verrücktes: Vier Menschen «hatten sich aus dem Vorhandensein wegbegeben». Sie lagen «scheinbar für immer beruhigt am Boden».

REGENBOGEN, SONNENVERSAUT

In seinem jüngsten Buch ‚Voter, c’est abdiquer. Agissez!’ (Wählen heißt kapitulieren. Handelt!; März 2017) betont Antoine Peillon, dass zwei Drittel der Nicht-WählerInnen gleichwohl politisch aktiv sind, was das Klischee des sich der Wahl enthaltenden Politikverdrossenen widerlegt. Eine gute Nachricht für anarchistische Gemüter, allerdings wird man bedenken müssen, dass französische NichwählerInnen im Schnitt politischer sind als österreichische. Zum Problem der Hochwasserstatistik auf dem Mars. Es gibt einen Hügel im Gebiet der Sieben Geister südlich des Marsäquators, der von den Astronomen «Der Trockene« genannt wird. Die Konsistenz dieser Erhebung ist von auffälligem Mangel an H2O geprägt. Die Erklärung kann nur sein, dass dieser Marsberg als einziger aus den Hochwasserständen der letzten Jahre herausragte. Das Gebiet der Sieben Geister war allerdings von Indigenen nie besiedelt, sodass keinerlei überdauernde Signale die Wasserstände dokumentieren. Ansonsten gibt es auf dem gesamten Planeten mit Ausnahme der Marsgebirge – ebenfalls unbesiedelt – keine Struktur, d.h. keine Wand, keine hohen Bäume, keine Megalithen, keine Pfähle usw. –, an denen man die Hochwassermarken anbringen hätte können. Deshalb ist jede marsianische Hochwasserchronik bezweifelnswürdig. Jedesmal war das Hochwasser, weil es in der Regel die gesamte Oberfläche des Planeten umfasste, für die jeweilige indigene Bevölkerung extrem existenzgefährdend. Nur jene Gruppen, die über Boote verfügten, überlebten diese Katastrophen und sorgten für eine Kontinuität der Marsianerpopulation. Da die Hochwassergefahr im Bewusstsein der Indigenen demnach von großer Bedeutung ist, entstanden Hochwassermythen, die von Generation zu Generation überliefert wurden. Aus ihnen sticht folgende «Schildbürgergeschichte» besonders hervor, weil sie tatsächlich auch in Schilda erfunden hätte werden können. Einst fuhren zwei Gelehrte mit ihrem Boot an jene Stelle der endlosen Wasseroberfläche des überschwemmten Planeten, wo das Hochwasser am tiefsten war. Dort fügten sie dem Boot an der Linie, an der es aus dem Wasser ragte, eine Kerbe zu. Beim nächsten Hochwasser würden sie an dieselbe Stelle fahren und den Niveauunterschied bemessen können. Ai Weiwei, selbsternannter Regimekritiker und Avantgardist, ist weder das eine noch das andere. Seit 2015 kann er frei nach China einreisen und aus ihm heraus und besitzt in China eine Firma und mehrere Häuser. Als ein bekannter dissidenter chinesischer Schriftsteller todkrank war, gab es eine Initiative, sein Leben zu retten. Ai Weiwei verunglimpfte diese Kampagne als «Versuch, sich einen Gott zu verschaffen». Quelle: Süddeutsche Zeitung. Welches Datum? Irgendwann im Juli/August 2017. Aus der Geschichte der Poesie. Der erste Reim tauchte 200 n. Chr. auf. Er lautete: GERN WILL ICH NACH BECHELARN / MIT DEINEM SCHIFFLEIN FARN / HAB BECHELARN AUS HERZLEIN GERN / WILL DOCH NACH WORMS ZRUCK KERN. Hat irgendwer daran gedacht, den Saudi- und DubaitouristInnen zu sagen, dass sie in Eferding von sieben Tagen Regen erwartet werden? Wo sonst könnten ihre Urlaubsträume derart in Erfüllung gehen? Everything get ´s wet in Eferding. Eferding ist Gegendubai. Die Sonne zieht sich aus Eferding so in die Kalkalpen zurück, dass nicht einmal ein Regenbogen angeflogen kommt, auch nicht ein doppelter. Bekanntlich besitzt ein Regenbogen für Gäste aus den arabischen Ländern wenig touristischen Wert, weil er ein durch Einwirkung der Sonnenstrahlen versautes Naturphänomen ist. Ich habe einen jungen Mann aus Jamaica getroffen, der im strömenden Regen schon eine Stunde auf den Bus nach Linz Hauptbahnhof wartete und dabei die österreichische Bundeshymne sang, aber keinen einzigen Besucher aus der arabischen Halbinsel. Never Ending Raining Eferding. Auch nach Fucking kam keiner, obwohl es dort sieben Tage nicht nur regnete, sondern auch hagelte. Meine Tante aus Kuwait ist immer noch im Trancezustand, weil sie vor fünf Tagen den ersten Hagel ihres Lebens kennen lernte. Jauchzend schaufelte sie die Körner in ein Plastiksackerl, um sie mit nach Kuwait zu bringen, als Mitbringsel aus Austria. An der Flughafenkontrolle wurde ihr das Sackerl voller Wasser abgenommen. Dadurch wurde sie schlau: Der Hagel ist Allahs Eiswürfelregen in seiner Liebe zu einem ungläubigen Volk. In Kuwait kommt der Hagel nur aus dem Tiefkühlfach.

WARUM KEINE WITZSEITE IM AUGUSTIN

Wo sonst, schrieb ich unbedarft, gibt´s einen Punkt in Europa, wo du bei zwei Schalen Kakao in der Frühstückspension überlegen kannst, ob dein folgender Radausflug sich auf einen, zwei, drei oder vier Staaten erstrecken soll. Rund 40 Kilometer, und du bist im kroatischen Varazdin, rund 35 Kilometer, und du bist im ungarischen Szentgotthard, rund 15 Kilometer, und du bist im slowenischen Murska Sobota. Und all das ohne besondere Anstrengungen, weil du dich im westlichsten Zipfelchen der ungarischen Tiefebene bewegst. Dieser Punkt heißt Radkersburg. Die dritte Piste des Flughafen Wien kann nur bauen, wer die Gesetzlichkeit zu brechen gewillt ist. Großprojekte tragen die Korruption in sich wie die Blätterteigrolle den Schaum. Erstmals sagten drei Richter: Njet! Die dritte Piste darf nicht kommen, nicht einmal während eines Ausnahmezustands in Schwechat und Umgebung. Die Menschen mussten erstmals vor Richtern den Hut ziehen – aber das Imperium schlägt postwendend zurück. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Richter. Warum handelten diese nicht, wie es von ihnen erwartet wurde: warum weigern sie sich, ein Vergehen gegen den Planeten zu legitimieren? hinweisbekanntmachung / an alle zeichner des investmentfonds / erba invest op / euroswitch balanced portfolio op / euroswitch substantial markets op / euroswitch world profile starlux op / ffpb dynamik / ffpb fokus / ffpb kupon / ffpb multitrend doppelplus 7 ffpb multitrend plus / ffpb rendite / ffpb variabel / ffpb wert / verkaufsprospekt & verwaltungsreglement / der luxemburger investmentfonds / werden mit wirkung vom 24. april 2017 / insbesondere wie folgt geändert. / die von der verwaltungsgesellschaft erwartete / hebelwirkung / wird von bis zu 100 prozent des jeweiligen nettofondsvermögens / auf bis zu 200 prozent / des jeweiligen nettofondsvermögens erhöht. Die umstrittenste Frage hinsichtlich der Form des zivilen Ungehorsams ist zweifelsohne die der Gewaltfreiheit. Ist Sachbeschädigung Gewalt? Soll Gewaltfreiheit nur auf die Unversehrtheit von Menschen bezogen werden? Hier handelt es sich nicht um eine einfache Gegenüberstellung, sondern um ein Kontinuum, das nicht zuletzt bedingt ist durch die Frage, ob von physischer oder psychischer Gewalt gesprochen wird und ob die Definitionsmacht darüber, was als Gewalt gilt, bei den Verursachern oder bei den potenziellen Opfern liegt. Unabhängig von der jeweiligen Definition von Gewaltfreiheit finden sich sowohl die moralisch begründete Ablehnung von Gewalt als auch strategische Begründungen für die Wahl gewaltfreier Mittel. Letztere zielen beispielsweise darauf ab, dass eine Auseinandersetzung mit gewaltvollen Mitteln angesichts einer (in der Regel) militärischen Übermacht staatlicher Autorität wenig aussichtsreich ist. Meingott, wie die Zeit vergeht. Grad haben wir den Augustin gegründet, und schon sind 21 Jahre vergangen. Manchmal glaubt man, dass sich nichts verändert hat in diesen Jahren. Der Engelbert versucht, seit er beim Augustin ist, die Redaktion zu überzeugen, dass eine Witzseite die Auflage sofort steigern würde, und seit damals wird sein Vorschlag von der Redaktion ignoriert. Seit Jahren bringt mir Hömal die von ihm ausgelesene Furche, Woche für Woche, und seit Jahren hofft er, dass mich dieses katholische Wochenblatt zum richtigen Glauben zurückführt. Aber, lieber Hömal, kann ein Glaube richtig sein, der mir sagt, es gäbe einen unfehlbaren Menschen auf dieser Welt, nämlich den jeweils aktuellen Papst? Übrigens glaube ich, dass Hömal dem Humanismus der Furche weit weniger zugeneigt ist als ich. Als Kind muss ich eine ziemliche Wirtshaus-Schlampe gewesen sein, ich bin nämlich in einem Wirtshaus im Traisental geboren, und als ich drei war, wurde ich überall, von wo die Stammkunden kamen, berühmt wegen meiner Fähigkeit, die verschiedensten Krüppel unseres Dorfes nachzuahmen. Roberti, wie machts der Hollaus Sepp, wurde ich von den Gästen gefragt, und ich humpelte schon wie der Hollaus, nur in übertriebener Form, durch das Wirtshaus. Ich bekam dafür Schokolade in Schillingmünzenform – wer sich erinnern kann. Ich war damit der politisch unkorrekteste Entertainer des Bezirkes Lilienfeld, aber das wusste ich mit 3 noch nicht. Die Malerin Linde Waber besuchte mich in der Dieselgasse. Eintretend, sollte ihr Blick auf die große Wand voller Fotos und Installationen fallen, alles von mir. Sie hingen da, wie wenn sie immer da hingen, aber in Wirklichkeit hatte ich meine Privatgalerie extra für den Besuch schnell aktualisiert. Die große Künstlerin würdigte das, was auf der Wand hing, keines Blickes. Meiner Affektkontrolle ist es zu verdanken, dass sie meine Enttäuschung nicht wahrnahm. Als ich aber die Chuzpe hatte, ihr von meinem Fotoprojekt zum Thema Zäune vorzuschwärmen, sagte sie zu mir etwas, was ich nur überlebte, weil ich meine sieben Zwetschken immer beisammen hatte. Sie sagte, Robert, du weißt, ich schätze dich sehr, aber lass die Finger von der bildenden Kunst. Dein Feld ist das Feld des Schreibens.

VIER VIERTEL MOST BITTE DANKE

Journalistisches Arbeiten hieß in meinem Umkreis eigentlich: An allem interessiert zu sein, in nichts tiefer analytisch einzudringen. Die Themen werden schneller als die Unterhosen, ja sogar schneller als die Hemden gewechselt. Gestern schrieb ich was über die Todfeinde des Neusiedlersee-Schilfs: Klimawandel (der macht, dass der See nicht mehr einfriert; zur Schilfernte braucht man aber eine Eisdecke) und Dumpingpreise für Schilf aus China. Morgen werde ich über einen anarchistischen Verlag schreiben. Und übermorgen werde ich vielleicht einen grönländischen Schriftsteller interviewen: Wie kommt es, dass Grönland ist das einzige von Menschen bewohnte Land ist, in dem es noch nie einen Krieg gab. Ein Jahr Feldforschung in Grönland, und ich könnte den Beweis erbringen, dass die Unbekanntheit des Krieges in diesem Land sehr viel mit der Unbekanntheit der Schule, so wie wir sie kennen, zu tun hat. Wäre mein Anspruch ein wissenschaftlicher und nicht etwa ein halb literarischer, halb journalistischer – ich würde alles tun, um die These »Der Krieg kommt aus der Schule» mithilfe von einem Dutzend Argumentations-Triumphzügen unangreifbar zu machen. Bitte schickt mich also ein Jährchen nach Grönland. In seiner Anstrengung zur Schöpfung der Erde in sieben Tagen war Gott in einigen Bereichen glatt überfordert, wie ein im Vatikan zirkulierendes Geheimdossier nahelegt. Er versagte bei der Anfertigung eines Stadtplans von Hiroshima am Tag nach der Bombe im Maßstab von 1:1. Er versagte, die Kunst zu vermitteln, schneller gereimte als ungereimte Literatur zu schreiben. Er vergaß, unter den Menschen die Einsicht zu verankern, dass die «Fremdartigkeit» gewisser Brüder&/Schwestern ein Konstrukt zur Sicherung der Eigentumsinteressen ist. Er wusste zwar, dass er das Wort «ausmerzen» geschaffen hatte, aber nicht mehr, wovon er es ableitete. Er vergaß darauf, die MigrantInnen rechtzeitig zu informieren, dass sie gegenüber den Einwanderungsbehörden des Gastlandes nicht verpflichtet sind, das Herkunftsland anzugeben; es genügt die Aussage: ich bin nicht in Afghanistan aufgewachsen, sondern in meinem Zimmer. Dialog zweier Betrunkener in einem Favoritner Tschocherl, nennen wir sie Franz und Hans. Das Thema ist eine Frage der Bildung: in welche kleinere Einheiten gliedert man die österreichischen Bundesländer. Franz erklärt: es gibt nur zwei Länder, die aus Vierteln bestehen, das ist OÖ und NÖ. In Tirol beispielsweise kennen sie keine Vierteln. Dort kennen sie nur Krügeln, meldet sich ein Dritter von abseits zu Wort. Franz übergeht diese Intervention. In Tirol gibt´s stattdessen Bezirke, fährt er mit der Belehrung fort. Gemeinsam zählen sie die Viertel NÖ´s auf. Waldviertel, Weinviertel, Industrieviertel. Nach einer gemeinsamen Pause fällt einem von ihnen, weiß nicht mehr, wem, auch noch das Mostviertel ein. Und OÖ hat das Mühlviertel, sagt Hans. Und das Innviertel und das Hausruckviertel, ergänzt Franz. Das vierte Viertel fällt beiden ums Verrecken nicht ein. Vielleicht hat OÖ gar nicht vier Viertel, meint Hans. Achterl auch, lallt der Abseitige. Was bist für ein Vollkoffer, bekommt Hans zu hören. Drei Viertel, das ist kein ganzes. Viertel heißt immer: es gibt vier, betont Franz. Das ist doch völlig logisch. Das muss dir doch einleuchten, du Wappler. Vielleicht gibt’s Ausnahmen, sagt Hans. Genausogut hätte er sagen können: Vielleicht gibt’s Aufnahmen. Oder: Die Einnahmen in diesem Monat sind beschissen. Ohne Ausnahme werden sie von den Ausgaben überflügelt. Einvernahmen fürchte ich nicht: Dass ich mit meinem Einkommen nicht auskomme, gehört in jede Eingabe. Niemand sagt, dass die Demokratie ganz verboten werden soll. Aber dosieren sollte man sie schon. Hans Rauscher, Chefkolumnist der Tageszeitung «Der Standard», hat wieder einmal unfreiwillig bestätigt, dass der politische Liberalismus in Österreich kein autonomes viertes Lager mehr ist, dessen Kernfunktionen die Bewahrung der Freiheit des Einzelnen und die Auflehnung gegen politischen Extremismus waren. Zerrieben zwischen der Sozialdemokratie, dem Konservativismus und dem Rechtspopulismus, ist er nicht einmal mehr ein Schatten seiner Vergangenheit, in der er im Kampf um die Emanzipation der Juden und um die Trennung von Kirche und Staat, um zwei Erfolge des Liberalismus zu nennen, noch wenig Ängstlichkeit zeigte. Nun zittert er vor Angst; wer will, kann zumindest das als eine Art von Bewegung durchgehen lassen. Rauscher fordert ungeschminkt eine zeitliche und räumliche Einschränkung der von der Verfassung garantierten Versammlungsfreiheit. Die «Gutmeinenden» könnten nämlich zweierlei nicht leiden: Erstens, dass ausgerechnet im Advent, zweitens, dass ausgerechnet auf Ring und Mariahilferstraße demonstriert werde. Er greift die Idee der Wiener ÖVP auf, die derzeit eine Kampagne für das Verbot von Demos in der City und am Ring betreibt. «Niemand sagt, dass es (das Demonstrieren) ganz verboten werden soll. Aber es irritiert auch Menschen mit humaner Haltung mehr und mehr», warnt Rauscher.

ZWISCHEN LEPPEN UND LADRATSCHEN

Eigentlich müssten wir unsere Lebensqualität daran messen, wie oft unsere Augen zum Leuchten kommen. Das Aufleuchten ist das Zeichnen einer großen Resonanz. Ich muss schwer nachdenken, bis ich Momente vor Augen habe, die möglicherweise Tränen aus einem sonst tränenlosen, zum Weinen unfähigen Körper pressten. Einer dieser Momente war das plötzliche Auftauchen eines jungen Mannes mit Down-Syndrom auf dem Tanzboden eines Südostkärntner Feuerwehrfestes. Der Mann tanzte die ganze Zeit allein, seine Choreografie entfaltete sich in der ganzen Weite und Tiefe der Tanzfläche, auf die sich niemand traute – vielleicht in der Ahnung, dass jeder andere Tänzer (aber nicht die Tänzerinnen) neben dem «Mongoloiden», wie die Dörfler heute noch sagen, sehr hölzern und sehr akademisch gewirkt hätte. Der Mann stahl jedenfalls den Zillertaler-Klonen die Show, was mir Freude bereitete, denn sie hatte sich eben mit dem Publikum mittels Frauen-sind-doof-Bierzelt-Folklore, die es schon seit ewigen Zeiten gibt, auf kärntnerisch-tirolerische Art verbrüdert. Südostkärntner Topopoesie wortmalerisch unüberbietbar: Grintoutz Minichoutz Potschula Podrain Jereb Leppen Baba Wilmosch Jawornik Rakollach Goritschach Jerischach Tschepitschach Gurtschitschach Homelitschach Drabunaschach Nageltschach Peratschitzen Pogerschitzen Oschenitzen Ladratschen Kanaren Selesen Hum. Ein Kreisverkehr im Bauernland hat die Aufgabe, die motorisierten Affen so gerecht wie möglich in die Landschaft zu zerstreuen, nach allen Richtungen, gerne in unmögliche. Die motorisierten Affen der Gegend stimmten dem Vorschlag zu, den Daumen nach oben zu akzeptieren. Mittels Daumenzeichen ist jeder Nichtmotorisierte berechtigt, Autos zu stoppen, wenn in diesen mindestens zwei Plätze frei sind. Entspricht die Fahrtrichtung den Zielwünschen der Autostopper, wird er von den AutofahrerInnen unentgeltlich mitgenommen. Zischt ein Fahrzeug, in dem nur der Lenker sitzt, an einem in die Straße ragenden Daumen vorbei, ist es mit seiner Reputation vorbei. Vorausgesetzt, er findet eine Straße, die nach draußen führt: am besten, er wandert aus. Die Sektion der Autostopper im Däumlingsverein ehrt die motorisierten Affen, die ihr Fahrzeug zum Öffi machen, durch die Organisierung des jährlich stattfindenden Däumlingsfestes. Mit den Jahren wird es den Autobesitzern in diesem Land der schmalen windischen Straßen zu blöde, immer die Reparatur-, Benzin-, Parkkosten etc. zu zahlen und die Däumlinge gratis mitzunehmen. Irgendwann werden auch sie zu Däumlingen. Sie werden jedoch den Daumen bald nicht (njieacht) mehr brauchen, um mobil zu sein. Anstelle des Daumens wird der Halbstundentakt eingeführt. Auch die Postbusse werden im Labyrinth dieser windischen Nebenstraßen herumirren, aber zuverlässig im Halbstundentakt. Noch einmal die vier Haltungen, zum Auswendiglernen: KLARSICHT-VERWEIGERUNG-IRONIE-HARTNÄCKIGKEIT. Dass wir einander die Lebensweise der Integration abverlangen, ist eine Moral, die dem Neoliberalismus innewohnt. Lassen wir die Ankommenden in den Räumen zwischen unseren historischen Städten ihre Städte bauen: Neu-Aleppo, Neu-Horms, Neu-Dersim, Neu-Dnipropretowsk. In der dritten Generation werden sich ihre BewohnerInnen mit den EinwohnerInnen der historischen Städte vermischen. Einfach vermischen. Zehntausend SyrierInnen sollen das zerfallende Allentsteig übernehmen – in zehn Jahren wird der Hype von Allentsteig-Aleppo nach ganz Mitteleuropa ausstrahlen und jeder Freak aus Meidling, Znojmo und Mistelbach will in diesen jährlich babylonischeren Waldviertelorient mit seinen Seidenstraßenwaren eintauchen und (meistens) zuungunsten einer dahergelaufenen Fatima die Rückfahrt stornieren. Die Busse der Firma Morgenland werden viermal am Tag direkt zum Badesee fahren, vom Praterstern weg. ü ist e, o weh. / die tische sind gedeckt / das traubensäftlein schmeckt / der braten briet perfekt / nun fehlt nur noch der sekt / die tische stehn gedückt / die traubenschüssel schmückt / der braten scheint geglückt / nur eins gibt’s nicht: den sükt. Ich wollte die renommierte Malerin Linde Waber in die Suche nach einer Neubestimmung des Kultortes einbeziehen, der seigt den Sechzigern als Perinetkeller bekannt ist. Linde fand, die beste Replik auf die Männermacht eines Otto Muehl oder eins Hermann Nitsch gegenüber den für die Körperaktionen benutzten anonymisierten Frauen sei, bei der Wiedereröffnung des Perinetkellers eine Aktion für ein Burkaverbot zu machen. Ich möchte zu diesem Thema betonen, dass es für mich Böseres gibt als die Burka. Ich verrate dir, liebe Linde, meine Hitliste des Bösen: der Gewerkschaftschef eines deutschen Autokonzerns, der polternd verkündete: Wir produzieren das, was die Leute wollen (also keine E-Cars); die notorischen Nicht-Ausschalter des Fernlichts, wenn ihnen Autos entgegen kommen; Einheimische, die zu faul sind, Holler zu brocken und Marmelade daraus zu machen, aber «den Ausländern» vorwerfen, den Holler schon vor der Vollreife abzuernten.

SEIT ICH WEISS, DASS ALLES MEINE ERFINDUNG IST ...

Wie bitte soll man unsere mittelalterlichen Städte vor den Flüchtlingen schützen, und dazu all diese Dörfer innerhalb oder außerhalb der Willkommenskultur. Ich kann dem Stammtisch zwei Lösungen anbieten. Erstens einen lückenlosen Natostacheldrahtzaun entlang der gesamten Küste. Er wäre nur zum Preis der Verunmöglichung künftiger touristischer Verwertung der Mittelmeerküsten zu errichten. Der Preis scheint etwas hoch zu sein, wenn man bedenkt, dass die Städte an der Küste nichts anderes als den Tourismus haben, in dem noch Löhne ausbezahlt werden. Die alternative Handlungsweise wäre der Abschuss der Flüchtlingsbote schon auf hoher See, was den Zaun entlang des Strandes entbehrlich macht. Die damen und herren der procession mögen in absolut schwarzer kleidung und wohl auch mit weißgeschminktem gesicht erscheinen. Während der procession werden die weißen blumen einer subtilen morbidität vor sich getragen wie auch herbstlich und ultimat brennende lampions und candelabres. Die melancholie eines flötenspielers geleitet den mit feierlichkeit und tiefer stille schreitenden zug… An den markantesten stellen der procession werden passagen aus den oeuvres von Ch. Baudelaire, Edgar A. Poe, Gérard du Nerval, Georg Trakl und Ramon Gómez de la Serna im original deklamiert. Konrad Bayer beschreibt in wenigen einprägsamen und amüsanten Sätzen die Position des Solipsismus und nimmt somit Teil an den poetischen Operationen der Wiener Gruppe, die die Verbindung von Poesie und Philosophie zum Ziel haben. seit ich weiss, dass alles meine erfindung ist, vermeide ich es, mit meinen freunden zu sprechen. es wäre albern. allerdings hüte ich mich, ihnen zu sagen, dass ich sie erfunden habe, weil sie schrecklich eingebildet sind und glauben, dass sie mich erfunden haben. es würde ihre eitelkeit verletzen. ich staune über die eitelkeit und die überheblichkeit meiner erfindungen. gestern wollte jemand unter dem hinweis, dass er mir geld geliehen habe, eine grössere summe kassieren. ich versuchte, ihm die sache vorsichtig zu erklären, aber er verstand gar nichts, und ich erfand, dass er sich auf mich stürzen wollte, weil ich in meinen erfindungen streng logisch vorgehe. ich schlug ihm die türe vor der nase zu und erfand mir einen nachmittag mit sonne. es war sehr schön, aber langweilig. deshalb liess ich es 23 uhr werden, las ein buch und legte mich zu bett. ich habe den heutigen tag erfunden und bin sehr froh darüber. auch mit der erfindung der musik bin ich sehr zufrieden. Was soll man von Verbrecher_innen halten, ich meine nicht generell die VerbrecherInnen im Sinne des bürgerlichen Gesetzbuches, sondern jene unangenehmen Zeitgenossen, die potentiell auch unsereinen ausstierln oder auch abmurksen können, weil sie keinen sozialen Genierer haben, sondern nur gierig und oft rücksichtslos gegenüber Mitmenschen sind. Wenn wir MarxistInnen ihnen etwas vorwerfen, dann doch nicht, dass sie Gesetze übertreten, sondern im Gegenteil: dass sie funktionieren, wie das kapitalistische System es von ihnen erwartet. Dazu eine bekannte Überlegung von Karl Marx: Ein Philosoph produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten, ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher produziert Verbrechen. Betrachtet man näher den Zusammenhang dieses letzten Produktionszweigs mit dem Ganzen der Gesellschaft, so wird man von vielen Vorurteilen zurückkommen. Der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht und damit auch den Professor, der Vorlesungen über das Kriminalrecht hält, und zudem das unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine Vorträge als Ware auf den allgemeinen Markt wirft. Damit tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Bis ins Detail, so Marx, könne er die Einwirkungen des Verbrechers auf die Entwicklung der Produktivkraft nachweisen. Wie er sich erklären könne, dass es in autoritären, in «demokratischen» und – früher – in «kommunistischen» Gesellschaften sich dieselbe Art von Schule durchgesetzt hat, frage ich meinen Schwager Peter. Weil sich eben gewisse Methoden der Wissensaneignung weltweit bewährt haben, antwortet Peter. Nein! protestiere ich. Der gemeinsame Nenner der Pflichtschulen dieser Welt sei die Praxis des Angstmachens als Pädagogikersatz, die frühe Einübung in Konkurrenzverhalten und die Hierarchisierung des Wissens. Die Hierarchie umzudrehen, wäre wichtig: Stacheldrahtzäune unverletzt zu überwinden ist mittlerweile eine eindeutig nützlichere Fähigkeit als zu wissen, wo in unserer Sprache «als» und wo «wie» angebracht ist. In deiner Straße einen Streit unter Nachbarn zu schlichten, sodass am Ende alle Seiten einander zuprosten, ist eine Gabe, die in den Schulen sämtlicher bisheriger Gesellschaftsformationen niedrig bewertet wird. Denn die Knäste aller Kontinente brauchen bestraftes, verurteiltes, stigmatisiertes Täterfleisch, von Stockwerk zu Stockwerk.

HIMMELFREUNDPOINTNER

Sie waren ganz im Westen angekommen, sagten sie in Kenntnis der etymologischen Bedeutung des Wortes Algarve. Al Gharf ist arabisch: im Westen. Dort also genießen sie den Ruhestand: Margit und Max Wachter, geboren im Burgenland, bis zur Pension wohnhaft in Wien. Oh wie ist das schön, betonen zu dürfen, dass der Ruhestand genossen werden kann in einer Zeit, in der die politischen und wirtschaftlichen Eliten diesen ruhenden Zustand als von den kleinen Leuten sehnsüchtig erwünschte, eigenständige Lebensphase mit bis zum Abgang garantiertem Einkommen abzuschaffen begonnen haben, obwohl es sie in unseren Wirtschaftswunderbreiten ohnehin erst ein halbes Jahrhundert lang gibt. An und für sich bin ich kein Freund von Schreibwerkstätten. SchriftstellerInnen, deren Texte mich berühren bis beherrschen, haben ihre Genialität nicht in Schreibwerkstätten gewonnen. In der Schule schon gar nicht, darüber herrscht Übereinkunft quer durch die Lager hinweg. Einer lernwilligen Runde zu vermitteln, was eine elegante Einleitung für einen beliebigen Text ausmache, empfinde ich nach wie vor als Anmaßung. Wer bin ich, der Regeln für die Sprache ausgeben kann. Ich frage mich, wie die Idee einer Schreibwerkstatt, die ich zu organisieren und moderieren wagen würde, gänzlich vom Pädagogischen, vom schulmeisterlichen Prinzip der Norm der Sprache zu befreien ist, um stattdessen nur Anstöße zu einer Kreativität und Originalität und auch Radikalität des Schreibens zu liefern. Kunst muss das Schöne darstellen? Doch! Das verrückt Schöne. Schön verrückt ist, wie Robert Walser kundtut, vier Personen seien gestorben: Vier Menschen «hatten sich aus dem Vorhandensein wegbegeben». Sie lagen «scheinbar für immer beruhigt am Boden», spinnt Robert Walser. Ich würde der Schreibwerkstatt die Frage stellen, ob der Wunsch entstanden ist, andere und weitere Umschreibungen und Metaphern zu finden, um auszudrücken, dass jemand tot ist. Ich würde in diesem Moment unter den Teilnehmenden sein, denn auch ich möchte wissen, wie irritierend kreativ ich noch sein kann. «Was sie zeitlebens nicht anerkannten, hauchten die vier nun aus, nämlich jeweils ihre Seelen, aber es war zu spät, sie konnten dessen nicht mehr gewahr werden, denn ‚es’ wurde ausgehaucht, als die Aufmerksamkeit nicht mehr möglich war.» Du, Berg, hast als Zufluchtsort der Avantgarde versagt. Die Stadt ist für dich eingesprungen. Kein Künstler ist von allen Seiten überzeugend. Entweder er ist zu wenig Clown, oder zu wenig Magier, oder zu wenig Seher, oder zu wenig Rebell. Im Kader des Fußballvereins Vorwärts Steyr befindet sich tatsächlich ein Himmelfreundpointner, Während ich diesen Fund genieße, legt mein Unterhalter (kann auch Gott u. dgl. sein) ein Schäuferl nach. Im Kader des Steyerischen Traditionsklubs taucht auch der Name Gotthartsleitner auf. Was für eine indigene Zweimann-Sturmspittze: Himmelfreundpointner-Gotthardsleitner! Das Duo könnte demnächst zum Trio werden: auf der Transfer-Wunschliste steht der Spieler des FC Hinterstoder, Franz Unterpfarrstettner. Das Heimatliche ist inzwischen schon so entwertet, dass man der Dreierkette Himmelfreundpointner-Gotthardsleitner-Unterpfarrstettner ung´schaut wenig zutraut. Für Qualität bürgen dagegen: Yabo / Hwang / Haidara / Minamino / Samassekou / Miranda / Caleta-Car / Dabbur / Berisha, alle RB Salzburg. Brachialer ist noch kein Dresscode durchgesetzt worden: Klaus Schwab, Präsident des World Economic Forum (WEF), wollte beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos eine lockere Atmosphäre schaffen und gab die Kleiderordnung „business casual“ aus (Anzug ja, Krawatte nein). Dass lässige Kleidung aber nicht unbedingt locker macht, bewies er selbst, indem er Verbotsschilder aufhängen ließ und bei Zuwiderhandlung den Krawattenträgern ein Bußgeld in Höhe von fünf Schweizer Franken am Tag auferlegte. Dass mit Hilfe der „Lex Schwab“ immerhin 10.000 Euro erwirtschaftet wurden, die dem Kinderhilfswerk Unicef zugute kommen, gibt zu denken. Denn es ist der Beweis dafür, dass Schwab mit seiner Maßnahme nicht auf der Höhe der Zeit ist: Die Krawatte hat Konjunktur. Wo agiert eine Kunstministerin, die den SchriftstellerInnen ihres Landes den Staatsauftrag gibt: Beschreiben Sie die Wirkung der Sonntagnachmittage, die Woche für Woche wie tödliche Generalproben zum Weltuntergang anmuten. Und wo ist die Kunstministerin, die verspricht, die Folgen 20 bis 25 der beliebten Krimiserie «Kottan ermittelt» zu finanzieren (deren Fertigstellung der ORF verhindert), die letzte Folge aber nur dann, wenn das Drehbuch modifiziert wird. Die Geschichte muss mit der Wiederauferstehung des Autors Helmut Zenker enden. Ich hatte einen Traum: der Weltfußballverband hat beschlossen, dass die Teams bei Ländermatches eine Musik ihrer Wahl bestellen oder ein Lied ihrer Wahl im Karaoke-Modus selber darbringen können. Begründung: Auch die Regionalliga-Spieler Himmelfreundpointner, Gotthardsleitner und Unterpfarrstettner können die österreichische Nationalhymme nicht singen.

RIKI KÄMPFT FÜR DAS RECHT AUF DIE UNTERHOSE I

Ein afrikanischer Augustinverkäufer hat unglaublich rasch Gefallen am Wiener Dialekt gefunden. Diese Vorliebe zeigt er mit einem herzhaften «Wie geht’s da, Gschissener?» beim Betreten des Augustin-Vertriebs. Angesprochen kann sich jeder Anwesende fühlen, aber auch jede Anwesende, denn das «Gschissener» bezieht sich auch auf Frauen. Der Raum bricht in allgemeines Gelächter aus. Riki berichtet der Redaktion von dieser sprachlichen Kompetenz eines afrikanischen Asylwerbers. In der Redaktion bricht ein Streit aus, ob dies als Signal für gelungene Integration (plus) oder für Assimilierung (minus) zu verstehen sei. Riki ärgert sich: Ein Augustinverkäufer macht den Arbeitsalltag der Sozialarbeitscrew spannender als hundert Journalisten. Riki stammt aus dem Mühlviertel. Das Mühlviertel kennt mehr Knödelarten als die vermeintlichen Knödelländer Böhmen und Bayern zusammen. Rikis Affinität zum Knödel musste früher oder später zum Augustin führen. Niemand kann das so gut erklären wie Rikis Bruder Andreas, der ebenfalls aus dem Mühlviertel stammt: «Die Kugel als idealtypische Form des Knödels bietet den größten Rauminhalt bei der geringsten Oberfläche. Damit mag der Knödel als Sinnbild für die Contentorientierung des Augustin dienen. Inhaltsreich wie der Augustin ist der Knödel. Aber auch ähnlich diffus. Denn ungeachtet des Kugelideals tritt uns etwa der Germknödel halbkugelförmig gegenüber und gebackene Speckknödel nähern sich gerne der Würfelform an. So präsentieren sich Augustin wie Knödel der Betrachterin/ dem Betrachter gerne in unklaren, oft nicht vorhersehbaren Konturen. Unklar und facettenreich wie diese sind oftmals auch die Inhaltsstoffe. Aus den einzelnen Zutaten entsteht, oft über ein schleimartiges Zwischenstadium, ein kompaktes (meist rundes) Ganzes. Ein Schöpfungsakt, wie er selbst dem Herrgott zum Ruhm gereichen würde. » Die Bekanntmachung, die das Rauchverbot im Augustin-Vertriebsbüro ab 5. Mai ankündigt, hängt in sieben Sprachvarianten an der Wand: in deutscher, serbokroatischer, ungarischer, russischer, georgischer und rumänischer Sprache – sowie auf Englisch, um auch die aus Nigeria und anderen britischen Ex-Kolonien stammenden KolporteurInnen zu beruhigen: Im Hof darf ja weiter geraucht werden. «Denn der Hof kriegt keinen Lungenkrebs», ist da in sieben Sprachen zu lesen; mag sein, dass dieser Humor überall als solcher verstanden wird. Andernfalls wäre ergänzende Kommunikation nötig – und für Angelegenheiten der Kommunikation fühlt sich Riki zuständig. Wer die Botschaft an der Wand nicht versteht, für den oder die hat Riki ihre eigene Übersetzung von «Denn der Hof kriegt keinen Lungenkrebs» ins Englische parat: The Farm Never can get a Lung Crab. Der Herr Holzinger, Augustinverkäufer, wird vom Obdachlosen-Tageszentrum Josefstädterstraße betreut. Er erzählt Riki, was ihm heute widerfahren sei. Er habe sich an die SozialarbeiterInnen des Tageszentrums gewandt mit der Bitte, ihm eine frische Unterhose auszuhändigen. Nein, Herr Holzinger, Sie kriegen keine neue Unterhose, war die Antwort. «Sie haben diese Woche bereits zwei Unterhosen von uns bekommen.» Herr Holzinger bittet die Riki vom Augustin, nachzuschauen, ob es ein Gesetz gibt, nach dem man nur Anrecht auf drei Unterhosen pro Woche habe. Riki hat einen Einzelbetreuungsfall. Niemand sonst unter den Obdachlosen hat jemals diese Angelegenheit thematisiert. Der folgende Witz ist einer der besten, den Riki vom Vertriebsbüro je mit nach Hause nahm: Die Chefs der Brauereiunternehmen Gösser, Ottakringer und Budweiser treffen sich an einer Bar. Der Kellner kommt, nimmt die Bestellungen auf. Der Gösser-Chef bestellt – eine Flasche Gösser. Der Boss der Ottakringer Brauerei bestellt ein Flasche Ottakringer. Der Budweiser-Chef bestellt ein Glas Mineralwasser. Seine Kollegen wundern sich – du und Mineral? «Ich hab mir gedacht», sagt der oberste Budweiser: Wenn ihr kein Bier trinkt, bestell ich auch keines.» Die Wiener wollen von Fremden anständig begrüßt oder angesprochen werden, zum Beispiel mit Habedere oder mit GutnTag. Das distanzlose «Heast» oder das diffuse «Hallo» lehnen sie ab. Es gibt keine Sprache der Welt, in der diese Ablehnung so angewidert ausgedrückt werden kann wie im Wienerischen, sagt Riki. «Der Hallo is scho gschduam. Ea ligd neman Heast im Zenträu.» Das unvorstellbar schwere Leben der AugustinverkäuferInnen zieht mich hinab, sagt Riki. Es macht mich depressiv. Die Einsicht, dass ihnen nicht geholfen werden kann, dass sich an ihrer Ausgeschlossenheit nichts ändert, auch nicht durch den Augustin, wird ihr immer unerträglicher, sagt sie. «Ich bin immer mehr auf ihrer Seite», sagt sie. Es komme ihr vor, als habe sie dem SozialarbeiterInnen- und Redaktionsteam geistig den Rücken gekehrt, sie gerate dadurch in einen Zustand, den sie früher nicht kannte. Sie funktioniere zwar weiterhin als Sozialarbeiterin, wie immer schon. Aber irgendetwas habe sich in ihrem Kopf umgedreht.

RIKI KÄMPFT FÜR DAS RECHT AUF DIE UNTERHOSE II

Einseitiges, buchstäblich, zum Krieg. Die Siegesgewissheit, ein Ausdruck der «marxistischen» Vorstellung vom irreversiblen Fortschritt in der Geschichte, hat die beiden großen Roten Marx und Engels zu unglaublich falschen Prognosen verleitet. Im Mai 1866 war Engels überzeugt davon, dass Deutschland einer Revolution näher sei als einem Krieg zwischen Preußen und Österreich. Wegen der breiten Stimmung der Unzufriedenheit in der preußischen Armee sei Kanzler Bismarck gar nicht imstande, einen Krieg gegen Österreich zu überleben. «Wenn die Österreicher gescheit genug sind nicht anzugreifen», schrieb er an Marx, «so bricht der Tanz in der preußischen Armee sicher los. So rebellisch, wie die Kerle bei dieser Mobilmachung sind, waren sie nie. Leider erfährt man nur den allergeringsten Teil von dem, was vorgeht, aber das ist schon genug, um zu beweisen, dass mit dieser Armee ein Angriffskrieg unmöglich ist. Wenn nun diese Burschen erst in Massen konzentriert sind, anfangen, sich zu zählen und zu finden, das drei Viertel der Armee eines Sinnes sind, wenn sie dann während des Kongresses drei bis vier Wochen untätig unterm Gewehr stehen müssen, so kann dies nicht anders als zu einer Krisis kommen, und eines schönen Morgens wird der Gehorsam verweigert werden.» Dieser blauäugige Friedrich Engels. Träumte von der Gehorsamsverweigerung! Irgend ein Anlass dafür findet sich sicher, heißt es in seinem Brief weiter: Sicher! «... bei einer solchen Armee, wenn ein Bataillon anfängt, so geht das wie in Lauffeuer. Wenn aber auch ein offener Ausbruch vermieden würde, so ist sicher, dass diese Armee sofort von den wütenden Österreichern heillos geschlagen werden würde. Das weiß auch der alte Esel und ich bin überzeugt, er zieht sich zurück, wenn er irgend kann, eben wegen dieser Stimmung der Armee.» Der alte Esel ist in dem Fall Engels, nicht Bismarck. Engels Prognose traf nicht knapp daneben, sie war so falsch, dass es nicht falscher ging. «Was ich in meiner Broschüre voriges Jahr über den Charakter der mobilisierten preußischen Armee gesagt, hat sich vollständig bestätigt», glaubte Friedrich Engels. Am 11. Juni des tatsächlichen Kriegsjahres 1866 schrieb er an Freund Karl: «Ich glaube, in 14 Tagen geht es in Preußen los.» Mit dem von den wütenden Soldaten initiierten und geführten Volksaufstand, meinte er. «Wenn diese Gelegenheit vorübergeht, ohne benutzt zu werden, und wenn die Leute sich dies gefallen lassen, dann können wir ruhig einpacken mit unseren revolutionären Siebensachen und uns auf die höhere Theorie werfen.» Und – haben sie sich darauf geworfen? Haben sie eingepackt? Am 9. Juni war die preußische Armee in das von Wien verwaltete Herzogtum Holstein einmarschiert. Die «Saupreußen» überrollten alles. Jetzt zu einem anderen Krieg, ein halbes Jahrhundert später. Der Erste Weltkrieg begann vor 100 Jahren. Die größten Ausstellungen dazu werden im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien und in der Schallaburg in Niederösterreich. Der Unterschied fällt sofort ins Auge und heißt Berta. Für den Augustin hab ich den Unterschied in eine einfache Formel gebracht. Das Heeresmuseum im Wiener Arsenal hat vor lauter Waffen keinen Platz für Fragen. Die Ausstellung in der Schallaburg – «Jubel und Elend – Leben mit dem Großen Krieg 1914-1918» – hat vor lauter Fragen (fast) keinen Platz für Waffen. Tatort Arsenal. Im nachgebauten Schützengraben fehlen nicht nur der Gatsch, sondern auch die Giftgaswolke und die übereinanderkugelnden Soldatenleichen. Was will dieser desinfizierte Modellschützengraben den Schulgruppen sagen, die aufrechten Ganges durch einen Gang tänzeln, der links und rechts von allzu altvaterisch geratenen Lärmschutzwänden begrenzt wird? Und wovon sprechen die beeindruckenden Löcher in den dicken Stahl-Testplatten, die die Wirkung der Waffen demonstrieren? Auf der Schallaburg wird nicht die Wirkung der k. & k.-Waffen auf Stahlwände, sondern ihre Wirkung auf Menschen vorgeführt – vielleicht ist das die feinste Art der Schallaburger Ausstellungsmacher, sich von der Waffenverherrlichung in Wien zu distanzieren. Keinem Besucher, keiner Besucherin entgeht, was der eigentliche Hochaltar der Weltkriegsausstellung im Arsenal ist. Es ist die «dicke Berta», die plankgeputzte, 80 Tonnen schwere 38 cm Haubitze aus den Pilsener Skodawerken, die vom Rapidplatz aus das Horr-Stadion beschießen hätte können, um die Reichweite zu veranschaulichen. Ein großer Teil der Kosten für die Neugestaltung des Teils zum Ersten Weltkrieg wurde für die Absenkung des Museumsniveaus verwendet. Erst dadurch erreichte man eine Saalhöhe, die nötig war, um die Haubitze in voller Pracht aufzustellen. Immerhin informiert Kleingedrucktes, dass diese Monsterkanone, als sie 1918 erstmals an der Westfront zum Einsatz kam, umgehend durch den Friedensschluss entwertet wurde. Der Transport der bladen Herta von Pilsen zur Westfront wird etwa das gleiche Wahnsinnsunternehmen gewesen sein wie die Überwindung der Alpen durch Hannibals Elefantenheer.

DIE SAUPREUSSEN ÜBERROLLTEN ALLES

Einseitiges, buchstäblich, zum Krieg. Die Siegesgewissheit, ein Ausdruck der «marxistischen» Vorstellung vom irreversiblen Fortschritt in der Geschichte, hat die beiden großen Roten Marx und Engels zu unglaublich falschen Prognosen verleitet. Im Mai 1866 war Engels überzeugt davon, dass Deutschland einer Revolution näher sei als einem Krieg zwischen Preußen und Österreich. Wegen der breiten Stimmung der Unzufriedenheit in der preußischen Armee sei Kanzler Bismarck gar nicht imstande, einen Krieg gegen Österreich zu überleben. «Wenn die Österreicher gescheit genug sind nicht anzugreifen», schrieb er an Marx, «so bricht der Tanz in der preußischen Armee sicher los. So rebellisch, wie die Kerle bei dieser Mobilmachung sind, waren sie nie. Leider erfährt man nur den allergeringsten Teil von dem, was vorgeht, aber das ist schon genug, um zu beweisen, dass mit dieser Armee ein Angriffskrieg unmöglich ist. Wenn nun diese Burschen erst in Massen konzentriert sind, anfangen, sich zu zählen und zu finden, dass drei Viertel der Armee eines Sinnes sind, wenn sie dann während des Kongresses drei bis vier Wochen untätig unterm Gewehr stehen müssen, so kann das nicht anders als zu einer Krisis kommen, und eines schönen Morgens wird der Gehorsam verweigert werden.» Dieser blauäugige Friedrich Engels. Träumte von der Gehorsamsverweigerung! Irgend ein Anlass dafür findet sich sicher, heißt es in seinem Brief weiter. Sicher! «...Bei einer solchen Armee, wenn ein Bataillon anfängt, so geht das wie ein Lauffeuer. Wenn aber auch ein offener Ausbruch vermieden würde, so ist sicher, dass diese Armee sofort von den wütenden Österreichern heillos geschlagen werden würde. Das weiß auch der alte Esel und ich bin überzeugt, er zieht sich zurück, wenn er irgend kann, eben wegen dieser Stimmung der Armee.» Der alte Esel ist in dem Fall Engels, nicht Bismarck. Engels Prognose traf nicht knapp daneben, sie war so falsch, dass es nicht falscher ging. «Was ich in meiner Broschüre voriges Jahr über den Charakter der mobilisierten preußischen Armee gesagt, hat sich vollständig bestätigt», glaubte Friedrich Engels. Am 11. Juni des tatsächlichen Kriegsjahres 1866 schrieb er an Freund Karl: «Ich glaube, in 14 Tagen geht es in Preußen los.» Mit dem von den wütenden Soldaten initiierten und geführten Volksaufstand, meinte er. «Wenn diese Gelegenheit vorübergeht, ohne benutzt zu werden, und wenn die Leute sich dies gefallen lassen, dann können wir ruhig einpacken mit unseren revolutionären Siebensachen und uns auf die höhere Theorie werfen.» Und – haben sie sich darauf geworfen? Haben sie eingepackt? Am 9. Juni war die preußische Armee in das von Wien verwaltete Herzogtum Holstein einmarschiert. Die «Saupreußen» überrollten alles. Jetzt zu einem anderen Krieg, ein halbes Jahrhundert später. Der Erste Weltkrieg begann vor 100 Jahren. Die größten Ausstellungen dazu werden im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien und in der Schallaburg in Niederösterreich gezeigt. Der Unterschied fällt sofort ins Auge und heißt Berta. Für den Augustin habe ich eine feine Formel für den Unterschied gefunden: Das Heeresmuseum im Wiener Arsenal hat vor lauter Waffen keinen Platz für Fragen. Die Ausstellung in der Schallaburg – «Jubel und Elend – Leben mit dem Großen Krieg 1914-1918» – hat vor lauter Fragen (fast) keinen Platz für Waffen. Tatort Arsenal. Im nachgebauten Schützengraben fehlen nicht nur der Gatsch, sondern auch die Giftgaswolke und die übereinander kugelnden Soldatenleichen. Was will dieser desinfizierte Modellschützengraben den Schulgruppen sagen, die aufrechten Ganges durch einen Gang tänzeln, der links und rechts von allzu altvaterisch geratenen Lärmschutzwänden begrenzt wird? Und wovon sprechen die beeindruckenden Löcher in den dicken Stahl-Testplatten, die die Wirkung der Waffen demonstrieren? Auf der Schallaburg wird nicht die Wirkung der k. & k. -Waffen auf Stahlwände, sondern ihre Wirkung auf Menschen vorgeführt – vielleicht ist das die feinste Art der Schallaburger Ausstellungsmacher, sich von der Waffenverherrlichung in Wien zu distanzieren. Keinem Besucher, keiner Besucherin entgeht, was der eigentliche Hochalter der Weltkriegsausstellung im Arsenal ist. Es ist die «dicke Berta», die blank geputzte, 80 Tonnen schwere 38-cm-Haubitze aus den Pilsener Skoda-Werken, die vom Rapidplatz aus das Horr-Stadium beschießen hätte können, um die Reichweite zu veranschaulichen. Ein großer Teil der Kosten für die Neugestaltung des Bereichs «Erster Weltkrieg» wurde für die Absenkung des Museumsniveaus verwendet. Erst dadurch erreichte man eine Saalhöhe, die nötig ist, um die Haubitze in voller Pracht aufzustellen. Immerhin informiert Kleingedrucktes, dass diese Monsterkanone, als sie1918 erstmals an der Westfront zum Einsatz kam, umgehend durch den Friedensschluss entwertet wurde. Der Transport der überdimensionierten Berta von Pilsen zur Westfront wird mit dem Wahnsinnsunternehmen Hannibals verglichen werden können. Die Alpen wurden zum Grab für die Elefanten, mit denen H. die Römer beeindrucken wollte.

MAULPROTESTE, HUNDETREUE

Was man nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin erwartete, nämlich Massenstreiks, dann den Generalstreik, dann «die prachtvoll organisierte Revolution», geschah in Petersburg, und «das Proletariat, das die politische Gewalt an sich riss, trat ausgerechnet in Russland in Erscheinung, wo es im Grunde noch gar kein Proletariat gibt (...) Und noch erstaunlicher: Als das alles von Petersburg aus geschehen war, folgten Berlin und das rote Königreich Sachsen und das übrige verhungerte, verzweifelte Deutschland nicht etwa nach, sondern alles verharrte, selbst die österreichischen Genossen verratend und im Stiche lassend, in Maulprotesten und Hundetreue bis auf den heutigen Tag: dasselbe Deutschland, das Karl Marx, Engels und Lasalle hervorgebracht hat, beherbergt seit dreieinhalb Jahren die verächtlichste Sozialdemokratie der Welt. Wir wollen versuchen, das irgendwie zu verstehen», schrieb Ernst Bloch am 30. Jänner 1918 in der Berner «Freien Zeitung». Nichts gäbe es, fährt er fort, was der Deutsche weniger nötig hätte als Anarchie, als schrankenlose Freiheit seiner Person und ihres nicht organisierbaren, irrationalen Wesens. Bloch führt dann in seinem Artikel »Revolutionshindernisse in Deutschland» sechs Gründe an, die eine ernstzunehmende Erregung der geschundenen Bevölkerung verhinderten. Darum geht´s aber hier nicht. Ich ziehe aus Blochs Passage den Schluss, dass man Lenin und den Bolschewiken kaum zum Vorwurf machen kann, sie hätten die Weltlage falsch eingeschätzt – und seien von der Solidarisierung der Werktätigen sämtlicher Länder Europas derart überzeugt gewesen, dass sie ihre Strategie danach ausrichteten. Wenn Ernst Bloch 1918, in der Höhle des Löwen lebend, aus seinen Analysen den Schluss gezogen hat, Petersburg würde «selbstverständlich» zu einem global verstandenen Fanal werden – wer hätte da in Russland angeklagt werden sollen, sich Gedanken zu machen, wie man das Unternehmen Sozialistische Revolution isoliert von allen alten Arbeiterparteien durchziehen könne. WO ABER GEFAHR IST WÄCHST DAS RETTENDE AUCH. Ich glaube, Brecht. Man sollte diese Devise immer im Hinterkopf haben, wenn es gefährlich wird. Die Gefahr der Spaltung einer lange bestehenden Lebensbeziehung wächst? Das Rettende wächst detto. Die Gefahr eines Wahlergebnisses, das einen Rechtsradikalen zum Bürgermeister macht, wächst? Das Rettende wächst detto. Die Gefahr, dass dein Lieblingschor vor deinen Augen zerbröselt, wächst? Das Rettende wächst detto. Die Gefahr, dass dein gefälschter Führerschein entdeckt wird, wächst? Das Rettende wächst detto. Die Gefahr, dass die Feuerwehrfest-Bierzelte unseren gemäßigten Regionen den kommenden Stürmen nicht gewachsen sind, wächst? Das Rettende wächst detto. Beide Nachbarn, der auf Nummer 13 und der auf Nummer 14, haben sich Rottweiler zugelegt. Das Rettende wächst detto. Einer der Nachbarn leidet an wachsender Hypophysenvorderlappeninsuffizienz? Das Rettende wächst detto. Mich selbst überfallen zusehends am ganzen Körper die Krätzmilben? Das Rettende wächst detto. Die totale Wirtschaftskrise kommt? Das Rettende wächst detto. Das Rettungsauto bleibt im Stau stecken? Auch wo eine solche Gefahr besteht, wächst das Rettende ebenfalls. Brecht kann irren. Auch diese Gefahr besteht. IM CITOYEN STECKT DER BOURGEOIS / GNADE UNS GOTT WAS IM GENOSSEN STECKT. Im Postkartenmaler steckt Hitler, Gnade uns Gott, was im Postkartenfotografen steckt. Die Schneekanone schenkt uns den Winter, Gnade uns Gott, was uns der Wasserwerfer schenkt. In der Bevölkerung wächst der Pöbel, Gnade uns Gott, was im Volk heranwächst. Die Fischfangflotten töten pro Jahr 400.000 Haie, Gnade uns Gott, wie viele Menschen durch Haie sterben (Auflösung: jährlich 4). Aus dem Gefängnis-Tagebuch Andrej Sinjawkis: Ein Angeklagter zum einem Verteidiger: Sie? Sie wollen Verteidiger sein? Sie wollen mich verteidigen? (Er mustert die vermutlich recht unscheinbare Figur). Mich? Wie wollen Sie mich denn verteidigen? Mit Papier? (Ein Blick nach hinten). Die bringen mich mit aufgepflanztem Bajonett, und Sie – mit Papier!? Weiteres aus dem Tagebuch. Früher haben wir es im Lager lustiger gehabt. Früher wurde jeden Tag einer verprügelt oder gehenkt. Jeden Tag Tschepe (Ausnahmezustand). Der Wachtposten, ein Georgier, fast verzweifelt: Ich? Ich soll ein Unmensch sein? Ja und ihr – seid ihr vielleicht Menschen? Man hat mich vorübergehend zum Nahtwächter gemacht. Eine bessere Arbeit kann man sich nicht vorstellen. Ich muss Eisenblech bewachen, das niemand haben will. Über die gepflasterte Rampe springen große Frösche und erstarren bei meinem Anblick auf der Stelle zu Stein. In diesen Jahren haben mich die Menschen so müde gemacht, dass manchmal, wenn ich unsere Baracke betrete, eine Seligkeit physisch, in Wellen, den ganzen Körper erfüllt: Die Baracke ist – leer.

IM SCHATTEN DES SCHWARZEN BLOCKES

Was gehen uns Ungläubigen die islamischen Bekleidungsvorschriften an? Die Muslime mischen sich auch nicht ein, wenn es um katholisch-kirchliche Bekleidungsrichtlinien geht. Gesehen in Venedig, eine lange Menschenschlange vor der Basilika di San Marco. Nach eineinhalb Stunden Warten ist frau beim Tor angelangt – und erfährt, dass sie umsonst gewartet hat. Ein Kontrollor der Kirche lässt die Touristin nicht hinein, weil ihre Knie und ihre Schultern nicht bedeckt sind. Während sich die Wut aufbaut, legt der Zeremonienmeister ein Schäuferl nach und winkt einen Bonsai-Mafioso her, der Tücher verkauft, mit denen die Frauen ihre öffentlichen Geheimnisse verdecken können. Staunenswert: Dies war in einer «Presse»-Rubrik zu lesen, in einer Zeitung, die viel dazu beigetragen hat, dass die Kopftuch- und Burkadebatte ausreichend intensiv bleibt, damit wirklich wichtige Themen nicht einmal in den Kurzmeldungen einen Platz haben. Auch die NZZ verblüfft gelegentlich mit Analysen und Beobachtungen, die der Realität sehr nahe kommen; sie fühlt sich gegenüber ihren bürgerlichen Kunden ein wenig dafür verantwortlich, Informationsvorteile anzubieten. Die NZZ-LeserInnen erfahren so, was den Krone-LeserInnen ewig verborgen bleibt, nämlich dass es DEN schwarzen Block nicht gibt; er ist bloß eine Erscheinungsform, hinter der nichts Homogenes steckt. Das Wachstum des schwarzen Blockes ist mit keiner politischen Dynamik von heute zu vergleichen; keine politische Szene, keine Gruppierung wächst schneller als er. Seine publizistische Entsprechung ist der Aufsatz des anonymen «Unsichtbaren Komitees», der unter dem Titel «Der kommende Aufstand» 2010 auf Deutsch erschien. Seine popkulturelle Entsprechung ist der Anarchist Joker im Film «The Dark Night». In Deutschland, so schätzt die Polizei, identifizieren sich an die 30.000 Menschen mit dem schwarzen Block. Die Sachbeschädigungen bei den Demos gegen das Hamburger Elite-Treffen könnten auch von unpolitischen Jugendlichen ausgegangen sein, die im Schatten des schwarzen Blockes agierten und sich sanktionslos austoben konnten, weil es sie nicht gab. Es gab sie nicht, weil die bürgerlichen Medien über sie nicht berichteten. Lobenswerte Ausnahme: die NZZ. Der Augustintext «Sozialromantik und Wertekonflikt» aus dem Jahr 2017: ich versuche den bisher unausgesprochenen inneren Widerspruch des Augustinprojekts an Hand der Lokalpressemeldungen über einen rumänischen Augustinverkäufer zu erläutern, dessen Standplatz der Hofer-Markt in Pressbaum (oder Purkersdorf?) ist. Die Medien feiern ihn als Hero, weil er der Polizei wiederholt behilflich war, Ladendiebe zu ertappen. Er habe ein außerordentliches Gespür für Menschen, die Unrechtes im Sinn hätten. Er habe damit seinen Integrationswillen eindeutig unter Beweis gestellt – vielleicht erwartete er sich dieselbe Würdigung von seiner eigenen Zeitung, dem Augustin. Jeder Leser, jede Leserin wird sich vorstellen können, dass das nicht der Fall sein kann. Köstlich der Dialog Liesl Karlstadt - Karl Valentin über die Fremden. Der Text schließt so: Wenn ein Fremder einen Bekannten hat, so kann ihm dieser Bekannte zuerst fremd gewesen sein, aber durch das gegenseitige Bekanntwerden sind sich die beiden nicht mehr fremd. Wenn aber die zwei miteinander in eine fremde Stadt reisen, so sind diese beiden Bekannten jetzt in der fremden Stadt wieder Fremde geworden. «I bin ned gern daham. Weil daham sterbn die Leut.» Wer Peter Bauer nicht kannte, für den musste dieser Spruch dunkel und rätselhaft bleiben. Wir aber, die Augustinmacher_innen, das Vertriebsteam und die Verkäufer-Kolleg_innen, wussten Bescheid: Peter fand in der Gemeindewohnung seinen inneren Frieden nicht. Erstens wusste er, dass die Gnade der vier eigenen Wände nach vielen Jahren der Obdachlosigkeit eigentlich schon zu spät kam: die vielen Winter auf der Donauinsel hatten seine Organe irreparabel geschädigt. Zweitens waren die vielen Blumen, mit denen er sich in seiner Wohnung umgab, kein Ersatz für die Natur, die er so liebte. Und drittens fehlten ihm die einzigen Freunde, die er hatte. Sie waren alle vor ihm gestorben: der Falke, Walter und Roman. «Wir vier waren eine Sandlerclique, die zufälligerweise eines gemeinsam hatte: Wir waren alle durch gescheiterte Beziehungen in die Obdachlosigkeit geraten», erzählte er uns. Zunächst hausten sie in Hütten, die sie aus Ästen flochten, auf der Donauinsel. Dann besorgten sie sich Zelte. Das war bereits in einer Zeit, in der Peter schon beim Augustin war. Die Clique nannte ihren informellen und klug versteckten Mikro-Campingplatz, der von den magistratischen Förstern und von der Polizei toleriert wurde, die «Republik Augustin». Zur Versorgung der Republik mit allen Notwendigkeiten trug Peter durch die Straßenzeitungskolportage am Stubentor bei. Natürlich hatte er stets einen Augustinausweis bei sich, aber niemand informierte uns von seinem Tod.

FIDELKASTROW

Grenzwärtige Gartenzwerge granteln vor Grammelbergen. Grüß dich Graz. Grüß dich du Kernöl vom grollenden Berg. Nach der Grenze grab ich Grammelschmalz aus als grantiger Zwerg. Vom Berg. Herr Groll lehrt uns, was wahre Demokratie ist. Seit Laszlo Hunyadi stehe fest, sagt er, dass das Wesen der Demokratie der Schutz der Minderheit vor dem Terror der Mehrheit ist. Nicht Wahlen allein seien für die neue Demokratie kennzeichnend, sondern staatlich kontrollierte Schutzrechte. Wer behaupte, eine Mehrheitsentscheidung sei an sich schon demokratisch, schaffe die Demokratie ab. «Was ist wo im Vatikan?» Eine grafische Darstellung des Vatikan-Staates in der Wiener Zeitung. Ich vergesse meine Prinzipien als Erfinder der No Nations Embassy. Ich sehe die Chance, die sich auftut, weil die KatholikInnen eine kleine, aber reale und anerkannte Nation zur Verfügung haben. Exakter: einen Staat haben, ein stattliches staatliches Territorium. Angenommen, die Katholikinnen kehren massenweise zur Bergpredigt, zur angewandten Luxuskritik, zum direkten Draht zu Gott, zum echten Fasten, zur Frömmigkeit ohne priesterliche Bevormundung zurück. Angenommen, eine solche Revolution erschüttert die Kirche, die sich vor der Zerrüttung rettet, indem sie zum Diener der Revolution wird. Angenommen, die befreite Christenheit vereinbart mit sich, den Vatikan zum Paradies auf Erden zu machen, hier eine Utopie vorwegzunehmen, die das Erbe der Armutsbewegungen der frühen, subversiven Christengemeinden und der aktuelleren Theologie der Befreiung umsetzt. Das Territorium des Vatikan könnte zum Laboratorium der Menschheitszukunft werden. Ich betrachte die Karte. Hier die vatikanischen Gärten, die die Hälfte des Kirchenstaates ausmachen. Sie könnten die Lebensmittel liefern für die nicht mehr 800 BewohnerInnen (2014), sondern 10.000 PartizipantInnen des Staates. Geheiligt sei das Common Urban Gardening. Hier die Vatikanbank. Der Komplex verwandelt sich in ein Museum. In das Museum der Geschichte des Kapitalismus. Die Kaserne der Schweizergarde wird das Integrationshaus des Vatikan. Hier leben Refugees. Die Hälfte der Vatikan-BewohnerInnen sind Flüchtlinge aus jenen Breiten des Planeten, wo der Kapitalismus noch nicht museal ist. Alles im neuen Vatikan wechselt seine Bedeutungen. Nur eines bleibt: die Amtssprache ist Latein. Denn muttersprachlich herrscht babylonische Vielfalt im neuen Staat. Der nun endlich absterben kann im leninschen Sinn: die Köchin hat das Sagen. Die Päpstinnen laden zum Pasolini-Lesekreis. Danke, Wiener Zeitung, für die Anregung. Régis Debray: Nach 1945 ist es dem jungen Amerika im Gegensatz zu seinem sowjetischen Rivalen gelungen, die Liebe der Europäer zu gewinnen. Und wer liebt, ahmt nach. Derartig hingebungsvoll auf die Auslöschung der eigenen Persönlichkeit hinzuarbeiten, ist Stoff für einen Dramatiker. Anmerkung dazu: Wie hätte sich die UdSSR entwickeln müssen, um ihrerseits die Liebe der europäischen Völker zu gewinnen? Mit einem Tscheguevarow und einem Fidelkastrow an der Spitze, mit Kosmonautik und Samba aus Sotschi? Wer liebt, ahmt nach, leider wahr. Auch unter jener östlichen Liebe hätte Europa vielleicht seine eigene Persönlichkeit verleugnet. Die beiden Tropenrussen hätten leichtes Spiel mit der erotischen Eroberung Europas gehabt, wenn man bedenkt, dass selbst das Ungeheuer Stalin einen Teil der Bevölkerungen bezirzen konnte. Die Folgen hätten Debray auch nicht gefallen: ein Europa mit dem Gulag Allentsteig in der Mitte. Die Liebe zu Amerika inkludiert die Liebe zu Klimaanlage. Die interessante Geschichte der Klimaanklage in Le Monde diplomatique, August 2017. Der massive Stromverbrauch von Klimaanlagen ist klimazerstörend. Klimaanlagen, Klimaanklagen. 90 Prozent der US-Privataushalte sind klimatisiert. China ist drauf und dran, die US zu überholen. In manchen Einkaufszentren am Persischen Golf (Außentemperatur gewöhnlich 40 Grad) gibt es Schneepisten zum Schifahren. als jean renaud vom kriege heimwärts fand / trug er ein eingeweide in der einen hand. / die andre hand verlor er in dem land / wo er im graben auch den verstand verlor. / nach hause kam mit seinem darm ein tor. / als jean daheim sein haus nicht fand / das früher ganz am rande stand / schritt er durch das erste offne tor / und fand nur fäulnis zwischen wand und wand. / mit dem eingeweide kam er und er fror / und dann erfror er wie in feindesland. / es war einmal ein vater- und ein mutterland / bis die väter ihre hände streckten / und im großen gruß ganz klein verreckten.

SCHAUM WIE VON SPUCKE

Deutsche Schweine. In Lübzow, dem schrumpfenden Dorf in Brandenburg, entstehen drei neue Schweineställe. Je 1500 Schweine kriegen hier ein Dach über dem Schweinekopf. Die Schweine von Lübzow werden den Himmel das erste Mal sehen, wenn es zum Schlachten geht. Vielleicht sehen sie sogar einen Regenbogen, aber soviel Glück haben die deutschen Schweine gewöhnlich nicht. erinnerung an einen film. der tag, an dem julia bakalowa / in die zigarettenpause flüchtet. / der tag, an dem der zwölfjährige ivo auftaucht. / er umkreist julia mit seinem fahrrad / harmlos. / julia raucht nervös. / der bub zielt mit seiner bunten großen spielzeugpistole / auf die rauchende frau. / aus der pistole spritzt eine flüssigkeit / julias jacke wird nass. / dann trifft das benzin auf julias zigarette. / innerhalb von sekunden / ist julia eine einzige flamme. / der flammende sog nach oben / verwandelt die frau / in eine leuchtende fackel. / der kleine ivo ist das instrument des mannes / vor dem julia in die pause flüchtete / spritz sie ein bisschen mit wasser an / aus der pistole, / ich schenk sie dir / hatte er lachend dem buben gesagt. Ich las eben etwas über Hypertextliteratur, ein Genre, das Andreas Okopenko beherrschte. Gemeint ist die hohe Kunst des Beobachtens, Ordnens und vor allem Verknüpfens. Dabei werden Literatur und Alltag, Privates und Öffentliches, Weltgeschehen und persönliche Erlebnisse aufs Engste miteinander verschränkt. Ich frage mich, ob mein leicht gekürztes «Sämtliches» wenigstens Ansätze zu hypertextueller Kunst hat. Okopenkos Lexikonroman wäre der Leittext auf diesem Spezialfeld der deutschsprachigen Literatur. Man kann drin auf Sätze stoßen wie: Die Verspottung der Fettleibigkeit ist meiner Hypothese nach ein Schutzwall gegen die übermächtige Flut von Erotik, die von dicken Frauen ausgeht (zum Stichwort «Perspektiven»). Und gleich daneben entdeckt man Folgendes zum lexikalischen Stichwort «Plankton»: Schaum wie von Spucke, Bio-Pottpourri. Schiffsclobereichert. Goldwasser für den Sammler. Sogar verirrte Heuhüpfer gehören noch dazu. Laub, vorzeitig gelbes, wird darin vermaischt. Was ich brauche: Wolfgang Bauer, Das stille Schilf (Untertitel: Das schlechteste von Wolfgang Bauer); das Buch wurde von Literaturkritikern tatsächlich als miserabel beschrieben, sie stiegen damit voll auf die Seife; außerdem hätte ich gerne einen Blick auf Okopenkos Lebenstafel geworfen. Schließlich: Werner Koflers Text «Der Segen des Tabaks». Er wäre wert, wieder publiziert zu werden, demonstrativ gegen die Verhärtung der Prohibitionspolitik. Ein Beitrag zur Ästhetik des Banalen im Katalog der Ausstellung «Im Rausch des Schreibens». Zwei Meister der Banalitäten: Wolfgang Bauer (Österreich) und Bob Dylan (Planet). Das Nachtmahl stand auf dem Tisch / und zwar gab es / Eierspeis mit Salat. I went back in the house and Mama met me / And than I shut all the doors. Musil: Ich behandle das Leben als etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann. Der Fernwanderweg GR221 ist ein Fleckerlteppich: Die mallorquinische Tourismusroute quert vielerorts private Fincas, deren Besitzer die Wegefreiheit in Frage stellen. Zu viele Großgrundbesitzer zwischen Valldemossa und Deutschkreuz, doch keine nennenswerte Bewegung gegen diese Fortsetzung des Feudalismus. Im Philosophenspital. Vormittagsvisite, üblich kommunikationslos. Der Doktor & seine Assistentin stehen vor einem belegten PatientInnenbett. Der Patient auf die Frage Wie geht´s?: Das System ist super, die Gesellschaft funktioniert, und am besten funktioniert das Spital. Ein herzliches Prost an das Personal! Der Arzt wendet sich seiner Assistentin zu und flüstert ihr ins Ohr: Es sieht nicht gut aus. Sein Zustand wird immer unkritischer! NIE BESUNGEN: der NIBE-LUNGENKREBS. Eine «Vorher-nachher»-Abbildung im Pickbuch suggeriert, dass Seepferdchen ab einem gewissen Alter außer Facon geraten. Sie schauen dann aus wie die geknickten Supermarkt-Plastikzahnputzbürsten nach zehntausend Jahren Öl-Verseuchung. Wer immer die deutsche Bundeshymne singt, trägt zur Zurückholung des Kolonialismus aus der Vergangenheit in die Gegenwart bei. Deutschland, Deutschland, du mein Nichts / hässlich bist du wie der Zins / und am Tage des Gerichts / wirst du kleiner sein als Linz. Ich weiß, meine Bücher haben unbegrenzte Geduld mit mir, sie werden auf mich warten bis ans Ende meiner Tage (A. Manguel). Danke, Alberto, du befreist mich vom Zwang, alle Bücher bis zum Ende zu lesen. Eine landwirtschaftliche Initiative, die sich AVANTGURKE nennt, ist hieramts nicht bekannt. Stammtische werden auch als Schlammtische bezeichnet, es handelt sich dabei jedoch um eine externe Kreation. Noch eine Möglichkeit, meine private Bibliothek zu ordnen: Bücher, die meinen Zorn wachrufen und mich zu revolutionären Handlungen motivieren; Bücher, die mich alles Bestehende verstehen lassen und mich dadurch handlungsunfähig machen.

BLUT, HARN UND SPEIBE

gern mecht ich nach bechelarn / mit dem schiffernakel farn / aus bechelarn mecht ich horuck / in mein medelike zruck / sangen im Mittelalter die Mönche des Stiftes Melk, wenn sie wieder einmal die Tölpel aus Pöchlarn reizen wollten. Da saßen sie aber auf dem kürzeren Ast, denn die Pöchlarner hatten längst herausbekommen, dass die Gottesmänner aus dem Benediktinerstift die drei Bordelle in Pöchlarn, vormals Bechelarn, besuchten. Sie redeten darüber nichts, schon allein wegen ihres schlechten Gewissens. gar nass in dem schosse / bis ans end der hose / fließet lulu / und draust bist du. Jedes Kind aus Pöchlarn kannte diese Spottantwort an die Adresse der Melker Gottlosen. Ein Euro, in Schönschrift geschrieben: neunundneunzig Cent. Er werde «die Kommunisten» an den Galgen bringen, sagte Jeanée zum Motiv seiner journalistischen Hetze gegen die Veranstaltung «Kunst und Revolution» in der Wiener Uni (Juni 1968). Er glaubte kurioserweise, die Wiener Aktionisten, die vor staunendem Publikum die staatsfeindlichste Performance for ever abwickelten, hätten Beziehungen zur KPÖ. Dem war aber nicht ganz so. Den KPÖ-Genoss_innen fehlte in Wirklichkeit jede Vorstellungskraft, im Happening des 7. Juni gesellschaftskritische, subversive oder emanzipatorische Aspekte zu erkennen. Die Aktionisten blieben für die KPÖ fern und unverstanden. Ich lese das Protokoll von Otmar Bauer zur «Uniferkelei» und weiß, warum die KPÖ distanziert blieb. Was den Ekel des einfachen Arbeiters hervorrief, konnte die Arbeiterpartei KPÖ niemals befürworten. Mit 500 Personen ist der Hörsaal I gut gefüllt. Otmar Bauer schilderte in seinem Gedächtnisprotokoll am besten die aufgeheizte Stimmung. Sein Protokoll, leicht gekürzt: weibel, der sich beim reden stets verhaspelt, eröffnet mit einer flammenden rede, das flammende dran ist ein brennender, mit benzin übergossener asbesthandschuh. wiener spielt professor, weibel hat sich ein demokratiespiel ausgedacht, mühl kennt einen masochisten, der ist redakteur bei der presse. um nicht erkannt zu werden, hat er seinen kopf bis auf sehschlitze zubandagiert, deklamiert de sade, während otto ihn mit einem gürtel andeutungsweise schlägt, wegen des paragrafen körperverletzung, und der redakteur laurids sowieso nur geil wird, wenn frauen ihn schlagen. matte sache, das ganze, bisher. die linken lachen, buhen: aufhören! pfiffe. wir sind dran: hinter mir, mit schrillender kommandopfeife, marschieren nackt stumpfl, anastas und herrmann, besteigen den katheder. es beginnt der pinkelwettbewerb , der sieger bekommt eine plastikrose. (...) dieweil hat brus einen sessel auf den katheder gestellt, steigt drauf, nackt bis auf die socken, starrt vor sich, würgt sich einen, drückt, fährt sich mit’m finger zum arsch, verschmiert seine scheiße am körper, singt mit erregt gebrochener stimme die bundeshymne – jetzt ist feuer am dach, die versammlung ist elektrisiert, an den drei ausgängen trauben von leuten, die flüchten wollten und jetzt mit offenen mündern auf sakrileg-brus starren, nicht mehr rauskommen, da ist es, das fanal infernal, verstörtes schweigen im grellen licht, ende der vorführung, stehen sie rum, sind sie in die sessel geklebt, hängen an den eingängen. Dann hält Weibel noch eine Schmährede gegen Finanzminister Stephan Koren, dem «Krüppel», der sein Amt niederlegen müsse (Koren hatte im Krieg die linke Hand verloren). Günter Brus steigt auf den Vortragstisch und versetzt seiner Brust und den Oberschenkeln mit einer Rasierklinge Schnitte, uriniert in seine Hand, trinkt anschließend den Harn und speibt. Robert Schindel kam erst gegen Schluss dazu, weil er als Teilnehmer der Kommune Wien bei einem Teach-In im Audimax der Uni sein musste und dort unabkömmlich war. Er watete durch Urinpfützen und ergriff das Wort: «Ich bin nicht für diese Art von Kunst – aber ich bin dafür, dass sie durchgeführt werden kann.».Auch Jahrzehnte später, als niemand mehr staunte, wie sehr die Performance «Kunst und Revolution» im Hörsaal 1 vom Kunstbetrieb mittlerweile akzeptiert wurde, blieben die KommunistInnen in der Regel distanziert. Jetzt hatten sie ein antikapitalistisches Argument dafür: Muehl war zum Kunstmarktstar geworden. Julius Mende war der einzige an der KP-Spitze, der sich traute, von der Ambivalenz des als «Päderasten» verunglimpften Bohemiens zu reden. Der 2007 verstorbene Künstler, Sexualpädagoge und kurzzeitige KPÖ-Bundessprecher Mende beschreibt in einem Artikel, wie auch er beinahe den Verlockungen unterlag, Teilnehmer des großen Experiments der Muehl-Kommune im Nordburgenland zu werden. Zum Unterschied von Muehl sei er, Mende, den ursprünglichen Utopien der Kommune verhaftet geblieben: Auflösung des Privateigentums, der bürgerlichen Familie und der Trennung von Leben, Arbeit und Kunst.

DER LIEBE ONKEL AUS IDAHO HAT ES VOM TELLERWÄSCHER BIS ZUM BIENENZÜCHTER GEBRACHT, OHNE EINEN INDIANER ZU TÖTEN.

Wie soll das so weiter gehen, wenn einer alles besitzt und der andere einen Schas mit Quasteln. Verzeihung, mein Fräulein, darf ich Sie auf etwas aufmerksam machen? Ja auf was denn? Auf mich, Gnädigste. Zwischen Grinzing und Breitensee liegen etwa sieben Berge und das ist zu Fuß ein ungeheurer Hatscher und aus diesem Grund war ich auch erst mit vierzig zum ersten Mal beim Heurigen. Aus genau ein Kilometer Entfernung kommt ein Anruf, wir möchten doch den Schallplattenspieler leiser stellen. Früher war das so geregelt / dass jede ihren Alten vögelt / heute ist es ganz verzwickt / weil jede einen andern fickt. Er spricht in seinem stillen Elend auf seinem stillen Eiland eine Art Niederösterreichisch mit leichter Wiener Eisenbahnereinfärbung. Was soll ich in Moskau, wenn im Kobernauserwald das Bier frischer ist? Jeder, der am Rio Bamba gewesen ist, wird hinterher erzählen, ich bin am Rio Bamba gewesen. Scheiß Scheibtruhe voller Gewitterwasser unter einem rostigen Föhnhimmel. Peter und ich haben uns vorgenommen, nichts mehr zu lesen als den Tacho unserer Mofas. Der liebe Onkel aus Idaho hat es vom Tellerwäscher bis zum Bienenzüchter gebracht, ohne einen Indianer zu töten. Wenn vier junge Wölfe um ein Stück Kalbfleisch raufen – welcher von ihnen bekommt wohl den Löwenanteil? Alles aus «Nachrichten aus Nord und Süd» von H.C. Artmann. Regen fiel des Reimes wegen viel, Schwalben jedoch durften nicht kalben (Gerhard Jaschke). Fritz fängt fantastische Fische: Rogenbegenferollen aus der Unrechtstraisen (Eigenbau). Auszug aus einem Interview mit dem Pressesprecher des Stiftes Klosterneuburg, Walter Hanzmann, im Oktober 2014. Es geht um die Pächter_innenbewegung gegen einen der größten Großgrundbesitzer in Wien. WH: Ich werde Ihnen Kontakt zu den Augustiner Chorherren vermitteln, die im Stiftsbereich leben und zwar getreu der alten Regeln frei von persönlichem Eigentum. In der Verfassung der Augustiner Chorherren heißt es: «Durch das Gelübde der Armut verpflichten wir uns zur einfachen anspruchslosen Lebensform und verzichten auf persönliches Eigentum». Das franziskanische Entsagen ist nicht in Vergessenheit geraten in Klosterneuburg. Vielleicht ist das ein Grund, warum uns Kardinal Schönborn nie besucht, von dem gesagt wird, dass er zu den hundert reichsten Österreichern gehört. RS: Faktum ist: Die Kirche als Institution ist so reich, dass sich der heilige Franziskus angeekelt sofort von ihr zurückziehen würde. Ich glaube, dass der Reichtum der Kirche ihr zum endgültigen Verhängnis werden wird. Denn das Paradox wird immer paradoxer: noch nie haben ihre Gliederungen so große Umsätze gemacht, und gleichzeitig vertschüssen sich jedes Jahr mehr Leute aus der Kirche, sodass jedem und jeder schon klar ist, dass der Katholizismus demnächst eine kleine religiöse Minderheit sein wird. Es wird Religionsbekenntnisse geben, die wir heute noch gar nicht kennen, und es wird immer absurder, wenn eine Religion, die so unbedeutend ist wie alle anderen, derartig privilegiert wird. Ich will mich nicht in Ihre Tätigkeit einmischen, aber wenn Sie mir sagen, dass Sie Ordensleute haben, die ohne Eigentum leben, ist mein erster Gedanke: das muss doch als cooles Ding dargestellt werden, als Rest einer Vergangenheit der Bettelorden und der Armutsgelübde, der aber hinüberwachsen kann zu einer möglichen Zukunft, zu einer planetengerechten Askese, zu einem Verlachen der Konsumzwanglerei. WH: Ich bin erst ein Jahr Pressesprecher – lassen Sie mir Zeit. Ein Verfassungsänderungsvorschlag, betreffend die Bedeutung des Waldes: Der Wald ist der Kern, die Seele, das Herzstück, die Hochburg und der Sinn Österreichs. Mit dem österreichischen Rot gekennzeichnete Waldwege sind Weitwanderwege, die aus Österreich hinausführen in Richtung sichere Drittländer. Mit der ärztlichen Bestätigung der Zecken-schutzimpfung kann der Wald an Sonn- und Feiertagen jederzeit betreten werden. Von Montag bis Freitag besteht wegen Forstarbeiten Lebensgefahr. In großstadtnahen Waldbereichen soll das Forststraßennetz ausgebaut und dessen freie Benützung durch den Autoverkehr garantiert werden, denn der Bärlauch, der Schatten, die Waldluft, die waldbotanischen Lehrtafeln und die ungiftigen Pilze sollen via Allradantrieb schnellstens und leicht erreichbar sein. Jede Begegnung mit steckbrieflich gesuchten Wolfsrudeln ist den Waldbehörden zu melden. Beachte: die Heidelbeere wächst unten, der Holler wächst oben. Dass der Böhmerwald die Vereinigung des österreichischen mit dem Deutschen Wald und dessen Herzstück, der Deutschen Eiche, verhinderte, war die Ursache antislawischer Ressentiments, die aber im Verschwinden begriffen sind, weil das Eichensterben durch den Klimawandel und nicht durch tschechische Waldfrevler verursacht wurde.

IM AUGENBLICK SIND ALLE HÄUSER BESETZT I

Der Aufmerksamkeit unserer hochbezahlten Mandatare ist es jahrzehntelang entgangen, dass im Westen des Stadtgebiets eine unbebaute, grüne, von Grashalmen, kleinen Sträuchern und Bäumchen bewachsene ungenützte Fläche, eine so genannte WIESE, existiert. Jeden Donnerstag Frauenfilmtag im Thalia-Kino (auch für Männer). Untertitel der Arena Stadtzeitung: Zeitung für nichts und wieder nichts. Empfohlene Aktion gegen Öffi-Fahrpreiserhöhung: Aufstellen symbolischer Kassen zum Einheben des Rolltreppenbeförderungsentgeltes. Keine Ahnung, ob das je realisiert wurde. Jeder Punk kann haufenweise Strafanzeigen und Prozesse vorweisen, die hauptsächlich durch die Tatsache entstanden sind, dass Punks anders ausschauen als die Typen, die in Diskos gehen. Beim Sommerfest der Jungen Generation der SPÖ am 4. 7. 1981 trug der Liedermacher bzw. arbeitslose Schriftsteller Kurt Winterstein ein Lied vor, in dem er die Kronenzeitung angriff. In Bezug auf die Seite 5 dieser Zeitung verwendete er mehrmals die Worte «steifer Pimpf» Nachdem mehrere Kinder zuhörten, musste dagegen eingeschritten werden. Der Bunker in der Strafanstalt Schwarzau ist ein knapp fünf Quadratmeter großes Loch. Wenn du mit dem Stuhl nach hinten kippst, fällst du direkt ins Klo. Das Fenster wird lediglich 10 Minuten täglich gelüftet. Der «Sozialwohnungstrommler» ist ein Versuch. Die Redaktion hat mit Zeitungsdruck und Vereinsbehördenwegen noch nie etwas zu tun gehabt. Ein Comic zeigt einen Bergarbeiter aus Polen. «Dieser Kumpel ist im Bergwerk verschüttet. Macht nichts, denkt er. Wenn die Partei Kohle braucht, gräbt sie mich sicher wieder aus.» Mit dem bloßen Auge betrachtet, besaß das Schlachtfeld weder Zusammenhang noch Länge, Breite oder Tiefe, weder Dimension noch Form und bestand aus nichts außer aus zahllosen kleinen Kreisen an den Stellen, wo der Nebel aufriss und man hindurchsehen konnte. Unter diesen Umständen lieferte jede Gruppe von Soldaten ihre eigene kleine Schlacht in glücklicher und gnädiger Unkenntnis der Gesamtsituation, was sage ich, oft genug auch in Unkenntnis der Tatsache, dass um sie herum eine große Schlacht wütete. Gemeinderat Kuchar, FPÖ: Es gibt in der Arena eine Bürokraft und veranschlagte Telefonkosten von 21.000 Schilling. Ich telefoniere sehr viel, auch meine Kinder, und darüber hinaus ist mein Privattelefon de facto auch noch so etwas wie das Telefon der FP Brigittenau, aber 21.000 Schilling Telefonkosten im Jahr habe ich bei weitem nicht, höchstens einen Bruchteil davon. Die Volksstimme vom 29. 3. 1981, höchst peinlich (ich hoffe sehr, ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Chef der Wiener Lokalredaktion): Die Krawalle in Wien am 1. März sollten bei allen unseren jungen Mitbürgern die Frage auslösen: Wem nützen derartigen Ausschreitungen? Mit dem Demolieren von Auslagenscheiben wurden noch niemals soziale Probleme gelöst (Zitatende). Der 68er Generation ging es darum, das «System» zu verändern, die Institutionen zu reformieren oder zu unterwandern, es ging um einer Verbesserung des Gesellschaftssystems durch Änderung der Besitz- und Machtstrukturen. Heute dagegen wird von einem Teil der Jugend überhaupt keine Systeme, keine Struktur und Institution mehr akzeptiert. Darum werden Symbole angegriffen, z.B die Banken. Auch die Polizei. Im Mai 1981 spielten Schroeders Roadshow und die Hallucination Companie auf der Arena. Zwei Comixstrips. Ein Wichtel belehrt zwei Anarchos (mit dem A-Zeichen auf der Brust): So geht´s net, junger Freund: Einerseits auf alles schimpfen – und andrerseits unser «Made in Austria»-Gütezeichen in Frage zu stellen. Ein anderer Wichtel wird nach der Randale interviewt. Die Jugendkrawalle in Wien entbehren eigentlich jeder Grundlage, denn HIER wird für die Jugend viel getan, denken Sie nur an den Prater, an den Schönbrunner Tiergarten, die Liliputbahn ... Im Augenblick sind alle Häuser besetzt. Seien Sie bitte nicht ungehalten. Sie werden sofort von Schreizwergen der Zeitungen bedient. Selbstschutz-Gasmaske für die Arenabewegung. Kunststoffflaschen, ca. 3 dl. In den Boden mit Nadel oder Ahle Löcher bohren. Mit Watte oder Putzfäden ein Drittel des Inhalts auffüllen und leicht pressen: der Staubfilter! Ein Drittel des Inhalts mit Aktivkohle von der Apotheke auffüllen: Gasfilter! Rest der Flasche mit Watte locker ausfüllen. Nase und Augen mit einer dicht anliegenden Taucherbrille schützen. Die Zitrone – dein Freund und Helfer bei Tränengas-angriffen. das beste aber: / polizisten. abgerichtet gegen das volk / wenn sie im strom der empörten massen / durch die straßenschluchten geschwemmt ertrinken / und endlich ergreifen sie statt ihrer waffen / die rettende hand der waffenlosen. Editorial. Das Editorial entfällt für dieses Mal, weil sich niemand gefunden hat, es zu schreiben. Sollte es einem der Leser trotzdem abgehen, so soll er für die nächste Nummer eines schreiben.

IM AUGENBLICK SIND ALLE HÄUSER BESETZT II

Wir brauchen dringend: Seile, Stricke, Bindfäden, Nähzeug, Scheren, Taschenlampen, Batterien, Kabel, Schalter, Steckdosen, Fassungen, Birnen, Gießkannen, Feuerwehrschläuche, Putzmittel, Waschmaschinen, elektrische Kocher, Tixo- und Isolierbänder, Spiritus, Abziehmaschinen, Nitroverdünnungen, Matritzen, gelöschten Kalk, Pinsel & Farben, Lötlampen, Schweißgeräte, Fensterglaskitt, Sofas, Teppiche, Mistkübeln, Schaufeln, Besen, Badewannen, Lebensmittel ... Selbstkritik in der Arena Zeitung, zum Verhältnis Besucher-Besetzer und zu den Parallelwelten in der Arena. Das Verhalten mancher Besetzer ist nicht sehr geeignet, die Besucher zu mehr als wohlwollender Neugier zu motivieren. Die Besetzer sind meist schon in Gruppen hergekommen und sie haben die Häuser «in Besitz genommen» mit allen Folgen einer bürgerlichen Inbesitznahme. Die Gruppen haben sich in den Häusern abgekapselt, sie unternehmen keine Anstrengung, die Gebäude zu vergesellschaften. Symptomatisch dafür ist die Namensgebung der Häuser, die allen Häusern etwas Unheimliches verleiht. Denn wer außer den Besetzern traut sich schon ins Sponti-Haus oder ins Simmeringer Haus? Der Bericht der Felicitas: ein viereinhalbseitiges Frauenflugi kursierte in der Arena. Die Arena war kein Ort der Überwindung des Patriarchats. Eines Tage hing an der Garderobe ein Zettel folgenden Inhalts: Wir Männer vom Männer-Aktionskomitee haben beschlossen, in der Arena ein Freudenhaus zum Nulltarif zu öffnen. Aus technischen Gründen halten wir das Frauenhaus dafür als am besten geeignet. Wir Frauen haben einen Gegenzettel verfasst, auf dem ca. folgendes stand: Wir sind uns völlig darüber im Klaren, dass ihr, um den Mut zu bekommen, eine Frau aufzureißen, euch vorher ziemlich ansaufen müsst. Seid ihr dann aber angesoffen, bekommt ihr ohnedies keinen Steifen mehr. Da wir euch das nicht antun wollen, sind wir also gegen ein Freudenhaus. Wir sind ja schließlich nicht männerfeindlich! Am Eingang zur großen Halle klebt ein anderer Zettel: Tausende kommen in die Arena mit mehr oder weniger bewussten Hoffnungen und Erwartungen, ein Stück Alternative zur «Welt draußen» zu erfahren. Aber viele irren durch die Arena wie sie durch die Mariahilferstraße irren, isoliert wie eh und je, Begegnungen finden keine statt, resigniert klammern sie sich wenigstens an die Gemeinschaft passiver Konsumenten statt, wenn zufällig grad ein Konzert statfindet. Die Arena als Republik der linken Künstler: Lutz Holzinger, Hermann Schmid, Lena Rothstein, Gunter Lämmert, Willi Resetarits, Gustav Deutsch, Dieter Schrage, Trixi Neundlinger, Marie-Therese Kerschbauner, Josef Haslinger, Padhi, Gerhard Jaschke, Franz Koglmann, Franz Kain, Goetz Fritsch, Peter Turrini, Heinz Unger, Michael Scharang, Axel Corti, Helmut Zenker, Joe Beger, Jutta Schwarz, Elfriede Jelinek, Gustav Ernst, Karl Wiesinger, Wilhelm Pevny, Elfriede Gesrtl, Otwald John, Gerhard Kofler, Artur West, Gerald Grassl, Heino Fischer, Werner Kofler, Werner Herbst, Reinhard Sellner, Michael Springer u.v.a. Sehr KP-lastig. Zwei Tendenzen der Rathauspolitik gegen die Arena: Integrations-Orientierung, die die Arenabewegung langfristig an die Wiener SPÖ koppeln will, die die Arena als Renommier-Projekt einer fortschrittlichen Gemeinde verkauft; zweitens gibt es die Aushungerungstaktik, mit der Hoffnung, einen starken Winter würden die BesetzerInnen nicht überleben.

DAS KLEINE GEHIRNGEFÜHLFLEISCH

Es ist zu hoffen, dass sich ein Verlag finden wird, der Phettbergs Online-Tagebuch veröffentlicht. «Ich hatte ja vorige Woche Freitag einen jungen Mann kennengelernt, der keine Socken anhatte, nur schöne, neckische Schuhe. Wer keine Socken anhat, der hat auch sicher keine Unterhosen an! Wenn du jeden Tag emsig Baudelaire lesen könntest, würdest du auch nie Socken oder Unterhosen tragen. Du würdest ermutigt, dem Geilen die Tür zu öffnen. Eine Eintragung vom 29.8. 2017. Hermes Phettberg scheint auch seine komplette Korrespondenz für alle sichtbar zu machen. Ich weiß nicht, ob seine BriefpartnerInnen immer wollen, dass ihre Mails der ganzen Welt zur Verfügung stehen. Zum Beispiel Christine. Wusste sie, dass auch ich jetzt ihr Mail lesen werde, das nicht an mich gerichtet worden war? «Lieber Hermes, vor ein paar Tagen haben sie im Fernsehen berichtet, dass Charles Aznavour mit seinen 92 Jahren im Herbst nach Wien kommt und ein Konzert geben wird ... ich konnte es kaum glauben. Ich habe ihn immer als grandiosen Liederschreiber verehrt – und mich geärgert, dass die meisten seiner herrlichen Lieder nur auf Französisch zu hören sind und nie auf Deutsch! Das Lied beginnt mit Je habite avec maman dans un tres vieux apartement, rue Sarazate: Ich wohne mit meiner Mutter in einem sehr alten Appartement – damit sie sich ausruhen kann, übernehme ich oft den Einkauf und die Küche (...), räume auf, wasche, und ... und manchmal nähe ich auf der Nähmaschine. Die Arbeit macht mir keine Probleme – ich bin Dekorateur, ein wenig Stylist, aber meine wahre Profession ist das Theater, die Travestie – ich bin Künstler. Ich habe da eine spezielle Nummer, die sehr gut ankommt, bei der ich am Ende komplett nackt auftrete – nach einem Striptease ... usw. usw. Aber die Tragödie seiner Einsamkeit, seiner unerfüllten großen Liebe, dem (’schön wie ein Gott’) er sein Geheimnis nie gestanden hat – weil er wusste, dass der Kerl jeden Nachtmittag bei Frauen im Bett lag – diese Tragödie hat keiner so gut beschrieben wie er. Ich verneige mich vor diesem Genie. Auch die Tragödie, wie die anderen Leute ihn und die anderen Transvestiten in seinem Stamm-Lokal nachäffen und sein Leid hüftwackelnd ins Lächerliche ziehen ... einfach großartig.» Bestens informiert wird man über das tägliche Futter. Am 27. August speiste Phettberg Gemüse in roter Currysauce vom «Le Pho», am 28. Schinkenfleckerl in Krenobers vom «Stemann», am 29. Jungschweinsbraten mit Serviettenknödel und Speckkraut vom «Stemann», am 30. Schollenfilet Müllnerinnen-Art vom Interspar Niederhofgasse, am 31. Kalbsreisfleisch vom Raddatz, am 1. September wieder Schollenfilet Müllnerin Art, am 2. September Puten-Pilzrahmpfanne vom Interspar Niederhofstraße, am 3. Rindfleischwürfel mit Paprika und Austern-Sauce vom «Le Pho». Was darf´s denn sein? Bringen Sie mir bitte einen Mohr ohne Hemd. Viele Werke der Gugginger Künstler sind Kombinationen aus Text und Bild. Ich probierte, was herauskommt (wie es klingt), wenn die Texte – oft nur einzelne Wörter – aus dem Bild herausgenommen und nach einer bestimmten Ordnung aufgestellt werden. Mirv standen dafür Werke von Johann Fischer, Johann Garber, Rudolf Horacek, Johann Korab, Karl Vondal und August Walla zur Verfügung. Wer bin ich? Wenn ich das wüsste, könnt ich sterben. / Das Schlangengehirnfleisch. Das Gehirnfleisch. Das Gehirnschlangenfleisch. Das kleine Gehirngefühlfleisch. Das Hirngefühlfleisch. Die Schlange im Gehirn. / Karl und Simone trafen sich in einen Gasthaus Karl zahlte 2 Wienerschnitzel 1 halbes Bier und ein Cocacola. In Hand in Hand beide sind in Karl in seiner Wohnung gegangen ins Schlafzimmer da gabs liebe und Sex! Und dann singen beide Schöner fremder Mann Du warst lieb zu mir / Ein Cäsar Nero findet sich eine 18 jährige Sonnengöttin und Nero 20 Jahr Und fahren am Meer nach Amerika. / Maria hat in Koffer 5 weißeBussenhalter in Koffer / Jetzt liegt er unten sie auf ihn drauf. Jetzt haben sie beide Greifgefühl / Weil es nützt Beim Selbstbefriedigunk machen Im Bett drinnnen liegen. Eines meiner Buchkonzepte, 2015: Titel «Täter und Täterumfeld». Einer Sammlung eigener Texte wollte ich folgende Inhaltsangebe voranstellen. Kap. 1 Kochen Sie gerne, Frau Gagarin? Kap. 2 Der unsoldatische Soldat Kap. 3 Die Lehre der Insel Kap. 4 Anspruchslose Weihnachtsansprache Kap. 5 DER See wird DIE See, wie DER Traum zu der Traun wird Kap. 6 Jährlich zwei Ochsen versaufen Kap. 7 Niemand braucht Pelargonien Kap. 8 Die Kunst des gemeinsamen Schweigens Kap. 9 Frauenrebellion im Philosophischen Kaffee Kap. 10 Verblüffend nichtironische Erwägungen Kap. 11 Himmelfreund-pointnerova Kap. 12 Wider die anarchistische Arroganz. Die Kreuze des Christentums kultivieren die Landschaft, in der sie stehen. Sie vermögen jeden Punkt in romantische Kraftorte zu verwandeln, an denen man gerne innehält und Bachblütenextrakte zu sich nimmt. Die Bierzelte werden die Moscheen der integrierten Muslime; sie werden den kommenden Tornados weniger standhalten können.

ACHTUNDZWANZIGTÄGIGER APPLAUS

Bin kein Kika. Ich bin ein Alleskleber und ein Landfriedensbrecher. Ich vergönne Ernst Bloch die Anti-Bloch-Konferenz, die 1965 von der SED als Tribunal gegen einen nicht Linientreuen organisiert wurde. Beneide ihn aber auch: hab so gut wie keine Chance, dass mir ein Tribunal verabreicht wird. Ich bin zu brav für diese Gesellschaft, der Radikalismus ist nur ein Patzen Eitelkeit. Der 34jährige schreibt sich im Jänner 1918 seine Enttäuschung vom Leib, nachdem die deutsche Sozialdemokratie die russische Revolution hinterging. Von Berlin «erwartete man sich Massenstreiks, Generalstreik und die prachtvoll organisierte Revolution» (in dieser Reihenfolge), aber was man für Berlin erwartete, geschah zu dieser Zeit in Petersburg, «und das Proletariat, das die politische Gewalt an sich riss, trat ausgerechnet in Russland in Erscheinung, wo es im Grunde noch kein Proletariat gibt (...) Und noch erstaunlicher: Als das alles von Petersburg aus geschehen war, folgten Berlin und das rote Königreich Sachsen und das übrige verhungerte, verzweifelte Deutschland nicht nach, sondern alles verharrte, selbst die österreichischen Genossen verratend und im Stiche lassend, in Maulprotesten und Hundetreue bis auf den heutigen Tag: Dasselbe Deutschland, das Karl Marx, Engels und Lasalle hervorgebracht hat, beherbergt seit dreieinhalb Jahren die verächtlichste Sozialdemokratie der Welt. Diese Einsicht relativiert die «Fehler» der bolschewistischen Führung in Hinsicht auf ihre Illusion, die russische Revo werde in eine Weltrevolution übergehen. Ich klebe Malerei-Kopien und Fotos von madegassischen und toskanischen Wäldern ins Pickbuch und interviewe mich selbst: Warum gerade diese? Ich spiele den durch meine Fragen leicht genervten Künstler und beantworte mir die wesentliche Frage: Weil ich meinen Adorno kenne und meinen Brecht. Ersterer sagte sinngemäß: Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ist, heute Gedichte zu schreiben. Ich hoffe, ich verstehe das richtig. Nicht nur die Verehrung der Deutschen Eiche ist entbehrlich, sondern auch die Idyllisierung der Idylle das Baobab-Baumes auf Madagaskar. Dass man nach Auschwitz nie mehr wieder die Deutsche Eiche besingen darf, ist als bekannt und selbstverständlich vorauszusetzen. Tiefste Skepsis gegenüber der ersten Nachkriegszeit der deutschen Literatur und ihrer Wald-Affinität war sehr angebracht, das sah nicht nur Adorno so. Brecht ging es eindeutig nicht um die Deutsche Eiche, sondern um die Naturromantik überhaupt, die er zu diesem Zeitpunkt für obszön in der Dichtung hielt. Was sind das für Zeiten, fragt Brecht, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließe. Und ich? Ich will nur mit dem Teutoburger Wald nichts am Hut haben (und mit Bäumen, die mit ihrem gottverdammten Samen alles verkleben, was unter und neben ihnen existiert). Ich erlaube mir das, weil ich Auschwitz 2 nicht mit Lyrik und Poesie zu bekämpfen verstehe. Und weil ich gewöhnlich nie über Bäume spreche (was mich aber nicht unschuldig macht, naturgemäß..). Ich gestehe, ich bin ein Peymann-Versteher. Er hat mich gelehrt, dass freies, schwach subventioniertes Theater konterrevolutionär sein kann und die Hochkultur revolutionär. Dass er aber für seine Produktionen am Berliner Ensemble, rund zehntausend Vorstellungen, 28 Tage, neun Stunden und 19 Minuten Applaus bekam, sagt überhaupt nichts aus. Eine biblische Szenerie: Syrische Flüchtlinge im reißenden Grenzfluss Mala Reka im kalten, regnerischen März 2016. Ihr Ziel ist Mazedonien, die dortige Armee steckt sie aber alle, durchnässt wie sie ankamen, in LKWs und karrt sie zurück nach Idomeni. Ich soll mir Überlegungen zum Monatsthema Religion machen, wünschen sich die KollegInnen vom Aktionsradius. Also wieder einmal googeln. «Je länger man ein Wort betrachtet, umso ferner schaut es zurück», entdeckte Karl Kraus. Aus der Distanz wird vielleicht begreifbar, was RELIGION bedeutet. Diese Idee mag eine praktizierende Jüdin, Christin, Muslimin, ein „streng praktizierender“ Religionsloser ablehnen: «Uns braucht niemand erklären, was RELIGION ist und was sie den Menschen gibt.» «Die einzigen Menschen, die das gesamte Bild sehen, sind jene, die aus dem Rahmen fallen» (Salman Rushdie). Aus dem Rahmen wie Holl: «Ich bin zur Auffassung gelangt, dass unser Begriff RELIGION ein eurozentrischer, kolonialistischer und militanter Begriff ist. Es gibt viele Weltsprachen, in denen es keine Formulierungen gibt für das, was wir mit einem zufälligen lateinischen Kultbegriff als RELIGION bezeichnen. Es wimmelt von Sprach-Kolonialismen. Wörter wie Weltreligionen oder Naturreligionen sind eurozentrisch. Herrensprache. Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun stellt die Frage, ob der „«Fundamentalismus» – ob islamischer, christlicher oder jüdischer Art – ein Ausdruck tiefer religiöser Bindungen oder – ganz im Gegenteil – ein Zeichen für den Verlust des Glaubens an die entsprechende Heilsbotschaft ist.

DIE TRAISEN, AUCH DRAASN UND DROASN GENANNT

Wie konnte es geschehen, dass die linken und revolutionären Parteien, die sich auf Marx beriefen und sich der revolutionären Tradition verpflichtet fühlten, der basisdemokratischen Idee und dem Rätesystem gegenüber sich genau so feindselig verhielten wie konservative und reaktionäre Rechte? Eine kluge Gegenfrage könnte lauten: Hat die Geschichte nicht gezeigt, dass die direkte Rätedemokratie nur einer revolutionären Umbruchsituation angemessen erscheint und nicht einer danach errichteten komplexen Gesellschaft? Beide Fragen müssen beantwortet werden. Wo immer wir in der Politik der Partei Lenins den hellen Wahnsinn entdecken, müssen wir westliche Weltverbesserer eine Teilschuld in der Strategie unserer eigenen Arbeiter-«Avantgarden» suchen. Die Frage, die wir zu beantworten haben: Warum verleitete die Partei des Roten Wien, die Partei Victor und Friedrich Adlers, ihre Anhängerschaft dazu, die Waffen nicht wegzuwerfen, sondern sie gegen die russischen Klassengenossen einzusetzen? Vielleicht hätten viele Rotarmisten gerne lieber eine coole Revo, die der Luxemburg gefallen hätte, abgezogen. Aber wie geht das vom Schützengraben aus, in dessen erbärmlichen Suhle sie den bewaffneten Horden steirischer Bauern und Floridsdorfer Hackler entgegentreten mussten, denen von ihren Führern eingeredet worden war, Moskau müsse niederbrennen, damit daheim nicht eines Tages die Russen in die Weihwasserbecken urinieren. Suzie Wong erzählt von einer österreichischen Musiklehrerin, die zwei Faibles hat. Erstens liebt sie Nordkorea, zweitens die Mundharmonika. Deswegen bietet sie nordkoreanischen StudentInnen – die aber dafür nach Wien reisen müssen – eine gediegene Mundharmonika-Ausbildung an. Sie ist fest davon überzeugt, dass alles gelogen ist, was in den Medien über Kims Schreckensregime zu lesen ist. Ich muss diese Frau unbedingt für den Augustin interviewen. Vorgestern Paris. Gestern Istanbul. Heute Izmir und Montevideo. Morgen Teheran. Übermorgen Santiago de Chile und Hongkong. Die freiesten Städte der Welt. 2016 sind 16.000 Menschen von Istanbul nach Izmir übersiedelt. Die kritische Masse nennt sich dort «Fahrradtour der fantasievollen Frauen». Die Bikerinnen richten sich dafür so her, wie sich keine junge Frau aus streng muslimischem Hause bekleiden dürfte. Vom Sowjetpatriotismus, falls überhaupt jemals so etwas auf die Welt gekommen ist, blieben nur die Lieder über. Oder die frühen Gedichte des ostdeutschen Intellektuellen Heiner Müller: DIE FLUSSLÄUFE LENKT UND GEWANDET / DIE BERGE VERSETZT UND DURCHBRICHT / UND FREI AUF DEM NORDPOLE LANDET / DER SOWJETMENSCH EINSAM UND SCHLICHT / SOWJETISCHE GEIGEN ERRINGEN / DEN HÖCHSTEN DEN WÜRDIGSTEN PREIS / SOWJETISCHE MÄDCHEN BEZWINGEN/ DIE STÜRME DEN NEBEL DAS EIS / AMERIKA NEU ZU ENTDECKEN / SCHEUT ARKTISCHE WINTER ER NICHT / ER FLIEGT ÜBERN POL OHNE SCHRECKEN / DER SOWJETMENSCH SACHLICH UND SCHLICHT. Die Traisen, in Wilhelmsburg und St. Pölten auch DRAASN genannt, in ihrem Oberlauf auch DROASN oder TROASSING, entspringt im südlichen Bereich der HYSTERISCHEN ALPEN (Achtung! Die Freytag-Berndt-Wanderkarte verwechselt hier die DROASN mit dem AKAZIENBACH). Die Ur-Quelle der TROASN findet in der Regel nur, wer Quellen riecht. Nördlich der DROASN-Quelle (im lokalen Dialekt auch DROASNSCHBRUL genannt, am Nordabhang des Bosskegels der HYSTERISCHEN ALPEN, entspringt negativmajestätisch der AKAZIENBACH, der einzige Zufluss zum UNTEREN MANNSCHAMSEE. Wenn er aallos das HYSTERIEVIERTEL verlässt, ist er immer noch Bach. Flussabwärts bewahrt er lange Zeit die Bachkriterien und wird erst im Unterlauf zum Fluss mit seinen Flusskriterien. Aallosigkeit haftet weiter an ihm. In der frömmelnden Stadt AMOKSAUFLING frömmelt die Anarchistenrunde in die Gegenrichtung, es ist die richtige. In AMOKSAUFLING glaubt die eine Hälfte der Zuvielbevölkerung an den Schöpfer, während die andere Hälfte an die Blumenerde denkt, die als eine Herde Hanf auferstehen wirdIn AMOKSAUFLING nimmt der AKAZIENBACH die DROASN auf, ohne sich sichtbar zu ändern. Ab BALLHAUSKLOTZ staut sich der Fluss, der mittlerweile einer ist, zum See, der sehr beliebt ist unter Zielgruppen. Diese konzentrieren ihre Ankommenseinheiten auf den beliebten See-Ende-Ort WEGSCHMANKSTETTEN, wo mehr endet als der See, der heute wieder wie ins Hirn geschissen riecht. Mancher aus diesem Ort wollte in den Lauf der Geschichte eingreifen, diese Narren in Engels. Die Geschichte war immer zu weit entfernt. Einer brachte es zum Weltmeister im Bremsenerschlagen. In WEGSCHMANKSTETTEN betreibt der ehemalige Fußballer des Ösi-Wunderteams, Arnautovic, eine Dieseldankstelle. Die Zivilgesellschaft bedankt sich minderbegabt für den Billigtreibstoff.

DER TOTE, WEITER LEBEND AUF DÜNNERE WEISE

Ein von niemandem erwartetes und von niemandem bestelltes Buch über Dieter Schrage zu schreiben, heißt, in eine paradiesische Zeitwelt einzutreten, die die Idee des Redaktionsschlusses nicht kennt. Die JournalistInnen unter ihnen wissen garantiert, dass fixierte Redaktionsschlüsse einer Isolationshaft gleichkommen, also eigentlich menschenrechtswidrig sind (aus meiner Rede zur Buchpräsentation im Volkskundemuseum). Auf der Titelsuche für das Buch über Dieter Schrage ergab sich folgender Wortabfall: EIN FIDELER ANARCHIST / EIN DELIKATER ANARCHIST / WIR WOLLEN DIE GANZE TORTE. Dieter Schrages eigenhändiger Anarchismus / DECHANTLACKENANARCHIE. Dieter Schrage und der Wiener Weg des Ungehorsams / BÖSER ZEITEN GUTE LAUNE. Dieter Schrage und die Leichtigkeit des Anarchismus / DER DOZENT, DER IMMER BRENNT.Herrschaftsfreises Leben – Dieter Schrages konkrete Utopie / IM MODUS DES LANGEN ATEMS. / Dieter Schrages gesammelte Jugendsünden & Altersweisheiten / GRATWANDERWEGE. Ein hässliches Wort, ohne Zweifel: «Handlungsfähigkeit». Und doch ist es eines der Wörter, die ich am öftesten verwende, wenn es um Theorie und Praxis geht; leicht flutscht es mir durch die Lippen, denn bei politischen Debatten scheint mir folgende Rolle als die mir höchst angemessene zu sein: das Verhältnis von Theorie und Praxis zu thematisieren, die Praxistauglichkeit von Theorien zu erkunden. Jede Idee, die in solchen Debatten das Licht der Welt erblickt, wird von mir darauf untersucht, ob sie unser Handeln befördere oder im Gegenteil unsere Handlungsunfähigkeit verstärke. An die »Handlungsfähigkeit» gemahnte ich auch, als ich in unserem Kulturcafé die Diskussion mit Marianne Gronemeyer moderierte. Es ging um den Konsumismus, und ich bat die ZuhörerInnen, Beispiele angewandter Konsumismuskritik zu bringen, best practices der Konsumkritik hervorzuheben, um das Voranschreiten von der Analyse zum Handeln zu begünstigen. «Vielleicht ist es besser, nicht zu handeln», brach Marianne Gronemeyer meine Mission abrupt ab. In überlegener Rhetorik trug sie eine Hommage an das Unterlassen vor – und ich saß da, umklammerte zitternd mein Mikro, fühlte mich wie ein bei der (Sisyphos-)Arbeit der Weltverbesserung ertappter Weltverbesserer und nahm die Pose der selbstironischen Defensive ein. «Das Unterlassen ist natürlich eine bestechende Strategie», sagte ich, was aber gelogen war, denn spontan konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie man durch Nichthandeln handeln könne; «das Unterlassen, das ist die radikale Alternative, aber kompliziert zu realisieren, denn wenn wir es unterlassen hätten, Ihren Wiener Auftritt zu organisieren, wo könnten Sie das Unterlassen propagieren?» Die Gronemeyer wird sich gedacht haben: Das soll der berühmte Wiener Schmäh sein? Da hab ich mir was anderes erwartet! Canetti über die Toten. Es ist zu wenig daran gedacht worden, was vom Toten wirklich lebendig bleibt, zerstreut in den anderen; und es ist keine Methode erdacht worden, diese zerstreuten Reste zu nähren und solange als möglich am Leben zu erhalten. Die Freunde eines toten Mannes kommen an bestimmten Tagen zusammen und sprechen nur über ihn. Sie machen ihn noch mehr tot, wenn sie nur Gutes über ihn sagen. Sie sollten lieber für oder gegen ihn Partei nehmen, geheime Streiche von ihm berichten; solange es noch Überraschendes über ihn zu sagen gibt, verändert er sich und ist nicht tot. Die Pietät, die ihn auf einem bestimmten Stand zu konservieren sucht, ist gar nicht freundschaftlich. Sie entspringt der Angst und will ihn nur irgendwo harmlos halten, wie im Sarg und in der Erde. Damit der Tote, auf seine dünnere Weise, weiterlebt, muss man ihm Bewegung gönnen. Er soll zornig sein, wie früher, und im Zorn ein unerwartetes Schimpfwort gebrauchen, das nur dem bekannt war, der es berichtet. Er soll zärtlich werden; die ihn streng und erbarmungslos kannten, sollen plötzlich erleben, wie er lieben konnte. Beinahe wünscht man sich, jeder der Freunde hätte seine Rolle des Toten darzustellen, und aus allen zusammen wäre er dann da. Ende 1995, Wiener Landesversammlung der Grünen. Es galt, die KandidatInnen für die kommenden Gemeinderatswahlen aufzustellen. Dieter Schrage, nicht recht im Einklang mit der traditionellen Parlamentsverachtung des Anarchismus – stellt sich der Wahl und unterliegt in einer Stichwahl einem grünen Polizisten, der die Illusion verbreitet, die Exekutive sei im Grunde neutral und nicht irreversibel, wie die Linken meinten, eine Agentur der Sicherung bestehender Besitzverhältnisse. In seinem Buche, dessen Titel sogar in der Kürzelform zu breit ist (W.I.E.Ü.D.S.S.W.U.D.V.R.I.D.T.K.), gesteht Schrage ein starkes Gefühl der Enttäuschung: «Ich mache kein Hehl daraus, dass mich die Tatsache, bei einer Stichwahl gegen einen Newcomer, der partout als Exponent der Polizei, einer ‚grünen Polizei’ auftrat, eine Niederlage erfahren zu haben, irgendwie schwer getroffen hat.»

NICHT JEDES GANZE HAT VIER VIERTEL

BRENNHAAS. SAUKOID. BICKSIASS. SINDDAIA. WASCHLNOS. DRAMHABBAD. AUFBLALD. OWA SUNSD ARECHDABRAVA MAU. Ich kenne ein aus vier Staaten – darunter Österreich – gebildetes Dreiländereck. Ein anderer Staat hat im Sommer 2017 in Hamburg 31.000 Polizisten zur Disziplinierung der G20-GipfelgegnerInnen zusammengezogen. Etwa einen Polizisten für je drei KapitalismuskritikerInnen. Modernste Unterwerfungstechnologie ist angewendet worden, die Zahlen stammen aus einer K.H. Dellwo-Rede. Aufgefahren sind 43 Wasserwerfer (einer kostete 1 Million Euro), Räumfahrzeuge, weit über 3000 Einsatzfahrzeuge, gepanzert und nicht gepanzert, 19 Hubschrauber, von denen mindestens drei ständig in der Luft waren. Dazu flächendeckendes Scannen der Stadtteile mit Infrarot-Kameras, Drohneneinsatz, neugebaute Gefangenensammelstelle, ausreichend Schnellrichter für die Gefangenen. Große Teile der Stadt wurden der Öffentlichkeit entzogen. Anfahrende Züge wurden bereits im 1000 km entfernten Basel angehalten. Dellwo findet, ein kleiner Vergleich sei angebracht: Alle westlichen Staaten zusammen setzten 2016 ca. 13.000 Soldaten ein, um die Rückkehr der Taliban an die Macht zu verhindern. Der Riot des Hamburger Sommers ist zu verteidigen, denn er enthält das unverzichtbare Moment des Nichtverhandelbaren. Weil das Notstandsmanagement, das unbefristet managen will, brennende Autos im Umkreis der Kamerastandplätze der Medien braucht, sind immer verkleidete Bullen zur Stelle, die die Autos fachgerecht abfackeln. Sie achten dabei, eher die Autos der Ärmeren anzugreifen, damit sie dem Schwarzen Block auch noch soziale Blindheit vorwerfen können. adolf flieht auf leisen sohlen / vor dem stab der weisen weiber / frost frisst sich in schneekanonen / zwetajewa du lebst du lebst / trauerzeit kennt keine sperrstund / nattern flattern in den fasching / und faschisten schrein: siesta! / auf der treppe von odessa / tanzen massig pingpongbälle / nonnen schlürfen cuba libre / und verfluchen hodenhaarwuchs / arbeitslose wasserwerfer / spenden konki pur-reserven / ret marut verteilt die schlüssel / für die kellersubkulturen / wo niemand tickt wie schweizer uhren. Es ist an der Zeit, an ein paar verdrängte Manifeste radikaler Analyse gesellschaftlicher Kontrollmechanismen zu erinnern, etwa an David Coopers Tod der Familie oder Ronalds D. Laings Das geteilte Selbst. Dialog zweier Betrunkener in einem Favoritner Tschocherl, nennen wir sie Franz und Hans. Das Thema ist eine Frage der Bildung: in welche kleinere Einheiten gliedert man die österreichischen Bundesländer. Franz erklärt: es gibt nur zwei Länder, die aus Vierteln bestehen, das ist OÖ und NÖ. In Tirol beispielsweise kennen sie keine Vierteln. Dort kennen sie nur Krügeln, meldet sich ein dritter von abseits zu Wort. franz übergeht diese Intervention. In Tirol gibt´s stattdessen Bezirke, fährt er mit der Belehrung fort. Gemeinsam zählen sie die Vierteln NÖ´s auf. Waldviertel, Weinviertel, Industrieviertel. Nach einer gemeinsamen Pause fällt einem von ihnen, weiß nicht mehr, wem, auch noch das Mostviertel ein. Und OÖ hat das Mühlviertel, sagt Hans. Und das Innviertel und das Hausruckviertel, ergänzt Franz. Das vierte Viertel fällt beiden ums Verrecken nicht ein. Vielleicht hat OÖ gar nicht vier Viertel, meint Hans. Achterl auch, lallt der Abseitige. Was bist für ein Vollkoffer, bekommt Hans zu hören. Drei Viertel, das ist kein Ganzes. Viertel heißt immer: es gibt vier, betont Franz. Das ist doch völlig logisch. Das muss dir doch einleuchten, du Wappler. Vielleicht gibts Ausnahmen, sagt Hans. Vielleicht besteht OÖ aus drei Vierteln. Warum soll ein Land nicht auch aus drei Vierteln bestehen können. Ein Stadtviertel ist ja auch keine arithmetische Kategorie. Lissabon, Berlin und Wien bestehen aus mehr als vier Vierteln. Außerdem: das kollektive Bewusstsein der Menschen erst macht aus einem Viertel ein Viertel. Ein Viertel weiß bitte, höre ich Franz bei meinem Abgang sagen. Alle Wege führten zum sechsten Internationalen Traktorrennen in St. Kanzian; bloß sind sie alle verstopft. Wie die 70.000 (andere Quelle: 15.000) zum Traktorrennen kommen, ist eine logistische Fragestellung, die der Quadratur des Kreises gleicht. Niemand sage, der Straßenbaulobby fehle die Poesie: Erste Ausfahrt Pogerschitzen, Ladratschen, Hum. Zweite Ausfahrt: Goritschach, Jerischach, Tschepitschach, Gurtschitschach. Dritte Ausfahrt: Kanaren, Selesen, Potschula und Klopeiner See Südseite. Solche Kreisverkehre sind keine Leitsysteme, sondern naive Modelle des Sonnensystems. Der rasende Totblaue hupt und hupt und hupt und wird an dem gehindert, zu dem er einzig geboren ist: möglichst schnell von Null auf Tempo 180 kommen. Sorry, Fascho, meinem Leihauto sind die letzten Stutenstärken abhanden gekommen, und weit und breit kein Gestüt zum Auftanken.

DIE PULSADER RINNT INS BIERGLAS I

Die Liebe reinigt, schont, nährt, hütet, durchsiebt, schlichtet, sublimiert, färbt, erneuert, keltert die Sprache. aa bei so kloana socha / wie mein heazz.schridd.mocha / is d´schweagroffd imma do / wuaschd obs an ziakusfkoh / oda aa mei hoaschamboo / oda fiazehn kilo schmoez / oda dausnd kilo soez / einizahd in d´ead / wiasase so ghead. Selbst die Havarie der Jalousie wird zur Poesie: de fernbedienung is a hund / hob an foischn knopf druckt – und / nua mehr die hälfte vom balkon / ist gut beschützet vor der sonn / die andre hälft geht auf und ab / ist sie obn, druck ich: hinab / ist sie unt druck ich: hinauf / inks is ka fehler zu entdeckn / doch rechts herrscht stille zum verreckn / du hast es einmal schon geschafft / hast mit genialer geisteskraft / die fernbedienung programmiert / dass links wie rechts sie funktioniert / a einheit woa der vurhang wieda / links wie rechts ein auf-und-nieder / bei mir hilft keine pädagogik / wo knöpf san fehlt mir jede logik. Ein afrikanischer Augustinverkäufer hat unglaublich rasch Gefallen am Wiener Dialekt gefunden. Diese Vorliebe zeigt er mit einem herzhaften «Wie geht’s da, Gschissener?» beim Betreten des Augustin-Vertriebs. Angesprochen kann sich jeder Anwesende fühlen, aber auch jede Anwesende, denn das «Gschissener» bezieht sich auch auf Frauen. Der Raum bricht in allgemeines Gelächter aus. Riki berichtet der Redaktion von dieser sprachlichen Kompetenz eines afrikanischen Asylwerbers. In der Redaktion bricht ein Streit aus, ob dies als Signal für gelungene Integration (plus) oder für Assimilierung (minus) zu verstehen sei. Riki ärgert sich: Ein Augustinverkäufer macht den Arbeitsalltag der Sozialarbeitscrew spannender als hundert Journalisten. Die Norm ist, dass den Menschen das Singen in der Öffentlichkeit peinlich ist. Sie glauben, sie exponierten sich, wenn sie singen. Sie halten das Singen für ein größeres Wagnis, als es eigentlich ist, aber ein kleines Wagnis ist es schon – insofern haben sie ein bisschen recht. Einer der Gründe ist, dass in den Familien nichts mehr gesungen wird. Die Eltern singen ihren Kindern nichts mehr vor. Riki verhält sich in dieser Angelegenheit völlig normwidrig. Sie ist Mitglied eines normverachtenden privaten Gesangsvereins namens Lokomotive 293, der unangekündigt in Wiener Gasthäusern «Griechischer Wein» und russische Revolutionslieder singt und schaut, wie Wirten und Gäste in der Welthauptstadt der Musik damit umgehen. Und jetzt die Titelstory: Riki schneidet sich die Pulsader auf. Rikis privater Gesangsverein «Lokomotive 293» geht mit dem alten Liedgut respektlos um. Es gibt keine liebevollere Art, den traditionellen Liedern Respekt zu bezeugen, als mit diesen Liedern Schabernak zu betreiben. Wenn in einem Lied das Wort «Blut» vorkommt, und es kommt bekanntlich in vielen Liedern vieler Länder vor, vollführen die Sänger_innen die dramatisch-aggressive Geste des Pulsadernaufschneidens. Dann schütteln sie das imaginäre Blut ins Bierglas. Die wichtigsten Gewässer des Körpers, Blut und Bier, vermengen sich symbolisch. Diese Performance elektrifizierte kein Publikum, da der Gesangsverein, so wollten es die Wirten, nicht in der Gaststube auftritt, sondern in entlegenen Extrazimmern dahinvegetiert. Riki hat aus Gschead-Asien aber viel Folklore nach Wien gebracht. Zum Beispiel die Sprache Gschead-Asiens. Angeblich ist das erste Wort, das die Kinder dort sprechen: Mauedl. Das heißt weder Mama noch Milch, sondern Mond. Neben Mauedl ist den Gschead-Asiaten aber auch das verbreitetere Wort Mond geläufig. Riki sagt, dass der Mond nicht immer als Mauedl bezeichnet wird, sondern ein bestimmter Zustand des Mondes. Welcher? Das hat sie vergessen. Einer ihrer Brüder ist so gescheit, dass er Bücher schreiben musste, um sich von belastenden Ideen zu befreien, und ihm ist zu glauben, wenn er sagt: Mauedl ist der konkrete Mond in seiner Erhöhung. Aum Hüme schded da Mauedl. De Sun is unbekaundd. De Suddn von Gscheadasien san voi in deitscher Haund. Da Zaun is scho eleggdrisch, de Autos scho japanisch. D´Zigreddn-automaten duach de Baunk mechanisch. Da Schdrom im Zaun gschbiad heidd de Voimondnochd. De deitsche Haund is obghockt, da Mauedl hot glochd. Die Frau hod rode Hoa griagd und daun a rode Sö. Schdaad is in da Suddn. De Hockn liegt im Schnee. Die Frau hod rode Hoa griagd und daun a rode Sö. Schdaad is in da Suddn. De Hockn liegt im Schnee. Riki hat keinen Respekt vor Autoritäten. Der Frontman von Seven Sioux? Autorität soll der sein? Oder etwa ein Bulle. Autorität? Ihr Vater war Gendarm, wie soll sie da eine Achtung vor der Unsicherheitsbehörde haben? Der genialste der Akkordeonisten, Walther Soyka? Eine Autorität? Die Blutjungen Verführer. Ein Trio fortgeschrittenen Alters. Soyka ist der Instrumentalist der Band. Eine Probe. Wie immer, kommt Soyka zu spät. Diesmal cirka eineinhalb Stunden. Mich nervt das, sagt Riki. Schaut ihm scharf ins Aug. Mich nervt, dass ich in der Wartezeit nichts anderes tun kann, als auf den Sir zu warten.

DIE PULSADER RINNT INS BIERGLAS II

Anleitung zum Lesen dieser Kapitel. Ich will Sätze schreiben wie: Wir sind Geburtslinke ohne Parteilokal. Oder: Wir sind wie von russischen Straßenlampen angezogene Schmetterlinge. Doch mich bremst eine plötzliche Ahnung ein, ich hätte das bereits auf vorderen Seiten geschrieben. Bei meiner hektischen Arbeitsweise ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Du das eine oder andere schon aus den vorderen Seiten kennst. Rein oberflächlich handelt es sich um Dubletten. Dein Deutschlehrer hat dir sicherlich eingetrichtert, beim Schreiben nicht redundant zu sein. In meinen Texten herrscht nur scheinbar Redundanz. Die vermeintlichen Wiederholungen stehen jeweils in anderen Zusammenhängen, und es sind nie identische Aussagen. Falls vermeintliche Dubletten vom Leser, von der Leserin wahrgenommen werden, wird es sie amüsieren, sie zu vergleichen und die Nichtübereinstimmungen zu analysieren und zu deuten. Wer entdeckt, dass eine Idee, eine Situation, eine Erzählung, ein Zitat usw. gleich dreimal in dieser Sammlung vorkommt, sollte nicht die alzheimerische Vergesslichkeit des Autors ins Treffen führen. Wer eine Triplette entdeckt, sollte den Fokus auf die existierenden, vielsagenden Unterschiede des angeblich Gleichen richten. Dass sich der Autor bei den EntdeckerInnen von Tripletten erkenntlich zeigen wird, ist anstandsgemäß. In der Natur liebt Riki nichts so sehr wie die Ameisenhaufen. Sie müssen bloß in Betrieb sein. Nur dann hat es Sinn, mit der flachen Hand auf den Haufen zu klopfen. Kein Ameisenhaufen entlang ihrer Wandewege ist von ihren Watschen verschont. Dann saugt sie nasevoll die Ameisensäure ein, die die zu Tode erschrockenen Ameisen massenhaft auf ihre Handfläche spritzen. Das ist bestens für die Lunge, sagt Riki. Deswegen macht es ihrer Lunge nichts aus, wenn sie mit zwei Packerl Roten Goloirs pro Halbtag versorgt wird. Auf dem Stadtturm von Judenburg mit Herrn Lorenz, dem Enkel des letzten Judenburger Turmwächters. Das Geländer der Turmgalerie ist leicht überwindbar, die Fallhöhe ist garantiert tödlich. Ob es hier nicht andauernd zu depressiven Sprüngen in die Tiefe komme, will Riki naturgemäß wissen. Nein, der Turm ist verschont von solcherlei missbräuchlichen Verwendung, sagt unser Guide. Die letzten beiden Turmnotsprünge oder Notturmsprünge registrierte die Stadt im Jahre 1930. Riki traut dem Frieden nicht. Aber wenn die Krise richtig ausbricht, sagt sie, wird der Turm für die Verzweifelten interessant. Herr Lorenz widerspricht: Seit Anbeginn aller Zeiten steht den Lebensmüden bei uns die reißende Mur zur Verfügung. Neujahrsgstanzln aus der dalmatinischen Hafenstadt Hvar, vom 31. Dezember 1008: Der Pfarrer vom Purkinkuk / hot si zum Scheissn duat hinghukt /wo die Riki schon hukt / und des Wiaschtl ausdrukt. Der Pfarrer von Borovaz / sogt: Riki, du geiler Spotz / Und weu s´grod ausschaut wiara Drochn / kaun s´ net aufhörn zum Lochn. Ich reiße Riki die Neue Zürcher Zeitung, kurz NZZ, aus der Hand, weil mir eine sensationelle Schlagzeile im Sportteil auffällt, die doch wohl kein unter uns lebender Redakteur hätte erfinden können, auch ich nicht, dem bereits derart stimmige Titel gelangen, dass die LeserInnen den dazugehörigen Artikel gar nicht lasen, weil sie schon meine raffinierte Überschrift in Trance versetzte. Die Schlagzeile lautete: MESSI VERSTREUTE DIE KNOCHEN DES VERTEIDIGERS WIE SAATGUT. So schön könnte Fußballmoderationsdeutsch sein. Eine andere Gattung von Schönheit wird Minimalismus genannt. Ein ganzes Lied lang singen die Attwenger nur diesen scheinbar verzweifelten Satz: Einfamilienhaus – i hoit di ned aus! Der Satz, vier Minuten lang immer wiederholt, klingt am Ende wie ein Aufruf zur Revolte gegen die Familie. Ich wollte Riki schon fragen, ob ich ihr die entsprechende CD ins Grab werfen soll, falls ich sie, was sehr unwahrscheinlich ist, überlebe. Da kam sie mir zuvor mit der Beschwerde, bei nüchternem Magen nerve sie der Song, und außerdem liebe sie die Familie mehr als die Revolte gegen sie. Ich ersuchte sie, mir eine Liste von Dingen aufzuschreiben, die ich ihr weder ins Grab werfen noch zum Geburtstag schenken darf. Ein Buch, Schmuck jeder Art, ein Schal, Haushaltsgeräte, ein Modellauto für die Sammlung, eine Flasche Bier. Aber recht viel mehr als Bücher, Schmuck, Schale, Haushaltsgeräte, Modellautos und Biere gibt´s ja nicht auf dieser Welt, wende ich ein. Was mich betrifft, ich wünsche mir ein Reimwörterbuch. Denn meine Reimseite im Netz sagt mir, dass sich Parteilokal mit Lokal reimen lässt. Auch die anderen Vorschläge sind nicht berauschend: Anschauungsmaterial Hupsignal Schattental Admiral General Bewachungspersonal Drangsal tausendmal Eigenkapital Hochzeitssaal Kampfmotal Hospital Pinzipal und Wuppertal.

FUCK THE COLA FUCK THE PIZZA I

Dietrich Kittner, der linke Kabarettist aus Hannover, pafft wie 17 Dampflokomotiven. Sie müssen raus aus den Rheuma-Löchern; wenn Sie nicht im Rollstuhl landen wollen, wandern Sie in wärmere Gefilde aus! Kittner beherzigt den Rat seines Arztes. Die Folge: Radkersburgs dörfliche Umgebung hat neben dem Pavelhaus in Laafeld, dem kulturellen Zentrum der slowenischen Minderheit der Steiermark, einen zweiten kulturellen Kraftort. Es ist das so genannte Hollerhaus in Dedenitz, wo Kittner mit seiner Frau bis zu seinem Tod lebt. Er pafft wie 20 Vulkane und wird fast 80. Er stirbt 2013. Das Hollerhaus ist jetzt Sitz der Kittner-Stiftung zur Förderung des linken Kabaretts, Leiter ist Ex-KPÖ-Stadtrat Ernest Kaltenegger. Es beherbergt drei wunderbare Ferienwohnungen, von den Kittners mit Stil eingerichtet und mit Devotionalien aus der Szene 68 / DKP / Friedensbewegung überfrachtet. Im ehemaligen Wohnzimmer der Familie Kittner bemerke ich ein Plakat mit dem mir vertrauten Spruch: Fuck the cola / fuck the pizza / all we need / is shlivovitza. Ich fotografierte die Parole in identischem Wortlaut auf einer Hauswand in Korcula, hielt sie für eine singuläre Botschaft eines dalmatinischen Linksradikalen. Übrigens, mein Freund Richard Schuberth meint, es sei eher die Parole kroatischer oder serbischer Nationalisten als ein linker Spontispruch. Ich stehe zu dem Spruch ungebrochen und Kittner liebte ihn offensichtlich auch. Im Hollerhaus komme ich drauf, dass das kürzeste Märchen der Welt, es ist unter Linken sehr verbreitet, aus Kittners Kabarettistenschädel kommt: «Es war einmal ein Mann / der hatte es allein / durch seiner Hände redliche Arbeit / in unserer Leistungsgesellschaf / zu großem Reichtum gebracht // Und morgen, liebe Kinder / erzähle ich euch / ein anderes Märchen.» Zwar ist Kritik am Neoliberalismus inzwischen Mainstream in der neuen deutschen Kabarettszene, aber Dietrich Kittners leidenschaftlich bis pathetisch parteipolitisches Engagement für die DKP galt dann doch als inkompatibel mit einer TV-Wirklichkeit, die den Rahmen einer Spaßgesellschaft nicht verletzen durfte. Ein Schicksal, das er mit den beiden bekanntesten Musikkommunisten Österreichs teilt: mit Sigi Maron und Stefan Weber. Martina hat La Biennale di Venezia besucht und schwärmt vom Neuseeland-Pavillon. Hier ist die Filmanimation «In Pursuit of Venus» zu sehen. Das Projekt von Lisa Reihana besticht durch eine ganz außergewöhnliche Machart und Ästhetik, inhaltlich geht es um die historische Begegnung zwischen Maoris und Weißen. Weil die Linke langfristig nicht verschwindet (was hervorragend ist), bleibt uns auch der linke Terror – Prototypen: Paris 1793, Moskau 1937 – erhalten (was peinlich ist). Nach der Niederlage Nazideutschlands ließen so genannte Revolutions- und Volksgerichte ohne traditionell-juristische Legitimation über 10.000 Todesurteile vollstrecken; offizielle Gerichte verhängten über mehr als 120.000 FranzösInnen Strafen wegen Kollaboration. Dabei kollaborierte fast das ganze Volk, jedenfalls die gesamte Beamtenschaft und die gesamte Wirtschaft; die Proletarier erwiesen sich auch nicht gerade als antifaschistisches Bollwerk. Und die Intellektuellen? Simone de Beauvoir durfte unter deutscher Besatzung ihr «Sie kam und blieb» veröffentlichen, Camus sein Buch «Die Fremden», auch Genet wurde von der Zensur nicht schikaniert. Picasso, Widerstands-Ikone der KPF, empfing in seinem Pariser Atelier hohe Nazi-Offiziere. Weithin vorgegaukelte Normalität während der deutschen Okkupation in Frankreich, laut Jürg Altweg in «Die Republik des Geistes», Piper Verlag, ist das kulturelle Leben in Paris reger als je zuvor; gleichzeitig verlassen regelmäßig dunkle Züge die Hauptstadt der Lüge. Destination: Auschwitz. Außergewöhnlich auf der Widerstandsseite die Massenwirksamkeit der Lyrik, die Präsenz der poetischen Guerilla. Paul Eluards Gedicht «Liberation» wurde vom Flugzeug abgeworfen, auch die Lyrik Aragons war Waffe der Resistance. Schon lange nicht mehr gefordert, schon lange nicht mehr geschrien, schon lange nicht mehr gehört, schon lange nicht mehr gelesen, schon lange nicht mehr reflektiert: EXPROPRIATION DER EXPROPRIATEURE. Malte Bremer. Auszug aus dem Buch vom Pfarrer Menzel. War Pfarrer Menzel freundlicher Grundstimmung und gewann diese die Oberhand, dann konnte es schon geschehen, dass Pfarrer Menzel mit sich spielte, was ihm viel Freude machte. Nördlich des Bodensees spricht man folgende Sprache: Ommohl binni zu ämm Moh ganga / Spähder binni nommohl nohgangä / Unn dann hadd där uff oimohl xakt / dass e nemme kommä soll / nn dann binni niemeeh nohgangä. Es gibt Leute, die wollen, dass die Vergangenheit sich wiederholt. Das erreichen sie am besten, wenn sie dafür sorgen, dass wir uns nicht an sie erinnern.

FUCK THE COLA FUCK THE PIZZA II

In nichts, was sich literarisch auswerten ließe, bin ich Spezialist, es sei denn, dieser fehlende Fokus ist eine besondere literarischer Kompetenz. Man soll die Menschen nehmen, wie sie sind. Und mich, wie ich bin. Nicholas Shakespeare, englischer Romanautor, ist dagegen wahrer Spezialist. Er ist der angelnde Schriftsteller. Könnten die folgenden Zeilen von einem Schreiberling sein, der in seinem Leben nie geangelt hat? « ... mit dreißig Jahren habe ich mich ins Angeln verliebt. An einem Nachmittag im September drückte mir mein Schulfreund Nick Robinson in Schottland eine Angel in die Hand und ging mit mir zu einem Schleusentor bei Golspie. Lachsforellen meinen es manchmal gut mit Anfängern. Schon beim dritten Wurf biss eine an. Der Zug an der Schnur war fest wie ein Handschlag und erinnerte mich an jene mir liebste Sage meiner Kindheit, in der sich eine Hand aus dem Flussbett reckt, um ein Schwert zu fangen.» Ein schriftstellender Angler-Spezialist kennt sebstredend nicht nur das Angeln, sondern auch den Mythos des Angelns. Seine liebste piskatorische Geschichte, so Shakespeare, handelt von einem chinesischen Weisen. Der saß sein Leben lang an einem Fluss, hielt eine hakenlose Angel ins Wasser und fing naturgemäß nichts. Die Kunde von dieser eigenartigen Angelegenheit verbreitete sich im Reich, bis sie auch der Kaiser zu hören kriegte. Der besuchte den seltsamen Weisen. Verzeih, sprach der Kaiser, darf ich Dich was fragen? Was um Gottes Willen willst du mit dieser Methode fangen? Der alte Mann drehte sich zum Kaiser um und sagte: DICH.» Nicht immer sind es die alten, fernöstlich weisen Männer, um die solche tradierten Legenden kreisen. Oft stehen die mit bodenständiger List ausgestatteten Restbauern im Zentrum der pädagogischen Gschichterln. Einer dieser Urtexte steht im Mittelpunkt eines absurden Gesprächs zwischen Vincenz Witzlsperger und mir, von Doris Kittler filmisch dokumentiert. Hab kürzlich eine poetisierte Form des Volksmärchens gefunden. Als einst dem Tode nah sich fühlt’ ein reicher Bauer / rief seine Kinder er allein herbei und sagt’: / «Nehmt euch in acht, verkauft das Erbe nimmer, / das unsrer Väter frommer Sinn / uns hinterließ: Es liegt ein Schatz darin. / Zwar weiß ich nicht den Ort; doch Mut führt immer / zum Ziel, er hilft zuletzt auch euch zu eurem Schatz. / Gleich nach der Ernte grabt nur nach an jenem Platz; / wühlt rings den Acker auf und sorgt, dass allerwege / man unablässig Hand anlege.» / Der Vater starb, die Söhn’ umgruben ganz und gar / den Acker, rechts und links, so dass im nächsten Jahr / er reichre Ernte ihnen brachte. / Es ward kein Gold gefunden; doch der Vater dachte / sehr weise, als er sie den Satz gelehrt: Die Arbeit war der Schatz. Die schönste Geschichte von einem weisen Bauern ist aber die: Es war einmal ein Bauer, dem lief seine herrliche Stute davon. Sofort kamen die Nachbarn: «Du bist sicher sehr traurig», sagten sie. Doch der Bauer antwortete nur: «Vielleicht». Eine Woche später kam die Stute zurück und brachte fünf wilde Pferde mit. Wieder kamen die Nachbarn: «Du bist jetzt sicher sehr glücklich.» Und wieder antwortete der Bauer nur: «Vielleicht». Beim Versuch, auf einem der Wildpferde zu reiten, brach sich der Sohn des Bauern ein Bein. «So ein Pech», sagten die Nachbarn. »Vielleicht«, antwortete der Bauer. Drei Tage später kamen Offiziere, um Soldaten zu rekrutieren. Sie nahmen alle jungen Männer mit - nur den Sohn des Bauern nicht, weil er für den Kriegsdienst untauglich war. Eher renitent als weise klingt der Altbauer in der letzten Geschichte. Auch er liegt im Sterben. Mit letzter Kraft ruft er seinen Sohn zu sich. Bua, geh ins Dorf und hol den Chef vom Lagerhaus und den Raiffeisendirektor her. Aber se solln se tummeln. Kurz darauf kommt der Sohn mit den beiden zurück und sie gehen ins Zimmer des Bauern. Dieser scheint zu schlafen. Leise wollen sie sich wieder aus dem Staub machen. Nix da, sagt der Bauer mit letzter Kraft. Kummts her da! Raiffeisendirektor, du stellst di links von mein Bett hin, und du, Lagerhauschef, stellst di rechts davon hin. Weil i möcht sterben wie der Jesus - links a Verbrecher, rechts a Verbrecher. Warum schreibe ich keine B-Seite meiner «Sämtlichen Erinnerungen, leicht gekürzt»? Warum mache ich´s nicht wie Witold Gombrowicz, der parallel zwei Tagebücher schrieb, ein geheimes und ein für die Veröffentlichung vorgesehenes? Letzteres entpuppte sich mit seinem zutiefst literarischen Grundton als sein Meisterwerk. Ersteres, die B-Seite des Tagebuchs, erst Jahre nach seinem Tod publiziert, erzählt sein Leben ohne Schnörkel, ohne Umschweife, ohne Beschönigungen, knapp und schlicht und sehr intim. Das war vielleicht nur möglich, weil Gombrowicz tatsächlich eine Veröffentlichung seiner von jeder Lüge befreiten Chronik ausschloss. Im Gegensatz zu Gombrowicz verhalte ich mich wie ein durchschnittlicher Literat. Ich fürchte und ich hoffe gleichermaßen, dass posthum nichts Geschriebenes übrig bleibt, das ich – ungelesen von dritten – ins Grab mitnehmen muss. Ich verachte das Verstecken und muss so viel verstecken, das ist die Crux des Kleinbürgertums.

FUCK THE COLA FUCK THE PIZZA III

Ich zähle die Krawatten/die Krawattinger in meiner Zeitung. Es gibt kein Foto im aktuellen Augustin, das eine Krawatte zeigt. Ist das ein Zufall? Natürlich nicht, dennoch blättere ich, um sicher zu sein, ältere Ausgaben durch. Nirgends eine Krawatte. Zum Vergleich zähle ich Krawattenfotos in der Samstagausgabe des Standard. Neun Stück. Und in der Sonntagskrone? Sieben Stück. Selbst die Taz ist heute eine Krawazz. Ich rate den 200 SchülerInnen, die zur Medienbildungs-Veranstaltung ins Radiokulturhaus gekommen sind, dieses Spiel zu spielen. Die Krawatten aus dem Augustin auf ein Blatt zu kleben, auf ein anderes Blatt dann die Krawatten aus einer beliebigen Vergleichszeitung. Das Augustin-Blatt wird meistens leer bleiben. Das andere Blatt ist nie leer. Besser als den SchülerInnen gefällt dem journalistischen Kinderlobbyisten Heinz Wagner das Krawattenvergleichsspiel. Er wird es realisieren, bei erstbester Gelegenheit, und zwar im «Kurier», wo er seine Plattform hat. Er freut sich schon auf die Diskussion. Wofür steht die Krawatte bei den Jugendlichen? Wie deuten die Jugendlichen den notorischen Krawattenmangel beim Augustin? Ziehen sie Schlüsse draus, die wir sie ziehen lassen wollen? Wenn es stimmt, dass die Krawatte ein Symbol von Macht und Überlegenheit ist, warum gibt es bitte eine Kopftuchdebatte? Wo bleibt die Krawattendebatte? Wie oft habe ich Walter Benjamin schon beklaut, um meine Texte zu bereichern – und was lese ich da? Dass er dem Zitieren eine riesige Bedeutung für sein Werk zuweist. Und zwar ausdrücklich das anführungszeichenlose Zitieren. Es gelte, die Kunst des Zitierens ohne Anführungszeichen zur höchsten Höhe zu entwickeln; das Geschriebene könne dann fast ganz aus Zitaten bestehen. Ich sollte das meinem Verleger erzählen, zu dessen Beruhigung? Der war in keinem Moment beunruhigt, als ich ihm die Stellen zeigte, die nicht von mir waren, aber dennoch keine Anführungszeichen hatten, und die ihre Herkunft nicht verrieten. Er hält das wilde Nehmen und Geben in der Literatur für eine Selbstverständlichkeit. Jemand informiert die Öffentlichkeit dass die UNO das Jahr 2016 zum Jahr der Hülsenfrüchte und zum Jahr der Kamele ernannt hat. Die schönsten Strophen sind die Katastrophen? Nicht alles ist wahr, was sich reimt. Die Marschrutka bringt dich nach Pschemysl und Drohobytsch, damit dir Wien dann wieder Spass macht. Das Theater muss raus aus den Tempeln, aber die Tempel haben hinlänglich Pissrinnen, was auch berücksichtigt werden muss. Im Österreichpavillon werden die selbstironischen Wuchteldrucker herausgefordert von einem Haufen aus schwarzen unverstandenen Säcken. Wie kommt es, dass nur Neusiedl am See architekturfreier ist als Stadlau im verheerten Transdanubien?? Das kommt von oben, von ganz oben. Verheert kommt von Heer. Deine linken Augenbrauen ziehen sich wieder in die Höhe: weil von Spital die Rede war? Oder was wollen sie damit sagen, die Brauen. Braunau kommt nicht von brauner Au, es kommt von den brauen der Au-Fee. Das muss in Deutschland und Japan verbreitet werden, da schaut die Sache gleich ganz anders aus. Wohin mit dem Sperma, fragten Tausende und abertausende ihren Dr. Sommer, und ich? Ins Endlager mit dem Sperma, was weiß ich, im Wildschweintunnel? Oder sperrma zu, es ist Sperrstund. Wer sagt, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen? Das sind keine Wuchteldrucker, sondern Spezialisten für gefährliche Drohungen. Die UNO ist von den Richtigen übernommen worden, zum letztmöglichen Zeitpunkt: von den Dadaisten! Prompt haben sie das Jahr 2016 zum Jahr der Kamele und zum Jahr der Hülsenfrüchte erklärt. Prompt, aber übrigens ohne uns zu fragen. Aber wer hört auf die UNO? Die Nichten? Zwischen Eggersham und Eggerding steht ein Bierzelt so groß wie ein Bierzelt. Mei Boucht is noss, mei Boucht is noss, schrein die Kehlen. Und wann kommt denn nun die Revolution, fragt der Moderator in der hübschen kurzen Lederhose. Kommt sie überhaupt? Seid ihr sicher, die letzte Schlacht zu verlieren? Wenn sie verloren ist, finden alle wieder gut, was alle gut finden. Was mich betrifft, ich lebe auf der Eisscholle und ich arbeite an Metaphern. Ich bereite mich vor, in die Latschenwälder zu gehen und in der Folter keine Namen zu nennen. Die ideale Revolutionärin raucht oder raucht nicht. Wir sind nicht da, um Unterhaltungsevents zu VERANSTALTEN. Wir VERUNSTALTEN sie. Eine VEREINS-SPALTUNG müssen wir in Kauf nehmen. Zum ersten Mal spürte ich eine Diskrepanz zwischen Spielfilm und Dokumentation, als ich im Kino meiner Gemeinde einen Film ansah, in dem ein Riese tot umfiel und im Umfallen alles zertrümmerte: ganze Ortschaften, Wallfahrergruppen, Eisstockschützen, Parkgaragen, Ritter und Fahrradboten. Denn ich wusste am Ausgang meiner Kindheit, dass Ritter und Fahrradboten in verschiedenen Welten wohnen und nie zusammenkommen können. Die ideale Revolutionärin ist eine Grüblerin, die zumindest beim Holzhacken das Grübeln lässt, denn ein Finger nach dem anderen geht beim Grübeln rasch verloren.

NETTA EIN ERLEUCHTETER

Netta (= nur) und nixi (= nichts): Am Gebrauch dieser beiden Wörter erkennt man «einen Oberösterreicher, eine Oberösterreicherin auf hundert Meter», sagt Ernst Stöckl. In keinem anderen Bundesland sind sie gebräuchlich. Wörter wie diese standen am Anfang seiner Obsession. Es ist eine Besessenheit, die uns Früchte hinterlässt. Die erste ist ein 1000-seitiges Buch mit dem Titel «Schärdinger Wörterbuch der Mundart und Umgangssprache. 1. Teil, A – D». Er schreibt jeden Tag fünf Stunden an der Fortsetzung des Wörterbuchs. Der Ex-Sozialarbeiter und Neopensionist, ein Wiener mit innviertlerischem Migrationshintergrund, ist frei von der Sorge, wie die Rentnertage selbstbestimmt auszufüllen seien. Das Gesamtwerk werde 35.000 Stichwörter umfassen, sagt Ernst Stöckl. Dafür waren ursprünglich fünf Bände konzipiert. «Ich fürchte, es wird auch einen sechsten geben müssen», schmunzelt der Wörtersammler. An Schärding vorbei wird noch viel Inn in die Donau fließen, bevor er bei den Stichwörtern «Zwoifeleitn» und «zwuzln» angelangt ist. Warum fünf- bis sechstausend Seiten, wenn andere Autor_innen regionalsprachlicher Wörterbücher mit 300 oder 600 Seiten auskommen? Weil Stöckl den Anspruch hat, dass im Prinzip alle Wörter, die im Bezirk Schärding in Mundart und in Umgangssprache gesprochen werden, in diesem Lexikon Platz haben müssen. Selbst jene Wörter werden aufgenommen, die sich in der Aussprache gar nicht von der Schriftsprache unterscheiden, die aber im Alltag sehr präsent sind. Dazu zählen Wörter wie Fisch, Sau oder dick. Da gibt´s noch einen Grund, warum ein paar hundert Seiten nicht ausreichen. Jedes der Mundartwörter sieht sich eingebettet in zwei, drei oder vier Mundartsätzen – «Sätzen, die wir schon so oft ausgesprochen haben, die täglich fallen, die uns auf der Zunge liegen», erläutert der Autor in der Einleitung. Es sind nichtssagende oder gewichtige Sätze, grausame und zärtliche – schon beim Durchlesen des ersten Bandes kommt das Gefühl auf, man sei irgendwo zwischen Eggersham und Eggerding in ein Bierzelt geraten und könne aufgrund einer ungewohnten Fähigkeit jedes der zweihundert Gespräche, die da über die Bierzelttische geschrien werden, einzeln wahrnehmen und dadurch erkennen, wie die Innviertler_innen ticken, wie es um das Geschlechterverhältnis bestellt ist und welche rettende Ideen die aktuelle Innviertler Alltagsphilosophie anbietet. Lieber Innviertler Alltagsphilosophie als selbsternannte Wiener Erleuchteten-Anmaßung. Uschi schlägt einen Abend mit Thomas Hübl im Aktionsradius-Lokal vor. Hände weg von Hübl, sage ich. Leute zahlen hunderte oder tausende Euro für diesen geschäftstüchtigen Guru, um sich solche Botschaften mit nach Hause nehmen zu können: The step you are doing right now is the most important one. Oder: If someone is really connected to the energy and speaks from the energy it almost doesn’t matter what the person says, the room will listen. Why? Because it has ENERGY! Seine Trainings und Kurse nennt er: Zusammensein mit einem Erleuchteten. Hübl stellt sich als einer «ohne festen Wohnsitz» vor, was nach Vagabundage und Ausstieg klingt. Doch er verfügt über drei Wohnsitze, verstreut auf der Welt. Zu den wirklichen Nomaden hat er keine Beziehung. Am 1. April 2015 ist im Wiener Stadtpark die «Ordnung» wiederhergestellt worden. Die siebenköpfige Kolonie der Stadtpark-Obdachlosen – Gestrandete aus der Slowakei, Tschechien und Ungarn – mussten ihre improvisierten Zelte räumen. Ein leichter Sieg der Stadtverwaltung, denn die Sichtbarkeit der Armut abzuschaffen ist tausendmal simpler als die Armut selbst zu überwinden. Manche Vertriebene blicken auf eine jahrelange Parkzeit zurück. Jaro, der ehemalige slowakische Richter, den der Alkoholismus aus der Karriere katapultiert hatte, hat neun Jahre im Park gelebt. Jaro starb Ende 2014, weil eine längst fällige Beinamputation aus Geldmangel unterblieb. Die bemüht zivilisierte Art und Weise der Auflösung des Obdachlosenlagers ist nur vor dem Hintergrund der brutalen Stadtparkrazzia des Jahre 2013 zu verstehen. Die negativen Schlagzeilen selbst in den Revolverblättern, die die Polizei durch diese Operation erfuhr, erwiesen sich als lehrreich. Damals befahl eine nicht zur Diskussion aufgelegte Polizeieinheit 20 Obdachlosen die sofortige Räumung der Grünanlage. Sie hätten gegen die Wiener Kampierverordnung verstoßen, wonach der Gebrauch von Schlafsäcken ausschließlich auf Campingplätzen legal sei. Damals entsorgte die MA 48 die Habseligkeiten der Betroffenen, was diese als Raub interpretierten. Einer der Wohnungslosen wollte den Park nicht verlassen und wurde mit einer 100-stündigen Polizeigefängnisstraße sanktioniert. Eine vom Augustin initiierte Solidaritätsdemonstration im Stadtpark trug zur Skandalisierung dieser «sozialen Säuberung» im öffentlichen Raum bei.

DER HENDLWELTKRIEG ESKALIERT

Die Zeitungen sind voll mit ihren Spekulationen zur Oktoberrevolution, deren 100. Geburtstag gefeiert wird, als ob ihr Beitrag zur Geschichte des Großen Krieges und seiner Folgen allgemein akzeptiert wäre. Immer wieder ist vom angeblichen Foto der Schlüsselszene der Revolution, dem Sturm der Petersburger auf das Winterpalais die Rede. Der dilettierendste Lokalhistoriker weiß inzwischen, dass das Foto eine Lüge ist, und zwar eine in alle Welt verbreitete. Die Aufnahme zeigt die Generalprobe eines Reenactments vor dem Winterpalast und stammt nicht aus dem Revolutionsjahr 1917, sondern aus dem Jahr 1921. Man erkennt das erstens am Regieturm, der am Platz aufgestellt wurde, und am Sowjetstern, der unmöglich schon am Tag des «Erstürmung» über dem Palasteingang hängen konnte. Was wollen uns die Medien, die diesen Manipulations-«Skandal» breittreten, eigentlich sagen? Dass es sich bei der Revolution nicht um einen Aufstand der Massen gehandelt habe, sondern eher um einen Staatsstreich der Gruppierung um Lenin? So viele Körper hätten 1921 von Filmregisseuren gar nicht mobilisiert werden könne, um den Massencharakter der Revolution wahrhaftig zu dokumentieren. Am 2. Oktober 1917 schrieb Hauptmann Jacques Sadoul von der französischen Militärmission in Petrograd nach Paris: «Der Wunsch nach sofortigem Frieden um jeden Preis ist allgegenwärtig [...]. Alle Russen, die ich getroffen habe, stimmen ohne Ausnahme mit den Bolschewiki [...] in dem Wunsch nach einem Ende des Krieges überein, koste es, was es wolle.» Die unerträgliche Situation drängte einen großen Teil der «WutbürgerInnen» von damals an die Seite der organisiertesten antizaristischen und antiparlamentarischen Kraft, nämlich der Lenin-Partie. Die reale kritische Masse war groß genug; sie hatte nicht nötig gehabt, sich durch Tricks noch einmal zu vervielfachen. Die Asterix-Comics sind bei «den Amerikanern» unbeliebt und bei «den Deutschen» beliebt. Die Asterix-Erfinder, zwei Franzosen, erklären sich das so: Amis sind «genetisch» an der Seite des römischen Reichs, weil sie ihre Imperialismus-Identität einprogrammiert haben. Die Deutschen sind ein Sekundär-Feind der Kelten, nämlich die Goten. Sie kommen in den Geschichten gar nicht gut weg, aber weil der blade Obelix ein Biersäufer, ein Stänkerer ohne Aussicht auf die Folgen und ein potenzieller Besucher des Münchner Oktoberfestes ist, können sich die Indigenen gut damit identifizieren. (...) um den beiderseits vereinbarten Kaufpreis von 900.000 Schilling, in Worten Schilling neunhunderttausend (...) In Wirklichkeit zahlte ich 1 Million, denn beim Häuslbauen und beim Häuslerwerb wird hierzulande brauchtumsgemäß der Staat geschnitten. Als ich einmal Millionär war, notierte ich dazu im Pickbuch. Kennt jemand schon die im Ort verbreitete Geschichte des Forchtensteiner Hauskaufs? Rund eine Woche nach dem Kauf schnappten Riki und ich in einem Forchtensteiner Wirtshaus ein Männerpalaver an der Bar auf. «Wissts es eh scho? Da Neibaua hod sei Heisl vakaufd, sei Bension. Aun an gschtobbfdn Zuhöta aus Wien. An Millionär. Fia sei Einweihungsfest hod a zehn Hosn mitgnumma.» Ich bin fassungslos, fange derart zu zittern an, dass mein Besteck auf das Teller trommelt, auf dem mein Cordon Bleu liegt, und gebe mich als der betreffende Zuhälter zu erkennen. Der Informant fühlt sich ertappt, flüchtet auf die Toilette und lässt sich nicht mehr blicken, solange wir in der Wirtsstube sitzen. Ich bin angesichts dieser Einführung in das Einmaleins des Provinzgerüchts so sprachlos, dass mir kein Schmäh einfällt, und ich sträube mich zu schreiben, wie ich tatsächlich reagierte. Unterklassig. Spaßbefreit, wie Riki heute sagen würde. «Ich bin kein Zuhälter», stammelte ich beispielsweise. Später wird der Bürgermeister dem Gerüchtekoch, der seinen Traum nach einem Bordell im Ort auf mich projizierte, ins Gewissen reden: «Du bist die Schande von Forchtenstein». Es stimmte: Ich war Schillingmillionär. Hatte der arme Schlucker IM WESENTLICHEN recht? Ein Hendlweltkrieg findet statt. 680 Millionen Kilo tiefgekühlter Hühnchenteile wurden 2016 aus Europa nach Afrika geliefert. Die einheimischen Hendlbauern sind dem Wettbewerb nicht gewachsen. Der Staatsbeamte De Gubernatio tritt in Bakunins Geheimbund ein. Er ist ganz aus dem Häuschen: «Ich versuchte einzuschlafen, doch vergeblich. Die neuen Gedanken hatten mein Hirn so aufgeregt, dass ich nicht liegen konnte. Ich verdammte die Abscheulichkeit und Nutzlosigkeit meines früheren Lebens und sagte laut zu mir selbst, dass ich noch abscheulicher sein würde, wollte ich mit meinen republikanischen, ja revolutionären Gefühlen noch eine Stunde länger in meinem öffentlichen Amt verbleiben.» Die Zeit der Planwirtschaft kommt erst – findet auch ein Mitarbeiter der NZZ: «Mit den selbstlernenden Algorithmen und der Verarbeitung riesiger Datensätze kann die Planwirtschaft die ihr innewohnenden Probleme der Ineffizienz und das Hangs zur Korruption überwinden.»

VAMPALAKEN SOACHN UNS INS GSPRUTZLTE

Ich, weinend. Tränen, unübersehbar. Was rührt so? We beg for your forgiveness – Veterans join Nativ Elders in celebration ceremony. US-Armeeveteranen, der Vietnam-Einsätze genauso wie der Nahost-Kriege, eilen den Indianern aller Tribes zu Hilfe, die in Dakota Protestcamps gebaut haben, um ein Pipelineprojekt durch heiliges Sioux-Land zu verhindern. Etwa 2000 Veteranen wollen Schutzschilder für die von der Polizei bedrohten Indianer sein. Sie stellen ihre Körper und ihr Renommee dem Kampf zur Verfügung. Im Rahmen dieser Solidaritätsaktion kommt es zu einem historischen Treffen, auf dem Wes Clark Jr, Sohn des früheren NATO-Kommandanten Wesley Clark, sich bei den versammelten First Nation-Leaders für die Teilnahme der Armee an der Enteignung der Urbevölkerung entschuldigt. Die Häuptlinge verzeihen dem demütig vor ihnen knieenden Obersoldaten. Die Zapatisten aus Chiapas, eine sich ohne Notwendigkeit selbstentwaffnende Guerilla, und Subcomandante Marcos, ein sich ohne Notwendigkeit selbst demolierender Revolutionsführer. Die meisten Städte in Österreich wurden zwischen 1180 und 1270 gegründet. Und die Wälder zwischen diesen Städten waren so gemischt wie die heutigen, nur ihre Mischungsverhältnisse haben sich verschoben. Damals waren noch 8 Prozent der Bäume Eichen, heute nur noch 1 Prozent. Der Fichtenanteil war früher 38 Prozent, heute liegt er bei 58 Prozent. Aus heutiger Sicht unglaubliche Fehleinschätzungen der kommenden politischen Entwicklungen in der Jänner-1933-Ausgabe der «Weltbühne» von Ossietzky. AN SEINEM ENDE WIRD DIE HITLERPARTEI VON EINER HEFTIGEN KRISE GESCHÜTTELT. DIE NSDAP LEBT NOCH – UND IST DOCH SCHON TOT – MINDESTENS ANGETÖTET. Die fesche alte Zürcherin im Café Matz wird von der Kellnerin bemitleidet wegen ihres einsamen Lebens, nachdem die Gästin erzählt hat, dass sie in ihrem Leben nie verheiratet war und auch nie Kinder kriegte. Was heißt einsam, sagt die Schweizerin, ich bin frei. Welche andere Frau kann spontan die Eingebung, jetzt möchte ich in einem Wiener Café sitzen, realisieren. Schlechte Theorien stammen zuletzt immer von einem der drei großen Verderber der Menschheit: Laotse, Paulus, Hegel. Der erste ist der Prediger wider die Tat, der zweite ist der Lästerer der Sinne, der dritte ist der Verherrlicher des Bestehenden. Richard Schuberth bereichert den Wiener Dialekt: Do miaflt, do schniaflts / Do kebapstschlts und tschewabptschlts, / do schoflts und groflts, do tialklts und slawlts / do is nix mea gmiatli, do is nix mea stü / am End soacht ma a Asylara no in Campingrü. / Do knouzn de luagaten Augenbrauaten / Mittn auf meina Schawapeanzarapisten / Und san, I schwöas auf mei Schawapeanzara-Iazz, / hundatpro kane Feministen. / Und über- und unteroi / De Tsawarakn schniatzn, / und de Tschuschara und de Flodackn kniatzn / Und de Krawodara mirs Diampf wegschwiatzn. / An jedn Pfeula de Jugonega aufschliampfn / Und de Botswanara uns de Gundln wegzniampfn / Und de Kalmucken uns Hundln faschniampfn / Und de geschneapfaten Muslmiakatn uns Gschnitzlete famoacheln / Und de Tsiargintsen und Vampalaken uns ins Gsprutzlte soachn. Ein surrealistisches Erlebnis, wenn Richards Freundin, die wienerisch-serbische Multiartistin Jelena Poprzan, dieses Gedicht interpretiert, das hier nur in kurzen Auszügen wiedergegeben werden kann. Wie kommt es, dass Portugal trotz der enormen Summen, die es durch Eroberung, Plünderung, Besteuerung, legalen Handel und kolonialer Ausbeutung, durch die Geschäfte mit Gold, Sklaven und Pfeffer am Ende seiner Weltmachtstellung ein armes Land geblieben ist? Warum mögen Menschen Fremde nicht? Versuch einer Erklärung. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte trafen unsere Vorfahren an einem normalen Tag nur Menschen, die sie schon ihr Leben lang kannten. Da musste ein rarer Fremder Unsicherheitsgefühle auslösen. Erst im letzten Jahrhundert wird die Vorstellung, mit jedem der Milliarden ErdenbürgerInnnen in Kontakt treten zu können, frei von Phantasterei. Das / der Fremde ist Realität geworden. Aber die Unsicherheitsgefühle können nicht so «schnell» überwunden werden, die Evolution arbeitet pomali. «Wenn du ertrinkst, bringt dich deine Mutter um!» (Camus, Der erste Mensch»). In dieser Biografie auch die Beschreibung einer Jagd als kollektiver Rauschzustand. Wann höre ich auf, mich zu ärgern, wenn in der Süddeutschen Zeitung der Eindruck erweckt wird, Hubert von Goisern sei ein bayrischer Musiker? Bin ich, der bekennende Antipatriot, in Wirklichkeit der ewige Patriot, nur nicht so kläffend wie der zertifizierte alpenländische Abfahrtslauf- und Schisprung-Kommentator? Dass Alaba Österreicher ist, erfährt man von den deutschen Sportkommentatoren erst dann, wenn er grottenschlecht gespielt hat. Stopp. Eine Unterstellung. Reporter deutscher Sendungen sind im Vergleich zu unseren öffentlich-rechtlichen Nationalitätenwettbewerbsfanatikern wahre intergalaktische FernhorizontlerInnen und um Dimensionen kosmischer als ihre Ösi-Kollegen.

MUEHL ZERDRÜCKT EIN EI IN DER HOSE VON BRUS

Nichts da, ich bin kein Raunzer; mein Hass gegen diese Stadt ist nicht verirrte Liebe, sondern ich habe ein völlig neue Art gefunden, sie unerträglich zu finden. Das österreichische Leben hat eine Entschädigung: Die schöne Leich. Ich habe schon gesagt, dass das Berliner Volk die Austern selbst isst, die das Wiener Volk essen zusehen will. Was Berlin von Wien auf den ersten Blick unterscheidet, ist die Beobachtung, dass man dort eine täuschende Wirkung mit der wertlosesten Zimmerantenne oder mit ähnlichem Ausschussmaterial erzielt, während hier zum Kitsch nur echtes verwendet wird. Ich kenne ein Land, wo die Automaten Sonntagsruhe haben und unter der Woche nicht funktionieren. Alles von Karl Kraus. Aus einem Wiener Aktionisten-Drehbuch: verbrennen eines buddhisten auf dem suppenteller. obwohl das leuteumbringen zu den lustigsten dingen gehört, fordern otto muehl und günter brus aus eigennützigen dingen ein sofortiges verbot. modell sitzt mit gespreizten beinen auf dem ofen. bewerfen des modells durch das publikum (hätte ich auf muehl und brus gezielt?). ofen wird angeheizt. mit bettfedern gefüllte lufballone explodieren. verteilen vom rüben an das publikum. hinter der bühne ruft jemand 3 mal omi. die eingangstür wird geöffnet, es wird mit einer taschenlampe in den halbverdunkelten keller. kostümzwang: wundverbände, prothesen, nackenschürhen, uniformen der US-armee, vietkong-uniform, nahrungsmittel wie cremeschnitten, die sich zur darstellung von gräuelszenen eignen. brus liegt auf dem modell und liest aus einer zeitung, muehl stopft nahrungsmittel in den brus-mund. es klopft, ein polizist mit schäferhund tritt ein, blickt ins publikum, beschreibt einen notizzettel. befestigt den zettel an der rückwärtigen wand der bühne. schaut jedem streng in die augen und verschwindet. brus liest den zettel des polizisten: 1 kilo rindfleisch sechsundviezig schilling vierzig. muehl erdrückt in der hose von brus ein ei. brus beschüttet muehl mit heidelbeerjoghurt. Sugar Plum hat mir das Zine «Friedrichshof intern» mitgebracht, z.b. mit Protokollen der Anti-Rauch-Therapien durch Otto Muehl. Ich schlage für den Aktionsradius Wien ein Monat über Tiere vor, als «unpolitisches» Intermezzo in einem hoch politisiertem Jahresprogramm. In den Mittelpunkt unserer Planung rückt dann doch wieder Politisches: die neue wissenschaftliche Disziplin der Human-Animal Studies, die gegen den vorherrschenden Anthropozentrismus in den Lehren über Mensch-Tier-Beziehungen kämpft. «Nichtmenschliche Tiere» sind Subjekte mit Interessen. Die scharfe Trennung zwischen Tier und Mensch ist laut HAS nicht mehr tragbar. Nichtmenschliche Tiere sind handlungsfähig – wie z.B. Katzen, die kurzerhand ausziehen und sich neue Familien suchen. Für den Start des Themenmonats sammle ich surrealistische Texte zum Thema Tier. Hier die Liste: Aus Okopenkos Lexikonroman die Stichworte Katzen / Hühner / Hunde / Fischer. Aus Gerhard Rühms «Alles über Lügen» den Text «Alles über Katzen». Aus einem Prosaband von Norbert C. Kaser die Kapitel «eine kuh», «die gans», «von der kleinen weißen katze» und «die krähen meiner heimat». Aus Brehms Tierleben einen Ausschnitt aus dem pervers-anthropozentrischen Pavian-Kapitel. Aus Abramovic`s Autobiografie: die Geschichte der Wolfsratte. Von E. Jandl «Die Morgenfeier», ein Gedicht über Fliegen. Aus Bertolt Brechts Hauspostille die «Historie vom verliebten Schwein». Der zuverlässige Marc Rufer: Die Psychiatrie, sagt er, tritt in Aktion, wenn Menschen dem System als Gefahr erscheinen; der Übergang von Strafjustiz zur Psychiatrie ist fließend; eine Schizophrenie-Diagnose bedeutet den sozialen Tod des Betroffenen; für sämtliche Psychopharmaka gibt es keinen Hinweis, dass sie – was auch immer – heilen. Die «Schlacht im Teutoburger Wald hat keinen Ort. 700 Orte sind im Lauf der Jahre in Betracht gezogen worden. Das einfache Bild der «kaltblütigen Terroristin» Gudrun Ensslin zerstört Ingeborg Gleichauf mit ihrer Ensslin-Biografie. Marx stellte sich einen kommunistischen Nichtstaat vor, besiedelt von Freien, die am Morgen Fische fangen, am Nachmittag das Vieh versorgen und nach dem Abendessen den gedanklichen Austausch pflegen. Diese Utopie kommt mir sehr anarchistisch vor; in solchen Momenten verfluche ich alle, die für den Bruch zwischen Kommunismus und Anarchismus verantwortlich sind. Man müsste sich die Mühe machen, diese BetreiberInnen der Spaltung, geordnet nach politischem Gewicht, aufzulisten. Gewiss wären auch Anarchos dabei, geschenkt. 9. Parteitag der KPR, 1920 – ein Höhepunkt der innerparteilichen Demokratie. 3 Jahre nach der Revo hatte sich die Idee der Selbstverwaltung nicht erschöpft. Debattiert wurde über Produzentendemokratie, eine Neubelebung der Räte, die Dezentralisierung der Staatsmacht, ein Rotationssystem für die Funktionäre, die Ermunterung zu innerparteilicher Kritik, das Verbot von Repressalien gegenüber Abweichlern.

IN ALLEN SPRACHEN DER WELT NICHT HINHÖREND

Eine der erfundenen Krankheiten ist die Pseudologia phantastica, das krankhafte Verlangen zu lügen. Resultate dieser Pseudologien sind Lebensläufe ohne Bodenhaftung, Übertreibungen, die man mit der Zeit selber für wahr halten kann, die Erfindung dramatischer, aber überzeugend geschildeter Begebenheiten. Zukünftige Generationen von LiteraturwissenschaftlerInnen werden meine Jahrtausendschrift «Sämtliche Erinnerungen – leicht gekürzt» nach ihrer Bodenhaftung überprüfen. Ihr Urteil, das nehme ich vorweg, erkenne ich nicht an, denn es basiert auf dem psychiatrischen Diagnosesystem, das die Diagnostizierten zu Nicht-Menschen macht. Sich falsch zu erinnern ist keine Lüge und schon gar keine Krankheit, soweit dürfte Konsens bestehen. Auch wer sich bewusst falsch erinnert, verhält sich nicht unmoralisch. Wer seine Biographie verfälscht, bekundet bloß seine Wünsche – und diese decken mehr von einer Persönlichkeit auf als vieles andere. Meine autobiografischen Lügen, die zum Teil durch wiederholtes Erzählen ihren Lügencharakter abstreifen, sind wie Salz in faden autobiografischen Suppen, insbesondere in deren Kindheitsabteilungen. Meines Wissens zählt das Verschwinden der Lüge aus dem Leben der Menschen nicht zu den Kriterien der Utopien jedweden emanzipatorischen Zuschnitts. Kein Utopist kann sich vorstellen, dass einst lügenlos kommuniziert werden wird. Wo sich die Lüge besonders eingenistet hat, in der Begegnungszone zwischen den Galaxien der Zweierbeziehung und der Polyamorie, kann sie schmutzig werden – doch kann man sich unschuldige Lügen in einer insgesamt schuldigen Welt vorstellen? Auch wenn sie in Zukunft die hegemoniale Beziehungsform ist, was sicher eintrifft, muss sich die Polyamorie gegen die Einbrüche der Eifersucht wehren – und schon ist der Mythos der auf Schonung des oder der Enttäuschten orientierten «notwendigen», «menschlichen» Lüge erweckt. Wer behauptet, hier erspare die Lüge Verletzungen, hat schon den Anspruch, die Polyamorie als konkrete Utopie in seinem Leben vorwegzunehmen, verwirkt. Nichts wäre vorweggenommen, alles wäre Wiederholung. Zwar besteht auch in offenen Beziehungen kein Recht auf die Lüge und des Verschweigens, aber diese Lüge ist weder besonders verbrecherisch noch signalisiert sie den Wahnsinn des Lügenden. In jeder Nachricht auf dem Feld der Ökonomie ist große Scheiße versteckt. Fossile Brennstoffe wurden im Jahr 2015 weltweit mit 5,3 Billionen Dollar von Regierungen subventioniert. Dieser Betrag entspricht 6,5 Prozent der gesamten Weltwirtschaftsleistung des Jahres 2015. Geradezu kurios werden die staatlichen Subventionen im Bereich Atomenergie. Zusätzlich zu den direkten Hilfen und den Steuererleichterungen kommt die kaum beachtete Tatsache, dass die Öffentlichkeit sogar noch für die Behebung der Supergau-Schäden verantwortlich gemacht wird, nämlich weil es keine Anstalt gibt, die sich auf die Versicherung eines AKW einlässt. Alle Ameisen zusammen auf dieser Welt haben dasselbe Gewicht wie alle Menschen zusammen. Die BewohnerInnen eines Ameisennestes vertilgen an einem Tag so viel Grünzeug wie eine ausgewachsene Kuh. Wegen der brisanten Rätselhaftigkeit solcher Informationen kann hier von authentischen Aha-Erlebnissen gesprochen werden. Aha steht für: «Ameisen haben Amtsgeheimnisse». Die Ameisen unserer Wohnung entziehen sich durch besondere Winzigkeit unserer genaueren Beobachtung. Verewigung der 70er Jahre durch die Zeitschrift «A Journal of Performance and Art». gilt als Mythos in New York, erscheint seit 40 Jahren, dreimal jährlich; herausgegeben von Bonnie Marranca, regt Dialog zwischen Künstlern, Theatermachern und Publikum an, und macht neidisch: Fein wäre eine vergleichbare Avantgarde-Zeitschrift mit Wien-Fokus. Wien, Karlsplatzpassage. «Hier gelangte ein Kunstwerk zur Ausführung, dass von den Passanten keine konzentrierte Betrachtung und kein Verweilen verlangt, sondern sich im zügigen Vorbeigehen erschließt». Der Künstler Ernst Caramelle nahm die 500-Millionen-Subvention und fertigte ein abstraktes 70 Meter langes Wandbild an, das die meisten PassagenbenützerInnen niemals als Kunst im öffentlichen Raum wahrnehmen. Ingrid, in allen Sprachen der Welt nicht hinhörend / Einsame Jungen suchen einsame Mädchen zum Einsamen. (Raddatz-Tagebuch). An die Wiener Stadtleitung der (Rest-)KPÖ, Höchstädtplatz 3, 1206 Wien. Austrittserklärung. Die Partei hat immer recht. Wir sind link. Alexander Wahl, Regina Reimer, Lambert Fischer, Erich L. Nussbaumer, Kurt Neuhold, Robert Sommer, Karl Berger, Margit Leimer, Waltraud Fasching, Reinhard Hermann, Helmuth Zink, Michael Haiko, Andi Schmon, Eva-Maria Hinterwirth, Elisabeth Trimmel. 21. 3. 1991.

UNTERM HIMMEL LIEGEN UND ÜBER IHN REDEN I

Sämtliche Entwürfe, leicht gekürzt. Entwurf Nummer 1. Die Idee, ganze Nächte mit interessierten und neugierigen Menschen im Gespräch zu verbringen, einander Selbstfabriziertes hin und wieder vorlesend. Geistert mir seit Jahren durch den Kopf. Ich nenne es SAMARA-Projekt, denn irgendwo las ich, dass «samara» arabisch sei und «eine Nacht im Gespräch zu verbringen» bedeute. Die Notiz hat ein Datum: 2. April 2012. Als Schauplatz stellte ich mir die Arena Bar oder das Kuku in der Wienzeile vor. Warum wundern sich Schlaflose, dass Schlafentschlossene um drei Uhr früh anderes als Samara im Sinn haben. Die Idee wartet bis heute auf Realisierung. Der virtuelle Warteraum – sala de espera – ist gefüllt mit solchen Entwürfen. Entwurf Nummer 2. Das Projekt mit dem Namen «Unterm Himmel liegen und über ihn reden». «Wir gehen zum Deckenfresko – nimm deine Decke mit». Erster Versuch: kollektive Betrachtung des Deckenfreskos in der Nationalbibliothek. 40 Personen legen sich bauchoben auf den Boden, um den Gewölbehimmel ohne Genickstarrerisiko zu betrachten. Ein Sachverständiger kommentiert das Kunstwerk. Eine Liste der in Betracht kommenden Deckenkunstwerke ist leicht zu erstellen. Als nächste Station wäre das Fresko in der Hermesvilla vorgesehen. Entwurf Nummer 3. «Alois, der Taugenichts». Den Film von Gemma Salem über Thomas Bernhards unbekannten Vater zeigen. Einen Lebenskünstler, dessen Alltag von Einsamkeit und Alkoholsucht geprägt war, der es aber dennoch schaffte, eine autonome und freie Persönlichkeit zu bleiben. Gemma Salem ist die erste Biographin Michael Bulgakows und die erste Autorin, die im deutschsprachigen Raum Thomas Bernhard ein ganzes Buch widmete. Angeregt durch Thomas Bernhard – ausgerechnet! – entdeckt sie ihre Liebe zu Österreich. Sie initiierte auf Anregung von Jacques Le Rider den «Le Prix Européen Thomas Bernhard», dessen Jury sich aus SpezialistInnen aus England, Italien, Holland, Spanien und der Schweiz zusammensetzte. Die Erben verhinderten die das Zustandekommen dieses europäischen Literaturpreises. Entwurf Nummer 4. bei einem Gespräch mit Jenny Simanowitz und Herbert Stumpfl entsteht die Idee, ein Buch über die «Muehlkommune» zu schreiben. Die utopischen Aspekte des Friedrichshofs-Experiments – reale Geldlosigkeit für 200 Menschen, Subsistenzwirtschaft, 8 Autos für 200 Menschen, Konzeptionen antiautoritärer Pädagogik, Überwindung der bürgerlichen Kleinfamilie etc – verschwanden aus dem Diskurs infolge der Pauschaldiskreditierung nichtbourgeoiser Lebensweisen, nachdem Zug um Zug die kriminellen Aspekte der Muehl-Herrschaft ans Tageslicht kamen. Von dieser Buch-Idee befreite ich mich nach kurzer Zeit. Die Geschichte der Kommune ist ein Labyrinth, in dem ich mich verrannt hätte. Später lerne ich die Kommunardinnen Teresa Schulmeister und Sugar Plum kennen. Meine Kapitulation als Kommunen-Dokumentarist ist nun endgültig. Wie sollte ich den Personen, die durch diese «Schule» gingen, gerecht werden? Entwurf Nummer 5. «Entdeckung» in der Arena Bar. Nach dem Programm von Slow Forward betritt eine Frau mit Kontrabass die Bühne und schenkt den Übriggebliebenen ein Solokonzert mit ihrer sensationellen Stimme. Englischsprachige Songs, auch selbstgemacht. Tritt üblicherweise zusammen mit Gitarristin auf. Bereit zu einem abendfüllenden Auftritt in der Arena Bar. Die Sängerin heißt Karin Daym. Entwurf Nummer 6. Treffen mit der Malerin Florentina Pakosta. Sie vertraut mir jenen Teil des textlichen und collagenratigen Nachlasses an, den Viktor Matejka Ende der 60er Jahren in Form von dichter Korrespondenz mit seiner Anbeterin der Nachwelt unterjubelte. Unser Ziel: zwei Bände Matejka, aber keine Biografie, sondern eine Auswahl der Texte (Aphorismen, Witze, Tagebuchnotizen etc.), und eine Sammlung von Interviews und Texten über ihn. Zu realisieren in einem Zeitrahmen von etwa drei Jahren. Florentina verfasst Liste der Matejka-Kenner_innen, von denen ich möglichst viele interviewen will. Wir rätseln ein wenig, was Matejkas Motiv war, seiner jungen Bewunderin die Texte anzuvertrauen. «Matejka wusste, dass die Texte bei mir gut aufgehoben sind». Eines schönen Tages beendet Florentina Pakosta die Zusammenarbeit mit mir. Ich bin eher erleichtert als enttäuscht. Entwurf Nummer 7. Aktion Bücherbefreiung aus dem Luftschutzbunker. Unter dem Kindergarten in Purgstall an der Erlauf liegen tausende Bücher, unsortiert. Um sie für das «Bücherdorf»-Projekt» nutzbar zu machen, müssen sie erfasst und geordnet werden. Das kann eine UnterstützerInnengruppe aus Wien an einem Tag machen. Unentgeltlich, aber für Essen und Übernachtung sorgt der Dorferneuerungsverein (Ingrid Fabris). Am Abend 1. Purgstaller Literaturfest. Musik: Alex Fasching. Am nächsten Tag Flucht vor dem Staub der Bücher. Wanderung der Aktiven durch die Erlaufschlucht.

UNTERM HIMMEL LIEGEN UND ÜBER IHN REDEN II

Sämtliche Entwürfe, leicht gekürzt. Fortsetzung. Entwurf Nummer 8. Der Film von Christoffer Guldbrandsen aus dem Jahre 2003 – «Alles Banditen – wenn Europas Politiker unter sich sind» ist von unverminderter Aktualität. Ministerpräsident Fogh Rasmussen habe eindeutig die Grenzen überschritten, waren sich die Brüsseler EU-Kommission, die dänische Opposition und Bundeskanzler Gerhard Schröder einig. Was sie so verärgerte, ist Guldbrandsens TV-Dokumentation. 
Drei Monate lang hat der Regisseur den dänischen Regierungschef Rasmussen während der Verhandlungen zum EU-Erweiterungsgipfel im Dezember 2002 begleitet. Der dänische Ministerpräsident trug zeitweise ein unsichtbares Mikrophon am Revers, von dem seine Amtskollegen nichts wussten. Der Film zeigt, wie es hinter den Kulissen zugeht, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU sich unbeobachtet glauben und über Milchquoten, Beitrittskandidaten und Milliarden-Summen verhandeln. So gesteht Jacques Chirac offenherzig, dass er sich von den französischen Bauern fürchte und daher – gegen seine Überzeugung – deren Agrarpolitik vertrete. 

Interessantes erfährt man auch über den deutschen Außenminister. Sein dänischer Amtskollege erzählt dem Ministerpräsidenten: «Weißt du, dass Joschka (Fischer) innerhalb von zwölf Stunden drei verschiedene Meinungen (zum EU-Beitritt der Türkei) gehabt hat?» Und der russische Präsident Putin schimpft unmittelbar nach einer Pressekonferenz, dass doch alle Journalisten Banditen seien. Der Film ist ein spannendes Dokument der Zeitgeschichte. 

Der dänische Regierungschef als EU-Ratspräsident 2002 hat die entscheidenden Verhandlungen selbst geführt – und der Zuschauer ist immer mit dabei. Der fertige Film wurde vom Ministerpräsidenten persönlich freigegeben, weil das – wie er sagt – «zu mehr Offenheit über die Hintergründe der Politik» beitrage. Entwurf Nummer 9. Das Reinprechtsdorfer Hof-Theater wurde geboren (und liegt schon wieder brach). Anlass ist der 1. Augustin-Bücherflohmarkt im Innenhof des Augustin-Vertriebs. Angekündigt sind „literarische Ereignisse“ (je ca. 15 min) zu jeder vollen Stunde. Die Mitwirkenden zeigen sich in den hofseitigen Fenstern. Das konkrete Programm: Um 12 Uhr liest Peter Ahorner neue eigene Texte; um 13 Uhr führen Richard Schuberth und Jelena Poprzan eine Szene auch Schuberths Stück «Wie Branka sich nach oben putzte“»vor (aus 1 Fenster); um 14 Uhr wird, aus einem anlassgemäß dekoriertem Fenster, die Republik Reinprechtsdorf ausgerufen: Heino Fischer trägt staatsmännisch deren «Verfassung» vor, Martin vom «Stimmgewitter» singt das Taschenfeidl-Lied von Qualtinger-Heller, Haldis erklärt Reinprechtsdorf für frei und kündigt den Aktionstag gegen die Wettlokale an; um 15 Uhr führen Eva Schuster und Sonja Penz einen speziell für diesen Flohmarkt geschriebenen «Hausbesorgerinnendialog» vor (aus gegenüberliegenden Fenstern), um 16 Uhr liest Richard Weihs aus Strafverfügungen und Polizeiprotokollen. Entwurf Nummer 10. AB_ORT_THEATER, das heißt Theater an Orten, wo niemand Theater vermutet, etwa das verbreiterte Mittestück auf der Wienbrücke im Stadtpark, die Waldbühne beim böhmischen Prater oder eine der Badeplattformen an der Oberen Alten Donau. Alternative Namen für dieses Projekt: Occupy Square Theatre, Occupy Air Theatre, fehl-am-platz-theater (fap theater), Stehplatz Theater, theater im wind. Entwurf Nummer 11. Solidaritätsaktionen für Helmut Seethaler. Von KünstlerInnen unbeachtet, agiert er stadtguerillamäßig für die Freiheit der Kunst im öffentlichen Raum. Ein Chor erscheint auf einem Seethaler-Pflückgedicht-Parkours und liest vielstimmig die Botschaften vor, die auf den Zetteln stehen. Entwurf Nummer 12. Die Anarchorevue. Herausforderung und Anspruch: Wie rettet man den einzelnen Menschen vor dem Staat – zumindest an diesem Abend? Wie erkennen wir die Schönheit der Zerstörung und wie finden wir Menschen, die in Poesie UND Disziplin leben? Wie machen wir kaputt, was uns kaputt macht, ohne dass es uns entstellt? Was tun, dass wir das Leben auf uns regnen lassen können? Ist die Anarchorevue die letzte Enklave der politisch Besiegten oder eine Vorwegnahme der Zeit, in der für alle das ganze Leben zur Anarchorevue wird? Darf man als Anarchist zugeben, dass es nichts schöneres gibt, als dem FC Barcelona zuzuschauen? In der Premiere kommt Sigmund Freud zu Wort. Er erklärt dem werten Anarcho-Publikum, warum wir im Traum nicht besser Fußball spielen als in Wirklichkeit.

UNTERM HIMMEL LIEGEN UND ÜBER IHN REDEN III

BLOOMSDAYS zu planen ist immer eine Hetz. Holen wir uns – Entwurf Nummer 13 – Darina Gallagher und Sinead Murphy aus Dublin nach Wien? Following the success of their award winning show Songs of Joyce, Darina Gallagher and Sinead Murphy have created a new Joycean musical, Misses Liffey. Through words and music, Anna Livia Plurabelle brings us on a riverrun journey through the city of Dublin introducing us to many of James Joyce’s women characters that live, work, sing and laugh along her banks. We hear from Nuvoletta and the Washerwomen from Finnegans Wake, the Morkan Sisters and Eveline from Dubliners and the Siren barmaids, Dilly Dedalus and the seaside girls in Ulysses. Oder treiben wir weit ab von den irischen Küsten / irischen Künsten und von Mr. Joyce, um an allen Ecken der Erde seinesgleichen zu finden, selbstironische AvantgardistInnen aller Muttersprachen, die ums Verrecken vor niemanden knien können, nicht einmal auf den hilfreich zugeworfenen Polstern. Oder zeigen wir – Entwurf Nummer 14 – Peter Whiteheads Dokumentarfilm «Wholly Communion», der einen österreichischen Avantgardisten würdigt? Die Doku hält das historische Ereignis vom 11. Juni 1965 fest, das in der Royal Albert Hall in London stattfand. 7.000 Besucher einer Literaturveranstaltung wurden Zeugen des Zusammentreffens von amerikanischen und englischen Dichtern der Beat-Generation. Zu den auftretenden Künstlern gehörten unter anderen Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti, Alexander Trocchi, Gregory Corso und Adrian Mitchell. Inmitten der «beats» trat plötzlich der Wiener Dichter Ernst Jandl auf, der das Werk «Hustenscherzo» von Kurt Schwitters präsentierte und sein eigenes Gedicht «schtzngrmmm» rezitierte. Das Publikum überschlug sich vor Begeisterung angesichts dieser ungewöhnlichen Performance. Viele entdeckten einü neues Kriterium experimenteller Literatur, ihr lautmalerisches Potential. Entwurf Nummer 15. Die Privatisierung der Spitalsanlage auf der Baumgartner Höhe muss bekämpft werden. STEINHOF, ICH BIN VERRÜCKT NACH DIR – ist das nicht ein vorwitziger Titel für eine Kampagne zur Rettung der Pavillon-Anlage Otto Wagners? Widerständische könnten zur Gründung der Republik Lemoniberg aufrufen; tausende strömten zur sonntäglichen Lemonibergpredigt, die eine permanente zivilgesellschaftliche Beschwerdeinstitution werden könnte. Du suchst den Wahnsinn am Steinhof? Er sitzt 117 Höhenmeter tiefer. Im Wiener Rathaus. Fällt mir grad so ein. Mit Andrea Dorrer über das Projekt Otto Wagner-Engerl gesprochen. Wir müssen Methode billiger Reproduzierbarkeit finden, Die Engel sind überall präsent – als Symbol des Widerstands gegen die Zerstörung der OW-Anlage, als Symbol der Rettung nicht des klischeehaften Wienerischen, sondern des avantgardistischen Wien; als Aufschrei gegen die Tatenlosigkeit des Denkmalamtes, als modernes Schutzengerl, als Symbol der Parallelität religiöser und laizistischer Interessen. Wer James Joyce liebt, muss ihn gegen weiland Marcel Reich-Ranicki lieben. Aus dessen Munde war der provinzielle Seufzer entwichen, James Joyce würde in Deutschland überschätzt. Weil warum? «Weil ihn keiner gelesen hat». In diesem Sinne müsste dann auch gesagt werden, Robert Musil werde in Österreich maßlos überschätzt. Bei dem Gedanken, dass jeder, der hereinkommt, sich einbildet, er sei der erste, der hereinkommt, während er doch immer der letzte einer vorangegangenen Reihe ist, selbst wenn er der erste einer nachfolgenden ist, insofern als sich jeder einbildet, der erste, letzte, einzige und alleinige zu sein, während er doch weder der erste noch der letzte noch der einzige und alleinige ist in einer Reihe, die im Unendlichen beginnt und ins unendliche sich fortsetzt. (aus Ulysses). Entwurf Nummer 16. Peter Wagner kann sich vorstellen, einen Film über den «Kummerl vom Burgenland» zu machen – über Max Wachter. Ich möge beginnen, über das Drehbuch nachzudenken. Apropos Wahnsinn: alle unsere Sprachen sind von Wahnsinn befallen. Nicht absolut, sondern abschnittsweise. Die Sprachen lachen uns aus, weil wir ihren Wahnsinn nicht mehr wahrnehmen können. Er hat sich in uns eingenistet wie eine bösartige Salmonellenmasse, die eine Wurstigkeit gegenüber der Sprache auslöst. Nach der Wolf-Schneider-Lektüre (»Wörter machen Leute»): Warum ist eine UNMENGE eine Steigerung von MENGE und nicht ihr Gegenteil? Gelegentlich Knappheit der Begriffe: Einer, der gut gegessen hat, ist SATT. Aber was ist einer, der genug getrunken hat? Die meisten Sprachen besitzen kein Wort für SCHADENFREUDE. «Die Äpfel sind alle da» ist das Gegenteil von «Die Äpfel sind alle». Das aber ist bloß ein Problem der Piefkes.

IHR WISST WOHL WEN ICH MEINE / DIE STADT LIEGT AN DER SEINE

Die Literaturzeitschrift VOLLTEXT startet eine neue Serie: Zu Recht vergessen – Die besten schlechten Dichter_innen aller Zeiten. Die erste in diesem Sinn gewürdigte Möchtegern-Dichterin ist die 1904 verstorbene Friederike Kempner. Grenzgenial unmöglich ist ihr Reim «Ihr wisst wohl wen ich meine / die Stadt liegt an der Seine». Aber ihr ganzes Ouevre besteht aus Strophen voller unfreiwilliger Komik: Horch, da öffnet sich der Schlagbaum / und am Brückenkopfe / nicken durch die hohle Öffnung / Russen mit dem Kopfe. Der Bürgermeister der Mühlviertler Gemeinde Leonfelden verhinderte die Öffnung eines stillstehenden Wirtshauses in Ortszentrumsnähe für rund ein Dutzend Flüchtlige. Der Bürgermeister heißt Alfred Hartl und war schwarz, bevor er türkis wurde. Der Schriftsteller Peter Paul Wiplinger zeigt mir seinen Brief an den Ortschef. «Ich bin der Meinung, dass ein Bürgermeister auch in gewissem Sinne ein untadeliges Vorbild sein sollte. Ja, natürlich gehört dazu auch Bildung, Reife und Persönlichkeit. Und ich glaube, diese gehört auch als Voraussetzung zu einem öffentlichen politischen Amt. Irgendwo sollte das doch auch noch funktionieren mit der Scham: dass man sich für etwas geniert, was nicht in Ordnung ist. Sie glauben vielleicht, ich hätte kein Recht, Ihnen dies öffentlich zu sagen. Falsch! Es ist sogar meine Pflicht: als Mensch, als Bürger, als Mühlviertler (aus Haslach), als Schriftsteller; als einer, der an einer Besserung von Mensch und Welt interessiert ist, seit Jahrzehnten dafür kämpft. Was auch den Kampf gegen Dummheit und Präpotenz miteinschließt! Wie heißt doch das Sprichwort? Dummheit und Stolz (auf modern: Präpotenz) wachsen am selben Holz. Ein gutes Neues Jahr wünsche ich allen Gestrandeten, allen Asylanten, jedenfalls ein besseres. Und Ihnen wünsche ich etwas mehr Einsicht und auch Besserung! Einfach: etwas mehr Humanität!» Weil es schick ist, sich zu outen: Ich oute ein herzliches Nein zur Perfektion. Klangmäßig liegt das Wort Unorte nahe bei Unordnung. Sind Unorte unordendliche Räume? Das würde erklären, warum Künstlerinnen und Künstler sich in unzählbaren Projekten weltweit den Unorten angenähert haben. Ordentliche, perfekte Räume bieten wenig Impulse für ihre künstlerische Aneignung. Besonders Fotograph_innen waren und sind fasziniert von den Unorten unserer Städte. Der unlängst verstorbene Fotokünstler Lewis Baltz lehrte uns die Erotik der Unorte. Er machte es durch seine Bilder unmöglich, die Schönheit von Parkplätzen zu übersehen. Der US-amerikanische Fotograf der New-Topographics-Bewegung beeinflusste eine ganze Generationen von Künstler_innen. «Dinge», sagte Lewis Baltz, «können schön sein auf Grund visueller Extra-Qualitäten, die lediglich des Auges bedürfen. Was ein Bild erotisieren kann ist eine andere Ebene von Intelligenz, und das ist dann erotisch. Sehen sie sich dagegen an, wie unsexy ein toll gebauter Pornostar aussehen kann.» Leonfelden ist in dieser Hinsicht unerotisch. Das gesamte Mühlviertel ist unerotisch. Das Land ist unerotischer als die Metropole. Die Leichtigkeit, mit der uns der Begriff Unorte über die Lippen kommt, suggeriert, dass wir alle genau wissen, was ein solcher überhaupt ist. Oder auf Mühlviertlerisch: was ein solcher überhaupst ist. Der französische Ethnologe Marc Augé, der den Begriff «non-lieux» erstmals 1994 in die Debatte eingeführt hat, versteht «Unorte» als reine Transiträume ohne menschliche Interaktion. Es sind meist «leere» städtische Räume, denen die Eigenschaften eines «Ortes» im anthropologischen Sinne abgesprochen werden. Kann ein ganzes Land ein Unort sein? Kaum möglich. «Aber für uns heutige Chinesen ist Nordkorea wie das eigene Land vor 40 Jahren. Das fasziniert uns». Die Sprayerinnen und Sprayer verwandeln Unorte unentwegt in Freiluftgalerien. Sprayer_innen sind die wahren Kosmoprolet_innen. Der Hühnerweltkrieg ist ausgebrochen. Fast sieben Millionen Kilo tiefgekühlter Hendlteile wurden 2016 aus der EU nach Afrika verschifft. Damit ein afrikanischer Bauer vom Fleisch seiner Hühner leben kann, müsste er drei Euro für einen Kilo Schenkel verlangen. Ein Kilo EU-Schenkel kostet am Markt von Monrovia 48 Cents. Ein Krieg der europäischen Agrarproduktion gegen die Bauern Afrikas ist im Gange. Unsere Bauern dazumals, als sie sich überall erhoben, wussten, was am besten anzuzünden und niederzubrennen wäre: das verhasste Schloss des unmittelbaren Feudalherrn. Aber wo sind die Hühnerfabriken der Weißen? Upton Sinclair schuf mit seinem dokumentarisch hinterlegten Roman «Boston» (1928) das wirkungsvollste Denkmal für die Anarchisten Sacco und Vanzetti. Mein unterbewusstes Gendern beim Bücherkauf. Ich leg mir das Buch von György Dalos, «Der letzte Zar. Untergang des Hauses Romanow» zu, nicht aber die autobiografische Erzählung der Rebellin Wera Figner, einer erfolgreichen Zaren-Attentäterin. Freilich: Dalos lag bei Thalia auf, nicht aber Figner.

BESUCHT MEINEN KLODECKEL ODER ES SPIELT KARAMBER

Zuverlässige Post aus Berlin: Art Brut mit Wiener Wurzeln! Manic Heidi in Höchstform. Wiederholung wegen großem Erfolg: besucht meinen geilen klodeckel / oder es spielt karamber. / achtet auf meine / rapsöl-allergie. Zuverlässige Post aus Island. in den garagen / proben rockbands. jedes bandmitglied / ist mit dem eigenen auto da. / aber sie können die garagen / nicht benützen, / denn in den garagen proben rockbands. Humanwissenschaftlich betrachtet zählen die Bullenschweine / nicht zu den Paarhufern / sondern zu den Verdammten dieser Erde. als jean renaud vom kriege heimwärts fand / trug er ein eingeweide in der einen hand. die andre hand verlor er in dem land / wo er im graben auch den verstand verlor. / nach hause kam mit seinem darm ein tor. / als jean daheim sein haus nicht fand / das früher ganz am rande stand / schritt er durch das erste offne tor / und fand nur fäulnis zwischen wand und wand. /mit dem eingeweide kam er und er fror / und dann erfror er wie in feindesland. Damit die Völker sich die Hymnen leichter abgewöhnen können, wird in einer zu bestimmenden Übergangsperiode in den Stadien von den Fußballern beider Teams verlangt, gemeinsam eine von Erke Duit räudig vertonte Passage aus Rudolf Burgers Text „Patriotismus und Nation“ (Neues Forum Oktober 1993) mit gebotener Leidenschaft zu singen. Jede Nation ist Indoktrination – das gilt für die französische wie für die ukrainische, für die österreichische wie für die deutsche, für die italienische wie für die abchasische. Am schönsten lässt sich das zeigen, wenn man das Problem ein wenig exotisiert und die Frage stellt: Sind die Sahrouis eine Nation? Nun, das kommt darauf an, wer den Krieg gewinnt... Die Regierung der Augartenstadt wendet sich an alle Territorialverwaltungen, die ein »nationales» Selbstverständnis haben, mit der dringenden Aufforderung, dasselbe zu tun: Schafft eure Nationalfeiertage ab, schafft vor allem eure Hymnen ab, mit denen ihr euch überheblich von den Nachbargesellschaften abhebt. Diese Aufforderung richtet die Regierung der Augartenstadt aus naheliegenden Gründen insbesondere an die Bundesrepublik Österreich und an die Bundesrepublik Deutschland. Was Österreich betrifft, wurde das vage Bewusstsein, eine Nation zu sein, durch für den Schulunterricht obligatorische Märchen wie jenes von der Entstehung der rotweißroten Fahne, durch das Aufblasen des Imperativs „Kauft österreichische Waren!“ zur Gewissenspflicht, durch die strategische Mythisierung des Sieges gegen die deutsche Nationalmannschaft in Cordoba und durch die einseitige massenmediale Empathie für mögliche österreichische Opfer beliebiger internationaler Natur- und Kriegskatastrophen aufrecht erhalten. Ohne diese immerwährenden Anstrengungen von «nationsbildenden» Institutionen wie Schule oder ORF gäbe es kein österreichisches Nationalbewusstsein. Woher sollte es denn kommen? Wahr ist, dass Jörg Haiders vielzitiertes Diktum von der «österreichischen Nation als Missgeburt» viele Linke dazu verleitete, diese Nation als reale Tatsache zu verteidigen. Denn es erschien ihnen kontraproduktiv, Haiders Sager zu ignorieren. So richtig der Hinweis war, Haider zähle die Österreicherinnen und Österreicher, wie es vor ihm der Nationalsozialist Hitler und der Sozialist Renner taten, zur deutschen Nation – so bedenklich war die – gut gemeinte, weil gegen Haider gemünzte – Behauptung einer österreichischen Nation. Nach Ernest Renan lebt eine Nation von dem Gedanken, «in der Vergangenheit große Dinge gemeinsam getan zu haben und andere in der Zukunft miteinander tun zu wollen». Nach dieser Formel ist Österreich eindeutig keine Nation. neben dem außenseiter / liegt der unrat / her gibt´s keinen rat mehr / der unrat kommt aus allen lagern / der schwarze unrat nennt den roten: müll / der rote müll nennt den schwarzen: unrat / die journaille augustin / liegt im stapel / neben einzelteilen / von österreich / was weiß der außenseiter / vom verfassungsbogen. Ich muss zu Phettberg ins Cafe Jelinek, um ihn zu fragen, wie lang er noch im falschen Blatt predige. Der Mensch ist an und für sich kein Maulwurf, nicht einmal dick verwandt mit ihm. Die U-Bahn, sofern sie tatsächlich durch das Erdreich fährt, ist demnach kein artgerechtes Verkehrsmittel, speziell für Strawanzerinnen. Zur Beurteilung der U-Bahnlinie U 1 sind aber Faktoren außerhalb der Anthropologie maßgebend. Strawanzerin liebt die Linie als Gesindelexpress, der die Enkel des Morgenlands in wenigen Minuten ins Herz von Dagmar-Zilk-Town bringt – oft ganz gratis. Gesindelexpress, Proletenpipeline, so oder ähnlich wurde die neue U-Bahnverbindung denunziert, weil sie den Reumannplatz unmittelbar zu den Partyzonen Schwedenplatz oder Prater vorstülpt. Umgekehrt funktioniert die U1 nicht als Durchlässigkeitswundermaschine. Die Bürger_innen vom Graben und von der Freyung kommen über die Taubstummengasse, wo die Elternsprechtage stattfinden, oft nicht hinaus. Die U 1 als Xindlschleuder, selbst in die Aida sieht man es geschwemmt.

BRUNHILDE, UNDINE UND WIELAND

Einer der führenden Salonfaschisten, Martin Semlitsch alias Martin Lichtmesz, treibt sich im Perinetkeller herum, im Anhang des Übersetzers und Dichters Alexander Nitzberg, der im Keller eine monatliche Rezitationsreihe betreibt. Die Nitzberg-Auftritte, die sich meistens auf die russische Avantgarde beziehen, gelten inzwischen als besondere Schmankerl im Kellerprogramm. Lichtmesz, der selber Literatur-Übersetzer ist, lobt in mehreren Texten die Genialität der russisch-deutsch-Übersetzungen Nitzbergs (obwohl er nicht Russisch kann), ein politischer Zusammenhang zwischen Nitzberg und Lichtmesz ist nicht bekannt. Matthias vom Perinetkellerteam hat ihn identifiziert und fühlt sich sehr unwohl, wenn Lichtmesz anwesend ist, auch wenn er (wie bisher) sich nicht zu Wort meldet. Seit 2007 gehört er zum Autorenstamm der durch Götz Kubitschek zu verantwortenden neurechten Zeitschrift Sezession. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren der Sezession; der Journalist Patrick Bahners (2016) bezeichnete ihn auf FAZ.net als den «klügsten Kopf» des Autorenkreises rund um den rechten Thinktank «Institut für Staatspolitik». Sein Gesinnungsgenosse und Führer Götz Kubitschek ist derzeit der erfolgreichste neurechte Verleger Deutschlands und der prominenteste Vertreter der Neuen Rechten. Auf Kubitscheks Rittergut laufen die Fäden zusammen. «Ich halte das Rechtsintellektuelle für das Kommende. Es ist ganz klar, dass die Probleme, die auf unser Land zukommen, in denen wir stecken, die Antwort nicht von links, sondern von rechts bekommen», sagt Kubitschek. Er und Lichtmesz ergötzten sich an einem Buch von Günther Maschke. Der war einst Freund von Rudi Dutschke, mit der Schwester von Gudrun Ensslin verheiratet und wandelte sich vom Linken zum Rechtsnationalen. Kubitschek und seine Leute imitieren die Aktionsformen der 68er-Bewegung. Die Rechtsintellektuellen handeln wie Linke – mit spontanen Demonstrationen, unangemeldet, schnell. Kubitschek ist nicht nur Politaktivist, er ist auch Vater von sieben Kindern. Mit ihnen und seiner Frau Ellen Kositza lebt er ein «deutsches» Leben. Das soll man schon am Namen der Kinder erkennen. Sie heißen Brunhilde, Undine oder Wieland. «Sarrazin haben wir höllisch gut verkauft», sagt er, «und dazu auch ein Sonderheft gemacht: ’Sarrazin lesen’. Das ist ohne Frage ein absoluter Durchbruch gewesen.» Kubitschek schreibt auch selbst. Sein neues Buch mit eigener Homepage listet Verbrechen auf: ausschließlich die, bei denen Ausländer die Täter, Deutsche die Opfer waren. Ich mag gar nicht daran denken, dass für Menschen, mit denen ich eng zusammenarbeite, die Sarrazin-Texte wie eine Bibel sind. Ein Lokalverbot für Leute wie Lichtmesz hat natürlich keinen Sinn. Aber wie werden wir uns verhalten, wenn er den Perinetkeller als Plattform und Bühne benützt? IRENE IST MENSCHLICH! Die Nebenwirkungen von Psychopharmaka werden nach Häufigkeiten klassifiziert. Die Kategorien sind: sehr häufig, häufig, gelegentlich, selten und sehr selten. Sehr häufig heißt, eine(r) von zehn kann betroffen sein. Sehr selten heißt: weniger als eine(r) von zehntausend sind betroffen. Überraschung bei der vollzähligen Aufzählung der Nebenwirkungen: Die Klassifikation ist nicht möglich. «Häufigkeit nicht bekannt», steht lapidar auf dem Beipackzettel. Nicht bekannt – das gilt für jede der rund 50 aufgelisteten Negativ-Wirkungen. Suche ich GLASNOST ausgerechnet in der Pharmaindustrie? Die Liste taugt nur zum Poetry Slam: Abnahme der Anzahl der Blutplättchen, was eine Neigung zu blauen Flecken bewirkt / Verminderung aller Blutzellen / Hautausschlag / Übermäßige Wassereinlagerungen / Appetitlosigkeit / Appetitsteigerung / suizidale Gedanken / suizidales Verhalten / Erregtheit, sehr selten (Aha, hier doch eine Häufigkeits-Angabe!) Verschlimmerung bis hin zum Delirium / Alpträume / Vermindertes sexuelles Verlangen / Krampfanfälle / Unwillkürliche Muskelzuckungen / Sprachstörung des zentralen Nervensystems / verstopfte Nase / Ohnmacht / erhöhte Speichelbildung / ungewöhnlich lang anhaltende und gegebenenfalls schmerzhafte Peniserektionen / usw. usw. In Berlin gibt´s einen «Verein für die unliterarische Verwendung von Literatur». Dass er der letzte Rest der maoistischen Proletkult-Gruppe «Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD» ist, tut nichts zur Sache. Interessant ist, dass der Vereinsname einem Strang der Unternehmungen der Augustin-Schreibwerkstatt neu entspricht. David Schalko: In Österreich ist die Kunst brandgefährlich. Wenn man sie lässt. Denn hierzulande braucht es selbst zur Gefährlichkeit die Obrigkeit. Der österreichische Künstler fragt beim Kulturminister an, ob er gefährlich werden darf. Wochenlang bangt er um die Bewilligung seines Ansuchens.

KÄFERBOHNENSALAT, DU BEFREIUNGSEXPLOSION

Ein für den deutschsprachigen Raum überfälliges Werk: Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas 1700 - 1910. 1492 existierten in Nordamerika mehr als 500 indianische Gesellschaften mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Wirtschaftsweisen. Bis 1900 wurde die indigene Bevölkerung von einstmals 5 bis 10 Millionen auf 237.000 reduziert. Sie mussten in Reservaten leben, z.T. getrennt von ihren Kindern. Die zum Sinnbild «der Indianer» erhobenen nomadischen Reiterkulturen der Great Plains bildeten sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts heraus. Der in Deutschland vielfach geehrte 1848er-Revolutioinär Carl Schurz forcierte in seiner Funktion als amerikanischer Innenminister die Zwangsverschickung indianischer Kinder in Internate und die Auflösung der Indianer als besondere Ethnie. Jetzt zu Hansjörg Zauner, wer ihn kennt. Seine Bücher heißen sie ist im lieblingssong mit skistöcken als lächeln hängen geblieben oder 99.144 gedichtnasenlöcher schießen auf mich bis alles passt. Die Lyrik ist sinnentleert, aber lautmalerisch. Ein Textbeispiel: im flechtklopfwühlsprechendem / falte ich ohne schulter und hüfte / kratze alle geräusche innen aus / feurige zunge verliert / alle ihre blitztaschentücher / scheint in wühlenden rosen / endlos scharrender huf. Eine anderes Gedicht aus Jaschkes Mini-Literaturzetschriftchen FERIBORD (Ausschnitt): käferbohnensalat, du steirische dreikomponenten kernölkompetenz / käferbohnensalat, du steirische essenz / käferbohnensalat, du fröhliches furzkissen / käferbohnensalat, du befreiungsexplosion. Der katalanische Schriftsteller Albert Sanchez Pinol schrieb kürzlich relativ dramatisch, der Bruch zwischen Spanien und Katalonien sei nicht mehr zu kitten. «Spanien ist tot». Ein alter Shuai Jiao-Ringer zu einem jugendlichen Anfänger: Mein Kleiner, wir werden nackt, nass und hungrig geboren. Und danach wird alles noch schlimmer. Darum ein Rat, den nur wir weisen Chinesen kennen: Verwandle große Schwierigkeiten in kleine! UND ÜBER UNS IM SCHÖNEN SOMMERHIMMEL WAR EINE WOLKE DIE ICH LANGE SAH SIE WAR SEHR WEISS UND UNGEHEUER OBEN UND ALS ICH AUFSAH WAR SIE NIMMER DA. AUF NACH MAHAGONNY DER OSTWIND DER GEHT SCHON DORT GIBT ES FRISCHEN FLEISCH-SALAT UND KEINE DIREKTION. Die Ärztin: Sie sollten weniger Wein trinken. Patient: Von welchem? In Europa macht der Kosmetikkonzern Nivea Profite mit Selbstbräunungscremes. In Westafrika startete er eine Werbekampagne für eine Creme, die sichtbar für hellere Haut sorgen soll. Das kritisierte der ghanaische Rapper Fuse ODG: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder sich in ihrer eigenen Haut wohlfühlen. Qualtingers Klassenkampf: Ganz Wien wusste, dass bei folgendem Lied (Ausschnitt) der Sohn des damaligen Nationalratspräsidenten gemeint war, der bei einer Fahrerflucht mit seinem Auto einen Fußgänger getötet hatte: Ich hab da so was aufgeschnappt / du hättest einen Unfall g´habt? // Es ist nix passiert / mein Porsche ist schon repariert / nur leider ist mir ein Passant / bevor er g´storb´n is einigrannt. Im 19. Jahrhundert waren allein in Deutschland mehr als 4000 Apfelsorten bekannt. Trinken wir auf Lucius Quinctius Cincinnatus! Nur wenig Mächtige besaßen seine Weisheit. Als das antike Rom einst in höchster Gefahr war, setzte ihn der Senat als Alleinherrscher ein. Er rettete die Stadt und legte danach sofort das Amt des Diktators nieder. Er zog sich zur Arbeit auf seine Felder zurück. In den Kriegen sitzen nur die Männer auf den Pferden. Wenn Frieden ist, wirf einen Blick in die Reithallen und Pferdeställe: Du siehst oft nur Frauen im Teenageralter. Wann kommt die Generation der klugen Pferde, die sich weigern, Männern zu dienen? Im übrigen wünsche ich mir, dass der FK Karabakh, derzeit Führender in der Regionalliga Ost, durchzieht bis in die Bundesliga und als Tschuschenteam einer Einwanderungsgesellschaft Vertreter des Österreichischen Fußballbunds in der Championsleague wird. Die Mannschaft: Haluk Göktas, Michael Harrauer, Murat Safin, Burak Aksoy, Fernando Almeida Zanon, Elvin Badalov, Ersan Gültekin, Tolgahan Medet, Aykut Tekinsoy, Christian Thonhofer, Daniel Vadrariu, Furkan Aydogdu, Bartlomieji Dolubcina, Fatih Ekinci, Tutrgay Gemicibasi, Coskun Kayhan, Ümit Korkmaz, Dmytro Nagiiew, Milan Sapardic, Taner Sen, Marko Stevanovic, Nemanja Stojanovic, Mato Tadic, Daniel Wolf, Oguzhan Önemli, Osman Bozkurt, Sertan Günes, Ercan Kara, Erdal Kara. Namensgeber des Regionalligavereins ist der führende aserbaidschanische Klub FK Quarabagh, ursprünglich in Aghdam, Region Karabach, ansässig, bis die Stadt 1993 durch die armenische Invasionsarmee zur Geisterstadt wurde. Heute finden die Heimspiele in Baku statt.

VOM MINDERWERTIGEN TEIL DER SOLDATENMASSE

Mein kleiner Disput mit Maren darüber, was «revolutionär sein» bedeutet, rumort in meinem Kopf. Immer wieder kommt mir dabei Benjamins Metapher von der notwendigen Verbindung von DISZIPLIN und POESIE in den Sinn. Das heißt für mich nicht nur, dass wir Disziplinierte und PoetInnen brauchen. Besser wäre es vielleicht, wenn dieses Spektrum zwischen Poesie und Disziplin in allen einzelnen Personen zu finden wäre. Diszipliniert sein, das heißt: prinzipientreu, zuverlässig, ausdauernd, lernbegierig, organisiert, geschult, unkorrumpierbar, listig, solidarisch, unermüdlich, streng, nüchtern, rational, verantwortungsbewusst, planerisch, strategisch sein usw. PoetIn sein, das heißt spinnend, rauschig, queer, seltsam, künstlerisch, individualistisch, anarchistisch, dadaistisch, gelegentlich faul, nonkonformistisch, ironisch, romantisch, melancholisch, durchgedreht, schöpferisch, dichterisch, sentimental, schwärmerisch, feinfühlig, spirituell, tagträumend, verspielt und wild sein. Es hat sich ergeben, dass in unserem «Streit» die Dichterinnen Zwetajewa und Achmatowa und die Bolschewikin Larissa Reissner als die Protagonistinnen der beiden Pole fungieren. Ich hab in den letzten beiden Tagen viel von Larissa gelesen (von ihr und über sie) und finde sie als eine großartige Revolutionärin. Gleichzeitig ist sie großartige Journalistin. Aber ich kann nicht ausblenden, dass sie einer Armee diente, in der die Bolschewiki das Monopol auf die Politisierung der Soldaten hatten. Einer Armee, die auch gegen den Anarchismus – das Gegenteil der Weißen – in den Krieg zog. Ja, RevolutionärInnen können die Positionen von Zwetajewa und Achmatowa in dieser Bürgerkriegszeit nicht teilen. Die Distanz dieser beiden Dichterinnen zum Klassenkampf bewahrte sie aber vor der Schuld, die Larissa, die Teil der Roten Armee war, auf sich lud: Sie verteidigte die laufenden Exekutionen der eigenen Soldaten, die einfach Schiss vor dem Krieg hatten und desertierten. Auszug aus ihrem Bericht von der Front: «Am nächsten Tage wurden 27 Deserteure gerichtet und erschossen. Darunter waren auch mehrere Kommunisten.» Das sei notwendig gewesen, denn ... «Erstens sprach die ganze Armee davon, dass die Kommunisten sich als Feiglinge gezeigt hätten, dass sie ungestraft desertieren könnten, während man einen einfachen Rotarmisten wie einen Hund erschieße. Ohne den außerordentlichen Mut Trotzkis, des Armeekommandeurs und der andern Mitglieder des Revolutionären Kriegsrats wäre das Ansehen der in der Armee arbeitenden Kommunisten für lange vernichtet gewesen (...) Man sagt, dass manche unter den Erschossenen gute Genossen waren, und zwar solche, deren Schuld durch die früheren Verdienste, durch Jahre von Zuchthaus und Verbannung aufgewogen wurde. Das mag zutreffen.» Die Partei habe nichts anderes tun können, als deutlich zu zeigen, «dass auch für sie die rauhen Gesetze der brüderlichen Disziplin bindend sind, dass sie den Mut hat, auch ihren eigenen Mitgliedern gegenüber die Gesetze der Sowjetrepublik rücksichtslos anzuwenden. Die 27 wurden erschossen: den minderwertigen, wenig klassenbewussten, zum Desertieren neigenden Teil der Soldatenmasse zwang diese Salve, die die Kommunisten ebenso wie gewöhnlichen Soldaten für Feigheit und Ehrlosigkeit im Kampfe gestraft hat, – sich aufzuraffen und jenen gleich zu sein, die bewusst und ohne jeden Zwang in den Kampf zogen.» Kriegsführende Parteien werden einander sehr ähnlich. Die Führung der Roten Armee reagierte auf die mindere Kampfkraft ihrer Truppen gegenüber den Weißen mit Terror. Im August 1919 schuf Trotzki Spezialtruppen, die hinter der Front Deserteure jagen sollten. Reserveeinheiten wurde befohlen, auf ihre zurückweichenden Kameraden zu schießen. Die Exekutionen der mindermutigen Rotarmisten (ich denke, ich wäre einer von ihnen gewesen, wenn ich dort gelebt hätte) waren so ziemlich das Gegenteil der Idee der Vorwegnahme utopischer Ziele in den realen aktuellen Kämpfen. Die Militanz der Konterrevolution färbelt den Krieg der Roten weiß an. Wie unschuldig mutet in dieser Zeit die Sympathie der beiden Dichterinnen für die Feinde der Revolution an. Es gab in der Roten Armee Spitzengeneräle, die diese Exekutionen im Widerspruch zu Larissa streng verurteilten. Nach Aussage des ehemaligen Oberkommandeurs der Roten Armee Jukums Vācietis führten diese Maßnahmen «zur mechanischen Ausführung von Befehlen ohne Inspiration und Pflichtbewusstsein.» Es gab für Larissa gute Gründe, auf der Seite der militärischen Disziplin zu sein. Es gab für die Achmatowa und die Zwetajewa gute Gründe, nicht Anhängerinnen der Bolschewiki zu sein.

O DU BEHEXTES GEBLÜT

Das österreichische Leben hat eine Entschädigung: Die schöne Leich. Ich kenne ein Land, wo die Automaten Sonntagsruhe haben und unter der Woche nicht funktionieren. In Deutschland bilden zwei einen Verein. Stirbt der eine, so erhebt sich der andere zum Zeichen der Trauer von seinem Platze. Hierzulande gibt es unpünktliche Eisenbahnen, die sich nicht daran gewöhnen können, ihre Verspätungen einzuhalten. Alles von Karl Kraus. Eines haben Berlin und Wien gemeinsam: Auf seinen Märkten liegen nur Tiere zum Verkauf, die bereits kaputt gemacht wurden. Ich nehme an, dass der chinesische Way of Live dem Westen nicht besonders aufgedrängt werden wird. Ich hoffe, mir bleibt das Zappeln, Wimmern und Zucken, das in Körben liegt und marktschreierisch den StraßenmarktbesucherInnen in Guangzhou angepriesen wird, für ewige Zeiten erspart. Sollen die KonsumentInnen zappeln, wimmern, zucken. Was kann den europäischen TouristInnen den ganzen schönen Tag verderben? Das lebende, aber dem Verderben preisgegebene Ein- und Ausatmen der zur Ware aufgestiegenen Kreaturen. Die Langusten, Garnelen, Riesenkrappen und Pfeilschnecken bewegen sich wie die Langsamkeits-Exzesse der Gruppe Slow Forward. Darüber sieht der Westler noch gelassen hinweg. Aber beim Durchschreiten südchinesischer Märkte bietet sich den Augen nicht alle fünf Sekunden etwas Neues (Maß für Erdgeschoßzonen, Kriterium für attraktive Neubaugebiete), sondern alle zweieinhalb Sekunden. Nach den flachen Langustenschüsseln: zappelnde Frösche in einem Korb aus Draht, ein Bündel sich windender Schlangen, Hühner und Enten, die – mit den Beinen oben – von Fahrradlenkstangen baumeln, Fische, die die PassantInnen aus trübem Wasser anglotzen, als klagten sie stellvertretend die gesamte Missachtung der Menschen für die Kreatur an. Fragebogenaktion im Rahmen eines Ziviler-Ungehorsam-Workshops in einem Gymnasium in Wien 3. Die Frage: Welche Punkte der Schulordnung, der Hausordnung oder anderer Normen, die den Alltag in der Schule regeln, sollen deiner Meinung nach geändert oder überhaupt abgeschafft werden? Eine Schülerin antwortet: Unsere Schule ist generell eher konservativ und es ist unglaublich schwer, mit Lehrkräften zu diskutieren, da die meisten sich gar nicht auf Gespräche einlassen wollen. Oft beschweren sich Schülerinnen und Schüler über das Handy-Verbot, das angeblich vor Mobbing schützen soll. Es betrifft nur einen Teil der Schüler (erste bis vierte Klassen) und ist deshalb ungerecht. Wir glauben auch, dass Mobbing nicht der wirkliche Grund für das Verbot ist. Das Verbot gilt für die vierten Klassen bis 12 Uhr mittags. Mobbing ist verboten, aber nur bis 12 Uhr? Sonst stört mich an dieser Schule auch, dass wir nicht wirklich tragen dürfen, was wir wollen. Ich habe mit ehemalige SchülerInnen geredet, die die Schule wechselten, weil sie rausgeekelt wurden bloß wegen der Piercings oder der gefärbten Haare. Eine Freundin von mir wurde gezwungen, ihr neues Piercing zu entfernen, weil es «nicht schön ist», wie ein Lehrer das Piercing-Verbot begründete. Meine Nietenarmbänder wurden als «zu gefährlich» eingestuft. Davon steht nichts in der Schulordnung. SchülerInnen sollten nicht auf Grund ihrer Kleidung beurteilt werden. Topopoesie des Salzkammerguts: Hochunters / Himmelreich / Innerroh / Fallholz / Außerroh / Einwarting / Hildprechting / Einsiedling / Kemating / Roh / Blaa / Kreh ... WARST DU SCHON IN WIEN BEI DIR / ODER AUSSER SICH NUR / BLEIB DOCH WO DU EH NICHT BIST / OTTAGRINZING GIBTS NICHT. Es ist an der Zeit, an ein paar verdrängte Manifeste radikaler Analyse gesellschaftlicher Repressionsmechanismen zu erinnern, etwa an David Coopers «Tod der Familie» oder Ronald D. Laings «Das geteilte Selbst». Um den G20-Gipfel gegen KapitalismusgegnerInnen zu beschützen, wurden in Hamburg 32.000 Polizisten zusammengezogen. Hier ist ein kleiner Vergleich angebracht. Alle westlichen Staaten zusammen setzten 2016 rund 13.000 Soldaten in Afghanistan ein, um die Rückkehr der Taliban an die Macht zu verhindern. Die zwei großen russischen Dichterinnen, Achmatowa und Zwetajewa, verband eine seltene rivalitätsfreie Freundschaft. 1916 widmet die Z der A folgende Zeilen: O Muse der Klage, wie Du ist keine so schön / O du behextes Geblüt, weißer Nacht entbunden / Den Schneesturm schwarz lässt auf Russland du niedergehen / und wie Pfeile schlagen deine Schreie aus Wunden. Das Leben von Franz Scheriau, dem Kapitän der (gerade noch geduldteten) Nostalgieflotte auf der Donau, ist so voller Geschichten, dass ich, wenn er sie erzählt, froh bin, dass ich mit meinen Erlebnissen nicht Schritt halten kann. Denn seine Anekdoten hinterlassen in den ZuhörerInnen das entbehrliche Gefühl, die eigene Sesshaftigkeit und der entsprechende Mangel an Geschichten sei ein peinlicher Ausdruck tiefgehender Feigheit.

BEIDE HABEN 1 GEDICHT IM KOPF

Susanne Sohn, einst zusammen mit Walter Silbermayer Co-Vorsitzende der KPÖ, hat ein Buch geschrieben: «Als der Kommunismus stürzte und mir nichts mehr heilig war» (Löcker Verlag). Ich schlug ihr den Perinetkeller als Ort der Präsentation vor. Wo liegt der, fragte Susanne. Im zwanzigsten Bezirk, antwortete ich. Herzliche, spontane Ablehnung: «Oh Gott, nicht der Zwanzigste! Ich möchte mein Buch in Wien präsentieren!» Wo auch immer, ich warte auf das Buch mit Spannung. Ich bin zitiert, Susanne aber verriet nichts. Gerne würde ich wissen, woher mein Vorurteil stammt, Bertolt Brecht habe sich im Oktober 1947 beim Verhör durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe opportunistisch verhalten. Die Frage, ob er je Mitglied der KP war, konnte er wahrheitsgemäß verneinen. Vielleicht war es nicht ganz koscher, den sozialistischen Charakter seiner Stücke zu relativieren. Befragt nach dem Inhalt der «Maßnahme» antwortete Brecht: «Dieses Stück ist die Bearbeitung eines alten, religiösen japanischen Stückes und es folgt ziemlich genau dieser alten Geschichte, die die Hingabe an ein Ideal bis in den Tod schildert.» Auf die Frage, ob es nicht etwa doch ein kommunistisches Stück sei, antwortete Brecht: «Ich würde sagen, die Literatur hat das Recht und die Pflicht, dem Publikum die Ideen der Zeit zu vermitteln.» Dann noch einmal die Frage, ob seine Stücke auf der Philosophie von Marx und Engels beruhten. Brecht, an dieser Stelle sehr souverän: «Ich musste als Stückeschreiber, der historische Stücke schrieb, natürlich Marxens Ideen über Geschichte studieren; ich glaube nicht, dass man heute ohne ein solches Studium intelligente Stücke schreiben könnte.» In meinem Vorurteil ist aber doch ein Wahrheitsteilchen enthalten, zu klein, um einen Schatten auf Brecht zu werfen, zu groß, um es ignorieren zu können. Ich las es in Jan Knopfs Brecht-Biografie. Die weiteren vom Komitee für unamerikanische Umtriebe vorgeladenen Schriftsteller und Künstler gingen als «die unfreundlichen Neunzehn» in die Geschichte ein. Sie hatten beschlossen, die Verhöre zu boykottieren und der Öffentlichkeit klarzumachen, dass das Komitee selbst unamerikanisch sei. Die Frage nach der KP-Mitgliedschaft beantworteten sie kollektiv nicht. Brecht war nicht unter den unfreundlichen 19. Er war nicht unfreundlich, auch deshalb, weil er sich das Abhauen nach Europa nicht mehr gefährden wollte. Das FBI muss freilich über den Inhalt und die Tendenz der «Maßnahme» ziemlich informiert gewesen sein, zumal ein FBI-Beamter das gesamte Stück aus dem Deutschen ins amerikanische Englisch übersetzt hatte. Man sollte diese Polizeiübersetzung mit literarischen Übersetzungen des Brecht-Stücks vergleichen. ERNST JANDL: in der küche ist es kalt / ist jetzt strenger winter halt / mütterchen steht nicht am herd / und mich fröstelt wie ein pferd. MAYRÖCKERS Paraphrase: in der Küche stehn wir beide / rühren in dem leeren Topf / schauen aus dem Fenster beide / haben 1 Gedicht im Kopf. Liesl Karlstadt zu Karl Valentin: Was ist ein Fremder? Karl Valentin zu Liesl Karlstadt: Fleisch, Gemüse, Obst, Mehlspeisen und so weiter. Wie in Österreich kam es auch in Deutschland 2017 zu massiven Verlusten der Sozialdemokratie bei Parlamentswahlen. Die SPD zog Konsequenzen, vor denen die SPÖ zurückscheut. Wie freute ich mich über folgende Presseerklärung: SPD-Führung übernimmt Verantwortung für Wahl-Desaster und tritt geschlossen zurück. Im Text erklärte der Kanzlerkandidat: «20,5 Prozent sind das schlechteste Wahlergebnis der SPD in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich übernehme Verantwortung für den trostlosen Wahlkampf, der es verpasst hat, die Bürger mit ihren Problemen direkt anzusprechen, und ziehe mich aus der Führungsspitze der Partei zurück. Jeder mit einem Funken Anstand würde so handeln. Die SPD braucht jetzt eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln». Auch der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag tritt ab: «Nach so einem Ergebnis weiter zu machen, als wäre nichts gewesen, das wäre eine Verhöhnung des Wählerwillens. Dann stünden wir bei der nächsten Wahl bei 15 Prozent.» Wow, Hut ab, dachte ich im ersten Moment. Niemals würde eine SPÖ-Spitze nach ähnlichen oder ärgeren Verlusten solche Worte finden. Dann fiel mein Blick auf eine Fußnote: «Großartiger satirischer Text aus der Internet-Zeitung www.der-postillon.de.» In mein Frösteln der angenehmen Art schlug der Blitz der Ernüchterung ein. Was ist los mit mir? Wie konnte ich für eine solche Illusion zugänglich sein? Eine Erklärung: Ich habe in jüngster Zeit über PolitikerInnen gelesen, denen ich diesen «Funken Anstand» zutraue. Bloß regieren sie leider nicht bei uns in Mitteleuropa, sondern in Uruguay, Kanada, Island. Orwells erstes großes Buch hieß «Hommage to Catalonia». Er hatte in den Reihen der antistalinistischen POUM gekämpft und in Barcelona erwartete ihn der Schock seines Lebens: Die Straßenkämpfe zwischen den Stalinisten und den GenossInnen der POUM und der Anarchisten. Wie kriegt man dieses Buch in die Hand?

WAS IST EIGENTLICH EINE FUNKSTREIFE?

Faschingsumzüge waren mir, dem aus der Provinz Stammenden, vertraut, detto die Faschingsbälle, aber den Fasching in Form von Gilden-Sitzungen assoziierte ich mit Villach oder Mainz. Als es sich ergab, dass ich an einer Gilden-Sitzung in Herzogenburg teilnehmen konnte, rechnete ich mit einer peinlichen Mainz- oder Villach-Kopie. Ich sah ein vierstündiges, in keiner Phase wirklich peinliches, in vielen Phasen inhaltlich starkes Revueprogramm in drei Teilen, von denen nur der erste Teil dem Amateurtümlichen verhaftet blieb. Das Laienensemble steigerte sich zum Dilettantischen, im ursprünglichen Sinn des Wortes: Zur Leidenschaft der Darstellung. Wäre ich Wiener Theatermacher, würde ich sofort nach Herzogenburg fahren und mir die LaiendarstellerInnen herausfischen aus dem Gilden-Topf. Das Programm war solidarisch kritisch gegenüber dem SPÖ-Bürgermeister der Industrie- und Weinstadt, in keiner Phase rassistisch oder ausländerfeindlich, es war durchgehend kirchenkritisch (aus basiskatholischer Perspektive) und verspottete stadt-, regional- und verkehrspolitische Entscheidungen. Die Kirche bekam vor allem als am Zölibat festhaltende Institution ihr Fett ab. Jungen Männern in Herzogenburg und Umgebung, die wegen ihres Misserfolgs, ihrer Unentschlossenheit, ihres Desinteresses gegenüber Frauen ins Gerede kommen, hält man das Beispiel eines Klerikers entgegen: «Söbst da Pforra vo Kapelln hod scho ane …» Die Faschingsgilde braucht hier nichts Fiktives hinzuzufügen, die Realität ist erleuchtend genug. Beim Witz über den Italiener, den Japaner, den Österreicher und den Türken, die – einer nach dem anderen – alles zum Fenster hinaus schmeißen, wessen sie nachvollziehbar überdrüssig geworden sind, hat der Türke das letzte Wort. Das hat mir gefallen: Nachdem sich der Italiener der Spaghetti entledigt und der Japaner die Portion Reis aus dem Zugfenster kippt, sagt nicht der Ösi zum Türken, sondern umgekehrt der Türke zum Ösi, eingedenk des noch immer offenen Fensters: Mach jetzt keinen Scheiß! Am Tag der polizeilichen Verfolgungsjagden auf die Gegnerinnen und Gegner des Balls der rechtsradikalen Verbindungen in Wien brachte es die Faschingsgilde aus der niederösterreichischen Kleinstadt sogar zuwege, einen durchreisenden Anarchisten zum Lachen zu bringen. Was ist der kleinste Bauernhof? (…) Eine Funkstreife. (???) Vorne zwei Bullen, hinten eine arme Sau. Und geschunkelt wurde im gerammelt vollen Saal erst beim Finale, vier Stunden nach Beginn. Und auch das nur deshalb, weil der Boss der Narren das Publikum dazu aufforderte, in Unkenntnis meiner ethnologischen These, dass das unter biertrinkenden Völkern beliebte Schunkeln in Regionen des guten Weines (Herzogenburg liegt an der Schwelle der «Weinbauregion Traisental») als nicht authentischer Brauch gilt. Mittags vor dem Gildenabend war in St. Pölten mein Vater verbrannt worden. Ein Flammenwerfer wird eingeschaltet, der Sarg lodert, niemand von uns hat die parapsychologische Kompetenz, das zu spüren, der Tote war oben im Sarg schon eine Sache, nun wurde er da unten vollends versachlicht, ist sie schon abgefüllt, die Sache, mit dem Zusatz der E 535-Rieselhilfe? Unter den Schwestern des Vaters brach der Erzstreit aus, den ich bisher nur aus Erzählungen kannte; diesen Streit hielt ich immer für prinzipiell schlichtbar, bis ich seine Unschlichtbarkeit wahrnahm am Tag des Verbrennens der Leiche meines Vaters, der in den letzten Jahren seines Lebens am Versuch scheiterte, seine Schwestern zu verschwestern. Mittags und nachmittags, bei der Zehrung, wie diese doppelmoralischen Katholikinnen das gemeinsame Essen nach einem Begräbnis auf Kosten der Ersparnisse des Verstorbenen nennen, bei der Zehrung ärgerte ich mich noch über die Chuzpe dieser dämlichen Anklageweiber, selbst den Abschied ihres Bruders, ihres Schwagers, meines Vaters, für ihren Feldzug gegen das Böse, ihr nächstes Blut, zu missbrauchen. Die christliche Erbsünde kann doch nicht jegliche zeitlich ihr nachfolgende Unmoral entkriminalisieren! Ich ärgerte mich, weil eines der Anklageweiber nicht aufhörte, meinen verstorbenen Vater zu kritisieren, weil er testamentarisch die jüngeren Generationen der Mischpoche nicht zur Trauerfeier eingeladen hatte. Versteh mich nicht falsch, sagte das Anklageweib: Es geht den Kindern – die Töchter und Söhne sind zwischen 35 und 55 Jahre alt – nicht um die Zehrung! Es geht ihnen um ihren Onkel, für den sie doch einen musikalischen Abschied vorbereitet hätten. Bis zur Zehrung wären sie gar nicht geblieben, das hätten sie ja gar nicht nötig. Mein Vater hatte also doch recht, als er ein paar Tage vor seinem letzten Atemzug sagte, dieser Trampel werde meinen Wunsch, bloß vor einer kleinen Runde der engsten Angehörigen ins Feuer hinunter gelassen zu werden, als verdammte Knausrigkeit deuten.

BLOOM BEDECKT DAS LINKE AUGE MIT DEM LINKEN OHR I

Das Personal der Handlung meines gescheiterten Romans mit dem Titel «Potlatch»: Oscar Boylan, Daisy Dawidoff, Stephen Dedalus, Kurt Etermit, Mira Fall, Zoe Higgins, Toby Kaltbauer, Sascha Komplott, Nora Kwadrat, Rosalie Quadrat, Marie Mayerling, die Mooshubenwirtin, Peppi Mulligan, Xandl Mulligan, Milena Mungenast, Robert Musil, Fresh Nelly, Su Neruda, Nikol Omsk-Ili-Tomsk, Papa Othza, Elisabeth Plainacher (Bürgermeisterin von Vineta), Karl Qualtinger (Bürgermeister von Wien), die Seewirt-Wirtin, Dragan Tradigist, Edith Ural, Sophie Volland, Ethel Wonne, Catharina Wuschletitschin. Im Romanfragment aufgelistete Orte der Mecklenburger Seenplatte, in denen Ende des 15. Jahrhunderts in geheimen Werkstätten falscher Bernstein hergestellt wurde, mit dem Kurt Eternits Bernsteinbande einen eingeweihten Stralsunder Kaufmann versorgte, der den Fake als echten Bernstein nach Brügge verschiffte und eine zeitlang die höchsten Gewinnraten des Hansehandels realisierte, bis er in Lübeck gemeinsam mit 40 Mitgliedern der Bande geköpft wurde: Cammin, Klocksin, Penzlin, Poppentin, Rechlin, Roggentin, Varchetin, Weitin, Woggersin, Wulkenzin, Zechlin; Dossow, Globsow, Gramelow, Granzow, Lexow, Mirow, Nätebow, Qualzow, Quassow, Torgelow, Vipperow, Wustrow, Zielow, Zirtow, Zwenzow. Verhängnisse werden im Romanfragment – nach Georg Simmel – in TRAGISCHE und TRAURIGE eingeteilt. Tragische Verhängnisse sind Verhängnisse, bei denen die gegen ein Wesen gerichteten vernichtenden Kräfte den tiefsten Schichten eben dieses Wesens selbst entspringen. Traurige Verhängnisse sind Verhängnisse, bei denen von außen her zerstörende Kräfte das Wesen angreifen. Bloom (in „Ulysses» von James Joyce) bringt 8 männliche Kinder zur Welt: Nasodoro, Goldfinger, Chrysostomos, Maindorée, Silversmile, Silberselber, Vifargent, Panargyros. 11 Gründe, warum Leopold Bloom der Jesus Christus von Irland sein könnte, wenn die Iren in der Lage wären, Ulysses bis zur Seite 662 zu lesen. Bloom beherrscht nämlich 11 Dinge außergewöhnlich gut: Erstens: Er wandelt auf einem Netz. Zweitens: Er bedeckt sein linkes Auge mit seinem linken Ohr. Drittens: Er schreitet durch mehrere Mauern. Viertens: Er erklimmt die Nelson-Säule. Fünftens: Er hält sich frei schwingend nur mit den Augenlidern an der obersten Kante fest. Sechstens: Er verzehrt zwölf Dutzend Austern (einschließlich der Schalen). Siebtens: Er heilt verschiedene Kranke, die an Skrofeln leiden. Achtens: Er verzieht das Gesicht so, dass er zahlreichen historischen Persönlichkeiten gleicht: Lord Beaconsfield, Lord Byron, Wat Tyler, Moses von Ägypten, Moses Maimonides, Henry Irving, Rip van Winkle, Kossuth, Jean Jacques Rousseau, Baron Leopold Rothschild, Robinson Crusoe, Sherlock Holmes, Pasteur. Neuntens: er dreht beide Füße gleichzeitig in verschiedener Richtung. Zehntens: Er lässt die Flut zurück gehen. Elftens: Er verfinstert die Sonne durch Ausstrecken eines kleinen Fingers. In österreichischen Frühstückspensionen bestellte Warmgetränke (Saison Sommer 1969): Kaffee (69 %), Tee (25 %), Kakao (6 %). Vergleich Saison Sommer 2008: Kaffee (69 %), Tee (25 %), Kakao (6 %). Aus dem Romanfragment «Potlatch». Papa Othza war Spross einer der 13 Stammstämme Österreichs, die uralte Familie nannte sich nach dem heiligen Berg Ötscher, in dessen Höhlen sie sich verkroch, wenn sie mit den benachbarten Urstämmen, den Gmosers und den Mosers, in Fehde lag. Die Privilegierung der Abkömmlinge aus den 13 Stämmen war – übrigens wie im Irland der 14 Stämme – gesetzlich ausdrücklich verboten: Die 14 Stämme Irlands: Athus, Blake, Bodkin, Brown, D´Arcy, Deane, Ffont, Ffrench, Joyce, Kirwan, Lynch, Martin, Morris, Skerett. Die 13 Stämme Österreichs: Goiserer, Gmoser, Grandits, Klein, Moser, Nicoletti, Othza, Plainacher, Schifkovits, Schuster, Sindela, Soyka, Stoyka. James Joyce´ Liste der schlechtesten Bücher der Welt: Franzmann und Michel / Kleinkinderpflege / 50 Mahlzeiten für 7/6 / War Jesus ein Sonnenmythos? / Wie man Schmerzen vertreibt / Kompendium des Universums für Kinder / Lasset uns freuen und fröhlich sein / Vademecum des Annoncen-Akquisiteurs / Liebesbriefe der Mutter Helferin / Wer ist wer im Weltenraum? / Lieder die zu Herzen gingen / Der sparsame Weg zum Reichtum. Außergerichtliche und persönliche Wege des Mörders von Samuel Childs, das Verbrechen in ihm zu tilgen: Zerstreuungen / Saatkrähenschießen / Die ersische Sprache / Laudanum / Wohnen unter freiem Himmel. Empörende Schauspiele auf Dublins Straßen, welche geeignet sind, die geistige Kapazität der Bevölkerung anzugreifen: Scheußliche Plakate / Geistliche aller möglichen religiösen Sekten / Verstümmelte Soldaten und Seeleute / Offen scharbockkranke Droschkenkutscher / Aufgehängte Kadaver toter Tiere / Paranoide Junggesellen / Unbefruchtete Duennas.

BLOOM BEDECKT DAS LINKE AUGE MIT DEM LINKEN OHR II

Viele Staaten haben die rote Farbe in ihrer Fahne. Der horizontale weiße Streifen in der Mitte des roten Feldes symbolisiert die Kitzbühler Streif, das Grab der Abfahrerinnen und Abfahrer, die Kaaba Österreichs. Viele Mitmenschen aus den Parallelgesellschaften wissen immer noch nicht oder wollen nicht wissen, aus welchen Farben die österreichische Fahne besteht. ROT – ICH WEISS NICHT – ROT. Der Wald ist der Kern, die Seele, das Herzstück, die Hochburg und der Sinn Österreichs. Mit dem österreichischen Rotweißrot gekennzeichnete Waldwege sind Labyrinthe, die aus Österreich nicht hinausführen in Richtung sichere Drittländer. Mit der ärztlichen Bestätigung der Zecken-schutzimpfung kann der Wald an Sonn- und Feiertagen jederzeit betreten werden. Von Montag bis Freitag besteht wegen Forstarbeiten Lebensgefahr. Wo die Stadt aufhört, soll dann bald der Wald beginnen, denn der Bärlauch, der Schatten, die Waldluft und die ungiftigen Pilze sollen via Forststraßennetz und Allradantrieb leicht erreichbar sein. Vor den Österreichern sind immer schon die Fremden bei den ungiftigen Pilzen, obwohl sie ohne Allradantrieb hinfahren müssen. Die ersten Einheimischen kommen zu den Pilzen, wenn es keine Pilze mehr gibt. Man findet dann diese Pilze vorzugsweise in den Pfannen der Türkinnen. Fast so unbeliebt wie die Türkinnen und die Türken sind die Biber, obwohl diese den Baum, die kleinste Einheit des Waldes, zerstören. Mit der deutschen Liebe zum Wald generell, zum Westerwald im Besonderen, zum Regenwald im Speziellen, genau genommen zum Urwald an sich und konkret zur deutschen Eiche hat der Wiener nichts zu tun. Der Wiener liebt den mit Handymasten durchwachsenen Wienerwald. Das Christentum ist der Kern, die Seele, das Herzstück, die Hochburg und der Sinn Österreichs. Stolze Kreuze entlang der Routen der Kreuzzugsheere erinnern an die heroische Periode der österreichischen Religionsgeschichte. Die Kreuze des Christentums kultivieren die Landschaft, in der sie stehen. Sie markieren Kraftorte, an denen man gerne innehält und Bachblütenextrakte zu sich nimmt. Die wichtigsten Feiertage Österreichs sind der Heilige Abend, der Weltspartag und der Muttertag. Dionysische Lebensfreude und schwarzer Humor sind unösterreichische pathologische Phänomene, die zur kollektiven Kirchensteuerflucht führen können. Die Leere der österreichischen Kirchen ist jedoch ein Ausdruck der breiten Zustimmung der ÖsterreicherInnen zum neuen Papst, der den barocken Prunk zum No-go der Gläubigen erklärt hat. Während die Dome leer bleiben, füllen sich die Bierzelte. Höhepunkte des Bierzeltprogramms sind das Halleluja, bei dem die Barmherzigkeit von Hans Peter Haselsteiner gelobt wird, und die Frohbotschaft, die zeremoniell mit dem Vogerltanz abgeschlossen wird. Die Kultur ist der Kern, die Seele, das Herzstück, die Hochburg und der Sinn Österreichs. ÖsterreicherInnen werden nie verstehen, dass man den unsicheren Drittländern Menschen, die Trost aus den schönen Künsten schöpfen, Idioten nennt. In Österreich gilt als Idiot, wer nie blau ist und nie blau macht. Beim Zuprosten mit alkoholischen Getränken schauen die ÖsterreicherInnen einander in die Augen und sagen «hüfts nix schodds nix». Pfadfinder müssen jeden Tag ein gutes Werk tun oder barfuß über ein Heer von Nacktschnecken schreiten. »Kunst» in den wichtigsten Sprache der Erde. hochdeutsch: kunst / italienisch: confetta / dänisch: knast / althochdeutsch: kumpft / spanisch: la confusion, / katalanisch: la confusion / portugiesisch: confusao / wiener dialekt: kuuunsd / friesland: kannste / jiddisch: knizel / chinesisch: kun fui / serbokroatisch: konaste od. kunod / georgisch: kunadse / südburgenländisch: de sochn / mecklenburgerisch: kamp / französisch: arte / italienisch: arte / schwyzerdütsch: küssli. «Markt» in den wichtigten Sprachen der Erde. / hochdeutsch: markt / italienisch: mercato / dänisch: merholm / althochdeutsch: marko / spanisch: marcoella / portugiesisch: marcoil / wiener dialekt: noschmoagg / friesland: jarmark / jiddisch: merktel / chinesisch: nang / serbokroatisch: supermarket / georgisch: billawili / südburgenländisch: de sochn / mecklenburgerisch: maark / französisch: mercee / italienisch: lireleo / schwyzerdütsch: supermarket. «Krieg» in den wichtigsten Sprachen der Welt. / hochdeutsch: krieg / dänisch: krug / althochdeutsch: krog / spanisch: curuzza / portugiesisch: curusa / wiener dialekt: subbawiggl / friesland: kriek / jiddisch: gechlechtl / chinesisch: nang / serbokroatisch: krus / georgisch: ventil / südburgenländisch: de sochn / mecklenburgerisch: kriesch / französisch: croache / italienisch: corricco / schwyzerdütsch:

BLOOM BEDECKT DAS LINKE AUGE MIT DEM LINKEN OHR III

Im Bezirksmuseum Penzing, im Rahmen einer Otto Wagner-Sonderausstellung, ist das Modell der weltberühmten Kirche am Steinhof zu sehen. Normalerweise steht die Kirche in der Kirche, oft aber ist sie auf Reisen, denn es herrscht ein wahres «G´riss» um sie. Bei der «Wien um 1900»-Ausstellung war sie 2008 im Leopold-Museum zu betrachten, bei der «Wahnsinn und Modermität»-Ausstellung 2009 in London, im Jahr darauf wurde sie im WienMuseum am Karlsplatz und bei der «Wien 1900»-Schau in Basel ausgestellt, 2011 flog sie über den Teich, um den Wiener Jugendstil in der Neuen Galerie in New York zu repräsentieren. Die Aufmerksamkeit der Kenner_innen dieses Modells richtet sich weniger auf das detailverrückte Objekt, vielmehr auf seine Entstehungsgeschichte. Es war in den 20er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von Patienten der damals größten und modernsten Heil- und Pflegeanstalt Europas «für Nerven- und Geisteskranke», dem von Otto Wagner entworfenen Pavillon-Ensemble am Steinhof, angefertigt worden. Den Faschismus überlebte die Nachbildung der Kirche mit der goldenen Kuppel nicht unversehrt. 1997 wurde sie im «Zwölfer-Pavillon», ebenfalls von Langzeitpatienten der Psychiatrie, instandgesetzt. Die drei Männer, die dieses Kunststück zuwege brachten, werkelten daran 1500 Arbeitsstunden. Sie restaurierten das Kirchenmodell aber nicht rigide ursprungsgetreu, sondern bauten ein Läutwerk und eine Beleuchtung in das Modell ein, ersetzten die verzogenen Rahmen der Holzfenster durch Aluminiumfenster und restaurierten die Wagnerschen Jugendstilengel in feinster Detailtreue. Träger dieser Aktivität war der vom Sozialarbeiter Robert Hutfless gegründete Verein «Projekt Museum am Steinhof», der damals im Pavillon 12, heute im Keller des Pavillon 26 beheimatet ist und in Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Otto Wagner-Spitals in Psychiatriepatienten, insbesondere von der Station für alkoholkranke Männer, im Sinn eines Empowerment-Konzepts die Leidenschaft des Handwerkens, der kreativen Arbeit, der Restaurierung erweckt. Die Männer aus dem Pavillon 26 sind heute zu Spezialisten der Restauration geworden, die vor keinem Auftrag zurückschrecken. Kein Wiederherstellungswunsch gilt als undurchführbar. Als Wiederhersteller der vom Altersverschleiß betroffenen Detailobjekte oder der traditionellen Inneneinrichtung der Otto Wagner-Architektur hat das Hutfless-Projekt inzwischen die Rolle des angewandten Denkmalschutzes eingenommen. Die wunderbare Lage des Pavillons 26 – wie der gesamten Anlage Otto Wagners – könnte der Kreativwerkstatt zum Verhängnis werden. Die «Initiative Steinhof» scheint ohnmächtig gegen die sukzessive Verscherbelung des denkmalgeschützten Ensembles zu sein. Wer das Geld hat, hat ein Recht auf die «besten Adressen», auf die Traumlagen, auf die schönsten Aussichten der Hauptstadt, so lautet das neoliberalistische Credo. Die rotgrüne Stadtregierung scheint weit davon entfernt zu sein, sich an Triest ein Beispiel zu nehmen, wo eine ähnliche Anlage – sie entstand übrigens in derselben Zeit wie die Otto Wagnersche – nach der Deinstitutionalisierung der Psychiatrie vor dem Zugriff des Immobilienkapitals geschützt wurde. Nachdem der Triestiner Psychiater Franco Basaglia eine Psychiatrie-Revolution eingeleitet hatte, indem er die geschlossene Krankenhausanlage Anfang der 70er Jahre der Öffentlichkeit zurückgab und die «Irren» aus dem strafvollzugsähnlichen Dasein entließ, stand plötzlich ein riesiges Grundstück zur Verfügung, der als attraktiver Ort für soziale, kulturelle, jedenfalls öffentliche Nachnutzungen wie geschaffen war. Die Transformation der «Irrenanstalt» in ein von allen benutzbares Zentrum der Bildung, der Kultur, der sozialen Arbeit und der praktischen Überwindung der alten Zwangspsychiatrie war nicht alles. In den Grünanlagen der ehemaligen psychiatrischen Pavillons entstand der faszinierendste Rosengarten Italiens. Ähnliches passierte mit der Mailänder «Irrenanstalt». Die ehemaligen Personalschlafräume wurden in eine attraktive Jugendherberge verwandelt, die ehemalige Leichenhalle ist ein slow food Restaurant. Die ehemalige Anstaltskantine wird vom progressiven Theaterkollektiv La Cucina bespielt. In den Sälen des ehemaligen Spitals finden heute Kongresse und Symposien über Gesundheitspolitik, Demokratie, Kulturpolitik oder urbane Entwicklung statt. Nicht Milano, nicht Triest – Wien gilt als bestverwaltete Stadt. Der Augustin relativiert das ständig, etwa in seinem Bericht «über die wahrscheinlich hinterlistigste Magistratsbteilung Wiens.» Für kleine Kulturinitiativen und -vereine und vor allem für KünstlerInnen, die jenseits der Hoch(subventionierten)kultur tätig sein wollen, besteht Wien aus Formularen, Geldmangel und anderen Schikanen. Die Schriftstellerin El Awadalla hatte ein Veranstaltungsidee – und listete für den Augustin die «Sekkierereien» auf, die ihr diese Idee einbrachte. Es ging um einen Gebärden-Poetry-Slam, der 2014 veranstaltet werden sollte.

HARRY POTTER UND DIE BURENWURST

Im Jahr 2003, dem achten seit der Gründung des Augustin, trafen die Straßenzeitungs-MacherInnen eine Entscheidung, die im gesamten deutschen Sprachraum auf mediale Aufmerksamkeit stieß. Entschieden wurde, auf ein Vorab-Veröffentlichungsrecht zu verzichten. Joanne K. Rowling hatte dem Augustin und allen anderen deutschsprachigen Straßenzeitungen angeboten , das erste Kapitel des neuen Harry Potter-Romans vor Erscheinen des Buches gratis abzudrucken. Der Augustin könne so eine Explosion seiner Auflagenzahl erreichen und seine VerkäuferInnen reich wie noch nie in diesen ersten acht Jahren machen. Karl Berger, Augustin-Layouter und -Cartoonist, verfasste die Begründung des Verzichts an die Adresse des Carlsen-Verlags, der die deutsche Übersetzung der Potter-Erzählung vertreibt. Möglich, dass der Augustin kurzfristig neue LeserInnen gewinnen hätte können, hieß es in dem Ablehnungs-Mail. Aber für diese LeserInnen gäbe es kein weiter gehendes Angebot im Stile der Trivialserie Rowlings. Ein Vorabdruck entspräche deshalb einer «einmaligen Gratis-Burenwurstaktion in einem vegetarischen Restaurant». Bergers genialer Burenwurstvergleich machte die Runde und wurde zwischen Graz und Flensburg mehr zitiert als all die beflissenen Positiv-Reaktionen auf die vermeintliche Benefizaktion. Die versprochene oder erwünschte Auflagenexplosion fand nirgends statt. Relativ gut ging es dem Grazer «Megaphon». Statt 10.000 wurden von der November-Ausgabe 17.000 Hefte gedruckt – und sie waren am Ende des Monats ausverkauft. Der Erfolge erwies sich freilich nicht als nachhaltig. Viele Zeitungen, darunter der Standard und die OÖN, und auch Nachrichtenagenturen vermuteten einen PR-Coup der Augustin-MacherInnen, hatte sich doch herausgestellt, dass die Potter-Verweigerung weit mehr Artikel generierte als der Abdruck. Die Hypothese des raffinierten PR-Coups nahm der Augustin als Kompliment, konnte sie aber nicht bestätigen. Vielmehr nutzte er die Gelegenheit, via Potter-Verweigerung ein geld-, profit- und kapitalismuskritisches Statement zu lancieren. Joanne K. Rowling fiel vor kurzem durch eine märchenhafte 1-Million-Pfund-Spende auf. Nein, diese Million war nicht für die Londoner Straßenzeitung The Big Issue gedacht. Es handelt sich um eine Spende für die politische Kampagne gegen die Unabhängigkeit Schottlands. Ich brauche mir dazu keine eigene Meinung zu bilden. Die Unabhängigkeit eines Landes kann fortschrittlich oder reaktionär sein. Detto die Institution der jährlichen Weihnachtsfeier der MitarbeiterInnen und engen FreundInnen des Aktionsradius Wien. Den letzten dieser Feiern fehlte eine Rede von mir. Meiner Meinung nach. Ich weiß nicht, ob sie sonst wer vermisste. Dass mir nichts mehr eingefallen war, um mich und das enge Team auf die Schaufel zu nehmen, betropitzte mich ein wenig. Dann fand ich das Thema. Es ergab sich, weil ich unter dem Regime von Zitterei und Schwerhörigkeit periodisch zum Nichtleistungsgträger der Aktionsradius-Crew zähle. «Der Aktionsradius Wien als Senioren-Integrationsprojekt? Ich ärgere mich schon die ganze Zeit, dass dieser Strang der Aktionsradius-Arbeit nicht kommuniziert wird. Dabei funktioniert der Verein in keinem Bereich seiner Aktivität besser als in dem der positiven Diskriminierung einer gesellschaftlich immer unerwünschter werdenden Gruppe, der Gruppe der alten Menschen. Ich, obwohl sichtlich siechend, durfte meinen seit zwei Jahrzehnten gewohnten Arbeitsplatz hinter der Theke behalten, was aber nun keine Frage der Arbeitsorganisation, sondern eine Frage der Therapie war. Ich möchte euch die Situation aus der Sicht des Klienten, der ich ja für den Aktionsradius bin, obwohl dieser Ausdruck in meiner Anwesenheit nie verwendet wird, schildern. Ich bin ganz sicher der einzigste Kellner der Welt, der auf die Bestellung ’Ein Achterl rot bitte’ in der Weise reagiert, dass er in die Küche läuft und ein Messer zum Brotschneiden rausbringt. Uschi förderte meinen Anspruch, durch das dienstägliche Summieren des Konsumierten ohne Taschenrechner und Smartphone das Kopfrechnen nicht zur Gänze zu verlernen. Sie änderte die Preise der Getränke so, dass keine Ware mehr mit einem runden Preis versehen war. Ich fürchte übrigens, dass die nächste Steigerungsstufe schon in peto ist und dass das Zwettler Bier dann 2, 86 Euro und das Budweiser 3,41 kostet. Uschi achtet sehr darauf, dass kein Getränk genauso teuer ist wie ein zweites; sie zwingt den mathematischen Ort meines Gehirns zum Addieren, eine Kunst, die ich 15 Jahre lang im Aktionsradius nicht brauchte, weil alles entweder 1 oder 2 Euro kostete. Ich möchte an dieser Stelle gestehen, dass ich oft nur so tu, als ob ich in meinem Kopf addieren würde. In Wahrheit überlege ich nur, welche fingierte Summe ich nennen soll. Noch nie hat sich ein Kunde darüber beschwert..»

DER FRÜHLING KOMMT IMMER VERBLÜFFEND

«1954, als die Deutschen in Bern Fußballweltmeister wurden, habe ich in Frankfurt gehört, wie nach der Deutschlandhymne wie früher das Horst-Wessel-Lied gebrüllt wurde. Das Gebrüll des Dritten Reichs konnte man in den Wochenschauen hören, und im Rundfunk wurde wie früher gebellt. Wenn einer auf der Straße laut Gitarre spielte, kam sofort der Polizeiknüppel. Sie machten sich strafbar, wenn Sie Geschlechtsverkehr hatten, ohne verheiratet zu sein. Wenn Hildegard Knef eine halbe Brust heraushängen ließ, wurde die Aktion Saubere Leinwand aktiv.» Das waren laut Klaus Wagenbach, dem deutschen Buchverleger, die Zustände in Westdeutschland, als noch niemand das Aufkommen der 68er-Revolte spürte. In Wien wurde man von der Polizei verhaftet, wenn man, wie der Aktionist Günter Brus, mit weißer Farbe am ganzen Körper (keineswegs nackt!) durch die Innenstadt spazierte. Was noch schwerer wog: In Wien konnte ein NS-Massenmörder, der Euthanasiearzt vom Spiegelgrund, unbehelligt zum Chef-Gerichtsgutachter werden und als angesehenes Mitglied der SPÖ seinen Kampf gegen «unwertes Leben» fortsetzen. Und plötzlich ist das nicht mehr möglich, weil kritische Intellektuelle am Werk sind. Was können Unzufriedene von heute aus diesen Umbrüchen der 60er Jahre lernen? Zumindest das: Weder die Politik noch die Gesellschaftswissenschaften konnten 1967 voraussagen, dass das Jahr 1968 den Höhepunkt der politischen Aktivität der Jugend bringen würde; speziell in Deutschland blamierte sich ein Forscherteam, das wenige Monate vor dem StudentInnenaufruhr die deutschen Studierenden als durchschnittlich völlig unpolitisch diagnostizierte. Der Frühling kommt immer verblüffend; Umbrüche sind nicht voraussagbar – und das ist möglicherweise das Ermutigendste, das sich heute, angesichts vielfach resignierender Weltverbesserer, sagen lässt. Für Verblüffung sorgte die rasch sich verbreiternde Occupy-Bewegung, und für Verblüffung innerhalb der Verblüffung die stark kapitalismusfeindliche Note dieser Bewegung, die sich in jene Räume Eingang verschaffte, in denen die Architektur der Banken herrscht, nicht die Bankenmacht selbst, die naturgemäß keinen Ort hat. Für Verblüffung sorgten die Platzbesetzungsrevolutionen in Nordafrika und im Nahen Osten. Völlig verblüffend wird die Revolte der Jugend in Teheran aufkommen, was allerdings meine Hypothese der fast gesetzmäßigen Überraschung ins Wanken bringt; denn der Ausstand der persischen Städte kann ja nicht mehr verblüffend sein, nachdem ich ihn (für 2018) verlautbart habe. In einem unvorhersehbaren Moment treten ein charismatischer Streikführer, ein Fußballsuperstar mit Skrupeln, eine paar Intellektuelle, die die Sache der Volks verteidigen und mit herrlichen Gleichnissen das Tun der Machtgierigen karikieren, sowie eine ausreichend große Masse mit Revolutionsbereitschaft auf, und schon schaut die Sache anders aus. Die Veranlagung, in dieser Manier zu hoffen, ist organischer Frustschutz. Ich bin nicht allein mit diesem Traum. Die Gänsehaut zog auf, als ich den Soziologen Mattei Dogan las: Die Krise, die Frankreich im Mai 1968 erschütterte, ist weder von einer Schule noch von einer soziologischen Gruppe vorhergesehen worden. Sie fiel sprichwörtlich vom Himmel, an einem schönen Frühlingtag, in einem wirtschaftlich blühenden Land, das in den vergangenen zehn Jahren all dringen politischen Missstände gelöst zu haben schien. Nicht einmal retrospektiven Analysen ist es gelungen, das konfuse Großereignis richtig zu erklären. Es war eine Krise ohne Propheten. Unmittelbar nach der Krise gab es in diesem Zusammenhang einen regelrechten Überfluss an Literatur: 1200 Bücher ... Kann man von einer Bewegung, die in 1200 Büchern reflektiert wird, überhaupt sagen, sie hätte versagt? Kann man Verlierer sein, wenn man das Interesse von 1200 Verfasser_innen oder Herausgeber_innen weckt? Oder von 1200 Interpret_innen interpretiert wird? So viele Bücher zu einem Ereignis? So viele Bücher begleiten normalerweise nur Nichtereignisse, wie der Weltuntergang nach dem Mayakalender oder der elfte Scheintod des Abendlandes. Giorgio Galli meint, für die Veränderung der Verhältnisse sei ein Bündnis zwischen marxistischen und katholischen Intellektuellen nötig (da es in Österreich beide nicht gibt, wird sich die österreichische Revolution eine Wirtsrevolution (einen Revolutionswirten) suchen müssen. Das Verbindungsglied zwischen dem katholischen und dem marxistischen Geist stellen die «Evangelischen Atheisten» dar, auch «Devote Atheisten» genannt. Es handle sich, so Galli, um Intellektuelle, die sich bewusst sind, dass ihre wissenschaftlich fundierte Abkehr von der Religion das Universum nicht begreifbarer macht. Die Rätsel bleiben. Ich erwarte mir vom Leben ein Viertel ungelöste alte Rätsel, ein Viertel zu meiner Zeit gelöste alte Rätsel, ein Viertel ungelöste neue Rätsel und ein Viertel neue Rätsel, die in meiner Zeit gelöst werden. Ich muss Augenzeuge sein.

VOLLHOLLER & KUSCHELJUSTIZ

Sämtliche bisher von mir benützten Passfotoautomaten liefern Fotos, die die Haltung mancher Indigenen-Häuptlinge gegenüber den Kameras der Fremden plausibel machen: die Stammesgurus sagen, dass man jemandem die Seele raubt, indem man ihn fotografiert. Meine beiden letzten Passbilder sollten MICH zeigen, aber sie zeigen einen gebrochenen Mann, der in meschuggener Miene auf den Blitz wartet und sich dabei im falschen Moment schneuzt. Wie ein verschreckter Neandertaler schaue ich drein, der zum ersten Mal in seinem prähistorischen Leben eine rosarote Plastikzahnbürste findet. Der diese dementsprechend vollstupid anstarrrrrt. Im nächsten Moment dreht er sie schon, Bürste voran, im Arsch herum. In den Schwarz-Weiß-Radio-Nachrichten hörte ich heute, den Buddhismus gäbe es in verschiedensten Farben. Seit wir die Kröte / des Alphabets geschluckt haben / müssen wir auch die Schlangen / der Geschichtsschreibung schlucken. / Mit der Wolfsmilch der Literatur / spülen wir sie hinunter. Selbstverständlich gibt es Zusammenhänge zwischen der einmaligen Revolutionsbereitschaft der Massen in Russland 1917 bis 1922 und der nachrevolutionären, bis heute anhaltenden gesellschaftlichen Trägheit, die in Moskau und Leningrad nicht einmal 1968 überwunden wurde. Kein Wunder, dass das kollektive Gedächtnis dem russischen Volk nicht den Rat gab, es noch einmal mit einer Revo zu probieren. Dann hätte sich die Opferzahl von 30 auf 60 Millionen verdoppelt. Während es in Italien und in vielen ähnlich gelagerten Ländern in diesem Jahrhundert zumindest drei mehrjährige Perioden der kollektiven Aufstandsbereitschaft gab (1917 bis 1922 aufgestachelt durch die Leichtigkeit des Oktoberumsturzes; nach 1945 durch die Illusion, die Völker würden sich bei den Linken für den Sturz des Faschismus bedanken; 1968 bis 1978 durch ein Aufputschmittel namens Ho chi minh), ging in Russland 100 Jahre lang niemand mehr auf die Straße (die paar tausend, die um 1990 herum einmal für Jelzin, einmal gegen Jelzin auf die Straße gingen, sind bei einer Gesamtbevölkerung von 130 Millionen vernachlässigbar. Die Machthaber abgrundtief hassen und zugleich eine pathologische Angst vor Veränderung haben – ist das nicht nur das Dilemma der Moskauer Seele, sondern auch das der Wiener Seele? Mir kommt dieser bewusstseinsmäßige Widerspruch sehr vertraut vor. Vollholler ist das offizielle Wort des Jahres 2017 in Österreich. Es meint einen extrem einfältigen, rekordverdächtig dämlichen Blödsinn. Demzufolge redete ausgerechnet Rudolph Muhr von der Forschungsstelle Österreichisches Deutsch der Universität Graz Vollholler. Er erklärte nämlich den Piefkes, die nur Holunder kennen: Der Holler ist ein nutzloses Unkraut, das höchstens für Sirup taugt. In die Mur mit Muhr! Wenn Macht sich mit Vollholler vereint, kriegt die Gesellschaft alle Zuständ`. Die Macht übt in folgendem konkreten Fall das Nationale Olympische Komitee (NOK) Deutschlands aus. NOK-Vollholler ist die Unterlassungsklage gegen die Veranstalter der beliebten alpenländischen «Bauernolympiaden», die aus den Disziplinen Gummistiefelweitwerfen, Heugabel-Zielschießen und Traktor-Parcours-Fahren bestehen. Selbst der Richter staunte über die Klage: Das Wort Olympiade gehört doch niemanden! Es gehört zum allgemeinen Sprachgebrauch. Superidee des Ministers für Intergalaktische Beziehungen der Republik Augartenstadt. In ausgewählten Testvierteln Wiens wird der Straßenstrich unreglementiert gestattet. In einer Begleitstudie wird erhoben, wie sich dieser Umstand auf die Sicherheit des Autoverkehrs auswirkt. Wenn die Annahme stimmt, dass durch die PKW-zentrierte Suche der Freier nach Straßenkontakten das allgemeine Tempo auf ca. 30 km/h reduziert wird, wird die flächendeckende Freiheit des Straßenstrichs eine unumgänglich sicherheitsfördernde Maßnahme sein. Unsere neue schwarz-blaue Regierung (2017) behauptet, die Modernisierung des Strafvollzugs sei keine ideologische Frage – und startet die letzte Schlacht gegen die Utopisten einer gefängnislosen Gesellschaft. Dabei geht sie extrem ideologisch vor. FP und VP reden von der notwendigen Abschaffung der «Kuscheljustiz». Diese meint nichts anders als die Reste der von Justizminister Broda erreichten Humanisierung des Strafvollzugs. Nur wer es im Gefängnis nicht bequem hat, wird ein besserer Mensch, denn eine Verschärfung des Strafvollzugs schrecke viel mehr Menschen als bisher ab, Gesetze zu übertreten. Blablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablblablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablablabla.

GLÄUBIGE ZUVIELBEVÖLKERUNG

Die Katz: Ihr Hundsviecher habt euch leider sehr rasch in die Menschenwelt assimiliert. Ihr seid ohne Not Sklaven der Menschen geworden. Sie richten euch ab, bis ihr genau das tut, was sie wollen. Den Schafhirten zuliebe «säubert» ihr sogar die Almen von den Wölfen, euren nächsten Verwandten! Dass sie euch das Rückgrat brechen, könnt ihr nicht verhindern, aber den Stolz wenigstens hättet ihr bewahren können ... Der Hund: Wir lassen uns versklaven, meinst du? Wir dienen unserem Herrl bis zur Selbstaufopferung? Als militante Aktivistin kannst du mir sicherlich mitteilen, wie viele Menschen in Österreich pro Jahr von Katzen zu Tode gebissen wurden? Wir Hunde haben im Vorjahr 17 Menschen zu Tode gebissen und es gab im selben Zeitraum 3671 offizielle Anzeigen wegen Verletzungen durch Hundebisse. Das Herrl: Wauns ia zwaa lästige Waunzn ned sofuat aufherds zum Rafn, wiaf i di Press an und moch aus eich a gmischdes Gulasch. Was ist ein Hendiadyoin? Jedenfalls kein Hundefutter, das wusste ich immer schon. Elemente aus meinem 2017ner-Kalender: Im WUK spielt Billy Bragg. Ich versäume ihn. Ich könnte mit dem Zug nach Bruck an der Leitha fahren, dort gibts das Cup-Match Bruck gegen Red Bull Salzburg. Fuhr aber dann doch nicht. Suzie Wong berichtete mir von einer Mundharmonika-Lehrerin, die in Wien Workshops für NordkoreanerInnen abhält. Sie ist begeistert von diesem Staat. Ich werde sie interviewen. Um neun Uhr früh beginnt der Pfarrflohmarkt. Das Gedränge ist traditionell angsterregend und riskant, darum pünktlich erscheinen. Wow, Seeßlen in der Alten Schmiede. Notiert, aber auch diesen Termin nicht wahrgenommen. Ab 11 Holzlieferung für den Perinetkeller. Sind genügend ArbeiterInnen eingeteilt? Mama anrufen. Ab Wien 7:58, ab Mürzzuschlag 9:28, an Spielfeld 11:30, an Radkersburg11:54 (Schienenersatzverkehr Wr. Neustadt – Mürzzuschlag). Uni-Flohmarkt im Arkadengang, laut Falter. Riki und ich gehen hin, weit und breit kein Flohmarkt. Naturgemäß habe ICH mich geirrt. Kellerschlüssel nachmachen für Thomas. Expropriation der Expropriateure, so eine schöne Erstemai-Losung von Marx, fast vergessen. Bei der nächsten Demo schreib ich sie auf einen Pappendeckel. Viel zu oft steht der Name Nitzberg auf diesen Kalenderblättern. Mit dem Aktionsradiusteam zum Captain .Scheriau. Im Odeon «Dialektik der Befreiung». Am Sonntagnachmittag Rapid gegen Salzburg auf ORF 1. Anti-Utopie: Künstliche Intelligenz stellt dosierte Tsunamis her, die vollgefüllte Flüchtlingsboote so lange durchschütteln, bis kein Refugee mehr am Boot klebt. So lange durchschütteln, bis kein Refugee mehr am Boot klebt. So lange durchschütteln, bis kein Refugee mehr am Boot klebt. Achtung, überarbeitete Fassung der Traisen-Passage von Seite 128, 1. Teil. Die TROASN, in ihrem Oberlauf auch TROASSN oder TROASSING genannt, entspringt im südlichen Bereich der HYSTERISCHEN ALPEN (Achtung! Die Freytag-Berndt-Wanderkarte verwechselt hier die TROASN mit dem AKAZIENBACH). Die Ur-Quelle der TROASN findet, wer Quellen riecht. Nördlich der TROASN-Quelle (im lokalen Dialekt auch TROASNSCHBRUDL genannt), am Nordabhang des Starskikegels der HYSTERISCHEN ALPEN, entspringt negativmajestätisch der AKAZIENBACH, der einzige Zufluss zum UNTEREN MANNSCHAMSEE. Wenn er aallos das HYSTERIEVIERTEL verlässt, ist er immer noch Bach. Flussabwärts bewahrt er lange Zeit die Bachkriterien und wird erst im Unterlauf zum Fluss mit seinen Flusskriterien. Aallosigkeit haftet weiter an ihm. In der frömmelnden Stadt AMOKSAUFLING zerfrömmelt sich die Anarchistenrunde in die Gegenrichtung weg, es ist die richtige Richtung. In AMOKSAUFLING glaubt die eine Hälfte der Zuvielbevölkerung an den Schöpfer des Himmels und der Erde, während die andere Hälfte an die Blumenerde denkt, die als eine Herde Hanf auferstehen wird am dritten Tag des Sauwetters. Es ist tatsächlich Hanf, von Hand am Rand gemachter Hanf, hanglagig, vollsonnebeschienen. In AMOKSAUFLING nimmt der AKAZIENBACH die TROASN auf, ohne sich sichtbar zu ändern. Ab SZEMELIKERKLAUSE staut sich der Fluss, der mittlerweile einer ist, zum See, der sehr beliebt ist unter Zielgruppen. Diese konzentrieren ihre Anwesenheiten auf den beliebten See-Ende-Ort SCHMANKING, wo mehr endet als der See, der heute wieder wie ins Hirn geschissen riecht. Das Viertel hat Gewichtige in den Gang gesetzt, die in den Lauf der Geschichte eingreifen wollten, diese Narren in Engels. In UNTERSCHMANKING wurde der Fluglotse Hans Bauer geboren, der heute zu den Vorbildern im Bremsenerschlagen zählt. Sein Geburtshaus ist mit der Erinnerungstafel «Hier wohnte Marko Arnautovic nicht, aber beinahe» versehen. In Wahrheit betreibt hierorts der ehemalige Fußballer des österreichischen Wunderteams das Wettcafé MARSCHALL MARKO.

NUR EIN BAROCKER AVANTGARTEN

Wladimir Nabokov hätte sich fadisiert. Er hätte den Roman-Torso «Potlatch» bald in die Ecke geschmissen. Im amerikanischen Exil hielt Nabokov in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in verschiedenen US-Universitäten Literaturvorlesungen. Eine seiner Thesen: «Stil und Struktur sind das Wesen eines Buches; große Ideen sind Gewäsch.» Unter «Stil» verstand er die unverwechselbare Wesensart eine Künstlers, die sich in seinem Werk ausdrückt. «Struktur» bedeutete für Nabokow das Arrangement einzelner Themen und Motive im linearen Erzählfluss. In «Potlatch» hätte er kein Narrativ gefunden, dafür jede Menge «Gewäsch» (auch wenn dieses Gewäsch, siehe unten, von fremden Ideengebern stammt, die ich leidenschaftlich plünderte – plündern musste, im Sinne der Potlatch-Idee). Nabokov sollte mich eigentlich ganzheitlich fadisieren, er war arrogant zu seinen StudentInnen und zu SchriftstellerkollegInnen, er stammte aus einer der reichsten Familien im zaristischen Russland, hatte als Kind einen Chauffeur, der ihn zur Schule führte, und verbrachte seine Schulferien in Nizza. Aber seine These, große Ideen in einem literarischen Werk seien nichts als Gewäsch, ist eine – große Idee. An der man sich reiben kann. Ein roter Handlungsfaden mit Anfang, Höhepunkt und natürlich tragischem Ende hat mich schon lange nicht an einem Buch interessiert. Das Beobachten der Handlung lenkt mich, denke ich mir, von der aufmerksamen Suche nach der kleinsten Idee auf jeder Seite ab. «Potlatch» verfügt über ein vollkommen vernachlässigtes Narrativ; schließlich wird das gestrauchelte Narrativ auch noch unvermittelt abgebrochen. Die Hauptidee dieses “Romanes», das man also einen «Torso zum Quadrat» nennen könnte, ist schlicht: Revolutionen haben in der bisherigen Geschichte mittelfristig immer nur zu einem Austausch der Eliten geführt, weiß der Hauptprotagonist Kurt Eternit – der, wie sein Name sagt, ewig lebt. Es müsse also eine Alternative zur revolutionären Eroberung der Macht gefunden werden, wenn man wirklich die egalitäre Verteilung des Reichtums unseres Planeten anstrebt. Herr Eternit scheint sie gefunden zu haben. Er stiftet ein weltumspannendes Spiel an, das er «Potlatch» nennt, wie das Fest des Schenkens heißt, das unter amerikanischen Indianern der nordwestlichen Pazifikküste bis in die 1950er Jahre in Gebrauch war (es wurde vom kanadischen Staat verboten). Im Eternit´schen Potlatch ist jener Sieger, dem die quantitativ und qualitativ bemerkenswerteste Geschenke einfallen. Vom großen Schenk-Spiel wurde der Effekt einer «spielerischen» Umverteilung des Reichtums erwartet. Etwa im Jahre 2005 hatte sich meine Leidenschaft, diese Potlatch-Idee literarisch auszuführen, aus zwei Gründen erschöpft. Erstens fehlt mir die makroökonomische Kompetenz, die wirtschaftlichen Folgen der Vermögensverschleuderungen in relevantem Ausmaß zu imaginieren; ich weiß nicht, was das für den Kapitalismus bedeutet, wenn seine ProtagonistInnen, vom Spieltrieb erfasst, sich völlig quer zum Profitoptimierungsprinzip verhalten. Zweitens ahnte ich zusehends, dass ich von der Psychologie eines Ewiglebenden nichts kapiere, dass also gerade die Hauptfigur des «Romans» zur unkörperlichen Sprechblase verkommt, aus der die Leitidee und die hunderten (zum Teil gestohlenen) Sekundärideen herauszulesen sind. Auch das umfangreiche weitere Personal» des Romans ist im Grunde eine Ansammlung von Sprechblasen, die eigene Ideen oder Ideen Anderer transportieren. Naturgemäß stecken in der Figur des Romanhelden die größten autobiografischen Elemente; aber auch in den Sprechblasen fast aller anderer Figuren erkennen Sie, wenn Sie wollen, Aspekte der Biografie des Autors wieder. Oder Aspekte seiner Wunschbiografie ... Soweit das Vorwort meines Potlatch-Buches, und jetzt der Untertitel, den ich so ausdehnte, dass ich zu Recht sagen könnte: Es ist der längste Untertitel der Weltliteratur. Dicke Tünche, die Trivialität verdeckt, / spielt Kunst; / eine Fabel, gestottert von einem Irren, voll mit / Ärschen, Kopien, Graten, Metaphern, / Verraten, Spagaten, / spielt Bedeutung; / ein hybrider Wurm aus Autorsätzen, Figurensätzen / und Sätzen nebuloser Instanzen / spielt Roter Faden; / die Mutter der Ideen kommt an den Tag / nicht ums Verrecken. / Fuck fiction, fuck faction. / Eine Unordnung namens „Das ganze Leben“ / spielt die Ordnung der vielfach maskierten Biografie. / Die Masken werden fallen. / Dahinter mein Selbst, / eine mit Zitaten und ähnlichen Zutaten gefüllte Leere, / die sich als Kunst des Diebstahls verkauft. / Nichts Neues über die Liebe, / nichts Neues über das Spielen, / nichts Neues gegen Freud, / nur ein Ozean aus Schwulst, / nur ein barocker Avantgarten / dessen Lindenbäume, beharnt / von an den Haaren herbeigeholten Hunden, / Feigenbaumblüten treiben / bedeutend wie ein Klappentext, / denn was man noch nicht schreiben kann, / kann man vielleicht schon klappern. / Beachten Sie die Gebrauchsanleitungen (3 Stück).

KOCHEN SIE GERNE, FRAU GAGARIN?

Zwei Männer, die mir gefallen, sagt Riki. An der Vorzimmerwand hängen Fotos von beiden. Ein paar vom einen, ein paar vom andern. Der eine bin ich. Der andere ist Gagarin, der sowjetische Weltraumpionier. Ich lasse meine Geschichten mit dem anderen beginnen. Es geht mir um den Überraschungseffekt, den ich vielleicht erzielen kann. Ich kenne keine Person, die erraten hätte können, dass ich mit dem Phänomen Gagarin beginne. Heinz Conrads (zu Valentina Gagarin): Küss die Hand. Es ist in Österreich üblich, küss die Hand zu sagen. (zu Juri Gagarin) Ich freue mich, dass ich einen weltbedeutenden Mann begrüßen darf (…) Eine Frage, die jeder Laie wahrscheinlich stellt, ich bin kein Reporter, kein Journalist: über Sinn und Zweck der Weltraumforschung. Könnten Sie uns dazu in zwei, drei Sätzen kurz erzählen? Juri Gagarin: Als die ersten Flugzeuge aufkamen, sagten die Leute auch: Wozu soll das dienen? Noch ist die Kosmonautik zu jung, um spürbar großen Nutzen zu bringen. Bald wird das keine Frage mehr sein. Heinz Conrads: Werden wir zwei Jungen noch Flüge zum Mond erleben? Und wie schaut es mit der Frau Venus aus? (zu Valentina Gagarin) Liebe gnädige Frau, haben Sie bitte nicht das Gefühl, dass ich unhöflich bin, wir werden später noch sprechen. Ich bitte um Verständnis, dass ich mehr mit dem Herrn Major spreche, weil ich sehr stolz bin, dass ich ihn heute habe. (zu Juri Gagarin) Wie alt sind Sie jetzt? Juri Gagarin: 28. Heinz Conrads: 28! Fesch! Da bin ich ein bisschen älter, ein paar Tage. Da werden Sie vielleicht die Venus früher erleben als ich (…) Haben Sie Verkehr mit den anderen Astronautenkollegen? (Anm.: Conrads verwendet die ganze Sendung hindurch den westlichen Begriff Astronaut, obwohl der Dolmetscher korrekterweise immer von Kosmonauten spricht). Juri Gagarin: Wir sind alle große Freunde. Heinz Conrads: Eine Frage im Vertrauen (berührt fast Juris Ohr): Vertragen sich die Frauen der Astronauten auch gut? Ist da nicht zu hören: Der Meinige fliegt höher! Juri Gagarin: Die andere antwortet darauf: Aber der Meinige ist länger oben! (lacht) Aber im Ernst, sie haben keine antagonistischen Widersprüche (Anm.: Nie zuvor und niemals nachher ist dieser Terminus in Conrads-Sendungen verwendet worden). Heinz Conrads: Schaut man beim Start zum Fenster hinaus?
Juri Gagarin: In diesem Moment sind die Bullaugen geschlossen (erklärt seinem Gesprächspartner, warum das technisch nötig ist; dieser versteht sichtbar nur Bahnhof). Heinz Conrads: Haben S´ gutes Wetter gehabt beim Fliegen… (zu Valentina Gagarin) Der Gatte wird einmal nach Haus´ gekommen sein und gesagt haben: Ich fliege. Was haben Sie da zu ihm gesagt? Valentina Gagarin: Recht hast.
Heinz Conrads: Bei uns in Wien ist das so. Wenn man sich mit ganzen Herzen was wünscht, machen wir es so (drückt fest beide Daumen). Haben Sie Ihrem Gemahl auch die Daumen gedrückt? Valentina Gagarin: Ich wusste, dass er runter kommt. Heinz Conrads: Kochen Sie gerne, gnä Frau? Valentina Gagarin: Wenn´s unbedingt sein muss… Heinz Conrads war der erste Dadaist, der sich mit Gagarin beschäftigte. Er hatte dafür sogar eine Fernsehsendung zur Verfügung. Die Zitate oben sind Ausschnitte aus «Was gibt es Neues» vom Mai 1962. Der zweite dadaistische Zugang zu Gagarin, aus österreichischer Sicht, war die Gründung der Bewegung KOCMOC / Gruppe Gagarin durch den Herausgeber der Literaturzeitung „Wespennest“, Walter Famler. Die Idee wurde Ende der 90er Jahre geboren, als Famler in Moskau unter dem Schock der postkommunistischen Abwicklung der sowjetischen Raumfahrt stand, die Anfang der 60er Jahre immerhin nicht nur unter RussInnen und/oder KommunistInnen, sondern auch weit in den westlichen Bereich hinein popkulturellen Hype ausstrahlte. Der Gagar und seine Gagarin, wie reizend, wie wenig ähnlich dem Barbar und seiner Barbarin, wie man sich normalerweise ein Russenpaar vorstellte. Der «erste Mann im Weltall» war im Rahmen seines Österreich-Besuchs im Mai 1962, etwa ein Jahr nach seiner Erdumkreisung, in der Wiener Stadthalle bejubelt worden. Und die 10.000 ZuschauerInnen waren keinesfalls nur KPÖ-Mitglieder. Ich war damals ein Bub und wäre nicht auf die Idee gekommen, dass Gagarin auch ein Botschafter des russischen Kommunismus war, denn er sah selbst im Schwarzweißfernsehen ganz und gar nicht russisch aus, abgesehen von der Uniform, die ihn aber nicht unförmig machte. Sogar meine Mutter war gerührt. Ich brauchte lange, bis ich dahinter kam, dass der Wienbesuch des Kosmonauten auch als Wahlkampfhilfe für die KPÖ konzipiert war. Aber dem Wahlvolk war klar: Erdumkreisung ist Erdumkreisung und Preiserhöhung ist Preiserhöhung, Gagarins Schwerelosigkeit hat überhaupt nichts zu tun mit kommunistischer Schwerenötigkeit. Es wählten dann tatsächlich nur die Wenigen kommunistisch, die auch ohne Gagarin so gewählt hätten.

WARUM MAN EINEN PURZELBAUM NICHT VOLLENDEN KANN

Ich habe dein Selbstbild der immer durch Antisemitismus Gefährdeten, der als Jüdin in jedem Moment Verfolgten, oft ironisiert. Ich nannte es Deine Überidentifizierung mit der Rolle des Opfers. Nach dem Lesen einer Studie über die psychosozialen Spätfolgen des Nationalsozialismus («Unverlierbare Zeit»), herausgegeben vom S.Freud-Institut) ist mir klarer geworden, dass dieses Verhalten auch eine andere, positivere Seite hat. Man kann es das jüdische Zurückweisen der Verführung nennen. Z.B. der Verführung zu einem Sicherheitsgefühl in einer vermeintlich demokratischen Gesellschaft. In der Welt der «Normalität» kann dieses Zurückweisen der Verführung als paranoide Reaktion verstanden werden. Diese «Paranoia» hat aber eine reale Grundlage. Eine friedliche Umgebung kann sich relativ rasch in eine feindselige verwandeln. Ich werde weiterhin übertriebene Verfolgungsvorstellungen (vor allem dann, wenn in Deinen Augen ich es bin, der Dich als Jüdin verfolgt) nicht nachvollziehen können. Aber ich kann versuchen, dem subversiven Aspekt Deines Misstrauens, Deiner Assimilationsunlust mehr Aufmerksamkeit zu leihen. Obwohl ich nach wie vor nicht weiß, wie ich es anstellen soll, Dich als Person so zu akzeptieren, dass du es merkst, ersuch ich Dich um eine Rückkehr ins Team. So behutsam ging ich mit Hannah um; so endete ein langes Mail an sie. Eigentlich wusste ich, dass ich aus ihrer Perspektive Öl ins Feuer schütte, egal was ich tu. Darum war das Mail eher sinnlos; vielleicht hat sie es eh nicht gelesen. Mein Freund Kurt Neuhold zeigt im Aktionsradius-Lokal fünf großformatige Bilder her: immer derselbe Mensch, aber in fünf verschiedenen Purzelbaum-stadien. Ich bin als Vernissagensprecher eingeteilt. Ein paar Tage zuvor hatte ich noch großspurig erklärt, die Zeit der Tafelbilder sei vorüber, seit Marcel Duchamp 1913 eine Pissoireschale zum Kunstwerk erklärte. Ich muss Kurts Kunst würdigen – darf aber nicht wieder hinter Duchamp zurückfallen – was tun? Das Dilemma wird so gelöst: Ich erkläre den Purzelbaum zum Kunstwerk. Den alltäglichen Purzelbaum. Die Summe aller Purzelbäume, die wir als Kinder absolviert haben und die wir uns als Erwachsene nicht mehr zu absolvieren trauten. Alles andere – Kurt Neuholds Bleistift-Blindskizzen, die zu diesen Bildern geführt haben, aber leider nicht mit ausgestellt sind, die Bilder hier selbst, alles, was hier über die Bilder geredet und kommentiert wird, alle potentiellen Rezensionen, die Performance zur Vernissage – das alles ist das Begleitrauschen der Kunst, alles zusammen macht das Gesamtkunstwerk aus. Wenn der Künstler nachher seine Bilder erklären wird: Begleitrauschen. Im Grund ein Versuch, Unübersetzbares zu übersetzen. Das eigentliche Kunstwerk ist der Alltagspurzelbaum bzw. das Verschwinden des Purzelbaums aus dem Alltag. Damit das Rauschen voller wird, füge ich zum Schluss eine Beobachtung hinzu. Kurt Neuhold hätte hier noch so viele Purzelbaumstadien aufhängen können, es wäre nie ein kompletter fertiger Purzelbaum draus geworden. Davon abgesehen, dass wir hier nur 2 Wände haben. Das erinnert mich an das bekannte mathematische Paradoxon: Damit unser Körper beim Purzelbaumschlagen die Rolle, den Kreis bewältigt, muss er zuerst die Hälfte der Rolle zurücklegen. Damit er die Hälfte des Kreises bewältigt, muss er zuerst die Hälfte der Hälfte zurücklegen. Und so unendlich weiter. So wird man also niemals einen ganzen Purzelbaum vollenden können. Wenn mich also wer auffordert, einen Purzelbaum zu schlagen, sage ich: Klappt nicht. Kann nicht klappen. Wegen des mathematischen Purzelbaum-Prinzips. Engelbert ist entweder irgendwo in Europa mit dem Esel unterwegs – oder er verkauft in Wien den Augustin. Engelberts Therapievorschlag für stressgeplagte und zivilisationskranke Zeitgenossen: Gehen mit dem Esel. Im Tempo des Esels. Engelberts Vorschlag für einen umweltschonenden und menschenverträglichen Tourismus: ein Netz von Eselkutschenstrecken durch Europa, mit 14 Kilometer langen Tagesetappen. Es gehe darum, die Idee der Langsamkeit nicht nur zu loben, sondern auch zu leben. Nichts sei diesem Ziel dienlicher als der Esel. In Österreich, dem Land der 1000 Esel, gilt eine solche Vorstellung als schrullig, im besten Fall. Seinen ersten Esel schaffte sich der Unsteteste unter den Augustin-Leuten 1994 an. Mit dem Hengst Fripon ging er den Jakobsweg. Gern erinnert sich Engelbert an den anschließenden asturischen Winter. «Asturien schaut aus wie das Gölsental, die Landesfarben sind dieselben wie in Niederösterreich, nämlich Blau-Gelb, die Menschen trinken hektoliterweise Most – und sind gut zu Tieren.» Wenn er in Wien weilt, besucht Engelbert die Treffen der Arbeitsloseninitiative AMSand, die Radiowerkstatt des Augustin und eine von der KPÖ abgesplitterte Gruppe, die in den Augen der Parteimehrheit aus «unverbesserlichen Stalinisten» besteht.

DIE RECHTE UNPERSONENSCHIFFFAHRT

Franz Schuh wird gefragt, ob ein Tag ohne Kaffeehaus denkbar wäre. «Ich hab ja zu Hause nichts zu essen, ich muss raus. Die paar Jahre, bis das Essen auf Rädern zu mir kommt, muss ich irgendwo verbringen. Ich bin aber kein Freund der Romantisierung des Kaffeehauses. Walter Benjamin hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Moderne nicht das Kaffeehaus frequentiert. Modern ist das Espresso, eine Lokalität, die in den 1950er Jahren begann, auch in Wien, den Kaffeehäusern Konkurrenz zu machen. Dort sitzt man sprungbereit auf einem Hocker, nicht lange, denn der moderne Mensch hat es eilig. Das Wesentliche ist die Schnelligkeit im Espresso. Sie wird heute durch die idiotische Wendung Coffee-to-go parodiert. Darin spiegelt sich die Beschleunigung der Zeitläufe wider. Das Kaffeehaus enthält hingegen die Utopie vom Sitzenbleiben, vom Warten-auf-nichts.» Flüchtlinge daran zu hindern, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, und dabei den Tod vieler zusätzlicher Flüchtlinge in Kauf zu nehmen, war das Ziel einer Aktion der identitären Bewegung (IB) in Österreich unter der Führung von Martin Sellner. Es sollte die spektakulärste Aktion der IB werden. Sie endete, gemessen am Anspruch, erfolglos und lächerlich, lieferte jedoch wichtige Hinweise darauf, dass die IB Österreich mehr als eine auf Theoriesuche befindliche Rechtsextremen-Bande ist. Sie ist eine menschenverachtende Untergrundpartie, die durch das Kopieren radikal linker Handlungsformen ihre Leute in die Lage versetzen will, spontan und anlassbezogen im öffentlichen Raum zu agieren. Martin Sellner plante, mithilfe des gecharterten Schiffes «C Star» im Sommer 2017 die Schiffsbesatzungen von NGO-Booten daran zu hindern, in Notlage geratene Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Das wäre kalkulierter Mord, «legitimiert» nur durch die Tatsache, dass inzwischen alle europäischen Staaten durch das Dichtmachen ihrer Grenzen tödlich endende Flüchtlingstragödien herbeiführten. Das smarte und eloquente Bürgersöhnchen von der Ösi-IB lässt kaum Assoziationen mit gemeingefährlichen Abendlandverteidigern zu, und Sellner würde auch jede rassistische Absicht des C Star-Abenteuers abstreiten. Er stellte die Kampagne als totalen Erfolg der Abendlandretter dar: «Defend Europe just ended its first mission! It was a success. Undisputabley. Totally. A political success, a media success, and a success in activism. This mission could only exist thanks to the mobilization of the thousands of people who supported us financially. Defend Europe has received an enormous amount of media coverage. While almost all were hostile, and several were lying, these articles and TV reports brought our action to the minds of millions of people. It is this media impact which allowed our political success. Only two months ago, many NGO ships were cruising near Libyan coasts like taxis waiting for their customers. Right now, the 20th of August, there’s only one left useless Ridiculous. Because it doesn’t have customers anymore. All of Europe now knows that some of these so-called NGOs were actually active accomplices of smuggler mafias and, for others, useful idiots. Defend Europe showed that by being in the right place at the right time we are able to efficiently influence governements and win concrete results. Famous political figures like Nigel Farage and Frauke Petry, as well as the Libyan coast-guard acknowledged the usefulness of our action.» Der Anteil Sellners und seiner Leute am Sieg der Festung entspricht einem Teelöffel voller Feinstaub in einer eben von einer Atombombe getroffenen Stadt. Walter Weber, ein St. Pöltner Kommunist, gratulierte mir zum Theodor Kramer-Preis (2006) und ich bedankte mich in einer Rührung, die mich selten überfällt: «Lieber Walter. Deine Gratulation zu meinem Preis war mir die liebste; während ich deine Zeilen gelesen habe, rekonstruierte sich dein verloren gegangenes Gesicht, ich glaube, es kommt der Wirklichkeit sehr nahe, natürlich ist der um 30 Jahre jüngere ’Wewa’ entstanden, so wie ich und ein paar meiner damaligen jungen linken Freunde dich im Büro der Pravda wahrgenommen habe. Pravda, das war der liebevolle Kosename der in St.Pölten/Stadt und St.Pölten/Land lebenden Bevölkerung für die KPÖ-Wochenzeitung ’St. Pölter Nachrichten’, deren Fußballberichterstattung ich verschlang, Ich habe in meinem Leben oft die Geschichte von meinem ersten Treffen mit der KP St.Pöltens erzählt, ich glaube, du warst da neben Gen. Eder ebenfalls anwesend, als wir – etwa drei oder vier Gymnasiasten, die den „Verband sozialistischer Mittelschüler“ (VSM ST. Pölten) gegründet hatten, obwohl uns die SPÖ-Sitze am Arsch vorbeiging – das Abwürgen des Prager Frühlings verteidigten und auf euren Applaus hofften, der aber nicht erfolgte. Ihr müsst damals völlig überrascht gewesen sein über unseren unreflektierten SU-Kult. Ich kann mir unsere Haltung zu CSSR 68 damals nur so erklären: Wir denunzierten alles, was die Kronenzeitung für gut und schön und brav und rechtens hielt.«

DA MAUEDL KIMD UMMARA ÖFI

Drei Herren Sommer, schreibend. Niemand kommt dem anderen ins Gai. Drei Verschiedene unter dem selben Himmel. Didi Sommers Texte, in fließendem Mühlviertlerisch vorgetragen: i kau ned jodln / i kau ned singa / i kau ned kocha / i kau ned dringa / i kau ned redn / i kau ned zuhoachn / i kau ned englisch / i kau ned deidsch / i kau ned lochn / i kau ned rean / i kau ned buddsn / i kau ned wischn / i kau ned schifoan / i kau ned rena / i kau ned radln. vorign sunda bin i mid mein steyra-draggda in mein steira-aunzug auf da steyra- bundeschdrossn noh steyr gfoan. und wia i daun in steyr mid mein steyra-draggda in mein steira-aunzug auf oana greizung gschdaundn bi, bi i agradd aum steia eingschlofa! Da taucht es wieder auf, das Mühlviertlerische Wort für Mond: MAUEDL. da MAUEDL scheind owa auf de feichdn kodbroggan und hindalossd an so an scheen glaunz auf de kodbroggan auf de feichdn, de wos auf da schdrossn lingan, wei da reisabau ban umoggan wida amoi ned owochd gebn hod und midn dragga zweid zan roa zuwigoggad hod, wei a wida amoi koa lichd eingschoidn hod ban umoggan, gesdan afd nochd ummara öfi, do hoda a wida ned aufbassd da reisabau dea droddl, und sliachd, sliachd hoda nadiali a ned eingschoidn kobd ban draggda, dea giarige hund dea, wei dliachdmaschin kead gschond hoda deslezd gsoggd am sunda no da kiach, bam schdaumdisch, wei do dans oiwei bled redn am sunda, no da kiach, bam schdaumdisch ban aichinga drund in doaf, do sidzns jedn sunda banaund und dan si eanare leidn fazön und daun dans diskudian und daun dans debbadian und daun dans polidisian und daun dans kommandian und umanandaschdian und daun, daun, wauns ois gsoggd haum und eanere seggs hoiwi und eana beischl owiggwiagd haum, daun danns nochn diskudian und debbadian und polidisian, und kommandian und umanandaschdian, daun, daun dans daroggian! Sommer Numero zwo ist ein Wiener. Er ist ein Robert, wie ich. Ihm ist eben eine Klage angedroht worden, vom Geschäftsführer des Wiener Künstlerhauses. Er ist verwechselt worden. Er würde die Klagsandrohung nicht verdienen. Ich dagegen verdiene sie, denn ICH bin es gewesen, der die Privatisierung der Kunst (verkörpert durch Haselsteiner, der das Künstlerhaus geschenkt bekam) ein Verbrechen genannt hat. Robert hat im vergangenen Jahr mit seiner Zeitung gebrochen. Er war der Sport-Chef in der Kronenzeitungs-Redaktion. Die falsch adressierte Panikmache hat ihn erinnert, dass es einen namensgleichen Journalisten gibt. Er hat sich an das Gespräch in Radio Augustin erinnert: das Zusammentreffen zweier Schreiberlinge des Boulevards. Mittlerweile ist er Schriftsteller geworden – der Ephraim Kishon Wiens, ein Vergleich, der nicht in Allem hinkt. Dank der Trivialität seiner Kurzgeschichten zählt er zu den wenigen Autoren, die von ihren Texten leben können. Wir haben uns getroffen; Robert hat mir sein neues Buch, «Im Irrenhaus», mitgebracht; im Querlesen entdecke ich die Abläufe, die Zustände, die Figuren, die meinen Namensvetter negativ berühren. Es gibt mehr Überschneidungen, als mir lieb ist; vieles, was dem Ex-Sportreporter auf den Wecker geht, ist auch für mich entbehrlich: das plötzliche Verschwinden der Aufmuck-Bereitschaft, wenn man unter das Damokles-Schwert der möglichen Kündigung oder Entlassung gerät; Magengeschwüre hervorrufende «Friedenskonferenzen» der Großmächte, die parallel dazu um jeden Eisberg raufen; die Boboisierung großer Teile des 2. Wiener Gemeindebezirks; Sprachpolizist_innen, die die Ersetzung des Wortes «schwarz» durch «maximalpigmentiert» verlangen; Riesentorlauf-Kommentatoren des ORF, die einem Patriotismus-Gebot unterliegen und sich schwertun, den 23. Platz der besten Österreicherin als rotweißroten Triumph zu verklickern; Freund_innen, die 2500 Fernsehkanäle zur Verfügung haben und für gemeinsame Heurigenbesuche daher keine Zeit mehr finden. Robert Sommer war bei dem Treffen mit Robert Sommer so euphorisch, dass Robert Sommer auf Kritik – und sei sie sehr solidarisch formuliert – lieber verzichtete. Es gibt grottenschlechte Passagen im «Irrenhaus», etwa folgende: «Also shoppen – was beim Geschlecht, das wir so sehr lieben, wörtlich aus dem Englischen übersetzt heißt: Probieren, bis der Mann an meiner Seite zusammenbricht. Es ist gelebter Terrorismus. Beim islamischen Staat müssen die Mädels deswegen alle Einheitsburkas tragen, weil sich sonst die Dschihadisten beim Einkaufen in den islamischen Mode-Centern aus purer Verzweiflung selbst in die Luft sprengen würden.» Sommer Numero drei – ich bin an der Reihe. Verglichen mit der Shopping-Passage des Herrn Sommer Numero zwei ist fast alles, was ich schreibe, Weltliteratur, würde mein Verleger Gerald Grassl in aller Öffentlichkeit sagen. Es würde mir sehr schwer fallen, ihm in diesem Fall zu widersprechen.

WE WANT CESKY BEER AND MULTIPLE ORGASMS

Elemente aus meinem 2017er-Kalender, Fortsetzung (erster Teil: Seite 128). In der Kreuzgasse 53 fand ich das Roller-Kabinett. Man kann hier Nano-Roller für unsere Autosammlung kaufen. Die bisher geilste Adresse in Sachen Autosammlung: Zieglergasse 37. Im Durchgang Ahornergasse- Neubaugasse gibt´s einen Second Hand-Laden für Eisenbahnfreaks, in dem auch einige Modellautos angeboten werden. Walter Eckhardt präsentiert sein Buch «West End Blues» in der Arena Bar. Poetry Slam am Agora-Gelände neben dem Donaukanal. Mehr Vortragende als Publikum, dennoch haftet Moderator Schreibmüller am traditionellen Prozedere, das eine Bewertung der Vorträge durch das Publikum (Applaussgtärke!) vorsieht. Der Wettbewerb ist eine Farce. Es ist von vornherein klar, dass Dora den Slam gewinnen wird. Sie ist eine sehr alte Frau, und sie ist Antifaschistin. Die jungen KonkurrentInnen wissen, dass es bei der Bewertung der vorgetragenen Texte nicht nur um Kunst geht. Dass es eine Peinlichkeit wäre, die rote Großmutter zu besiegen. Perinetkeller-Flyer verteilen! Das Buch «Das Café der Existentialisten» besorgen. Hab nicht die leiseste Ahnung, ob sich Existenzialismus mit Marxismus verträgt. Oder ob man ME verlassen muss, um Existentialist zu werden. Die geplante Exkursion zum Friedrichshof umfasst eine Führung durch das Gelände mit Teresa Schulmeister, ein Besuch im Archiv, Besuche von drei KünstlerInnenateliers und einen hyggeligen Ausklang am Lagerfeuerplatz. Der Ausflug kam wegen mangelnden Interesses nicht zustande. Usedom, Pension Roseneck, Urlaub vom 22. Juni bis 8. Juli. Eine Notiz: DIE GEFAHR GEHT VOM KELLER AUS! Oder: DIE GEFAHR GEHT VON DEN KELLERN AUS! Kozi Hradek, Mikulov: Herr Vlachowski. Getränkebestand im Perinetkeller: 17 Flaschen Apfel- und Birnenmost / 18 Flaschen Apfel- und Birnensaft / 155 Flaschen Bier / 17 Flaschen Rotwein / 0 Flaschen Weißwein / 119 Flaschen Mineral. Jede Menge Fußballtermine, manchmal vier Matches am Tag, die mich interessieren. Ich ärgere mich über eine Schreibhemmung, die einer Lesehemmung folgt. Ich hatte Gitti Tonka versprochen, ihr Buch über ihre Mutter, die Favoritner Kommunistin Ossi Tonka, zu rezensieren. Was hindert mich, dieses Versprechen zu realisieren? Ich verschiebe, verschiebe. verschiebe. Die Greißlerei-Story für den Augustin wird so bald nicht möglich. Der Greißler, der schon als solcher keine Zeit hat, sich mit mir eine Stunde lang ins Café zu setzen, betreut privat Flüchtlinge aus Syrien, was seine Muße auf die Intermezzi der Klobesuche zusammenschmelzen lässt. Treffen mit Oberschlick und Noll, es geht um einen Nostalgieabend zum Neuen Forum. Irgendwo in Graz dahingesprayt: We don´t want to work / we want cesky beer / and multiple orgasms. Besorgen: 2 Konzertboxen, Mischpult mit mindestens 6 Ausgängen, 2 Mikroständer. 8 Uhr Autoverleih Hartl. DADA-Ausstellung im Keller. Die Nachricht vom Tod Alp Boras überraschte mich nicht. Habe ein paar Wochen vorher seine Haut gesehen. Kleiner Disput um Aufnahme der Mostviertler Musikanten-Wallfahrt auf den Sonntagsberg in den «Stadtflucht»-Kalender des Aktionsradius Wien. Keine Wallfahrt ohne Musikantenmesse, sagt Alois. Aber um bei der Messe dabei zu sein, müsste der Bus aus Wien bereits zwischen 5 und 6 Uhr früh losfahren. Insbesondere den AtheistInnen unter den potenziellen TeilnehmerInnen muss diese Abfahrtszeit als Zumutung erscheinen. Selbst ein Gottesdienst um 5 Stunden später wäre diesen zu früh – ethnokulturelles Interesse hin, religionswissenschaftliche Leidenschaft her. Ein Satz, aufgeschnappt unter den KundInnen der Greißlerin Allram in der transdanubischen Freihofsiedlung, eines der Überbleibsel revolutionärer Wohnungspolitik: «Schade, dass es bei uns keinen Vorgarten-Wettbewerb gibt.» Während die Hauptgärten sich vor den fremden BesucherInnen – wenn sie nicht gerade in vereinzelt Einblicke gewährenden Querstraßen der Siedlung unterwegs sind - hinter den Häuserreihen verstecken, stellen die kleinen Vorgärten die offen ausgebreiteten Visitenkarten der SiedlerInnen dar. Ich schlage Stadtspaziergänge durch das Freihofviertel mit dem Fokus auf die Vorgärten vor. Die TeilnehmerInnen erklären sich zu einer Jury, die die nonkonformistischte, die nützlichste und die «kitschigste» Vorgartengestaltung kürt. Der Nonkonformismuspreis sind die gesammelten Werke von Loos, der Nützlichkeitspreis sind Hanfsamen, der Kitschpreis ein überdimensionaler Gartenzwerg.

MEIN HIRN WAR SCHON 1 BISSCHEN SAPPERLOT

Mayröcker über die Arbeit des Schreibens. ... vielleicht ist Sprachästhetik, um die es mir seit den Anfängen gegangen ist, die falsche Zielsetzung gewesen in dieser von Ungeheuerlichkeiten erschütterten Zeit ... (Fragestellung: Wie muss Sprache sein, die gewöhnliche Menschen in den Zustand versetzt, noch lesen zu wollen) Keine Skurrilitäten, Verrenkungen, Marotten hatte diese Sprache an sich, sie war vielmehr frisch, weitläufig, voll Farben, beweglich, erneuerungsfähig, zartgliedrig, konzis. Nicht erstarrt wie meine ... verknöchert schien mir meine Sprache, nur noch 1 aufgeputztes : herausgeputztes Gerippe, nichts dahinter ... ich hätte genausogut vor 20 Jahren mit dem Schreiben aufhören können, und niemandem wäre etwas abgegangen ... aber ich wollte es nicht wahrhaben, zockelte : trottete : stolperte noch immer weiter ... 1 Selbstbetrug dieses zu Ende gehende Schreiben ... mein Hirn war schon 1 bißchen sapperlot. Über den Essay: Die schöngeistige Essayistik entwickelt ein außerhalb wissenschaftlicher Bezirke liegendes Thema, die Reflexion, meist schweifend, intuitionistisch und irrationalistisch, enträt zwar nicht Klarheit, aber diese Klarheit ist nicht die der begrifflichen Festlegung, sondern vielmehr die der Durchsicht durch den poetischen und geistigen Raum, den man betreten had (Max Bense). Der Essay lässt sich sein Ressort nicht vorschreiben. Anstatt wissenschaftlich etwas zu leisten oder künstlerisch etwas zu schaffen, spiegelt noch seine Anstrengung die Muße des Kindlichen wider, der ohne Skrupel sich entflammt an dem, was andere schon getan haben. Er reflektiert das Geliebte und Gehasste, anstatt den Geist nach dem Modell unbegrenzter Arbeitsmoral als Schöpfung aus dem Nichts vorzustellen. Glück und Spiel sind ihm wesentlich (Adorno). Der Essay ist weder Kunst noch Wissenschaft, aber genaue Grenzen zwischen Dichtung und Nichtdichtung lösen sich im Essay auf. Jelineks Vorschlag der Trennung von autobiografischer und fiktionaler Kunst: Entweder vergisst der Künstler sich, als Person, ganz, oder aber alles, was der Künstler als sein Ich zusammenfasst und zusammenrafft, nicht nur um sich selbst zu erkennen, sondern um, gerade indem er etwas von sich weiß, über sich hinaus etwas sagen zu können, fließt in seine Arbeit ein. Man kann nur hoffen, dass das stimmt, was man von sich weiß. Und jetzt zur Jelinekschen Originalsprache selbst. Zuerst etwas Genderpessimistisches, dann etwas Autopessimistisches. Man sieht bei der Frau: nichts, man schaut in sie hinein, aber man sieht das Nichts, man schaut das Nichts an, das sich selbst repräsentieren muss, weil es kein anderer tut. Dieses Nichts, das die Frau ist, – sie ist ja nicht repräsentationsfähig, in vielen Kulturen wird sie versteckt, was aber unnötig ist, sie ist ja ohnedies schon von je her nichts ... Man kann ihre Öffnungen aufspreizen, damit man das Nichts in der Höhle besser sehen kann, aber da ist eben nichts, wenn man sich vorher nichts hineingedacht hat. Ich strebe heute mit meinem Schreiben nur noch das Überleben an. Ich werfe mich, indem ich schreibe, aus mir heraus. Denn wenn ich mir meiner Identität bewusst werde, bin ich tot. Ich will mich nicht kennenlernen. Ich lebe aus zweiter Hand, aber ich beklage mich nicht. Ich bin an der Lebensferne, die meine Krankheit ist, selber schuld. Mein Selbsthass kommt jeden Tag. Ich weiß, dass ich mit dem Schreiben nichts ändere. Aber was soll ich sonst tun? Ich kann ja nichts anderes. Das Schreiben ist für mich ein Segen, weil ich dazu das Haus nicht verlassen muss. Wäre ich nicht Schriftstellerin, wäre ich Sozialrentnerin. Daniil Charms: Einst aß Orlov zu viel Erbsenbrei und starb. Und als Krylov davon erfuhr, starb auch er. Und Spiridonov starb von ganz allein. Und Spiridonovs Frau fiel von der Kommode und starb ebenfalls. Und Spiridonovs Kinder ertranken im Teich. Und Spiridonovs Großmutter ergab sich dem Suff und trieb sich auf der Straße rum. Und Michajlov hörte auf sich zu kämmen und kriegte die Krätze. Und Kruglov malte eine Dame mit Knute in der Hand und wurde verrückt. Und Perechrestov bekam telegraphisch 400 Rubel und gab damit dermaßen an, dass man ihn entlassen musste. Lauter gute Menschen, und können keinen kühlen Kopf bewahren. Welche deutsche Sprache setzte sich im Rahmen der deutschen Sprache durch? Auch das ist deutsche Sprache: hosd du kan oasch dasd / med da babbm scheisd / san meine uan fileichd / a heislmuschl heasd / bein saundschbün hosd da du/ es hian faschdauchd / bas auf waunsd an schas losd / dasd ned drauf ausrudschd. Hätten die Habsburger den 30jährigen Krieg nachhaltigst gewonnen, das heißt, wäre Wallenstein wirklich ein Genie gewesen und wäre Wien seit damals die ausstrahlende Metropole des deutschen Sprachraums, würden die Menschen in Norddeutschland nach einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten so reden wie in der großen Hauptstadt am Donaukanal. Gell, Maren, Buxtehude würde dann Brunzbuschl heißen. Oder Bumbanazl.

AVANTGARDE DER AVANTGARDE ODER: WER ERFAND DAS KLAVIERZERTRÜMMERN

So kann man keine Führung machen. Es sei denn, man ist auf Abschreckung aus: Dann muss man Führungen so machen wie die nahezu taube Kunstpädagogin vom Lentos-Museum, die sich zwar über ihren Auftrag beschwerte, den BesucherInnen binnen einer Stunde zwei Ausstellungen zu «erklären» (Gesammeltes aus dem eigenen Depot und das VALIE EXPORT-Archiv), die aber dann doch auftragsgemäß funktionierte, indem sie eine Schludrigkeit und Hektik an den Tag legte, um ihr Zeitlimit einzuhalten. Garantiert kunstsinnabtreibend. Eine wehmütige Erinnerung an die Museumsdiskussionen mit Dieter Schrage drängt sich auf. Der nahm sich für ein einziges Bild mehr Zeit als die Lentos-Mitarbeiterin für zwei ganze Ausstellungen. Da viele Bilder der Lentos-Sammlung jüdische Eigentümer hatten, schwebt der Kunstraubverdacht wie ein Damoklesschwert in der Luft. So grottenschlecht diese Metapher ist: Die Verhältnisse, wofür sie steht, sind noch um eine Dimension schlechter. In der privaten Sammlung des Berliner Kunsthändlers Gurlitt, die zwei Jahre nach dem Krieg als Leihgabe der Stadt Linz überlassen wurde, steckt jede Menge politisch entwertete «entartete Kunst», die auf Aufwertung wartet und Menschen in Wartestellung bringt, die die Lücke zwischen dem Notpreis des betreffenden Kunstwerks und dessen Marktpreis füllen wollen und zu diesem Ziel Rechtsanwälte engagieren werden oder bereits engagiert haben. Die Lentos-Kunstvermittlerin hat für dieses Thema ganze fünf Minuten Zeit, eine Diskussion darüber ist ausgeschlossen. Der maskenhafte Mao Zedong Andy Warhols oder Josef Beuys` Sandzeichnungen werden in einer Minute abgehandelt. Dieselbe Schusseligkeit im Ars Electronica Zentrum, ein Zukunftspalast, dessen Administration vorgibt, die Technologien von Morgen in ihrer ganzen Ambivalenz zu zeigen (wie ein Messer, mit dem man Gemüse schälen und Menschen umbringen kann), das sich jedoch eher als moderne Kirche zur Feier sämtlicher technizistischer Fetische begreifen lässt. PassantInnen können nach Einbruch der Dunkelheit die Farbgestaltung der Fassade beeinflussen – was die sehr unfreiwillig an den Tag gebrachte Botschaft ausdrückt, dass der Übergang von halbwegs konflikt-regulierenden parlamentarischen Zuständen zu einer im Inneren zerfressenen Als-ob-Demokratie, die man auch Fassaden- oder Kulissendemokratie nennen könnte – oder etwa eine potjemkin’ sche – sich bereits vollzogen hat. Fassadengrün hin, fassadenrot her, die wirkliche wilde lebendige Partizipation, von der das moderne Linz und dessen Protagonisten von der Urfahr-Seite nichts wissen wollen, beginnt mit der Besetzung des Gebäudes im Jahr 2021 durch die rebellische Linzer Jugend, die ein herrliches Begräbnis mit anschließendem permanenten Leichenschmaus veranstaltet, denn das in ewige Ruhe Versetzte ist das Totalitäre schlechthin: Googlefacebookyoutubeamazon. Wenn´s so was gibt wie die Avantgarde der Wiener Avantgarde, dann müsste man auf die Wiener Gruppe verweisen. Eine ihrer wichtigsten Protagonisten, Gerhard Rühm, in einem Interview vom Juli 2017 zu den «Literarischen Cabarets» 1958 und 1959, den ersten Happenings in Österreich: «wäre damals der begriff schon bekannt gewesen, hätten wir die beiden literarischen cabarets auch happenings nennen können. in unserem programmatischen waschzettel definierten wir die form des cabarets übrigens als ’schlichte begebenheit’, was ziemlich genau den englischen, von allan kaprow geprägten begriff HAPPENING entspricht. Die performativen darstellungsformen, die hier zur anwendung kamen, empfanden wir keineswegs als bruch, sondern als fießenden übergang zu unserer literarischen arbeit. ich habe die literarischen cabarets als vorübung zu einem totalen theater gesehen, einem entfesselten theater. dahinter stand eine auseinandersetzung mit dem russischen revolutionstheater von tairow und meyerhold sowie mit piscator. in einigen aspekten wird auf den wiener aktionismus vorausgedeutet. beispielsweise fuhren in einer nummer achleitner und ich mit fechtmasken und umgeschnallten beilen auf einem motorroller durch den zweigeteilten zuschauerraum zur bühne, wo konrad bayer aus einem buch über indische freudenhäuser und oswald wiener einen philosophischen text vorlasen. während sich die beiden nicht beirren ließen, zertrümmerten wir mit gewaltigen hieben ein intaktes klavier, was aufgrund der heftig berstenden stahlsaiten nicht ungefährlich war. das war einige jahre vor der angeblich ersten klavierzertrümmerung im rahmen eines fluxus-happenings in wiesbaden, 1962.

NEUJAHRSBABYTERROR

Aus unzensuriert.at, 1. Jänner 2018. Koautor dieser rechtsextremen und radikal fremdenfeindlichen Internet-Postille ist Herr Lichtmesz. Thema: Aus welchen Familien stammen die heurigen Neujahrsbabys? Intention: Einen Beitrag zur nationalen Kampagne der permanenten Provokation der muslimischen Bevölkerung in Österreich zu leisten, um zu folgenden erwünschten Resultaten zu kommen: Erstens zur Einschüchterung großer Teile der Muslim_innen, die im Zustand wachsender Angst auf die Restmöglichkeiten demokratischer Interessensvertretung verzichten und Teil der kuschenden Klassen werden; zweitens die Nichtkuschenden unter den Muslim_innen zu einer Radikalisierung zu verleiten, die zu Widerstandsaktionen führt, die unter dem Beifall der Stammtische zum Vorwand der beschleunigten Entrechtung der Minderheit werden. Der Titel des Pamphlets lautet: «Neujahrsbabys aus größeren Städten allesamt von Migranten». Allesamt ist schwer gelogen. Die Sprache der Verhetzung im Wortlaut: Mohammed, in seinen diversen Formen, ist mittlerweile in den meisten westeuropäischen Ländern zum beliebtesten Vornamen bei männlichen Kindern aufgestiegen. Und auch die Neujahrsbabys der größeren Städte geben deutlichen Einblick in den demographischen und kulturellen Wandel. So sind es fast ausschließlich moslemische Migranten, die zu Silvester um Mitternacht oder kurz davor oder danach Kinder auf die Welt brachten, wie diverse Berichte aus Österreich, Deutschland und der Schweiz schon seit Jahren zeigen - auch heuer wieder. Das Wiener Neujahrsbaby etwa heißt Asel und kam um 0.47 Uhr zur Welt. Wie ein Foto von heute.at zeigt, trägt die türkischstämmige Mutter Kopftuch und der Vater Vollbart. Das Neujahrsbaby aus der Südtiroler Hauptstadt Bozen ist wiederum das zweite Kind einer marokkanischen Familie und heißt Esraa. In Deutschlands Städten ist das Bild ähnlich: Bei den Neujahrsbabys aus Eppenheim (Amir), Duisburg (Mirra), Bochum (syrische Flüchtlingsfamilie) und Gelsenkirchen sind jeweils kopftuchtragende Mütter auf den Fotos der Zeitungsberichte zu sehen. In Friedberg wurden türkische Migranten Eltern eines Neujahrsbabys, in Chemnitz bekam eine syrische Frau ihre dritte Tochter namens Talaa, ebenso in Dresden, wo eine syrische Frau Avrin auf die Welt brachte. In Starnberg bekamen marokkanische Eltern ein Kind namens Ranim. Im Schweizer Kanton Zug heißt das Neujahrsbaby wiederum Taym Mohamed. Übrigens: Das Neujahrsbaby österreichweit ist in diesem Jahr ein Kind österreichischer Eltern namens Julia. Eine echte Rarität! Soweit der Bericht aus unzensuriert.at. Auf den ersten Blick sieht man, dass die «Statistik» interessensgeleitet manipuliert ist. Um die «Österreicher» vor «Umvolkung» zu warnen, muss suggeriert werden, dass sich unter den ersten 2018 geborenen Menschen fast nur Muslime befinden. Ich habe gegoogelt. Suchwort: Neujahrsbaby. Die bekannt gegebenen Namen der Neujahrsbabys, aufgeschlüsselt nach Ländern und Städten, in der von Google gewählten Reihenfolge. Österreich: Julia Marie; Oberösterreich: Emili; Niederösterreich: Sophie und Daniel (Anmerkung: Die Eltern stammen aus der Mongolei, wo aber der Islam weithin absent ist. Die führende Religion in der Mongolei ist der Buddhismus); Tirol: Emma (noch eine Anmerkung: ihr Papa, Hoppich, ist ein Profi von Austria Lustenau); Salzburg: Veronika, Emilio; Burgenland: David; Kärnten: Elisa; Wien: Asel (endlich der erste türkische Name); Berlin: Filippos; Graz: Tobias; Kanton Zug, Schweiz: Taym Mohamed. Beide Listen – die fiktive, angeblich von Mohameds dominierte, sowie die faktische – sind matter of no importance. Erst an 13. Stelle auf der Liste der Neugeborenen scheint der Name des Sündenbocks auf. Die unzensuriert.at-Macher müssen auf die populistische Wirkung der Unglückszahl 13 verzichten. Sie dürfen ja nicht zugeben, dass der erste Mohamed erst auf Platz 13 liegt. Die Abbildung der türkischen Mutter des Wiener Neujahrsbabys in der Gratiszeitung «heute» löste einen gewaltigen shitstorm aus. Ihr einfaches Kopftuch rückte in das Zentrum der Hasslawine. «Nächster Terrorist ist geboren» oder »hat die Frau Krebs? Oder warum trägt sie ein Kopftuch? Kalt wird es ja wohl nicht sein» – auf diesem und noch viel tieferen Niveau versammelten sich die Postings. Die Flut der Hasskommentare erreichte Rekordausmaße, sodass sich sogar die nicht immer von Skrupeln gebremste «heute»-Redaktion zu einer mäßigenden Einflussnahme auf ihre Leser_innen veranlasst sah. «Reißt euch mal zusammen! Es geht um ein kleines Baby, das noch nicht einmal einen ganzen Tag auf der Welt ist», warb «heute.at» um Zurückhaltung. Auffallend bei diesem shitstorm war, dass viele der Hasskommentare von Menschen verfasst wurden, die es keineswegs mehr riskant fanden, ihren bürgerlichen Namen bekannt zu geben. Sie haben nun ja die Regierung an ihrer Seite.

BEGRABT MEIN HERZ AM KNIE DES FLUSSES

Otto I. , gestorben 973: sein Körper liegt im Magdeburger Dom, sein Herz in Memleben. Heinrich III., 1056: der Körper liegt im Dom zu Speyer, das Herz in Goslar. Friedrich I. Barbarossa, 1190: Sein Herz wurde in Tarsos bestattet, genauso wie die Eingeweide; sein Fleisch wurde in Antiochia eingebuddelt, seine Knochen in Tyros. Richard Löwenherz, 1199: der Körper liegt in der Abtei Fontevrault, das Herz in Rouen und das Gehirn in der Abtei Charroux. Wohin fuhren seine Angehörigen zu Allerheiligen? Isabella von Aragon, 1271: ihr Körper samt Herz wurde im Dom von Cosenza bestattet, ihre Knochen in Saint-Denis, Paris. Karl I., 1285: der Körper kam in die Kathedrale von Neapel, das Herz ins Pariser Jakobinerkloster, die Eingeweide in die Kathedrale von Foggia. Ich überspringe ein paar Jahrhunderte. König Matthias, 1619: der Körper liegt in der Wiener Kapuzinergruft, das Herz in der Wiener Augustinerkirche. Der Herzbecher war Ende des 18. Jahrhunderts in so desolatem Zustand, dass Joseph II. die Anfertigung eines goldenen Überbechers anordnete. Johann Schweikhard von Kronberg, 1626, ist nach seinem Tode besonders zerstückelt worden: der Hauptkörper kam nach Mainz, das Herz, die Eingeweide, das Gehirn und die Zunge nach Aschaffenburg, aber getrennt. Leopold I., 1705: Körper in der Kapuzinergruft, Herz in der Augustinerkirche, Eingeweide im Stephansdom. Neben Herz, Eingeweide, Gehirn und Zunge wurden im Fall von Clemens August von Bayern, 1761, auch die Augen vom Leichnam getrennt und separat beigesetzt. Bei Kaiserin Zita und bei Otto von Habsburg wurden die Eingeweide, entgegen der Habsburger Tradition, nicht mehr entfernt, nur noch die Herzen. Dass irgendwo auch Schwänze getrennt bestattet werden oder wurden, konnte ich nicht recherchieren, aber ich kann mit der Anekdote über das Grabmal von Victor Noir, eines Popstars der Protestbewegung gegen das Kaiserreich, aufwarten. Das führt allerdings vom Thema der getrennten Bestattungen weg. Der unbewaffnete Noir war 1870 bei einem Duell ohne Vorwarnung niedergeschossen worden; seine Grabfigur zeigt den im Todeskampf geschwollenen Phallus. Aus welchen Gründen auch immer – viele Frauen und fast so viele Männer berührten ihn, sodass dieses Stückchen der Skulptur schon ganz poliert war. Als dann noch die Frauen begannen, darauf zu reiten, wurde das Grab abgesperrt. Apropos: Im einer Linzer VALIE EXPORT-Ausstellung fiel mir das Drehbuch der Avantgardistin zum Film «Ein Sprachfest» auf. Ein Auszug: zwei an einem tisch. grüß und gott gebacken. er greift nach gott und sie nach grüß. sie ißt grüß er spuckt gott wieder aus. sie zieht die buchstaben (an einer schnur) aus dem mund: ich liebe dich. er haut ihr das wort hin: schleich dich. sie entwirrt es (mit ihr auch der zuschauer). feigenkränze schreiben busen – er ißt sie. bananen schreiben schwanz, sie ißt sie. er geht und hinterlässt mehl. sie schleckt es auf. sie geht, hinterlässt honig. er schleckt ihn auf. im gras aus gras das wort gras. beide legen sich darauf. zieht das wort schwanz aus der tasche / hose. ißt das wort busen, aus dem ausschnitt geholt. vermengt busen und schwanzwörter. macht das wort fut frei. fut und schwanz vermengen sich. milch in wasser geschüttet schreibt wolken. ziegel bauen das wort haus. er drückt ihr das wort geld in die hand. sie zieht heraus danke. rufzeichen fragezeichen fliegen durch die luft. schlägt sie mit wort schwein zu boden. brotlaibchen kollern aus den augen. sie kollert einen hang hinunter. beißt in das wort apfel fleisch wein schnaps. er beißt in das wort popo. herz-teig fließt weich über hand. (dein herz in meiner hand), hält mund drunter. über augen das wort blind. ißt das wort macht den mund auf. zieht gebackene lippen in mund. schaufelt wort futter in sich hinein. zerklatscht das wort bravo zwischen händen. haut «alles» über den haufen. sticht ins «leere» trifft. Silvester und Neujahr 2018 in Linz. Umhergeschweift im Hafenviertel – ein urbanes Experimentierfeld, eine Entwicklungszone erster Ordnung, deren Managern die Bedeutung der Kunst im internationalen (Binnenhafen-)Städtewettbewerb bewusst ist; Sie überlassen die Wände der Lager-, Hafen-, Industriehallen großzügigst der heimischen und internationalen Graffiti-Szene, die gespalten ist in der Frage, inwieweit eine Instrumentalisierung von Kunst für Geschäftsinteressen droht. Obwohl die Radikalität und die Schärfe der Provokation von den zur Kooperation eingeladenen Sprayern bestimmt wird, drängt die museale und die ästhetisch-dekorative Funktion der großformatigen Bilder die andere Seite der Street Art – das Wilde, Illegale, Vandalistische, Bedenkenlose, Zerstörerische – in den Hintergrund. BesucherInnen der Freiluftgalerie müssen, wenn sie den Bildern nahetreten wollen, die Warntafeln «Hafengelände. Betreten verboten» ignorieren. Ist diese kleine Erschütterung des Commons-feindlichen Systems die Rache der Instrumentalisierten? O Nein, die Missachtung der Verbotsschilder wird ja von der Hafengesellschaft geduldet.

EIN MITSUBISHI NAMENS WICHSER

Spätestens in seinem Buch «Kurumba oder die nicht geschriebenen Sätze» – Kurumba ist jene Malediven-Insel, auf der in rätselhafter Weise der Beuys-Schüler und Konzeptkunst-Shootingstar Blinkly Palermo starb – weist sich Autor Gerhard Jaschke als literarischer Lobbyist für lebende und verstorbene Schriftsteller-KollegInnen aus, die «stets weg vom Fenster» waren. Als Ort der leidenschaftlichen Würdigung dieser Outsider ist der Perinetkeller aus Jaschkes Sicht wie geschaffen. Umgekehrt: das Institut ohne direkte Eigenschaften (IODE) freut sich, in Gerhard Jaschke einen Partner gefunden zu haben, der die Resistenz gegen die Umgarnungen des kommerziellen Kulturbetriebs zu einem Kriterium lesenswerter Literatur macht. Für sein Projekt im Perinet-Keller namens «Jaschkes Nekrothek» (sie öffnet einmal im Monat ihr Tor) hat er den Kreis der vom Feuilleton und seinen Kunstpäpsten weithin unbeachteten Schreibsüchtigen eingeschränkt: Jaschke redet nur über Dichter und Bohemiens, die zu früh aus unserer Welt gegangen sind, von Joe Berger bis Rolf Schwendter. Jaschkes Nachrufe holen die Unkorrumpierbaren in die Welt zurück, und sei es nur in die Unterwelt des Perinetkellers. Zitatende. Mein PR-Text ist schmähbefreit, würde Riki sagen. 2017 wurden drei Abende realisiert, und zwar Hommagen an Hermann Schürrer, Josef Enengl und Joe Berger. Die «Nekrothek» im Jänner 2018 war Elfriede Gerstl gewidmet. Besonders die Joe Berger-Veranstaltung, bei der Gerhard Jaschke seine fix vereinbarte Gage (150,-) auf fünf Personen aufteilen musste, war für diesen ein Anlass, die Selbstausbeutung der AutorInnen zu thematisieren. Lieber gerhard, mailte ich ihm, deine nekrothek ist ein format, das im perinetkeller gut ankommt und das inhaltlich tatsächlich fein zum keller passt. allerdings, da hast du recht, ist eine gesicherte finanzierung die voraussetzung zum durchziehen einer serie im monatsrhythmus. der zwang zur kontinuität, die disziplin zur einhaltung von terminen, auch wenn man einmal gar keine lust dazu hat, kann nur durch eine gesicherte gage kompensiert werden. das ist bei einzelveranstaltungen ein bisschen anders. unserer anderthalbjährigen erfahrung nach fragen viele künstler nicht nach einer gage, sondern nutzen einfach die gelegenheit, in einem legendären raum sachen auszuzprobieren, auch sie würden ihre haltung zur honorierung schnell ändern, wenn sie regelmäßig im keller auftreten müssten. das bedeutet im fall nekrothek meiner meinung nach folgendes: wenn uns niemand einfällt, der deine serie subventionieren oder sponsern kann und will, sollten wir mit dem gerstl-abend die reihe einschlafen lassen. die 150 euro, die wir dir zugesagt haben, würdest du natürlich am 11. jänner kriegen. so wenig das ist – es ist das einzige fixum, das wir mit künstlerInnen, die bei uns auftreten, vereinbart haben, und auf die dauer ist diese «privilegierung» der nekrothek-reihe natürlich den anderen vortragenden gegenüber nicht zu legitmieren. wir sind also zu einer eher egalitären vorgangsweise in sachen honorierung gezwungen. anders verhält es sich, wenn bestimmte veranstaltungen im keller von dritten finanziert werden. du hast einmal die möglichkeit einer subvention deiner reihe durch die grazer autorenversammlung angedeutet. an einem ort der vom malen herkommenden avantgarde sich mit der vom schreiben herkommenden avantgarde zu befassen (und dabei nachzuvollziehen, dass beide in der provokation und beim happening landen) ist doch experiment, das nicht zum alltag der kunstvermittlung gehört. vielleicht gibt es halbuniversitäre forschungsinstitutionen, die sich als co-veranstalter deiner nekrothek eigneten und etwas geld locker machen könnten. wie siehst du das? jedenfalls würde ich dich bitten, den gerstl-abend über deine verteiler zu bewerben, unabhängig von der zukunft der reihe. Wer macht (kurzer Schock: WEHRMACHT) und was bedeutet Street Art? Die Autokonzerne bezahlen Kreativlinge, die Autonamen erfinden müssen, denn wer heute einen Mercedes vom Typ Marco Polo fährt, dem wird der Fetisch des Neuen nach zwei, drei Jahren zu einem Namenwechsel verleiten. Die Poesie der Autonamen ist Garagenkunst oder Street Art, je nach Hauptaufenthalts-Ort der entsprechenden Karossen. Fiesta Kuga Ecosport / Polo Beetle Talisman / Caddy Twingo Amarok / Prius Stinger Rio-Gold / Duster Doccer Tiguan ... das hat doch poetische und rhythmische Qualität! Leider weht nur selten ein Hauch von Provokation, Ironie oder Satire in diese konzernbeauftragte Lyrik, denn Autohersteller wirken generell spaßbefreit. Es gibt großartige Ausnahmen. Ein Mitsubishi-Modell kam in Deutschland unter dem Namen Mitsubishi Pajero auf den Markt. Das ist das spanische Wort für Wichser; der Konzern musste sich für seinen spanischen Markt einen neuen Namen suchen.

FRISCHE KUHWARME KOKOSMILCH I

Als die lateinischen Gelehrten des 12. Jahrhunderts ihren bei aller Gediegenheit doch begrenzten Literaturkatalog mit der umfangreichen Liste jener Bücher verglichen, die den muslimischen Gelehrten zur Verfügung standen, hat sie die Erkenntnis dieses Überflusses wie ein Schlag getroffen. Meint der englische Historiker Southern. Sprichwörtlich für diese ausgebreitete Gelehrtheit ist die Enzyklopädie von Basra, die den gesamten Wissensstand ihrer Zeit, des 10. Jahrhunderts repräsentiert, in allen Bereichen der Wissenschaft. Diese Information wird man nie in den Texten der neuen Rechten lesen, die den Islam als aufklärungsresistent karikieren. Mein dogmatisches Plädoyer für die Streichung des Wortes Bezirkskultur aus dem Vokabular des Kulturbetriebes, weil die Künstler_innen immer für die Welt arbeiten und nicht für die rechte Seite der Perinetgasse (die linke gehört zum Konkurrenzbezirk). Die Idee, zum «verflixten siebenten Jahr» einen Veranstaltungsreigen loszulassen. Wie schützt man sich vor der Denunziation pur, die als volles Lob daherkommt. Nämlich vor dem Attribut RÜHREND? Rührender Aktionsradius, rührender Augustin, ein rührendes Kollektiv... Kartenspielen in Perg, Mühlviertel. Ein g´stopfter Geschäftsmann aus dem Nachbarort hat dreimal hintereinander das Preisschnapsen gewonnen. Jedesmal 3000 Schilling (die Geschichte ist schon alt). Ein analoger Shitstorm fährt über ihn drüber. Man weiß nicht, ob er in Perg gehasst wird, weil er reich ist, oder weil er aus der Nachbargemeinde kommt. Leidenschaftlich gehasst wird er aber, weil er sich nicht an die Spielregeln hält. Demnach hat der Sieger erstens eine Runde an alle zu zahlen. zweitens muss er sich von den Verlierern obligatorisch herausfordern lassen. Dazu ist es notwendig, dass er sich nach dem Tag seines dritten Sieges im Gasthaus sehen lassen muss, um herausgefordert werden zu können. Der Geschäftsmann unterließ das eine wie das andere. Solche Regeln zeigen, dass Bauern einen Sinn für Anarchismus haben, wenn man ihnen diesen ausleben lässt. Nestroys «frische kuhwarme Kokosmilch». P.M. in der WOZ über 9/11: Es standen da zwei Penisse / Menhire / Obelisken / Siegessäulen im Zentrum des Imperiums: zwei Einladungen, doch bitte diese Symbole eines größenwahnsinnigen, patriarchalen, lebensfeindlichen Systems anzugreifen. Und nicht es selbst. Wer die Justiz wirksam kritisieren will, muss 3 Vorurteile klären, die den Blick auf die Realität verstellen. Vorurteil 1: Vor dem Richter stehen ausschließlich Kriminelle, nie anständige Menschen. Führt zur Distanzierung der Bürger vom Angeklagten. Vorurteil 2: Jede Art von Kriminalität kann vor dem Richter erscheinen. Staats-Täter, die Flüchtlinge ins Kriegsgebiet zurückschicken, sind kriminell, aber geraten nie vor den Richter. Vorurteil 3: Das Gericht sucht die Wahrheit. Nein, es konstruiert Sündenböcke. Was geschieht, wenn ein Mensch verliebt ist? Das Bewusstsein verengt sich und sieht nur noch einen Gegenstand (Ortega y Gasset). Eine gute Beziehung ist die, «in welcher jeder den anderen zum Wächter seiner Einsamkeit bestellt». Ein Miteinander sei eine Unmöglichkeit. Mögliche Selbstwahrnehmung: wenn ich jemanden etwas zu erklären versuche, hör ich genau hin, denn hauptsächlich bin ich es, dem was erklärt wird. Sophie Freud fiel etwas ähnliches auf. Sie erinnert sich an ein Experiment, bei dem OberschülerInnen angehalten wurden, Erstklasslern das Lesen beizubringen. Es stellte sich heraus, dass nicht die kleineren Schüler, sondern die großen erstaunliche Fortschritte in ihrer Lernkompetenz machten. Das ist noch eine dieser Erkenntnisse, die die Rolle der Lehrperson relativieren, ja, das Prinzip Schule prinzipiell in Frage stellen. Das RAF-Positionspapier «Konzept Stadtguerilla» erschien 1971 unter dem Titel «Die neue Straßenverkehrsverordnung». Die erste gewählte linksradikale Stadtregierung in Deutschland oder Österreich sollte die neue Straßenverkehrsverordnung demnach unter dem Titel «Konzept Stadtguerilla» unter die Leute bringen. Soviel Spaß muss sein. Die Ausbildung zum Theologen kennt eine Methode, die Vermeidung philosophischen Denkens, und ein Ziel: den Tod des philosophischen Denkens. Es gibt laut Drewermann zwei unterschiedliche Deutungen der mönchischen Regel ora et labora. Erstens: terroristische, autoritäre Aufteilung des Tages in Gebets-Zeiten und Arbeitszeiten. Zweitens: Formel für eine utopische Lebensform, in der alles Tun von Phasen der Besinnung begleitet wird und alles Nachsinnen umgehend einmündet in Handeln. Im betonumkränzten Rinnsal des Wienflusses, unter der Wienzeilenbrücke, findet das «Strandfest» des Augustin statt. Der Raum ist öffentlich, im Sinne von nicht privatisiert, aber er ist versperrt. Die Kollegin von der Augustin-Redaktion überquert die Brücke. Sie ist im Urlaub, sie ist «nicht eingeteilt», sie schenkt den Strandfestfeiernden keine Beachtung. Sie ist Lohnarbeiterin und wirft einen einzigen flüchtigen Gehaltsempfängerinnen-Blick auf die gemütliche Rebellion unter der Brücke. Sie ist uns fremd. Außer Dienst.

FRISCHE KUHWARME KOKOSMILCH II

Die vatikanische Banco Ambrosiano wird kirchenoffiziell «Institut für religiöse Werke» genannt. Das ist mindestens so originell wie unser Institut ohne direkte Eigenschaften. Dabei hört man immer, der oberste Klerus sei durch Ironielosigkeit ausgezeichnet. Immer wieder ungeahnte Schmankerln in den Loch-Ordnern. Zum Beispiel die Arbeit «Die Zähmung des Menschen. Zur politischen Bedeutung der Lust- und Genussfeindschaft», von Fady Barcha, Berlin. Ein weiteres Schmankerl: Biermann über Brecht. Und noch ein Schmankerl: Coverthema das Kulturteils des «Standard» vom 11. August 2001 ist weder eine Schöne des Literaturbetriebs noch das voyeuristengerechte Ersaufen des Literaturstars zum Quadrat im Luxussumpf, sondern das schräge anarchistische Projekt der VolksTheaterKarawane. Auch das ein Schmankerl: Die Aufzeichnungen des deutschen Politologen Ulrich Brand über den Aufstand in Genua, Juli 2001, gegen den G-8.Gipfel. Ein weiteres Schmankerl: die höchst notwendig gewordene Ehrenrettung des Schattens. Interessant, dass der arabische Gelehrte Al Biruni im 11. Jahrhundert ein «Traktat über den Schatten» schrieb. Ein Merkmal von Intellektuellen ist das Ertragen einander ausschließender Prämissen, ohne dass man dabei verrückt wird. Ein Superschmankerl aus der Ex-DDR: Warum aus uns nichts geworden ist, eine Essaysammlung des Ostberliner Dichters Jan Faktor. Es könne kein Zufall sein, dass sich die Nach-Wende-Bücher aller wichtigen Autor_innen des Prenzlauer Berges nicht verkauft haben. Das gelte vor allem für den Meister der subkulturellen Literatur Berlins, für «den begabtesten ostdeutschen Dichter» überhaupt: Papenfuß. Man muss den Touristen vom Reisenden unterscheiden. Der Tourist sucht den Ort des Anderen auf, ohne dass das Andere darin vorkommt. Der Tourist fühlt sich nur unter Touristen wohl. Der Reisende tut alles, um unter den Leuten zu sein, die er auf seinen Reisen antrifft. Er ist immer noch der Flaneur. Rossana Rossandas und Carlo Moscas langes Interview mit dem Chef der Roten Brigaden, Mario Moretti, wirft mein BR-Bild über den Haufen, das durch mein RAF-Bild verdorben war. Es zeigte mir, wie sehr die BR zur Geschichte der Linken, sogar zur Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Italien gehört. In ihrer Verankerung in den Fabriken des Nordens waren sie überhaupt nicht mit der RAF zu vergleichen. Das Gemeinsame war in meinem Kopf, der voll war von Vermeintlichem. Ich habe einer Linken angehört, die beide Gruppen, BR und RAF, in die Schublade der Provokation im (eventuell ungewollten) Dienste des Staates gesteckt hat. Die KPÖ-Schulung machte uns an eine Verschwörung zwischen Staat und Brigate Rosse glauben, die das Ziel hatte, die Linke unter den Christdemokraten – Symbolfigur: Moro – auszuschalten, um die Politik des Historischen Kompromisses zwischen PCI und DC zu verhindern. Die KPÖ-Schulung machte uns empört darüber, dass die Roten Brigaden ausgerechnet Moro, den Kommunistenfreund im rechten Lager, in den Tod schickten. Die KPÖ-Schulung entpolitisierte uns so, dass wir nicht erkannten, dass der Historische Kompromiss kein Fortschritt gewesen wäre. Er war, im Gegenteil, der Bruch mit der kämpferischen Geschichte der KommunistInnen Italiens. Moro, der den KP-Chef Berlinguer wie einen Untergebenen behandelte, war der Repräsentant dieser DC-Linie der konzertierten Integration der KommunistInnen in den Staat. Die BR zogen nicht den Falschen aus dem Rennen, wie wir von der KPÖ lernten, sondern genau den Richtigen. Alle Tage taucht sie die Füße in ein Milchschwein, dem der Bauch aufgeschnitten wird, denn die Füße müssen in die zuckenden Eingeweide gesteckt werden. Es erübrigt sich, dir zu sagen, wie gellend das Schweinchen quiekt; es versteht ja nichts von dieser Ehre, die ihm angetan wird. So beschreibt Balzac die Kur der ukrainischen Gräfin Madame Hanska. Damit der Kapitalismus verschwindet, müssen bloß folgende Strömungen zusammenfließen. 1) die marxistische Strömung (angewandte Privateigentumskritik). 2) die anarchistische Strömung (angewandte Macht- und Hierarchiekritik). 3) die feministische Strömung (minus ihre abendländische Fraktion der Kopftuchparanoikerinnen). 4) die heterodoxen Strömungen aller Religionen und Spiritualitäten. 5) die Parallelstrukturen und Parallelwelten (autarke Zonen im Schatten von Staat und Markt). 6) die Verdammten dieser Erde (mit Norddrall). 7) die Abteilung Kunst & Revolution (einschließlich Pop und Subkultur und allem, was dazwischen liegt). 9) die GeheimnisverräterInnen aus den Reihen aller Eliten. 10) Die AktivistInnen gegen Erdöl, Erwärmung, MacDonalds, dritte Pisten u.a. Großprojekte. 11) die TeilnehmerInnen am Meta-Spiel, die das Überkommene spielerisch zersetzen durch ein unbewusstes politisch-Sein jenseits der Politik, aber mit strikten Spielregeln. 12) die Clowns. Ein allerletztes Schmankerl in diesem Kapitel: Grashoppers Zürich gegen FC St. Gallen. Alle Spieler in Maßanzügen. «Fusion», ein Film von Ingeborg Lüscher, gegen die Kommerzialisierung des Fußballs.

WIR GENGEN NOCH SCHENBRUNZ

Eine Wortklangfamilie. Die Mutter heißt Eidechse, die Lieblingstante heißt Erdachse, der Vater heißt Pferdearsch. Die Töchter heißen Herzschwäche, Kracherbse und Scherbenfracht. Die Söhne heißen AchVerdi, Erwache und Verdacht. Als nachdenklicher Erwachsener spiele ich mit ihnen die «acht Samen». Wer von der Erdachse durchbohrt wird, muss spontan acht Dinge einer Kategorie nennen. Diesmal wurden gewählt: acht Werte, acht Herzen, acht Echsen, acht Dachse, acht Dämme, acht Helden, acht Serben und acht Verdammnisse. Wer beim achten Ding immer noch die Achse schräg in seinem Leib hat, kann nicht gerettet werden. Das ist das Spiel. Ich glaube, wenn sich nicht 1 Gefühl von Wollust während des Schreibens einstellt, wird der Text 1 verdorbener sein, 1 verrenkter, 1 missratener, behauptet Mayröcker. Ein Wendewitz. Ossi läuft strahlend einem Wessi in die Arme. «Wir sind ein Volk», lacht er ihm entgegen. Der Wessi schiebt den lästigen Ossi weg und sagt: «Wir auch». Zwischen den Zeilen steht nie was. Nichts findest du zwischen den Zeilen. Aber jeder Trottel gibt dir den Tipp, zwischen den Zeilen zu lesen. «Artwashing» basiert auf einer Verschwörungstheorie: dass die Existenz von Galerien in einem Stadtviertel automatisch zu dessen Gentrifizierung führe. In einer linken Sprache werden Shitstormes gegen Galeriebetreiber und Kunstinstitutionen losgelassen. Die Opfer dieser Kampagnen sind oft politisch aktiv, zum Beispiel gegen Gentrifizierungs-Prozesse. Die Natur liebt Elfriede Gerstl, doch sie wird nicht zurückgeliebt: von zeit zu zeit seh ich sie gern / die vergifteten bäume / die befallenen wiesen / diese verlauste landschaft / aus dem zugfenster meines abteils / nein danke sage ich zu meinen freunden / den berg-und talsteigern / ich habe hier drinnen / schon genug natur. Dem Jandl genügt offensichtlich die Ersatznatur, etwa in Form des Zoos: wir gengen nach schenbrunz / dort steht das tier in gunz / das tier ist dort ein eingespier / doch mir de mensche sein kein tier / drum gemma noch schenbrunz. Valie EXPORTS Drehbuch für den Film «Ein Spachfest» liest sich wie ein poetisches Manifest: ... zieht gebackene lippen in mund / schaufelt wort futter in sich hinein / zerklatscht das wort bravo zwischen händen. jetzt eil ins bad und dusch dir den schleim aus deiner oberfläche und gib dir das vierzehnseitige konzentrat der katholererzeitung «Die Furche». Das fängt ja schon gut an: Eine halbwegs gute Regierung ist eine, die das Schicksal auch jener achtet, die man nicht mag. Eine Durchschnittsregierung ächtet jene, die sie nicht mag. Der geneigte, die geneigte Leser und Leserin weiß, wem ich die regelmäßig gelieferte Furche-Ausgabe verdanke. Dieser großzügige Mensch erwartet wie gesagt eine pädagogische Wirkung der Furche auf mich. Er will mich mithilfe der Furche sakral stimmen und nimmt nicht wahr, dass diese Wochenzeitung in ihrer unfrommen Wissenschaftlichkeit den Kern des Christseins besser bewahrt als mein Furche-Lieferant, der drei Teufelswerke kennt: den schwarzen Block, den aktuellen Papst und den Humanismus. Bevor du dich anwischelst, Schätzchen, lauf auf´s WC am Plätzchen. Was willst du über Polen wissen? Es hat 35.000 Muslime. Das ist weniger als 0,1 % der Gesamtbevölkerung (40 Millionen Einwohner). Was die ethnische und religiöse Bandbreite betrifft, ist Polen eines der homogensten Länder des Nordens. Woher kommt dann diese Angst vor den Flüchtlingen? Die Mysterien finden am Hauptbahnhof statt, sagte Religionskritiker xy. Falsch! Am Hauptbahnhof wird jedes am Ausgangspunkt befindliche Mysterium von den Bataillonen der Privatsherifs auseinandergenommen und aufgelöst. Das Neigerl des Mysteriums verdampft in den Hochsicherheitstrakten der Verkehrsknoten-Ebenen. Wer Gott dienen will oder sich selbst, begibt sich auf eine Zwischenebene, auf der dich der Leberkaspeppi erwartet. Die Rolltreppen sind Himmelsleitern oder Rolltreppen. Kirchen, Moscheen, Synagogen sind aus dem Bahnhofskomplex verbannt. Dieser ENTHÄLT nicht die Kirche, sondern IST die Kirche. Ihre Kreuzwegstationen heißen Anker, Felber, Mann, Ströck und GÜL. Nach all den Jahrhunderten, ja den Jahrtausenden riecht es in diesen Bahnhofsbäckereiketten nicht mehr nach Jesus (GÜL ausgenommen), sondern nach Niki Lauda. Der seltsamste Krieg innerhalb des ersten Weltkriegs war der Krieg USA gegen Österreich-Ungarn. Es kam zu keinerlei direkten Kämpfen zwischen den beiden Armeen. Es war ein Papierkrieg – und insofern ein nachahmenswertes Modell, wie man Kriege führt, die niemandem wehtun. ZUM BEIBASS WENN EINE FRAU MICH BETET DAS MARMELADEGRASS ZU ÖFFNEN ERGREIFE ICH ES MIT DER HAUSBACKENEN GESTE DER LANGEWEILE UND DREHE LEIDENSCHAFTSLOS DEN DECKEL GEGEN DEN UHRZEUGUNGSSINN.

DIE NACKTHEIT IHRER KINDER IST NICHT UNSCHULDIG

Die NN. sind alle mehr oder minder schlechte Kerle, immer wild, zornig, unverschämt, geil, tückisch. Ihre Schnauze ist ins gröbste Hundeartige ausgearbeitet, ihr Gesicht entstellt, ihr After das Unverschämteste. Ihre Geilheit geht über alle Begriffe, die gebärden sich auch Männern und Jünglingen gegenüber schändlich. Kinder und Frauen darf man nicht in ihre Nähe bringen. In ihrer sinnlichen Liebe sind die NN. wahrhaft scheußlich. Die Geilheit und Frechheit zeigt sich bei keinen anderen in so abschreckender Weise. Die Brunst zeigt sich auch äußerlich in hässlicher Weise. Die Geschlechtsteile schwellen bedeutend an und erhalten eine glühendrote Farbe; man meint, dass das Gesäß in bedenklicher Weise erkrankt sei. In S. forderten kaum achtjährige Mädchen gelegentlich der großen Manöver Soldaten auf, gegen kleine Geschenke mit ihnen sexuell zu verkehren. Die Eltern unterstützten, vor ihren Hütten sitzend, die unverschämten Anträge der Kleinen durch eine im Volk bekannte Bewegung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Man darf daher keineswegs glauben, dass die Nacktheit ihrer Kinder gleich jener Unschuld sei, die Adam und Eva vor dem Sündenfalle besaßen. Wenn in späteren Jahren die jungen NN. bekleidet gehen, so darf man nicht an erhöhte sittliche Ideale denken, sondern im Gegenteile: Die Kleidung verbirgt nicht ureigentlich die Geschlechtsembleme, sondern macht den Besitzer bloß sexuell begehrenswerter. Die Vorliebe der NN. für die rote Farbe ist auf sexuelle Motive zurückzuführen. Die Kleidung bei den NN. ist größtenteils nur sexuelles Reizmittel. Beim Militär, dem die NN. mancher Staaten anzugehören haben, sind Strafen wegen Unzucht der NN. mit Stuten nichts Seltenes. Genauere Berichte fehlen noch. Exzesse und Unzucht unter den NN. erklären sich aber auch aus der merkwürdigen Körperbeschaffenheit der Individuen. Unter ihnen findet man Exemplare von widerlichen, geradezu abstoßenden Exterieur und daneben andere von geradezu klassischer Schönheit. Bei diesen tritt aber bald der Rückschlag ein, und früh gealtert werden aus schönen Formen grässliche Fratzen. Das Auge der NN. ist feurig, voll Koketterie, Begehrlichkeit und tierischer Wildheit, blitzt aber manchmal in glühendem Hass auf. Der Geruch der NN. ist dem charakteristischem Geruche der Neger ähnlich. Der Tanz der Unter-NN. ist weit simpler ist der Tanz der Ober-NN. Obschon einige hierin die M. nachahmen wollen, so geht es ihnen doch nicht so recht vom Fleck. An zwey ungeschickten Geigern genügt es ihnen vollkommen, welche außer einer und derselben Melodie beinahe nicht anderes herabkratzen können. Der Dudelsack ist für dieses Volk etwas köstliches; und nicht selten sieht man die Leute, Männer und Weiber, junge und alte bei einer einzigen Trommel und Pfeiffe ohne alle Ordnung wie Affen und Bären unter einander herumspringen; denn außer ein paar Bockspringen verstehen sie keine Figuren zu machen. Die Wohnsitze der NN. vermehren sich zusehends. Besonders bei den Unteren herrscht die Gewohnheit vor, dass drei und sogar noch mehr Brüder ins selbe Haus heiraten, sodass es ihnen nach und nach am Raume gebricht, besonders wenn ihre Söhne heranwachsen und ebenfalls heiraten. Für diese bauen sie nun auf irgendeiner Rottung nahe an Waldungen und in Weingärten die nötigen Häuser, welche in der Folge durch den Anbau zusätzlicher Keuschen zu dorfähnlichen Gebilden werden. Daher sieht man so viele auf Bergen und in Weingärten zerstreute Häuser. Oft mehr als in den Dörfern selbst. Diese Unsitte ist bei den Ober-NN. nicht zu bemerken. Der erste Teil zitiert Alfred Edmund Brehm, Brehms Tierleben, Kapitel Pavian, 1879. Der zweite Teil zitiert Victor Areco über das «Liebeseben der Zigeuner», 1909. Der dritte Teil zitiert Johann von Csaplovics, «Croaten und Wenden in Ungern», 1828. Wikipedia-Diskussion zu Brehms Wissenschaftlichkeits-anspruch: Sollte man nicht vielleicht ausführen, dass und wieso die von Brehm verfassten Beschreibungen einzelner Arten oft keinerlei modernen wissenschaftlichen Standards entsprechen, dieweil sie extrem vermenschlichend sind und tierisches Verhalten nach moralischen Maßstäben beurteilen? Bei Brehm sind es die unanständigen Tiere, die die prinzipiell anständigen Menschen auf unanständigstes Niveau herabzführen. Bei Areco und Csaplovics sind die Menschen von Geburt an ekelig wie Tiere. Eine Bemerkung zum Pavian-Bashing: Seit Jahren schleppe ich die Kopie dieses Kapitels mit mir herum. Es ist erstens ein Dokument seiner Zeit, in der sich Wissenschaftler von ihren moralischen Werten und nicht von extramoralischen Fakten leiten ließen; es ist zweitens, wenn auch unfreiwillig, höchst humorvoll und deshalb wert, gelesen zu werden. Im Kern lachst du das rassistische Lachen über das Primitive, behauptet ein guter Freund. Nein, schnauzte ich zurück, das Lachen gilt dem Menschlichen, das wir im Tier entdecken. Du lachtest, weil dich die Bauchflecke der fliegenden Teufelsrochen, die wir vor der kalifornischen Küste sahen, an meine patscherten Blatscher erinnerten.

DIE SCHRAUBENDE KLASSE SCHRAUBT SOGAR ZECKEN AUS DER HAUT

WIR MÜSSEN ALS KIRCHE DEUTLICH MEHR KANTEN ZEIGEN. Kirchen müssen etwas Widerständiges haben. Sagt der evangelische Bischof Michael Bünker. Leider scheint er zu feig zu sein, um – als Avantgardist des Aufbruchs der Kirche in die wieder Hoffnung schöpfende Gesellschaft – der Kirchenbewegung voranzugehen und etwas zu tun, was man einem Bischof nie und nimmer zugetraut hätte. Zunächst müsste er in jede seiner Kirchen 100 Flüchtlinge zum Hierbleiben einladen – und jeder dieser aus kirchlicher Sicht legalen und gottgefälligen Gotteshäuserbesetzung durch eine zivilgesellschaftliche oder pfarrgemeindliche 100für100-Gruppe beiseite stehen. D.h. 100 Menschen aus der Umgebung kümmern sich kollektiv und individuell um 100 Flüchtlinge. Der Bischof erklärt dann Abschiebungen für Verbrechen gegen die Menschenrechte und mobilisiert die Fantasie aller 100für100-Gruppen in seinem Bereich zur Verhinderung des Abschubs. Beuys («Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt») müsste sich korrigieren: sie finden auch wieder in den Kirchen statt. Speziell die katholische Kirche ist zwar die letzte absolutistische Monarchie der Welt, aber gerade als solche, und indem sie absolutistische (Rest?)-Macht ausspielt, wäre sie in der Lage verblüffendste Interventionen zu betreiben, zum Entsetzen des Staates und seiner Parteien. Denn diese konnten ja bis zuletzt davon ausgehen, dass die Macht, die sie der schmelzenden Kirche übergaben, niemals gegen sie eingesetzt werden würde. Solange ich Kohlendioxyd von kosmischer Hintergrund-strahlung unterscheiden kann... Solange meine Koffer im Keller verschimmeln ... Um Gottes willen, unser Perinetkeller muss bürokratiefrei bleiben – das war der erste Aufschrei, als ich versuchte, Regeln für den Betrieb des Perinetkellers zu formulieren, darunter, dass sich SchlüsselbesitzerInnen, die ich als Mitglieder des engeren Teams definierte, bereiterklären, bei der Verwaltung des Kellers und Kuratierung des Programms mitzuwirken, über die Arbeit für eigene künstlerische Projekte hinaus. Aus meinem Marmeladeglas-Gedicht: ICH ÜBERREICHE DAS VON MIR / IM VORBEI-SCHAUEN GEÖFFNETE MARMELADEGLAS / IN DER UNÜBLEN LAGE / MEINER SKRÜPELNDEN ÜBERLEGENHEIT / DER WINZERKÖNIGIN DES AB-ENDLANDES / DAS SICH VOM ANALFANG DER LEGENDE / BIS ZUR FINALEN KRÄHENFÖRMIGKEIT / ALLER ZIVILISATION ERSTRECKT (...) WIR DIE SCHRAUBENDE KLASSE / SCHRAUBEN SOGAR ZECKEN AUS DER HAUT / LINKS ODER RECHTSDREHEND / ALS HÄTTEN IHRE STECHWERKZEUGE / EIN GEWINDE / DIE FRAU NIMMT DIE PINZETTE / UND ZIEHT DAS TIER NACH OBEN / GERADEWEGS / GEGEN DIE GRAVITATION. Solange ich keine kosmetische Salben aufs Dinkelbrot streiche... Ein Dokument aus dem Jahr 1696 erlaubt der portugiesischen Guinea-Kompagnie, 10.000 Tonnen Neger pro Jahr einzuführen. ES ERÜBRIGT SICH ZU ERWÄHNEN / DASS DAS AUFGESCHLITZTE MILCHSCHWEIN / GELLEND QUIEKT / GAR NICHTS NÄMLICH / VERSTEHT ES VON DER EHRE. Darauf werde ich im Kapitel Seite 71 noch zurückkommen. Wer in eine Beschneidungsreligion hinüberwechselt, ist selber schuld.,Wär ich doch bloß ein einfacher Zisterzienser geblieben, denkt Thomas, während er auf den Beschneider wartet. Der kommt pünktlich mit dem Messer in der Hand und sieht die Furcht des Konvertiten. Keine Angst, grinst er. Ich reinige das Messer nach jeder fünften Beschneidung mit kochendem Essig. So einfach kann Wissenschaftssprache sein: Hyänen lachen wie verrückte Kinder. Begegnung im PEN-Club. A: Ich mache Texte zu schnell fertig! B: Mich machen Texte zu schnell fertig. Vielleicht hätte die DDR von innen her emanzipiert werden können. Dafür gab es zunächst eine Massenbasis. Die Basisgruppenbewegung. Doch dann griffen Helmuth Kohl und andere in die Trickkiste. 1989 stellt die westdeutsche Linke der ostdeutschen Reformbewegung keine Bewegung für Sozialismus in Deutschland zur Seite. Muss Marx´ Bedeutung als Bewegungsstifter relativiert werden? Hunderttausende kamen zum Hambacher Fest. Marx war es nicht, der die revolutionäre Aufbruchsstimmung auslöste. Umgekehrt, die revolutionäre Stimmung riss auch Marx mit. Solange ich Klorollenblätter abreißen kann ... 45 Leute in Deutschland besitzen so viel wie 40 Millionen andere deutsche. Sie haben jeweils in Vermögen von 214 Milliarden Euro. Bei den 40 Millionen handelt es sich um die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung. Das ist die bisher radikalste und drastischte Form der Darstellung des immer Gleichen. Solange ich Kohlrabi beißen kann... solange ich ohne Navi ins Zentrum von Korneuburg finde... solange meine Körperfarbe noch im Spektrum bleibt... solange ich mich aus dem Kotau ohne Hilfe aufrichten kann... solange ich nicht im Schlaf Koreferate über Korpuskeln halte...

JEDER FISCH HASST ALLE HAKEN

Was ich nicht mag. Ich mag nicht barfuß über eine Armee von Nacktschnecken treten. Ich mag keine Schriftsteller, die jedes Jahr ein neues Buch auf den Markt werfen. Am wenigsten, wenn es Bücher über die Macht des Markts sind. Ich mag keine exkommunistischen russischen Oligarchen und Neo-Millionäre, die in Momenten intimerer Geselligkeit Komsomol-Lieder singen. Ich mag keine Bayern, die sich mehr für die Neuzugänge bei Bayern München interessieren als für die Lehren aus der Münchner Räterepublik, deren Regierung keine Neuzugänge mehr brauchen konnte, weil sie schneller als Pessimisten ahnten liquidiert wurde. Ich mag Leute nicht, die mir erklären wollen, dass richtiges Angeln den Fischen weniger Schmerzen zufüge, und auf meinen Vorhalt, der Haken tue allen Fischen weh, den klugen wie den dummen, keine Antwort wissen. Ich mag nicht, dass die Wessies vergessen, dass der bundesdeutsche Geheimdienst den gesamten Postverkehr aus der DDR kontrollierte, man schätzt 140 Millionen Postsendungen. Den FIFA-Boss Blatter mag ich nicht, der den gegen die Fußball-WM rebellierenden BrasilianerInnen vorhielt, die FIFA mische sich auch nicht in die Politik ein, obwohl sie den Gastgeberländern WM-Gesetze aufzwingt, die die Stadtverwaltungen in vielen Belangen entmachten, z.B. in der Regulierung der öffentlichen Räume. Ich mag nicht zu viele Erfolge nacheinander, denn nach einem Erfolg entwickelt man sich nicht weiter. Ich mag nicht den überall in Österreich verbreiteten Ausspruch «alles in deutscher Hand», wenn Zufriedenheit ausgedrückt werden soll. Ich mag generell keine Ämter, geschweige denn die US-Nahrungsmittelkontrollbehörde FDA, die die Einfuhr des würzigen französischen Hartkäses Mimolette mit dem Argument verboten hat, dieser Käse sei eine widerliche und faulige Substanz, die Allergien bewirken könne. Ich mag nicht wissen, welche Genese Spiele wie jene der zweiten Liga Nigerias haben, die mit dem Torverhältnis von 79:0 beziehungsweise 67:0 zu Ende gingen, was ohne Absprachen mit dem Zweck des Aufstiegs der siegenden Klubs in die erste Liga nicht möglich wäre. Ich mag die Klagen deutscher Autofahrer über 14 stationäre Verkehrsüberwachungsblitzer an einem nur 23 Kilometer langen Bundesstraßenabschnitt nicht. Ich mag nicht, von Halluzinationen verschont zu bleiben, die ich – mit meinem neuen Wissen, dass sie, anders als die Träume, ohne mein Zutun in mir entstehen – wie Kino genießen könnte. Ich mag keime klassenbewusste Todesanzeigen der Art «Tief erschüttert nehmen wir Abschied von unserem langjährigen Beiratsvorsitzenden Prof.h.c.Dr.Dr.h.c...» Ich mag nicht das Konkurrenzgehabe zwischen Deutschen und Österreichern in der Frage, wer die blödesten Fußballspieler hat: Deutschland («Bei so einem Spiel muss man die Hosen runterlassen und sein wahres Gesicht zeigen») oder Österreich («Das wichtigste ist meine Familie. Alles andere ist primär»). Ich mag keine Schlagzeilen wie jene in der FAZ vom 14. Juli (2013, nicht 1913): «Männer wollen Lösungen, Frauen wollen reden». Ich mag nicht die gedrungenen Fahnenstangen der griechischen Kommunisten, die alle aus derselben parteinahen Tischlerei zu stammen scheinen: sie verwandeln Demonstrierende in eine Schlagstock-Schutztruppe im roten Fahnenmeer, dem dadurch etwas Brutales anhaftet. Ich mag die Gepflogenheit nicht, dass man den Lateinunterreicht mit Cäsars «Gallischem Krieg» beginnt und nicht mit den «colloquia familiaria» des Erasmus von Rotterdam. Ich mag keine Sprüche wie «Das Eindeutige gehört an allen Ecken bekämpft», weil solche Sprüche als eindeutig daherkommen; sie müssten demnach bekämpft werden. Ich mag keine Bürgerbeteiligungsverfahren, bei denen alle Themen, die von unten, von der Bevölkerung artikuliert werden, als «nicht verfahrensgegenständlich» erklärt werden; eigentlich aber Bürgerbeteiligungsverfahren oder Umweltverträglichkeitsprüfungen überhaupt. Ich mag gar nicht hören, warum die Stadtvögel zweimal lauter zwitschern als die Landvögel derselben Art. Ich mag Karl Marx´ Slawophopie nicht, die zur Kooperationsverweigerung gegenüber Alexander Herzen führte, mit dem er «nirgendwo und niemals zusammen figurieren» wolle, da er nicht der Ansicht sei, «durch russisches Blut das old europe erneuert zu sehen». Ich mag die Kandidatinnen der Miss-Korea-Wahl nicht, die wie Samsung-Roboter aussehen; die offiziellen Fotos, mit Photoshop bearbeitet, zeigen eine geklonte Schar in South Korean Plastic-Einheitslook. Ich mag keine Sätze in deutscher Sprache wie «Die Kunden heimischer Banken haben Tracker-Zertifikate, Barrier Reverse Convertibles und andere Papiere im Wert von 170 Milliarden Franken im Depot.» Ich mag nicht, dass wir nur ca. 4000 Bücher in unserem Leben lesen können. Ich mag generell keine Bosse, im Speziellen aber den Boss von Daimler, der von einer Innovation der neuen Mercedes-Generation schwärmt und nicht etwa vom Elektroantrieb redet, sondern vom zurückregelbaren Bremslicht, wodurch unzählige Menschenleben gerettet werden könnten.

WAS IST SPREZZADURA IM FUSSBALL?

Ein blinder Fleck unterbricht das Spektrum meines antikapitalistischen Furors: Ich liebe den Oligarchenfußball. Nur durch den Einkauf traditionsreicher Klubs durch Oligarchen oder Konzerne kommen Manager in die Lage, geniale Spieler von überall her zu holen. Nur solche Teams strahlen aus, was die Italiener Sprezzadura nennen. Nur solche Teams bieten nicht nur Elemente von Eleganz, sondern SIND Eleganz. In Österreich spielt (2018)) nur ein Verein in dieser Liga: Red Bull Salzburg. Meine potenzielle Eleganz blitzte ein paar mal auf, als ich 14 war: beim Strandkick des Gewerkschaftsferienhauses in Cesenatico und bei den Wiesenkicks im Parkbad Wilhelmsburg. Als ich begann, vereinsmäßig Fußball zu spielen, war es mit der eigenen Sprezzadura längst vorbei. Ich war mit 18 langsam und schmähstad geworden. Darum ist mein Gedächtnis als Junior bei Union Wilhemsburg, zweite Klasse Traisental, auf vier Erinnerungsfetzen reduziert. Ich erinnere mich an den Sportplatz von Hohenberg, vom Spiel selbst weiß ich nichts mehr. Der Fußballplatz von Rainfeld im Gölsental ist mir möglicherweise deshalb in Erinnerung, weil ich hier mein einziges Tor (oder waren es gleich mehrere?) erzielte. Vom eigenen Platz am Nordende von Wilhelmsburg, heute ein Hundeabrichtungsplatz, ist mir nur ein Spielzug bekannt: der gelungene halbweite Pass zu meinem Bruder. Die erste Mannschaft, Kampfmannschaft genannt, war an diesem Tag so ersatzgeschwächt, dass mein Bruder und ich zum Einsatz kamen – nachher nie wieder. Schließlich erinnere mich an den alten Schlenitzka, der bei meinen Geburtsdaten schwindelte, sodass ich als 18jähriger bei den unter-16-jährigen mitspielen durfte. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass dieser Schwindel sich auf die Qualität der Mannschaft ausgewirkt hätte. In Wien setzte ich meine «Karriere» als Mitglied des Volksstimme-Teams fort. Seine besten Kicker waren übrigens die politischen Pole im Zentralorgan: Michael Graber, der orthodoxe Parteisoldat, und Lutz Holzinger, der freigeistige Kommunist. Voller saudade betrachte ich Fotos: ich als Volksstimme-Kicker mit den wehenden Haaren, wie es heute nur noch bei argentinischen Fußballern vorkommt. 50 Jahre nach der Praxis des Wilhelmsburger Parkbadwiesenkicks bildete sich in mir die Theorie des Wilhelmsburger Parkbadwiesenkicks heraus, gestützt auf die Gedanken eines brasilianischen Schriftstellers über das Wesen des brasilianischen Strandkicks. Wie unser Wiesenkick ist dort der Strandkick in gewisser Weise ein ewiges Spiel, bei dem jedoch schlussendlich ganz andere Personen am Feld waren als zu Beginn des Spiels. Neuankömmlinge wurden von dem Team aufgenommen, das numerisch unterbesetzt war oder wo Ermüdete gerade aufhören wollten und einen Ersatz brauchten. Diese Art des Ballesterns kennt kein Torezählen, keine Siegesfeier, keine fixen Mannschaften, keine Hassgesänge von Fans gegen den Partner im Freundschaftsspiel. Nur unsere Tricks zählten. Nur die Freude am Spiel zählte. Aus Einsicht in das Begehren des Publikums nach Kampf, Sieg und Skandal und im Wissen um die Bedürfnisse des ehrgeizigen Augustin-Teams verzichtete ich nach und nach auf meine Vorstöße, den Augustin-Fußball nach den ungeschriebenen Konzepten des Strand- und des Parkbadwiesenkicks umzumodeln. Im Burgenland gibt´s den Brauch des Hottergangs. Die Dorfbevölkerung umrundet ihr Dorf entlang der Gemeindegrenzen; an den Grenzsteinen werden Jugendliche symbolisch ausgepeitscht; die Grenzen müssen ihnen eingebleut werden. Ich stelle mir den Hottergang als Happeningsritual vor, das rund um den Ort vagabundiert, von Katzenmusik begleitet. Die Route weicht bewusst von der offiziellen Grenze ab. Das Kunstprojekt generiert eine Fantasiegrenze mit der Absicht, die Grenzen als jederzeit zu dementierende Kreidestriche zu erkennen oder die Umgebung des Ortes als Allmende zu begreifen, in der Grenzziehungen nur als Farce unternommen werden können. Solche anarchistischen Hottergänge können immer auch etwas hinterlassen im Weichbild des umkreisten Ortes. Es entstünde eine durch verspielte Menschen umgestaltete Vegetation. Auf diese Weise könnte man sogar den großen Sartre mit der Vegetation versöhnen, der uns ja bekanntlich vor den Bäumen gewarnt hat: «Man muss in den Städten bleiben. Man darf sie nicht verlassen. Wenn man sich zu weit hinauswagt, trifft man auf den Vegetationsring. Die Vegetation ist kilometerweit auf die Städte zugekrochen. Sie wartet.» Ein Hottergang mit Sartre ist eine Ausweitung der Zone der Freiheit. 2015 wollte ich den STOCKVEREIN SCHETZKOJEDNO gründen. Er sollte aus mindestens 10 Frauen und Männern bestehen. Wie der Name des Vereins sagt, wurde ein schlampiges Verhältnis zum Eisstockschützen-Sport und dessen Milieu erwartet. Der Plan wurde nicht realisiert. Ich besitze aber eine Liste von Mitgliedern des STOCKVEREINS SCHETZKOJEDNO. Die Betreffenden wissen nichts von ihrem Glück.

SCHIESSENDE DIE AUF SCHEISSENDE SCHIESSEN

LISTE DER DINGE, DIE ZUR NACHBESSERUNG DER SCHÖPFUNG NOTWENDIG SIND. Extrem gut schneidende Messer, die weniger Haushaltsverletzungen hervorrufen als stumpfe. Kaum wage ich anzumerken, dass dieser Wunsch von außen an mich herangetragen wurde. Ein Denkmal für Tenzing Norgay in Auckland, das mindestens so groß ist wie jenes von Sir Edmund Hillary. Die Stadt Chicago, die noch einmal, wie schon vor 90 Jahren, 250.000 Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Burgenland aufnimmt und sie zum Viel-Geld-Verdienen zwingt. Ein Register der verlogenen nicht autorisierten Biografien. Ein Register der verlogenen autorisierten Biografien. Ein Register der verlogenen Autobiografien. Die bayrische Revolutionsbewegung MIA SAN DAGENG. Ein paar Rätsel, damit die Menschen aus dem Staunen nicht herauskommen. Dutschkestraßen in jeder deutschen Stadt, und ein paar auch verstreut in Österreich. Ein gastfreundliches Korcula, das die Förderung der Wiedereinführung der Praxisphilosophie durch die Entschärfung der Bora beschließt. Eine komplette Dokumentation der Dreiecksbeziehungen in Literatur und Film. Die Vervielfachung Leonardo da Vinci´s, des Mannes mit den 1000 Talenten, der unter anderem den Hubschrauber, den Panzerwagen und den Taucheranzug erfunden und so unserem Schöpfer, wenn es ihn gäbe, diesbezügliche Anstrengungen erspart hat. Archäologische Funde, die auf eine breite und lang anhaltende antispanische Inka-Guerillabewegung hindeuten. Die Kunst etwas vorzulesen und dabei zu hoffen, dass niemand zuhört. Gute Noten für alle, die den Menschen als Ding definieren, das am Morgen aufsteht und Ham and Eggs frisst. Schattenkabinette der Arbeiterklasse, die – aus dem Schatten tretend – Kabinette werden. Die Niedlichkeit eines jungen Wolfes in den Gemütern unserer Geliebten. Herzen, die nicht mehr kalt wie gefrorene Hühnchen sind. Entzückende Rücken. Endlich ein Kopiergerät im Literaturzeitschriftenarchiv des Literarischen Quartiers. Ich muss freilich zugeben, dass ich bisher kein Schwein getroffen habe, das ein identisches Anliegen hat. Regelmäßige Mittelmeerurlaube für alle BewohnerInnen nördlich der Alpen. Reiner Wein. Die Heilung aller an Parkinson Leidenden. Nur wenn´s leicht geht. Scheißende, die auf Schießende scheißen, statt Schießende, die auf Scheißende schießen. Hässliche und eklige, in großer Auflage gefertigte, 20 cm große Andreas Hofer-Figuren. Es wird sich schon zeigen, was man damit anstellen kann. Die Kunst, wie Boabdil zu lieben, mit feierlicher Langsamkeit und einer Raffinesse der Trägheit. Die Fähigkeit der Waschmaschinen, auch ohne Strom zu wandern, und die Unfähigkeit der Menschen, ihre Wanderrouten vorauszuberechnen. Mein Physikprofessor nahm dieses Rätsel, das mich schon lange quält, nicht ernst, das heißt, er nahm meine Qual nicht ernst. Er meinte, ich provoziere ihn, und ließ meinen Vater kommen. Mein Vater kam und wollte ihn bei dieser Gelegenheit fragen, ob sich die Wanderung der Waschmaschinen berechnen lässt. Feuer und Flamme für die Rettung sexueller Devianzen. Die Wiederauferstehung des österreichischen Wunderteams mitsamt dem eleganten Fußballverbandskapitän Hugo Meisl, bei Vermeidung weiterer Wiederauferstehungen. Mehr Nihilisten auf dieser Welt, die nicht an nichts glauben, sondern nicht an das, was ist. Mehr Dichter, die ihre Seele verkaufen. Eine 2CV-Fabrik. Diese Idee kam mir bei einem Besuch des Puch 500-Museum in Judenburg (5 Euro Eintritt, mit Gästekarte billiger). Ausreichend Ferienwohnungen mit Plattenspielern zwischen Klein Pertholz und Groß Radischen. Besorgniserregende Erkrankungen aller Kontrollbesessenen. Mütter, die herzhaft lachen, wenn der 13jährigen Tochter ein Satz wie «Gott ist ein Schwein» herausrutscht. Den Beruf, die Gewerkschaft, die Zunft, die Innung, die Branche und die Lobby der Hyänenzähmer. Der Beruf, die Gewerkschaft, die Zunft, die Innung, die Branche und die Lobby der Oamasdroga (der Ameisler). Das kürzeste Gebet des katholischen Glaubens: Jesus gütig / Vater wütig / Vater siegt / Erdball fliegt. Blaue Fußballdressen, die durch die Einwirkung des Schweißes violett werden. In den Kirchen nur noch Gekreuzigte mit einem Holl`schen Lächeln im Gesicht, oder die Zeichnungen der Serie von Günther Brus über den Gekreuzigten. Nein, doch lieber das Holl´sche Lächeln in die Gotteshäuser; mit der Kirche zu prozessieren, wäre unnötig wie ein Papierschifferl im Weihwasser. Reservate für die Reste der aufgelösten Beratungs-Branche. Auerhähne, die ohne Unterbrechung das ganze Leben im Balztanz verbringen. Gelegentliche Kohlenstaubstürme über dem Ruhrgebiet, für Industrienostalgiker. Sätze, die sich je nach Witterung oder persönlicher Stimmungslage selber umschreiben. Endlich eine Sprache, in der es Begriffe für alle Gerüche gibt, sodass ich meiner Liebsten alle meine Geruchserlebnisse mitteilen kann. Der auferstandene Jörg Haider, der von nun an jede Woche tödlich verunglückt.

VOM DROHFINGER & VOM STINKEFINGER

Dort, an der Bar, trinken die türkischen Männer Tee. Nur einer hat sich ein Achterl Weiß bestellt. Es ist der Vater meiner journalistischen Kollegin Elif. Wir bemerken, dass er sich etwas sonderbar benimmt, so, als müsse er zugleich jedermann zeigen, dass er schlechtes Gewissen habe und dass er ein freier Mann sei und Wein trinken könne, so viel er wolle. Er betet, sagt Elif. Meine Seele, so lautet sein Gebet, möge sich zurück ziehen in den entlegensten Winkel meines Körpers, damit sie nicht verdorben wird vom Geruch des Grünen Veltliners. Mein Vater ist ein zerrissener Mensch. Unter Türken will er den Wiener hervorkehren, unter Wienern den Türken. Seine Assimilation macht aber die größten Fortschritte im Bereich seines Intimen, sagt Elif. Sie sei wahrscheinlich die einzige, die wisse, dass er wie ein durchschnittlicher Wiener nach dem Schneuzen ins zerknüllte Papiertaschentuch schaut, um den zu Tage beförderten Rotz zu begutachten. Wie wenn er Perlen suchen würde, die aus seiner Nase tröpfeln. Und er will nur mehr Toiletten besitzen, wo die Klomuscheln eine waagrechte Abstellfläche aufweisen, damit der Kot betrachtet werden kann, bevor er in die Kanalisation gespült wird. Natürlich mit null Diagnoseerfolg. Die Kotschau und die Rotzschau sind aber keine Kriterien der Integration, sagt seine gebildete Tochter zu mir. Ja, sage ich, aber es sind Kriterien der so genannten Zivilisation. Wenn das so ist, bin ich wieder barbarisch geworden, und alle meine Freunde auch, schmunzelt Elif. «Denn mich interessiert weder mein Nasen- noch mein Darm-Content. Aber zugegeben, auch ich bevorzuge die alafranka tuvalet, die europäische Toilette». Weißt du, was seine liebenswürdigste Assimilationsleistung ist, fragt mich Elif. «Es ist die Art, wie er mir seinen Stinkefinger zeigt. Er hebt die Faust seiner rechten Hand, mit den eingerollten Fingern nach oben, und hält inne, wie um zu warten, welcher Finger sich nun zuständig fühle, die Rolle des Stinkefingers zu übernehmen. Oft streckt er zunächst den falschen aus.» Zum Stichwort barbarisch fällt mir eine Rohheit des 16. Jahrhunderts ein: In gewissen Landstrichen gab es ein beliebtes Spiel. Man warf Steine auf die Köpfe lebendiger Katzen. Die Katzen waren eingegraben, nur die Köpfe ragten aus der Erde. Wer die wenigsten Würfe bis zum Tod der Katze benötigte, war der Sieger. Das war das Dartspiel des 16. Jahrhunderts. Mich würde es nicht wundern, wenn es Gegenden Chinas gäbe, in den heute noch auf Katzenköpfe geworfen wird. 1590 empfahl er italienische Kunsttheoretiker Giovanni Paolo Lomazzo Malern, wie sie einen Deutschen darzustellen hätten: «mit geckenhaftem Gang, übertriebener Gestik, wildem Gesichtsausdruck, ungeordneter Kleidung, hartem und strengen Wesen». Die Maler sollten berücksichtigen, dass die Deutschen «ekelerregend essen, in der Unterhaltung unerträglich, eifrige Arbeiter und treu ergebene Soldaten» seien. Es gab damals nur wenige Stimmen gegen eine solche Voreingenommenheit. Der deutsche Kosmograph Johann Rauw stellte 1597 fest: ES IST KEIN LAND UMB DREI HELLER BESSER ALS DAS ANDER. Wo finde ich eine Liste von Phänomenen, die noch nicht restlos erklärt sind? Eine prä-googlianische Fragestellung. Versuchen wir es mit dem Phänomen des Übergangs von einem verzweigten Fluss zum mäandrierenden Fluss. Alles Gute für die Recherche. Ein anderes Rätsel: wer erhob wann und wo den ersten pädagogischen Zeigefinger. Dsrukbudan und obdraim, fordert der subversive Urwiener. Wenn es nicht auch den Brus gegeben hätte, wäre mir der Wiener Aktionismus sehr harmlos vorgekommen. Zwei ganz verschiedene Typen, scheinen meine Vorliebe für Brus voll zu bestätigen: auf der einen Seite der psychiatrische Gutachter Heinrich Gross, bekannt als den Auslöscher «unwerten Lebens» am Wiener Spiegelgrund, auf der anderen Seite Otto Muehl, die umstrittenste Persönlichkeit des Wiener Aktionismus. Günter Brus war in vielem sein Gegenspieler. Dem NSDAP- (später SPÖ-)Arzt Gross war sofort klar, dass Brus der klarste Analytiker der Gesellschaft war. Wenn ein Staatsfeind seine Verleumdung durch ein offizielles Gross`sches Gerichtsgutachten verdiente, dann war es der störrische Brus. In die Sprache des angesehenen Todesarztes übersetzt: »Günter Brus ist im Kollektiv seiner Mittäter der am schwächsten Begabte». Er, der Gutachter, habe «Hinweise auf erhöhte Aggressionsmechanismen und auf eine massive Konfliktbereitschaft mit der Umgebung» gefunden. Der zweite, der mich in meiner Bewunderung für Brus bestärkt, ist Otto Muehl. Zitat aus seinem 1977 erschienenen autobiografischen Bändchen «Weg aus dem Sumpf»: «Günter Brus war erst 22 Jahre alt, ich damals 35, trotzdem wurde Brus mein Lehrer (...) Günter Brus war das einzige lebende Genie, dem ich je begegnet bin. Was er über Sexualität und Frauen dachte, war äußerst naiv, aber wenn er über Malerei und Kunst sprach, sprach er sozusagen ex kathedra (...) Er beschimpfte mich als alten Trottel.»

DEM LÄCHLER PLATZT A WIMMERL AUF & IHR MACHT AN SKANDAL DARAUS

Dem Woamen platzt a Wimmerl auf und ihr machts an Skandal daraus. Das beste, was sich über dieses Spruchband des organisierten Rapid-Anhangs sagen lässt, ist, dass es bestätigt, dass die Emanzipation der Menschen mit nichtheterosexuellen Neigungen noch unvollendet ist. Der Slogan rekurrierte auf das Wiener Derby, bei dem der Austria-Star Raphael Holzhauser mit Sonnenschirmen (wohl in ihrem ersten Wintereinsatz) gegen einen Feuerzeughagel geschützt werden musste, dessen Ausgangspunkt die grüne Fankurve war. Noch bevor die Schirme gespannt waren, traf ein Feuerzeug die Schläfe oder die Wange Holzhausers und hinterließ blutige Spuren, wie es aus violettem Blickwinkel heißt. Wie weit Holzhausers Reaktion eine Opfer-Inszenierung war, weiß ich nicht. Jedenfalls ist Rapid mit einer Geldstrafe und mit einer temporären Sperre des Fansektors bestraft worden. Die Volltrottelpartie, die für dieses Spruchband verantwortlich ist, hätte so leicht die Lacher beider Lager auf ihrer Seite gehabt, wenn sie die homophobe Beschimpfung ersetzt hätte durch das Transparent Dem Lächler platzt a Wimmerl auf... Jemandem die außergewöhnliche Mimik vorzuwerfen, die ein ständiges Lächeln suggeriert, ist zwar auch nicht die feinste Art, aber die Diskriminierung einer sexuellen Neigung scheint beim ersten Draufblick nicht darin verborgen zu sein. Selbst der Version Dem Arschloch platzt a Wimmerl auf und ihr machts an Skandal daraus hätte höchstens eine Aggressivität unterstellt werden können; niemand hätte nach einer Sanktionierung geschrien, denn dem Rapid-Anhang wird längst das Gewohnheitsrecht, verbal aggressiv zu sein. eingeräumt – wie natürlich allen anderen Fanklubs der Bundesliga. Entsprechend der Ambivalenz der Fankultur und der inhaltlichen Profile ihrer Sektoren, deren Bandbreite von «Multikulti» bis Rassismus reicht, fallen die Kommentare in den sozialen Medien sehr unterschiedlich aus. Zwischen Verharmlosung und echter Besorgnis ist, zumindest außerhalb der regelrechten Hasszonen des Netzes, alles vertreten. Beispiel 1, Verharmlosung: Also bittschön, manche hier sollten die Kirche ein bisserl im Dorf lassen und von ihrer künstlichen Empörung und Schnappatmung wieder runterkommen und wieder härter im Nehmen werden oder ihr verbales Glaskinn mit Watte auspolstern. Unglaublich, wie kann man sich über sowas nur so aufplustern? Wer Save Spaces zum Überleben braucht ist in einem Fußballstadion fehl am Platz – und zwar in jedem Land. Da ist es besser zum Eiskunstlaufen zu gehen, wobei nicht einmal dort bin ich mir bei den Ehrgeizmüttern sicher ;-). Ich war schon länger nicht mehr im Stadion, aber nicht deswegen. Und all das hat es früher auch gegeben und hat mich, wenn es FAK-Fans machten, auch in keinster Weise gestört. Diese neue Wehleidigkeit bei allem nervt langsam extrem. Beispiel 2, Besorgnis: Bin seit 30 Jahren im Stadion. Ich will das nicht mehr. Ich will keinen Tod und Hass. Ich will die Austria nicht tot schlagen. Ich will keine homophoben Gesänge und Transparente. Ich will meinem Kind nicht mehr erklären müssen, wieso da so viele Vollidioten sind. Deswegen werde ich, bis sich das ändert, nicht mehr ins Stadion. Man kann mit seinen Kindern einfach nicht mehr hin gehen. Ich möchte kein Sportminister sein, nicht einmal, wenn das wunderbare Team des Fußballmagazins Ballesterer identisch mit meinem BeraterInnenteam wäre. Aber es gibt offenbar Mitmenschen, die schon ein fertiges Rezept zur Verhinderung von Vorfällen, wie sie beim Derby passierten, in der Tasche haben. Ich zitiere aus einem Posting-Block des online-Standard: Setzt endlich echte Konsequenzen! Diese Aufforderung richtet sich nicht an den SK Rapid, weil in dessen Funktionärsriege eh niemand mit hinreichendem Anstand und Verantwortungsgefühl sitzt. Bei Liga und ÖFB kann man sich eventuell noch Hoffnung machen. Nur müssen jetzt echte Konsequenzen her: Spielabbruch mit Strafverifizierung nicht erst nach der dritten Irrsinnsaktion, sondern bereits nach einmaliger Aufforderung des Schiedsrichters / Massive Geldstrafen / Geisterspiele oder zumindest weiträumige Tribünensperren – insbesondere im Bereich der Cornerfahnen / Verbot von Transparenten, da diese offensichtlich vorrangig für Hassbotschaften genutzt werden. Nur so besteht eine geringe Chance, dass sich dieser Verein endlich seiner Verantwortung stellt. Das ist nicht einmal ganz blöd, würden die guten Konservativen sagen, denn sie haben immer schon auf die Unersetzbarkeit einer anständigen Autorität hingewiesen. Das ist eine Lösung, die nicht zu den Wurzeln der Brutalisierung der Fanszene vordringt, würden die Linken entgegnen, die immer schon den Kapitalismus und die Entfremdung für alles Problematische verantwortlich machten. Hätten die Feuerzeuge nicht die Streichhölzer zur Gänze vom Markt verdrängt, hätte man die Sonnenschirme beim Winterderby nicht gebraucht. Holzhauser hätte nicht einmal eine volle Streichholzschachtel gespürt. Kaum hätte sie ihn entflammt.

O DEUTSCHLAND, DU FRIEDHOF DES HUNNENKÖNIGS

Topopoesie Ausseerland. Kammertret Hebenkas Margschierf Hoisenrad Hinterrad Warzenbründl Leckenmoos Katzenmoos Kanzlermoos Loskoppen Rahmstube Gosauzwang Hochunters Gscheiriedl Zipfveit Mannschlacht Rüplmoahrleben Himmeleben Schusterbauernhalt Hirlatz Lupitsch Zlaim Zleim Zirmel Zinkitz Berillen Salza Heibas Blas Ramai Krit Gjaid Kranaweta Suniwel Aibl Kainisch Dirndl Tibschern Zwicker Sideln Zelzer Espang Bloderer Poserer. Älterer TV-Werbespot. Im Pissoir steht ein junger Angestellter und entlädt sich. Beim Urinieren führt er eine geschäftliche Vereinbarung durch. Über sein Handy. Der junge Angestellte schüttelt sein Kürzel aus und zieht den Reißverschluss hoch. Damit seine Hände frei sind, hat er das Handy zwischen Schulter und Hals geklemmt. Er spricht weiter, das Business-Problem ist offensichtlich kompliziert. Wie das Amen im Gebet kommt jetzt die Pissoirkatastrophe. Das Handy rutscht von der Schulter und landet, platsch, im Porzellan. Die Moral von der Geschichte: Verwende ein mobiles Freisprechset und uriniere unverkrampft. Der Werbespot erklärt, wie man ein Dilemma auflöst. Aber das wirkliche Dilemma ist, dass wir unsere Arbeit sogar aufs Klo mitnehmen. Wir stehen zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung. Unserem brunzenden Bruttoinlandsproduktvermehrer wird unsere Forderung nach obligatorischer Siesta suspekt sein. Manche Neapolitaner arbeiten ein ganzes Monat, nur um ihre Sylvesterkracher finanzieren zu können. Zuerst sind sie glücklich, weil es zwei Stunden lang kracht wie im Krieg, dann unglücklich, weil sie mit dem Raketengeld ein halbes Jahr lang leben könnten. Am liebsten sind mir jene Nazis, die zum peinlichen Agieren neigen - wie jene Altnazis aus dem nordburgenländischen Dorf Wiesen, die die fixe Idee vereinte, der Hunnenkönig Attila sei irgendwo in ihrem Dorf begraben worden. Sie organisierten private Grabungen, trafen nie auf Hunnenartiges und wurden zum Gespött des Dorfes (das zum größten Teil ebenfalls aus Nazis bestand, sodass der Streit um Attilas Grab nicht nur ein dorfinterner, sondern auch Konflikt unter Gesinnungsgenossen war). So erzählte es mir der Lokalhistoriker Prof. Kremser. Mir müsste mal jemand erklären, warum so viele europäische Orte sich als letzte Station eines Herrschers inszenieren, der doch mit seinem Klischeemörderheer eine Klischeeblutspur durch Europa zog. «Hunnen», das war doch ein Schimpfwort für alles, was aus dem Osten kam und / oder mit Stalin assoziiert werden konnte. Die Wahrheit ist: Das Kriegsvolk zog von Fürstenfeld aus in Richtung Kroisbach, die Feistritz entlang. Dort hauchte Attila unverhofft sein Leben aus. Die hunnischen Okkupanten wählten sechs Fürstenfelder aus, die den Befehl bekamen, ein Königsgrab vorzubereiten, das für die Nachwelt unauffindbar war. Die Fürstenfelder leiteten die Feistritz in einen der Nebenarme um, versenkten drei Särge in das Hauptflussbett, überließen dem Fluss wieder seinen natürlichen Lauf und wurden von ihrer Angst, im Suffe alles auszuplaudern, auf gute hunnische Art befreit. Die Hunnen hatten ihnen als Belohnung versprochen, sie müssten ihr ganzes Leben lang nicht mehr zur Arbeit gehen. Radikal hielten sie ihr Versprechen ein. Mit Hunnenschläue. Die sechs toten Fürstenfelder mussten wirklich nie mehr arbeiten. Die Wahrheit ist: Attila liegt im Rheinland. Sein Gefolge ließ einen Teich zwischen Kallbach und Unkenbach aus, bestatteten ihren König und stauten den Teich wieder auf. Auch hier lautete der Auftrag: Niemals soll das Grab entdeckt werden, auch nicht in aller Zukunft. Diese Geheimhaltungspflicht hatte etwas mit der Sicherung der wertvollen Grabbeigaben im Interesse des Nachfolgers zu tun, der naturgemäß ausreichend gierig war, um das Grab heimlich zu plündern. Die Wahrheit ist, dass sich Atillas Grabstätte im schwäbischen Ostrach befindet. Die Wahrheit ist, dass sie sich im saarländischen Ommersheim befindet. Die Wahrheit: Attila ist in Thalmässing bestattet. Die Wahrheit ist: Das Grab liegt in Langenaltheim. Die Wahrheit: Suffersheim. Die Wahrheit: Burgsalach. Das sind vier fränkische Städte. Auch in Hilden in Nordrhein-Westfalen wird die Ruhestätte vermutet. Aber das ist eine Vermutung, denn die Wahrheit ist, dass der König irgendwo im asiatischen Steppenboden ruht, wo nicht einmal Mario vorbei kommt, der mit seinem Klapprad jeden Winkel Eurasiens erreicht. Die Wahrheit ist, dass er zunächst in Hainburg bestattet wurde – von drei Hainburger Bürgern, die dann sofort getötet wurden, um den Standort mit Garantie nicht verraten zu können. Dennoch wurde er bekannt; der Leichnam wurde dann in Italien ein zweites Mal zur Ruhe gelegt. Die Wahrheit ist: Arbeiter haben beim Bau einer Brücke in Budapest ein Schwert aus Meteoriteisen entdeckt, das nur Attila getragen haben könnte. Die Wahrheit ist: der Hunnenkönig ist im bayrischen Zandt begraben. Die Wahrheit ist: Die Grabstätte liegt in Aurolzmünster, Innviertel. Attila war unvorstellbar reich, und dementsprechend ausgestattet soll dieses Grab sein.

LIEBE DEINEN NÄCHSTEN ALS (SIC: ALS!) DICH SELBST

Für den afrikanischen Philosophen Lansana Keita ist Aristoteles kein europäischer, sondern ein afrikanischer Philosoph. Keita verweist auf Aristoteles` negroiden Ursprung und die Denk-Leistungen der alten Ägypter, die die antike griechische Philosophie erst möglich machten. Es gibt zwei Attitüden der europäischen Gelehrtenwelt zur afrikanischen Philosophie, IGNORANZ und EUPHORIE, zwischen denen scheinbar eine große Bandbreite von Haltungen liegt; tatsächlich fehlt ein Zwischenraum. Die Pole fließen zusammen und NICHTS mehr trennt IGNORANZ und EUPHORIE. Denn das euphorische Reden über die afrikanischen Traditionen ist nichts anderes als eine versteckte Form der Ignoranz. Was soll man von einer Kunstministerin erwarten, die – ein Kunstwerk betrachtend – sagt: »Blutige Damenbinden in einem Knast gefallen mir gar nicht». Judas oder Petrus, das war die Frage. Petrus gewann, seither sind die Pfade in Richtung Anarchie abenteuerlich bis gefährlich. Im christlichen Kulturkreis ist Judas der Verräter par excellence, Inbegriff des Bösen, personifizierte Niedertracht. Judas war so verhasst, dass Leonardo da Vinci Erfolg hatte mit der Drohung, auf seinem Abendmahl-Fresko dem Judas die Gesichtszüge seines Auftragsgebers zu geben. Der kriegte Schiss und tat, was Leonardo verlangte. Bei den mittelalterlichen Passionsspielen fand man oft niemanden, der die Rolle des Judas übernehmen wollte. Die gnostische Sekte der Ophiten lehrte dagegen, Judas sei der beste Jünger Jesu gewesen. Im Rahmen der Albigenser-Kreuzzüge sind die Ophiten in Westeuropa ausgerottet worden. Hätten sie überlebt, hätte die Alternative in Europa geheißen: Petrus oder Judas. Petrus stand für hierarchische Institution; Judas dagegen will keine Herrschaft; er akzeptiert das Böse, weil er die Dialektik von Gut und Böse kennt. Wie würde der christliche Teil der Welt ausschauen, wenn nicht Judas aus der Runde gemobbt worden wäre, sondern Petrus. Das Bild des finsteren Mittelalters war in der Zeit, in der ich zuge- und unter-richtet wurde, die größte Lüge des Geschichtsunterrichts, und diese Lüge kann nicht als beliebige dargestellt werden, als eine der tausend schlampigen, organisierten oder auch unbewussten Lügen, die zwar unsere Konversationen auf Trab halten, aber nicht unsere Bildung. Die Konstruktion der Finsternis des mitteleuropäischen Mittelalters verlangt nach flüchtigsten Begegnungen mit Minnesängern, Kreuzfahrern, Raubrittern und Nachtwächtern, mit einem Ensemble aus Klischeefiguren, die wir SchülerInnen nicht befragen durften, weil wir schon bei den nach Indien auslaufenden Schiffen des Columbus angelangt waren, dem Punkt, an dem die mittelalterliche Dunkelheit am Morgenrot des beginnenden Kapitalismus gebricht. Die großen Hoffnungen der kleinen Leute, die aufständischen und ketzerischen Bewegungen des Mittelalters, wurden wegen Ansteckungsgefahr übersprungen. Vor meinem Barbados-Urlaub hatte ich keine Ahnung, was Gnosis bedeutet. Der Zufall wollte es, dass ich plötzlich von drei Büchern in den Bann gezogen war, die sich in meinem Urlaubsgepäck befanden. Sie alle hatten etwas mit Gnosis zu tun: Die Geschichte Österreichs im 12. und 13. Jahrhundert, Sloterdyiks Werk «Weltrevolution der Seele» und Umberto Ecos «Foucaultsches Pendel». Wie beeinflussten die Bogomilen im Osten und die Katharer in Südfrankreich die Verhältnisse im Gebiet des heutigen Österreich? Zwei häretische Bewegungen, die den katholischen Predigern etwas boten, das sie nur heimlich bewundern konnten wie pornografische Zeichnungen. Ilija Trojanow und Konstantin Wecker plauderten im vollbesetzten Volkstheater über den Anarchismus. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst ist einer dieser anarchistischen Fundstücke, über die man bei der Bibellektüre stolpern kann; richtig anarchistisch wird dieser Vorschlag erst, wenn man die Bibelstelle richtig übersetzt. Ein Theologe habe ihm erzählt, so Trojanow, dass der Satz korrekterweise so lauten müsse: Liebe deinen Nächsten als dich selbst. Denn der Nächste ist Teil meines Schicksals und damit Teil meines ICH, das zugleich ein WIR ist. Trojanow ist über Henry Miller zum Anarchismus gekommen. Der wahre Künstler muss ein Anarchist sein, sagte Miller. Es scheint also wenige wahre Künstler zu geben – hierzulande. Der wahre Künstler und der wahre Anarchist können keine Patrioten sein. Denn der Nationalismus ist eine lebensbedrohende Krankheit und der Patriotismus nur dessen folkloristische Gestalt. Konstantin Weckers Neigung zur Anarchie kommt – von Georg Trakl. Die Gedichte, die er als Zwölfjähriger verschlang, inspirierten den kleinen Wecker, einen Tag auszureißen von Zuhause, um die Existenz eines freien Dichtes nachvollziehen zu können. Ihm sei das Anarchistische, das in jedem Kind steckt, nicht durch Erziehung herausgepresst worden.

ÜBER 3000 SEITEN PROLETARISCH STUMPFSINNIGER MIST

Die Liste der nicht gescheiterten Sätze aus Augustin Nr. 287, Dez. 2010 : Es Chaos is die Botschaft! Es Wurschtln es! Die meisten Punsche schmecken außer grauslich eh nur grauslich. «Wenn sich die Öffentlichkeit für Ökonomie interessiert, muss man sich Sorgen machen», sagte irgendein Wirtschaftsminister. Noch können die Prölls beruhigt sein. Wann werden endlich wieder Wartehäuschen anstatt Gewista-Plakatwände errichtet? Papst Johannes Paul II war ein fleißiger Kerl: Während seines Pontifikats (1978 – 2005) wurden an die 500 Heilig- und über 1300 Seligsprechungen abgewickelt. Man denke nur an den schießwütigen Schrammel, den einbeinigen Dezernatsleiter Schremser, der seine Krücke gern als Waffe verwendet, oder den von Neurosen geplagten Polizeipräsidenten Pilch. Sie alle sind bigger than life, und trotzdem findet jeder von uns mindestens eine Figur, mit der er sich identifizieren kann. Sandler gegen Banker ­– der kleine Augustin greift Raiffeisen-Riesen an. Oder hat schon jemand versucht, der Kassierin einer durchschnittlichen Wiener Bankfiliale Belarus-Rubel zu entlocken? Bei uns in Jerusalem geht man immer ein wenig wie ein Trauernder bei einer Beerdigung oder wie jemand, der verspätet einen Konzertsaal betritt. Aber in Tel Aviv! Die ganze Stadt ist ein einziger Grashüpfer! Staubig ist es hier, und ich glaube, ich liege auf einem Kaugummi. Wer weiß, wer den im Mund hatte. Neben den Rohren steht ein Bagger, der eine mehrere Meter breite Schneise gebuddelt hat. Wohin der Blick auch reicht, überall liegen metallisch glänzende Rohre in der Gegend herum. Ist es nicht irgendwie symptomatisch, dass es hier sechzig, siebzig Fetzengeschäfte, aber nur eine einzige Buchhandlung gibt? In Vösendorf, so heißt es, sind sie sich noch immer nicht ganz im Klaren darüber, ob sie die Gehsteige nur versilbern oder besser gleich vergolden lassen sollen. Keine Sonne, keine Sterne, kein Urlaub in der Ferne, kein Berge, kein Fluss, ich muss… Urlaubsflirt – der dramatische Höhepunkt einer Bildungsreise, deren Erkenntniswert darin besteht, dass der beschissene Bürojob allemal besser ist als die Liebe zum griechischen Fischer, diesem Arschloch, das seither nicht mehr zurückgerufen hat. Und selbst kippe ich zusammen, weil ich realisiere, dass ich meinen so revolutionären Frühling und Sommer mit Betrug, Lügen und dem Hintergehen anderer Menschen gekauft habe, mein enthemmtes Ego rücksichtslos Amok habe laufen lassen. Die Anti-Bahn-Lobby, zu der erstaunlicher Weise die ÖBB-Direktion zählt, hat keinen Genierer und schafft sogar die Wachau-Linie ab. Als ob man sich dafür genieren müsste, den Ball nicht immer gleich «voigas» zu bolzen, sondern ab und an mal auch zu streicheln, zu scheiberln, zu lupfen. Es wurde vorgeschlagen, den Sozialminister Hundstorfer mit einem Ehrenzeichen der neuen Krüppelbewegung zu würdigen: mit dem «Rostigen Rollstuhl». Der Urgroßvater wollte im Wien der Jahrhundertwende Edisons Glühbirne noch mehr Glanz verleihen. Dabei ging ihm ein Licht auf und er erfand etwas ganz anderes, die Schneekugel. Ein Glück, dass es die Japaner gibt. Die weiterhin in ihren filigranen Eigenheimen sitzen, sich ganz entzückt an ihren Wien-Besuch erinnern, während ihr Miniatur-Steffel künstlich berieselt wird. Wien ist wieder ein Stück sicherer geworden – denn ein schwer behinderter Bettler ist von einer gut gelaunten Einsatzgruppe abgeholt worden. Ich bin erfreut darüber, dass Sie das alles während des Interviews sagen und nicht erst danach schreiben, um besser dazustehen, wie es viele InterviewerInnen machen. Thomas Bernhards krasses Fehlurteil über das Werk der Fritz: «Über 3000 Seiten proletarisch stumpfsinniger Mist». Wann lese ich ein Buch, über das ich sagen kann, ich verstehe alles? Oft bleibe ich hängen, vielleicht nur an einem Satz, der mich aber zum Nachdenken bringt. Fian Jura Soyfer woan saine Dext a Dail fu saina bolidischn Oawad im Widaschdaund, Sein Durchblick im Rausch sei vielen vergönnt. Zum Oba sog i freindlich: Zoin! Und leg am Tisch mei gsportes Göd. Mir hit´s wiaklich bei eich gfoin. Oba des Sacher is hoit net mei Wöd. So guat die feine Kuchl is, So brav de noblen Könna san, Des ane is für mi jetzt gewiss. I bin beim Franzlwiat daham. Kaltstart der Körperfunktionen. Gelegenheitsrisiko. Ein tiefer Flug durch fremdes Land, gut getarnt, bleibt unerkannt. Da Vota hot scho immer gfrogt, und zwoa in Rudi seina, Is der Bua wiaklich von mia, des is joi a Zigeina. Wenn mir der Einbruch ins Gefängnis nicht bald gelingt, sehe ich mich, um Schlimmeres zu verhüten, gezwungen, einen bestialischen Raubmord zu begehen, der mich hinter Gitter bringen muss. What a wonderful day, What a wonderful night, I feel like I´m dying, And it feels alright.

MEHR FETTKAKAO FÜR DIE STADT!

Die Liste der nuklearen, essentiellen Sätze aus Augustin Nr. 280, Aug. 2010. Spukte ihr in dem Moment gar ein Karibikurlaub mit dem Prachtkerl durchs Gehirn? Sah sie sich schon neben diesem Leckerchen im weißen Muschelsand liegen? Mehr Fettkakao für die Stadt! Ich entwickle mich immer mehr zum Massenmörder. Man glaubt gar nicht, wie viel Zeit ein Einzelner so erschlagen kann. Nun kann man zwar manchmal sogar von katholischen Theologen hören, dass Gott nicht strafe, nur ist das nicht katholisch. Ich werde den Dingen nicht dienen, an die ich nicht glauben kann. Ob sie sich als meine Heimat, mein Vaterland oder als meine Kirche bezeichnen. Liebe Leserin, liebe Biertrinkerin, kann sich eine von euch erinnern, wann sie das letzte Mal nackt Bier getrunken hat? Bakunins Vater war zwar sehr liberal, stangelte aber die Revo, weil er es dann doch nicht unbequem fand, über 2000 Leibeigene nach Gutdünken zu verfügen. Einmal aber kam ein Polizist und forderte ihn auf es zu unterlassen, die Zuseher zum Applaudieren zu animieren, das sei eine Aufwiegelung zur Lärmbelästigung. Da kommt er jetzt, der Interviewpartner. Aber ich muss ihn gar nichts mehr fragen, eigentlich. Beim Praterstern erwerbe ich etwas Tabak und anschließend suche ich eine geeignete gastliche Stätte auf und versuche bei einem Gerstensaft über meine derzeitige Stimmung nachzudenken. Bis dahin aber, Christoph Leitl, lassen Sie sich Ihre Wurstsemmel gut schmecken, ersparen Sie uns aber den sauren Apfel und Ihr rechtsgedrehtes Joghurt. Ein Athener würde es nicht glauben, wenn ich ihm erzählte, dass du mitten in der Nacht bestraft werden kannst, wenn du bei Rot die Straße überquerst, auf der kein Verkehr mehr herrscht. Von linken Intellektuellen bis autoritären Puristen ist alles zu sehen. Erst seit heuer gibt es in den Wiener Bädern auch Bademeisterinnen. Enten, Schwäne, Graugänse, Reiher, Biber, Hasen und vieles mehr tummeln sich fast ausschließlich im FKK-Bereich. Nichtgenügend im Pflichtfach Raunzen. Seit ich hier lebe, gehören Peter Alexander und Hans Moser zu meinen großen schauspielerischen Vorbildern. Wien hat ihn nicht als Schriftsteller begrüßt. Wien ist da am Anfang immer ein bisschen reserviert Das muss man verstehen. Wien wartet, bis es auch für Wien gut passt. Naturgemäß gedeiht der Schmäh in Wien überall, wo gekickt wird, aber dieser Schmäh kann nicht die Wunden heilen, die dem Fußball durch die Übernahme der Normen der Leistungsgesellschaft entstehen. Die Professoren an der Uni waren allesamt der Meinung, dass kein Geheimnis hinter der Autorenschaft William Shakespeares liege. Nun versucht Sherlock Holmes die Wahrheit ans Licht zu bringen. Weil er viele Wünsche äußerte. Wie z.B., dass er bei mir wohnen wolle, dass ich ihm eine Frau finden solle, für eine Scheinehe. Er will auch seine fünf Kinder nachholen. Die Wiener haben nichts dagegen, wenn er kommt. Wenn du ihn triffst, sag ihm das bitte. Wenn sich der Dotter bei zu langem Kochen unschön verfärbt, ist die den Dotter umgebende, empfindliche Haut schuld, die durch eine biochemische Reaktion zerstört wird. Harmlos, meint die AMA. Ein dem Zaren ergebener Graf staunte: Man muss nach Russland kommen, um zu sehen, wie Privilegierte und Adelige eine Revolution machen, die keinen anderen Zweck hat als die Zerstörung der eigenen Privilegien. Wir tanzen, weil wir euch zeigen, wie sich unsere Welt dreht und weil Schwindel ein gutes Gefühl ist. Die Wahl eines Fußballvereins bedeutet, sich durch eigenes Zutun erstmalig einem Namen zu unterwerfen, sich einer sprachlichen Ordnung anzuschließen und sich unbewusst mit einem Liebesobjekt zu identifizieren. Alle atmen tätigen Punk-Spirit im Sinne des Aufbegehrens, die Dinge nicht so machen zu wollen wie alle anderen. Im Lusthaus hinter dem Prater wog ich lange das Wort lustrum im Mund. Im Niemandslatein – oder litauisch – wollte ich mich einer Wissenschaft – dem Erscheinen der Farnblüte – weihen oder dem Flechten von Körben aus Fasern der Gedanken. Wer hupt, ist neu in der Stadt, wer bremst, ein Spielverderber. Aber wenn er in Fahrt war, war er nicht zu bremsen. Wie nach einem unheilvollen Rotationsprinzip: Exzess, Zusammenbruch, Entzug. Trotz der etwas schwammig formulierten Spielregeln gibt es erstaunlich wenig Verkehrstote. Seit nunmehr zwei Jahren zähle ich nach jeder erfolgreichen Schälung einer Mandarine, aus wie vielen Stücken sie eigentlich besteht. Ein Drittel Leben noch. Was macht man daraus? Bloß für die anderen wichtig sein? Turnsäle haben immer etwas Maskulines. Das muss wohl am Geruch liegen. Große stählerne Körper in Bewegung sind für mich eine stete Faszination. Ich habe mich immer für die Bahn interessiert, aber die Bahn interessiert sich leider nicht für mich. Menschen, die von einem höheren Niveau auf uns herabblicken, existieren nicht, und die es behaupten, sind anmaßend, arrogant und besserwisserisch.

STILL WIE EIN UNAUSROTTBARER GOTT

Dreieinhalb Stunden Flug, und Wien hat mich wieder. In den stummen Verkäufern liegen Zeitungen, die mich schon beim ersten Durchblättern ärgern: «Übergriffe in Kiel und Wien. Deutschland/ Österreich. In einem Kieler Einkaufszentrum und im Wiener Millenium Tower wurden Frauen von Migranten belästigt.» Soviel Spucke produziere ich gar nicht, wie viel ich dem Schreiber dieser Polizeimeldung angedeihen lassen möchte, fokussiert auf einen Stirnpunkt genau zwischen den Augen. Ich stelle mir vor, oder sah ich es wirklich, wie der Fremdspeichel langsamer als jede sonstige zum Bewerfen von Arschlöchern taugliche Materie nach unten kriecht, Richtung Kotzmaul. Kotzmaul versteht meine einfache Frage nicht, in wie vielen deutschen und österreichischen Städten am selben Tag Frauen und Mädchen von Männern allgemeiner Kategorien belästigt worden waren, und wo die entsprechende Schlagzeile zu finden sei: «Übergriffe von Aachen bis Alsleben!» Und wie bitte soll man diese Städte vor den Flüchtlingen schützten, all diese Städte von Alpha bis Omega, und dazu all diese Dörfer innerhalb oder außerhalb der Willkommenskultur. Ich kann dem Stammtisch zwei Lösungen anbieten. Erstens einen lückenlosen Natostacheldrahtzaun entlang der gesamten Küste. Er wäre nur zum Preis der Verunmöglichung künftiger touristischer Verwertung der Mittelmeerküsten zu errichten. Der Preis scheint etwas hoch zu sein, wenn man bedenkt, dass die Städte an der Küste nichts anderes als den Tourismus haben, in dem noch Löhne ausbezahlt werden. Zu bestimmten Zeiten müsste man für Öffnungen in den Menschenabwehrzäunen entlang der Sandstrände Algarves sorgen, um die letzten englischen Wellensurfer nicht um ihr Ozeanerlebnis zu bringen; hundert Soldaten müssten jedoch jeden dieser Ausgänge bewachen, um bei den Asylsuchenden von der anderen Seite des Drahtes nicht die Illusion des Moments eines leichten Eindringens zu erwecken. Die alternative Handlungsweise wäre der Abschuss der Flüchtlingsbote schon auf hoher See, was den Zaun entlang des Strandes entbehrlich macht. Die Kriegsfront müsste im Sinn der Unsichtbar- und Unhörbarmachung des Konfliktes auf sehr hohe See verlagert werden; wie das Beispiel des verhinderten Waldviertler Fremdenverkehrsortes Allensteig zeigt, ist Kanonendonner ein tourismus-tötender Faktor. Ich hoffe, die Ironie dieser Vorschläge ist nicht zu übersehen. Alles, was im Folgenden bis auf Widerruf kursiv gedruckt, ist Mercedes PR. Garantiert sorgenfrei? Ich frage mich, ob ich imstande sei, in einem solchen Zustand zu schreiben. Die Zukunft beginnt jetzt. Doch sie wird , so hoffen wir, nicht ins Gestern führen. Auf da Wiesn singd a Heischreck, auf amoi is a schdaad, es hod eam da Bauer den Schädl ogmahd. Also jeden Tag aufs Neue ein Erlebnis. Er muss nicht immer eine Insektenkatastrophe sein. Zum Erlebnis kann auch die Erkenntnis werden, dass keiner behaupten könne, er sei kein Schwein. Man fährt nur mit dem Herzen gut, es sei denn, man benützt die Schweizer Eisenbahnen. Das Herz kann man in den Bahnhofsgepäcksschließfächern abgeben. Unsere Antwort, wenn der Berg ruft: Du, Berg, hast als Zufluchtsort der Avantgarde versagt, trotz Ascona. Die Stadt ist für dich eingesprungen. Kunst bringt das Staunen zurück. Denn ihr Anspruch ist es, vieldeutig, rätselhaft und unbegreiflich zu sein, je unbegreiflicher, desto Kunst. Der Groß.Stadt.Jäger kam eines Tages in Rom an. Er mochte das Kolosseum auf Anhieb. «Es wird großartig sein, wenn es fertig gebaut ist», strahlte er. Der große Wagen für die nächsten Jahre hat fünf Gänge, wie jedes normale Auto. Nur in einem gleiche er, hat ein deutscher Bundeskanzler in einem nationalistischen Anfall gemeint, eher einem italienischen Zweiter-Weltkriegspanzer: Er habe einen Vorwärtsgang und vier Rückwärtsgänge. Sehr geschmeidig im Abgang nach rückwärts. Es ist sehr bequem, die souveräne Dynamik zu genießen, wenn man sich in der Hauptstadt der Welt, im liberalen Paris der Jahre 1900 bis 1938, ein Zimmer leisten konnte. Der Zeitpunkt, in dem Martha verschwand, war genau richtig für die nächste Herausforderung. Wieder, wie nun schon so oft, wurde eine Schöne aus Unzufriedenheit mit mir uninteressant. Das Beste kennt keine Alternative, und das Beste steht immer links. Warum sonst wären fast alle französischen Surrealisten zur KP gegangen? Sicher nicht bloß für den nächsten Törn über Land, dazu brauchte es keinen politischen Halt. Schnell und entschlossen ist ohnehin niemand Kommunist geworden, von Geburt an war man ja anarchistisch. Kein Künstler ist von allen Seiten überzeugend. Entweder er ist zuwenig Clown, oder zuwenig Magier, oder zuwenig Seher, oder zuwenig Rebell. Macht Ihnen die Erde untertan? Wer hätte so viel Macht? Die Formel «Autonomie der Kunst» verführt sofort.. Der alte künstlerische Anspruch, etwas zu schaffen, was künftige Generationen auch noch ansprechen könnte, ist nämlich heute so gut wie inexistent. Großartiges selbst erfahren, scheint längst kein gültiges Imperativ mehr zu sein, denn das Plagiieren ist angesagt.

KARLS KARBUNKEL & DIE ANARCHIE

Karl Marx verstehen, heißt, die Rolle der Furunkel und Karbunkel in seinem Leben zu verstehen. Karl litt vor allem unter den Karbunkel, die sich immer wieder spontan in der unmittelbarsten Umgebung seines Schwanzes und in der Furche seines Arsches bildeten. Da der sozialistische «Papst» und seine Politik in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts schon in globalem Maßstab wirkten, sollte man von einer planetarischen Dimension dieser – in der Vor-Antibiotika-Zeit – ziemlich unheilbaren Haut-krankheit ausgehen. Denn Karl Marx war am Höhepunkt seiner Passion nicht mehr der, der er vor den Schmerzen war. Offensichtlich ist es nicht einerlei, ob die Internationale von einer selbstbewussten, humorvollen, kommunikativen, das Gemeinsame vor das Trennende setzenden Integrationsfigur geleitet wird oder von einem dauernd deprimierten Menschen, der umso verzweifelter ist, als die Bekämpfung seiner Krankheit die Familie tief in den finanziellen Abgrund stößt. Die Arbeit am großen Opus wird zur Qual. Marx will den ersten und den zweiten Band des «Kapital» zusammen herausbringen, aber Jenny und Friedrich Engels raten zur Therapie der Entschleunigung. Marx macht das Gegenteil, er stürzt sich nun auch in einen Russisch-Kurs. Denn die Kenntnis der russischen Sprache ist zu einer Machtfrage geworden. Man muss Michael Bakunin, inzwischen zum großen Gegenspieler Karls innerhalb der sozialistischen Weltbewegung gereift, das Monopol auf die Beeinflussung slawischer Delegierter streitig machen. Marx schwankt zwischen Jammerei und Besserwisserei: «Im Übrigen ist es klar, dass ich alles in allem von Karbunkelkrankheit mehr weiß als die meisten Ärzte.» Aber es gibt einen zweiten Besserwisser in Sachen marxistischer Furunkulose. Das ist sein Freund und Mäzen Friedrich Engels. Sein Arzt schwöre auf Arsenik, schrieb er dem «lieben Mohr». «Er hat es in einem Fall von Karbunkeln und einem von sehr heftiger Furunkulosis angewandt und in ca. 3 Monaten vollständige Heilung erlangt. Es gibt jetzt 3 Frauenzimmern, und soweit mit dem besten Erfolg, sie werden dick und fett dabei. Im Ganzen kommt etwa 1 Gran Arsenik täglich auf den Patienten. Bei der spezifischen Wirkung des Arseniks bei allen Hautkrankheiten ist auch hier alle Aussicht der Wirkung vorhanden. Dabei ist bei dem Arsenik gar keine besondre Diät zu beachten, nur gut leben.» Ein Gran entspricht etwa 65 Milligramm. Unsinnig sei auch, dass Marx mit Umschlägen behandelt werde. Umschläge «befördern nur die Hautentzündung, die gerade zu unterdrücken sei.» Marx bleibt seinem eigenen Doktor treu: «Arsenik nehm ich nicht, weil es mich zu dumm macht und ich wenigstens für die Zeit, wo das Schreiben möglich war, den Kopf beisammen haben musste.» Es sei sonderbar, wie verschieden die Mediziner in der Angelegenheit Arsenik urteilten, gibt Marx immerhin zu. Intuitiv lag er mit seiner Arsen-Skepsis richtig. 0,1 Gramm Arsen (die heute übliche Wortvariante) ist bereits ein tödliches Gift. Die Geschichte der Kriminalität kennt viele Arsen-Morde. Geringere Mengen von Arsen können zu Krebs führen. Arsen wird auch in der Schädlingsbekämpfung verwendet. Unwissend hatte Marx recht, die Ratschläge seines Freundes zu ignorieren. Sie hätten Marx wohl früher ins Grab gebracht. Dass Marx wegen der Furunkulosis den zweiten Band des «Kapital» nicht zu Ende brachte, zählt wahrscheinlich zu den am wenigsten geschichtsmächtigen Fakten. Bedeutender sind die psychologischen Folgen der eitrigen Beulen. Ein britischer Hautarzt, Sam Schuster, sagte, die Hautstörung, verbunden mit der prekären Lebenssituation, führe zu «Selbstekel und einer Selbstbewusstseinsstörung». Das Karbunkeldrama habe zu einer antisozialen und antikommunikativen Entwicklung des Marx´schen Charakters beigetragen. Das Benehmen des berühmten Deutschen im zwischenmenschlichen Umgang ließ viel zu wünschen übrig, meint Schuster. Er zitiert Marx´ Zeitgenossen Carl Schurz: «Sein Auftreten ist von verletzender, unerträglicher Arroganz. Keiner Meinung, die von der seinen abwich, gewährte er die Ehre einer einigermaßen respektvollen Erwägung. Jeden, der ihm widersprach, behandelte er mit kaum verhüllter Verachtung». Liegt hierin ein Tel des Rätsels des großen Zerwürfnisses zwischen Kommunismus und Anarchismus? So weit auseinander lagen Marx und Bakunin zunächst ja gar nicht. Ich zitiere eine «anarchistische» Stelle aus einem Marx-Brief an Friedrich Engels: «Für die deutsche Arbeiterklasse ist das allernötigste, dass sie aufhört, unter hoher obrigkeitlicher Erlaubnis zu agitieren. Eine so bürokratisch eingeschulte Rasse muss einen vollständigen Kursus in der Selbsthilfe durchmachen. Andrerseits haben die deutschen Arbeiter unbedingt den Vorzug, dass sie die Bewegung unter viel entwickelteren Zeitverhältnissen beginnen als die Engländer – und dass sie als Deutsche Köpfe zum Generalisieren auf den Schultern haben». Bakunin hätte das genauso formulieren können. Freilich ohne die deutschpatriotische Nuance im letzten Satz.

DIE HYPNOTISIERTEN SULMTALER

1996 ließ der Staat 1000 Jahre Österreich feiern. Wurde vor 1000 Jahren der Schas mit Quastln erfunden, oder was? Vor 1000 Jahren fühlten sich die Bayern, die Mähren und die Reste der Romanen und Awaren, die im entsprechenden Gebiet wohnten, noch lange nicht als Österreicher. Erst ab dem 12. Jahrhundert trennt sich langsam die österreichische von der bayrischen Geschichte, und erst um 1300 begannen die Österreicher, ihre bayrischen Nachbarn als Fremde zu sehen. Aber die Gschichtln von der Nationswerdung stimmen ja auf dem gesamten Planeten nicht. Es gibt 2 Professionen, die lügen, wenn sie den Mund aufmachen: die Politiker und die Historiker. 50.000 Personen bei Sartres Begräbnis im April 1980. «Das ist die letzte 68er-Demo», sagte Lanzmann. Am 26. Jänner 1995, während eines Urlaubs auf der karibischen Insel Barbados, fand Robert Sommer seine seit langem schwelende Ahnung bestätigt, dass er kein Intellektueller ist: «Habe Michail Bulgakows Der Meister und Margarita leider nicht verstanden», notierte er in sein Tagebuch. WARUM SOLL ES NICHT UNTERGEHEN, DAS ABENDLAND? DAS IST DOCH SCHLIESSLICH SEIN BERUF! Ein wirklich allerletztes Argument gegen den Katholizismus, dann ist aber Schluss, denn diese Polemik interessiert niemanden mehr: 1930 wurde Roberto Bellarmin heiliggesprochen. Das war der Reaktionär, der den Prozess gegen Gallilei führte und der die acht Gründe verfasste, die Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen brachten. Zwei Tendenzen streiten in mir. Erstens die Tendenz, die Texte, die ich in die Finger kriege, überzubeanspruchen. Das heißt (laut Eco), aus Texten um einer These willen mehr herauszuholen, als die Texte wirklich aussagen. Die Gegentendenz: Die Fülle dessen, was in den Texten drinsteckt, nicht wahrnehmen zu können. Aus Blödheit oder aus Hudelei. Gramsci: Der Alltagsverstand ist die Folklore der Philosophie. Derselbe: Nach Christus sind wir alle Christen – in dem Sinn, dass wir gesellschaftliche Wesen sind und dass das Christentum unsere Gesellschaft seit 2000 Jahren prägt. Ein wirklich wirklich allerletztes Argument gegen den Katholizismus: Dieser hat nach der Vernichtung der Albigenser in der Provence sämtliche Dokumente über die Lebensweise der hochentwickelten südfranzösischen Kulturstädte verschwinden lassen. Das ergab ein Forschungsdefizit zum Verzweifeln. Umso mehr, als in der Provence vermutlich die ideengeschichtlichen Wurzeln der Revolution von 1789 liegen. Eine kleine Lektüreempfehlung: Leset aus Gerhard Roths «Landläufiger Tod» den Abschnitt über die Sulmtaler Hühner als Zirkussensation. Der Zirkusdirektor höchstpersönlich hypnotisiert sie, eins nach dem anderen. Ich liebe nicht, wenn Stücke tragisch enden / Ich liebe nicht den Kienspan, der nie brennt / ich liebe nicht die Sender, die nichts senden / und liebe keinen Film mit happy end / Ich liebe nicht den eiskalten Zynismus / Und nicht den Optimismus, der nur schleimt / Ich hass den Freund, der meine Briefe mitliest / Auch wenn er dann den Umschlag wieder leimt / Ich lieb kein Fleisch, wenn es nicht frisch vom Stück ist / Wer froh in Spiegel drischt, bringt mich in Zorn / Ich schätze nicht, wenn man mich ins Genick schießt / Und lieb auch nicht den Gnadenstoß von vorn / Ich hass die Lüge, die sich gibt als Nachricht / Ich hass den Dummen, der sie kauft für Geld / ich lieb die Vorsicht nicht und nicht die Nachsicht / Die zeigt, dass wer von nirgendwas was hält / ich will kein Glas, wenn man es nur halbvoll gießt / und keinen Sprit, der nach Kartoffeln riecht / Ich mag den Dichter nicht, der bloß in Moll liest / Auch wenn er mir in Mark und Seele kriecht / Und seh ich täglich ein gebrochnes Rückgrat / Tuts mir nicht leid, ob es auch seltsam klingt / Ich lieb nicht den Gepeitschten, der nie Glück hat / Und den erst recht nicht, der die Knute schwingt / Ich lieb mich nicht, wenn ich erschöpft und feig bin / Ich hass den Sack, den man statt Eseln haut / ich spuck Rosinen aus, wenn ich im Teig bin / Und reiß das Haus ein, das ihr auf mich baut / ich liebe nicht die ölig satten Frommen / Und nicht den, der ins Wasser trifft, den Hieb / Und wenn die großen Änderungen kommen / So weiß ich jetzt schon, dass ich sie nicht lieb. Wladimir Wyssotzki, 1969. Meine absurdeste, illusorischte, marktfremdeste Projektidee: das Buch über die Wulka. Mit Kapiteln über die sterbende Kestenkultur, die sterbende Schilfkultur, die sterbende Tabakkultur, die Kanalisierung der Wulka inkl. die Mattersburger Bachdecke, die sterbende Mühlenkultur und über das Mundlparadies unterm Forchtensteiner Badesee. Wer braucht solche «Früher war alles besser»-Exzesse? In journalistischem Auftrag bei einem Spargelbauer. Die Jungbäurin will mich mit ihrem Auto zum Feld bringen. Du sitzt am Beifahrersitz – macht es dir eh nix aus, fragt sie mich. Warum sollte es, erwidere ich verwundert. Bei uns am Land, erklärt sie mir, ist es den meisten Männern fürchterlich peinlich, neben einer Wagenlenkerin zu sitzen, wo doch das Mannsbild der geborene Lenker ist und der Beifahrersitz der korrekte Platz der Frau im Auto.

DIE SCHAMBEINFLIPPER

Tschuldigung. Wieder eine sehr umfangreiche Textanleihe. Aber muss sein. Umberto, der Flipperkönig. Ein Ausschnitt aus Umberto Eco`s Buch «Das Foucaultsche Pendel», Seite 260 und 261: Über das Flippern mit dem Schambein. Flipper spielt man nicht nur mit den Händen, sondern auch mit dem Schambein. Beim Flippern ist das Problem nicht, die Kugel rechtzeitig aufzuhalten, bevor sie im Orkus verschwindet, auch nicht, sie mit dem Ungestüm eines Mittelverteidigers wieder ins Feld zu schießen, sondern sie möglichst lange im oberen Teil zu halten, wo die blinkenden Ziele am dichtesten sind, sodass sie von einem zum andern springt und wie verrückt hin und her zuckt, aber aus eigenem Willen. Und das erreicht man nicht, indem man der Kugel Stöße versetzt, sondern indem man Vibrationen auf das Gehäuse überträgt, aber sanft, sodass es der Flipper nicht merkt und nicht ins Kippen gerät. Das schafft man nur mit dem Schambein, beziehungsweise mit einem genau kalkulierten Einsatz der Hüften, sodass das Schambein mehr gleitet als stößt und man immer diesseits des Orgasmus bleibt. Und mehr als das Schambein, wenn man die Hüften natürlich bewegt, sind es die Pobacken, die den Stoß nach vorn weitergeben, aber mit Anmut, sodass der Stoß, wenn er beim Schambein ankommt, bereits gedämpft ist, wie in der Homöopathie, wo bekanntlich die Wirkung des Medikaments um so stärker wird, je länger man eine Lösung schüttelt und je mehr die Substanz sich im Wasser auflöst, das man langsam hinzufügt, bis sie fast ganz verschwunden ist. Genauso überträgt sich vom Schambein ein infinitesimaler Strom auf das Gehäuse, und der Flipper gehorcht, ohne neurotisch zu werden, und die Kugel rollt wider die Natur, wider die Trägheit, wider die Schwerkraft, wider die Gesetze der Dynamik, wider die Schläue des Konstrukteurs, der sie ungehorsam wollte, und durchtränkt sich mit vis movendi und bleibt im Spiel für memorable und immemorable Zeiten. Aber dazu bedarf es einer weiblichen Scham, die keine Schwellkörper zwischen Hüftbein und Gehäuse einschiebt, und es darf keine eregierbare Materie dazwischenkommen, sondern nur Haut und Nerven und Knochen, eingezwängt in ein Paar Jeans, und man braucht einen sublimierten Furor eroticus, eine maliziöse Frigidität, eine uneigennützige Anpassungsfähigkeit an die Sensibilität des Partners, eine Lust, sein Verlangen zu schüren, ohne am Übermaß des eigenen zu leiden: die Amazone muss den Flipper zur Raserei bringen und im voraus genießen, dass sie ihn dann verlassen wird. Schämen sollen sich alle Revolutionäre, die von der «rückständigen» Bauernmasse reden und von der russischen Besonderheit, wonach es im wesentlichen die ArbeiterInnen aus zwei Städten (Petrograd und Moskau) UND die unerschrockenen sowjetischen Soldaten waren, die die Revolution siegreich beendeten. Aber wer waren die Soldaten? Wenn am hundertsten Geburtstag der russischen Revolution von den Soldatenräten die Rede ist, die zur Avantgarde der Umwälzung wurden, so müssen wir uns ­– die russischen Bauern vorstellen, die Bevölkerungsmehrheit. Die Kontrolle der Sowjets durch die Bolschewiki basierte auf einem Misstrauen der Kommunisten gegenüber den «analphabetischen, unzivilisierten, politisch und militärisch unzuverlässigen Bauern». Dabei stellte die so übel charakterisierte Landbevölkerung Regimenter, die zu den Hauptakteuren im Kampf gegen den Zarismus und danach die Bourgeoisie wurden. Die Sowjets waren von bewaffneten Bauern dominiert. Was ihnen in einer Hinsicht wenig nützte: In den sich auf Marx berufenden Parteien genossen die Bauern einen üblen Ruf. Es sei an das Bild der «Idiotie des Landlebens» aus dem Kommunistischen Manifest erinnert, das die Haltung von Generationen der marxistisch halbgebildeten Stadtbevölkerung zu den Bauern bestimmt(e). Paradox: die Bauern als schwer arbeitende Klasse hätten die Solidarität der proletarischen Parteien verdient, wurden aber von der anderen Seite her mit Mitleid und Lob überhäuft: von der Kirche, von den «christlichen» Parteien, von den Monarchisten, von den Faschisten. «Der Bauer» wurde zum Symbol des Vaterlandes hochstilisiert – was auf die Vaterlandsverteidiger zurückfällt. Denn der Bauer als Träger der abendländischen Werte ist im Begriff, ersatzlos zu verschwinden, er löst sich als Nebenerwerbsbauer im Proletariat auf, sodass Kirche, Konservativismus und Reaktion nur noch Phantome in die Auslage ihres Abendlandsfetischismus stellen. Der sterbende Bauer des reichen Nordens weiß nicht, wem er mehr vertrauen hätte sollen: den Roten, die zwar von der Arbeiter-Bauen-Einheit fabulierten, aber die Bauern im Grunde als Tölpeln betrachteten, oder den Schwarzen (im Falle Österreichs: dem Bauernbund und der Raiffeisenbank), deren Agrarpolitik die Restbauern in Sklaven der Banken verwandelte.

SPINNT DIE OPERNBALL-MUTTER?

Michael Kleim ist evangelischer Theologe aus Deutschland. Wenn theologisches Denken in den Angelegenheiten der Drogenprohibition auf der Basis der Logik dieses wissenschaftlichen Teilsystems zu folgenden Schlüssen führt, möchte ich auch gerne Theologe sein. Die Prohibition, so Kleim, stehe nicht in der Tradition der Aufklärung, sondern der Inquisition. Ihr lägen keine rationalen Entscheidungen, sondern vielmehr Irrationalität, Anmaßung und Angst zugrunde: «Ich möchte hier, in Entsprechung anderer gesellschaftlicher Phänomene, von Drogenphobie sprechen. Systematische Menschenrechtsverletzungen und eine Destabilisierung der Demokratie sind wesentliche Folge einer Politik der Prohibition. Aus diesem Grund stellt die Frage nach der Überwindung der Prohibition keinen Nebenaspekt der Politik dar, sondern berührt wesentliche, existentielle Aspekte unserer Gesellschaft. Auch Menschen, denen die Frage nach Drogengebrauch nebensächlich erscheint, sollten anfangen, sich mit Drogenpolitik zu beschäftigen. Deshalb ist die Forderung nach Drogenfreiheit eine existentielle Forderung unserer Zeit. Drogenfreiheit verstehe ich dabei im Bedeutungssinn analog zur Religionsfreiheit; das bedeutet, dass der Staat nicht zu entscheiden hat, welche Drogen seine Bürger nutzen. Die Menschen müssen als mündige Bürger diese Entscheidung selbst fällen dürfen. Die Dauerrepression des Staates in Richtung selektiver Abstinenz muss durch ein System geregelter, kontrollierter Abgabe unter Maßgabe von Jugend- und Konsumentenschutz ersetzt werden. In der Wahrnehmung von Drogengebrauch beherrschen juristische, politische, medizinische und problemfixierte Sichtweisen die öffentliche Auseinandersetzung. Eine entscheidende Möglichkeit, offener und kompetenter an die Sache heranzugehen, sehe ich darin, Drogengebrauch wieder als ein kulturelles Phänomen ernst zu nehmen.» Daraus hätte man ein öffentliches Statement des Augustin herausdestillieren können, aber die Zeit, zu inneren Konsensen zu kommen, die die Voraussetzung für Augustin-Statements wären, nahm sich das Team nie. Statt einer schlüssigen Augustin-Selbstdefinition wurden diejenigen, die uns zuhörten, mit Phrasen abgespeist, die Produkte von Öffentlichkeitsarbeit und nicht von Theoriebildung waren. Eine dieser Phrasen betonte unsere Rolle als «Gewerkschaft der Armen». Es gibt keine Gruppe, die weniger ein politisches Subjekt der Veränderung ist als die «Community» der Straßenzeitungs-VerkäuferInnen. Es fällt schwer, sich gemeinsame Interessen der drei Hauptgruppen dieses Klientels vorzustellen. Seine Wünsche an die Gesellschaft sind zersplittert. VerkäuferInnen aus der Slowakei, Rumänien u. ä. Staaten üben in dem Maße, in dem sie perspektivlos werden, einen Druck auf den Augustin aus, der eine konzeptuelle Herausforderung darstellt. Das äußert sich in der Verwässerung mancher Gründungsprinzipien, etwa des Prinzips der absoluten Niederschwelligkeit beim Zugang zum Augustin. Realistischer als der Anspruch, Gewerkschaft der Armen zu werden, ist die Zielsetzung, viele LeserInnen zu größerer Achtsamkeit, zu Gelassenheit und zu einem Abbau der Angst gegenüber den «ganz Anderen» zu motivieren. Eine Stadt, in der man ohne Angst anders sein, wurde zunehmend zum Zweck aller sozialarbeiterischen und journalistischen Arbeit des Augustin erklärt. Es müsste doch gelingen, eine Formel von Aristoteles, wonach man zur Gründung und zum Leben einer Stadt nicht einander ähnliche Menschen brauche, sondern die verschiedenartigsten, ins Heute zu transferieren. Richard Schuberth mit seinen Sprechblasen-Collagen scheint gegenwärtig (notiert im Jahre 2018) das Monopol auf Satire im Augustin innezuhaben. Eine Zeit lang versuchte ich mit der Rubrik «Briefe an Dr. Sommer», zusätzliche Satire ins Blatt zu bringen. In einem Fall ließ sich mein Kollege vom Standard, «Blattsalat»-Kolumnist Günther Traxler, von einem Brief der Opernball-Organisatorin Elisabeth Gürtler irritieren. Die Opernball-Mutter ersuchte die Augustin-Herausgeber inständig, «in Hinkunft davon Abstand zu nehmen, den vom Augustin veranstalteten Opferball in den zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit unserem Opernball zu stellen«. Traxler, der nicht auf die Idee kam, dass es sich um einen fiktiven Brief handeln könnte, ergoss seine ganze Häme auf Madame Gürtler: Wie könne man den Zusammenhang Opernball-Opferball verschweigen, wenn doch letzterer, zeitlich parallel und örtlich nahe, definitiv als Gegenveranstaltung zum Ball der Reichen angelegt sei. Traxler löste mit dieser über ihn eingeschnappten Falle einen elektronischen shit storme gegen die völlig unschuldige Opernballdiva aus, die sich in Wirklichkeit durch ihre Gelassenheit gegenüber dem Antiopernball der Sandlerzeitung auszeichnete.

EINE MÖWE FLOG DURCH SEINEN BAUCH

Blitzstein muss entdeckt werden, als bildender und schreibender Künster. Auszug aus einem Traumtext: In meinem Bett rekeln sich ein halbes Duzend splitternackter Hermaphroditen. Generationen von Sozialarbeiterinnen benehmen sich, als wären ihnen die Scheiden zugewachsen. Psychiater erteilen mir Ratschläge für das nächste Leben. Mein Manager übt sich in Mobbing, zum Pharisäer fehlt ihm nur noch die Macht. Mit großem Vergnügen schaukle ich auf einem Kristallluster und schaue wie ein kleiner Affe auf winzige Menschen herab. Etwas konsterniert über das Verhalten meiner Mitmenschen stolpere ich seit meiner Geburt durch das Leben. Ich kann trotz großer Anstrengung viele meiner Artgenossen nicht wirklich verstehen. Mitunter kann es geschehen, dass ich bei Vollmond viel über sie nachdenke. Eines Nachts lande ich aus bisher unerklärlichen Ursachen in einer Bar. An einem Tisch sitzend entdeckte ich drei wunderschöne, vor Gesundheit strotzende Nutten. Plötzlich blickt mir eine der Damen unverwandt ins Gesicht und fragt mich nach meinem Wunsch. Ich greife sogleich in meine Tasche und lege eine endlose lange Liste vor sie auf den Tisch. Als die drei Nutten meine Wünsche aufmerksam gelesen haben, schütteln sie ihre Köpfe und bedauern, so viele Wünsche auf einmal unmöglich erfüllen zu können. Kann man sagen, dass Richard Schuberth als schreibender, satirischer, darstellender Künstler entdeckt ist? Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Leseprobe aus seinem Captain Flint-Stück: Unsere Gefangenen sind ein Haufen nichtsnutziger Tagediebe, zu keiner Arbeit zu gebrauchen, Stimmen so schrill wie die italienischer Kastraten und Händchen so fein wie die des Bischofs von Canterbury. Ein kräftiger Zug an einer Brasse und die Möwen könnten sich die Fleischfetzen holen, die davon übrig blieben. Sie faseln den ganzen lieben Tag von Kunst und Politik wie die verfressendsten Journalisten des „Bath Herald“ und können doch kein Tauende von einem Marlpfriem unterscheiden. Sie reden in Zungen, die kein vernünftiger Mensch versteht, hängen jedem dritten Wort Diskurs an und stinken zudem wie ein ganzes kubanisches Hurenhaus. Diese bemitleidenswerten Kreaturen wären vor einer Generation noch ein Fall für den Inquisitor gewesen, und meine Überzeugung verfestigt sich, dass unsere Entführung sie vor qualvollem Siechtum im Irrenhaus zu Bedlam bewahrt hat. Da sich in Maracaibo wohl kein Käufer für sie finden mag, werden wir sie auf einer Antilleninsel aussetzen müssen, auf dass sie sich untereinander paaren und eine obskure Rasse zeugen, die künftige Anthropologengenerationen noch einiges Kopfzerbrechen bereiten wird. Eigentlich müssten wir auch Kafka noch entdecken. Wer kennt schon Sätze wie: Eine kleine Möwe mit gestreckten Flügeln flog durch seinen Bauch, ohne dass ihre Schnelligkeit vermindert wurde. Sogar die legendäre Wiener Kaffeehausliteratur ist viel zu wenig geläufig. Kennen Sie etwa das Schwarze Buch? Es ist eine Kooperation zwischen Peter Altenberg, Egon Friedell, Karl Kraus, Otto Erich Hartleben und anderer Schriftsteller für die Zeitschrift «Die Fackel» (1905). Es handelt sich um eine humoristische Zitatsammlung zum Thema «gemeingefährliche Menschen» im weitesten Sinn. Es ist nicht ganz klar, welcher Schriftsteller welche Texte und Zitate beigesteuert hat. 
Wir alle haben unter gemeingefährlichen Menschen zu leiden. Weil wir uns zu lange mit ihnen eingelassen haben. Wie leicht wäre ein Solcher im Anfang der Bekanntschaft abzuschütteln! Aber man erkennt ihn erst später. Wir wollen helfen. Wir haben damit begonnen, ein „schwarzes Buch“ anzulegen, in das eine Reihe von Bemerkungen eingetragen werden, durch die ein Mensch sogleich seine Zugehörigkeit zu jener fürchterlichen Klasse kundgibt. Wer eine solche Bemerkung von sich gibt, dem hat man unverzüglich den Verkehr zu kündigen; man hat ihn nicht mehr zu grüßen und ihm einen Brief zu schreiben, in dem man ihm eine andere Stadt als Wohnort anrät. Alle Freunde sind vor ihm zu warnen. Wir machen unsere ersten Eintragungen hiemit bekannt und bitten alle Leser um Mitteilungen zur Vervollständigung unserer Liste an die Redaktion des „Schwarzen Buches“. 1. Meine Herren! Ich weiß nicht, wie Sie über die Sache denken, aber ich muss Ihnen aufrichtig sagen: Ich halte den Selbstmord einfach für eine Feigheit. 2. Ja, - Nietzsche. Sehr interessant. Aber finden sie nicht auch: wie er seine letzten Sachen geschrieben hat, war er doch schon nicht mehr ganz bei sich. 3. Ich bitt Sie, die Juden sind auch Menschen. Ich kenne gute Juden und schlechte Christen. (...) 5. (Im Gasthause:) Sie, was essen Sie denn da für eine merkwürdige Sache? Lassen Sie mich kosten.

ZUPFN IS BILLIGA

Mein Romantorso «Potlatch» beginnt aus Verlegenheit und endet als Chuzpe, aus einer anderen Sicht aber beginnt er als Chuzpe und endet in Verlegenheit. Der Text ist weder auf Lob noch auf Kritik gestoßen. Das kommt unter anderem daher, dass mein Verleger nur ein Phantomverleger ist. Phantomverleger verbreiten nicht die Texte, die sie aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen verlegen, sondern «verlegen» sie unauffindbar in einem gesammelten, aber schlecht organisierten Vorlass, an den nur der Verleger herankommt. Dieser nämlich gerät gelegentlich in arge Verlegenheit. Der Kulturstadtrat gibt ihm pro Jahr eine Subvention, die die Druckkosten von acht Büchern sichert. Die Bücher haben insofern keine Auflage, sondern eine Niederlage. Eine Reduzierung auf drei oder vier Neuerscheinungen würde dem einzelnen Werk eine größere Förderung bescheren, doch ein Verlag mit derart geringem output würde kein richtiger Verlag sein, sondern eine richtige Verlegenheit. Die mangelnde Auflage bzw. die schlechten Verkaufszahlen können, vorausgesetzt eine geschickte PR-Arbeit, durch eine Forcierung der Rezensionen, und seien sie noch so niederschmetternd, kompensiert werden. So überschwänglich Gerald Grassl, mein Verleger vom Tarantel-Miniverlag, meinen Gesamttext in den avantgardistischen Bestsellerhimmel hinaufgelobt hat (irgendwann werde man es nicht verheimlichen können, dass Potlatch Weltliteratur sei), so selbstverliebt klingt seine Kritik am Roman, übrigens die erste und wahrscheinlich einzige. Über ihn, Grassl, kursierten überall, wo er hinkäme, unanständige Gschichterl, sodass er sich negativ gewundert hätte, dass auch ich Beiträge zur Grasslvernichtungsoffensive leiste. Ich hätte das getan während eines Festes in der WG im 20. Bezirk, in der ich in den 70er und 80er Jahren lebte. Er könne es ums Verrecken nicht witzig finden, was er da über sich lesen musste: Ein Freund schreibt an einem Roman. Gerald spricht von mir. Freudig erzählte er mir, dass ICH in einem Kapitel seines Romans mit einem Ereignis vorkomme, das vor Jahrzehnten bei einem Fest in seiner Wohngemeinschaft geschehen sei. Ich sei plötzlich aufgesprungen, sei zum Fenster geeilt, habe es geöffnet und hinausgebrüllt „Ich möchte ficken!“ Unten war der jugoslawische Hausmeister beim Schneeschaufeln und hatte zurückgerufen „Du nehmen Zumpf in die Hand, das kommen billiger!“ Grassl zitiert mich falsch, ich legte dem Hausmeister überhaupt kein möchtegern-parodistisches Vukovar-Migrantendeutsch in den Mund; er sagte, in Wirklichkeit und in deren Spiegelung: ZUPFEN IS BILLIGA. Grassl spielt empört (und verbreitet die angebliche Falschmeldung in alle Richtungen, als ob er klammheimliche Freude hätte, sich selbst in einem Werk der Weltliteratur wiederzufinden). Ich kann mich beim besten Willen an diese Geschichte nicht erinnern und ich kann sie auch nicht glauben, denn seit meiner Pubertät stört mich das Wort „ficken“ für das wunderschöne sexuelle Beisammensein mit einer Frau. Denn es klingt hart und brutal patriarchal. Bis heute habe ich kein geeignetes Wort dafür gefunden (und über diese Frage auch schon publiziert). In Tirol – von wo ich herkomme - sagen die Leute dazu „mausen“; irgendwie lustig, doch bei diesem Wort habe ich immer rammelnde Mäuse im Kopf und dann vergeht mir jedes Lustgefühl; Frauen sagen „Liebe machen“, das ist irgendwie kitschig. Am ehesten konnte ich mich bisher noch mit dem Wort „vögeln“ anfreunden. Udo Lindenberg kreierte dafür das Wort „engeln“; schön, doch als Agnostiker passt auch dieses Wort nicht zu mir. Was ich aber NIE sagte: „ficken“! Vor einiger Zeit traf ich eine Frau, die seinerzeit in der Wohngemeinschaft meines Freundes wohnte und jenes beschriebene Erlebnis noch in Erinnerung hat. Und sie sagte zu mir: „Ich kann mich nicht erinnern, dass Du je bei einem unserer Wohnungsfeste warst. Aber bei uns wohnte damals ein Künstler, der Dir irgendwie ähnlich war. Der lief einmal zum Fenster, riss es auf und rief hinaus ‚ich möchte ficken!‘“ Damit käme Grassl in einem etwaigen Prozess gegen mich nicht an. Er weiß nämlich nicht mehr, wer ihm dieses zugeflüstert haben könnte. Jedem, dem Grassl von dieser angeblichen Verwechslung erzählt, fällt sofort auf, dass da einer, der vorgibt, «Ficken» sei außerhalb seines Wortschatzes, andauernd von diesen Wort Gebrauch macht. Milovan Djilas, aus Montenegro stammender prominenter jugoslawische Kommunist und Partisanenführer, behauptet in seinem Buch «Der Krieg der Partisanen», nirgendwo sonst in Europa hätte die Stadtguerilla derartige Formen und ein derartiges Ausmaß erreicht wie 1943 in Ljubljana. Der vermeintliche Tage der Gründung der OF (Osvobodilna Fronta, Befreiungsfront), der 27. April 1941, ist heute noch offizieller slowenischer Feiertag. Schon während des Krieges gab`s laut Djilas Debatten über den in Slowenien oft verschwiegenen Anteil der PartisanInnen aus anderen Staaten Jugoslawiens. Und ich weiß nichts über den Widerstand in Laibach, in den laut Djilas «fast die gesamte Stadtbevölkerung» involviert war.

DA DOCH DIE ZEITEN WIE ICH GEHÖRT HABE UNSICHER SIND

Versuchsweise elegant formuliert, für den Augustin. Christian Broda, sozialdemokratischer Justizminister, hat die „gefängnislose Gesellschaft“ zum Ziel sozialdemokratischer Politik erklärt. In der SPÖ von heute ist ausgeschlossen, dass Menschen mit solchen Visionen in bedeutende Funktionen kommen; und es ist umgekehrt auch nicht vorstellbar, dass Menschen mit solchen Visionen in eine Partei gehen. In der ÖVP sind die letzten Intellektuellen auf Spitzenpositionen in den 90er Jahre vertrieben worden. Rechts von der ÖVP ist das Niveau der PolitikerInnen am besten so zu beschreiben: Wenn einer von ihnen wie weiland Westenthaler einen klugen Satz von sich gibt, so ist er einem ausgesprochen glücklichen Zufall zu verdanken und nicht dem Nachdenken des Autors. DIE GEFÄNGNSLOSE GESELLSCHAFT BRINGT UNS DIE ANARCHIE, sagte der EX-BZÖ-Führer. Die Anarchie, ein die Herrschaftsverhältnisse hinterfragendes soziales Experiment, ist in der Tat historisch mit der Idee der Gefängnislosigkeit verflochten. Westenthalers Satz stimmt nur, weil der Autor nicht die Bildung genoss, die nötig ist, um der volkstümlichen und von Medien und Schulen weiter verbreiteten Missdeutung der Anarchie als „Gewalt, Gesetzlosigkeit und Chaos“ entgegen zu treten. Bei den Grünen wären Politiker vom Schlage Brodas auch heute noch denkbar, doch sie drohen von den Fotogenen verdrängt zu werden. Im Übrigen tut die Logik des Parlamentarismus ihr Übriges, um die intellektuellen Potenzen der beteiligten Parteien zu nullieren. Das so genannte Banken-Rettungspaket ist in einem Schnellverfahren, wie es sonst nur bei Entscheidungen in Kriegssituationen möglich ist, mit den Stimmen der Grünen beschlossen worden. Was hat die Gesellschaft also von der Restintelligenz, die gerade noch bei den Grünen sichtbar wird, wenn sie keinen Alarm schlägt, wenn ein Verbrechen gegen die nächste Generation begangen wird? Weil aus Gründen, über die man nachdenken müsste, in der Bevölkerung eine allgemein antiabolitionistsche Stimmung herrscht (EINSCHBIAN! EINSCHBIAN!), andrerseits alle Parteien gewählt werden wollen, verhalten sich Parteien, die es eigentlich besser wissen müssten, in Bezug auf Programme zur Gefängnislosigkeit in hohem Grad populistisch. Kurioserweise tun das auch Parteien links von Sozialdemokratie und Grünen wie die KPÖ, die, weil sie parlamentarisch eh nichts zu verlieren haben, die gemeine Strafsucht herausfordern könnten. Es gibt in Österreich kaum abolitionistische Bewegungen in der radikalen Linken (schon gar nicht in der feministischen Linken, die höhere Strafen für Grapscher fordert), genauso wie es keine radikal abolitionistische Tradition zu bewahren gibt. Dabei gibt´s in keiner anderen Revolutionsbedarfszone ein ähnlich kumuliertes Wissen: Im kriminalsoziologischen Sinne bedeutet der Abolitionismus den Verzicht auf die totale Institution des Gefängnisses bzw. in einem noch umfassenderen und extremeren Sinne die Abschaffung des Strafrechts. Sie würde es ermöglichen, soziale Konflikte ohne repressive Gesetze und Institutionen und ohne die damit verbundenen negativen und nicht intendierten Folgen von Kriminalisierung, Stigmatisierung etc. informell zu regeln. Die AbolitionistInnen sind grundsätzlich der Meinung, dass der Staat nicht das richtige Organ sein kann, um die Art und Weise der Bestrafung festzusetzen. Ihrer Ansicht nach sollten das nähere Umfeld eines Täters oder eines Opfers die Möglichkeit haben, eine geeignete Strafe festzusetzen. Es gilt also die Monopolstellung des Staates in Sachen „Straffestsetzung“ abzuschaffen und neue Lösungen zu suchen, welche flexibler gehandhabt werden und auf spezifische Gegebenheiten Rücksicht nehmen können. So einfach. So unerhört. Brecht ist am Wort: Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen / Daraus entnehme ich: Ihr seid Millionäre / Eure Zukunft ist gesichert – sie liegt / Vor euch im Licht. Eure Eltern / Haben dafür gesorgt, dass eure Füße / An keinen Stein stoßen. Da musst du / Nichts lernen. So wie du bist / Kannst du bleiben / Sollt es dann doch Schwierigkeiten geben, da doch die Zeiten / Wie ich gehört habe, unsicher sind / Hast du deine Führer, die dir genau sagen / Was du zu machen hast, damit es euch gut geht / Sie haben nachgelesen bei denen / Welche die Weisheiten wissen / Die für alle Zeiten Gültigkeit haben / Und die Rezepte, die immer helfen. Wo so viel für dich sind / Brauchst du keinen Finger zu rühren / Freilich wenn es anders wäre / Müsstest du lernen. Es gibt Medien, hinter denen Millionäre stehen, und Medien. die auf Millionäre stehen. Die Klassenwelt der Millionäre ist das einzige Reich, in dem Abolitionismus Staatsraison ist. Die Bewohner dieser Welt leben gefängnisfrei. Sie brauchen keinen Finger rühren, wenn sie ohne Strafe bleiben wollen. Einige rühren einen Finger doch, damit der Unterschied nicht gleich auffällt. Viele müssen sehen, dass wer den Finger rührt. Deshalb die Kamerameute um ihn.

NIE MEHR RUSSISCHER WINTER

Die französische Justizministerin Taubira stammt aus Französisch-Guyana. Im Fernsehen war deutlich zu sehen, dass sie nicht den Mund aufmachte, als das gesamte Parlament die Marseillaise anstimmte. Die Rechte forderte Taubiras Rücktritt. Doch es gibt gute Gründe, das Marseillaise-Ritual zu sabotieren. Sie zählt zu den aggressivsten aller Hymnen: In ihr werden die Bürger zu den Waffen gerufen, damit «das Blut der Unreinen unsere Ackerfurchen tränkt». Genügt es selbst dem republikanischen Patriotismus nicht, einfach froh zu sein, weil Brachgebiete nun wieder voller Ackerfurchen sind? Müssen die Furchen mit Blut gedüngt werden? Nur der radikalen Linken missfiel der Hymnenboykott der Justizministerin keineswegs. Aber die Linke soll ja manchmal verbissener als ihre Gegner sein und jeden aus ihrem Lager, der sich im Kampf gegen die kapitalistische Globalisierung auf nationale Interessen beruft, zum Nationalisten machen. Aus therapeutischen Gründen sollte man diese Heimathasser in jenes legendäre jüdische Dorf an der polnisch-russischen Grenze führen, dessen Bevölkerung schlicht vergessen hatte, zu welcher der beiden Nationen es gehöre. Landvermesser kommen, um den vergessenen Grenzverlauf zu rekonstruieren. Nu, wo gehören wir jetzt dazu, will der Rabbi wissen. Eindeutig zu Polen, sagen die Landvermesser. Das ganze Dorf verfällt in einen Freudentanz. Warum so entzückt, fragen die Fremden. Nie mehr diese schrecklichen russischen Winter, lachen die Feiernden. Der Tanz des Dorfes ist gelebter, unbewusster, natürlicher Internationalismus, denn wären die polnischen Winter katastrophal, würden die DorfbewohnerInnen ins Russische hineintanzen. Die Grenze kommt von oben herab, mir ihrem Verlauf haben die Dorfleute nichts zu tun. These: Staatsgrenzen sind immer surreal. Diese Erkenntnis verbreitert sich im übrigen sehr rasch durch die unumgehbare mediale Präsenz der Nahost-Konflikte. Die von Kolonialmächten mit dem Lineal gezogenen Staatsgrenzen sind kein gutes Argument für die Legitimität der Staaten. Nehmen wir ein Staatsgebilde, dem Beachtung von vielen Seiten widerfuhr: Jugoslawien. Als dieser Staat 1920 gegründet wurde, blieben 720.000 Südslawen außerhalb des «südslawischen Staates», davon 500.000 Slowenen und Kroaten in Italien. Andrerseits sahen sich plötzlich 2 Millionen Menschen, die keine Südslawen waren, in einem sich als südslawisch definierten Staat zwangsintegriert: 700.000 Albaner, 500.000 Deutsche, 500.000 Ungarn, 300.000 Rumänen. Geradezu in die Folklore eingebrannt ist das Wissen um die Irrelevanz der räumlichen Trennung von Böhmen und Ösis. Karl Schwarzenberg brachte österreichische Nazis in Rage, als er im Fernsehen über echte Wiener und echte Prager berichtete: «Ich kann mich an ein Treffen vor einiger Zeit erinnern, als ein gewisser Kanzler Vranitzky, ein Finanzminister Lacina und der Generalsekretär des Außenamtes namens Klestil die Vertreter Prags trafen. Der Finanzminister hieß Klaus, der Außenminister Dienstbier und der damalige Kanzler Schwarzenberg.» Ein binationaler Schmäh, der inzwischen sehr billig geworden ist, denn dass die Prohaskas und Wondrascheks zu Wien gehören wie der liebe Augustin, ist kollektive Wahrnehmung jenseits und diesseits der Linie. Die Sympathie für alles Behmische im Wienerischen ist das einzige, das heute in Wien noch von der KOSMOPROLETISCHEN ADLEREI übriggeblieben ist. Friedrich Adler, dem beliebtesten Führer der Arbeiterpartei während des Ersten Weltkrieges, brandete jeweils Applaus entgegen, wenn er «allen Regierungen die Niederlage und allen Völkern die Unbesiegbarkeit» wünschte. So dachte auch die beliebteste Führerin der deutschen Arbeiterpartei, Rosa Luxemburg. Ihre SPD bezeichnete sich selbst stolz als «Partei der vaterlandslosen Gesellen». Dass diese Partei in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland dann doch nicht im Stich ließ, konnte sie sich nicht erklären. Sie war fassungslos. Warum auch nicht: Die Partei erfreute sich eines 50jährigen unaufhaltsamen Aufstiegs, und dann löst sie sich binnen 24 Stunden (durch ihre Pro-Kriegskredite-Entscheidung) einfach auf. Die Reste des proletarischen Internationalismus der deutschen Arbeiterklasse wurden 1919 durch die Hetze der Medien gegen die 25.000 afrikanischen Soldaten aus den Kolonien zerstört, die im Zuge der französischen Rheinlandbesetzung eingesetzt wurden. Kann es sein, dass Vaterländer «geliebt» werden können wie die Partnerin oder der Partner, wie der Sohn und die Tochter? Lange vor dem Ersten Weltkrieg, beim Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und dem napoleonischen Frankreich, hatten Marx und Engels keine Skrupel, Partei zu ergreifen. Sie erwarteten, dass ein Sieg Preußens die Entwicklung zum deutschen Einheitsstaat beschleunige, was wiederum die zentralistische Organisiertheit der Arbeiterpartei fördere. Dass aber ein siegender Staat nie ein netter Staat sein wird, verbreiteten erst zwei dahergelaufene Russen…

DIE ARMUT WÄCHST – UND WO BLEIBT HERR SOMMER?

Frage an Erwin Riess: Das Element Wasser ist dir nah. Warum? Riess: Flüsse transportieren tote Geschichte. Sie entsorgen den historischen Müll in den Tiefen der Ozeane. Flüsse sind die letzte Hoffnung der Menschheit. Vor jeder Reise bin ich krank, während meiner Reisen kränkle ich, und wenn ich glücklich wieder zurück bin, werde ich erst recht krank. Wozu dann noch verreisen? Aber in Wien zu sein, bringt mich um. Aus Erwin Riess, «Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit einem Donaudampfer ans Schwarze Meer». Ein Fund im Online-Standard: «Man sollte vielleicht anmerken, dass Herr Sommer keineswegs der alleinige Initiator des Augustin war. Auch die Idee war sicher nicht die seine. Jene jungen, angehenden Sozialarbeiter, die die harte Fußarbeit gemacht haben, vieles koordiniert und zusammengefügt haben, sind die wahren Gründer. Die Herren Sommer und Wachter waren da eher kontraproduktiv unterwegs.» Ein erfreuliches feedback in Moskau. Schon wieder was über mich im Online-Standard: «Angesichts dessen, wie derzeit im 1. Bezirk von manchen jungen Verkäufern in aggressiver Form gekeilt wird, hätte Her Sommer schon längst Maßnahmen zusammen mit der Stadt Wien ergreifen können, um die schwarzen Schafe rauszuholen. Hat er aber nicht. Diese Form der täglichen Belästigung bei merkbarer Qualitätsminderung der Artikel war für mich ein Grund, dem Augustin meine Loyalität aufzukündigen. 

Ich habe jahrelang dem schwarzen Verkäufer bei der U4 Johnstrasse eine Zeitung abgekauft, weil er nett und höflich war und ist. Aber inzwischen denke ich mir: Warum hat er in all den 20 Jahren nicht eine andere Ausbildung gemacht? 

Wien ist zum hotspot der Mitleids- und Bettlerkultur geworden.» Was immer geschieht: Heute noch werden Sie die Größe haben, mir Rede und Antwort zu stehen! Über jene Frage, die seit Jahren in mir wohnt und doch nur als ein Blick, ein Hauch, ein Seufzen auf sich aufmerksam machte. Eleonore Gräfin Batthyány an Prinz Eugen. Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schräg /
 Erfolg liegt im Umkreisen /
 Zu strahlend tagt der Wahrheit Schock
 / Unserem Begreifen
 / Wie Blitz durch freundliche Erklärung / Gelindert wird dem Kind / Muss Wahrheit sachte blenden
 / Sonst würde jeder blind.
 (Emily Dickinson, Gedicht 1263, Übersetzung Gunhild Kübler). Wenn man unsere Zeit mit der Zeit vergleicht, in der die Bewegung «Dada» entstand, so gibt es bei genauerer Betrachtung durchaus einige Parallelen. Man wusste sich nicht anders zu helfen, als die Sprache und den Sinn zu zerschlagen, weil Sprache zu häufig missbraucht wurde und das Wertesystem sich nicht als tragfähig erwies. Diese Tatsache sollte nicht analytisch aufgedeckt werden und es sollte auch keine Alternative aufgezeigt werden, man wollte die Sinnlosigkeit als solche etablieren. Natürlich war das eine Zielrichtung, die so keinen Bestand haben konnte, da aus der Negation des bestehenden Sinns notwendig eine Synthese im Sinne einer Umwertung der Werte entstehen musste. Das ist aber genau das, was heute noch Aufgabe der kritischen Kunst ist, die immer auch das Element der Provokation beinhaltet. https://litheater.wordpress.com/category/dada/ Dada ist ein CLUB, der in Berlin gegründet worden ist, in den man eintreten 
kann, ohne Verbindlichkeiten zu übernehmen. Hier ist jeder Vorsitzender, und jeder kann sein Wort abgeben, wo es sich um künstlerische Dinge handelt. Dada
ist nicht ein Vorwand für den Ehrgeiz einiger Literaten (wie unsere Feinde 
glauben machen möchten), Dada ist eine Geistesart, die sich in jedem Gespräch
 offenbaren kann, so dass man sagen muss: Dieser ist ein DADAIST – jener nicht;
 der Club Dada hat deshalb Mitglieder in allen Teilen der Erde, in Honolulu so
gut wie in New Orleans und Meseritz. Dadaist sein kann unter Umständen heißen, 
mehr Kaufmann, mehr Parteimann als Künstler sein – nur zufällig Künstler sein. 
Dadaist sein heißt, sich von den Dingen werfen lassen, gegen jede 
Sedimentsbildung sein, ein Moment auf einem Stuhl gesessen, heißt, das Leben in
 Gefahr gebracht haben (Mr. Wengs zog schon den Revolver aus der Hosentasche).
 Ein Gewebe zerreißt sich unter der Hand, man sagt ja zu einem Leben, das durch
Verneinung höher will. Jasagen – Neinsagen: das gewaltige Hokuspokus des
 Daseins beschwingt die Nerven des echten Dadaisten – so liegt er, so jagt er,
 so radelt er – halb Pantagruel, halb Franziskus und lacht und lacht. Gegen die
ästhetisch-ethische Einstellung! Gegen die blutleere Abstraktion des 
Expressionismus! Gegen die weltverbessernden Theorien literarischer Hohlköpfe!
 Für den Dadaismus in Wort und Bild, für das dadaistische Geschehen in der Welt.
 Gegen dies Manifest sein heißt Dadaist sein! Unterzeichnet von Tristan Tzara. Franz Jung. George Grosz. Marcel Janco. Richard Huelsenbeck. 
Gerhard Preiß. Raoul Hausman

SO VERROTTWEILERTE DIE REVOLUTION

Kaum bildeten sich aus dem siegreichen Widerstand der jugoslawischen Partisanen die Strukturen des jugoslawischen Staates heraus, häuften sich die Anzeichen einer Erstarrung der Gesellschaft. Auf einige geht Milovan Djilas in seinem Buch «Der Krieg der Partisanen» ein. Erstens veränderte der Applaus sein Wesen. Während des Befreiungskampfes hingen die Partisanen und die Bauern an den Lippen ihres Genossen Tito, der für sie alles repräsentierte, was in der Partisanenbewegung von Wert war. Tito war die Integrationsfigur, die ein heterogenes KämpferInnenkollektiv braucht, um nicht zu verzagen. Der Applaus für Tito, immer wenn er in den «Bandengebieten» aufkreuzte und mobilisierende Reden hielt, war leidenschaftlich und wälzte sich wie rote Lava aus den Herzvulkanen. Zur Zeit der Regierungsbildung wurde der Applaus, obwohl er von den selben Menschen kam, zu einer devoten Performance. Er wurde länger, aber falscher. Er war zunehmend Ausdruck der Angst. Er diente bald dazu, der eigenen Geheimpolizei, aus KommunistInnen wie du und ich gebildet, zu deuten, dass man auf Linie ist. Nur wenige nahmen die Klimaveränderung wahr. Zweitens wurde bei wichtigen Sitzungen die Sitzordung eingeführt. Niemand konnte sich seinen Platz selber wählen. Die Nähe zum Sitz Titos war die Chiffre für die Position in Partei und Gesellschaft. Eheleute wurden getrennt, wenn sie gemäß den Regeln der neuen Hierarchie verschiedene Ränge der Relevanz einnahmen. Drittens explodierten die Racheaktionen gegen die Deutschen, die Ustaschas und die Tschetniks, auch gegen die Angehörigen der «Schwaben», die hier seit Jahrhunderten lebten. Die Exekutionen waren die Folklore der Befreiungsbewegung, und wie jede Folklore löst sie bei den einen Langeweile, bei den andern Begeisterung, bei den dritten Verachtung aus. Die Revolution verrottweilerte. Viertens waren es sicher nicht die Bauern, die in den letzten Monaten des Kriegs sich die Villen der reichen BelgraderInnen unter den Nagel rissen – es waren die rotgefärbten Egoisten, eine Klasse, die noch jedes soziale Großexperiment der gelebten Gleichheit erfolgreich blockierte und sabotierte. Daniel Böswirth, Schriftsteller aus dem neuen Perinetkeller-Umfeld, hat einen bösen Onkel. Nein, nicht einen böhsen, sondern einfach eiben bösen. Er hieß Joe Berger. Daniel huldigte ihm in einem Text, den er im Keller vortrug. einmischen wann immer und wo immer es ihm gefiel, machte ihn zu einem unliebsamen und streitbaren zeitgenossen, vor allem für jene, die es sich gemütlich in ihren wirklichkeiten eingerichtet hatten. wo immer er auftauchte lauerte die gefahr der entblößung, der demaskarade. dazu gibt es unzählige anekdoten, angesiedelt zwischen dichtung und wahrheit. mich hat sowie die dichtung immer mehr interessiert als die wahrheit. vielleicht die eine: dem damals amtierenden bundeskanzler dr. franz vranitzky nahm er unvermittelt während seiner rede beim spö sommerfest das mikrofon aus der hand und sagte: «die zukunft ist das geschwätz», um es dem verdutzten kanzler wieder zurück zu geben. ich sehe heute keinen politpoetischen provokateur mit ähnlich rebellischen format durch die stadt vagabundieren (...) selbst in illuminiertem zustand ließ sich sein quirliger, sprachspielerischer geist nicht bändigen. meine mutter: «joe, du saufst zu viel!» joe: «ich sauf mehr als du denkst und denk mehr als du saufst!» Ich stelle mir eben vor, Joe Berger versucht, den Wiener Pistolenschützenverein zu unterwandern, nur so als Kunstprojekt. Er ist beim Lesen einer einschlägigen Broschüre auf einen Satz in Gottfried Kellers «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» gestoßen, den die Pistoleros als ihr Motto auserkoren haben: «Keine Regierung und keine Bataillone vermögen Recht und Freiheit zu schützen, wenn der Bürger nicht imstande ist, selber vor die Haustür zu treten und nachzusehen, was es gibt.» Haben wir es mit der Verrottweilerung des Wiener Sport- und Geselligkeitswesens zu tun? Die Freundinnen und Freunde der Faustfeuerwaffen haben andere Probleme. Einerseits verliert die Freiheit, private Waffen zu besitzen, an Wert, zweitens gibt´s fachliche Probleme, die in der Natur des Schießvorgangs liegen. Es betrifft den letzten Teil des Schießvorganges, das Zielen und Betätigen des Abzuges. Schlechte Schüsse, das ist unter Schützen bekannt, schlagen immer im oberen rechten oder unteren linken Abschnitt ein. Dieses Phänomen kommt durch die Bewegung des Handgelenkes beim Schießen zustande. Durch diese Bewegung wird eine seitliche Drehung der Kugel verursacht. Um das zu verhindern, nimmt Joe Berger zum Aufnahmegespräch einen Schraubstock mit. Die im Schraubstock fixierte Waffe trifft immer ins Schwarze, erklärt Joe. Ihnen muss man den Waffenschein entziehen, sagt der Vereinsobmann. Oh kleines Land, oh große Missverständnisse.

VON SEMINOLEN UND PIRINGSDORFERN

Es ist keine große Überraschung, dass dieselbe Person einerseits identitätsstiftende Konstruktionen, zum Beispiel Völker oder Nationen, radikal abwertet, andrerseits aber fasziniert ist von der Buntheit und Vielfalt aller Angebote ethnischer Einordnungen. Ich hasse den Druck, der auf mir lastet, wenn man sich von mir wie selbstverständlich erwartet, mich zu einem Volk zu bekennen. Aber ich liebe es, von den ethnischen Prozessen in Nordamerika zu lesen, die die Kolonialisierung durch die Europäer zum Ursprung hatten. Die Dezimierung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas führte notwendigerweise zur Neugruppierung der Überlebenden, das heißt, zur Ethnogenese durch Fusion der Restgruppen. Auch Fission, die Aufspaltung von Völkern, war ein durch die koloniale Situation hervorgerufener Prozess: Die im späten 18. Jahrhundert aus den Unteren Creek hervorgegangenen Seminolen in Florida stellen das bekannteste Beispiel dafür dar. Ein dritter wichtiger ethnogenetischer Prozess kann im weitesten Sinn als Mestizisierung bezeichnet werden. So entstanden aus der Vermischung von Ojibwa, Cree und anderen subarktischen Völkern mit französischen (und in geringerem Ausmaß auch britischen) Pelzhändlern die heute in Kanada als eingeborene Bevölkerung anerkannten Metis, die neben dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und einer unterschiedlichen Kultur auch Sprecher einer eigenen (heute im Verschwinden begriffenen) Sprache, des Michif, sind. Ähnlich gingen aus der Vermischung von indigenen Völkern, Weißen und afrikanischen Amerikanern neue Völker hervor. Zum Beispiel die Lumbee in Nord-Carolina, die sich heute selbst als Indianer identifizieren. Nichts von dieser Schöpfungsvielfalt soll VERSCHWINDIEN, ist mein Traum; jeder Verlust, sei es des Piringsdorferischen oder des Michif, tut mir im Herzen weh. Aber wehe, mir wird die Freiheit genommen, mich heute als Katalonier und morgen als Spanier und übermorgen als Europäer und am nächsten Tag als Schütze des Eisstockvereins «Eis oder Asphalt – Schetzko Jedno» zu fühlen. Die Institution Schule macht alles falsch, was überhaupt falsch gemacht werden kann. Die Schulpflicht ist falsch, die Klasseneinteilung ist falsch, die Konzentration auf die «effizienten Fächer» ist falsch, die pädagogische Monopolstellung der LehrerInnen ist falsch, das Notengeben ist falsch, das Sitzenbleiben ist falsch, die Matura ist falsch, die Lernziele sind falsch, die Orte der Bildung sind falsch, die Ratgeber sind falsch. Diese Dimension von Verfälschung stellt alle anderen Ungeheuerlichkeiten der Ordnung in der Angelegenheit der Destruktion von Persönlichkeit in den Schatten – mit einer Ausnahme, dem Gefängnis. Eines meiner Spezialgebiete als Journalist: Kriegsberichterstattung. Aus dem Krieg gegen die Armen. Am 1. April 2105 ist im Wiener Stadtpark die «Ordnung» wiederhergestellt worden. Die siebenköpfige Kolonie der Stadtpark-Obdachlosen – Gestrandete aus der Slowakei, Tschechien und Ungarn – mussten ihre improvisierten Zelte räumen. Ein leichter Sieg der Stadtverwaltung, denn die Sichtbarkeit der Armut abzuschaffen ist tausendmal simpler als de Armut selbst zu überwinden. Roman kommt pünktlich zum vereinbarten Treffen an der Haltestelle Stubentor, am Ende des Stadtparks. Die überdachte Haltestelle liegt nur hundert Meter neben den ehemaligen Schlafplätzen. Bei Regenwetter war sie deshalb der Aufenthaltsraum der Parkmenschen. Roman kommt mit einem Sackerl voller Schokoladeosterhasen. «Grüße vom Kardinal Schönborn», sagt er. Vor einer Stunde hat er mit dem Kardinal diniert. Nicht er allein. Anlässlich der Osterfeiertage hat das Oberhaupt der österreichschen Katholik_innen eine Gruppe von Obdachlosen eingeladen. Auch wenn Roman als Ungläubiger die Gebete und das Zeremoniell rund um das karitative Mittagsmahl fremd anmuteten, ist er angetan von der Geste des Kardinals. Christlich gesprochen: Roman büßt im Stadtpark seine «Sünden» ab. Besser: er büßte sie ab, denn mit der Vertreibung der letzten Mohikaner scheint seine Aufgabe hier beendet zu sein. Roman besitzt die tschechische Staatsbürgerschaft, aber er wuchs in Deutschland auf. Sein gutes Deutsch hat die Obdachlosenkolonie zwei Jahre lang in die Lage versetzt, mit Behörden und Flanierenden zu kommunizieren (...) Romans schönstes Erlebnis war das selbstorganisierte Hochzeitsfest im Stadtpark. Eine Frau und ein Mann aus der Slowakei waren, vor den Augen der Obdachlosenkolonie, zum Liebespärchen geworden und heirateten sozusagen imaginär, aber voller Lebenslust. Sekt floss in Strömen – weder gestohlener noch erbettelter Sekt, sondern von solidarischen Wiener_innen herbei geschaffter. Für eine Dekoration des Schauplatzes mit Blumensträußen sorgte – ebenfalls ohne ein Geld zu verlangen – der Blumenkiosk am Ende des Parkes. Es war ein Fest, bei dem man das Aufblitzen einer Möglichkeit bemerken konnte: dass die soziale Kälte dieser Stadt doch nicht endgültig etabliert ist..

NICHTSDESTOTROTZKI

Topopoesie in dalmatinischem Rhythmus. vrh muraj vrbnik / krk brzac vrhure / hlam hlapa glavotok / kras vrschak melinjak / plad furmak kukurik / halm goli barbitschin / kalk barbin trebenetsch / helm baba prschuni / srem bura kolorat / krisch peski maslovnik / hrib hrasta grmoschaj / rab dolin kamenjak / kuk vlaja zakantun / titsch bater marama... DIE DIESELBIGKEIT DES INTERESSES: Zustand zweier Kooperateure, die sich an dauerhafter Übereinstimmung erfreuen, mit Ausnahme zweier thematischer Schwerpunkte: Zukunft des Treibstoffs DIESEL und Zukunft des Containertansports auf der ELBE, es geht um die Dieselkeit und um die Elbigkeit. Rainer Krispel wird für die Zwischentexte, die er jeweils vor den zehn Szenen meiner «Weiter, weiter, weiter»-Bearbeitung (Michail Schatrow) vorträgt, sehr gelobt. Er gibt das Lob postwendend an mich weiter, dabei stellt der gute Rainer meine Rolle sehr übertrieben dar. Eine Auswahl der Zwischentexte. SZENE EINS. Auf Befehl Stalins wird Trotzki ermordet. Trotzki nimmt ihm das übel. Stalin gibt sich überrascht. Man könne doch von einem Marxisten nicht erwarten, sich den Kategorien bürgerlicher Moral unterzuordnen. Premierminister Kerensky erscheint, eine Art Faymann zwischen dem Sturz des Zaren und dem Sieg der Bolschewiki. Er hasst Trotzki, beschwert sich aber nichtsdestotrotzki über dessen Liquidierung. Eine personifizierte Vorwegnahme eines Wesenszugs der aktuellen Sozialdemokratie: das Aussterben des graden Michels. SZENE ZWEI. Lenin empfängt seine Ex-Gnossen Plechanow und Martow. Man könnte sie zu den moderaten Kommunisten zählen. Die erste Gruppe, in der sich Plechanow politisch betätigte, hatte einen coolen Namen: SCHWARZE UMVERTEILUNG. Lenin mag sie irgendwie. Als Ezzesgeber können ihm die beiden allerdings gestohlen bleiben, die Genossen Vorsichtl und Rücksichtl, wie er die beiden ewigen Bremser liebevoll nennt. SZENE SIEBEN. Struwe, der zum Reaktionär mutierte Ex-Marxist, zählt zu den Menschen, die Lenin zum Kotzen findet. Die Spiridonowa ist das Gegenteil von Struwe. Sie ist die russische Ulrike Meinhof. Sie ist die sympathischte Radikale in der Weltgeschichte des Terrorismus. Hören Sie, wie sie Lenin überrascht. SZENE NEUN. Sozialismus ohne Humanität muss so denkunmöglich werden wie trockenes Wasser. Dieser Vergleich kommt von Bucharin. Wenn Schatrow gewusst hätte, dass trockenes Wasser in Pulverform chemisch herstellbar ist: Welchen Vergleich hätte er Bucharin dann in den Mund gelegt? Sozialismus ohne Humanität muss so denkunmöglich werden wie ein Perinetkeller mit Behindertenklo – oder ein Regierungsburschenschaftler-Ball ohne Gegendemo – oder eine Gegendemo ohne schwarzen Block – oder ein schwarzer Block, der so lange Stille Nacht singt, bis die Polizisten glauben, es sei Weihnachten, und ihre Pistolen verschenken. SZENE ZEHN. Bucharins Vermächtnis. Michail Schatrow liebt ihn, wie ihn die Partei liebte. Der eifersüchtige Stalin lässt ihn in einer Säuberungswelle erschießen. Dabei haben sie etwas gemeinsam: Stalin wie Bucharin halten sich 1913 in Wien auf. Dort lernen sie sich kennen. Sie sollen sich in der Wiener Innenstadt einen Keller geteilt haben, den Bucharin als Materialienlager für seine ökonomischen Studien brauchte und Stalin für seine Falschnotendruckerei. Eingedenk der missionarischen Leidenschaft der beiden politischen Russen in Wien wird der Keller vom Volksmund Apostelkeller genannt. Wie der deutsche Adel im 18. Jahrhundert französelt! Fast könnte man von einer deutsch-französischen Mischsprache reden, die bei Hof gepflegt wird. Preußenkönig Friedrich: «Ich erstaune über die impertinente Relation so sie mir schicken, ich entschuldige die Ministres mit ihrer Ignorence, aber die Malice und die corruption des Concipienten muss exemplarisch bestrafet werden sonst bringe ich die Canaille niemals in die Subordination.» Der russische Adel französelte nicht, sondern sprach gleich ganz französisch. Darum ist Tolstois «Krieg und Frieden» für nicht französisch Sprechende eine Herausforderung. Die Dialoge zu Beginn des Romans sind zur Hälfte in französischer Sprache geschrieben. Die russische Aristokratie konnte dann naturgemäß die Sprache der französischen Revolution besser verstehen als z.B. die deutschen Arbeiter, Kleinbürger und Bauern, weswegen russische Adelige in Kenntnis der Pariser revolutionären Ideen den Dekabristenaufstand machten. Die 15.000 französischen Aristokraten, die nach der französischen Revolution ins konterrevolutionäre Zarenreich flohen, waren überrascht, so viele prorevolutionäre Klassengenossen in ihrem Exil am Werke zu sehen? Eher nicht, denn vor ihrer Flucht hatten sie wahrnehmen müssen, dass es auch in Frankreich viele Überläufer vom Adel zur Revolution hin gab. Gerade das war ja einer der Gründe ihrer Verzweiflung. Behauptet der Verfasser, geschichtwissenschaftlicher Hochstapler.

ÜBERSETZERIN INS DEUTSCHE: MILEVA STOJANOVIC

Koschljun ist der Bergspitz, der sich in früheren Zeiten in eine Insel verwandelt hat, durch die Bewegung und Erhebung der Erdrinde aus Meer. Vermutlich haben die ilirischen Geschlechten, besonders Liburnnen nich vermist den wunderschöne Inselchen einzubewohnen. Nach der Zeit der großen Volkswanderungen ruften die Einsiedlern den Inselchen wieder ins Leben. Wie der benediktanische Mönchsorden seine Kraft ferliert hat, so ferödet auch das Kloster am Koschljun. Die schwere Tage erlebt dass Kloster in erste 30 Jahren österreichisches Herrschaft, als hier sehr wenig Franziskaner war. Im Jahre 1920 sind die D´Anunzis Arditen angekommen (erste Faschisten in der Welt), verhafteten und mißhandelten einige Mönche aus Koschljun. Sein Statusden wichtigsten Zentrum der Glaubnis behaltend, Koschljun ist gleichzeitig das Kloster, daß der Tel einen neuen mobilen positiven Protzeses ist. Über Koschljun sind schon mehrere Bücher und Sudien veröfentlicht, aber diese Photomonographie ist gleihzeitig die einzige über so einer kleiner Insel und über einem Kloster am ostadriatische Küste. Zum Zeichen der Verdiensten den fleisigen Mönchen hat ihnen die Stadtversammlung der Stadt Krk im Jahre 1984 in erste Gruppe, im Erre von Befreungstag, die größte Bestätigung der Insel Krk, der Preis «17. Aprill» gegeben. Herausgeber des Bildbands, dem diese Textteile entnommen sind: Branko Najhold. Übersetzerin ins Deutsche: Mileva Stojanovic. Verantwortlich für das Gesamtlektorat: Dobrila Milovanovic. Der von Petar Strcic verfasste kroatische Text ist für den Fotoband auch ins Englische, ins Italienische und ins Französische übersetzt worden. Die Qualität dieser Übersetzungen müsste von Sprachkundigen nachgeprüft werden. Jedenfalls ist D´ANNUNCIO in allen Übersetzungen korrekt geschrieben, nur im «deutschen» Text ist er verhunzt. Im Herbst 1920 «regierte» der Futurist D´Annunzio zwei Monate lang die Stadt Rijeka und die Inseln Krk, Cres und Losinj. Wie sich dieses anarchistisch-faschistische (diese Wortverbindung stammt nicht von mir) Intermezzo auf die Bevölkerungen der betreffenden Gebiete auswirkte, würde ich gern wo nachlesen, es kommt ja nicht oft vor, dass ein Boheme-Dichter in einen Herrschaftsstatus verfällt. Die WienerInnen sollten seinen Namen allein schon wegen der Flyer-Aktion D´Annunzios korrekt schreiben können. Der Dichter warf gegen Ende des Ersten Weltkriegs aus dem Flugzeug kuriose – den italienischen Faschismus lobende – Flugblätter über Wien ab, deren Text so endete: Das Drohen der Schwinge des jungen italienischen Adlers gleicht nicht der finsteren Bronze im morgendlichen Licht. Die unbekümmerte Kühnheit wirft über Sankt Stephan und den Graben das unwiderstehliche Wort, Wiener! Viva l’Italia. Als avantgardistische Gesamtkunstwerke sind beide Unternehmungen beachtlich – der Flyer vom Flieger und die Otok-Besetzung. Die Formel «Dichter an die Macht» hat freilich durch diese letztgenannte Operation nicht gerade Sympathiewerte gewonnen. Das beste, was sich über die Inseleroberungen des futuristischen Künstlers sagen lässt, wäre, dass die BewohnerInnen von dieser irren Unternehmung gar nichts bemerkten. Aus Marina Zwetajewas 1940er-Tagebucheintragungen. Über mich: Alle halten mich für tapfer. Ich kenne keinen furchtsameren Menschen als mich. Vor allem habe ich Angst. Vor Augen, Finsternis, Schritten und am meisten – vor mir selbst, vor meinem Kopf, diesem Kopf, der mir im Heft so treu dient und im Leben mich umbringt. Niemand sieht, niemand weiß, dass ich schon seit einem Jahr (ungefähr) mit den Augen einen Haken suche. Aber es gibt keine, überall nur noch Elektrizität. Keine «Kristalleuchter» mehr ... Seit einem Jahr probiere ich den Tod an. Alles ist hässlich und – schrecklich. Etwas schlucken – abscheulich, springen – mir zuwider, seit jeher Abscheu vor dem Wasser. Ich will nicht erschrecken (posthum), mir scheint, ich fürchte mich schon vor mir selber – posthum. Ich will nicht sterben, ich will: nicht sein. Unsinn. Noch werde ich gebraucht ... aber, mein Gott, wie klein bin ich, wie vermag ich so gar nichts! Zu Ende leben – zu Ende kauen. Den bitteren Wermut. Wieviel verpasste Verse! Ich schreibe nichts auf. Damit ist es vorbei. N.N. brachte deutsche Texte zum Übersetzen. Das Liebste von der Welt: deutsche Volkslieder. Liedchen. Oh, wie habe ich all das geliebt. (...) Tagsüber Kälte, einfach – Eis, eisige Hände und Füße und Hirne, ein Mädchen ist mir mit dem Fahrrad über den Fuß gefahren, ich gehe den zweiten Tag nicht hinaus: der Fuß ist riesig, auf das Telegramm, abgeschickt am 21., keinen Ton, im Haus – weder Butter, noch Gemüse, nur Kartoffeln, und die Schriftsteller-Mahlzeit reicht nicht aus, zu hungrig, in den Läden – nichts, nur Margarine (unüberwindliche Abscheu!), und einmal gelang es, etwas Moosbeeren-Konfitüre zu bekommen. Der Kopf ist dumpf, eiskalt, Ich habe keine Freunde, und ohne sie – der Untergang.

ENTTÄUSCHENDE HÜHNERGÖTTER

Achmatowas Jahrhundertgedicht «Requiem» gilt als das literarische Zeugnis in der Ära stalinistischer Gewaltherrschaft. Es entstand in den späten dreißiger Jahren und ist ein Reflex auf die Ermordungen ihrer Freunde und auf die – von Stalin angeordneten – Verhaftungen ihres Sohnes, der insgesamt achtzehn Jahre interniert war. Das «Requiem» überlebte den Terror – ungeschrieben, aber auswendig gelernt, in den Köpfen ihrer engsten Freunde. Und nur so wird es der Nachwelt erhalten: Der Wahnsinn hat mit seinem Fittich / Die Seele mir zur Hälfte schon verhüllt, / Tränkt mich mit feuerglühendem Wein, / Und lockt mich in das schwarze Tal hinunter. / Und ich begreife, dass ich ihm / Den Sieg nicht werde wehren können, / Wenn meinem Fieberwahn ich schon / So wie dem eines Fremden lausche. Diese Poesie kommt aus der Dramatik des Lebens. Aus seiner DRAMATIK, nicht aus der Verzweiflung, die ein nicht zum Nachlassen aufgelegter Regen an der dalmatinischen Sonnenküste auslöst. Das dramatische Niveau bestimmt in gewisser Weise das poetische Niveau, man vergleiche nachher die Resultate: jeder dritte stein / den madame adria / an land rollt / ist ein hühnergott / aber alle zusammen sind nicht imstande / dem dauerregen zu verklickern / er sei hier völlig überflüssig. / aber darum geht´s ja gerade / sagte der regen. / ich bin über-flüssig. Wenn die Menschen in einem undramatischen Mühlviertler Dorf nur einen Skandal kennen, nämlich die Existenz einer Maunanarrischen in ihrer Mitte, muss sich der Dichter, in diesem Fall Peter Paul Wiplinger, herausgefordert fühlen: auf jedn kirchtog / taunzt’s wia varruckt / und a jeda druckt’s zuwe / daß eam gschpiad / mit jedn tuat’s umanaund / sogt a oida maun / und a aundara moant / a jeda kaun driwasteign iwa sie / waun ea ia gfoit / owa irgendwaun / wird’s iwableibm / sogn d’ leit / und sie woaß des a. Ich mag ja den Menasse nicht besonders, darum bin ich neidisch, dass sein futuristischer Entwurf für eine Wiedereinführung der europäischen Grenzenlosigkeit, auch als Lösung der Flüchtlings-«Probleme» gedacht, nicht mir eingefallen ist. Robert Menasse schlägt, gemeinsam mit Urike Guérot, vor: Europäisch wäre künftig nicht die Rettung völkischer Homogenität durch homogene Völker, sondern europäisch wäre die Auflösung der Grenze als Grenze des Homogenen. Geschaffen wird damit ein gigantischer Möglichkeitsraum an nebeneinander real existierenden Lebensentwürfen und -modellen. Ein solches Nebeneinander wäre indes ein Konzept, das nicht auf Integration, sondern zunächst auf Segregation beruht. Segregation ist auch eine Form von Toleranz, lehrt uns die Soziologie. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die wir gegenwärtig machen, müssen wir die Frage stellen, ob die derzeit auf Integration ausgerichtete Flüchtlingspolitik der EU die richtige Strategie ist. Werfen wir einen Blick in die jüngere Geschichte, um uns von Lösungen inspirieren zu lassen, die sich bereits als nachhaltig erwiesen haben: Was haben europäische Migranten gemacht, die während der Hungersnöte und politischen Krisen im 18. und 19. Jahrhundert in Massen in die Neue Welt ausgewandert sind, Iren, Italiener, Balten, Deutsche ...? Sie haben dort ihre Städte neu gebaut. Überall in Amerika finden wir Städtenamen wie New Hannover, New Hampshire, New Hamburg, Litte Italy und so weiter. Niemand ist damals auf die Idee gekommen, Familien zu trennen oder in verschiedene Unterkünfte einzuquartieren oder über Familiennachzug zu feilschen. Niemand hat einen Asylbewerberstatus bekommen, staatliches Geld erhalten, wurde auf einen Sprachkurs oder gar eine Leitkultur verpflichtet. Die europäischen Flüchtlinge sind einfach in einer neuen Heimat angekommen und haben dort ihre alte Heimat nachgebaut. Daraus können wir lernen. Wie wäre es, wenn Flüchtlinge in Europa Bauland zugewiesen bekämen, benachbart zu den europäischen Städten, aber in einem Abstand, der die Andersartigkeit wahrt. Damit würde man einen Möglichkeitsraum an nebeneinander real existierenden Lebensentwürfen und -modellen schaffen. So entstehen Neu-Damaskus und Neu-Aleppo, Neu-Madaya inmitten von Europa. Oder auch Neu-Diyarbakir oder Neu-Erbil und Neu-Dohuk für die kurdischen Flüchtlinge. Vielleicht auch Neu-Kandahar oder Neu-Kundus für die afghanischen Flüchtlinge oder Neu-Enugu oder Neu-Ondo für die nigerianischen Flüchtlinge. Europa ist groß und leer genug, um ein Dutzend Städte und mehr für Neuankömmlinge aufzubauen. Wir stressen uns nicht mit Integration... Soweit die positive Wendung der Idee des Parallelgesellschaft, vorgeschlagen von Guérot und Menasse. Meine linken FreundInnen, denen ich diese Idee ans Herz lege, sind not amused. Ein Little Damaskus in der Parndorfer Heide bedeute nichts als eine neue Dimension des Aussaugens von Syrien, meinen sie. Abgesehen davon wäre der Heidebevölkerung selbst die Verzehnfachung der Windenergieanlagen lieber als Frauenvergewaltiger aus dem Nahen Osten.

DIE EVITA AUS DER JÄGERSTRASSE

Ein in meinem Online-Archiv schlummernder literarischer Text spielt auf einem Schauplatz, der eindeutig einer der Orte des «Potlatch»-Romans ist. Es handelt sich um den ägyptischen Greissler aus der Jägerstraße in Wien-Brigittenau. Der Text, der eine Szene in der von mir mit einer romantischen Bedeutung gefüllten Greißlerei beschreibt, die realiter keine Bedeutung als die einer Greißlerei hat und somit ohne jegliche Romantik existiert, könnte von mir sein, wenn er nicht Nuancen enthielte, die mir fremd vorkommen. Könnte es sich um Ergänzungen handeln, die ich mir von Kennerinnen oder Kennern des betreffenden Kapitels erbeten habe? Ich könnte diese Bitte an Tanja Brandstätter oder an Elisabeth Malleier gerichtet haben; ich habe Scheu, nachzufragen. Warum aber ist dieser Text – ob von mir beauftragt oder mir überraschend als Textgeschenk dargeboten – nicht in der Erzählung, so wie sie ediert wurde, enthalten? Ich möchte die rätselhafte Bereicherung zitieren: Wie kannst du mir nur so einen blöden namen geben, motzt evita, das klingt ja wie eine mischung aus eva und lolita! Für eine, die seit jahren mehr oder weniger in sexueller abstinenz lebt (sex findet schliesslich sowieso im kopf statt, haha!), ist das ein idiotischer name, denkt sie sich, sagt es aber nicht laut, was geht die anderen schließlich ihr sexualleben an. Ihr ist unbehaglich bei dem namen und den konnotationen, die ihr dabei kommen. Aber das bist du selber, die das hineinliest, erinnert die leise innere stimme, man könnte den namen genauso gut mit dem italienischen «evitare» in verbindung bringen und du weißt ja, was das heißt: vermeiden. Verführung/vermeiden schießt es evita unwillkürlich durch den kopf. Nein, sie will nicht daran denken, weder an das eine, noch an das andere. Ihr wird noch unbehaglicher zumute, ich glaub nicht dass der erfinder des namens so gut italienisch kann, gibt sie zurück, verwirrt von den eigenen erkenntnissen, schon nicht mehr ganz überzeugt von der eigenen empörung und um wenigstens das letzte wort zu haben. Aber meine figuren haben am gleichen tag ihre namen gekriegt, sagt sie laut, sie sind mir in der U2 eingefallen. Die erste hauptfigur in meiner geschichte heisst bianca – sie wird vom gekicher der runde in der «taverne zum verlängerten wohnzimmer» unterbrochen -, nein, nicht wegen der unschuld, verteidigt sie sich, sondern weil weiss alle farben in sich trägt und zugleich keine farbe ist. Die anderen beiden heissen viola und mora. Bianca ist übrigens die hauptfigur, es werden also nicht zwei teile in die belletristik eingeführt, sondern drei, widerspricht evita noch einmal dem autor und zugleich auch youssef, der sie aber nicht hört, weil er hinter der theke beschäftigt ist. Über das verhältnis zwischen viola und mora, der feministin und der «anarchistin», kann noch nicht viel gesagt werden. Aneinander vorbeizureden scheinen sie aber eher nicht, jedenfalls hat mora viola schon ein «du akademische hirnwixerin!» an den kopf geworfen. Momentan beschäftigt mich aber mehr das verhältnis von bianca zu den beiden. Und „anarchistin“ ist in diesem fall sowieso ein verlegenheits- begriff, der halt die normüberschreitung bezeichnen soll. Die richtigen anarchistInnen würden sich wahrscheinlich schön dafür bedanken, mit s/m in verbindung gebracht werden. Dabei geht es bei s/m gar nicht um gewalt und unterdrückung, behaupte ich, sondern darum, einen ausdruck für die schmerzen zu finden, die schon in uns drin sind – und vielleicht um eine art von hingabe, setzt sie zögernd hinzu. Aber das ist hier ja nicht das thema, sagt sie, als sie in betretene gesichter blickt. Nur youssef meldet sich von hinter der wursttheke zu wort und ruft durch den raum, das christliche abendland und seine menschenopfer lassen grüssen. (...) Evita ist traurig. Die trauer liegt wie ein dünner, durchsichtiger schleier über ihr. Er verdeckt auch die wut in ihr. Wütend ist sie vor allem auf sich selbst. Rastlos zieht sie durch die stadt. Manchmal besucht sie youssef in seinem wurstladen. Youssef hat meistens viel zu tun und wenig zeit zum reden. Sie möchte, dass er ihr erzählt, von den wassern des nil und vom besonderen licht der wüste, von dem ingeborg bachmann schreibt, im «fall franza». Evita will in eine andere geschichte, in eine, in der sie es ist, die die regeln bestimmt. Aber nicht einmal die figuren ihrer eigenen geschichte halten sich an ihre regeln. Bianca braucht man derzeit nur schief anzuschauen, dann fängt sie an zu heulen. Das hat sie vom brav sein, denkt elvira ungerührt. Mit viola ist auch nicht viel anzufangen. Die analysiert bianca und glaubt irrtümlicherweise, dass das hilft. Derzeit beschäftigt sie sich gerade mit der melancholie und gibt ungefragt pseudopsychologisches zum besten. Dein zustand, bianca, stammt aus deiner versagten wunscherfüllung, das ist der ursprung der melancholie. Du selber bist es, die sich unglücklich macht. Mora, von der am ehesten eine etwas andere perspektive zu erwarten wär, ist seit tagen nicht mehr in der wg aufgetaucht. Weiss der teufel, wo die sich wieder rumtreibt.

WÜTENDER KEILER WETZT SEIN GEWAFF

Spezialsprachen erweitern den Wortschatz. Originalton aus einer oberösterreichschen Jägerzeitung: weidkamarad josef wimhofer konnte mitte september eine aufhabende geiß strecken / johann schinnerl konnte seine drohung «na wenn ich dich erwische» wahrmachen / die drohung galt einem keiler der drei wildschweinschäden verursachte / zum sechzigsten geburtstag erlegte ludwig pfoser einen haselhahn / und einen außergewöhnlich starken fuchs mit fünfzehn kilo / gerhard six erlegte im jagdgebiet timelkam / ein gutes bockkiez mit massivem hodenbruch / zum abschluss einer gemeinsamen raubwildbejagungswoche / mit einer gemeindeübergreifenden baujagd wurde eine streckenlegung organisiert / die erlegerbrüche wurden an die jagdkameraden überreicht / das feierliche verblasen der strecke erfolgte durch die mattigtaler jagdhornbläser / man muss das bemühen der jägerschaft bei der abschussplanerfüllung loben / und die wichtigkeit einer ausgeglichenen geschlechterstruktur betonen / insbesondere bei der schmalrehbejagung / fünf prozent der bevölkerung nämlich die jäger und die bauern / sind für hundert prozent der naturlandschaft verantwortlich / von zweiundzwanzig angetretenen hunden konnten erfolgreich zwanzig die prüfung abschließen / die jägerschaft wird mit gift und galle übersät / wer am lautesten schreit wird gehört / viele jäger waren bereits am vormittag im danzersaal / und konnten so in ruhe die zahlreichen trophäentafeln der braunauer jagden begutachten / für den kugelbewerb werden die disziplinen / «hundert meter liegend frei» / «stehend angestrichen fester bergstock» / «stehend angestrichen freier bergstock» / und «sitzend angestrichen freier bergstock» vorgegeben / die sieger durften sich über jeweils ein viertel hausschwein erfreuen / die schützen ließen das sauschießen gemütlich ausklingen / angebracht an jeder landwirtschaftlichen maschine verscheucht die hubertus wildrettersirene / – über zweitausend mal bewährt – das wild direkt vor der eigentlichen gefahr / die letztjährige hubertusmesse war für den jagdschutzverein passau ein kultureller höhepunkt / denn es kam im passauer stefansdom zur uraufführung der passauer hubertusmesse / der ball war restlos ausverkauft / somit gingen auch in diesem jahr wieder 6600 besucher auf die pirsch / ein stöberhund muss spurlaut jagen / verlässlich verlorenbringen /größte wasserfreudigkeit sowie raubwildschärfe zeigen / und brauchbare schweißarbeit leisten / stöbern und buschieren sind seine arbeit vor dem schuss / die schweißarbeit ist seine aufgabe nach dem schuss / sonstige bedingungen: / hitzige hunde werden nicht zugelassen / fuchswelpen werden behaart und blind gewölft / die bevölkerung ist aufgerufen auch kritische fragen zur jagd zu stellen die vom landesjagdverband hinterfragt werden / das fachseminar befasst sich mit der praktischen anwendung des nordischen krähenfangs / ein wütender keiler schlägt die eckzähne im ober- und unterkiefer zusammen / er wetzt das gewaff / ein quarthase ist ein sechs wochen alter junghase / ein sprinz ist ein sperbermännchen / alle anderen greifermännchen nennt man terzel / ein guter jagdleiter bereitet sich gewissenhaft auf das neue jagdjahr vor / habe ich die runden geburtstage meiner weidgefährten notiert / habe ich meinen weidgefährten empfohlen / ihre autopirschen auf das notwendigste einzuschränken / laden wir unsere frauen und partnerinnen zum jägerfest ein / sind die salzlecken beschickt / das rotwild kann einen lidschlag des menschlichen auges auf cirka fünfzig meter eräugen / der jäger auf seinem hochsitz gegen den himmel / stellt bei kleinster bewegung einen leicht erkennbaren feind dar / am meisten aktivität zeigt rotwild in der dämmerung / und nicht wie alle meinen in der tiefen nacht / am tag wird dem müßiggang gefrönt / die streifgebiete der kuder sind größer als die der kätzinnen / durch nicht genehmigte und nicht kontrollierte aussetzungen / gibt es das murmeltier in den alpen wieder flächendeckend / der wolf reisst und frisst was er erreichen kann / der todeskampf eines erbeuteten tieres würde bei vielen übelkeit und erschrecken hervorrufen / man soll nicht vergessen / dass mit einem absoluten wolfschutz kaschierte grausamkeit verbunden ist / weidmannsheil und ho-rüd-ho. Dieser Text ist ein Anhang zu Teil 1, Kapitel 104.

GELLEND QUIEKT DAS AUFGESCHLITZTE MILCHSCHWEIN

Die Videoarbeit von Miklos Erhardt zeigt vier schlafende Straßenhunde auf einer Parkwiese in Belgrad. Plötzlich wachen die Köter zeitgleich auf – offenbar durch ein Geräusch, das die Besucher_innen jedoch nicht hören. Die Hunde beobachten die Situation, schließen Gefahr aus und legen sich alle gleichzeitig wieder zum Schlafen. Ohne den Begleittext gelesen zu haben, strahlten die Straßenhunde für mich eine Gelassenheit aus, die ich gerne auf mich übertragen würde. Im Kurator_innentext heißt es: Die Hunde könnten «eine Metapher für eine eigene Zeitlichkeit frei von ökonomischen Zwängen sein oder aber auch für das Verweilen im städtischen Raum, für politische Wachsamkeit...» Vor meinem geistigen Auge passieren alle mir Bekannten, denen ich zutraue, dem «faden» Hundevideo – fad., weil «nix passiert» – jeglichen Kunstgehalt abzusprechen: Ihre Frage «Das soll Kunst sein?» ist immerhin ehrlich, ehrlicher als das gespielte Kunstverständnis mancher Bildungsbürger_innen, deren sozialer Status es nicht gestattet, öffentlich einzugestehen, dass sie vor dem Kunstwerk wie der sprichwörtliche Ochs vor dem neuen Tor stehen. Auch wenn ich selbst oft zu den Ochens zähle, begriff ich die Installation Vlatka Horvats auf Anhieb. Ich musste meinen imaginären Hut vor einer genialen Metapher ziehen, einem kleinen Tisch, an dessen vier Rändern runde, rollende Objekte liegen, und zwar ganz nah am Rand: eine Glühbirne, ein Ball, ein Korkstoppel, ein Glas ... Nur eine unachtsame Berührung des Tisches, und die Gegenstände könnten entweder Richtung Tischmitte rollen, oder abstürzen. Das Foto dieser Installation hätte ich gerne als Cover-Motiv meines Buches «Wie bleibt der Rand am Rand» gehabt. Der Tisch steht für das System, die an der Tischkante positionierten Dinge stellen die marginalisierten Menschen dar. Vlatka Horvat will, dass sie genau so liegen bleiben, wie sie liegen. Dieser Imperativ deckt sich mit dem des kapitalistischen Systems. Es will nicht, dass die Randobjekte den Tisch verlassen und vielleicht zu Subjekten werden und die Selbstorganisation weit ab vom Tisch einüben. Es will aber auch nicht, dass der soziale Rand dank einer gefährlichen Willkommenskultur von der Mitte der Gesellschaft aufgenommen wird. Die Randdinger müssen bleiben, wo sie sind: ohne Rand würde der Kapitalismus nicht funktionieren, darum hat er ja genug Gefängnisse, um die Randschichten ständig zu reproduzieren. Übrigens weiß ich nicht im geringsten, ob Vlatka Horvat mit meiner Interpretation einverstanden wäre. Die Arbeiten von Horvat und Erhardt sah ich im «Kunstraum», einem Geschenk des Landes Niederösterreich an die Wiener LiebhaberInnen zeitgenössischer Kunst, denn der Raum befindet sich in der Herrengasse in Wien 1. Als Journalist wurde ich von den Leiterinnen des Kunstraums immer sehr hofiert, wie ich mir einbildete, denn sie würdigten meine Sympathie für das gesellschaftskritische Kalkül der Ausstellungen (die nie vom Eigentümervertreter, dem sich als Förderer der Kunst in Szene setzenden Landeshauptmann, besucht worden waren) und wussten gleichzeitig – wie ich mir einbildete – um meine Skepsis vor hermetischer Juppie-Subversivität bescheid, mit der sich der Neoliberalismus arrangiert hat, oder umgekehrt, wie ich mir einbildete. Was mich (als «Künstler») betrifft: es ist in meinem Alter und mit meinen Gebrechen vielleicht besser, nicht als «revolutionärer Künstler» entdeckt zu werden. Dem Medienrummel, der ohne Zweifel ausbrechen würde, wäre ich nicht gewachsen: Nach Balzac. am ersten tag taucht die gräfin ihre fusserl in ein milchschwein / dessen bauch aufgeschnitten wurde / denn nach der volksmedizin unseres anthropozentrischen volkes / müssen die eingeweide zucken in denen die füße stecken /es erübrigt sich zu erwähnen / wie das aufgeschlitzte milchschwein gellend quiekt / gar nichts nämlich versteht es von der ehre an der es teilhat. / am zweiten tag folgt die gräfin den schleimspuren der roten schnecken / und zerstampft sie mit ihren nackten fusserln zu paradeisersauce / in der sich am schluss nur noch die augenfühler bewegen / sie ziehen sich ein / sie strecken sich raus / sie ziehen sich ein / sie strecken sich raus in unheimlicher stille / denn nichts andres als die schneckenfühler / bewegt sich in diesem schneckengulasch / am dritten tag bringen mariazeller sherpas / die gräfin auf die alm wo sie herr nitsch mit frischen kuhfladen verspachtelt / sie sind noch so frisch / dass sie keine zeit hatten in gestankmodus zu treten / am vierten tag führt der schamane / unsere gräfin zur quallenbucht / wo sie den tentakeln angeboten wird / die sie innerhalb einer minute ganzkörperlich umgarnen / schon in minute zwei ist sie ohnmächtig vom giftigen tentakelsekret / sofort wird sie in ein süßwasser gelegt / das die meeresquallen nicht vertragen / sie geben die gräfin frei die sich nun fühlt wie neu geboren.

WER PFLEGT DEN KAKTUS, WENN ICH AM LAND BIN?

Weshalb ich nicht aufs Land gehen kann. Erstens geht mir der kleine grüne Jutte-Koffer mit braunem Lederbeschlag absolut nicht zu, zweitens, wer wird meine kleine Kaktee pflegen, die bereits bei mir von 7 Zentimetern auf 30 Zentimeter gediehen ist und bereits zweimal in einen größeren Topf umgesetzt werden musste?! Die Einen geben zu viel Wasser, die Anderen zu wenig, nur ich, ich gebe gerade richtig. Und drittens bringt sich die Paula um, wenn ich wegfahre. Und viertens habe ich kein Geld zum Wegfahren. Und sechstens bergen die Donau-Auen, eine Stunde von Wien aus erreichbar, tour-retour 1 K 20 h, für den wirklichen Naturfreund die Schätze der ganzen Welt! (Peter Altenberg, 1918). Der fünfte Grund ist eine reine Privatangelegenheit. Ich kann Herrn Altenberg gut verstehen und darf seine Liste ergänzen: Siebentens laufen am Land oft Hunde fragwürdiger oder unbekannter Zurichtung frei herum, besonders in Zeiten, wo der Hundebesitzer seinen Rottweiler kaum an die Leine nimmt, weil er es für ausgeschlossen hält, dass der Hund in dieser Jahreszeit von fremden Wanderern provoziert wird. Man erwartet sich von mir, einem von Grund auf antizyklischen Menschen, die herkömmlichen Regeln der touristischen Saisonistik einzuhalten, und nicht, Hund und Herrl durch das Auftauchen außerhalb jeder Wandersaison zu irritieren. Besser also, ich fahre gar nicht erst weg. Achtens die Zeckengefahr. Welche Hilfe kriegt man im Falle eines erlittenen Zeckenbisses von der Landbevölkerung? Gar keine, denn die eine Hälfte befiehlt mir, den Zeck im Uhrzeigersinn herauszudrehen, die andere Hälfte das Gegenteil. Neuntens sind die Dörfer vor allem von Witwen über 65 bewohnt. Das ist genau die Community, mit der sich am allerschlechtesten über das kommende Champions League-Finale debattieren lässt. Zehntens sagt Laotse: Wenn Männer ihr Haus verlassen, liegt der nächste Krieg in der Luft. Ich fühle mich nicht angesprochen, aber sicher ist sicher. Elftens hat ausgerechnet dort, wo ich hin wollte, die Regionalbahn ihren Linienverkehr eingestellt. Zwölftens hasse ich die antihumanistische Unsitte, dass am Land den Kühen die Hörner abgeschnitten werden. Haben Sie schon erlebt, dass so etwas in Wien passiert? Dreizehntens muss man am Land immer mit dem plötzlichen und völlig unangekündigten Auftauchen von Bauernhäusern im Tirolerstil rechnen, selbst in der Parndorfer Heide. Aber gibt es unverdorbene Architektur in verdorbenen Provinzen? Vierzehntes die Kirchenglocken. Fünfzehntens die Bauernbundfunktionäre. Sechszehntens die Schwiegermütterwitze, die selbst von Scheibbser Entertainern im Zillertaler Dialekt gesprochen werden. Siebzehntens musst du erst recht wieder in die Stadt zurück, wenn die Zahnschmerzen unerträglich werden. Dann lieber gleich in Zahnarztnähe bleiben. Achzehntens der Jähzorn der Weinbauern, wenn du sie fragst, wie oft sie den Weingarten gespritzt haben, aus dem du dich bei der kulinarischen Wanderung bedient hast. Neunzehntens nie Huren in der Puszta. Zwanzigstens die Kriegerdenkmäler im Pathos von Siegerdenkmälern – und wehe, du nennst sie Verliererdenkmäler. Einundzwanzigstens die penetrante Durchpädagogisierung des Waldes («Das ist ein seltener Baum») bei gleichzeitigem Anwachsen von Wegeverboten («Forstarbeiten von 1. 4. 2018 bis 1. 4. 2021. Lebensgefahr!»). Zweiundzwanzigstens die fiese Hauptplatzlüge der kleinen Landstädte: durch Schanigärten, Gelateria, Kebabkiosk und ausgekellertem Oleander wird eine lebendige Gemeinde vorgespielt, aber schon in den vom Stadtplatz wegführenden Straßen kennen nur noch Zeitzeugen offene Geschäfte und hochgezogene Rollläden. Dreiundzwanzigstens ist der Hype der mittelalterlichen Pflastersteine die Hölle der Rollstuhlfahrer – aber vergönnt, denn was suchen die Krüppel in der Provinz? Vierundzwanzigstens könntest du am Land einen Nachbarn von der Schöpfwerksiedlung treffen, der sehr gern aufs Land geht, obwohl in der Siedlung selbst schon zu viel Land enthalten ist (wenn auch keine Obstbäume, weil diese die Bienen in die Siedlung locken würden, wo sie eine Gefahr für Stadtkinder darstellen. Daran sieht man, dass die Stadt gegenüber dem Land in einer defensiven Lage ist). Fünfundzwanzigstens erinnern die Lagerhäuser mit den jeweils angeschlossenen Raiffeisen-Silos an Zwangsarbeiterlager mit Wachttürmen, was durch die führende Tolle olivgrüner militärischer Wollsocken im Lagerhaussortiment unterstrichen wird. Der Nachteil der Stadt ist nur, dass das Land oft in die Stadt kommt, siehe Steirerfest am Heldenplatz oder Oktoberfest im Prater oder der Opernball oder Austria Wien gegen Mattersburg. Siehe auch Rustikaldekor auf den Karl Marx-Hof-Balkonen. Da möchte man im Ort Utopie sein, der weder Stadt noch Land ist.

DER DORFTROTTEL DER DEN DAUMEN ERFINDET

Kürzlich gründete der Dorftrottel die Däumlingsbewegung, er kam damit den VolksschullehrerInnen zuvor, die in der Regel immer die ersten sind, die die Provinz mit Innovationen überraschen. Danke, du Depp, für diese en tschi oh! Die en tschi oh macht alle froh. Die motorisierten Affen der Gegend stimmten dem Vorschlag zu, den Daumen nach oben zu akzeptieren. Mittels Daumenzeichen ist jeder Nichtmotorisierte berechtigt, Autos zu stoppen, wenn in diesen mindestens zwei Plätze frei sind. Entspricht die Fahrtrichtung den Zielwünschen der AutostopperIn, wird er oder sie von den AutofahrerInnen unentgeltlich mitgenommen. Zischt ein Fahrzeug, in dem nur der Lenker sitzt, vorbei an einem in die Straße ragenden Daumen, ist es vorbei mit seiner Reputation. Sein asoziales und klimafeindliches Verhalten wird die Runde machen, und wo immer er erscheint, kriegt er den anderen Daumen vors Gesicht, den Daumen nach unten. Die Sektion der AutostopperInnen im Däumlingsverein ehrt im Däumlingsjahresfest lernfähige motorisierte Affen, die aus Privatfahrzeugen Öffis schaffen. Anstelle der bettelnden Geste des Daumens wird von der darauf reagierenden Gesellschaft der Halbstundentakt eingeführt. In mir denkt nur noch der geheime Verführer zum Klugen, das im Grenzbereich von Wirklichkeit und Utopie haust. In mir denken ja auch sämtliche Opfer der Wohnungspolitik in phantasiereicher Weise. Die Erdgeschoßdemokratie ist so eine Idee, ich muss ihre Realisierungsqualität von kompetenteren Menschen untersuchen lassen. Die Erdgeschoßdemokratie als Verknüpfung zweier konkreter Utopien. A) Eine Gesetzesänderung zwingt jeden, der in der Stadt mehrstöckige Häuser baut, die Kellergeschoße, die Erdgeschoßzone und in gewissem Sinn den ersten Stock aus dem Wohnungs- und Büro-Markt herauszunehmen. Die Vielfalt der Nutzerinnen, die nur noch symbolische Mieten zahlen, machen die Stadt wieder lebendig – sowohl in den Stadterneu-erungsgebieten als auch in vernachlässigten Altstadtteilen. B) Die Bevölkerung der betreffenden Straße plus ev. die der Seitengassen erfasst nach einem festzulegenden Partizipations-Modus (Martina!) die Wünsche aus dem Grätzl: Was brauchen wir im Erdgeschoß? Wie und von wem sollen die Erdgeschoßzonen bespielt werden? Das Straßenkomitee, die Versammlung der BewohnerInnen, ist das Management des Wiener Gesamterdgeschosse mit der Kompetenz ausgestattet, die Auswahl der sich anbietenden BenutzerInnen durchzuführen. Das Komitee kann Verträge mit Nutzern auch rückgängig machen, wenn der Istzustand nicht mehr den ehemaligen Intentionen entspricht. Bis zur notwendigen Gesetzesänderung wird die Erdgeschoßdemokratie durch Vorreiter, d.h. durch freiwillige Vereinbarungen zw. Straßenkomitees und Hauseigentümern, antizipiert. Kellerräume und Erdgeschoße sind, zusammen mit den Plätzen, Gärten und Straßen, die neue Allmende der Stadt. Die Verluste, die das Immobilienkapital durch die Einverleibung dieser «niedrigen» Hausanteile in den Gesamt-Common bzw. durch den Wegfall des Erdgeschosses als Verwertungsfaktor erleidet, werden kompensiert durch eine Wertsteigerung des Grätzls, wenn die Urbanisierung gelingt. Eine solche Wohnraumpolitik ist nicht mit einer Enteignung privater Investoren gleichzusetzen, denn die Masse der Wohnungen wird keineswegs aus der Logik kapitalistischer Verwertung herausgebrochen; die sozialen Determinierungen, betreffend den 1. Stock, sind aus kapitalistischer Sicht genauso system-immanent wie heute der so genannte geförderte Wohnbau. Der Staat greift hier nicht mehr als heute in die Mietpreisgestaltung ein, sondern sorgt durch Wohnungssubventionen für das Ende der Delogierungen und der Wohnungslosigkeit. Niemand wird aus dem ersten Stock delogiert. Gemeindewohnanlagen, die parallel zum privaten Wohnbau errichtet werden, unterscheiden sich von diesem dadurch, dass die Regelung für den 1. Stock generell für alle übrigen Etagen bzw. Wohnflächen gilt. Für Erdgeschoß und Keller gilt auch im Gemeindebau die oben angeführte generelle Commons-Regel inkl. das demokratische Prozedere der Raumvergabe. Die Höhenlinien der Stadt : Das Haus ab 2. Stock aufwärts dem Wohnungsmarkt! Den 1. Stock denen, die die Marktpreise nicht zahlen können! Das Erdgeschoß der Demokratie! Der Keller der Anarchie!

KEIN CHEF HAT MICH AUSGEHALTEN

1959 schrieb Franz Jung («Das Trottelbuch») an seine Gefährtin Cläre: 
Ich gehöre nicht zu den Schriftstellern, die schreiben, was geschrieben werden soll, damals ebenso wie heute. Ich schreibe nicht aus einer Idee, einer Theorie und aus einer ‚Gemeinschaft‘ heraus, sondern nur aus mir selbst heraus, nur für mich, und in meinem Falle meistens gegen mich. Klingt ja alles sehr cool. Aber was immer ich für mich schreibe, soll auch geschrieben sein. Und außerhalb einer Gemeinschaft kann sowieso nichts geschrieben sein. Ich schreibe surrealistische Sätze, die wie Berichte über die Lage der Dinge klingen, und ich schreibe Presseaussendungen, die sich wie Traumcollagen gebärden. Der Erfolg einer Presseaussendung ist in seiner Knappheit und Klarheit angelegt; als ein im Grunde barocker Mensch sind für mich Werte wie Knappheit oder Klarheit protestantische Irrtümer. Ich weiß noch heute, wie ich mich unendlich anstrengte, dem Pressetext zu einem Vorfall im öffentlichen Raum die vermeintlich in der Kürze liegende Würze zu geben; dennoch geriet er ausführlich wie ein «Standard»Automarken-Testbericht: «Stört Fröhlichsein die öffentliche Ordnung? Sanktionen gegen einen beliebten Augustinverkäufer! Die Passantinnen und Passanten in der unteren Passage des Verkehrsknotenpunktes Schottentor / Universität sind durch die Bank verblüfft, wenn sie Osarienem Sunday, der hier seit 14 Jahren den Augustin verkauft, einen Blick auf eine aktuelle Strafverfügung werfen lässt. 200 Euro müsste der gebürtige Nigerianer – seit 2006 österreichischer Staatsbürger – bezahlen, ansonsten werde er im Polizeigefängnis landen. Die Strafe bezieht sich auf ein angeblich aggressives Verhalten des Augustinverkäufers am 24. August dieses Jahres (sprich 2016, Anm.). An diesem Tag, so erinnert sich Herr Sunday, sei er von sieben PolizistInnen, die sich eines äußerst gereizten Tonfalls befleißigten, kontrolliert worden. Die Frage des Verkäufers, ob diese Amtshandlung der Tatsache, dass er ’black’ sei, zu verdanken sei, habe die uniformierten Beamten noch wilder gemacht. Laut ihrer Sachverhaltsdarstellung habe Herr Sunday die öffentliche Ordnung gestört, den öffentlichen Anstand verletzt uns öffentliches Ärgernis erregt. Der Augustin hat inzwischen einen Rechtsanwalt eingeschaltet. ’Ich zahle jedenfalls keinen Cent, denn nichts von dem stimmt, was mir hier vorgeworfen wird’, bleibt Sunday kämpferisch. Einer der Vorwürfe lautet, Sunday habe sich so platziert, dass PassantInnen ‘ausweichen mussten‘. Sundays Fall ist Gesprächstoff in der Schottgentorpassage. Spontane Unterschriftenaktionen zur Solidarität mit dem Straßenzeitungskolporteur, initiiert von Stammkundinnen und -kunden, sind im Gange. Der gemeinsame Nenner der Mails an den Augustin: Man könne sich die Passage ohne den immer fröhlichen Mister Sunday nicht mehr vorstellen. Sunday ist nicht nur sympathisch, freundlich und zuvorkommend, sondern zaubert jedem vorbeigehenden Passanten täglich ein morgendliches Lächeln ins Gesicht‘, heißt es etwa im Statement Paul Schmidts, Generalsekretär der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Osarienem Sunday nimmt am Montag, 28. November, neben dem Polizeijuristen und Stadthauptmann Michael Lepuschitz, der Standard-Redakteurin Petra Stuiber, der Bettellobby-Aktivistin Annika Rauchberger und der Augustin-Redakteurin Lisa Bolyos an einer Diskussion zum Thema Obdachlosigkeit, Justiz und Polizei im Bezirksgericht Meidling teil.» Die Veranstaltungen soll von unseren Leuten gut über die Bühne gebracht worden sein. Die Länge des Pressetextes spielte dann keine Rolle mehr. Erinnerung an einen Kärntner Augustin-Verkäufer. Norbert Gaggl war einer der wenigen Vertreter des Dandyismus unter den Augustinkörpern. Der sportliche Corpus korrespondierte mit der eleganten Kleidung, zu der immer gebügelte Hemden und gelegentlich ein Nadelstreifanzug gehörten. Den Gesamteindruck störte nur die Nase, aber man hätte auch sagen können, auf ihr hatte die Sportleidenschaft Spuren hinterlassen. Norbert war nämlich unter anderem Boxer. 75jährig starb er an Bauchspeicheldrüsenkrebs und Leberzirrhose. Der aus Salzburg stammende Augustinverkäufer Gernot Holzinger erzählt: «Über die Qualität der familiären Verhältnisse möchte ich mich nicht äußern, ich bitte um Verständnis. Es gibt wohl kaum einen, der eine längere Liste von verschiedenartigsten Jobs vorweisen kann, als ich. Die Liste wird so um die 30 Arbeitgeber enthalten. Warum die Liste so lang ist, hängt mit meiner frühen Umwandlung zusammen: vom Gesellschaftstrinker zum Spiegeltrinker. Ich hab keinen Chef ausgehalten, und kein Chef hat mich ausgehalten, und auch wenn ich nichts getrunken hätte, so wäre ich doch aus vielen Arbeitsbeziehungen geflüchtet. Ich besitze nämlich die Eigenschaft, mich nicht unterordnen zu können.»

EIN COOLSCHRANKKONZERN ERPRESST LIENZ

Wie Konzerne in Städte eindringen, zeigte ein Vorfall in Lienz, der Hauptstadt Osstirols. Nachdem sie mein Buch «Wie bleibt der Rand am Rand» gelesen hatte, lud mich die Leiterin des dortigen Kulturzentrums nach Lienz ein; ein «widerständischer Journalist vom Augustin», so hieß es im Flyer, wird über die Armut reden, und zwar anderes als das, was man von Politiker_innen zur Armutsbekämpfung erfährt. Diese Veranstaltung war gleichzeitig als Startschuss für die erste Osttiroler Selbsthilfegruppe gedacht. Als «widerständisch» war ich also angekündigt worden, und ich wollte die Erwartungen nicht enttäuschen. Es ging also darum, Osttiroler Tabus berühren. Ich bereitete einen Vortrag über die Lienzer Niederlassung des Liebherr-Konzerns vor. Ca. 1300 Werktätige sind hier in der Kühlschrankproduktion beschäftigt. Wer über die Armut redet, muss über den Reichtum reden., so hätte ich meinen Vortrag begonnen. In Lienz über den Reichtum zu reden, heißt, über die Firma Liebherr zu reden, der hier weiße Schränke baut, einer cooler als der andere. Ich sei mir bewusst, hätte ich hinzugefügt, dass ich damit vielleicht in einige Fettnäpfchen trete. In Rostock hat Liebherr eine 30 Millionen Euro EU-Hilfe kassiert, obwohl er im selben Jahr 500 Millionen Gewinn nach Steuern machte. Ich konnte nichts genaues über die Summen finden, mit denen Liebherr vom Land Tirol oder vom Staat nach Lienz gelockt wurde, hätte ich gesagt. Ich konnte aber herausfinden, dass Liebherr, als er einmal sein Werk in Lienz vergrößern wollte, mit einem Wink den Gemeinderat veranlasste, die Flächenwidmung so zu ändern, dass die Ausdehnung «legal» durchgeführt werden konnte. Die Stadt habe also, hätte ich gesagt, ihre Raumordnungskompetenz an einen Privatunternehmer abgegeben. Unter Liebherr stellt man sich landläufig nur Fabriken für Kühlsysteme, Kräne oder Hydraulikbagger vor. Nein, die Sparte Liebherr-Aerospace stellt Bestandteile in Kampfflugzeugen, Militärtransportern und militärischen Hubschraubern her. Von 2011 bis 2012 ist der Umsatz der Sparte Aerospace um 13 Prozent gewachsen – mehr als alle anderen Sparten. Liebherr kann Betriebe sperren und dort ansiedeln, wo die Regierung freundlich zu ihm ist. Derzeit produziert Liebherr, hätte ich betont, an 29 Standorten in 15 Ländern auf vier Kontinenten. Ich hätte dann erwähnt, dass die so genannten Gewerkschafter einen Beitrag leisteten, dass das Vermögen der Firma auf 5,4 Milliarden explodieren konnte. Was ist das für eine Gewerkschaft, die bei Liebherr in Lienz die Verwandlung von 1100 Vollzeitarbeitern in Kurzzeitarbeiter enthusiastisch begrüßte? Die Gewerkschafter, hätte ich gesagt, sind dem Krisengerede auf den Leim gegangen und haben ernsthaft geglaubt, die Alternative zur Kurzarbeit sei die Schließung des Werkes. Aber sie müssten doch besser wissen als ich, kleiner Redakteur einer Straßenzeitung, dass es für Liebherr keine Krise gibt, hätte ich augenzwinkernd gesagt. Irgendwann wäre in meinem Beitrag das Wort Erpressung vorgekommen. Als Weltkonzern besitzt Liebherr eine eigene Flugzeugflotte. Doch diese Business-Maschinen sind zu groß, um auf dem bestehenden Sportflughafen Lienz landen zu dürfen. Ökologisch ist eine Anpassung des Flugplatzes an die Bedürfnisse eines einzigen Konzerns der helle Wahnsinn. Doch Liebherr hat eine hervorragende Lobbyistin, um diesen Wahnsinn zu realisieren: die Lienzer Bürgermeisterin. Wir müssen uns die Kühlschrankfirma warm halten, erklärt sie ihrem Volk durch ein unfreiwillig gelungenes Wortspiel. Sie habe nämlich gehört, Liebherr werde die Forschung und Entwicklung für den Kühlschranksektor in Lienz konzentrieren. Dafür brauche die Firma aber optimale Verkehrsverbindungen. Es komme darauf an, wie schnell man in München ist. Unter den aktuellen Wettbewerbsbedingungen sei die dreistündige Autobahnverbindung Lienz-München (übrigens nur bei dauernder Missachtung des Tempolimits machbar) ein Witz. Mit dem Flieger wäre ein Liebherr-Manager in einer halben Stunde in München. Die Botschaft ist klar, die Liebherr aus dem abgerichteten Munde der Stadtchefin verkündet: Wir können die Scheiß Kühlschränke auch in Malaysien oder Bulgarien bauen; wir sind nicht zum Segelfliegen ins schöne Osttirol gekommen. So hätte ich geredet. Aber ich habe schließlich im Bildungshaus Lienz ein ganz anderes Referat gehalten. Der Name Liebherr kam darin kein einziges mal vor. Darum hatte mich die sympathische Leiterin dieser Erwachsenenbildungs-Institution dringend gebeten, als wir uns einen Tag vor der Veranstaltung zur Vorbereitung trafen. Das Bildungshaus werde nämlich von der Firma Liebherr gesponsert, und wenn ich hier Konzernkritik betriebe, gäbe es das Bildungshaus bzw. sie als Leiterin desselben nicht mehr. Ich kam ihr entgegen und entwarf am Tag der Veranstaltung rasch ein vollkommen neues Referat. Innerlich kochte es in mir. So leicht macht man sich mitschuldig an der Erpressung einer Gemeinde durch einen Weltkonzern.

WIE VIELE TRÄNENSÄCKE HAT DAS GOTTESAUGE?

Er könne sich noch gut an das Gelächter erinnern, dass in einer kleinen Gesellschaft in einer Belgrader Privatwohnung ausbrach, als einer – es war 2008 – über die «neue, drohende Krise» zu sprechen begann. «Warte», unterbrach ihn einer. «Kannst du mir auf die Sprünge helfen? Kannst du mir sagen, wann genau die letzte denn geendet hätte?» Der Schriftsteller Vladimir Arsenijevic, der für den Katalog der Kunstraum-NÖ-Ausstellung «Crise as Ideolgy!» um einen persönlichen Kommentar zur Krise gebeten wurde, hatte den Nagel am Kopf getroffen. Dabei, fügte er hinzu, liegt Belgrad nicht gerade am sozialen Rand der Welt. An den wirklichen Rändern leben die Menschen nie in der Krise, und zwar deswegen, weil sie immer schon, seit ihrer Geburt, nichts als Krise kennen, und weil ihnen seit ihrer Geburt trinkbares Wasser fehlt. So gesehen, meint Arsenijevic, zähle die Idee der Krise zu den ausgeklügeltsten Listen der Neoliberalen. Ganz selten, ich gebe es zu, greife ich einen der Bände von «Naturgemäß» aus dem Regal. Marianne Fritz wird mir immer rätselhafter, denke ich, während das Regal sichtlich dankbar ist, weil ich es entlaste. Aber dieser Satz ist nicht möglich, weil die Steigerung nicht möglich ist. Ich riskiere also wieder einen Köpfler in das Werk und bin sofort in der Untiefe (nicht das Gegenteil von Tiefe, sondern seltsamerweise eine besonders tiefe Tiefe) ihrer Sätze und Wörter gefangen. Da höre ich von den himmelschreiend verkehrt fließenden Gewässern des Landes und von aufrechtgehenden Flussläufen, von der tödlichen Verfeindungswirrsalknäuel-vermehrung, von Erregungswellen des Schmerzes, die sich im Laufe der Jahrhunderte schlaufenweise verkurvt haben – sodass nur noch eines hilft, nämlich schleifen. Da höre ich die Namen sämtlicher Kreishauptmänner, nur vier habe ich mir gemerkt: Einwinden von Schwanleber, Aug von Aufschlag, Schaum und Vordergrund. Da höre ich, dass ein ziemlich dummer Vorarbeiter, des Schreibens nicht mächtig, von der Tochter aus privilegierter Familie gefragt wird: Wieviele Tränensäcke hat das Gottesauge? Der Vorarbeiter weiß nicht einmal, dass Gott Tränensäcke hat. Der Lehrberuf des Vorarbeiters ist Maulwurfshügelvernachlässiger. Offfensichtlich vernachlässigte er die Maulwurfshügel so wenig, dass er entlassen wurde. Weil er kein Vernachlässiger war, verließ er nie den Ort seines Nachlasses, und als er starb, machte er dieses zum Anlass, seinen Nachlass blablabla. Als nachhaltig entpuppte sich die Aktionsradius-Themenreihe über die Subjektivität der Tiere, über die Überheblichkeit der Menschen, über die neue Studienrichtung Human Animal Studies. Plötzlich fällt mir alles auf, was auch nur entfernt an ein revolutioniertes Mensch-Tier-Arrangement erinnert. Z.B. in Kapielskis Buch «Sozialmanierismus» vom Merve Verlag: Möglich, dass die Tiere reden könnten, wenn sie bloß wollten, es aber nicht tun aus Angst, sie müssten dann in die Schule gehen und arbeiten und dann auch arbeitslos werden, was ihnen den einst naturwüchsigen Müßiggang mit Langeweile und existenziellem Überdruss vergällen würde. Also ist es klug, dass sie sich doof stellen. Riki verträgt nicht, wenn ich schon in aller früh «derb wie die Augustinverkäufer » rede. Wenn sie Dienst habe, werde sie zugedröhnt mit diesen Ausdrücken, und wenigstens zuhause wolle sie frei von Oasch, Beidl, Fut und Scheiße sein. Aktuellster Konflikt: Als Riki aufwachte, gab ich ihr sofort ein Rätsel auf: Welches Ding bedeckt mittels dreier Löcher drei andere Löcher? Siehst du nicht, dass ich noch schlafe, sagte sie. Ich: «Weil du auch in hellwachem Zustand vergeblich grübeln wirst, sage ich dir´s gleich. Das Damenhöschen.» «Das versteh ich nicht.» «Nehmen wir dein Höschen zum Beispiel. Es besteht aus 3 Löchern: ein großes für den Rumpf und zwei kleinere für die Beine. Und bei den drei Löchern, die die Hose bedeckt, handelt es sich um das Oaschloch, das Brunzloch und das Futloch.» Verständlicher kam man das wohl nicht ausdrücken. Aber ich bin empathisch und wechsle von dieser ordinären Sprache in die aus alten Rätselschmökern überlieferte lieblich-romantische: EIN HÖSCHEN BRAUCHT DER LÖCHER DREI, UM DREIE ZU BEDECKEN. Mein Freund Friedl Preisl, Erfinder des Internationalen Akkordeonfestivals, bereitet sein 70. Geburtstagsfest vor und will, dass ich – wie schon zu seinem 60. Geburtstag – die Laudatio mach. Vielleicht komme ich auf das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien zurück, das Friedl vom Kulturstadtrat Mailath-Prohaska (so werde ich seinen Namen verhunzen) anno 2010 überreicht wurde. Ich werde diesen Preis verunglimpfen. Denn was ist heutzutage Gold gegen die SELTENEN ERDEN? Maestro Preisl hat den Preis in seltenen Erden verdient – zumal Gold heutzutage jeder und jede kriegt. Ich werde ihm einen großen Sack Blumenerde überreichen, vom Supermarkt.

SIEBENSCHLÄFERFURZ

Bis dato dachte ich, beim «kampfmäßigen Schießen mit Faustfeuerwaffen» handle es sich um einen Sport, an einen mir unheimlichen und unsympathischen Sport. Siegfried F. Hübner, Verfasser das Anfänger_innen-Kurses «Der erste Treffer zählt», lehrt mich das Gegenteil. Es geht um angewandte Mörderei. Beim Schießen auf einen bewaffneten Gegner, bei dem es um Leben und Tod geht, wird auf die verwundbarsten Körperteile des Gegners, die sich in Körpermitte befinden, geschossen. Gezielt wird in die Gegend etwa eine bis zwei Handbreit über dem Nabel, wo sich das vegetative Nervensystem solar plexis befindet. Als Zielobjekt befinde ich mich gegenüber Schützen, die in allen möglichen Haltungen (aus dem Lehrbuch) auf mich zielen können» – sitzend, stehend, liegend. Wenn ich mir aussuchen darf, woran ich sterbe: bittschen durch eine aus sportlicher Schießhaltung abgefeuerte Kugel. Ich ertrage die Sätze dieses kriegerischen Lehrbuchs nur, weil in meinem Gehirn eine Art Mischmaschine bereit seht, aus der diese Sätze in nicht wieder erkennbarer Form in die Scheibtruhen fallen, die die Wörter in die Welt verbreiten. PISTOLEROS TRINKEN FAUST-FEUER-WASSER, DAS IST DIE FAUSTREGEL. WENN FAUST VON GOETHE IST, IST FÄUSTLING VON R.S. IN DEN FAVELAS IST FAUST RECHT UNBEKANNT. WER AUF EIGENE FAUST HANDELT, SPÜRT FAST DIE FAUST ÜBER DEN WIPFELN. GIB RUH, DU EISERNE FAUST. GIBT ES REVOLUTIONÄRE UND KONTRAREVOLUTIONÄRE REVOLVER? Duellieren kann sich jeder, aber Trielle? Darüber im Hübner–Lehrbuch kein Wort. Fest steht, als ob ich es nicht längst wüsste, dass ich «schneller schießen und besser treffen als ein Gegner» muss. Der Wille, den Gegner niederzukämpfen, um den Kampf lebend zu überstehen, muss dominieren. Wenn die Kugeln vorn aus dem Pistolenlauf heraustropfen, herrscht Reparaturbedarf. Schon einmal aus dem Satzmaterial von Texten 13 verschiedener deutschsprachigen Literaten einen eigenständig wirkenden Text gemacht? am kilometer null der empörung / verlässt du dich auf die angst / o du fenster der liebe in nie gesehene länder / du bist nicht das tor zu irgendwas / auch die sonne sieht nicht mehr als / plasmaschweif, staubschweif / das zimmer ist das ziel / im saum der wolldecke / wird jeder siebenschläferfurz registriert / zieht die vorhänge vor / ein engel allerliebst/ kam als wimpernschlag / abrutschender laken / ein leichtes zittern / engel engel lass mich sterben.» Die beliebtesten Stücke vom Mann in der Menschenfleischhandlung zur Zeit der Aufhebung der Kannibalismus-Prohibition: Gemächtlgelächter (Hoden), Rossauerlende, Waschbretzl (Brustfleisch), Schenkelkrämpfli (Wadelfleisch), Unfleisch (50:50-Gemisch aus Niere und Leber), Pulsschnitzerl (Herzbereich), Betonierer (Delta-Muskel) und Suttnweiches (Wangenfleisch). Eine der größten Aha-Erlebnisse meines Lebens: Ein Kooperator wirft mir vor, dass ich «mit NLP agiere, nur um eigene Fehler nicht eingestehen zu müssen». Es geht um Organisations- und Hierarchiefragen im Institut ohne direkte Eigenschaften. Komisch, ich weiß nicht einmal, was NLP ist. Der Gekreuzigte ist auf einem Cranach-Bild gut bestückt. Das Bild wurde zum Ausgangspunkt eines sich automatisch – mithilfe meiner Hand und eines Kugelschreibers, dessen Spitze ich gegen ein weißes Blatt Papier drückte – entfaltenden Gedichts. Ich ließ die Kugelschreiberhand fließen, und ohne meinen Kopf einzuschalten, kugelten die Wahnsinnsknödeln aus meiner Kopfkugel. Um mich dafür bloß in Maßen schämen zu müssen, zitiere ich nur bestimmte Traumauszüge: der gekreuzigte christus ist nirgends mehr mensch als / auf den cranach-bildern. noch kann er den kopf / bewegen und seinen blick abwärts / gleiten lassen / der fasziniert und gleichzeitig angeekelt / die windeln des zu exekutierenden / hafteten nicht wie ein gummizug rund um seinen geschundenen bauch / erigiert wie ein heidenschwanz / hielt der heilige schaft den schleier der peinlichkeit / in nabelhöhe oben offen / und drei tage lang fuhr die bora durch diese Lücke / wo sie die Schamhaare knickte / und all das beobachtete der Gekreuzigte mit gesenktem Kopf / er hatte sein Ding noch nie so prall gesehen aufrecht wie eine Kerze / gab sich das Geschlecht der totalen Sichtbarkeit hin / christus staunte staunte zum quadrate / er wusste wo es lang geht und kannte also die kürzesten wege zum weltruhm / die er selbstverständlich nicht ging / derweilen MORDS GAUDI IN MORDAMERIKA. In meinem Paradies nennt man Gutmenschen Gutturale. Gauner Sprachen nennt man jene Dialekte, die im entsprechenden Gau gesprochen werden. Weil wir alle aus irgendeinem Gau kommen, sprechen wir alle Gauner Sprachen.

BITTE «HENKER» NICHT GENDERN!

JE NILEK DESTO JEWSKY. Traktat über Dinge und Sachen. Wieviele Dinge oder Sachen (die beiden Begriffe haben hier die Rolle von Synonymen) es auf der Welt gibt, weiß niemand. Da auch ein Wespenei im Sumpftümpel der Lena-Mündung ein Ding oder eine Sache ist, ist ihre Anzahl nicht von ihrer Nähe zum Menschen abhängig, der zudem auch eine Sache oder ein Ding ist, freilich ein ganz besonderes: Der Mensch ist eine Sache, die Sachen zu zählen geneigt ist. In der freien Natur kommen und gehen die Dinge wie sie kommen und gehen. In der Stadt gehen weniger Dinge verloren als bei den Bauern. Zusammen mit dem Ahnl-Ausgedinge haben die Bauern vor 3000 Jahren auch das Ausgedinge der Dinge erfunden. Ab dem neunzehnten Jahrhundert wird es Heimatmuseum genannt, eine Sammlung einst nützlicher Dinge, die heute viel oder alles von ihrer Nützlichkeit eingebüßt haben, allerdings aus strukturellen Gründen, und nicht weil es boshafte Dinge gäbe. Die boshaftesten sind nach wie vor die Menschen, vielleicht ist ihnen grade deshalb ihre Dinghaftigkeit abgesprochen worden. Aller dings! Dingsbums ist eine sexualisierte Handhabung der Dinge durch Inge und andere Menschen. Ein Dingsbums ist allerdings nicht per se schlechterdings, eher kann man von einer Sachdienlichkeit dieses feuchten Sachwerks sächseln. Die Dinge oder Sachen sind es nie, die schlecht sind. Gesetzt den Fall, dass Gott eine Person ist, wie die meisten Gottesgläubigen glauben, sind alle Dinge von Menschen gemacht, ob sie sich Dingschöpfer oder Sachbewahrer nennen. Das Plumpud-Ding kommt nicht, wie der Name suggeriert, von Plumpud, sondern direkt von den frühen Menschen. Ähnlich wie Vanille-pud-Dinge sind Plumpud-Dinge Schöpfungen der ... dingsda ... Menschen! Einer davon heißt Ettore Guatelli, italienischer Dinge-Sammler. Jedes Ding ist eine Sache, die sachgerecht gelagert werden muss, auch wenn es sich um das Ausgedinge handelt. Nicht sachgerecht Gelagertes wird, wenn es nicht entsorgt wird, zum Unding, und unsachlich wird genannt, was keine Sachen enthält, nicht einmal ein Unding. «Kasachen» sind im bayrisch-österreichischen Dialekt «keine Sachen». Wie zuvor die Ursachsen sind auch die Ursachen ausgestorben, und ihre haptischen Nachfolger, die analogen Sachen, kämpfen ebenfalls ums Überleben. Selbst die Hauptsachen und die Wertsachen verloren ihren sachdienlichen Schutz. Man sollte das Thema endlich zur Chefsache erklären! Gespräch zwischen freiem Mitarbeiter und Redaktionsvertreter: «Bitte `Henker` n i c h t gendern!» «Hab ich nicht vorgehabt.» Intuition, Bauchgefühl und Sechster Sinn sind durchaus zuverlässige geistige Instanzen. Sie sollten als Richtschnur des Handelns akzeptiert werden. Bauchentscheidungen können die raffiniertesten Denk- und Computerstrategien in den Schatten stellen. Automatisches Schreiben führt stets zu Nonsens, kann nichtsdestotrotz manchmal unterhaltend sein. Konsens ist Nonsens – ist dieser Reim schon in der Literatur verwendet worden? Oder diese Stabreime: Der samstägige Samenerguss der Samariter (Damenerguss nach dem Gewitter) ist ein Rätsel. Der Sammelleidenschaft der Samen-Schamanen ist es zu verdanken, dass in der Polarkries-Samenbak auch Samen der SambesierInnen und Samurais gesammelt werden. Sämtliche Samurais kommen nur an einem bestimmtem Samstag zusammen; die Sammlungsbewegung heißt «Sandinismus des Ostens«. Wie sägt man mit geringen Anschaffungskosten den Ast ab, auf dem niemand sitzt? Das deutsche Wort für die schwedische Stadt Uppsala heißt Hoppsala. Uppsala, ich bin gestrauchelt. Zur Gründung einer erfolgversprechenden Religion braucht man drei Dinge: ein Holzkreuz, fünf Hunderter-Nägel und einen Hammer. Das Perinetkeller-Leitmotiv «Kunst und Revolution» tritt den Künstlerinnen und Künstlern, die sich für Auftritte bewerben, keineswegs als dogmatischer Imperativ entgegen, so, als müsse das angebotene Projekt, um als kellerreif oder als kellerwürdig zu gelten, eine deklarierte Symbiose von Kunstschaffen und politischem Engagement sein. Mir fiel in diesem Zusammenhang auf, dass besagtes Axiom auch von KünstlerInnnen ohne großartigem politischen Anspruch quasi wie eine selbstverständliche Direktive ungefragt akzeptiert wird. Bestätigt das nicht die These, dass im Kunstfeld in den letzten Jahren allgemein eine Rückkehr zum Politischen stattfindet? Selbst die des revolutionären Engagements unverdächtige art bemerkt eine «Wiederentdeckung politischer Kunst». Und wirklich: Kaum eine größere Ausstellung kommt heute ohne eine «kritische» oder «realistische» oder auch provozierende Kunst aus. Andererseits ist politisches Handeln von unten – Beispiel: die F13-Vernetzung, die sich jeden Freitag den Dreizehnten bemerkbar macht – oft eine kreative Kleinkunst-Inszenierung. Bei genauerer Betrachtung muss aber auch der Trend auffallen, dass der durchkapitalisierte globale Kunstbetrieb am laufenden Band Ritterschläge für ganz, ganz kritische Kunstschaffende austeilt, ob diese sie wollen oder nicht.

3 GOSCHEN PRO QUADRATMETER – UND DENNOCH STILLE

Jean Jaurés, der unkorrumpierbare französische ArbeiterInnenführer, nimmt ein Defizit der urbanen Lebensweise wahr. 1910 schreibt er: «Ich erinnere mich, es ist schon 30 Jahre her, dass ich blutjunger Mensch an einem Winterabend eine Art sozialer Erschütterung erlebte. Ich wurde tief davon betroffen, dass Tausende und abermals Tausende von Leuten einander begegneten, ohne jegliches Zeichen eines Grußes.» Selbst im überschaubaren Reykjavik, wo man in den Straßen unter zehn PassantInnen mindestens zwei Bekannte trifft, erschreckt der hohe Grad von Distanz gegenüber den Anderen; Jon Gnarr von der «Besten Partei», eine Periode lang Bürgermeister der isländischen Hauptstadt, hatte ein Gespür für das unbewusste Leiden der Stadtbevölkerung am nebeneinander-her-Leben und führte den Guten Tag!-Tag in den hauptstädtischen Kalender ein. Wenn man einmal einen Wildfremden auf der Straße begrüßt hat, weil es sich am Guten Tag-Tag gehört, ist möglicherweise der Impuls groß, dasselbe auch außerhalb dieses Tages zu tun; auf den unvermutet Begrüßten lastet die sanfte Pflicht, zurückzugrüßen, und schon kann man eine Dynamik der Aufmerksamkeit erreichen, die eine Stimmungsänderung in einer Stadt einleiten kann. Gnarr hat darüber bei seinem letzten Wien-Besuch berichtet. Auf Wien übertragen, wo die Doppelt-Begrüßung oder Doppelt-Verabschiedung (seawas griasdi, pfiati tschau, tag hallo, tschüssi pfiati etc.) in die Regelumgangssprache eingegangen ist, müsste man den Tag des dreifachen Grußes einführen (hallo du, seawas, waunsinn; oder baba, pfiati, foi ned; oder ciao, baba, brav bleim). Oder in einem anderen Sinn dreifach: Guten Tag, dober dan, merhaba. Ich könnte mir den Augustin als Träger dieser Kampagne vorstellen; er bräuchte natürlich viele Unterstützer. Die Kommunikationsfeindlichkeit und das verallgemeinerbare Cocooning der Nachbar_innen in europäischen Städten, aber besonders in Wien, ist angreifbar und vielleicht mittelfristig revidierbar. Es gibt immer wieder Momente, in denen man eine mögliche Zukunft der parlierenden Achtsamkeit aufblitzen sieht wie neulich in dem havarierten Zug in der dunklen Röhre zwischen Wien und St. Pölten, wo Fremde zu einander wahrnehmenden, einander in die Augen blickenden, einander zulächelnden, einander sogar ganze Sätze schenkenden Mitmenschen wurden, und das umso mehr, je länger die Waggons im Tunnel steckten. Drei Stunden taten sie das schlussendlich, und trotz dieses Ausgesetztseins verhielten sich die Menschen so, wie sie sich immer verhalten müssten – so, dass mein serbischer Freund keinen Anlass gehabt hätte, sich zu wundern wie am Tag, als er zum ersten mal in einer Wiener Straßenbahn fuhr, die voller Menschen war. Er wunderte sich, dass rein physikalisch soviel Schweigen möglich war in einer Situation der Überfülltheit (durchschnittlich 3 Goschen pro Quadratmeter), dass diese Fülle derart still war, als wäre sie zum Begräbnis des letzten echten Wieners unterwegs; was mein serbischer Freund nicht wissen konnte, ist der Wiener Brauch, dass es ausgerechnet zur «schönen Leich» jede Menge zu besprechen gilt und dass es beim Leichenschmaus ebenso laut werden kann wie bei einem südserbischen Hochzeitsfest. Ein Guten Tag!-Tag in Wien kann auch in die Hose gehen. Das merkte ich, als gestern beim Würstelstand am Reumannplatz jemand neu Hinzugekommener zurechtgewiesen wurde, nachdem er die Stammrunde mit einem sehr vertraut klingenden hallo! begrüßt hatte. Einer, der solche von Unbekannten gepflogenen Distanzlosigkeiten offensichtlich überhaupt nicht liebt, erwiderte den Gruß: Hallo gibt´s net. Der Hallo ist g´sturbn und liegt im Zenträu neben dem Heast. Laut dem Linzer Meinungsforschungsinstituts Spectra kann das allerdings nicht ganz stimmen. Hallo lebt, und zwar wie nie. 74 Prozent der österreichischen Bevölkerung benutzen es. Keinen Gruß hört man öfter als Hallo. Im Vormarsch ist wieder das konservative Grüß Gott. Van der Bellen hat diesen Gruß im Wahlkampf, bei Besuchen von Kirtagen oder Erntedankfesten, bewusst eingesetzt – eine Manipulation, die ihm die knappe Mehrheit brachte. An Provokation grenzt der Titel der Informationsbroschüre der katholischen Kirche zur Integration der Flüchtlinge: «Grüß Gott in Österreich». Die mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge sollen von Anfang an kapieren, dass sie in einem Land voller christlichen Traditionen sind; auch das ist eine Manipulation, denn der Gruß in Wien inzwischen so wenig mit dem christlichen Gott zu tun als Ausrufe wie Gottseidank oder Umgotteswillen. So gesehen ist das Grüß Gott-Verbot, wie es das Atheisten-Info fordert, kontraproduktiv. Wer am Guten Tag-Tag (in Rejklyavik ist es der 1. September) Grüß Gott sagt, wird von Seiten des Initiators Augustin mit keinerlei Sanktionen zu rechnen haben.

EINBRECHENDE STIEGEN & DIE TRÄNEN DER TRÄNENLOSEN

Eigentlich müssten wir unsere Lebensqualität daran messen, wie oft unsere Augen zum Leuchten kommen. Das Aufleuchten ist das Zeichnen einer großen Resonanz. Ich muss schwer nachdenken, bis ich Momente vor Augen habe, die möglicherweise Tränen aus einem sonst tränenlosen, zum Weinen unfähigen Körper pressten. Der erste dieser Momente war das plötzliche Auftauchen eines jungen Mannes mit Down-Syndrom auf dem Tanzboden eines Südostkärntner Feuerwehrfestes. Der Mann tanzte die ganze Zeit allein, seine Choreografie entfaltete sich in der ganzen Weite und Tiefe der Tanzfläche, auf die sich niemand traute – vielleicht in der Ahnung, dass jeder andere Tänzer (aber nicht die Tänzerinnen) neben dem «Mongoloiden», wie die Dörfler heute noch sagen, sehr hölzern und sehr akademisch gewirkt hätte. Der Mann stahl jedenfalls den geklonten Zillertalklonen die Show, was mir Freude bereitete, denn so wurde die Zusammenschmelzung des Publikums mittels Frauen-sind-doof-besonders-die-Schwiegermütter-Folklore, derentwegen das Bierzelt überhaupt erst erfunden wurde, verhindert. Zum zweiten Mal spürte ich das Gefühl, ich sei den Tränen nahe, als unsere Gruppe den Perinet-Keller eröffnete: den Keller, in dem die Wiener Aktionisten die Sau ausgelassen hatten. Meine Ergriffenheit betraf nicht den Keller und dessen Mythos, sondern den Platz, auf dem wir die Prozession anführten, um – begleitet mit Musikern und Performern – den Keller ums Eck anzusteuern. Der Platz war eine einzige surrealistische Zone der verblüffenden Kunst; nicht so sehr diese Szene als ganzes berührte mich, sondern dass plötzlich ein paar Fenster in der Erdgeschoßhöhe aufgingen, aus denen Musik in den Platz strömte, zur Überraschung der ohnehin schon Staunenden. Eigentlich galt die – unterdrückte oder nicht mehr zu unterdrückende – Träne, ich weiß es nicht mehr, mir selbst, denn ich war glücklich, dass unser Plan so aufgegangen war. Aus einem Internet-Forum: Darf ein Mann, von Gefühlen überrannt, Tränen in den Augen haben ­­– oder ist das ein absolutes No-go? Rasches Feedback: Ich finde einen Mann dann interessant, wenn er eine ganze Bandbreite an Emotionen zulässt. Der Perinetkeller feierte am 5.5. den 200. Geburtstag von Karl Marx. Es gab zwar in einigen digitalen und analogen Medien verstärkt Beiträge über Marx, aber Veranstaltungen kaum: einer der Gründe, warum der Keller in dieser Nacht gestürmt wurde. Etwa hundert wollten rein, also e i n Prozent der geschätzten 10.000 mit der Marxschen Idee des Klassenkampfs infizierten und tatsächlich gegen die herrschende Klasse Hand anlegenden BewohnerInnen Wiens; 20 kapitulierten vor dem Gedränge und verschwanden. Rund 20 AutorInnen und KünstlerInnen setzten sich in Ironiegraden von Null bis Hundert mit Marx und seinem Erbe auseinander. Falls einmal die Nachwelt nachfragen sollte, wer sich für die Geburtstagsfete zur Verfügung stellte: Maren Rahmann (las den Marx-Text über das Verbrechen und einen Bakunin-Text über Marxens Staatsgläubigkeit; Daniel Böswirth (Dialog zwischen Karl Marx und Karl May); Victor Halb (Kurzvideo über den Karl Marx-Hof und Vortrag über die Unmöglichkeit, das Geld abzuschaffen); das Erste linksradikale Papiertheater auf der ganzen Welt (Über Marxens negative Haltung zur Faulheit und zum Müßiggang); Peter Friedl (las aus seinen Kindheitserinnerungen aus Kapfenberg, wo die Sozialdemokratie mächtig war und doch keinen neuen Menschen formte); Ilse Grusch (las mein Kapitel 55 in diesem Band); das Projekt Theater Fleischerei (mit einem Ausschnitt aus seiner Produktion «Flüchtlingsgespräche» nach Bert Brecht); Mein Brecht breitet sich bloß auf einer Länge von 1,10 Metern auf meinem Bücherregal aus. Ich kenne ihn so wenig wie den Inhalt der untersten und obersten Schublade des Kastens in meiner «Kanzlei». Deshalb ist fast jedes Aufschlagen eines Brechtbuches mit einer Entdeckung verbunden: FREMDE FISCHER SAGTEN AUS: SIE SAHEN / ETWAS NAHEN, DAS VERSCHWAMM BEIM NAHEN / EINE INSEL? EIN VERKOMMNES FLOSS? / ETWAS FUHR, SCHIMMERND VOR MÖWENKOTEN / VOLL VON ALGE, WASSER, MOND UND TOTEN / STUMM UND DICK AUF DEN ERBLEICHTEN HIMMEL LOS. Unten ein Karton voller kaputter Kapuzen, ein Korb mit Kanonenkugeln unbekannter Kampfhandlungen mit einem kapitalen Kampfgewicht. Unter der Last des Publikums brach die Stiege in den Perinetkeller ein. Das Konstrukt eines anarchistischen Handwerkerkollektivs hatte ein halbes Jahr gehalten.

HEILIGE NACHT IM SCHTZNGRRMMM

Wie heißt der Wiener Volkshochschuldirektor, der so viele Bücher geschrieben hat wie alle anderen zusammen? Robert Streibel wirft jedes Jahr eines auf den Markt, und man fragt sich, wo er die Zeit für die Leitung seiner VHS Hietzing findet. «Flucht vor dem Tod» ist die Geschichte von Jaroslaw Hojdar, der nach einem Massenausbruch aus dem KZ Mauthausen die als «Hasenjagd» in die Geschichte eingegangene zivilgesellschaftliche Razzia gegen die «Verbrecher» überlebte. «Pilgers Paradies und Hölle» ist Streibels jüngster Gedichtband. «Plötzlich waren sie alle weg» widmet sich den Juden und Jüdinnen in der «Gauhauptstadt» Krems. «Sieben Schritte in den Raum» und «Weltgericht auf Besuch» sind ältere Lyrik-Bücher. Weitere Themen seiner Autoren- und Herausgeberschaft: der Februar 34 in Niederösterreich; der KZ-Häftling und Humorist Boris Brainin; Eugenie Schwarzwald und ihr Kreis. Die Auswahl aus dem Oeuvre eines Mannes, der ohne Bücherfüllen nicht leben kann, aber auch gerne über seine Bücher spricht, insbesondere über jene, die Staub aufzuwirbeln versprechen; wenn sich der Staub legt, steht mein Freund, der Volkshochschuldirektor, als antifaschistischer Hero der Region dar, der immer Überraschendes im Köcher hat; der (vom Körperwuchs her) kleine Streibel wird in dem Maß, in dem er regionalen Autoritäten als Entlarver ihrer Kooperation mit den Nazis, bzw. in dem er ertappten Verharmlosern ihrer Mittäterschaft auf die Zehen steigt, im metaphorischen Sinn größer und größer. Auch sein neuestes Buch (2018) wird zum «Politikum werden», wie Streibel hofft. Er wird eine in Roman-Form verkleidete Dokumentation der brutalen Enteignung der jüdischen Weinproduzentenfamilie Robitschek vorlegen. Die Winzergenossenschaft, Arisierungsgewinnerin, verweigert jegliche Wiedergutmachungsgeste. Sie wird durch die Herausgabe des Buches, dessen romanhafte Verbreitung nicht verhindert werden kann, schwer unter Druck geraten. Uschi Schreiber hatte mich gebeten, die Buchpräsentation in meine erinnerungspolitische Reihe in der Arenabar zu integrieren. Ich folgte dieser Idee auf Anhieb. Uschi verband diesen Auftrag aber auch mit der Erwartung, endlich ihr von Karl Heinz Domig entlehntes Versöhnungsmodell ins Spiel zu bringen. Sie mailte mir ein Interview mit Domig. Dieses drücke sehr gut aus, «welcher Fokus mir heute wichtig ist, wo ich aktuell stehe, bzw. wo ich mich hin entwickelt habe in meinem Leben und den Jahrzehnten der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Ich glaube, dass Aufdecken, Thematisieren und Sichtbarmachen des Unrechts der Geschichte gut ist und wichtig war; aber mir persönlich ist es mittlerweile immer wichtiger geworden, heute den Fokus auf Heilsamkeit zu legen, so wie Herr Domig sie beschreibt – und weniger zu beurteilen oder zu verurteilen und damit neue Gräben aufzureißen.» Das meine sie, wenn sie von „versöhnlichen Ansätzen“ spreche. In diesem Sinne fände sie es sehr schön, wenn der Aktionsradius, der sich immer intensiv mit der NS-Zeit auseinandergesetzt hat, in Zukunft auch neue Schritte im Sinne der Versöhnungsidee wage, hörte ich Uschi sprechen. Eine tiefe Unruhe entstand in mir. Ich weiß nicht, ob es ein mildernder Umstand ist, dass dieser Missbrauch der schönen Idee der Versöhnung etwas von Uschi Angelesenes war. Die schnellen Urteile sind von einem Schamanen vorformuliert worden, der für einen Vortrag zum Titel «Mit Respekt vergessen» von jedem Zuhörer 140 Euro verlangt, wie aus dem Veranstaltungsteil seiner homepage zu entnehmen ist. Kommerzieller Schamanismus gehört zu jenen Genres der Volkswirtschaft, die Zusatzgewinne dadurch erzielen, dass bei ihnen das Reklamationsrecht und unabhängige Kontrollinstanzen ausgeschaltet sind. Kein Bunkereibetreiber, der sein Gastronomieprojekt um ein riesiges Honorar «garantiert heilsam» ausräuchern ließ, wird dem betreffenden Schamanen je dafür verantwortlich machen, dass der ausgeräucherte Betrieb ein paar Jahre später zum Grab aller Hoffnungen, zur Hölle der Verzweiflung, zum Tatort des unternehmerischen Ausgebranntseins, zum Laboratorium des bürokratischen Schikanierens wurde. Sie sind ja tatsächlich nicht verantwortlich für die Katastrophen, die ihre Klienten erleiden. Mir graust vor der Vorstellung, eine Dramaturgie der Versöhnung mitzumachen mit dem «humanistischen» Ziel, Unmenschen zurück zu den Menschen zu holen. Ich erzählte Uschi die Geschichte vom ersten Kriegswinter in den Schützengräben von Flandern, Dezember 1914. Die englischen Soldaten hören aus den 60 Meter vor ihnen liegenden Schützengräben des Feindes deutsche Weihnachtslieder über die Fronten klingen. Die Engländer singen zurück. Bald trauen sich die Soldaten beider Seiten aus den Schützengräben heraus. Sie gehen aufeinander zu, bieten Zigaretten an, reden über ihre Frauen. 100.000 Soldaten sollen sich in dieser Heiligen Nacht verbrüdert haben. Die Generäle beider Seiten zerschlugen die Versöhnung. Versöhnung ist ein revolutionärer Gedanke.

SCHULPFLICHT & MILCHFREVEL

Soziale Disziplinierung ist die Austreibung revolutionärer Gedanken aus den Köpfen der Menschen, ist die Gesamtheit aller Methoden, die Menschen so zuzurichten, bis sie die gesellschaftlichen Normen verinnerlicht haben und für die Nutznießer und Betreiber des Ungerechtigkeits-Systems keine Gefahr mehr darstellen. Ich enttäusche etwaige Erwartungen, dass ich mir die totalen Institutionen wie Psychiatrien, Gefängnisse, Erziehungsheime, Kasernen oder Schulen der autoritären Gattung als Täter in Angelegenheit der sozialen Kontrolle vornehmen würde. Die Aufgezählten sind in der Tat Orte der Normierung, der Gleichschaltung, der Anpassung, ohne die die Zustimmung der Massen zu den Herrschaftsverhältnissen sich langsam in Ablehnung verwandelt hätte; mein Anliegen ist jedoch, nachzudenken, wie wir uns selbst gegenseitig unter Kontrolle halten, wie die Menschen ihre innere Polizei mobilisieren, um die Abweichungen der Anderen zu sanktionieren und eigene Normverletzungen zu minimieren. Marina Abramovic beginnt ihre Autobiografie mit einem Erlebnis mit ihrer Großmutter. Als Vierjährige sah sie bei einem Spaziergang im Wald einen komischen Strich, der sich quer über den Weg zog. Neugierig lief sie hin. In diesem Moment stieß die Großmutter einen lauten Schrei aus. Denn der Strich war nichts als eine ziemlich lange Schlange. So kam die Angst in das Leben der kleinen Marina. Es sei erstaunlich, wie selbstverständlich uns Angst eingepflanzt wird, von den Eltern und anderen Erwachsenen, stellte die Künstlerin fest. Ein paar Jahre später, und schon ist die Angst vor allem und jedem das mächtigste Disziplinierungsmittel. Die Schule ist Angstmacherin Nr. 1. Beschämungspädagogik gilt als beste Vorbereitung für das Leben. Heute gilt eine Schule als fortschrittlich, wenn sie die alte Strafpädagogik durch die Beschämungspädagogik ersetzt hat. Das als fortschrittlich geltende Gymnasium Kundmanngasse, Wien 3, hat heuer Druck auf den Elternverein ausgeübt, um ihn zu veranlassen, eine sechsjährige Kooperation mit dem Augustin zu stoppen. Der Augustin war sechs Jahre lang eingeladen, einen Workshop zu den Themen Zivilcourage und ziviler Ungehorsam zu machen. Sechs Jahre lang waren die Augustinleute sehr angesehen in der Schule. Heute mag die Direktion den Augustin nicht mehr. Er hatte frech nachgefragt, ob es nicht auch in der Schule Kundmanngasse ausreichend Gründe und Anlässe für zivil couragiertes Handeln, wenn nicht sogar für zivilen Ungehorsam gäbe. Es wurde ein Fragebogen vorbereitet, um den Schüler_innen die Anonymität ihrer Kritik zu gewährleisten. Die Workshopleiter haben Kritisches erwartet, zumal sie durch die Lektüre von Schulordnung und Hausordnung über das autoritären Erbe, das in solchen Pflichten-ohne-Rechte-Sammlungen steckt, Bescheid wussten. Das Ausmaß der Kritik übertrifft aber selbst ihre Erwartungen. Allgemeiner Konsens ist, dass Regeln gültig sind, die man sofort ersatzlos streichen müsste, die selbst eloquente Lehrende beim Versuch, sie logisch zu begründen, ins Stottern bringen. Was die Schüler_innen überhaupt nicht einsehen: dass eine Schülerin mit der Begründung, es sei hässlich, gezwungen wurde, ihr neues Piercing zu entfernern; dass die Hausschlapfenpflicht für die Schüler_innen, nicht aber für die Lehrer_innen gilt, als ob letztere prinzipiell unschmutzige Straßenschuhe trügen; dass das Handyverbot für die willkürlich festgesetzte Zeitspanne von 8 bis 12 Uhr mit der Anti-Mobbing-Vorsorge begründet wird, als ob Mobbing nur bis 12 Uhr verboten wäre; dass die Schulnoten automatisch um einen Grad verschlechtert werden, wenn die Schülerin, der Schüler etwas zum vierten Mal vergisst; dass Kaugummikauen während der Unterrichtsstunde wegen Erstickungsgefahr verboten ist; dass sich die Schüler_innen an die vom Klassenvorstand bestimmte Sitzordnung halten müssen (offiziellerseits soll damit verhindert werden, dass sich Freundeskreise zusammenballen, die dem Tratsch zugeneigt wären); dass Wollmützen und Kappen verboten sind, auch wenn sie zum Kleidungsstil bestimmter Jugendkulturszenen zählen; dass es auch verboten ist, während des Unterrichts Milch zu trinken; dass man nach Unterrichtsschluss das Schulgebäude sofort verlassen muss; dass selbst die Erdgeschoßfenster immer geschlossen bleiben müssen, da sich ansonsten jemand zu Tode stürzen könne, etc. etc. Die Schülerparlamente sind zu «anständig», um solche Zwänge durch die Praxis der kollektiven Verweigerung in Frage zu stellen. Und der LehrerInnengewerkschaft sind die Disziplinierungsmaßnahmen der Schule noch viel zu milde. Was tun gegen den «egomanischen» Teil der Schülerinnen und Schüler, fragte ein Vetreter dieser Gewerkschaft, ein gewisser Paul Kimberger. Jahr für Jahr seien die Kiner und Jugendlichen weniger bereit, die Regeln de Zusammenlebens (siehe oben) zu beachten. Unbotmäßige SchülerInnen müsste man aus der Klasse nehmen und in «Time out»-Klassen unterbringen können, wo sie sich «abkühlen» sollen. Der Gewerkschafter fordert zudem auch die Wiedereinführung der Verhaltensnoten.

MIT DEM LIEBESSCHLOSS GEGEN «68»

Weil der Kapitalismus nicht nur den sozialen Rand braucht, um stabil zu sein, sondern auf der anderen Seite auch relativ gebildete Menschen, kann die soziale Disziplinierung nie hundertprozentig erfolgreich sein. Insbesondere in den Städten entsteht spielerisches Unterlaufen der Disziplinierungsmaßnahmen in Form von Abweichungs-Hypes aller Sorten. Die Freiheit des Andersseins bekommt größeren Wert. Den selbstbewusst Abweichenden ist aber die Integrationsfähigkeit des Systems oft nicht bewusst. Manche Formen des Einverständnisses mit dem Herkömmlichen kommen als subkulturell daher. Punks, die sich von der Gemeinde ein Haus schenken lassen und die Anwesenheit eines Sozialarbeiters in diesem Haus akzeptieren, sind kaum als Negation sozialer Disziplinierung zu betrachten. Ich möchte einen neuen, globalen urbanen Brauch erwähnen, der im ersten Blick so gar nicht zum Thema sozialer Disziplinierung passt. Sie kennen die Liebesschlösser, die haufenweise an den Brückengeländern der europäischen Städte angebracht werden. Weil diesem Boom keine parlamentarische Initiative zugrunde liegt und weil es sich um einen von unten her entwickelten und von oben teils tolerierten, teils bekämpften modernen Volksbrauch handelt, wird dieser Boom gern einmal in den Rahmen der Bewegung für die Aneignung der Städte, für die Eroberung des öffentlichen Raums gestellt. In gewisser Weise ist die Hunderttausende umfassende Liebesschloss-Community aufreizend diszipliniert, normbewusst, konventionell und überangepasst. Die grassierende «Schlosserei» kann als Massenprotest gegen Werte der 68er Bewegung interpretiert werden, nämlich gegen das bürgerliche Polyamorie-Verbot, für die vermeintliche sexuelle Revolution, gegen die Verabsolutierung der bürgerlichen Kleinfamilie, für die Freiheit der Beziehungsformen und gegen das Zurschaustellen patriarchaler Besitzansprüche in romantischen Zweierbeziehungen. Warum ist es für das System so wichtig, alles zu unternehmen, um das Modell der bürgerlichen Familie zum allgemeinen Standard zu machen und andere Varianten der Fortpflanzung und der Zusammenlebensweise zu denunzieren? Eine der Antworten kommt von Max Horkheimer, Vertreter der Frankfurter Schule, in seinem Essay AUTORITÄT & FAMILIE: «In dieser familialen Situation, die für die Entwicklung des Kindes bestimmend ist, wird bereits die Autoritätsstruktur der Wirklichkeit außerhalb der Familie weitgehend vorweggenommen: die herrschenden Verschiedenheiten der Existenzbedingungen, die das Individuum in der Welt vorfindet, sind einfach hinzunehmen, es muss unter ihrer Voraussetzung seinen Weg machen und soll nicht daran rütteln. Tatsachen erkennen heißt, sie anerkennen. Von der Natur gesetzte Unterschiede sind von Gott gewollt, und in der bürgerlichen Gesellschaft erscheinen auch Reichtum und Armut als naturgegeben. Indem das Kind in der väterlichen Stärke ein sittliches Verhältnis respektiert und somit das, was es mit seinem Verstand existierend feststellt, mit seinem Herzen lieben lernt, erfährt es die erste Ausbildung für das bürgerliche Autoritätsverhältnis.» Die spektakuläre Installation, die noch dazu von einigen Stadtverwaltungen bekämpft wird (z.B. unter dem Vorwand, die Belastung mancher Brücke sei zu hoch), täuscht über den konservativen Inhalt des Liebesschlösserkults, der den Eheringkult ablöst, hinweg. Der Widerstand gegen die soziale Disziplinierung kommt hier von denen, die die Schlösser als moderne Keuschheitsgürtel und als Anschläge kleinbürgerlicher Ästhetik kritisieren. «Frankfurter Schule» nennt sich eine Künstlergruppe, die die Liebesschlösser sammeln und einschmelzen will. Womit ich quasi en passant anmerken wollte, dass wir die Kunst als Gegenmittel gegen die Disziplinierungsversuche noch sehr brauchen werden. Leider lassen sich viele KünstlerInnen, um ihrer drohenden Prekarisierung zu entgehen, zur Unterstützung der Disziplinierung instrumentalisieren.

KLINIK ZUR KLITSCHIGEN KLITORIS

Automatisches Dichten ist nicht unspaßig. Zumindest nicht für den Kleb-blattmacher. (kleber)ich bekleckste vielblättriges kleb-blatt / vergiss das vierblättrige kleeblatt // im kleefeld kleiden / sich die kläger kleidsam aber kleinkariert // mein klebenslauf (klebelauf): / von der pike auf / gepicknickt & gepickt // klerikales kleintier / leidet klaglos unterm klein-stier / klatscht erste klasse / und klimpert / mit kleingeld // klaus klebt im klosett, nicht nett! / die klobige klofrau / klopft klösterlich: / klaus, heraus!/ klaus, unklug: klitschige klitoris! // er klotzt aus dem klo / dann kotzt er im klee / clean wird er erst / in der klausur / der glücklosen kläuse // da – ein klingelzeichen / in der nicht klimatisierten / klimakterium-klinik: / eine sturzflut von kloaken / stellt alles klar // halte die klappe / du kleinhirn von einem / kleptomanischen kletteraffen / du kleines od / das klick macht / bis zur kleinlichkeit. Ursula Baatz erzähltim Sbseuts. Dedr Tredffer zählt,te aus den gesoaltenenindienn franösischetr Spieler stabd knapp im Sbseuts. Dedr Tredffer eine selbst erlebte Geschichte aus dem religiös gespaltenen Indien. Ein muslimischer Inder hört die Rufe des Muezzin und wirft sich auf die Knie, um zu beten. Da klopft ihm jemand von hinten auf die Schulter. Es ist ein Hindu. Wo wendest du dich hin, Bruder? Das ist doch niemals Richtung Mekka! Sieht eher nach Peking aus! In diesem Punkt zumindest weiß der Hindu mehr über den Islam als umgekehrt. Ursula hält am Gaußplatz 11 einen Vortrag zum Thema Buddhismus und Kolonialismus. Begriffe wie Buddhismus und Hinduismus sind britische Konstruktionen. Der moderne Buddhismus ist ambivalent. Einerseits interpretierte die intellektuelle Avantgarde Europas ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Buddhismus als eine humanistische, mit der Naturwissenschaft und der Aufklärung verträgliche Lehre. Dieser Buddhismus wurde zur geistigen Waffe gegen die reaktionäre Allianz von Thron und Altar. Vor allem Schopenhauer sorgte für den Hype des Buddhismus. Dieser von Westlern quasi neuerfundene Buddhismus hob sich vorteilhaft gegen das dogmatische Christentum der Missionare ab. Dieser westliche Buddhismus konnte nicht nationalistisch missbraucht werden. Der modernisierte Buddhismus des Ostens verquickte sich jedoch mit der Idee des Nationalismus (schließlich auch mit dem japanischen Militarismus). Wer Singhalese ist, ist gleichzeitig Buddhist und ein Feind der Tamilen. In Sri Lanka verursachte der militante singhalesische Nationalismus den langen Bürgerkrieg. In Burma, wo sich der Buddhismus mit dem Staat identifiziert, unterstützten buddhistische Mönche den Krieg gegen muslimische Ethno-Minderheiten. Alfred Polgar, der Wiener Feuilletonist der Zwischenkriegszeit, war in den Cafés von Wien bekannt dafür, dass er sich ständig neue, originelle Spiele ausdachte, die an Ort und Selle gleich einem Praxistest ausgesetzt waren. Ein Spiel hieß: Der Lehrer und die Exzellenz. Der Lehrer musste eine Frage stellen, in der die Antwort schon enthalten war. Das war für die weniger kreativen Kaffeehaussitzer, die von Polgar zum Mitspielen genötigt wurden, der erste Intelligenztest. Die Frage, das war die nächste Herausforderung, musste die sich blöd stellende Exzellenz falsch beantworten, und zwar phänomenal falsch, nicht nur ein bisschen falsch. Der letzte Intelligenztest bestand darin, dass der Lehrer, wie auch immer die Antwort seiner Exzellenz ausfiel, replizieren musste: Genau, du hast recht, daran habe ich nicht gedacht. Er musste also die Antwort seines Schülers bestätigen und den Beweis dieser Bestätigung erbringen. Ein Modell dieses Dialogs führte Heller bei einem Konzert vor: Die Exzellenz wurde vom Lehrer gefragt: Wie lange dauerte der dreißigjährige Krieg? 15 Jahre, lautete die Antwort, an der Polgar alias der Lehrer schwer zu kiefeln haben würden. Genau, du hast recht, sagte der Lehrer, die Soldaten haben ja immer nur am Tag gekämpft. Der Krieg hat also nur halb so lang gedauert. Bei Schwarz-Weiß-Druck erscheinen die roten Fahnen auf den Fotos der 68er Demos schwarz. Dagegen hilft eine Kombination von künstlerischer Montage-Technik und pseudostaatlichem Mäzenatentum. Der Künstler, die Künstlerin, wendet sich an die Öffentlichkeit: Bringt mir Schwarz-Weiß-Fotos, in denen schwarze Fahnen wehen, die in Realität rot sind! Ich verdopple die Fahnen. Und meine Fahnen sind tatsächlich rot! Zu einer Erscheinungsform eurozentristischen Denkens: unsere Ankündigung «Wir gehen zum Chinesen essen» ist genauso doof, wie wenn ein Chinese sagt: Gehen wir zum Europäer! In China zählt man acht große Nationalküchen, ungefähr so viel wie in Europa; die französische, die italienische, die böhmische, die balkanische ... Die Namen der chinesischen Gerichte werden der tatsächlichen Komplexität nicht gerecht. Ein Gericht wie «in Wasser gekochter Chinakohl» ist ein Understatement. Das «Wasser» ist in Wirklichkeit eine stundenlang köchelnde und am Ende abgeseihte Brühe aus Huhn, Schweineknochen und getrockneten Muscheln.

VERTROTTELUNGSUNEINSICHTIGKEIT

Meine Mutter, im Mai 2018. Sitzt den ganzen langen Tag an ihrem Tisch. Bewegt sich nicht mehr aus dem Zimmer heraus. Kann auch nicht mehr telefonieren. «Manchmal werd’ ich doch noch angerufen. Dann leg ich das Handy ans Ohr und ich hör nix.» Ulli, ihre Tochter, meine Schwester, kommt jeden Tag zu Besuch. «Sie ist schon sehr streng», sagt meine Mutter, in einem Tonfall, in dem ich keine Spur Beschwerde wahrnehme, eher eine Spur von Bewunderung. «Beim letzten Besuch hat sie mich beschimpft, weil meine Kreuzworträtsel immer leerer bleiben. Vor einem Monat hätte ich mich noch nicht so blöd angestellt bei der Aufgabe: Aktueller Bundeskanzler, 4 Wörter, endet mit RZ. Ich werde immer depperter, das weiß ich ja selber auch. Aber hier im niederösterreichischen Landespensionistenheim wirst halt mit der Zeit deppert. Ich glaub, 80 Prozent sind hier schon dement.» Ich widerspreche ihr, weniger aus therapeutischen Gründen, oder aus reiner Gefälligkeit, sondern weil sie ja wirklich nicht dement ist. «Ich sag dir was in meiner Eigenschaft als Philosoph der Familie», begann ich ihr zu erklären. «Ich versteh dich nicht», antwortete sie, und ich sprach eine Stufe, dann wieder eine Stufe, dann wieder eine Stufe lauter, aber sie schwieg, was in ihrer Siechtumssprache heißt: «Ich hör immer noch nichts, aber das ist ja eh wurscht.» Irgendwie gelang es mir, mich verständlich zu machen. «Wer so genau weiß, dass er Schritt für Schritt deppert wird, kann nicht deppert sein. Denn es ist ja geradezu das Hauptkriterium des Deppertseins, keine Einsicht in sein Deppertsein zu besitzen. Du weißt», sagte ich, «dass du langsam aber sicher deppert wirst, also kannst du nicht deppert sein, das ist doch logisch. Oder etwa nicht? Denn die wirklich richtig Depperten wissen natürlich keineswegs, dass sie vertrotteln. Man nennt das die Vertrottelungsuneinsichtigkeit.» Sie schaut mich an und sagt: «Du wirst immer schöner». «Dann halte dich am Leben», erwidere ich, «denn wenn ich immer schöner werde, werde ich logischerweise einmal der Schönste der Welt sein; wär schad, wenn du da nicht mehr bei uns wärst. Warum könne sie niemand befreien von einem Leben, das kein Leben mehr ist, meint sie – ein Gedanke, den wir bei jedem Besuch hören, und ich bin fast wütend, dass ich dazu nichts sagen kann. «Immer wenn ich schlafen geh, bete ich: Lieber Gott, weck mich nicht mehr auf Morgen früh, lass mich einfach weiterschlafen, für ewige Zeiten.» Ihr Katholizismus ist gebrochen: Sie weiß, dass sie uns «Kinder» in diesem Fall nie mehr sehen wird, aber sie bleibt bei ihren Prioritäten: Lieber nicht mehr aufwachen als jeden Tag der Besuch der Tochter, die ihr die dicke Suppe Löffel für Löffel einflößt, sie hat ja nur noch 56 Kilo; oder lieber verstorben sein als jedes Monat der Besuch von Riki und Robert mit ihren bescheuerten Standardfragen: Was gibts heute zum Mittagessen? Was gibts Neues in der Familie? Nur noch die Tante Gretl, ihre Schwester, sei wohlauf; sie absolviere in der Buckligen Welt stundenlange Spaziergänge, allerdings habe sie sich beim letzten Mal beschwert, dass die Wanderwege in St. Corona in der Regel zu steil für alte Weiber wären. Für meine Mutter sind schon die vier Schritte zum Klo im Zimmer eine schmerzliche Zumutung. In diesen Schritten verliere sie sämtliche von ihrem Körper nach wie vor produzierten Gewässerarten, oder fast alle: den Rotz, der aus der Nase kommt, das Gelb, das aus der Blase kommt, die Tränen, die die Falten im Gesicht befeuchten, die Spucke, die aus dem Kopfvulkan ejakuliert wird. Meine Internet-Synonym-Maschine kennt kein Synonym von «ejakulieren». Wenn ich darüber berichte, teilt sich das Auditorium in zwei große Lager. Das eine sieht darin den Beweis der Agonie der vor 50 Jahren ins Leben gerufenen sexuellen Revolution, das andere erklärt dieses enzyklopädische Defizit zur poetischen Chance: wie finde ich die Synonyme der mit dem «Kommen» eine Einheit bildende Praxis des Abspritzens? «Ich bin ein unglaublicher Titelfetischist, und man sagt auch von mir, dass ich ruck-zuck welche finden kann. So kommt es zu Kuriositäten, weil ich oft in Titel so verliebt bin, dass ich sie einfach hinsetze und dann fragt man sich, was hat der Inhalt eigentlich mit diesen Titeln zu tun. Manchmal gibt es aber direkte Zusammenhänge, und wenn ich oft mit Welt oder Nacht oder sonstigen Begriffen umgehe, dann sage ich unverhohlen, dass ich mich auch gerne sehr bewusst in pathetischen Bereichen aufhalte, weil ich diese Bereiche nicht einfach aus der Kunst gelöscht haben will», sagt Brus. Titelfetischismus ist den PerinetkellerbetreiberInnen vom «Institut ohne direkte Eigenschaften» naturgemäß nicht ganz unfremd, und vielleicht wäre es gar nicht zu der hiermit angekündigten Geburtstagsfest-Lesung gekommen, wenn die Medien der Aktionisten nicht «Schastrommel», «Irrwisch» oder «Blutorgel» geheißen hätten, sondern »Nachrichten aus dem Heimatgrätzl». Freilich blitzt im Titel dieses Kapitels, Vertrottelungsuneinsichtigkeit, nichts Besonderes auf. Schickt den Autor dieser Zeilen in einen Wortschatzworkshop!

ALTBAUERNDÖRRANLAGEN

Ich ärgere mich schon die ganze Zeit, dass folgender Strang der Aktionsradius-Arbeit weder nach außen kommuniziert wird noch intern reflektiert. Dabei funktioniert der Aktionsradius in keinem Bereich seiner Aktivität besser als in dem der positiven Diskriminierung einer gesellschaftlich immer unerwünschter werdenden Gruppe, der Gruppe der alten Menschen. Ich als Pensionist – stigmatisiert durch das pathologische Quartett Parkinson – Demenz – Alzheimer – Schwerhörigkeit – und einer Mischung aus einer zum Dogmatismus neigenden Altersstarrheit mit einer alles tolerierenden Wurstigkeit, kann das am besten beurteilen. Eine kleine Anmerkung zu unserer nie enden wollenden Werte-Debatte: die Ehrung des Alters ist eher ein morgenländischer als ein abendländischer Wert; wenn ein Kollege, eine Kollegin vom Gaußplatz 11 von der notwendigen Verteidigung der abendländischen Werte redet, sollte er oder sie bedenken, ob nicht ein Wertemix zuträglicher wäre. Die Kehrseite der westlichen Entwertung der alten Menschen ist die Vergöttlichung der Jugend. Und was kommt dabei heraus? Ein Kanzler Kurz. Kürzlich las ich einem kurdischen Freund Qualtingers Kurzgeschichte «Die Ahnlvertilgung» vor. Qualtinger zählt dabei die verschiedenen regionalen Varianten auf. Aus der Steiermark komme zum Beispiel die Methode des Hausanzündens. Die Tiroler Bauern haben für denselben Zweck immer etwas Arsen in der Küche. Das Salzkammergut biete so viele Seen, dass ganze Generationen von nutzlosen Altbauern darin Platz fänden. In Niederösterreich freut man sich über einen Kollateralnutzen der Weinproduktikon: ausreichende Mengen von Kupfervitriol stehen überall bereit. Das Mostviertel, das muss der Alois wissen, bringt einen Most hervor, der die Lebenserwartung von Ausgedinge-Bauern ohnehin sehr beschränkt. Mein kurdischer Freund begriff nicht, warum ich selber während des Lesens dieser unappetitlichen Horrorgeschichte, wie er sie definierte, unentwegt lachen musste. In seinem Kulturkreis würden Kupfervitriol und Arsen seit Generationen verwendet, wie es sich gehört: zur Vertilgung türkischer Soldaten. Bei einem Trip durch das Mostviertel hielt mein kurdischer Freund die kleinen Ausgedingehäuser, die in einem Sicherheitsabstand zum Haupthof errichtet sind, für Zwetschkendörranlagen. Dass mich das Team des Aktionsradius nicht ins Ausgedinge schickte, als ich Rentner wurde, muss ich ihm hoch anrechnen. Im Gegenteil man startete, ohne mich zu informieren, mit einem Rehabilitationsprogramm. Uschi gab das Motto vor: andere mögen an 1000 verschiedenen Krankheiten leiden – du kennst 1000 Arten, gesund zu sein, und vier davon sind Parkinson – Demenz – Alzheimer und Schwerhörigkeit. Sie wies mir den Platz hinter der Schank als Arbeitsplatz zu. Ob nicht diese Arbeit an vorderster Front doch hinterfragt werden müsse, meinte ich, denn die Theke und ihr Team bildeten ja so etwas wie das Aushängeschild des Aktionsradius. Das Aushängeschild von heute müsse die Diversität des Projekts zum Ausdruck bringen, sagte Uschi. Von einem dementen Menschen kann man nicht erwarten, dass er weiß, was genau Diversität meint, denke ich mir. In diesem Moment, wo ich das schreibe, schießt mir der Gedanke ein, dass ich noch restdenke, und ein Dankbarkeitsstrahl geht von mir aus: Danke, lieber Alois, danke, liebe Irmi, danke, liebe Uschi. Gott sei dank hat ein Lektor bemerkt, dass ich immer DENKE statt DANKE geschrieben habe. Ich möchte euch die Situation aus der Sicht des Klienten, der ich ja für den Aktionsradius bin, obwohl dieser Ausdruck in meiner Anwesenheit nie verwendet wird, schildern. Ich bin ganz sicher der einzigste Kellner der Welt, der auf die Bestellung «Ein Achterl rot bitte» in der Weise reagiert, dass er in die Küche läuft und ein Messer zum Brotschneiden rausbringt. Eine Rehabilitations-Maßnahme, für die ebenfalls Uschi verantwortlich ist, betrifft die Bekämpfung der progressiv voranschreitenden Demenz. Uschi förderte meinen Anspruch, durch das dienstägliche Summieren des Konsumierten ohne Taschenrechner und Smartphone das Kopfrechnen nicht zur Gänze zu verlernen. Sie änderte die Preise der Getränke so, dass keine Ware mehr mit einem runden Preis versehen war. Ich fürchte übrigens, dass die nächste Steigerungsstufe schon in peto ist und dass das Zwettler Bier dann 2, 86 Euro und das Budweiser 3,41 kostet. Uschi achtet sehr darauf, dass kein Getränk genauso teuer ist wie ein zweites; sie zwingt den mathematischen Ort meines Gehirns zum Addieren, eine Kunst, die ich 15 Jahre lang im Aktionsradius nicht brauchte, weil alles entweder 1 oder 2 Euro kostete. Der Grad meiner Demenz lässt nicht mehr zu, dass ich drei oder vier Waren, die mit so komplizierten Preisen versehen wurden, zusammenrechne. Ich tu dann immer so, als ob ich in meinem Kopf addieren würde. Noch nie hat sich ein Kunde darüber beschwert, dass meine fingierte Summe zu hoch ausgefallen sei (manchmal beschleicht mich dann das Gefühl, alle seien in das latente Therapieprogramm eingeweiht).

WOLFGANG BAUERS DOPPELTE VERROSEGGERUNG

Helga, eine Mitbewohnerin aus der Kluckygassenzeit, erzählt: Hanni, meine erste Ehe, ging ein Jahr nach Paris. Ich sollte in der gleichen Zeit die einjährige Parteischule in Moskau absolvieren. Damals galt ich also noch als Kaderhoffnung / Hoffnungskader. Aus dem Plan wurde nichts. Ich erinnere mich nicht an dieses Vorhaben der Partei. Ergodessen kann ich auch nicht wissen, was auschlaggebend für das Scheitern des Unternehmens Moskau war. Die Perestrojka lag noch in der Ferne; Breschnjew, das steifste Holz aus den sowchosischen Wäldern, regierte so, wie der Genosse Wimmer von der KPÖ es für richtig hielt, Moskau war also ein MUST GO meiner kommunistischen Karriere. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich mich diesem Plan von oben entzog, oder ob ich mich überhaupt entziehen musste: Vielleicht kam es zu meiner Ostverschickung / Osterweiterung aus anderen Gründen nicht. Jedenfalls hatten wir unsere Zweizimmerwohnung an Ingrid und Helga vergeben, zwei Oberösterreicherinnen, die sich eben in Paris kennen gelernt hatten, ein bisschen Welt schnupperten und in Wien studieren wollten. Ich bleibe, sagte ich zu ihnen. Sie müssen schockiert gewesen sein, ließen es mich aber nicht wahrnehmen; das war aber keine Kunst, denn mir mangelt es ohnehin am geistigen Instrumentarium, Menschen zu verstehen und unausgesprochene Wünsche zu lesen. Wir lebten also ein Jahr in einer unfreiwilligen Wohngemeinschaft, eine Periode meines Lebens, die mir aus dem Gedächtnis genommen wurde, ich weiß nicht warum. 40 Jahre später frage ich Helga, ob ich in diesem gemeinsamen Jahr ein penetranter kommunistischer Missionar gewesen wäre. Mir sei wichtig gewesen, das meine beiden Mitbewohnerinnen den Sympathisantenstatus, den ich konstruiert hatte, akzeptierten, denn die Devise hieß «Aktionseinheit». Wie soll man so was zimmern, wenn die Bündnispartner in unromantischer Manier vorschnell in die Partei eintauchen? Jeder kommunistischer Kader musste Sympis mit Eintrittsoption, aber ohne den Stress, die neue Stufe der Entwicklung wirklich zu betreten, in seiner Umgebung vorweisen können. Wahrscheinlich war ich kein besonders großes Vorzeigeexemplar des neuen Menschen. Helga erinnert sich an folgenden Disput in der Küche. H: Du könntest auch wieder einmal abwaschen, Herr Genosse. R: Was ist ein schmutziges Häferl gegen eine schmutzige Gesellschaft? Wolfgang Bauer hat in seinem Leben zweimal den Peter Rosegger-Preis bekommen. Das war zweimal falsch, denn Bauers Heimatliteratur ist das völlige Gegenteil von der reaktionären Heimatsduselei. Hermann Nitsch hat noch nie in seinem Leben einen Peter Rosegger-Preis bekommen. Verdient hat er jedenfalls mindestens 4. In seinem hervorragenden Wolfgang Bauer-Buch erzählt Thomas Antonic die Geschichte von Bauer und Rosegger, den steirischen Antipoden. Durch das Stück «Magic Afternoon« (1968) schlagartig berühmt geworden, bekam Bauer den Preis zum ersten Mal im Jahr 1970. Das war sensationell, denn damals herrschte in Österreich ein Gemisch von halbwegs honorigen Kulturkonservativen und gänzlich unhonorigen Altnazis. Die Kleine Zeitung, pars pro toto, zur unmöglichen Preisverleihungs(zeremonie): «Wie eine Filmdiva nahm er ohne geringste Verbeugung den Händedruck der hohen Herren entgegen. Männer verbeugten sich vor dem Buben« (der zu diesem Zeitpunkt 27 war). 2004 kriegte Bauer den Preis zum zweiten Mal; kein anderer Literat wurde davor und danach doppelt verrosseggert. Was hat der Antiheimatdichter mit dem reaktionären Schreiberling aus der Waldheimat zu tun, fragten sich SympathisantInnen Bauers. Wolfgang Bauers Vater ließ einen Stammbaum veröffentlichen, aus dem hervorgeht, dass Peter Rossegger sowas wie ein Urgroßonkel Wolfgang Bauers ist. Meine sämtlichen, leicht gekürzten Erinnerungen bewirken in der Gesellschaft nichts, daher wird die alte und nie enden wollende Diskussion, wie scheußlich Peter Rosegger war (oder war er überhaupt scheußlich) nicht wieder aufflammen. Ich werde ihn nicht zerrissener machen können, als er eh schon ist, als Fan des Buddhismus (der in Europa zu dieser Zeit eher eine fortschrittliche Bewegung war, da er sich gegen die Dogmen und die Macht der christlichen Eliten richtete), als Anhänger moderner Trends wie des Vegetarismus und als Vorläufer der ökologischen Welle, andererseits als Antisemit, als Autor unsäglicher kriegsverherrlichender Gedichte, als Aufrufer zur Zeichnung von Kriegsanleihen, als Freund des Nazidichters Kernstock. Ist das nicht alles absurd? Wie wenig absurd erscheint dagegen das «Theater des Absurden». Man müsse sich fragen, ob die sogenannte absurden Stücke das absurde Leben außerhalb des Theaters nicht angemessener wiederspiegeln als «klassische« bzw. sogenannte «gutgebaute» Stücke wie Emilia Galotti, meint der kluge Thomas Antonic. Absurd sei letzteres, weit mehr als die Dialoge aus Bauers Stück «Schweinetransport». S: Haben Schweine Plomben? H: Nein. S: Weshalb nicht? H: Welcher Zahnarzt könnte bei so einem stinkenden Maul arbeiten?

NOCH E MUGGESÄGGELI MEHR

Der deutsch-ghanaische Konzeptkünstler Philip Kojo Metz hielt im Lokal des Aktionsradius einen Vortrag über die Spuren des deutschen Kolonialismus in Afrika. Metz erzählte, dass natürlich viele Leute wissen wollen, woher er komme. Ein österreichischer Freund habe ihm geraten, solche Fragen – immer, wenn er gerade in Wien ist – generell mit folgendem Kürzest-Lebenslauf zu beantworten: «Ich stamme aus Strebersdorf und strebe nach Stammersdorf.» Mit dieser Herkunftsangabe schließe er alle Herzen auf. Doch es könnte der Tag kommen, ab dem der oder die Wohlgesinnteste diesen Streben-und-Stammen-Spruch nicht mehr hören kann, da abgelutscht. Metz hat daher einen alternativen Sager auf Lager. Woher ich kommen soll? Na ausm Schwarzwald, das siehst du doch. Die Pointe dieser Beantwortung ist, dass sie stimmt, Metz wurde tatsächlich im Schwarzwald geboren. Apropos schwarzwald-alemannisch. Wenn z Friiburg einer sait, noch e Muggesäggeli mehr, dann meint er, dass er ein kleines bisschen mehr möchte. Die Tatsache, dass der alemannische Dialekt in fünf zusammenhängenden Staaten gesprochen wird – in Frankreich (Elsass), in Deutschland (Schwarzwald und Oberrhein), in Österreich (Vorarlberg), in Liechtenstein und in der Schweiz – förderte den transnationalen Zusammenhalt der länderübergreifenden Bewegung gegen das Kernkraftwerk Wyhl in den 1970er Jahren. Der Dialekt wird damit naturgemäß zu einer emanzipatorischen Kraft, denn er ist im Konfliktfall immer die Sprache der Schwachen. Beachte den Anteil der Krawattenräger unter denen, die öffentlich Dialekt sprechen. Wen´s interessiert: im US-Bundesstaat Indiana gibt es zwei Sprachinseln der Amischen, in denen alemannisch gesprochen wird, Adams County und Allen County. Ca. 20.000 Menschen sprechen den Dialekt in diesen beiden Enklaven. Den Favoritner Dialekt als Sprache der Beherrschten zu bezeichnen, davor sträuben sich in mir Kopf und Bauch. Zu oft werden hier Migrant_innen im tiefsten Favoritner Jargon zur Hölle geschickt. Auf diese muss Favoriten Sprech wie die Sprache der Sklavenhalter wirken. Im tiefsten Favoritner Dialekt werden Mädchen und Burschen aus Familien mit Migrationshintergrund aufgefordert, Deutsch zu lernen, aber die sprechen längst ein besseres Deutsch als ihre zum Mob neigenden Oberlehrer. Diesem autochtonen Mob aber ist das fehlerlose Schriftdeutsch vor allem eine – Provokation; denn Tschuschen sollen die Goschn halten. Was also jetzt. Sollen sie nun ihre Sprachkompetenz nicht ausleben dürfen, weil sie mit ihren hochdeutschen Sätzen die Mundeln, die die Fehlerfreiheit ja gar nicht wahrnehmen können, beschämen würden? Für Zdravko, der in der Quellenstraße ein Lokal bewirtschaftet, sind das sekundäre Probleme. Hauptproblem sei, dass die Schule Schafe fabriziere und – in welcher Sprache auch immer – Folgsamkeit zum höchsten Wert erklärt. Zdravko ist, wie viele andere auch, von AktivisInnen einer Grätzel-Initiative zu den Problemen des Alltags befragt worden. «Die Kreta», so heißt dieser an die große Brotfabrik grenzende Bezirksteil, wird als antipodisches Gegenteil von Hietzing vorgestellt. Hier und überall sonst unterschätze man freilich den gemeinsamen Nenner der Hietzinger und der «Kreter». Alle wissen im Grunde, dass im herrschenden Schulsystem die Gehirne der SchülerInnen einschlafen sollen. In Wirklichkeit verstehe man, meint Zdravko, dieses Einschlafen als größten Wert des Abendlandes, unabhängig davon, ob die Alpträume der jungen SchläferInnen in hochdeutscher, in serbischer, in türkischer Sprache oder im Wiener Dialekt geträumt werden. Hab natürlich wieder einmal vergessen, wer das gesagt hat: Wir müssen die Lehrpläne so verändern, dass in den Schulen keine Untertanen mehr hergestellt werden. Zdravko kann nur den Kopf schütteln, als ich ihm erzähle, dass unter den Rechten ein neuer Wert in den Abendlandrettungsdiskurs gerutscht sei, nämlich die neue Barbarität. Der 2017er Hit des rechtsradikalen Antaios-Verlages war das Buch des US-amerikanischen Trash-Maskulinisten Jack Donovan. Der preist als Antidot gegen den ach so weibischen Liberalismus die «barbarische Männerhorde» an. Das Buch heißt: «Nur Barbaren können sich verteidigen». Donovan sagt: Barbar wird man nicht, indem man täglich Hanteln stemmt oder sich ein Bärenfall umhängt. Sein Buch ist die Aufforderung, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen, wo die Hegemonie der feministischen und pazifistischen Männer gebrochen werden müsse. Die Hegemonie der Frauenversteher. Der Chef der rassistischen deutschen Partei AfD ist auf Donovans Seite. Wehrhaft gegen das, was vom Süden her an uns heranrolle, würden wir nur dann werden, wenn die deutschen Männer ihre Männlichkeit wieder entdeckten. Leider hätten diese deutschen Männer durch ihre Niederlage im Zweiten Weltkrieg nicht nur den Nationalstolz, sondern auch das «innere Rückgrat», die Männlichkeit verloren. Das Barbarische eben. Aber kann man Barbar werden und mannhaft, wenn man alemannisch aufgewachsen ist?

FREE SCHACH, FREE CHESS, FREE JAZZ

Lang nach Mitternacht, als sich Barbaras Party schon in die Horizontale neigte, zogen Georg und ich uns zurück, um eine Partie Schach zu spielen. Unser Tisch war überfüllt von halbleeren Gläsern, vollen Aschenbechern, Bierflaschen, Streichhölzern, unverzehrten Brötchen, Frankfurter-Resten, Senf und ausgetunkten Gulaschsuppen-Tellern. Da schob Georg mit feierlicher Bewegung einen Bierdeckel zu mir herüber. In seinen Augen war ein seltsames Glänzen. Ohne zu zögern betrachtete ich den Tisch, nahm eine halbleere Bierflasche und schüttete etwas davon in sein Weinglas. Er dachte kurz nach, ehe er meine brennende Zigarette nahm und sie in einem Senfbatzen austötete. Ich überlegte kurz, nahm sein Glas mit dem Gemisch aus Wein und Bier, trank es auf einen Sitz aus und sagte: Schach! Georg dachte lang nach, meinte, dies wäre ein schlechter Zug gewesen, und begann langsam das Schachspiel einzuräumen. Als er damit fertig war, sagte er: Matt! Barbara – das ist Barbara Frischmuth. Barbaras Party: Das ist der legendäre 21. Geburtstag Frischmuths. Und Georg – das ist Georg Jánoska, der Wittgenstein-Philosoph und Liebhaber experimenteller Literatur. So erzählte Wolfgang Bauer die Entstehungsgeschichte des «Free Schach». Diese Geburtstagsparty (1962), das ist überliefert, hat der Wellensittich der jungen Dichterin nicht überlebt. Ein Zusammenhang ist theoretisch nicht ausgeschlossen: ein letzter Spielzug des «Free Schach», das man als Aufhebung des Schachspiels im dreifachen Hegel´schen Sinn des Wortes bezeichnen könnte, hätte durchaus zum Tod des Vogels führen können. Zum Mythos dieses dadaistischen Spiels gehört, dass verschiedene Erfinder genannt werden. Die Version aus Bauers Text «Georg und das Schachspiel» (1984), aus dem Antonic zitiert, nämlich die Doppelvaterschaft Bauer-Jánoska, wird wohl weiterhin von den einen verteidigt und bestätigt, von den anderen bestritten werden. Seitdem Antonic´ 600-seitige Dokumentation über Bauer erschienen ist, gibt es sozusagen eine offizielle Version zur Genese des «Free Schach». Laut Antonic ist «Free Schach» ein regelloses Spiel der unbegrenzten Züge und entspricht in seiner strukturellen Unplanbarkeit dem, was die Wiener Gruppe um H. C. Artmann den «poetischen act» genannt hat. Mit dem Free Jazz hat «Free Schach», das auf Englisch free chess heißt, nicht nur den Wortklang gemeinsam, sondern auch die Methoden der Spontaneität und der Improvisation. Reizvoll ist an diesen Inszenierungen aus Absurdistan die vulgäranarchistische Negation des überkommenen Schachspiels. Bei einer Veranstaltung im Aktionsradius Wien war dem großen Nonkonformisten Joe Berger die Vaterschaft für Begriff und dessen Inhalt von «Free Schach» zugesprochen worden. Es ist ihm durchaus zuzutrauen. Jedenfalls sind die Urgesteine des «Free Schach» fast ausnahmslos unter der Erde. Wolfgang Bauer, Joe Berger, Gunter Falk, H. C. Artmann und Georg Jánoska – alle Protagonisten des Free Schach sind gestorben. Vermutlich gibt es in den Revieren der Privatheit oder in halböffentlichen Räumen bis heute Menschen, die die Praxis des «Free Schach» fortführen, auch um die Erfahrung zu machen, wie weit man mit den Spielzügen gehen kann, ohne jemandem zu demütigen oder zu verletzen. Ich plädiere für eine Renaissance von «Free Schach», auch deswegen, weil Alltagsverrichtungen und künstlerische Inszenierungen eine Einheit bilden und weil mich im Grunde nur Menschen interessieren, die die Zäune zwischen Alltagsleben, Arbeit, Kunst und Politik – in der Reihung versteckt sich keine Bewertung – niedergerissen haben. Ich erinnere mich an einen Abend mit Verwandten und FreundInnen in einem Wirtshaus in Admont. Ich denke, niemand von uns kannte das Konzept de «Free Schach», und doch führten wir – Schachfigurenzügen gleich – eine absurde Handlung nach der anderen durch, und jede Handlung musste die vorherige an Absurdität übertreffen. Der Abend endete mit einer abgeschnittenen Krawatte und mit ausgerissenen Hemdknöpfen. Die Einheit von Kunst und Leben ist auch unter anderem Vorzeichen denkbar: Gabalier lebt diese Einheit. I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzl aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / so wie´s früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben wie sie sind / In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand / i glaub an Petrus an der Himmelstür / Der sagt, komm her zu mir, Bua i muss reden mit dir / Vaterunser beten, Holzscheitelknien / nach einem Zeltfest im Rausch die Unschuld riskieren ... Danke, Gabalier, für deine Zusammenfassung alles dir Heiligen: Heimat ist, wo die Männer ohne schlechtes Gewissen dem Fleisch huldigen und wo die Wirten eine einzige fleischlose Speise anbieten: klare Rindsuppe; Heimat ist, wo die Männer in der Schule so lange gezüchtigt werden, bis sie Vorbilder sind; Heimat ist, wo die Vergewaltigung nach dem Zeltfest nicht einmal als Kavaliersdelikt gilt.

DIE ASTERIXE VOM ZIRBITZKOGEL

Vor pensionierten HauptschuldirektorInnen muss gewarnt werden. Vorzugsweise in den Kleinstädten Österreichs tauchen sie aus den schwarzen Löchern des Pensionsschocks auf, gerüstet zur neuen Aufgabe, der einheimischen Bevölkerung samt ihren bildungshungrigen Gästen von auswärts Geschichtslektionen zu erteilen. Da diese Zeitgenossen der örtlichen Elite angehören, finden sie immer einen Verlag, der ihre Geschichtsinterpretationen publiziert. Und wenn sie, wie der steirische Hobbyhistoriker Herbert Kirnbauer, mit ihrer vermeintlichen historischen Kompetenz den boomenden Keltisch-Kult bedienen, kann das Buch nichts anderes als zum regionalen Bestseller werden. Dass der pensionierte Hauptschuldirektor das Geheimnis des Kultwagens von Strettweg knacken will, ist der löbliche Aspekt seines postprofessionellen Wirkens. Gegen Neugierde lässt sich wirklich nichts vorbringen, zumal sie sich auf einen der tatsächlich spannendsten und rätselhaftesten archäologischen Funde Österreichs bezieht. Die obersteirische Stadt Judenburg, die auch den durch den Fund europaweit bekannten Ortsteil Strettweg umfasst, ringt um eine touristische Selbstprofilierung, weil die Wanderwege rund um den Zirbitzkogel nicht ausreichen, den durch die bekannten Entindustrialisierungsprozesse eingetretenen Bedeutungs- und Wertschöpfungsverlust zu kompensieren. Judenburg braucht eine spezifische «Erzählung» – und diese könnte vom unbegreiflichen Fund inspiriert werden, der immerhin bezeugt, dass im siebten Jahrhundert v. Chr. eine Zivilisation am Werk war, in der die Frau eine große Rolle gespielt haben muss. Es geht um jenen sonderbaren, einen halben Meter hohen Wagen aus Bronze, der 1851 beim Planieren eines Fürstengrabs der Hallstattkultur gefunden wurde. Er besteht aus einer viereckigen, durchbrochenen Grundplatte mit vier Speichenrädern. Der Wagen ist ziemlich frequentiert – von stehenden oder reitenden Menschen sowie von pferde- und hirschähnlichen Tieren. Mitten unter ihnen eine weibliche Gestalt, die viel größer ist als alle anderen Passagiere und mit erhobenen Händen einen schalenförmigen Gegenstand trägt. Allgemein wird die dargestellte Szene als Opferszene interpretiert. Das Original des Strettweger Opferwagens wurde 2009 restauriert und steht im Grazer Joanneum. Eine Kopie ist im öffentlichen Raum in Judenburg ausgestellt. Bei der Präsentation seines Buches verkündete Kirnbauer, er habe den «Code der Kelten geknackt». Das intuitive Knacken eines 3000 Jahre alten Codes ist unglaubwürdig. Ist es aber immerhin tourismusfördernd? Kaum, denn die Menschen lieben Rätsel, und es ist die Realität, die ihnen entgegenkommt. Denn der Fund muss nicht erst als undurchsichtig, nebulos, mysteriös, mehrdeutig, chiffriert, seltsam (…) inszeniert werden – er i s t es. Um die Botschaft des Kultwagens zu verstehen, müsse man wissen, dass die Kelten «Weltmeister der Abstraktion» waren, sagt der pensionierte Hauptschuldirektor. Und was, wenn die Hersteller des Kultwagens keine Kelten waren? Und was, wenn die Fähigkeit zur Abstraktion das Charakteristische der Kunst aller Zivilisationen war und keineswegs nicht nur der Ur-Judenburger_innen? Jedenfalls will Herbert Kirnbauer herausgefunden haben, dass es sich bei dem Wagen um die «in Bronze gegossene keltische Bibel» handle. Die Figuration stelle eine «heilige Hochzeit» dar, nämlich die Verbindung des Fürsten mit der Muttergöttin. Es wäre unfair, Herrn Kirnbauer seine unreflektierte Keltisierung des Fundes vorzuwerfen. Das hat er ja von der universitären Geschichtswissenschaft übernommen, die inzwischen aber sehr selbstkritisch mit dem Keltenkult umgeht. In Wirklichkeit fehlt nach wie vor eine eindeutige ethnische Definition des Keltischen. Im ökonomischen Wettbewerb der Regionen schadet es keinem Gebiet, sich eine hippe «Celticity» zu geben. Manchmal muss man halt die Chronologie ein bisschen zurechtbiegen, nach dem Vorbild des touristischen Komplexes Hallstatt, wo ein erfundenes Keltentum über den Ort gestülpt wurde, mit dem man paradoxerweise weniger die «Mitkelten« aus Schottland, Irland und Gallien anlockt, sondern durchaus ungallische Mittelschicht-Massen aus China und Südkorea. «Je erfundener desto faszinierender» – so hat der Historiker Helmut Birkhan den Kelten-Hype kommentiert. Dabei bilden die «Kelten» in ihrer Erfundenheit gar keinen Sonderfall, meint Birkhan, denn ähnliche Mechanismen der Fiktionalisierung spielen etwa bei Begriffen wie »Indianer» oder «Germanen» eine Rolle. Die Rolle der Kelten sei in mancherlei Hinsicht jener der Germanen nicht unähnlich, unterscheide sich aber im allgemeinen Menschenverstand durch einen höheren Grad an «Mysterischem». Das Keltische ist dadurch markttauglicher – auch weil es als unbedenklicher gilt als das Germanische, das den Geruch der Nazizeit wohl auch in die Zukunft mitschleppen wird.

DU KLEINES OD DAS KLICK MACHT BIS ZUR KLEINLICHKEIT

klänge ausm klosterherrenklo. (kleber)ich bekleckste vielblättriges kleb-blatt / vergiss das vierblättrige kleeblatt / im kleefeld kleiden / sich die kläger / kleidsam aber kleinkariert, mein klebenslauf (klebelauf): von der pike auf gepicknickt & gepickt / klerikales kleintier / leidet klaglos unterm klein-stier / klatscht erste klasse / und klimpert mit kleingeld. / klaus klebt im klosett, nicht nett!/ die klobige klofrau klopft klösterlich: / klaus, heraus! / klaus, unklug: klitschige klitoris! / er klotzt aus dem klo / dann kotzt er im klee / clean wird er erst in der klausur der glücklosen kläuse. / da – ein klingelzeichen / in der nicht klimatisierten / klimakterium-klinik: / eine sturzflut von kloaken stellt alles klar. / halte die klappe / du kleinhirn von einem / kleptomanischen kletteraffen / du kleines od / das klick macht bis zur kleinlichkeit. / oaszwoadreivia klobobbia / und fian klaus a kloanes bia / oda soi ma schrems valossn / und flichdn in de kölagossn / knabenkraut wächst in der kluft / klimt oder klopstock – klee oder kleist / ein tag lang klassik und du vereist. Ein bekannter niederösterreichischer Autor vermarktete diesen Text und ähnliche Texte als spontanes, automatisches, improvisiertes Schreiben, als ekstatisches Verfassen, ohne das Gehirn zu fragen. Ich glaubte ihm, bis mich die vertrauliche Mitteilung erreichte, er habe für das oben zitierte Gedicht mehr als drei Monate gebraucht. Das enttäuschte mich maßlos, denn ich selbst, obwohl ich zu schnellen Improvisationen nicht geeignet bin, kann mithilfe eines Wörterbuchs der deutschen Sprache mühelos ein poetischerseits beachtliches Tempo der Stabreimproduktion erreichen. Ich lenke die Aufmerksamkeit auf ein Wörterbuch der ganz anderen Art. Es versammelt Wörter slowakischen und tschechischen Ursprungs, die im niederösterreichischen Hohenau an der March auch von Familien mit deutscher Muttersprache verwendet werden. Ein innovativer Museumsverein hält diese lokale Mischsprache im Dreiländereck Tschechien-Slowakei-Österreich für bewahrenswert und tut einiges dafür. 2011 präsentierte er das Pletky-Lexikon und druckte auch T-Shirts mit den markantesten Pletky-Ausdrücken. Pletky ist eines der beliebtesten Wörter in Hohenau – es bedeutet «Gschichtln». Viele Begriffe sind von ästhetischer Qualität. Beispiele? Die bodligacka ist die lange Unterhose, boscheswaty entspricht dem Ausruf «O Gott». Die bosorka ist eine Hexe, ein chudjatschku ist ein Armutschkel. Ein darmoretsch ist keine unnütze Rede. Ein hubitschku ist ein Busserl, ein hudriwudri ist das Gegenteil von einem, der in allem pomali vorgeht. Jeschischko ist der junge Jesus, der in einem lempatschek aufkreuzte, aus dessen Ärmel ein motschka aus maulinki tropfte, ein Gatsch aus vergessenen Maulbeeren. Tschowjetsche, warum tuast du di so veroschklivieren, wannst nalepschi gehst. Was für ein trkwas bist du doch. Mensch Meier, warum mochst du di so hässlich, wannst auf Aufriss gehst. Was bist für ein Depp! Du hast nur schlische und schpitschki gegessen, woher kommt bloß dein schratschki daher, schuschkat der Nochboar, dieser podvoro. Du hast doch heute nur Erdäpfelnudeln und ungefährliche Schwammerl gegessen – von wo kommt dein Dünnschiss daher, flüstert der Nachbar. Er ist eine odrahde Person, er weiß ganz genau, wie viel wir gesoffen haben. Da kannst du dir keine normale Scheiße mehr erwarten. Das Pletky-Lexikon klingt mit einer Liste von Wörtern aus, die am anderen Ufer der March den dortigen slowakischen Dialekt mit deutschen Splittern versehen. Der ertepl ist die Kartoffel, das escajch ist das Besteck; das kseft ist das Geschäft, das ksir ist das Geschirr die ohringla sind die Ohrringe, das piglajs ist das Bügeleisen und die pocherey ist die Bäckerei. Baudelaires Text zur Entzauberung des urbanen Alltags kannte ich nicht: «Endlich! Allein! Nur hie noch ein verspäteter Fiaker, der lendenlahm über das Pflaster holpert. Ein paar Stunden werden wir die Stille besitzen, wenn nicht gar die Ruhe. Endlich! Verschwunden ist die Tyrannei der Menschengesichter, und ich werde nur noch unter mir selbst leiden. Endlich! So darf ich mich denn erholen in einem Bad der Finsternisse! Als erstes, zweimal den Schlüssel im Türschloss herumgedreht. Mir ist, als vermehre dieses Abschließen meine Einsamkeit und verstärke die Barrikaden, die mich jetzt von der Welt trennen. Grässliches Leben! Grässliche Stadt! Noch einen Blick zurück auf den Tag: habe mehrere Literaten gesehen, von denen mich einer fragte, ob man auf dem Landweg nach Russland gelangen könnte (er schien Russland für eine Insel zu halten); habe mannhaft gegen den Direktor einer Zeitschrift gestritten, der auf jeden Einwand erwiderte: Wir vertreten die anständigen Leute, was besagte, dass alle übrigen Zeitungen von Schuften redigiert werden; habe an die 20 Personen gegrüßt, darunter 15 unbekannte; (...) habe mich mehrerer gemeiner Handlungen gerühmt, die ich niemals begangen habe, und habe feige einige andere Schandtaten geleugnet, die ich mit Freuden vollbracht habe…

HÜFDS NIX SCHODDS NIX

die ironie: (vom Chor zu schreien:) hüfds nix schodds nix. die eifersucht: (chor:) hüfds nix schodds nix. maturazeugnis: hüfds nix schodds nix. a großer busen: hüfds nix schodds nix. a rote rosn: hüfds nix schodds nix. gottvertrauen: hüfds nix schodds nix. grüß gott statt guten tag: hüfds nix schodds nix. zeckenimpfung: hüfds nix schodds nix. mars-mobil: hüfds nix schodds nix. kommunistische partei: hüfds nix schodds nix. drittes und viertes geschlecht: hüfds nix schodds nix. exil in grönland: hüfds nix schodds nix. die existenz: hüfds nix schodds nix. das nichts: hüfds nix schodds nix. die barmherzigkeit: hüfds nix schodds nix. das gute: hüfds nix schodds nix. das schöne: hüfds nix schodds nix. das wahre: hüfds nix schodds nix. aufstand der kleinbürger: hüfds nix schodds nix. franziskaner unter körperkontaktverbot: hüfds nix schodds nix. ein loch im bauch: hüfds nix schodds nix. quotenregelung am marterpfahl: hüfds nix schodds nix. panzer-fahrverbot am palmsonntag: hüfds nix schodds nix. stromlinienförmiger mähdrescher: hüfds nix schodds nix. ein aschenbecher am traualtar: hüfds nix schodds nix. schwören mit falschem schwurfinger: hüfds nix schodds nix. sechskanthöfe im mostviertel: hüfds nix schodds nix. rumpelstilzchen isst ungeweihte hostien: hüfds nix schodds nix. zu schrott geschossene schrotbüchsen: hüfds nix schodds nix. ungebrochene moral der schwerverletzten soldaten: hüfds nix schodds nix. sollbruchstellen in der pralinenschachtel: hüfds nix schodds nix. ein gelbes präservativ: hüfds nix schodds nix. eine gelbe polizeiuniform: hüfds nix schodds nix. unbetretbare gerüchteküchen: hüfds nix schodds nix. vorzeitiges konferenz-ende: hüfds nix schodds nix. die pflicht, gegen den strom zu schwimmen: hüfds nix schodds nix. ein wilderer erschießt den forstbesitzer: hüfds nix schodds nix. entwichene furze beim willkommenstrunk: hüfds nix schodds nix. eine gelbe wimperntusche: hüfds nix schodds nix. duschen mit gelbgefärbtem wasser: hüfds nix schodds nix. ein zylinderkopf als readymade: hüfds nix schodds nix. ein zylinderhut als readymade: hüfds nix schodds nix. ein zyklon im einmachglas als readymade: hüfds nix schodds nix. sparschweine aus stahl: hüfds nix schodds nix. speerwerfer, die spazierstöcke werfen: hüfds nix schodds nix. ams-kurse «wie wird man speichellecker»: hüfds nix schodds nix. der aufsichtsratsvorsitzende kriegt speckschwarten zum geburtstag: hüfds nix schodds nix. dämmerungsaktive bettlerinnen und bettler: hüfds nix schodds nix. höchststrafen für die, die durch dick und dünn gehen: hüfds nix schodds nix. eine dunkelziffer von dummköpfen dünstet in der dunkelkamer: hüfds nix schodds nix. mein duplikat ist unter uns: hüfds nix schodds nix. freispruch nach dem kardinalfehler: hüfds nix schodds nix. abschaffung der karnevale: hüfds nix schodds nix. kino im sommer geschlossen: hüfds nix schodds nix. kinderlieder über kinderlähmung: hüfds nix schodds nix. reklame und propaganda: hüfds nix schodds nix. pfaffen mit 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urteile gegen betrunkene am praterstern: hüfds nix schodds nix. saufen am praterstern: hüfds nix schodds nix. wilhelm tell hat parkinson: hüfds nix schodds nix. seit jahren unangewandtes plusquamperfekt: hüfds nix schodds nix. ein fünfer in sanskrit: hüfds nix schodds nix. abgesagtes seifenkistenrennen in st. wolfgag am wolfgangsee: hüfds nix schodds nix. seifenkistenrennen am wiener ring: hüfds nix schodds nix. seifenkisten mit elektroantrieb: hüfds nix schodds nix. vereinigte arabische emirate: hüfds nix schodds nix. verjährung meiner tat (marmeladebrot ins gesicht der frau drücken): hüfds nix schodds nix. vorhaut: hüfds nix schodds nix. staatsangehörigkeit: hüfds nix schodds nix. stein der weisen gefunden: hüfds nix schodds nix. stammbäume: hüfds nix schodds nix. stabreime: hüfds nix schodds nix. stammaktie: hüfds nix schodds nix. staatstreich: hüfds nix schodds nix. alle lieben korallenriffe: hüfds nix schodds nix. ein liter milch gegen sodbrennnen: hüfds nix schodds nix. multinationales überfallskommando: hüfds nix schodds nix. sterblichkeit: hüfds nix schodds nix. unsterblichkeit: hüfds nix schodds nix. text am ende: hüfds nix schodds nix.

RUHM UND EHRE DER BALTISCHEN FLOTTE

Justizsprech ist abenteuerlich. Ich schätze, ein durchschnittlicher österreichischer Bezirksrichter oder eine Bezirksrichterin hat einen um etwa ein Drittel größeren Wortschatz als ein Normalsterblicher. Falsch. Normalsterbliche sind normalerweise in Berufs- oder Fachgruppen eingebettet, die ihrerseits eine spezifische Sprache entwickelt haben. Die Sprache der Jäger, die Sprache der Imker, die Sprache der IT-Branchen. Alles firmiert unter «deutsch». Mehr als 500.000 Wörter soll die deutsche Sprachwelt umfassen, die Begriffe aus den Berufssprachen mitgerechnet. Exemplarisch ein schöner Standardsatz aus der Verlassenschaftsachsprache: «EINANTWORTUNGSBESCHLUSS. Die Verlassenschaft wird nachgenannter Erbin, die ohne die Rechtswohltat des Inventars auf Grund des Testaments vom (...) die unbedingte Erbantrittserklärung abgegeben hat, zur Gänze eingeantwortet...» Unrechtswohltaten werden wohl rechtzeitig ausgeantwortet ... Aus einer anderen Erbschafts-angelegenheit: «Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass das Kodizil vom 22. 11. 1982 durch die Überlassung der Sparbücher an die Beklagte widerrufen worden sei. Bei diesem Geschäft handle es sich um eine Schenkung und Übergabe auf den Todesfall, die rechtlich als formgültiges – gemeint wohl formungültiges – Legat anzusehen sei, deren Formmangel aber durch die tatsächliche Erfüllung geheilt sei. Die Übergabe sei brevi manu erfolgt, weil sich die Sparbücher bereits in gemeinsamer Gewahrsame befunden hätten.» Findest du, ohne es gesucht zu haben, die Fleischpeitsche als eines der hunderten deutschsprachigen Penis-Synonyme, wird dir die Zahl 500.000 nicht mehr unglaubwürdig erscheinen. Wie komm ich auf Fleischpeitsche? Weil ich die vielen Rumbalotte-Geschichtchen sammeln wollte. Sehr gut erzählt sie der Berliner Schriftsteller Horst Bosetzky in seinem Buch «Rumbalotte». Kommt ein alter Mann zu einem Urologen. Der liest auf dem geschrumpelten Penis seines Patienten mit Erstaunen das Wort Rumbalotte. Gefragt, was das zu bedeuten habe, antwortet der alte Mann, er sei früher Matrose gewesen und da habe mann sich auf dem aufgerichtetem Schwanz voller Stolz «Ruhm und Ehre der Baltischen Flotte» tätowieren lassen. Für Rumbalotte selbst gibt`s wiederum etliche Synonyme; das digitale Sprachlexikon www.sprachnudel.de nennt folgende: Arschgeweih, Arschvignette, Assi-Sticker, Bürzelpalme, Körpercomic, Schlampenstempel, sich haken lassen, Steißornament, Tatootapete, Tintling und Volkstatoo. Ich will Riki den Rumbalotte-Witz vorlesen. Rumbalotte – das kenn´ ich, fällt sie mir ins Rumbalotte-Wort. Das sei doch die Prenzlauerberg-Kneipe, mit dessen Bieren sich das Stimmgewitter Augustin von den Strapazen eines Berliner Auftritts erholte. Über diese Kneipe findet sich im www ein Gedicht von Joerg Waehner: Die Rumbalotte, Heimathafen für verlorene Seelen und Stadt- & Staatsverweigerer. / Erst Leila, dann Rex hinterm Tresen, blonde Unbeschwertheit & bezopfte Musikerkehle. / Blicke schmerzlos. / Bert, der Patriarch, wacht über Passagiere und Mannschaft / auf dem untergehenden Lotterschiff. / Der Anker ist geworfen, der Ausstieg fällt schwer. / Wer zahlt die Zeche? / Wer greift zum Gewehr? /Geschäfte. Macht. Keiner. / Wer trinkt, raucht & quatscht / hört verdammt schlecht zu. / Der Widerspruch ist gegeben / die zaghafte Verzweiflung Ist-Zustand / Die Zustände ändern sich ganz ohne die Protagonisten / von Dichtung & Wahrheit. In dieser Stimmgewitter-Episode erfolgte die kollektive Heilung durch die tatsächliche Füllung der Bierkrügel ungeachtet des Formmangels, dass das Bier nicht in Form einer Schenkung in Verkehr geriet, wodurch es dem Bezirksgericht nicht mehr möglich war, festzustellen, welche Person eingeantwortet werden sollte. Die Rechtswohltat des der formgültigen Nachfrage entsprechenden Bierangebots ist als Legat anzusehen, das auch durch den zweifachen Todesfall, betreffend die klagende und die beklagte Partei, seine Gültigkeit nicht verliert. Die Sprachnuancen, die Sprachnudeln, die Sprachnudelhölzer, der Sprachnudismus, die SprachnudistInnen, die Sprachnudität, die Sprachnuggets, die Sprachnullnummer, der Sprachnulltarif für die Sprachnutten und die Sprachnutztiere sind nicht Gegenstand der konkreten Verlassenschaftssache, wohl aber der allgemeinen Verlassenschaftssachsprachforschung. Trotz bedeutender Vorbilder ist mir ein bedeutendes Werk gelungen. Was gefällt dir an diesem Satz? Was stört dich an diesem Satz? Aus einem Zeitungsbericht über die Tischtennis-Europameisterschaften: Bei den Frauen verlor die zweifache niederländische Meisterin Li Jiao gegen die Portugiesin Fu Yu. Diese wird im Halbfinale der Schwedin Li Fen gegenüberstehen, der besten Europäerin auf der Weltrangliste. Das andere Halbfinale wird vollständig deutsch sein: Shaw Xiaou gegen Han Ying. Was gefällt dir an diesem Zeitungsbericht? Was stört dich an ihm?

BALLBESITZ VERLUSTANGSTFUSSBALL

Deutschland unterliegt Mexiko bei der Fußball-WM in Russland. Die Popstars des Deutschteams unterliegen einer Polemik der Verhöhner. Das war kein Ballbesitzfußball, kommentierte die «Zeit», als ob sie nicht wüsste, dass ihr niemand Kompetenz in dieser Angelegenheit zutraut. Das deutsche Spiel war vielmehr Ballbesitzverlustangstfußball. Hüte ab! Das sieht aber ganz nach einer gelungenen Definition aus, die den Hass der blinden Hühner der Sportpublizistik auf die einäugigen auslöst, da erstere selber gern solche lesenswerten Metaphern in ihren Köchern hätten. Mein Fußballinteresse ist das Interesse an der Sprache, die der gesellschaftliche Komplex des Fußballspiels hervorbringt. Was bedeutet es, wenn der ehemalige Trainer des österreichischen Nationalteams, ein Schweizer, von einem Sportreporter mehrmals gebeten wird, das Wienerische Wort GUAGGAL (Gurkerl) auszusprechen. Um die Erfolge des Nationalteams mit niemandem teilen zu müssen, musste der Schweizer Trainer zu einem Unsrigen verwandelt werden, was auf der Ebene des Sprachspiels zwischen dem Schweizerischen und dem Wienerischen realisiert wurde. Per Medien (insbesondere via Werbespots) wurde der Schweizer willkommuniziert und dermaßen gewienert, dass seine Siege unsere Siege wurden und seine Niederlagen s e i n e Niederlagen blieben. Trotz des Ausländers war ganz Österreich in der Epoche der Siege im Status eines immerwährenden Fests des Huhnes. Als die Niederlagen sich häuften und das Ziel, sich für die Europameisterschaft zu qualifizieren, nicht erreicht wurde, entließ man den Schweizer aus seiner Pflicht, den «gschubbfdn Feal» zu lernen, akzentfrei, verjagte ihn aus dem großen Heurigen und schlug allen Ernstes Andy Herzog für das Traineramt vor, als ob die Lehre des raschen Umschaltens von der Dialektkompetenz des Trainers abhängig sei. Der Nachfolger des Schweizers ist jedoch ein Piefke, dessen gefühlte Intellektualität eine Unsicherheit unter den Medien erzeugt: Soll man den Gurkerltest als endgültige Eintrittskarte in die Assimilation anerkennen? Arnautovic, der Beste der Nationalelf, hat den Test leicht bestanden, er musste einen Wienerischen Fluch kennen, fluchte «Dabogda ti sin dovede zeta u kuću!» und beschwerte sich beim ÖFB-Vorstand über den Prüfer, der das Wienerische dieses Fluches in Zweifel stellte. Wer im Medium der Sprache lebt, dem wird nie fad. Ein Wegweiser mit der Inschrift «Zum Aussichtspunkt» kann einen Kongress spalten oder ein Geschwisterpaar. Soll ich konkret werden? Es geht um Orte, die aufgrund spezieller Eigenschaften prinzipiell zur Funktion des Aussichtspunktes tauglich sind. Österreich scheint übersäht zu sein von solchen seltsamen Punkten, die oft mit Punktbänken zum Verweilen ausgestattet sind. Der Begriff Aussichtspunkt hat aber in Mecklenburg-Vorpommern eine andere Bedeutung als in Kitzbühel (ich wähle diesen Ort, weil Kitzbühel für viele Ostdeutsche, die ich im Verlauf des Aufenthalts kennen lerne, geradezu das Synonym für Österreich ist). In den Staaten der Ebene herrscht zwischen den BetreterInnen des Aussichtspunktes und den Objekten der Aufmerksamkeit, sei es eine ferne Schafsherde, die gleiche Augenhöhe. So etwas verbietet sich in der gewachsenen Aussichtspunktkultur unseres Alpenlandes, wo die Aussichtspunkte strukturell höher gelegen sind als die Objekte der Aussichtsuchenden . Unserer Berglogik nach muss das zur Aussicht und Ansicht Gestellte so situiert sein, dass der Einsichtige von oben hinunter blicken kann. Aussichtsberge, Aussichtshügel, Aussichtstürme muss man besteigen, um zur Aussicht zu gelangen. Die gewaltige Aussicht belohnt aber jede Anstrengung. Die Ferne des Horizonts ist der gemeinsame Nenner der pommerschen und österreichischen Aussichtspunkte. Die Höhe des Aussichtspunktes bestimmt die Diversität des zur Aussicht Gestellten: kleinparzellige Kulturlandschaften, Agrarindustrieflächen, Autobahnkreuze, Windenergieparks und im Juni noch mit Schnee bedeckte Berge können Elemente der Beobachtung sein. Die Höhe bereichert die Aussichtsqualität eines Ortes und erfüllt die Aussichtsuchenden mit Glück. Ein Blick hinunter, das Atom einer Aussichtskultur, ist in einer Situation der Ebene, wie sie in Mecklenburg-Vorpommern nahezu ausschließlich gegeben ist, keinesfalls möglich. Österreichischerseits schafft die Landschaft selber jene Punkte, von denen aus sie sich gerne zur Schau stellt: Sie hat dazu jede Mengel Hügel parat; der Mensch muss nichts extra aufschütten. Das letzte, was ein Wanderer, eine Wanderin in Österreich braucht, ist eine Bergspitze mit herrlichem Rundblick, auf dem eine Tafel angebracht ist, auf der «Offizieller Aussichtspunkt des Bundesministeriums für touristische Angelegenheiten» steht. In Vorpommern herrscht Aussichtsarmut. Sogar die Flachsfelder sind flachs und trotzen der Idee des Panoramas & der Bellevue.

DEUTSCH SEIN HEISST STUMM SEIN. WAS BESTEHT, IST VERALTET

Beim Radfahren in der Umgebung Ueckermündes entdecke ich den Skulpturengarten des Bildhauerpaares Marie Madeleine Saludas und Thorsten Bisby-Saludas. In bisher 14 Jahren haben sie sich hier, zwischen Feldern und Wäldern, zwischen zwei ostdeutschen Entindustrialisierungsruinen, die nun neben der Künstlerwohnung eine loftartige Galerie, Ateliers und Zimmer für KursteilnehmerInnen umfassen, ein Paradies aus Skulpturen, Gärten, Installationen geschaffen. Das 30.000 Quadratmeter große Gelände am Rande des Dorfes Hoppenwalde ist täglich offen für kunstsinnige BesucherInnen, doch in der offiziellen Tourismuswerbung spielt dieser Bastardo Nobile aus Kunst und Stettiner-Haff-Natur keine Rolle; demgemäß rar wird die Glocke betätigt, die Marie oder Thorsten zum Eingang ruft. Nicht einmal der ein wenig unkorrekte Trick, das Profil des Saludas-Lebenswerks so zurecht zu manipulieren, dass es zur Teilnahme am regionalen Tourismusprojekt «Tag der offenen Gartentür» in Mecklenburg-Vorpommern (unter 55 weiteren Schaugärten) berechtigt erschien, änderte etwas an der BesucherInnenfrequenz. Wer vom Fieber des Gemeinschaftsgartelns angesteckt ist, muss noch lange kein Fan von bildernder Kunst sein. Was die Resonanz unseres Gartens der Installationen betrifft, so muss man feststellen, dass wir ihn in die falsche Ecke Deutschlands gesetzt haben. Sagt Thorsten. Die Leute, die sich für Kunst interessieren, bleiben nicht in den schrumpfenden Orten der ehemaligen DDR. In einem falschen Leben gibt es keine richtige Ecken, wende ich kluge ein, als ob ich demonstrieren wollte, in jedem Wiener stecke ein Adorno oder zumindest ein Wittgenstein. Marie durchschaut meine Gauklerei sofort und setzt zum Verhör an: Was verstehst du unter falschem Leben? Ich rede mich irgendwie aus dem intellektuellem Schlamassel frei: Ich mein das so. Wenn du als Künstler überhaupt nicht im Kulturbetrieb verankert bist, wenn deine Skulpturen nicht einmal auf den Wänden deines eigenen Stammwirtshauses hängen, weil diesen Platz schon die Bürgemeistertochter mit ihrer Schmetterlingsfotoausstellung usurpiert, wenn du völlig am Markt vorbei deine Steine verzauberst und wenn du dich außerhalb der Community der Subventionierten bewegst, ist jeder Ort der Präsentation falsch. Wo immer du mit deiner Kreativität angelangt bist: Du kannst mit deiner Kunst allein nicht leben, und ohne Kunst schon gar nicht. Wenn du aber, im Gegenteil, zum Star geworden bist, ist jeder Ort der Präsentation geldflussfördernd, also richtig. Marie nickt, als ob ich damit meine These von der falschen Ecke im falschen Leben ausreichend erklärt hätte. Nicht einmal ansatzweise eine Bar in Ueckermünde. Die Suche nach Spurenelementen eines Nachtlebens muss jeden Reisenden gallig aufgebracht werden lassen. Dazu Befragte antworteten: Nachtleben? Meinst du Nachgeben? Nachbeben? Nacktschnecken? Mein privatisiertes Nachtleben, ein öffentliches existiert hier nicht, heißt Lesen & Schreiben, was immerhin auf einen Kollateralnutzen des Nachtlebensentzugs hinweist. Ich lese, dass die Toskana-Fraktionen innerhalb der Grünen und der SozialdemokratInnen in Österreich und Deutschland sich auflösen, weil nun sogar Siena, Jahrtausende lang links, rechtspopulistisch regiert wird. Ich lese, dass am 24. Juni 2018 das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien zu Ende gegangen ist. Die darauffolgende Nacht war ausgefüllt mit der schönsten Party der Geschichte des Islam. Verkehrspolizisten verteilten die ganze Nacht Rosen an Autolenkerinnen, und an den Tankstellen bekamen Frauen Gratisfüllungen. Wie soll ich dazu stehen, als Feminist und Gegner des motorisierten Individualverkehrs. Ich lese, dass der faschistische österreichische Innenminister Herbert Kickl seine Kavallerie nicht zustande bringt. Nur vier Pferdebesitzer boten Tiere an, die den Kriterien der berittenen Polizei entsprachen. Dabei gibt es in Österreich einen Rekordpferdebestand von 120.000 Stück. Ich lese, dass jemand per Zeitungskleininserat eine Honigschleuder sucht und ein anderer Straußenküken verkauft, und ich spüre, dass diese beiden nie zusammenkommen werden. Ich lese in der Süddeutschen: «Schätzungsweise war die allgemeine Stimmung in der Mitte des Dreißigjährigen Krieges auch nicht gerade rosig. Ich lese in der «Kürzesten Geschichte Deutschlands» vom Engländer James Hawes (325 Seiten, kürzer geht´s nicht), dass nach dem ersten Jahrtausend n. Chr. zwei Wörter für «Deutsche» entstanden: das irgendwie stolze teutonici, eine Selbstbezeichnung, und das wenig elegante nemci, eine Fremdbezeichnung für Deutsche, die sich in den Slawengebieten durchsetzte. Nemci hatte die Bedeutung von sprachlos, stumm. Ich lese in Ossi Wieners «Roman», «Die Verbesserung von Mitteleuropa»: Achtung – was besteht, ist veraltet. Ich lese, dass noch immer 48,5 % der Deutschen während ihres Urlaubs Ansichtskarten nach Hause schicken.

BRAV SEIN, GENOSSE GAMMLER I

Robert Sommer, geboren im Dezember 1951 im Traisental, NÖ, nach der Matura in St. Pölten ohne religiöses Bekenntnis nach Wien geflüchtet, geriet in die Post-68-Szenerie rund um die Uni Wien. In den ersten drei Wienjahren überlebte er als Pseudostudent, berufen zur Verbreitung der Idee der Weltrevolution, von einer zur anderen Wohngemeinschaft mäandrierend, bereit zu mäßigen Drogenexperimenten, aber unfähig, die angesagte sexuelle Revolution durch sich selbst ziehen zu lassen. Aus der Sicht des Elternmilieus war er Gammler geworden, das damals gebräuchlichste Wort für Normabweichler. 1973 zog es den Gammler zu den Kommunisten, ein biografisches Paradoxon, zu dieser Zeit aber kein Einzelfall. Hauptmotiv zur Annäherung und später zum Eintritt in die KPÖ: das befriedigende Erlebnis, den Wunschvätern nahe zu sein, nämlich den Männern, die Widerstand gegen den Faschismus geleistet hatten. Auch seine Mutter hatte den Führer sehr gemocht, aber i h r kreidete es Sommer nicht an; die psychoanalytische Interpretation dieser ungleichen Wahrnehmung von Mutter und Vater lieferte seinerzeit Freud. Von 1973 bis 1990 war er Redakteur der Volksstimme, damals Tageszeitung der KPÖ, in der letzten Phase als Leiter der Wiener Lokalredaktion. Noch ein Paradox: Der Höhepunkt seiner Parteikarriere, die Wahl zum Bezirksobmann der KPÖ Brigittenau (die damals, Ende der 80er Jahre, noch fünf aktive Sektionen besaß) fiel zeitlich mit dem Verlust seiner parteikommunistischen Identität zusammen. Ausschlaggebend dafür waren Sommers Erfahrungen während eines halbjährigen Moskau-Aufenthalts. Sommer wurde Teil einer Minderheitenströmung, die sowohl die Ideologie als auch die Organisationskultur der KPÖ bekämpfte – und scheiterte. 1990 trat er aus der Partei aus und verließ dann auch die Wochenzeitung Salto, das Volksstimme-Nachfolgemedium. In der Durststrecke als freier Journalist, erste Hälfte der 90er Jahre, verfasste er Bücher (Wachau-Reiseführer im Falter-Verlag, Uhudler-Buch im Mandelbaum-Verlag, Dokumentation über die Juden von Sauerbrunn etc.) und war Mitbegründer des Uhudla, damals eine burgenlandzentrierte Alternativzeitung. Die Beziehungen zum Kulturverein Aktionsradius Wien (damals Aktionsradius Augarten) überdauerten die Bindung zur kommunistischen Partei. Beiden hatte sich Sommer unkritisch und mit hoher Bereitschaft zu Aktivismus und großen Erwartungen, an kollektiver Theorieaneignung partizipieren zu können. Federführend war Sommer im Fall spezieller Veranstaltungsserien wie Das Philosophische Café, Brennende Provinz oder Neue Wiener Welle. Die Idee, die imaginäre, aber politisch interventionsfähige Republik Augartenstadt zu gründen, kam von ihm. Sommer entwickelte auch – im Rahmen dieses Mikro-Nations-Projekts – das Unterprojekt «Verzeih, Magdeburg». Geschichtlicher Hintergrund: Pappenheim und Wallenstein, nach denen im 20. Bezirk Plätze und Straßen benannt werden, waren die Täter bei der Vernichtung Magdeburgs im 30-jährigen Krieg. Durch eine von niemandem erwartete EU-Finanzierung – Sommer hatte darum als Stadtrat für intergalaktische Beziehungen offiziell angesucht – konnten 50 KünstlerInnen aus Magdeburg zu einem unvergesslichem Fest auf dem Wallensteinplatz eingeladen werden. Die Nachbarschafts-und Grätzlarbeit ist ein zwar abnehmender, gleichwohl aber prägender Aspekt des Engagements des Aktionsradius. Sommer nimmt seine Teilnahme als Prozess einer Wiederverwurzelung wahr, ein wünschenswertes Ziel für einen, der sich als aus der Heimat der Kindheit Hinausgetriebener empfindet. 1995 initiierte er das Projekt Augustin, ein sozial-mediales Experiment, das sich an den bereits bestehenden „Straßenzeitungen“ in Großbritannien, Frankreich und Deutschland orientierte, aber bald zu einem sich völlig frei von Fremdmitteln finanzierten, dynamischen „Unternehmen“ mutierte, das AussteigerInnen, „Minderleistern“ und Gestrandeten aller Genres radikal unbürokratisch Überlebenshilfe bietet. Bis Ende 2017 war Sommer Teil des zuletzt vierköpfigen Redaktionsteams des Augustin, wo er nicht aufhören konnte zu staunen, wie ein Medium, das die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse negiert, eine derart weite Verbreitung finden kann (2007: ca 30.000 verkaufte Exemplare im 14-tägigen Erscheinungszeitraum, 2017 ca. 20.000; der Rückgang wird einerseits auf die allgemeine Digitalisierung, anderseits auf die gesellschaftliche Ablehnung der «ArmutspendlerInnen» aus Osteuropa zurückgeführt, die langsam zum größten Segment der Kolporteure wurden). Der Augustin wurde mit zwei Journalismuspreisen ausgezeichnet (Concordia-Preis, Gatterer-Preis).

BRAV SEIN, GENOSSE GAMMLER II

Robert Sommer ist Träger des Theodor Kramer-Literaturpreises 2006. Literarische Pläne verfolgt er erst seit 2003, wobei Kategorien wie Spätberufener auf ihn nicht angewandt werden können, da er sich erstens kaum zum Schriftsteller «berufen» fühlte und zweitens das Alter als soziale Konstruktion missachtete, die keinen Bezug zu seinem Leben hatte. Im Zentrum seiner poetischen Aktivität stand zunächst die Arbeit am POTLATCH-Roman, der als work in progress konzipiert wurde, das bis 2015 bloß in Form von Computerausdrucken im Bekanntenkreis zirkulierte. Diese scheinbar provisorische, intime Form der Veröffentlichung sei der Buchform vorzuziehen, antwortete Sommer auf diesbezügliche Fragen. Denn ein Buch bedeute immer das Ende eines Schreibprozesses, während das Wesen seines Schreibens in der Unmöglichkeit und Undenkbarkeit des Aufhörens und Abschließens bestehe. POTLATCH, der Titel des Textes, bezieht sich auf das Geschenksfest der Kwakiutl, einer der first nations in Nordamerika. Im Buch ist es der Name eines Spieles, dem die Hauptfigur Kurt Eternit zu einer weltweiten Ausbreitung verhelfen will. Es ist ein Geschenkspiel, bei dem der oder die gewinnt, der oder die am meisten herschenkt. Gelänge es Kurt, einen maßgeblichen Teil der Bevölkerung der Erde mit entsprechender Spiellaune zu infizieren, müsste Potlatch zu einer Ökonomie des Schenkens auswachsen, demnach auch zu einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Kurts Handeln geht von seiner Erfahrung aus, dass, wer immer dieses Ziel der Umverteilung mit politischen Mitteln (der reformerischen oder der revolutionären Art) erreichen wollte, gescheitert ist, und er geht von seinem Traum aus, dass an die Stelle der Politik nun das Spiel treten müsse. Als ewig Lebender ist der Held der Story die einzige magische Figur des Personenensembles. Dem Thema Schenken benachbart ist das Thema des Copyrights. Der Autor untermauert im Schreiben seine These, dass Literatur hauptsächlich aus der Literatur anderer und nur nebensächlich aus dem eigenen Erleben des Autors komme, durch intensives Plagieren fremder Texte, zum Teil aus der Weltliteratur, zum Teil aus der privaten Mailbox. Die Quellen sind manchmal genannt, manchmal nicht. Diese freien Griffe ins Volle der bestehenden Literatur und die Reflexion über die Legitimität dieser systematischen «Raubzüge» stellen die Meta-Handlung dar. Der Roman ist wahrscheinlich, wie eigentlich jeder Roman, in einem höheren Grad autobiografisch als eine durchschnittliche Autobiografie; die Verkörperung des Autors erfolgt jedoch in verstreuter Form, er widerspiegelt sich einmal in der, ein anderes Mal in der anderen Figur. Die Figuren der ersten zeitlichen Hauptebene des Romans (90er Jahre bis Jetztzeit) sind aber ebenso Sprechblasen real existierender Menschen im Umfeld und Freundeskreis des Autors. Die Figuren der zweiten zeitlichen Hauptebene des Romans (Sommerfrische 1937 im burgenländischen Kurort Sauerbrunn) sind zum Teil nicht fiktiv; in Einzelfällen wurden nicht einmal die Namen geändert. Hier gibt es Stellen, wo fiktive Literatur mit der Dokumentation realer Abläufe vermengt sind; Quelle dieser Sauerbrunn-Episoden des Romans sind die Recherchen, die der Autor im Auftrag der Gemeinde unternahm und die mit der Studie über die jüdische Gemeinde und die jüdischen Sommerfrischler des nordburgenländischen Kurorts abgeschlossen wurden. Diese Studie ist unter dem Titel „Spurensuche in Bad Sauerbrunn. Die jüdischen Wurzeln des Ortes zwischen den Zeiten“ (S. 243 bis 318) Teil der dreiteiligen neuen Ortschronik von Bad Sauerbrunn. Einige der kopierten Blätter des Roman-Torsos gerieten schließlich in die Hände des Verlagschefs der „edition tarantel», Gerald Grassl, der gegen die Bedenken des Autors im Jahre 2015 den Roman mit dem Untertitel“Eine nicht zu Ende gedachte Geschichte" erscheinen ließ. Milenas Mutter hatte einen großen Busen, den sie aber in ihrer Heimat nicht frei schwanken lassen durfte. Sie kannte die christlichsoziale Konvention. Aber jeden Feierabend griff sie mit ihren Armen hinter ihren Rücken zum Busenhalterträger, hielt einen rituellen Moment lang inne und riss sich mit dem Schrei «Scheiß Tuttlgschirr!» den BH vom Leib. Sie warf den BH weit weg in eine Ecke des Wohnzimmers und stöhnte dabei befreit auf. Dann knetete sie ihren Busen und streichelte ihn. Schließlich setzte sie sich, befreit von der Zwangsrüstung, vor den Fernsehapparat. So tat sie es Tag für Tag gegen 18 Uhr abends. Ihre Töchter und Söhne nannten diese tagtägliche Geste der Anarchie «Scheiß Tuttlgschirr»-Ritual. Die Befriedigung, mit der Milena sich ihrer Alltagskleidung erledigt, sobald sie nach Hause kommt, ist verdächtig.

BRAV SEIN, GENOSSE GAMMLER III

Aus naheliegenden Gründen konnte eines der Sommerschen Buchprojekte zügigst realisiert werden: «Wie bleibt der Rand am Rand», eine Sammlung von Essays zur Frage, wie viel Armut das herrschende System brauche, um möglichst reibungslos zu funktionieren. Erst lange nach dem Beginn der Arbeit am POTLATCH-Projekt erwogen, konnte es – befreit von den Unsicherheiten und Selbstzweifeln, die das Romanschreiben immer mehr zur Mühe machten – binnen eines Jahres fertiggestellt werden. Für das Unternehmen «Rand» konnte der Autor aus dem Vollen schöpfen, nämlich aus dem Erfahrungsschatz eines Straßenzeitungsmachers. Eine Sachkenntnis, die freilich zu Schlussfolgerungen führte, die in den offiziellen Institutionen der «Integration» Ausgeschlossener nicht geteilt wird. Die Gesellschaft brauche die nicht integrierten Außenseiter, lautete die These. Denn sie erfüllten systemstützende Funktionen; die Gesellschaft müsste sie erfinden, wenn es sie nicht gäbe. Die Armen werden als Gegenstand kollektiver Betroffenheit gebraucht, als symbolische Grenze: Die «Mittelschicht», dazu zählen sich ja auch die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter, kann sich von ihnen abgrenzen, kann sie ausgrenzen. Sommer zählte in seinem Buch «Wie bleibt der Rand am Rand» die Großmaschinen auf, mit denen der Staat den sozialen Rand immer aufs Neue reproduziert: Gefängnisse, Psychiatrien, Obdachlosenheime ... «Wie bleibt der Rand am Rand» erschien im Mandelbaum Verlag – genauso wie Robert Sommers bisher letztes Buch «Poesie und Disziplin" (2016). Dieser Band ist eine Hommage an den linken Aktivisten, grünen Parlamentarier, Kunstwissenschaftler und Kulturvermittler Dieter Schrage (1935-2011), ein von Sommer zu Papier gebrachtes Sich-Sehnen nach «Menschen, die zwischen Individualismus und Kollektivität mäandrieren, zwischen Parlamentsarbeit und außerparlamentarischer Rigorosität, zwischen Hausbesetzerszene und 25 Jahre ohne Ab- und Zugänge gereifter Tarockpartie, zwischen Marx und Bakunin, zwischen akademischen Diskursen und Volxhochschulpädagogik, zwischen Ehrung der Arbeit und Lob der Faulheit, zwischen dem Theoretisieren und dem raschen intervenierenden Handeln, zwischen Realpolitik und Utopie, zwischen Hochkultur und Subkultur, und die bei diesen Brückenschlägen immer einen Drall erkennen lassen, nämlich die selbstverständliche Zuneigung zu den Unteren, Schwächeren.» Seit Jänner 2017 ist Robert Sommer Pensionist «im Unruhestand». Fast täglich schreibt er an seinem groß angelegtem autobiografischen Vorhaben namens «Sämtliche Erinnerungen, leicht gekürzt», er schreibt manchmal daran wie im Schreibrausch und bar jeder Erwartung, einen für dieses Experiment offenen Verlag zu finden. Jedes Kapitel ist exakt eine Buchseite lang, und allein schon die Versammlung der Kapitelüberschriften deutet auf einen Autor hin, der seine Aufmerksamkeit auf die großen und kleine Dinge (und Prozesse) der Welt nach vielen Richtungen strömen lässt. Die Quellen dieser «Erinnerungen» sind vor allem die Pickbücher des Autors, eine Chaos-Mischung von kurzen bis minimalistischen Eigen- und Fremdtexten, Bildcollagen und Zeitungsausschnitten. Neben diesem autobiografischen Projekt schreibt Robert Sommer (ohne jeden Veröffentlichungsstress) kleinere Texte literarischer Art, in der Regel Lyrik, und verfasst auch weiter journalistische und essayistische Beiträge für den Augustin – nunmehr als freier Mitarbeiter. Als federführender «Erbe» des Perinetkellers, des ehemaligen Kellerateliers der Wiener Aktionisten, gibt er das Bild einer Person ab, in der drei Interessens sich einen permanenten Wettbewerb um die Arbeitszeit liefern: die journalistische, die literarische und die kuratorische. Sommer gründete eine Gruppe, die sich «Institut ohne direkte Eigenschaften» (IODE) nennt und seit Herbst 2016 den mit Mythos geladenem Souterrain ein zweites Leben verschafft. Keineswegs gewillt, eine Kultstätte zur Vergöttlichung der Männer des Wiener Aktionismus zu etablieren, die inzwischen in den oberen Etagen des globalen Kunstmarktes gelandet sind, ist eine gewisse Anknüpfung an die Zeit der wilden Happenings dennoch intendiert, nämlich an die Idee, dass Kunst etwas mit sozialer Revolution und soziale Revolution etwas mit Kunst zu tun hat. «Wir, das Institut ohne direkte Eigenschaften, wollen diesen Keller zeitgenössischen KünstlerInnen und Künstlergruppen zur Verfügung stellen, für die Kunst und Revolution kein Widerspruch ist und die – zusammen mit dem Publikum – die Frage stellen, was Avantgarde heute bedeuten könnte.»

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hundsbuam miserablige! platzhirschen-contest. poysbrunner frauenkompott. verkochte tirolerknödel ungewissen urspungs? das hat noch gefehlt: die knödelakademie. brennende provinz: dodamauna. trattenbach ist ein besonders minderwertiger ort. wir himmelfreundpointners. roschtiges edelweiß. provinz auf der schaufel. as chönnti alls ganz anders sii. es wird langsam langsam langsam imma scheena. der wind schreit maria alles wird gut. leichte winter. koid woam. zimmer frei. endzeit gut alles gut. suppe taube spargel sehr sehr gut. suppe koid taube woam. spargel ungewissen ursprungs: magdeburg? herrenbaumgarten? oberpodgoria? die maus probiert das leben aus. marie übt die anarchie. sankt pölten schlägt zurück. ich bin der könig der kröten. oaschkapplmuster beidlrotz. ich komm vom rand leb am rand schreib über´n rand. poesie der straße. heazz schmeazz. tanzhaus im exil. schee vabuzd lola rot. irrwisch im rotlichtviertel. die ehre der strizzis. von der verlorenen insel. narrendattel. amen sam so amen sam – wir sind wie wir sind. otto und die frühaufsteher. a life a song a cigarette. wovon ich leben werd´ ist unerfindlich. von vertrackten kontakten? beckenbodentraining für männer? schildkröten spazieren führen. pomali pomali? von kafkalesen liebemachen schwammerlsuchen. geheimnisse des apetloner dialekts. sprache wie sturm aus der puszta. arbeit macht krank. trink uhudler und deine hand wird ruhig. rette den purzelbaum. lass die roten fahnen blühen. lola rot. let´s make money. wos na ge! laut alphabet des anarchistischen amateurs ist flanieren die feinschmeckerei des auges. bevor ich vereise muss ich verreisen. die puszta beginnt in der brigittenau. keine bezirkskultur! kultur für die galaxis! wos na gegroße städte große sünden. bolshevic chic und metal schnulz. los sombreros e los dilettantos. kein zeltfest, sondern ein weibersommer. keine treibjagd sondern ein weibersommer. kein damenkränzchen sondern ein weibersommer. deishovida. und dazu jährlich mollys monolog. über puff und paradies! zwar bin ich leidenschaftlich dilettant aber sicher nicht mit ihr verwandt. frauen sind keine engel. große städte große sünden: some little istanbuls. and two russian gentlemen. graue donau and schwarzes meer. zwei blutjunge verführer. ein ja zur osterheiterung: hautkontakt mit nachbarowa. null neun dreißig einszweiacht dreimaldiesieben. wos se auszoid is de liebe. alles picknick! freitag in sarajewo. durchgang bis auf widerruf gestattet. novi sad lockt übel wien! bekannt ist für bier und blunzn prag. ich trink nicht weil ich mich beim brunzen plag. stadtflucht - in addis abeba gibt´s kein cola mehr. adi gusch! mochmawos! gemma roma schauen! hoppauf hakoah. trotz uefa – fußball ist schön. zidane zidane zidane was at er götan? brechreiz eines hugenotten. es war die reblaus. wos na ge. the dog did it. musik aus blut und honig. blutjunge verführer. geborne feinde der logik. tina wir vermissen dich. kudlmudl: es hängt ein autoreifen an der wand. wos na ge! der kaffee sieht aus wie altes geronnenes gänseblut. die götter müssen verrückt sein. der hund zwischen scheibbs und nebraska kommt mir spanisch vor. konferenz der eingebildeten republiken. aus wos san de knackwürst? freunderlwirtschaft: obrigkeiten der augartenstadt auf stimmenfang. wallenstein und pappenheim. entvölkert wien. circus der situationen. die stadt erhebt sich von unten. wer hat magdeburg magdeburgisiert? und gerettet ist der purzelbaum... Ein Textteppich aus Titeln und Veranstaltungsankündigungen anlässlich des 20. Geburtstag des Kulturvereins Aktionsradius Wien. Ich glaube, ich habe eben jenen Begriff entdeckt, der das, was mich im literarischen Arbeiten zur Zeit am meisten reizt, am besten spiegelt. Der Textteppich enthält keine zentrale Idee und also auch keinen Schlüssel-Satz, zu dessen Würdigung das Buch, um diesen Satz herum, geschrieben worden ist; in Textteppichen braucht man gar nicht beginnen, nach einem solchen Überdrüber-Satz zu suchen. Man kann sich den Textteppich nicht als Labyrinth vorstellen, das es den LeserInnen spannend macht, eine herausragenden Aussage zu suchen wie ein literarisches Osterei, das besonders raffiniert versteckt wurde. Nein, ein solches Zentrum ist im Textteppich ausgeschlossen, weil es keine herrschenden Ideen im Gewebe gibt, sondern die allgemeine Gleichheit der Knoten und der Fäden. Ein Textteppich kennt keine Höhepunkte im Sinn einer Narration, die auf Seite 5 beginnt, ab der Seite 317 sich dramatisch zuspitzt und ab der Seite 750 jenem unvorhersehbaren Ende zusteuert, der im Klappentext schon angedeutet ist. Ein Textteppich besteht aus unzählbaren gewobenen Höhepunkten und kann daher von zerbildeten Menschen, die Günther Grass als Maß der Perfektion in der Literatur anerkennen mussten, nur mit Mühe bewältigt werden. Der Textteppich ist absurd wie das Leben.

FRIEDHOF DER APODIKTISCHEN SÄTZE

liebe uschi, ich hab grad die muße, unsere diskussion fortzusetzen, und beginne mit meiner vorgestrigen wahrnehmung eines gemeinsamen intellektuellen ungeschicks: mit unserer bereitschaft zu schnellen urteilen. man nennt das auch dogmatismus. was meine dogmen betrifft: ich sollte wohl die kritik daran anderen überlassen, denn dogmen, die ich in mir selbst entdecke, sind keine dogmen mehr; sie zerbröseln in dem maße, in dem ich über sie spreche. die art, wie ich die sozialen klassen in gute und schlechte einteilte, und das diktum vom «sein, das das bewusstsein bestimmt» - das zählte zu meinen schlimmsten jahrelang unhinterfragten apodiktischen verlautbarungen; ich habe alle blödheiten des marxistischen dogmatismus mitgetragen und mich sicherlich noch nicht von allen gelöst. mehr als zu meinen kann ich zu deinen dogmatischen vereisungen sagen (eine formulierung, die dich vielleicht verärgert, weil du dich – aus meiner sicht: paradoxer weise – als den undogmatischen, antiideologischen part des teams wähnst). wir sollten gemeinsam ein lexikon der apodiktischen sätze beginnen und, um es rasch zu füllen, uns gegenseitig beim gebrauch apodiktischer urteile ertappen. Einmal mehr fand ich es nötig, meine Positionen gegenüber meiner «Chefin» im Aktionsradius Wien als Brief zu formulieren. Erfahrungsgemäß läutet eine solche (meist nur in eine Richtung rinnende) Korrespondenz keinen Kompromiss ein; Uschi konstatiert nach jedem Mail, das sie von mir bekommt, wir redeten leider aneinander vorbei. Mit meiner Wahrnehmung deckt sich das naturgemäß nicht; vielmehr findet das Aneinander-vorbei-Reden in meinem eigenen Kopf statt. Anregungen, die ich heute kriege, entwerten eine Idee, die ich gestern leidenschaftlich vertreten habe. Doch diese nun relativierte Idee verschwindet nicht aus meinem Denken, das dann oft die Form des internen Aneinander-vorbei-Redens annimmt. Seit geraumer Zeit ist Uschis großes Thema das der Versöhnung. Der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist korrekt, meine ich: Niemand ist NUR Täter, niemand ist auch NUR Opfer. Uschi ist bereit, sehr großzügig zu sein gegenüber modernen Gurus wie Karl Heinz Domig, der diese These in seinen Vorträgen «verteidigt», als ob sie von irgend einer Seite angegriffen werde. Wenn er sage, sein Großvater sei zwar ein Widerstandskämpfer gewesen, aber beileibe kein Heiliger, ecke er überall an, behauptet Herr Domig in solchen Vorträgen, die sehr teuer sind, weil die ZuhöreInnen dem Redner tatsächlich die Entdeckung besagter Opfer-Täter-These zutrauen. Wo lebt er eigentlich? Es ist doch längst kein Tabubruch mehr, festzustellen, dass die Guten sich verhärten können, je länger sie in den Krieg verwickelt sind. Dass sie Züge ihrer Peiniger übernehmen können. Doch welche Züge ihrer Vernichter hätten die Millionen in das Gas Getriebenen noch schnell übernehmen können, um Domigs Versöhnungsmodell «Mit Respekt vergessen» zu legitimieren? Die anspruchvollste Textfläche ist Ai Weiweis Liste der 5200 SchülerInnen, die 2008 bei einem Erdbeben in Südchina ums Leben kamen – in chinesischer Schrift. Ein Textteppich, der sich ironischerweise Roman nennt, ist Ossi Wieners «Verbesserung von Mitteleuropa». Es ist ein Sprachtextteppich, weil es in diesem Grundbuch der österreichischen Nachkriegsavantgarde um die Fähigkeiten der Sprache geht. die sprache lässt zu dass die zukunft als in den dingen ruhend vorgestellt wird. ein junger mensch muss davon ausgehen dass alles was er sieht das werk von idioten ist. die historische bedeutung (Oswald) wieners besteht darin dass er sich nicht der falschheit seiner sätze schämte, ganz im gegenteil. er schämte sich n i c h t der falschheit seiner sätze. alles ist aufgeschrieben und man schreibt noch immer. sich ziehen wie ein roter faden durch: solche wendungen sind die kreaturen der demokratie, rote faden, leitmotiv, tenor, wesen, hauptsache, er beherrscht, kehrt immer wieder, grundsätzlich, vor allem, betonung, diese sprache wirft nichts ab ich habe durst. Ich habe kürzlich die Anleitung zum Lesen eines Buches in der Hand gehalten, ich weiß nicht mehr von welchem Autor: «Nichts verschlingen, nichts verschlucken, sondern weiden, sorgsam abgrasen. Die Stellen suchen und finden, mit denen man was anfangen kann. Das untote Buch auf eine neue Art lesen. Wohl gibt es in dem Buch nichts zu verstehen, aber viel, mit dem man was anfangen kann. Der Leser, die Leserin nimmt, was er oder sie will. Es ist ihr Recht, hin- und herzublättern, ganze Passagen zu überspringen. Das Buch kann man zu einem beliebigen Zeitpunkt in die Ecke schmeißen.» In diesem Sinn ist meine ganze Bibliothek, aufgeteilt in zwei Wohnungen, tot und untot zugleich; tot, weil die meisten Bücher noch völlig ungelesen sind, untot, weil sie alle ohne Ausnahme jederzeit damit rechnen müssen, meine Aufmerksamkeit zu erregen und ihre Unschuld zu verlieren.

DEUTSCHE DÜRFEN DEUTSCHE BLEIBEN

In der SZ stand etwas über Bert Neumann, den verstorbenen Bühnenbildner der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf. «Als es zur Mode wurde, das Theater in den so genannten Stadtraum zu exportieren, hat Neumann das ironisch umgedreht und die Stadt ins Theater geholt, indem er den kompletten Zuschauerraum der Volksbühne asphaltiert hat.» Brandreden vor dem falschen Publikum sollten langsam zum Gegenstand von Literatur- und Theaterkritik werden. Langer stürmischer Applaus nach der Brandrede signalisiert: Wieder fühlte sich niemand der Anwesenden von dieser unverzeihlich provoziert oder lehrreich irritiert. Wem derartige Gefühle zugemutet wurden, der oder die saß am betreffenden Abend weit vom Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt entfernt, und vom Bachmann-Preis hörten sie zufällig in den TV-Nachrichten. Ihnen, den Reaktionären des Kulturbetriebs, war die Rede des Star-Autors Feridun Zaimoglu gewidmet, doch sie konnten die Rede nicht hören. Unter denen, die sie hörten, weil sie zum obligaten Bachmann-Temin in Klagenfurt gestellt sein mussten, herrschte Einverständnis mit der Brandrede und dem Autor derselben.. «Wir stehen bei den Verlassenen» war der letzte Satz seiner revolutionären Ansprache. Marie Schmidt dazu in der SZ: «So wuchtig Zaimoglus biblischer Furor ankam, dämpfte es doch den aufrührerischen, provokativen Gestus ziemlich, wie widerstandslos seine Rede vom Publikum abgenickt wurde. Man klatschte eine Minute länger als gewöhnlich, fand alles sehr richtig und ging erquickt zum Buffet. Der hart attackierte Gegner war auffällig abwesend.» Ein Einwand: Es fiel nicht wirklich auf, dass die AdressatInnen von Zaimoglus Brandrede nicht im Publikum saßen; auffallend wäre das Gegenteil. Ihre Abwesenheit ist eine strukturelle. Säßen die Reaktionäre in der Bachmann-Preis-Feier, wären sie keine Reaktionäre (mehr). Die Deutschen (und ÖsterreicherInnen), die massenhaft einmal aus wirtschaftlichen, dann wieder aus politischen Gründen in die USA emigrierten, waren zeitweise genau das, was die Rechte integrationsunwillig nennt. Teile von ihnen waren hartnäckige Integrationsverweigerer. Integrationsverweigerung ist immer verdammt UND glorifiziert worden. Sie zu propagieren kann bedeuten, dass jene Lebensplanungen abgewertet werden, die auf eine absolute Integration, auf die Unsichtbarmachung der Herkunft, d.h. auf eine neue Identität, die keinen Kummer mehr bringt, gerichtet sind. Das soll nämlich, neben der Integrationsunlust, ebenfalls eine akzeptable Idee werden. Die Integrationsresistenz der Deutschen im amerikanischen Exil wird im Geschichtsunterricht durchwegs positiv beurteilt. Deutsche dürfen in der fremden Welt Deutsche bleiben, TürkInnnen müssen sich an die fremden Werte anpassen, sie dürfen nach der dritten Generation keine TürkInnen mehr sein – wo bleibt da die Gleichheit? Oswald Wieners Verspottung der Verwaltungssprache: sich ziehen wie ein roter faden durch: solche wendungen sind die kreturen der demokratie, rote faden, leitmotiv, tenor, wesen, hauptsache ... diese sprache wirft nichts ab ich habe durst. Ein Verlag muss als mutig gewürdigt werden, der dem Wunsch seines Autors nachkommt, etwas, was in Reich-Ranitzkys Sinn das Gegenteil von einem Roman ist, als solchen zu vermarkten. Wie viele Menschen, die den Roman «Die Verbesserung von Mitteleuropa» bei Rowohlt bestellten, waren konsterniert über das völlige Verschwinden jedweder Erzählung. das körpi will einen schlick. jaja! gemir dem körpi einen kleinen ham-ham nich? ich fing an zu grinsen, grinste und wurde wieder ernst und wandte mich zu tür. es dauerte eine ganze weile, bis ich draufkam dass mein grinsen stehengeblieben war ... ich gab mir jede mühe das gesicht zu glätten ... der körper fing an zu pumpen wie eine vom krampf gepackte qualle.

ANARCHISMUS: PEINLICH IN DER SP, UNTRAGBAR IN DER KP

Was mir zu einer Hommage an Dieter Schrage im Volkskundemuseum einfiel ... Es gibt wenig Menschen, die den „Spagat“ zwischen Bank und Punk, zwischen Hoch- und Subkultur, zwischen Parlamentarismus und antiparlamentarischer Opposition in so befriedigender und gelassener Dialektik durchlebt haben wie Dieter Schrage. Es gibt wenig Menschen, bei denen die so genannte Altersweisheit so friktionslos aus der Jugendtorheit hervorgegangen ist. Die Jugendtorheit – das war Dieters Halbstarkenleben und seine Sympathie zum revolutionären Untergrund. Die Altersweisheit – das ist Dieters charmanter Entwurf eines individuellen Anarchismus, den er uns hinterlassen hat. Niemandem wird es gelingen, sich Schrage als Guru vorzustellen, der einer Schar williger Anhänger_innen erklärt, was Schragismus ist. Dieter Schrage wäre gestern 80 geworden. Aus diesem Anlass haben euch das Volkskundemuseum und die Straßenzeitung Augustin zum „Fest für Schrage“ eingeladen. Es ist Teil des Veranstaltungsreigens zum 20-Jahres-Jubiläum des Augustin. Dieter hat den Augustin ernst genommen und ihn als Plattform für seine Anliegen benützt. Viele Texte haben sich angesammelt, die von Dieter verfasst wurden. Ich kann mich an sein Plädoyer für die Berliner Spaßguerillagruppe Die Glücklichen Arbeitslosen erinnern, die die Befreiung von der Lohnarbeit zelebriert haben. Dieter Schrage ist deshalb von Wiener Arbeitsloseninitiativen sehr verschmäht worden, die für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gekämpft und sich von Dieter sehr verarscht gefühlt haben (siehe Band 1). Mit seinem Projekt „Museum für den Augustin“ hat der Kulturwissenschaftler und Ausstellungsmacher Dieter Schrage seinen Wunsch verwirklicht, ausgeschlossenen Menschen zumindest den Zugang zu moderner Kunst freizuräumen. Das war nicht nur ein soziales Experiment, sondern auch eine neue Form der Kunstbetrachtung. Eine Studie hat ergeben, dass AusstellungsbesucherInnen durchschnittlich nur zwei Atemzüge lang vor einem Kunstwerk stehen. Mit Dieter Schrage haben LeserInnen und VerkäuferInnen des Augustin zwei Stunden lang vor einem einzigen Bild diskutiert. Ein paar Monate vor seinem Tod wollte Dieter Schrage zusammen mit dem Augustin einen neuen Anlauf unternehmen: Weil niemand von der Teilnahme ausgeschlossen war, hatten in letzter Zeit viel mehr Augustin-LeserInnen als Augustin-VerkäuferInnen das Gratis-Führungsangebot benutzt. Mit Dieter Schrage hatte auch die Augustin-Crew die Tiefe der Kluft zwischen Marginalisierten und Kunstbetrieb unterschätzt. Schrages Freitagsführungen «für den Augustin» waren vorweggenommene Momente der sozialen Gleichheit. Eine klügere Hommage an Schrage legte Julius Mende vor. Ausgangspunkt dieser Würdigung (noch zu Dieters Lebzeiten) ist dieses Zitat: «Wenn ich jetzt zu den Grünen Alternativen finde, dann deshalb, weil ein Anarchist bei der SPÖ peinlich, bei der KPÖ untragbar, bei der jungen bunten Grünen Alternative aber immerhin möglich ist». Schrage landete also bei den Grünen als Kritiker der Grünen. Mende zitiert eine weiteres Schrage-Urteil: «Ein in den letzten Jahren weit verbreitetes Trugbild, weit verbreitet auch in den linken Kreisen, ist die trügerische Annahme, der Kapitalismus habe gesiegt. Ich selbst kann heute nicht sagen, ob es eine letztlich doch aus der gesellschaftlichen Realität gespeiste Gewissheit, eine für meine persönliche Existenz unerlässliche Utopie oder nur ein Festhalten an einem Lebensprinzip Hoffnung ist, wenn ich auch nach dem Zusammenbruch der Länder des sogenannten real existierenden Sozialismus den so oft berufenen ,Sieg des Kapitalismus‘ nicht sehe und der schrittweisen Verwirklichung einer von den Ideen und Werten des Sozialismus bestimmten Gesellschaft nach wie vor eine Chance gebe.» Mehrfach bezieht Schrage sich auf den Anarchisten Gustav Landauer — nach Schrage „Wegbereiter eines undogmatischen, freiheitlichen Sozialismus“ — mit seiner Konzeption des werdenden und stets unvollendeten Sozialismus: «Wir wollen nach Möglichkeit aus dem Kapitalismus austreten», schrieb Landauer 1910 und findet hier die Zustimmung Dieter Schrages. Mende antwortet als – wenn auch gesprächsbereiter – KPÖ-Dogmatiker: «Heute weiß natürlich auch Schrage, dass das nicht geht. Trotzdem setzt er sympathisch auf die partielle Vorwegnahme solidarischer Lebensweisen bzw. Kollektive nach dem Prinzip der Selbstverwaltung und Basisdemokratie. Aus den Erfahrungen des historisch gescheiterten Anarchismus zieht er den Schluss der rechtzeitigen internationalen Vernetzung dieser bunten Initiativen. Ein klassisches historisches Subjekt solch inselartiger Wühlarbeit vermag er nicht zu erkennen, ortet die Menschen für eine Erneuerung aber eher bei gesellschaftlichen Randgruppen und aufgeklärten Mittelschichten als bei der zunehmend differenzierten Arbeiterschaft. Das erklärt auch die Hinneigung zu den Grünen.»

WERTE RÄUDIGE URSPRUNGS-URHUNDE, WO SEID IHR I

Über Norbert Gaggl. Norbert war sozusagen einer der ganz wenigen Vertreter des Dandyismus unter den Augustinkörpern. Der sportliche Corpus korrespondierte mit der eleganten Kleidung, zu der immer gebügelte Hemden und gelegentlich ein Nadelstreifanzug gehörten. Den Gesamteindruck störte nur die Nase, sie hätte aber leicht auch weit entstellter sein können: auf ihr hatte die Sportleidenschaft Spuren hinterlassen. Norbert war nämlich Boxer, und weil er diesen Kampfsport sehr ernst nahm, konnte er nicht verhindern, dass ihm zweimal die Nase gebrochen wurde. Manchen Kundinnen und Kunden wird der Augustinverkäufer zu skeptischen Überlegungen Anlass gegeben haben: «Sieht aus wie ein Lord, ist charmant und kommt mit seinem lieblichen Kärntner Dialekt, mit unaufdringlichem Schmäh… und verkauft die Zeitung der Armen?» Norbert Gaggl kümmerte sich um solche Probleme, die eh nicht die seinen waren, herzlich wenig. Über Fritz Babe. «Wenn man in einer Sparte Künstler ist, kann man sich zumeist auch in anderen Sparten künstlerisch ausdrücken. Insofern würde ich mich Universaldilettant nennen.» Man hört: Fritz Babe ist kein Freund des Understatements. Entsprechend unschüchtern reiht er sich – befragt nach den Vorbildern – in die Versammlung der Majestäten der Wiener Avantgarde ein: «Angefangen hat das mit den Gedichten. Da war ich stark von der Wiener Gruppe beeinflusst, von den radikalen Sprachexperimentierern wie Jandl oder Konrad Bayer. Zu malen begonnen hab ich als Donaukanalfährmann. Die schräge Wiesn am Donaukanal war ideal für meine Rinnbilder, ich brauchte das Bild nur auf die Wiese zu legen, schon rann die Farbe böschungsabwärts.» In den «Skizzen- und Poesie-Schundheften», die er ein Dutzend mal kopierte und verschenkte (die höchste Auflage erreichte er mit 21 Kopien), vereinigt er seine beiden Passionen, das Schreiben und das Zeichnen. Über Osarienem Sunday. Nimmt man die Internet-Einträge als Maßstab, muss der gebürtige Nigerianer Osarienem Sunday zu den – im positiven Sinn – auffallendsten Augustin-Kolporteuer_innen in Wien zählen. Selbst nüchterne Menschen greifen zu poetischen Metaphern, wenn sie nach ihrer Meinung zu Mister Sunday gefragt werden. Er zaubere ein Lächeln in die mürrischten Gesichter der Alltags-Gehetzten. Der «Sonnenschein von der Schottentorpassage» muss, wie aus heiterem Himmel, eine Polizeistrafe von 200 Euro zahlen. Über Angelo Schmid und seinen Vater. «Die Dörfer, durch die wir kommen, haben keine Probleme mit uns», sagt Junior Angelo. «Unser Angebot, zehn verschiedene stumpf gewordene Gegenstände zum Pauschalpries von 30 Euro zu schärfen, wird gerne angenommen.» Die Fertigkeit, die die beiden erreicht haben, immerhin existiert ihr Familiengewerbe bereits in der achten Generation, ist eine Gabe, die in Hinkunft neu bewertet sein wird: wirklich nachhaltige Wirtschaftssysteme sind ohne das Comeback des Reparierens anstelle des Konsum- und Erneuerungswahns nicht vorstellbar. Umso skandalöser die andauernden Polizeikontrollen, die auch dann nicht endeten, als die Messerschleifer aus dem Raum Scheibbs durch ORF-Reportagen zu regionalen Heroes geworden waren. Die Polizei schikaniert die beiden trotz besseren Wissens. Denn die vielen Akten der Bezirksbehörden, laut denen die Arbeit Angelos und seines Vater absolut dem Gewerberecht entspricht, und die vielen Gutachten, die die Legitimität ihrer Tätigkeiten hervorstreichen (ein Teil dieser Papiere ist von Angelo an unsere Redaktion gefaxt worden), sind auch den ober- und niederösterreichischen Polizeistellen bekannt. Über Werner Steinermann. In der letzten Hälfte der neunziger Jahre, also in der Kinderzeit des Augustin, existierte in Wien ein Häufchen literarisierender Clochards, das es vorher nicht gab und das es in Zukunft vielleicht nie wieder geben wird. Die Hauptakteure waren Hömal, Luvi, Strawinsky, Hari Harmlos, Walter Pichler, Smoky und Werner Steinermann. Aus Anlass von Werners Tod liegt es nahe, einen Blick auf diese liebenswert räudige Clique von Männern zu werfen, die in Wien das noch junge Augustin-Projekt repräsentierten. Werner Steinermann war vielleicht der am wenigsten Schrille dieser losen Straßendichtergruppe; den ganzen Tisch zu unterhalten, überließ er lieber anderen (Strawinsky beherrschte diese Kunst genial). Werner fiel aber dadurch auf, dass ihm Welt der deutschen Klassik und der antiken Philosophie nicht so fremd war wie den anderen – die ihre diesbezüglichen Wissenslücken freilich nicht als besondere Benachteiligung empfanden. Der in einem Kinderheim aufgewachsene Werner Steinermann hatte, wie alle anderen in seiner Lage, schlechte Bildungsvoraussetzungen; warum er dennoch in die Texte von Goethe und Platon hineinkippte, war ihm selbst das größte Rätsel.

WERTE RÄUDIGE URSPRUNGS-URHUNDE, WO SEID IHR II

Über Gernot Holzinger. Gernot wurde 1964 geboren. «Über die Qualität der familiären Verhältnisse möchte ich mich nicht äußern, ich bitte um Verständnis.» Beim Augustin gibt wohl kaum einen, der eine längere Liste von verschiedenartigsten Jobs vorweisen kann. Die Liste wird so um die 30 Arbeitgeber enthalten. Warum sie so lang geraten ist, hängt mit seiner frühen biografischen Wende zusammen: vom Gesellschaftstrinker zum Spiegeltrinker. «Ich hab keinen Chef ausgehalten, und kein Chef hat mich ausgehalten, und auch wenn ich nichts getrunken hätte, so wäre ich doch aus vielen Arbeitsbeziehungen geflüchtet. Ich besitze nämlich die Eigenschaft, mich nicht unterordnen zu können«, erklärt er in einem Intermezzo, das sich durch seine Nüchternheit auszeichnet. «Am längsten», betont Herr Holzinger, «habe ich es in meinem intellektuellsten Beruf ausgehalten: In der Universitätsbibliothek.» Über Friedrich Olejak. Für ein Medium wie den Augustin, das der Gefängnisstrafe sowohl die Fähigkeit zur Verbrechensprävention als auch die zur «Resozialisierung» abspricht, ist naturgemäß die lebenslange Haft doppelt sinnlos. Studien belegen ganz klar, dass «Lebenslänglich» keine effiziente Abschreckung für Täter bedeutet. Friedrich Olejak, nach 28 Gefängnisjahren nun in Freiheit, will draußen verstärkt fortsetzen, was er schon im Häfn begann: die Idee zu bekämpfen, hinter Gittern seien die Menschenrechte nicht gültig. Hier sein Beitrag über die lebenslängliche Haft. Der Langzeithäftling erzählt: «Mit 10 Jahren bekam ich etliche Legobaukästen geschenkt und eine Platte mit eingezeichneten Straßen und Grundstücken. Ich baute neun Häuser drauf und eines davon war wie selbstverständlich ein Gefängnis, wo ich die Männchen vom Mensch-ärgere-Dich-nicht einsperrte. Gelbe, schwarze, rote und blaue Männchen, die später irgendwo am Dachboden vergessen wurden. Ich erzähle das, um zu zeigen, dass man in unserer Gesellschaft schon aufwächst mit der Vorstellung, das Einsperren und Strafen gehöre zum Leben. Darum regt sich die Mehrheit in unserem Lande über das lebenslange Wegsperren von Delinquent_innen nicht auf.» Über Annemarie Stöger. «Auf meiner Facebook-Seite fand ich heute einen Spruch: Ich wünschte, dass der Himmel ein Telefon hätte, so könnte ich deine Stimme immer hören», erzählt uns Maria Kratky, Augustinverkäufern. Tränen gleiten die Wangen hinab. Die Stimme, die sie vermisst – und immer vermissen wird, weil dort oben Telefonmangel herrscht – ist die Stimme Annemarie Stögers. Noch hat Maria , die Ur-Wienerin im Augustin-Milieu, Annemaries Wörter im Ohr. Zum Teil sind es Wörter, die es auch in Wien gibt, aber aus dem Munde Annemaries klangen sie wie dreitausend Meter oberhalb der Latschengrenze ausgesprochen. Maria muss ihren Mund verzerren, um einen tirolerischen Sound zu imitieren: SPCKCKCKNÖDL. Was für die Wiener_innen cool ist, war für die aus Wörgl in Tirol stammende Augustin-Legende «bärig», sagt Maria, ihre letzte Unterkunftsgeberin. Dicke Freundinnen geworden (vor allem der gemeinsame Job als Augustinkolporteurinnen schweißte sie zusammen), wurden sie langsam mit den sprachlichen Eigenarten der jeweils Anderen vertraut. Annemarie wusste, was es bedeutete, wenn Maria nach dem Aufstehen ankündigte: «I geh mi renoviern». Maria wusste, dass es dasselbe bedeutete, wenn Annemarie bekanntgab: «I geh mi owiwaschln.» Über Engelbert Zöchling. Für die Stressgeplagten unter den Augustin-LeserInnen hat Engelbert, der aus dem niederösterreichischem Gölsental stammt, einen Therapievorschlag parat: Gehen mit dem Esel. Im Tempo des Esels. Eine Idee, die er gern auch innovativen TourismusentwicklerInnen serviert: Engelbert tritt für ein Netz von Eselkutschenstrecken durch Europa ein – mit 14 Kilometer langen Tagesetappen. Es gehe darum, die Idee der Langsamkeit nicht nur zu loben, sondern auch zu leben. Nichts sei diesem Ziel dienlicher als der Esel. In Österreich, dem Land der 1000 Esel, gilt eine solche Vorstellung als schrullig, im besten Fall. In Frankreich reichen die Schätzungen der Eselspopulation von 15.000 bis 35.000, und naturgemäß gibt es dort hör- und sichtbarere Initiativen zur Renaissance der Eselei. Darum ist Engelbert gern in Frankreich unterwegs. Aber selbst dort ist er eine Touristenattraktion, wenn er mit dem Esel in eine Gemeinde kommt. Das hilft ihm, seine Touren zu finanzieren: TouristInnen geben gern etwas Kleingeld her, wenn Engelbert ihre Kinder ein wenig reiten lässt. Als Augustinverkäufer ist Engelbert nicht mehr aktiv. Weil die Zeitung nicht so sei, wie sie sein könnte, meint er: «Der Augustin müsste das Blatt sein, das einen ständig aus den Socken hebt. Ist es aber nicht. Mehr linker Populismus», empfiehlt Der mit dem Esel tanzt.

WERTE RÄUDIGE URSPRUNGS-URHUNDE, WO SEID IHR III

Über Walter Pichler. Der Augustin hatte einmal einen Verkäufer, dessen Prosatexte, die er ziemlich regelmäßig für den Literaturteil seiner Zeitung schrieb, sensibel mitten in die Seele der bäuerlichen, ländlichen Welt führten. Seine avancierte «Heimatkunde» wurde von vielen LeserInnen geschätzt. Ein Problem, das er mit vielen KolporteurskollegInnen teilte, war seine Liebe zur Flasche. Die Sucht kam teuer, und eines Tages, als er Schulden zurückzahlen musste, lieferte er bei der Redaktion einen ziemlich langen Text ab, damit das Zeilenhonor entsprechend üppig ausfiele. Der zuständige Redakteur begann den Text zu lesen – und lachte laut auf. Es handelte sich um ein geringfügig modifiziertes Kapitel aus einem Buch der Weltliteratur, aus Süskinds Roman «Das Parfum». «Ich schätze deinen kreativen Versuch, mich zu übertölpeln», sagte der Redakteur zum Augustin-Verkäufer. «Aber du hast Pech gehabt. Ich habe eben Süskinds Roman gelesen! Deine eigenen Texte», fügte er hinzu, »sind so genial, dass du das Plagieren gar nicht nötig hast.» Der Verkäufer-Literat bestritt zunächst, dem Augustin einen Text von einem Anderen unterschoben zu haben, fühlte sich aber doch so gekränkt, dass er nie wieder einen Text – sei es seinen eigenen, sei es einen geraubten – anbot. Über Emmanuel Obinali Chukwujekwu. Oder: Wie in Wien «Drogenbosse» entlarvt werden. «Drogenboss» Emmanuel und sein Anwalt Lennart Binder müssen tagelang vor Stummfilmen sitzen. Das Video ist ein Produkt des «großen Lauschangriffs», doch es gibt nichts zu lauschen. Aus den 120 Stunden Videoaufnahmen aus dem Restaurant «Willkommen», angeblich voller Beweise für die Existenz einer kriminellen Organisation, werden 12 Stunden vorgeführt, auf denen Emmanuel zu sehen ist. Man sieht Emmanuel essen, trinken, reden, man hört allerdings nichts. Die Videoaufnahmen aus der Überwachungskamera sind von der Polizei nie aus der Hand gegeben worden – auch dem Anwalt nicht, der einen Rechtsanspruch darauf hätte. Es gäbe keine technische Möglichkeit, Kopien anzufertigen, bekam Binder zu hören. «Ich halte das für eine Ausrede. In Wirklichkeit weiß die Polizei, dass sie sich mit den Videoaufnahmen der Lächerlichkeit preisgeben würde. Man sieht z.B., wie Emmanuel eine Zigarette schnorrt und, weil er hungrig ist, die Essensreste von den Tellern, die am Tisch stehen, wegputzt. Will uns die Polizei einreden, das seien Verhaltensweisen eines ‚großen Drogenbosses’? Ein ‚Boss’, der stundenlang im Restaurant sitzt und sich nichts bestellen kann? Solche ‚Beweismittel’ sind reihenweise vom Innenminister als die große Errungenschaft des Lauschangriffs verkauft worden. Als endgültigen Durchbruch zur Fähigkeit, neben den kleinen Dealern nun auch die großen Bosse zu fangen.» Über Martin Petrik. Zwar sind die Punks (plus Punkoide) auch im Augustin-Volk eine Minderheit, aber eine respektierte – auch wenn diese Achtung eher dem Umstand gilt, dass sie an die grollenden Provokateure aus der Punk-Urzeit erinnern und jugendlichen Leichtsinn in die Vertriebsmaschinerie bringen. Martin verkauft Augustin. Wenn er zwischendurch mit anderen Hilfsjobs dazu verdienen kann, verzichtet er auf den Straßenzeitungsverkauf, weil er dann, wie er sagt, den Platz jenen Augustin-KollegInnen überlassen kann, die die Einnahmen dringender brauchen als er. Sein Outfit ist übrigens wenig punkig. Wer ihm das übel nimmt, kann sich nicht der Belehrung entziehen, dass Punk nicht gleich Punk ist. Dass er keinen Irokesen am Kopf trage, sage wenig aus. Er identifiziere sich auch ohne dieses Signal mehr mit der Musik, der Lebensweise und der Anarchie dieser Szene als die falschen Punkerinnen und Punker in der Punk-Maske, die in großer Menge die Discos bevölkern und nicht einmal wissen, was das Zeichen des großen A im Kreis bedeute. «Es gibt sogar Punker, die die Fahne der Arbeit hoch halten», sagt Martin. «Sie sehen sich gern als Working Class Heroes». Martin identifiziert sich nicht mit dieser Sorte, obwohl er die antifaschistische Einstellung der Arbeiterhelden sehr mag. Das müsse man heutzutage schon schätzen, in der Phase der Entfremdung der Post-Punk-Punks von der radikalen first generation. Über Hans und Maria Kratky. Wie und wo und warum es funkte zwischen den beiden Augustin-Urgesteinen. Vor 31 Jahren betrat Kratky ein Lokal in Floridsdorf und bestellte sich ein Achterl, wie üblich. Eine Frau stand an der Bar. Kratky fragte sie, ob sie was trinken wolle. «Sicher, aber ich habe auch einen Hunger», sagte sie. Das waren die ersten Worte, die zwischen Maria und ihm fielen. «Ich hab sie gesehen und hab mir gesagt: Die nimmst du jetzt, und aus. Im nachhinein wunderte ich mich, dass in diesem Beisel also auch anständige Mädels verkehrten.» «Ich habe ihn um eine Wurstsemmel gebeten», bestätigt Maria. «Hans schlug mir gleich vor, zu meiner Mutter zu gehen, um sie um meine Hand zu bitten. Ich antwortete, ob ich dich heirate, entscheide ich und nicht meine Mutter.» Nach einem Umweg über den Prater gingen sie tatsächlich gleich zur Mutter.

VIERZEHN KILOMETER PRO ESELSTAG

Es gibt nichts Lehrreicheres als Reisen. Vor allem, wenn man der Tradition der Bürgerlichen des 19. Jahrhunderts folgt, die die Kunst des Reisens als Erkenntnismethode entwickelten, die Schweizer und österreichische Berge erforschten, inklusive deren mythischen Höhlen, die den Reiz der oberitalienische Städte inventarisierten und die von jeder Reise eine Erweiterung des Horizonts ihrer humanistischen Bildung erwarteten (die Rede ist von bürgerlichen Männern). Kurt Tucholsky dazu: Man sollte jedem Deutschen «fünfhundert Mark geben, damit er ins Ausland fahren kann; er würde sich manche Plakatanschauung abgewöhnen, wenn er vorurteilslos genug ist, die Augen aufzumachen.» Alexander von Humboldt über jene Zeitgenossen, die dem Reisen zu Lehrzwecken nichts abgewinnen können: «Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.» Gegen dieses Lob des Reisens könnte man einwenden, dass mit der Globalisierung und Digitalisierung, mit der raschen Vermittlung jedes neuen Wissens über Internet sich der Zusammenhang zwischen Reisen und sich Bilden auflöst. Es gibt nichts Destruktiveres als Reisen (ausgenommen: der Krieg und die Produktion unter dem Diktat von Wirtschaftswachstum und Höchstprofit). Konstruktives Reisen, etwa mit einem Esel den Jakobsweg entlang wandern und sich dabei völlig dem Tempo des Tieres unterordnen (was bedeutet: nicht mehr als 14 Kilometer pro Tag vorankommen) ist ein Minderheitenprogramm. Die Masse der Reisenden benützt Fortbewegungsmittel, die eigentlich, als Zeichen der fortbestehenden «imperialen Lebensweise» der Menschen, eine Abfuhr wie die Atomkraftwerke verdienten: das Auto, das Flugzeug und das Kreuzfahrtschiff. Alle drei provozieren die zornigsten der kommenden Aufstände gegen den Tourismus. Um 3 Beispiele zu nennen: Gegen die geplante Autoroute von Stettin bis Hamburg, die die Ostseebäder in Usedom entwertet; gegen die zusätzlichen Pisten, die in einigen Flughäfen (inklusive Wien) geplant sind; gegen die Kreuzfahrtindustrie, die auf Mallorca, in Venedig und in Barcelona schon heute eine Stimmung fördert, die die Willkommenskultur gegenüber Fremden zu kippen beiträgt. Keine Lüge ist größer als die der Reisefreiheit. Jean-Jacques Rousseau dachte nur an sich, als er seine Reiselust so beschrieb, dass es für einen französischen Bauern nur zynisch klingen konnte: «Ich habe nicht nötig, mir gebahnte Wege zu wählen; ich gehe überall durch, wo ein Mensch durchgehen kann; ich sehe alles was ein Mensch sehen kann; und da ich von niemand als von mir selbst abhänge, genieße ich aller Freiheit, deren ein Mensch genießen kann.» Wahrscheinlich war er auch so frei, überall hinzuschwimmen, wo es Wasser zum Schwimmen gibt. Paradox: jetzt, wo es die Freiheit, «überall durchzugehen» nicht mehr gibt und wo Regierungen stürzen, wenn sie sich nicht auf Obergrenzen der Durchgangswilligen einigen können, müssen Millionen ungebahnte Wege wählen - das sind die Flüchtlingsrouten von Süd nach Nord und die Routen der Auswanderer von Ost nach West. In der Diskussion um die Begrenzung der Flüchtlingszahlen scheint vergessen worden zu sein, dass zwischen 1989 und 2017 Lettland 27 Prozent seiner Bevölkerung verlor, Litauen 23 Prozent und Bulgarien 21 Prozent; und dass es ostdeutsche Städte gibt, aus denen alle abwanderten, auf die es ankommt, wenn es um das Wiedererblühen der Städte ginge. Es gibt nichts Vergnüglicheres als das Reisen. Unser Monat zum Thema Reisen bringt trotz aller Vorbehalte mehr Propaganda für das Reisen als ein Spezialbüro für All-Inclusive-Angebote. Leidenschaftliche Fans der harmlosen Ortsveränderungen, verstorbene wie lebende, werden mit ihrer Passion des richtigen Reisens unter manchem Besucher, mancher Besucherin den Wunsch auslösen, eine andere Luft zu atmen – auf eine Weise allerdings, die diese Luft inhalierbar bewahrt. Bei aller Tourismusskepsis (siehe oben): der Aktionsradius wird nicht so töricht sein, die Mitglieder einer von ihm geliebten Zielgruppe in alle Winde zu zerstreuen – jene ZeitgenossInnen, die das Angebot der «Stadtflucht», des ambitionierten Ausflugs-Services des Kulturvereins, genossen haben oder genießen werden. Denn, wie sagte Victor Segalen (1878 - 1919): «Ruhe aus vom Lärm in der Stille, und von der Stille kehre zurück in den Lärm». Und wie sagte Grillparzer? «Eine Reise ist ein vortreffliches Heilmittel für verworrene Zustände.» Die allgemeine Reisefreiheit, siehe oben, ist ein Kriterium konkurrierender Glücks-Politiken. Doch noch finden wir nirgendwo sonst massivere Herrschaftsprivilegien als auf dem politischen Feld des Reisens. Zuversichtlich könnte uns die Niederlage des Königs Ernst August von Hannover stimmen. Als dieser anno dazumals seine Ablehnung zum Bau der Eisenbahn begründen musste, sagte er: «Ich will nicht, dass jeder Schneider und Schuster so rasch reisen kann wie ich!» Der Arme ahnte nicht, dass die Bahn viel schneller war als seine Kutschen.

HOD DA EBBA EBBA EBBAS DO?

Lang lesen möchte ich diesen Einfach-Sprech, diese Flach-Lyrik nicht! Aber schreiben würde ich gerne so können. Schreiben wie jemand, der über einen Wortschatz von 1000 Wörtern verfügt und damit dennoch Geschichten erzählen kann, die zu einer Pointe gelangen. Nicht, dass ich gerne zu einer Pointe hin schriebe; aber mit meinem ca. 70.000 Stück Wortschatz fühle ich mich oft ausdrucksunfähig. Ein Schreiber, eine Schreiberin, der/die sprachlich der Bedeutungslosigkeit unserer Alltagshandlungen gerecht wird, kann sich in der Wortwahl auf jene Begriffe beschränken, die am weitesten verbreitet und am Verständlichsten sind; das heißt, er kann auf die jeweiligen Synonyme verzichten. Die Liste der Synonyme enthält aber wahre Perlen; auf sie verzichten bedeutet einen Verzicht auf literarische Ästhetik. Jedes Synonym verhält sich wie ein Waldbaum, der seinen Konkurrenten im Wipfel-Kampf um die Sonne das Licht zum Wachstum stehlen würde. Jede aus pädagogischen Gründen evolutionsfremd simplifizierte Sprache will ihre kompletten Ausdrucksfähigkeiten ausschöpfen. Das Vereinfachen ist eine Wissenschaft und eine Kunst zugleich, und Wolfi Bauer hat beide wie kein anderer beherrscht: Er ging / die Straße entlang / bis zur Haustür / und verschwand im Haus. / Im Haus / machte er Licht / und lief die Treppe empor. / Bei Nr. 10 hielt er / und klingelte mehrmals. / Seine Frau öffnete die Wohnungstür / und ließ / ihn / eintreten. / Das Nachtmahl stand auf dem Tisch / und zwar gab es / Eierspeis mit Salat. / Um elf löschte er das Licht / und begab sich mit ihr / ins Bett. / Im Bett puderten sie noch eine / Zeit lang, dann / entschliefen sie / und erwachten zugleich / um 7 Uhr / als der Wecker schellte. Jörg Drews hat das in einer Ausstellungs-Eröffnungsrede so kommentiert: «So flach und pointenlos darf doch kein Gedicht sein, das ist doch zum Lachen! In der Tat, aber man lacht genau deshalb, weil mit jeder Zeile, das heißt zeitlich: mit jedem Bruchteil einer Sekunde nichts Bemerkenswertes kommt und sich zugleich die Erkenntnis steigert, dass größte Teile des Lebens genau so sind, dass dies also ein ’realistisches Gedicht’ ist und damit ein verblüffendes Stück Alltagspoesie. ’Bedeutung’ wird unterlaufen und dafür keine explizite Rechtfertigung geliefert.» Darf ich den geneigtesten LeserInnen dieser Zeilen etwas vorschlagen? Versuchen Sie bitte, das Kapitel, das sie eben lesen, in die einfache Sprache zu übersetzen. Mit einer Ausnahme: das zitierte Gedicht von Wolfgang Bauer. Hier machen Sie das Umgekehrte, verwandeln Sie die Alltagspoesie in einen Garten der Metaphern und der Bedeutungen. Auch da Bayrische ist anscheinend eine einfache Sprache – zumindest drängt sich dieses Urteil auf, wenn man den Titel dieses Kapitels liest. Wie es zu dem kuriosen HOD DA EBBA EBBA EBBAS DO» (HAT DIR ETWA JEMAND ETWAS ANGETAN) kommt, ist freilich gar nicht so leicht zu erklären. Der Freisinger Mundartforscher Ludwig Zehetner versucht es in der Zeitung MUH, dem kritischen bayrischen Heimatblatt. Beim mundartlichen ebb- handelt es sich um Assimilation von etw-. Die Verschlusslautqualität geht auf das t zurück, die labiale Artikulation auf das w: etwa wird zu ebba, etwas zu ebbas oder ebbs und etwer (die Hochsprache kennt das Wort nicht) zu ebba. Erklärt Herr Zehetner, der das Wörterbuch «Bairisches Deutsch» verfasst hat. Einfach ist anders. Ich muss meinen Freund Stöckl, der den Schärdinger Dialekt dokumentiert, fragen, ob diese Ebba-Akkumulation im Titelsatz auch auf der österreichischen Seite des Inn verstanden wird. Weiters, ob auch FERING oder FERD im Innviertel noch gebräuchlich ist oder verstanden wird. Das sind Begriffe für «Letztes Jahr» oder «im letzten Jahr», die im Bairischen neben dem geläufigen HEIA oder HEUER für «in diesem Jahr» existieren. Ein Volksliedtext: San ferdn unser neine gwest / und heier san uns drei / De andern san beim Schimmestäin / Maria steh ea bei. Hab ich das MUH schon empfohlen? In der Sommerausgabe von 2018 ist einiges über die Geschichte der Passionsspiele Oberammergau zu lesen. Jahrhunderte lang traten ihre Juden-Figuren als blutrünstige Christus-Mörder auf. Sowas gefiel den Nazis. Hitler stufte die Passionsspiele 1936 als «reichswichtig» ein. Die Oberammergauer machten auch Jahre nach dem Ende des Faschismus keine Anstalten, das Stück zu entnazifizieren. Amerikanische Intellektuelle riefen zum Boykott der antisemitischen Passionsspiele auf. Ende der 60er Jahre forderte sogar die Katholische Kirche die Oberammergauer auf, das Spiel gründlich zu erneuern – denn die Juden seien nicht für Jesu Tod verantwortlich, wie das Zweite Vatikanische Konzil feststellte. Die Gemeinde blieb stur und änderte nichts, sodass der Vatikan 1970 die Zustimmung zu den Spielen verweigerte. Die Gemeinde spaltete sich in Gegner und Befürworter einer Entnazifizierung des Spektakels. Der neue Spieleiter Christian Stückl schaffte die Revolution. Jetzt legte er ein Schäuferl nach: Zu seinem Stellvertreter ernannte er einen Oberammergauer Moslem.

IN ISLAND IST DER IRLÄNDER INLÄNDER

als der lord die landschaft geschaffen hat, hat er über nacht auch drei eiländer gemacht: island, irland und amerika, letzteres liegt vor der küste von grönland, auf deutsch grönland. in irland ist der isländer ausländer und der irländer inländer. in island ist der irländer ausländer und der isländer inländer. was irlandesüblich ist, muss nicht islandesüblich sein. islandfriedensbruch ist verfassungsrecht, irlandfriedensbruch nennt man das verfassungswidrige verhalten eines nordirländers. niemand aber wird als nord-irrer, der irre morde plant, geboren. selbst ein irländer kann einem ländlich weidenden islandpony nichts zuleide tun. an der donau ist kein is-ir land in sicht. am ende des innlandes fließt der inn in die donau und bringt sinn nach wien. HIER zu landen ist hierzulande ganztägig verboten. in unserem inland befinden sich vor SITZENDE und vor STEHER auf gleicher ausgenhöhe. in irland spricht der vorstand verständlich. ihr land heisst heiland? nein homeland. irlandurlaub ist billiger als islandurlaub, aber am billigsten ist landurlaub im inland und am allergünstigsten im engeren umland. dafür sorgt auch die umlandesleitung. der isländer isst inländische igel, der irländer isst ausländische feigen, doch irrt er sich hier. isländer gelten den irländern als landfremd. ist ihnen auch ihr land fremd geworden? nur sitzend und stehend, nicht fließend, auch nicht ständig. eine inständige bitte: der vorstand möge den einstand zahlen, sonst kriegt er den zustand, irlandschaftlich gestanden. der aufstand der unanständigen irren erreicht das homeland. allerhand! die irren singen die amerikanische hymne von mailand auf amerikanisch: this land is my land. übersetzt: land der tische, land der mäuse (oder auch: des maises). diese ausländer sind meine inländer. ausgehandelt wird nur hierzulande. im herzeigeland ir oder is, beide sind heuer «in», voller vorlandbienen und inländerrum, wie herzig. es ist ein harziges land. ein land voller gelände, wie nahezu alle länder. ein vaterland für binnenväter und bienenvölker. heute gibt es landzungen aus der südhalbkugel. man muss den norden provozieren, zum beispiel dem islandpony den kopf umdrehen. heute gibt es einen landstrich aus deutschland, auf`s brot. schmeckt wie ockerbraunes ackerland, wie die erde unter der herde voller landratten, genannt ratzen. wäre es sinnvoll, die landzunge in die landenge zu stopfen, inlandzunge in auslandenge oder umgekehrt? wäre es machbar, der region die religion zu entziehen und gott ins landesgericht zu stecken? einen gott kann man nicht stecken. in welchem land auch immer. in welchem gelände auch immer. gott wird immer der schnellere sein, in seinem ausländischen geländewagen. mutige maren. sie hat auch den mut mir ein gedicht zu widmen, das mich verklärt: und wieder und wieder / es mag mir nicht gelingen / wieder und wieder / den gleichklang suchen / er ist nicht da / es klingt quer und dissonant will nicht zur melodie werden auch nicht zu etwas neuem / jenseits der musik /es hängt und klemmt / ich fühle mich in etwas gesteckt, das ich so nicht spüre / in dem ich mich nicht wohl fühle / unbehaust / abwegig / geschüttelt, gedrängt, gepresst / ja, du bringst alles ins wanken / bei dir ist keine sicherheit, / nichts kann ich bauen…/ kein stein auf dem anderen / du spielst und fragst und stellst auf den kopf / reisst mauern, zäune, häuser nieder / wahrlich zu weit getrieben / durchtrieben, zerrieben was mir grad noch integer erschien / du aufrührer, durchrührer...du lachender über alles / ich: / erschüttert durch nichts / ruine nach dem kleinsten regen / und das ist gut.../ ich weine und stelle neue fragen / an mich, an die welt / an mich – in der welt. wenn die eltern weg sind, fischen die gschrappen brehms tierleben aus dem obersten schwer erreichbaren regal und haben schon einen eselsohr-navigator eingerichtet, damit sie zügig zur lieblingsstelle gelangen, immer in angst, ertappt zu werden. ohne schläge war das ertappt werden unvorstellbar. wenn die eltern also weg waren, stürzten wir uns auf das pavian-kapitel. um paviane zu beschreiben, musst du ihre hundsköpfe beschreiben, ihre schafartigen golihalt, die wilden zornigen und unverschämten faktoren der schöpfung, schlau ihr blick, boshaft ihre söhne, boshaft ihr sohnemann, am hässlichsten ist der pavian in seiner brunft, wo er verpuppt wie ein brunf-tiger, unverschämt ihre hundeschnauze betteln schickt, nicht nur auf die weiber ihrer art. ich halte die politik als das gegenteil von kunst. ich dräng mich vor wie ich mich aus dem saufen renntete. aus dem saufen rennen, aus dem rennen eine warterei – ist wie aus dem rennen saufen, wie aus dem reinen saufen vor lauter erscheinung: nur saufen vor lauter saufen bloß erscheinen, einen links sehen, wer ist die schnellstütze in der spur des fleisches aller unausprechlichen unter den legionen. zwischenweile nasdarownje trinken, schiefen hauptes. schluck auf schluck ohne unterlage...

ANARCHISTiNNEN STÜRMEN DIE BUFFETS DER MARXISTiNNEN

nieder mit den klammern. zum frauentag. / wie wohl fühl ich mich / zwischen zwa bindestrich / ich will ja nicht jammern / aber zwischen zwei klammern / wann er sich net wehrt / is der mensch nixi wert / klammer auf und klammer zua / wos is des fia literatua? / klammern ghörn ersatzlos gstrichen / alle macht den bindestrichen. / samma se ehrlich: / die klammer is entbehrlich. was hat klammer hint und vorn / bei dem letztem satz verlorn? / der kellner fragt: sie kriegn was? molim mineralny ohne gas! / der bäcker fragt: was solls denn sein? / molim weissbrott aber klein. / die oma sagt, zur vorbereitung: nix wossa rinnen aus die leitung. / hvala lepa, wunderboa: / an gaunzn tog lang kan schluck chlor! (so gut deutsch kann d´oma net, dass sie rikis schmäh versteht). liebe leute, merkt ihr was? / auch diese klammer ist ein schas. besser wär ein bindestrich? eben dies bezweifle ich. wer hat verbreitet, ich sei anarchismusexperte. jedenfalls werde ich laufend um definitionen gebeten, die ich zu sammeln begonnen habe. anarchistInnen: achselzucken und widerwillen gegen patriotismus ruhm neid und krieg. anarchistInnen: mittagsschläfchen zwischen guter arbeit und guter arbeit. anarchistInnen: ekel vor weintrauben aus anderen kontinenten oder milchstraßen. anarchistInnen: wild & künstlerisch wie alle kinder vor ihrer großen zurichtung. anarchistInnen: ihre antworten sind nur halb so laut wie ihre fragen. / anarchistInnen: ihre fragen sind doppelt so laut wie ihre antworten. anarchistInnen: in buffetnähe wenn marxistInnen geburtstag feiern. Ein Möchtegern-Sprachwissenschaftler will aktuell sein und entdeckt, was vielleicht schon die Azteken wussten: das Verhältnis von Geheimnis und Rätsel. Das Rätsel ist ein Blatt Papier mit einer unbekannten Schrift oder ein grüner Himmel hinter roten Wolken. Manchmal kostet es Anstrengung, es aufzulösen. Das Geheimnis ist was anderes. Es ist vierdimensional, wie ein dunkler Raum mit undefinierten Lauten und Gerüchen. Rätsel kann man fotografieren, Geheimnisse nicht. Ein Geheimnis ist tief und schwer wie 1000 Rätsel. Man kann es nicht an die Wand nageln, nur darin gleicht es einem Pudding. Es gibt kein Museum der Geheimnisse. Das wäre das Paradies. Es gibt eine Ausstellung der zwölf Rätsel des Tages. Das erste Rätsel ist das Rätsel des masochistischen Verlangens nach der schlechtesten Musik (letztes Jahr fand man sie bei Radio Arabella); das zweite ist das Rätsel der Quantität der Erbarmnisse (Gott muss einige davon besitzen, vielleicht weiß er das gar nicht); das dritte ist das Rätsel des Raketen-Schwarzhandels, der sich in unseren Dörfern breit macht (man braucht natürlich ein Kombi-Auto und ein ehemaliges Kinderzimmer, um einen Satz Raketen nach Hause zu schleppen); das vierte ist das Rätsel der Bundesbahnkabbala (plus das Rätsel des Verschwindens der Zephiroth, der zehn geistigen Kräfte des ÖBB-Managements); das fünfte ist das Rätsel der zu Körperverwandlungen führenden Körperbehandlungen (man achte auf die Körperhaltung im Vorlauf sowie im Verlauf der Handlungen); das sechste ist das Rätsel der Urlaubung, deren großzügige Erlaubnis uns überrascht (in Wien ist das Ur-Laub löblicherweise längst verrottet); das siebente ist das Rätsel der fliegenden Fahrräder in unspektakulärer Voralpenlandschaft (außerhalb von Gasteil kommt diese Räder-Art nicht vor); das achte ist das Rätsel des umgedrehten Alphabets (das übrigens nicht einmal ums Arschlecken subversiver ist als das korrekt gereihte ABC); das neunte ist das Rätsel der wunderbaren Gänsevermehrung (allerdings, je mehr sie sich vermehren, desto mehr von ihresgleichen muss man den Hals umdrehen); das zehnte ist das Rätsel des Eremitenwals (der in einer beunruhigenden Buchstabensuppe schwimmt); das elfte ist das Rätsel des Wiener Beschussamts (plausibler wäre ein Beschissamt, das würde jedem einleuchten); das letzte schließlich ist das Rätsel der einsamen Einzelsocken (auch wenn sie bald trocken sind: ihre Einsamkeit bleibt.) Für alle diese Rätsel liegen Illustrationen vor. Der Perinetkeller bietet Workshops an, in denen Pferdeexperten und -expertinnen erklären, was getan werden könnte, um die Bullenrösser raffiniert aus den Einsatzorten zu vertreiben oder handlungsunfähig zu machen. Eine Methode, das sei verraten, ist die Technologie der Polizeipferdvergrämung mittels tragbarer WILD-EX-S-PULS-Geräten. Aggressive, gepulste, auf- und abschwellende Ultraschallwellen hämmern – ähnlich wie ein Presslufthammer oder ein Düsenflugzeug – auf die Trommelfelle der Pferde ein, und zwar nicht hörbar für Menschenohren. Ein mit Demo-Versionen des Ultrawellen-Tiervertreibers ausgestatteter schwarzer Block wird kaum Probleme mit zum Bürgerkrieg trainierten Polizeipferden haben.

TROPENGRAUER HIMMEL / KNOCHIGE GESICHTER / ICH BIN EIN DICHTER

Schreiben von Veronica Kaup-Hasler, amtsführende Wiener Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, an Robert Sommer, 6. Juli 2018. Sehr geehrter Herr Sommer! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Ihnen aufgrund des Vorschlags einer unabhängigen Fachjury der Preis der Stadt Wien für Volksbildung für das Jahr 2018 zuerkannt wurde. Zu dieser höchsten Auszeichnung, die Wien in diesem Bereich zu vergeben hat und die eine verdiente Anerkennung Ihrer bisherigen Arbeit darstellt, möchte ich Ihnen sehr herzlich gratulieren und wünsche Ihnen für die Zukunft viel Erfolg. Die Kulturabteilung der Stadt Wien wird sich bezüglich der Preisverleihung mit Ihnen in Verbindung setzen. Der Preis bringt Cash aufs ausgelaugte Konto, man sollte die Anerkennung also anerkennen, Das ist man auch den beiden lieben Sommer-LobbyistInnen in der (unbekannten) Jury schuldig, Ursula Baatz und Robert Streibel. Möglich, dass ich der einzige bin, der von mir eine Rede zur Preisverleihung erwartet. Ist eine solche laut Spektakel-Regie nicht vorgesehen, hat die Regie Pech gehabt. Neben Nachrufen schreibe ich gerne Preisverleihungsreden – insbesondere wenn ich der Adressat der Preise bin – und absurde Lyrik, und ich nütze alle Gelegenheiten, meinen Horror vor leeren Word-Dokumenten tätlich aufzulösen. Und zwar täglich tätlich. Wenn ich den Brief aus dem Rathaus nicht bekommen hätte, wüsste ich jetzt noch nicht, wie die Kulturstadträtin heißt. Im nächsten Kapitel werde ich sie wieder vergessen haben. Wie lege ich meine Rede an? Ich könnte von der Tücke des Begriffs Volksbildung ausgehen, indem ich zunächst die Frage in den Raum stelle, was die Volksbildung mit der Generalamnestie und dem Fußballkrimi gemein habe. Alle drei Begriffe haben die unterschiedlichsten Bedeutungen. Generalamnestie kann bedeuten, dass alle gleichzeitig amnestiert werden (oder zumindest eine große Gruppe), könnte aber auch so verstanden werden, dass entweder die Vertreter einer Berufsgruppe, nämlich die Generäle, oder aber auch ein konkreter Einzelner, der zufällig General ist, die Amnestie genießen, die Generalamnestie eben. Ein Fußballkrimi ist entweder ein Krimi, der im Fußballermilieu spielt, oder es ist ein besonders spannendes, besonders aufregendes Fußballspiel. Was die Volksbildung betrifft, fallen mir drei Bedeutungen ein. Als Geehrter in Sachen Volksbildung könnte ich einen Beitrag geleistet haben, das «Volk» (im soziologischen, nicht im ethnischen Sinn) zu bilden; es könnte aber auch Subjekt und Objekt getauscht werden; in diesem Fall wäre ICH derjenige, der durch das Volk gebildet würde. Dieser Gedanke gefällt mir sehr gut; ich könnte ihn mit Dutzenden Anekdoten aus dem Augustin-Projekt illustrieren, aus denen hervor geht, dass ICH es bin, der durch das Volk gebildet wurde. Die dritte Bedeutung ist mir unsympathisch, aber ich nenne sie der Ordnung halber: Volksbildung ist die Entstehung, die Genese eines Volkes, so wie die Gletscherbildung die Entstehung eines Gletschers meint. In Jugoslawien haben sich Millionen für Jugoslawen gehalten, und dann hat von oben, von den nationalistischen Eliten her, und von unten, vom nationalistischen Mob her, ein Volksbildungsprozess eingesetzt. Das völkischte aller neuen Völker ist fast Weltmeister geworden; ich nehme an, für diese Art Volksbildung bekomme ich den Preis nicht. Diese Art von Volksbildungen zu verhindern muss zu den obersten Zielen der Volksbildung zählen. Ich möchte in einer Zeitungsredaktion als Verantwortlicher der Rubrik FREMDSCHÄMEN unfreiwilliges dichterisches Danebenhauen dokumentieren. Die früher schon erwähnte Friederike Kempner (Ihr wisst wohl wen ich meine / die Stadt liegt an der Seine) gibt dafür immer eine gute Kandidatin ab. Ihr Nordamerika-Gedicht geht so: Kennst Du das Land wo die Lianen blühn / Und himmelhoch / sich rankt des Urwalds Grün? / Wo Niagara aus den Felsen bricht / Und Sonnengluth den freien Scheitel sticht? / Kennst Du das Land wohin Märtyrer ziehn / und wo sie still / wie Alpenröslein glühn? / Kennst Du das Land, kennst Du es nicht? / Die zweite Heimat ist`s, so mancher spricht. Peinlich sind auch die Lieder, die Klaus Tschabitzer für seine Band Hirschfisch schreibt, mit dem Unterschied, dass sie bewusst peinlich sind: ich bin der ede vom hinterhof / seit fünfzehn jahren wohn ich dort / die nachbarskinder wollen mich nicht / liegt das nur an dem gesicht? / wenn ich auf der straße geh / und die andern kinder seh / laufen immer alle weg / schreien hat da keinen zweck / meine eltern sind gut zu mir / papa sagt hol mal ´n bier / für mutti darf ich einkaufen gehn / ewig an der kassa stehn / ich darf auch mal dallas sehn / jedenfalls bis kurz vor zehn / das kann wohl nicht alles sein / und das finde ich gemein / jetzt ist schluss ich gehe fort / muss an einen andren ort / ziehe nach australien / doch da komm ich eh nicht hin / vielleicht lateinamerika / in latein war ich nicht da / ich will endlich fort von hier / dann habt ihr keine sorgen mehr …

BEICHTFEHLERANFÄLLIG

Die Möwen sind groß-artig (es handelt sich um eine große Möwenart) und haben einen aus Unarten zusammengesetzten Charakter, wenn man von der kollektiven Eleganz der Kreise absieht, die sie über dem Hafen ziehen, wie eine Horde Habichte, eine Staffel von Bussarden. Die notorisch toten Augen der Möwen sind zu falsch um tot zu sein. Ihrem Antlitz fehlt die Liebenswürdigkeit des Pandabären, doch ihre Augen sehen, was der Bär nie sieht, ihr Geschrei ist falscher als ihr Blick. In der Bora sitzen die Möwen am Strand, fast in Reih und Glied, ihre Schnäbel zielen alle in dieselbe Richtung, in die Richtung der Quelle des Sturms; was der Sturm hinter ihnen anrichtet, kümmert sie nicht, doch sie erwarten die Hilfe des Volkes. So legten wir Weißbrot für sie auf die Terrasse; sie nahmen es mit einer angeborenen Geste des Dankes: sie hinterließen Möwenscheisse im Rahmen unserer Endreinigungskosten. Dann kam der Fallwindüberfall aus Ost-Nordost. Baschka kriegt ein paar Tonnen Jadrana-Steine, gratis auf den Kai geschleudert. Postwendend schaufelt die MA Achtundvierzig das Mineralienmuseum zurück an das s.m.-Meer, das sich im Winter wochenlang peitschen lässt von Bura, der Herrin. Geh auf den Berg Bag, wenn die Herrin auf Tempo 150 ist. Vom Meer kommend drückt dich die Bora an die Flanke. Hinunter zu fallen in die Gischt vor den Klippen geht nicht, denn die Bora peitscht dich gegen den Bag. Auf das Schreiten buchteinwärts kannst du verzichten, weil mit 150 kmh trägt dich besser die Böe. «Die Bora, Störenfried der Adria, erhebt sich ohne Warnung und löst Chaos aus unter den Seeleuten. Die Mutigsten bleiben freiwillig auf Deck, die feigsten unfreiwillig. Zwei Wochen ohne Pause mischt die Bora sämtliche Buchten zwischen Cattaro und Istria auf. Hundertmal hat sie sich eingebrannt in das Blut der Fischer. Und unter dem Atem dieses Tornados erhärtet das Volk Dalmatiens, bis es die armseligen Stürme im Rest der Meere verlacht. Nur von außen beobachtet erscheinen die Menschen im Boot als Schicksalsgemeinschaft. Das Denkmal für die verstorbene Besatzung wird die Lüge am Leben halten. Es ist gut so; was können die Nachkommenden dafür, dass ihre Väter Feiglinge waren. Selbst unter Tito gab es ein Beichten in allen Buchten. Die ungeübt Beichtenden waren naturgemäß BEICHTFEHLERANFÄLLIG. NUR IN DER BUCHT VON BASCHKA WAR BEI BORA NIE GEBEICHTET WORDEN. DIE NEUE BEICHTSCHULE, VOM CHORHERREN-STIFT KLOSTER-NEUBURG GESPONSERT, HAT SECHS OBLIGATORISCHE HAUPTUNTERRICHTS-FÄCHER: WIE & WAS BEICHTET MAN DEN ELTERN? WIE & WAS BEICHTET MAN DEN LEHRERN? WIE & WAS BEICHTET MAN DEM PFARRER? WIE & WAS BEICHTET MAN SICH SELBER? WELCHE TODSÜNDEN, DIE MAN IN DER VERGANGENHEIT WEGEN MANGEL AN PFARREN NICHT BEICHTEN KONNTE, SIND VERJÄHRT? MUSS MAN IN DER EIGENEN BUCHT BEICHTEN ODER KANN MAN SICH AUCH AN DIE PFARRER ANDERER BUCHTEN WENDEN? DIE WIEDERHOLTEN BEICHTSTUHLGÄNGE DES PFARRERS IN DIE KNABENTOILETTE OBLIEGEN DEM BEICHTGEHEIMNIS. BEICHTVATERSCHAFTSKLAGEN WÄREN DAS LETZTE, WAS UNSER BEICHTVATERLAND BRAUCHT. GOTT SEI DANK GIBT ES ENDLICH DAS BUCH BEICHTEN LEICHT GEMACHT. Unter allen relevanten Momenten der Geschichte fasziniert mich am meisten die Erfindung Amerikas und die Selbstauflösung der betroffenen Bevölkerungen gegenüber ihren Erfindern; das Bücherregalteil zu diesem Thema wächst und wächst und wächst und ich bin naturgemäß unfähig, das Journalistisch-Spekulative vom Wissenschaftlichen zu trennen; eines dieser Bücher heißt «Amerika vor Kolumbus»; es pferdelt in diesem Buch wie nahezu in jedem Buch zum Thema; das heißt, der Mythos vom zur Erstarrung verschreckten Indio, der das Pferd in einer Einheit mit dem Körper des iberischen Kämpfers wahrnimmt, weil es offensichtlich keine kollektive Erinnerung an das amerikanische Wildpferd mehr gab (dreimal darf geraten werden, wer dieses Pferd vor 30.000 Jahren ausrottete), dieser Pferde-Mythos spielt auch in dem Buch von Charles C. Mann eine Rolle. Nach der Lektüre kann ich mir vorstellen, wie sehr die Inka ihre Maisbierbäuche schüttelten vor Lachen, als sie sahen, wie patschert sich die Pferde Europas im Vergleich mit ihren Lamas anstellten, wenn sie die steilen Treppen, Teil des genialen Wegenetzes der Indigenen, erreichten. Die Inka-Soldaten brauchten an solchen Stellen nur hinter den Paradeiserstauden zu warten. Die Spanier verfluchten Treppen und sehnten sich nach abendländischen Serpentinen.

GASSI GEHEN MIT ALLRADANTRIEB I

Es gibt nur wenige Autoren, die unsere Faszination hervorrufen, weil sie verblüffende Selbstverständlichkeiten ausformulieren. Ivan Illich gehört dazu. Verblüffung: Die Schulen sind unbrauchbare Mittel, um unsere Kinder zu erziehen. Verblüffung: die Institution Spital sollte man abschaffen, um die Menschen gesünder zu machen. Das sind solche Illich´sche Umstülpungen, sagt XY. Was die Leute im Süden brauchen, ist nicht, was die hochentwickelte Welt heute zu verkaufen hat. Und auch die Leute im Norden müssen draufkommen, dass sie das nicht brauchen. Der typische US-Amerikaner zum Beispiel widmet seinem Auto vier Stunden pro Tag: er sitzt darin, wenn es fährt oder parkt, er arbeitet, um das Benzin, die Reifen, die Autobahnpickerl, die Versicherung, die Strafmandate und die Steuern zu bezahlen. Dabei sind noch nicht einmal alle seine am Verkehr orientieren Aktivitäten eingerechnet: Die Zeit, die er im Krankenhaus, vor Gericht oder in der Garage verbringt. Vier Stunden Siesta nach dem Mittagsessen, das wär´s! Wusstest du übrigens, dass das Wort Siesta schon im Besitz der Automafia ist, unterbrach YX. Du meinst wohl den Ford Fiesta, grinst ihr XY frontal ins Aug. Aha, unser Antimobilisierungsprediger kennt die Marken seiner Feinde, ätzt YX. Eine Gesellschaft, in der jeder wüsste, was genug ist, wäre vielleicht eine an Automarken, Werbeeinschaltungen, Fruchtjoghurtvarianten und Pistolensorten arme Gesellschaft, sie wäre ganz sicher eine an Überraschungen reiche und freie Gesellschaft, sagt XY. Auch eine autogerechte Stadt kann Überraschungen bieten, kontert YX und kramt ein amtliches Schreiben aus ihrem City Bag. Dieses liest sie theatralisch vor: «Magistratsabteilung achtundvierzig, Abschleppgruppe. Sehr geehrte Frau YX! Sie wurden als letzter Inhaber / Besitzer / Eigentümer des kennzeichenlosen Kraftfahrzeuges Moped KTM Hobby Fahrgestellnummer neun eins null neun null acht eins eins sechs ermittelt. Dieses Fahrzeug wurde am einunddreißigsten dritten zweitausend und acht gemäß Paragraph neunundachtzig a Absatz zwei der Wiener Straßenverkehrsordnung neunzehnhundertsechzig Bundesgesetzblatt Nummer hundertneunundfünfzig, in der geltenden Fassung, von Wien sechzehn, Kirchstetterngasse neunundfünfzig entfernt. Im gegenständlichen Fall hat die Behörde, den Erfordernissen des Paragraph neunundachtzig a Absatz fünf Straßenverkehrsordnung neunzehnhundertsechzig entsprechend, den Zulassungs-besitzer beziehungsweise Eigentümer durch Zustellung zu eigenen Händen aufzufordern, das Kraftfahrzeug innerhalb einer Frist von zwei Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung, zu übernehmen. Die Bestimmung des Paragraph fünfundzwanzig Zustellgesetz über die Zustellung an Personen, deren Wohnung unbekannt ist, gilt in diesem Falle sinngemäß, wenn die Person, an welche die Aufforderung zu richten wäre, nicht feststellbar ist. Die Bestimmung des Paragraph neunundachtzig a Absatz sechs Straßenverkehrsordnung neunzehnhundertsechzig sieht vor, dass das Eigentum am entfernten Gegenstand nach ergebnislosem Verstreichen der Übernahmefrist von Gesetzes wegen, das heißt ohne Dazwischentreten weiterer Verwaltungsakte, auf den Straßenerhalter übergeht: Eigentumsverlust. Das Fahrzeug kann von einer zur Übernahme legitimierten Person unter Vorlage eines geeigneten Nachweises über den rechtmäßigen Besitz (zum Beispiel Typenschein, Einzelgenehmigung, Kaufvertrag) und eines amtlichen Lichtbildausweises nach Vorsprache während der für den Parteienverkehr vorgesehenen Amtsstunden, das ist Montag bis Freitag von acht bis dreizehn Uhr in der Emma achtundvierzig Abschleppgruppe, elfzehn Wien, Jedletzbergerstraße eins, aus der Verwahrstelle abgeholt werden. Gemäß Paragraph neunundachtzig a Absatz sieben Straßenverkehrsordnung neunzehnhundertsechzig sind die Kosten bei der Übernahme des Fahrzeugs zu bezahlen. Diese betragen für die Entfernung Euro zweihundertvierundvierzig komma null und für die Aufbewahrung nach deren Dauer für jeden angefangenen Kalendertag Euro zwei komma nullnull. Wird das Fahrzeug innerhalb der festgesetzten Abholfrist nicht übernommen oder die Bezahlung der Kosten verweigert, so werden Ihnen die Kosten bescheidmäßig auferlegt. Dies wird Ihnen gemäß Paragraph fünfundvierzig Absatz drei Avaugee (allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz) zur Kenntnis gebracht. Sie haben nunmehr Gelegenheit, binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens bei dem gefertigten Amte mündlich (zu den Parteienverkehrszeiten) oder schriftlich dazu Stellung zu nehmen und sonstige rechtlich relevante Sachverhalte unter Beibringung geeigneter Beweismittel bekanntzugeben. Für weitere Auskünfte (zum Beispiel Abholung) steht ihnen der Referent in den Parteienverkehrszeiten zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen der Referent. Jeden Donnerstag ist die Abholung bis siebzehn Uhr möglich.»

GASSI GEHEN MIT ALLRADANTRIEB II

Wieso sollte die kommunale Abschleppabteilung sympathisch daherkommen? Wenn man so will, ist die Kfz-Abschleppung die einzige Machtinstitution, die ans Privateigentum rührt. Die einzige, die die Freiheit des Automobilisten ignoriert. Ihr Amtsdeutsch (siehe Seite 30) ist die Prise Zynismus, die über die Falschparker- und Temposündermafia gestreut wird. Und der größte Zynismus ist, dass die Döblinger Allrad-Community ausgerechnet nach Simmering fahren muss, zum Anhaltelager der abgeschleppten Autos, damit sie in Zukunft wieder mit ihren leider nur vorübergehend aus dem Verkehr gezogenen Allradies Gassi gehen können. Auf dem Beifahrersitz siehst du öfter Jagdhunde als Ehegattinnen, sodass in den Medien heftig diskutiert wird, ob man die Gurtenpflicht für Hunde einführen müsse. Ich habe versucht, das Schreiben der Magistratsabteilung ins Deutsche zu übersetzen, aber man würde es nicht ernst nehmen, denn kein Amt würde so mit den Kunden verfahren. Dennoch: wenn ich die Emma achtundvierzig wäre, würde ich der Fahrzeugbesitzerin folgendes nettes Mail schreiben: «Liebe Frau Wondralek, in der Kirchstettengasse neunundfünfzig stand einsam ein Moped, kennzeichenlos. Wir durften Sie als letzte registrierte Besitzerin ausforschen. Wir hatten keine Wahl: das Moped wartet, sorgsam abgeschleppt, am Ende der Welt, in der Jedletzberger Straße eins, auf die Abholung. Nach zwei Monaten wäre es zu spät. Die Kosten sind beachtlich, leider. Aber es muss geschehen, streng nach den betreffenden Gesetzen. Sie haben ja Einspruchsrecht. Die Telefonnummern jener Rechtsanwälte, die ihnen dabei behilflich sind, entnehmen Sie bitte dem Attachement. Wir, die Unbestechlichen, schleppten auch Kraftfahrzeuge des Wiener Bürgermeisters, des Eigentümers des Hotel Orient, des ORF-Generalintendanten und des Chefredakteurs der Tageszeitung Ballesterer ab, das sei nur so nebenbei erwähnt. Sorry wegen dem Moped. Ihre Abschleppgruppe.» Das wäre eine Geste, für die es sich lohnt, einen PKW direkt vor dem Stefansdomhaupteingang zu parken und ihn dort zu «vergessen». Der Gassigeher erinnert mich an die Figur aus dem Internet-Roman von Elfriede Jelinek «Neid». Da ist ein junger Mann, dem ein Griff in die Gangschaltung lieber ist als auf die Brüste der Frauen. Jelinek hasst Autos so leidenschaftlich wie den Faschismus, den Fremdenverkehr und den Vergewaltiger, darum sind ihre Autohasserinnenpassagen immer ein Vergnügen. Der junge Mann gewinnt jedes Mal den Eindruck: Das sind doch ganz sicher keine neuen Brustwarzen zwischen meinen Fingern, die sind ja gebraucht, iiieh, zumindest sind sie nicht mehr neu, wer die wohl aller schon in der Hand gehabt hat?, da nehme ich lieber die von meiner neuen Freundin, aber nein, eigentlich sind die von der netten, im Vakuum der Musik frischgehaltenen Dame doch auch kaum gebraucht, die schauen noch aus wie neu und halten fleißig nach Neuem Ausschau, so wie mein neues Auto hoffentlich auch sein wird, gebraucht, aber wie neu, wenig benutzt, wenn man Glück hat, aber das läßt sich mit den Menschen, die nur selten Glück haben, nicht vergleichen. Ich weiß nicht, wieso das Leben in diesem Punkt so zartfühlend zu dieser Frau gewesen ist und ihr vieles erspart hat, andres aber nicht, doch trotzdem ist es irgendwie ekelhaft, wenn das Schicksal die Zügel nie straff anzieht und die Menschen ordentlich an die Kandare nimmt, daß sie leben sollen und gesellig sein, sich anderen zugesellen, andren Gesellen zur Geselligkeit verhelfen; es ist sonderbar und wenig anregend, wenn man in diesem Alter noch nicht, noch niemals gebraucht wurde, von keinem, aber der junge Mann wird für all das wenigstens mit Anhänglichkeiten und später, hoffentlich nicht zu spät, mit einem Gebrauchtwagen belohnt werden, also den Anhänger braucht er nicht, nur das Auto allein, für sich allein, und er geniert sich dafür, daß er soviel tun muß nur für ein blödes Auto, nein, blöd ist es nicht, dieses Auto kann mehr als ein Mensch, vor allem ist es schneller und härter und wird uns alle umbringen und danach alleine überleben, es ist dem Menschen meist lieber als jeder andre Körper, inklusive dem eigenen, aber auch dem fremden, der ihm da soeben entgegenzittert, in seinem Haus, nein, in ihrem Haus, wo sind wir überhaupt?, in ihrem Haus; wenn nur dieses Haus selbst nicht kommt!, das wäre was!, dem Haus könnte der Gedanke kommen, wie mir übrigens auch, daß der Gedanke, einmal weg zu sein und doch nicht auf Reisen, doch ganz schön wäre. Da werden den jungen Mann die Schulkollegen aber beneiden, denke ich mir, denn er wird der erste in seiner Klasse, der unteren Mittelklasse, sein, der einen eigenen Wagen dieser Klasse haben wird.

RIKI ERKLÄRT DEN PLATTDEUTSCHEN ÖSTERREICH

riki zieht mit der hand eine imaginäre waagrechte linie durch ihre unmittelbare atemluft. uns gemütlichen, sagt sie, gefallen die gefällefreien radwege der insel usedom, wo eine 16 Meter hohe natürliche kuppel schon als gebirge durchgeht. die eingeborenen in der konditorei versenken ihre schweinsohren in ihre tüten. zufrieden nicken sie zu diesem lob aus dem wienerwald. dann fährt riki mit der hand auf und ab. die imaginäre linie mutiert zur unentwegten berg- und talfahrt. das vorpommerantische publikum versteht die baumgartenberger gebärdensprache auf anhieb: berg und tal und berg und tal und berg und tal, das ist un-usedomisch, das schaut ganz nach österreich aus. ja, konkret nach österreichischer radwegerealität, bestätigt riki. ebenen wie in usedom gibts aber auch in österreich unterrichtet sie die halbe bevölkerung der stadt usedom, die sich in der konditorei am marktplatz versammelt hat, um sich einige minuten lang von den zumutungen des ewigen kopfsteinpflasters zu erholen. nämlich unser burgenland, erläutert riki, ist flach wie ostvorpommern und weil der traktor des weinbauern in dieser ebene selbstredend wenig diesel braucht, wird der wein fast automatisch etwas biologisch, wie die mischung lolarot aus herrnbaumgarten, der weinperle des burgenlandes. wer von den zuhörenden sollte wissen, dass herrnbaumgarten nicht im burgenland liegt. aber der umschaid-bauer lächelt gelassen schüchtern in seinen winzerbart hinein. er kennt rikis geografische kinstruktionen, und er lässt sie gelten, denn burgenland ist bei weitem kein land zum verrecken und es ist keine schande, burgenländer zu sein. irgendwer, denkt er, sollte jedoch die vorpommeranten warnen: nur der seewinkel ist flachwie die usedomer heide. im rest dieses schönen bundeslandes ost keuchen die radtouristen von uhudlerberg zu uhudlerberg, sodass riki ihre zeigehand in die luft werfen müsste und dann zum boden hin auspendeln, was in ihrer gebärdesprache soviel heißt wie: radwegnetz nicht familientauglich. im städtchen usedom jedenfalls hat nun jeder und jede eine vorstellung von der landschaft österreichs und riki wechselt den unterrichtsgegenstand: die österreichische sprache. sie empfiehlt den indigenen rund um das achterwasser, die österreichischen sendungen ins netz zu stellen. ORSCH 1, ORSCH 2, ORSCH 3 und ORSCH sport plus. ihr werdet staunen: die österreichischen motoren – sie meint die moderatoren – sprechen so langsam wie die gruppe slow forward sich fortbewegt. langsam reden ist volkscharakter und schnell zu sprechen wie die deutschen motoren – sie meint die moderatoren – ist eine kompetenz, die dem österreicher aufgrund evolutionärer besonderheiten nicht gegeben ist. und wieder wechselt riki das unterrichtsthema. jetzt ist das österreichische klima dran, das lange gemäßigte, das jetzt ins katastrophale kippt. das österreichische klima ist oberhalb der latschengrenze von sagen wir 1500 meter seehöhe dem langzeitostseewetter überraschend ähnlich: in der sonne wegen hitze unerträglich, im schatten wegen kälte unerträglich, und wegen dieser paradoxen gemeinsamkeit entwickelte sich in den österreichischen alpen und an der vorpommerantischen ostsee naturgemäß ein verwandtes volksbrauchtum: die österreicher siezen sich nicht mehr ab 1500 meter höhe und in vorpommern hört man schon ab 1,5 meter seehöhe nur noch das wunderbar egalitäre tschüss. das hat auswirkungen auf das politische klima, denn kaum eine demokratische institution liegt unterhalb dieser grenze, während in österreich praktisch alle institutionen zum teil weit unter der duz-linie liegen. wenn hier geduzt wird, dann nicht, weil es wärmer ist als das siezen, sondern um politiker der jeweils anderen lager zu provozieren. «auf wiedersehen» ist hier wie dort ausgestorben, über oder unter der 1,5-, über oder unter der 1500-linie. lebte riki ein jahr in usedom, wär ein nachhaltiges auskommen und einander verstehen zwischen unseren beiden völkern, den gscheadasiaten und den vorpommeranten, vorprogrammiert! nach diesem jahr – das ist ganz sicher – wird in usedom und umgebung niemand mehr «hundert gramm» sagen, wenn er – wie viel deka ? – cannabis aus den feldern der polnischen freunde bestellt. menschen des haffs, denen man eben ihre kommunikationsgrundlage, das plattdeutsche, entzogen hat, werden der missionarischen kraft der mühlviertlerisierung der sprache nichts entgegensetzen können. wenn riki dann eine ferienwohnung für drei wochen bestellt, wird sie über eine enttäuschte reaktion staunen: netta drei wochn? und wenn sie vier spreewaldgurken kaufen will, wird sie hören: wir ham netta drei, junge frau. usedom, 30.06.2017

REBELLEN WIE GOTTI, HALBI UND LICHTI?

Auf populäre Art völkisches Gedankengut verbreiten: das beherrschten die MacherInnen des «Getreuen Eckart» ausgezeichnet. Die Zeitung war im Wien der 30er Jahre eines der wirksamsten Instrumente faschistischer Meinungsbildung. Ihre Redakteure waren die ideologischen Vorarbeiter des Anschlusses. Ich habe mir auf irgendeinem unsympathischen Flohmarkt ein paar Nummern dieser Nazizeitung – zufällig alle aus dem Jahrgang 1935 – gekauft. Eine Kostprobe: ein Reisebericht aus Paris, dessen Welthauptstadt-Mythos vom Autor ins rechte Licht gestellt wurde. Betrachtet man die Menschen in den Straßen und Gärten von Paris näher, so fällt einem vor allem der große Hundertsatz des farbigen Einschlages auf. Wenn ich früher die vielen Meldungen über eine allmähliche Vernegerung von Frankreich nicht glauben wollte und in ihnen bösartige Verleumdungen vermutete, so vermag ich heute diese Ansicht heute nicht mehr aufrecht zu erhalten. ... Araber, Neger und Annamiten werden von weißen Französinnen ohne die geringsten rassischen Bedenken geheiratet.... Fast könnte man glauben, die weiße Pariserin schämt sich bereits ihrer natürlichen Hautfarbe. Der Begriff «Annamiten» wurde damals als Synonym für «Zigeuner» verwendet. Entsprechend dem Gesetz der notwendigen Rotation der Sündenböcke würde man heute neben der «Vernegerung» auch die «Balkanisierung», vor allem aber die «Islamisierung» als Hauptgefahren für «unsere Heimat» bezeichnen. Kurt Tucholsky hat schon 1929 geahnt, dass die Rechte in Krisenzeiten unter anderem deshalb immer gewinnt, weil ihr die Linke das Lob der Heimat überlässt. In seinem bei uns leider weitgehend unbekannt gebliebenen Essay über die «Heimat» schreibt Tucholsky: «Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbücherlich eingetragen ist. Unser ist es. Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land (...) Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Der Staat schere sich fort, wenn wir unsere Heimat lieben. Warum grade sie – warum nicht eins von den andern Ländern –? Es gibt so schöne. Ja, aber unser Herz spricht dort nicht. Und wenn es spricht, dann in einer andern Sprache – wir sagen ›Sie‹ zum Boden; wir bewundern ihn, wir schätzen ihn – aber es ist nicht das. Es besteht kein Grund, vor jedem Fleck Deutschlands in die Knie zu sinken und zu lügen: wie schön! Aber es ist da etwas allen Gegenden Gemeinsames – und für jeden von uns ist es anders. Dem einen geht das Herz auf in den Bergen, wo Feld und Wiese in die kleinen Straßen sehen, am Rand der Gebirgsseen, wo es nach Wasser und Holz und Felsen riecht, und wo man einsam sein kann; wenn da einer seine Heimat hat, dann hört er dort ihr Herz klopfen. Das ist in schlechten Büchern, in noch dümmeren Versen und in Filmen schon so verfälscht, dass man sich beinah schämt, zu sagen: man liebe seine Heimat.» Eine Fraktion der Parlamentslinken in Deutschland hat den KritikerInnen der Politik der geschlossenen Grenzen für Flüchtlinge einen Bärendienst erwiesen, als sie ihr Manifest «Solidarität statt Heimat» nannten, als ob sich nicht beides verbinden ließe. Wo meine Nachbarn Namen wie Himmelfreundpointner tragen, ist meine Heimat – die diesen Status nicht verliert, wenn ein zugereister Tschetschene Chef des lokalen Security-Teams wird. Es sind die Namen der Nachfahren jener, die vor 1000 Jahren die Gegend für mich gerodet haben, indem sie an die Zukunft dachten. Böse Sitten gehören zur Heimat wie die Zecken zum Wanderweg. Eine der entbehrlichen Sitten ist die Art, wie Spitznamen gebildet werden – hier demonstriert am Beispiel ausgewählter Kaderspieler des SK Vorwärts Steyr: Thomas Himmelfreundpointner, Spitzname Hümi / Niko Krönigsbeger, Spitzname Kröni / Stefan Gotthartsleitner, Spitzname Gotti / Simon Gasperlmair, Spitzname Gaspi / Michael Halbartschlager, Spitzname Halbi / Christian Lichtberger, Spitzname Lichti / Arslan Nesimovic, Spitzname Nesi / Yusuf Efendioglu, Spitzname Effi. Diese i-Ableitungen sind gleichermaßen harm- und fantasielos. Das subversive Element des Spitznamens ist verschwunden. Spitznamen könnten spielerisch das staatlich-bürokratische Monopol der Benennung der Menschen ihres Herrschaftsbereichs negieren, das letztlich die Funktion der Kontrolle der Staatsbürger ausübt. Diese vergaßen, dass es einst die Gewohnheit gab, den eigenen Namen beliebig zu ändern. In den Bauernkriegszeiten erschwerte dieser Brauch die Fahndung nach den Rädelsführern. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass Burschen wie Gotti oder Halbi einmal Rädelsführer werden.

DIE SAU, DIE TARANTEL UND DIE PERLE

Ich dachte, die oft gar nicht höflichen Spitznamen der Dörfer, die in den Sprachgebrauch des ganzen Landes eingingen, obwohl ursprünglich wohl nur das jeweilige Nachbardorf zu einer solchen Beleidigung (und nichts anderes waren viele dieser Spitznamen) berufen war, seien eine burgenländische Spezialität. Irrtum. Der Lokalhistoriker aus Straß im Straßertal, Hans Windbrechtinger, kennt die Spitznamen vieler Dörfer aus dem niederösterreichischen Weinviertel und darüber hinaus, und oft weiß er über die Ursachen der Namensgebung Bescheid. Viele erklären sich von selbst: die Dorfbewohner werden nach der vermeintlichen Hauptnahrung innerhalb der armseligen Palette der Alltagskost genannt. Die Elsarner sind die «Schwammerllandler», die Engabrunner die «Blunzstricka», die Fahndofer die «Linswompn», die Frauendorfer die «Umurkn». die Grüberner die «Holzbirnpossa», die Hohenwarther die «Sterzpracker», die Prieler die «Quarglpracker». Die Kriminalitätsanfälligkeit einer Dorfbevölkerung ließ sich durch das Addieren der Gefängnisstrafen (= Schmoez) aller am Stammtisch anwesenden Männer errechnen. Eine Männerrunde mit «tausend Jahre Schmoez» war natürlich überall unvorstellbar, aber als Metapher einer Szene der Vorbestraften ließ es sich gut aussprechen. Dörfer mit Männerrunden, denen man die Summe von hundert Jahre Schmoez aber sehr wohl zutrauen konnte, kriegten den entsprechenden Spott ab, je nach Generation. Die Bevölkerung von Langenlebarn muss mit dem Stigma der «Guagloschneida» leben; in Pfaffstetten wohnen die «Schofwaumpna» (also die Arbeitsscheuen, die den ganzen Tag mit dem überlieferten alten Kartenspiel namens «Schafwampeln» beschäftigt sind; Stettenhof hat den besonders ehrenvollen Spitznamen «Dreizehn Heisa, vierzehn Diab». In Stein trifft man auf die «Kuahdiab». Die Männer von der Wagramkante schienen bekannt dafür zu sein, dass sie nie aufs Kio gingen, um zu pinkeln, sondern diese Geschäfte in den Gstettn, in ihrem Fall an den steilen Lößwänden verrichteten. Man nennt sie deshalb die «Gstettnglodara». Glodan ist das pluppernde Geräusch, das entsteht, wenn die Männer sich am Löß entleeren. Dank Windbrechtinger erschließen sich mir Namen, deren Herkunft nicht einmal Autochthone kennen. Zu den Spitzwörtern, für die man sich schämen musste, zählten die «Krowodn» (für Leute aus Absdorf) und die «Hussitn» (für Leute aus Zemling; man lernt daraus, dass der hussitische Aufstand gegen die Kirche keine rein tschechische Bewegung war). Der unsympathischte Namen aber wurde den Gösingern verpasst. Sie sind «d’Herrn», denn Gösing gilt als Dorf des Dünkels: In allen Disziplinen sind die Gösinger den anderen überlegen, behaupten sie. Im «Dackel», der Literaturzeitschrift der edition samisdat, gefiehl mir am besten die «Randbemerkung» von Alfred Lichtenstein: Lacht nur. Euer Lachen ist uns Antrieb. Schreit nur! Euer Schreien ist uns Heiterkeit. Heult, heult. Überseht uns. Wir sind doch da, ihr Erschütterten – dreimal da. Und stark. Und jubelnd. Wir wissen unsern Sieg, deshalb singen wir euren Untergang. Wir kommen über euch, Lieblinge. Morgen schon, heute schon. Wehrt euch, aber unsere Schwerter sind jung. Sagt wehe, wehe. Denn wir schlagen euch alle ein wenig tot, Lieblinge. Das wird aber ein schönes Leichenfest werden. Huhu. Hahaha. Üppigste Sexualität in der bildenden Kunst der Terese Schulmeister. Ihr Malstil ist sehr sehr angelehnt an den Stil des großen Lehrers Muehl. Im Vorwort des Katalogs steht: «In der Art der Darstellung spürt man die Zusammenarbeit mit Otto Muehl.» Jede/r spürt, das dieser Satz ganz falsch ist. Jede/r spürt, dass Muehl in den Lüften triumphiert. Und doch muss der Satz so lauten, denn Tereses Geschichte ist eine Geschichte der Emanzipation, nicht der Subordination. Christian Schreibmüller im Tarantel-Verlag – ist die Tarantel nicht die sprichwörtliche Sau, die aus Perlen und Eicheln einen Ladenhüter mixt, ist Schreibmüllers Text nicht die Perle, die eben in der Suhle untergegangen ist und dabei «plupps» gemacht hat? Der Verleger steckte stante pede eine Fahne genau an die Drecksstelle, wo es pluppste. Aber erst spätere Generationen werden die Perle finden und Finderlohn kassieren, mit dem man nichts mehr kaufen kann, weil die Kunst ein einziges großes Plupps ist und die Perlen liegen herum wie Fichtenzapfen. Kurzum: auch Schreibmüller ist einer von denen, die erst das Bankerl reißen müssen, bevor gewürdigt werden kann, was aus ihnen herausschnellte. Wenn was schnellt, ist es durchzogen, allerdings, denn Qualität braucht Langeweile. Dees Fuachtboare aum Oidwean: Du kennst oiweu mea leiwaunde Weiwa, kummsd owa imma weniga zuwe. Aamoi im Joa veleicht in ana Gaadschlockn auf da Donauinsel. Waun owa a Oide schoeechtoid is, so oid ois wiar ii, daun muass i leide soogn: No, sooo hetero bin i aa wieda ned.

WENN LEICHTBOMBEN DEN HIMMEL ERLEICHTERN

Konstantin Kaiser schenkt mir ein Heftchen, das Fotografien über das verschwundene Wien enthält – und ein par Gedichtlein, denen er den Gesamttitel «KindheitsZyklus» gegeben hat. Die letzten drei Strophen von dem meiner Ansicht nach gelungensten Gedicht: Als ich schwimmen lernte / waren die Leuchtkäfer nicht verschwunden / Glitt ich ins Wasser / öffneten sich all die Räume // Unten, an der Wölbung des Leibes / wurde ich härter: Du / siehst mich heute vermummt / mit abgeleistetem Wehrdienst // Nimm dennoch meinen Kopf / zur Hand und schau / in meine braunen Wandelaugen, dies / muntere Gestirn.» In einem Pasolini-Essay ist von Glühwürmchen die Rede. Von etwas, was es nicht mehr gibt. Für Pier Paolo, den Gläubigen, aber weder Leucht- noch Leichtgläubigen, ist das eine Metapher für die Zerstörung der Natur durch das Profit-Prinzip. Kurt, der Erfinder der nie endenden Alpenvorlandswanderwege, lehrte uns, dass es im Alpenvorland keinen Tod gibt, außer wenn ein Killerhund in seiner Hundspubertät tun darf, was er kann. Zum Beispiel kann er, um landläufig mit unseren Beispielen umzugehen, einen beliebigen, jedoch von ihm nie geliebten Menschen mit einem überraschenden Zahnknirsch aus dem Leben beißen, weil er ausschließlich die Befehle seines Besitzers, des Bauers Adolf. S. entgegennimmt und manchmal nicht einmal diese einzig vertrauten Befehle. Leider ist der Besitzer, wie viermal in der Woche, in der VÖEST arbeiten, sonst könnte er sich das tägliche Fleisch für den Hund nicht leisten, 30 bis 40 Kilogramm pro Tag, am besten schmeckt ihm Wild. Leuchtbekleideten Mädchen ist es immer leuchtgefallen, Leuchtkäfer von Leichtkäfern zu trennen. Nur wenn Leichtbomben den Himmel erleichtern, ist es so dämmrig, dass die Unterschiede nicht mehr wahrnehmbar sind. Das war jetzt eine hundserbärmliche Abweichung, denn eigentlich sollten die Heftchen, die mir mein Leben lang zugesteckt werden, das Thema dieses Kapitels sein. Wenn man aus kurzen Texten Bücher machen will (zu welchem Zweck übrigens), entstehen automatisch Heftchen, die in unseren Wohnungen deshalb kaum gefunden werden, weil sie sowohl in den Bücherregalen als auch in den Zeitungsstapeln leicht auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Ich war direkt froh, dass ich ein Heft wieder neu entdeckte, das mir Walter Famler geschenkt hatte. Eine mir völlig unbekannte Leiterin der Literaturabteilung der Moskauer Zeitung Neues Leben will mir beweisen, dass alle dem Kommunismus vorangegangenen Revolutionen nur Teilrevolutionen waren, weil sie immer a u c h neue entmenschlichte Lebensverhältnisse schufen. Die kommunistische Revolution sei im Vergleich dazu ganzheitlich, sagt Waltraud Schälike, die Autorin des natürlich roten Heftes. Schälike ist 1927 in Berlin geboren, ihre Eltern nahmen sie auf die Flucht nach Moskau mit, wo sie im Alter das Buch «Ich wollte keine Deutsche sein» schrieb. Eben fällt mir auf, dass viele meiner Minitaschenbücher Geschenke sind. Eines habe ich von Peter Haumer bekommen, die Arbeit ist von ihm selbst: «Der Austrosyndikalismus und der Buchdruckerstreik 1913 / 14 in Österreich.» Darin findet man sehr interessante Bemerkungen zu den Methoden des Streiks, zur Kunst der Organisation, zu den Grenzen der Zusammenkünfte des Typs Plenum: «Die Erfahrung hat es uns nun neulich bestätigt, dass so große, von mehreren tausend Kollegen besuchte Versammlungen, praktisch genommen, aus verschiedenen Gründen nur verschwindend geringen Wert haben.» Eine Beratung in anderer Form sei notwendig. Eine große Versammlung sei sehr störanfällig für eine Gruppe von Leuten, denen es ausschließlich um eine Sprengung des Plenums gehe. Heute ist es genau diese Erfahrung, die entwertet ist. Denn die gewerkschaftliche Regie muss sich heute nicht mehr vor interner Provokation fürchten. Es gibt keine radikale Fraktion der GewerkschaftlerInnen mehr, vor der sich das Versammlunsgmanagement bedroht fühlen könnte. Peter Haumer kenne ich seit meiner Zeit in der KPÖ Brigittenau. Damals war er politischer «Feind», der ungefragt unser Revier beackerte. Er war uns verhasst wegen seiner unverschämten Proletarität. Wir hielten dies als seine Inszenierung; wir kommunistischen Pseudointellektuellen konnten und wollten uns nicht vorstellen, dass Peter tatsächlich ein sich bildender, kluger Arbeiter ist; sein Wienerisch war nicht Attitüde. Sein größter Fehler war, dass er sich als Trotzkist bezeichnete. Heute ist unser Verhältnis solidarisch. Peter Haumer hat mit seinem «Ersten Österreichischen Papiertheater» einen humorvollen Beitrag zum Karl-Marx-Geburtstagsfest im Perinetkeller geleistet.

HAT ALLAH BRUSTWARZEN ?

Was zwischen mir und Linde Waber liegt? Der Haussegen liegt gelegentlich schief, aber ich bin nicht nachtragend, mein Kyropraktiker hat mir seit dem letzten Bandscheibenvorfall das Nachtragen verboten. Sehr auf die Probe gestellt wurde unser Verhältnis, als sie mich in meiner Favoritner Wohnung besuchte. Als sie eintrat, hieß sie eine große Wand voller Fotos und Installationen willkommen; alles von mir. Sie hingen da, wie wenn sie immer da hingen, aber in Wirklichkeit hatte ich meine Privatgalerie extra für den Besuch schnell aktualisiert. Sie aber würdigte das, was auf der Wand hing, keines Blickes. Da schenkte ich ihr m e i n e n Wein ein. Seit der 1930 erfolgten Erklärung einer Männerpissmuschel zum Kunstwerk, sagte ich bei der Eröffnung von Hildes «Tageszeichnungen»-Ausstellung, sei es lächerlich unmodern, weiter Tafelbilder zu zeichnen, und ich schlug Linde Waber vor, ihre Tageszeichnungen nicht als einzelne oder als Serie zur Kunst zu erklären, sondern sie einfach auf Turmhöhe zu stapeln und sie als Readymade zu verwerten, als zur modernen Kunst erklärten Altpapierstoß. Wenn du das Papier in der Ausstellung gestapelt lässt, riet ich ihr, hast du die Chance, die Tagesblätter zu verkaufen, denn niemand sieht dann die Kunst auf der Oberfläche der einzelnen Blätter. Für diese Frechheit wollte sie sich revanchieren, dachte ich also, indem sie mich als vollkommenen Dilettanten in den Angelegenheiten der bildenden Kunst darstellte. Und als sie in einem ihrer Smalltalks mit anderen Leuten betonte, Ossi Wiener (grins) habe übrigens 1959 sein gesamtes (grins) literarisches Werk (grins) vernichtet (grins) und sei Angestellter der Firma Olivetti geworden, hielt ich das auf mich gemünzt. Ich solle, meinte Linde Waber, meinte ich, dem Beispiel Ossi Wieners folgen. (grins). Und dabei hat Linde mich diabolisch angegrinst, meinem Gefühl nach. Und ich schaue mir die Ausstellung an und entdecke, dass Linde meine eigenen Collagen aus Texten, Bildern und Notizen sozusagen gentrifiziert hat, aufgewertet hat durch Übermalungsaktionen, mit Pinselstrichen voller Wasserfarben. Und mich quält die Frage, ob sie das – vor dem Hintergrund meines Dilettantismus – aus karitativen Zwecken getan hat, weil ich mit meinen Versuchen, mich bildnerisch auszudrücken, ausreichend Mitleid erregte. Damit aber wäre die Kunst, die sie vorgibt zu machen, als Kunsttherapie entlarvt. Es weiß aber jeder, dass die Linde keine Therapeutin ist, und fast jeder, dass ich nicht ihr Patient bin. Daraus folgt, dass ich Co-Schöpfer dieser Werke bin, denn ohne meine Beiträge, die Linde als Ausgangsmaterial für ihre Bilder genommen hat, wären ihre Pinselstriche nicht ausstellbar. Der Kunstmarkt wird die Frage beantworten müssen, wie die Kollaboration einer großen Künstlerin mit einem, den es irrtümlich in das ihm nicht vermittelbare Metier der bildenden Kunst verschlagen hat, bewertet wird. Ich werde das ja an dem Anteil messen können, den die Linde mir gibt, wenn sie ein Bild verkauft. Für Linde bin ich «der Philosoph», obwohl sie noch nie mit mir zu philosophieren bereit war und deshalb über meine Eigenschaften wenig sagen kann. Liebe Linde, man ist nicht gleich Philosoph, wenn man sich Formulierungen der klassischen Philosophen wie Strandgut aneignet und sie unter das Volk streut, als wären sie ureigene Nachdenkresultate. Zum Beispiel muss ich mich jetzt auf Aristoteles berufen. Der hat nämlich gesagt, man könne eine Stadt nicht mit Menschen aufbauen, die alle einander gleichen. Man könne eine Stadt nur mit verschiedenen Leuten aufbauen. Deutlicher ausgedrückt: Ein System, das den Namen Stadt verdient, muss mindestens einen Mörder, einen Kinderverzahrer, einen Ewiggestrigen, einen Hochstapler, eine Hure, eine aramäisch sprechende Gemeinderätin, einen Stalinisten und einen Amokläufer haben. Der erste Bürgermeister von Tel Aviv hat sogar ergänzt, eine Stadt ohne einen einzigen Antisemiten sei für ihn keine lebenswerte Stadt. Wenn man das nicht will, kann man im Dorf bleiben, wo es das alles nicht gibt, wo es aber leider auch sonst nichts mehr gibt. In diesem Sinne muss eine Zwei-Millionen-Stadt auch hundert Burkaträgerinnen aushalten. Der Linde ist eine einzige zu viel, und sie nennt das: Feminismus. Auch ich wünsche mir eine Stadt, in der die Religion nur mehr eine geringe Rolle spielt. Wo ein Wiener herzlich lachen kann, wenn einmal ein Muslim herzlich flucht: Deinem Herrgott sollen seine drei besten Erzengeln verrecken! Und wo ein Muslim grinst, wenn ich mit «Gsundheit!» antworte, wenn er «Dschihad!» sagt. Und wo sich ein Imam vor Lachen den Bauch hält, wenn er von einem Koranschüler gefragt wird, ob Allah auch Brustwarzen habe. Und wo der letzte islamistische Terrorist ein Gipfelkreuz niederhackt und anschließend auf der Schutzhütte seinen ersten Schweinsbraten bestellt. Ich ziehe Stadtleben den Dorfleben vor, auch deshalb, weil ich hier großartige Menschen treffe, mit denen ich streiten kann, ohne dass eine gemeinsame Basis zerbricht.

JAPPTEN RATLOS IN ALLE VULKANE

Eine Stadt wird nicht zwangsläufig lebenswerter, wenn der Autoverkehr fehlt. Das zeigt die 4-Millionen-Einwohner-Stadt Pjöngjang. Ich kann mich an kein einziges Bild erinnern, das eine Oase der Entspannung, einen auf irgend eine Weise angenehmen, stimmigen, menschlichen Ort zeigt. Die Hauptstadt Nordkoreas scheint durch die vollkommene Abwesenheit von Ästhetik und Gemütlichkeit geprägt zu sein. Ein unwahrscheinliches Defizit. Ich vermute, dass wir von zwei Seiten her manipuliert werden: von westlichen Fotoreportern, die in erster Linie das Klischee von der Stadt als einziges riesiges Gefängnis bedienen, und von der Staatspropaganda, die die Parade als artgerechte Fortbewegungsart der Menschen propagiert. Ich sehne mich nach Zeugnissen des Alltagslebens, das doch mehr sein muss als die fortwährende Parade und der staatlich verschriebene Gottesdienst. Der französische Kolonialismus muss doch Spuren guten Lebens hinterlassen haben, und sei es auch nur ein Platz, auf dem ein Obdachloser ohne Angst übernachten kann. Durch die zwei Lager der Manipulation ist in unseren Köpfen ein Pjöngjang-Bild entstanden, das vom Fehlen jeder Räume, die «Leben einzeln und frei wie ein Baum und brüderlich wie ein Wald» garantieren, gekennzeichnet scheint. Man muss, denke ich, erwähnen, dass Pjöngjang mehrmals total zerstört worden ist, zuletzt im Koreakrieg in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. W.G. Sebald stellt in seinem Buch «Luftkrieg und Literatur» die Frage, warum die deutschen SchriftstellerInnen die von Millionen erlebte Zerstörung der deutschen Städte von der Luft aus nicht beschreiben wollten oder konnten, obwohl sie zum Teil selber Augen- und Ohrenzeugen waren. Sebald antwortet sich selbst. Die Zerstörung der deutschen Städte in den letzten 3 Jahren des 2. Weltkriegs habe im Bewusstsein der neu sich formierenden Nation keinen Platz gefunden, weil aufgrund einer stillschweigend eingegangenen gesellschaftlichen Vereinbarung der wahre Zustand der materiellen und moralischen Vernichtung nicht beschrieben werden durfte. Das nahezu gänzliche Fehlen von tieferen Verstörungen im Seelenleben der deutschen Nation, so Sebald, lasse darauf schließen, dass die neue bundesrepublikanische Gesellschaft sich durch einen perfekt funktionierenden Mechanismus der Verdrängung auszeichnete. Dass das Wissen der Deutschen, dass es zuvor auch den deutschen Luftkrieg gab, der Coventry, Rotterdam, Stalingrad und andere Städte vernichtete, erzeugte kein Schuldgefühl. Die totale Zerstörung Londons, die sich Hitler 1940 einbildete, scheiterte nur wegen der fehlenden technischen Ressourcen. Dass Stalingrad dem Erdboden gleichgemacht werden musste, war Konsens in Deutschland. 1200 deutsche Flieger realisierten diesen Auftrag im August 1942. Es gab wohl niemanden im «Reich», der die alliierten Bombardierungen so verstand wie später der «Konkret»-Autor Gunnar Schubert, der sie als «praktizierten Antifaschismus, zu welchem es leider keine Alternative gab» bezeichnete. Dem widersprechen auch englische AnalytikerInnen, zumal auch in England bekannt wurde: Im Jahr 1944 zeichnete sich ab, dass trotz der unausgesetzten Angriffe der Bombenflugzeuge und der Erfahrung der katastrophalen Wirkung eines bis dahin unbekannten Phänomens, des Feuersturms, die Moral der deutschen Bevölkerung offenbar ungebrochen und die Industrieproduktion kaum beeinträchtigt war. Sebald konstatiert, dass Biermann, Augenzeuge des Hamburger Feuersturms, rückblickend nichts darüber schreiben wollte. Enttäuscht scheint Sebald über Arno Schmidt zu sein, der mit seinem Kurzroman «Aus dem Leben eines Fauns» (1953) die Zerstörung auf «bedenkliche» Art verarbeitet hätte. Durch ein sehr wählerisch aus einer mehrere Seiten umfassenden Schilderung der Katastrophe entnommenes Textstück will Sebald seinen Kollegen Schmidt als Elfenbeinturmdichter denunzieren: Eine fette Wolkige richtete sich am Magazin auf, blähte den Kugelbauch und rülpste einen Totenkopf hoch, lachte kehlig: o wat!, und knotete kollernd Arme und Beine durcheinander, wandte sich steatopyg her, und fortzte ganze Garben von heißen Eisenrohren aus, endlos, die Könnerin, dass die Sträucher dabei knixten und plapperten. Hinter solcher Inszenierung des Schauspiels eines Luftangriffs könne man nur ein Fragezeichen setzen, kritisiert Sebald. Warum zitierte er nicht andere Passagen aus Arno Schmidts Werk: Die Scheiben knurrten hell und wild in ihren Rahmen; eine Tasse sprang hoch und mir vor die spreizenden Füße; die Luft jumpte (...) Ich stürzte mit schrägem Kopf durch Türen, tanzte auf der torkelnden Treppe herum, und fiel am Tor in Menschen (...) Alle Bäume als Flammen verkleidet: eine Hausfront stolperte drohend vor (...) Von der Nacht riss die Hälfte ab, und wir fielen tot zu Boden ob des Donners, klommen aber noch trotzig wieder auf, und jappten ratlos in alle Vulkane...

LIEBER PARASOLE ALS PAROLEN

Die Einsicht in die ungeheure Sprachmacht von Karl Kraus verdrießt einem gelegentlich das Schreiben. Okay, das öffentliche Geständnis, dass die größte Lust, die seine Haut kenne, hinterm Ohr rasiert zu werden sei, könnte auch von Hemingway stammen. Wer sonst aber entzaubert so den Job des Feuilletonisten?: ein Feuilleton zu schreiben heiße, auf einer Glatze Locken zu drehen. Wer sonst empfiehlt mir, einen Schreiberling, dessen Text ich bedauernswerter Weise kürzen muss, zu belehren?: Durch Streichung kann man eine Plattheit in einen Gedanken verwandeln, aber auch einen Gedanken in eine Plattheit. Wie schaut das Plattitüden-Ideen-Verhältnis in meiner Bad-Radkersburg-Prosa aus? Bad Radkersburg. In seine Umgebung waren vor zwei Dutzend Jahren Christel und Dietrich Kittner gezogen, er ein Kabarettist und Liedermacher, sie seine Frau, Genossin, Sekretärin, Managerin, Muse (letzteres ist ein Klischee, bitte das zu bedenken). Posthum auf ihren Spuren: Ich, Reporter. An einer Grazer Haltestelle des Billigbusses aus Wien wartete Ernest Kaltenegger. Er war es eigentlich, der mich an die slowenische Grenze lockte, mehr als Kittner, der mir immer schon etliche Bohnen zu deutsch war, was in diesem Fall bedeutete: zu wenig bohemehaft und viel zu sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Ernest Kaltenegger: erfolgreichste linke Integrationsfigur, wenig bohemehaft auch er, aber entschieden undeutsch, schaut nicht aus wie ein Staatsfeind, sondern wie einer, der regelmäßig in den Grenzwald geht und mit Tonnen von Parasolen zurück kommt (keine Angst, der Grenzwald hält für alle SchwammerlsucherInnen Tonnen von Parasolen bereit). Nach dem Tod der beiden Kittners gründete Ernest die Kittner-Kulturstiftung. Ihr r.k. im alten Amtsformular hieß nicht römischkatholisch, sondern rätekommunistisch, dieser Gag stieß im Dorf kaum auf Interesse. Andrerseits, wenn der Jeep mit dem roten Stern lange nicht bei den Hollerstauden stand, wussten die Bewohner des Dorfes Dedenitz, nun endlich kennt ihr den Ort dieser Geschichte, dass der Piefke wieder auf Tour war. Die Kittners, gerührt von der Offenheit der Bäurinnen und Bauern des steirischslowenischen Kaffs Dedenitz, wähnten einen Zusammenhang zwischen der Vielsprachigkeit ihrer neuen Heimat und der Willkommenskultur gegenüber ihnen, den Piefkes. Bei uns wird südsteirisch und slowenisch geplappert, warum sollten wir dagegen sein, dass man jetzt auch deutsche Sätze hört in unserem Dorf. So ungefähr, schreibt Christel, sprachen die Dedenitzerinnen und Dedenitzer. Gelegentlich fanden im Hollerhof, so heißt das Anwesen der Kittners wegen der Holunderbäume, kommunistische Gipfeltreffen statt, DKP und KPÖ vereint unter Apfelbäumen, bewacht von der überdimensionalen Friedenstaube. Selbst diese rätselhaften Rituale waren kein Grund für Besorgniserregung, denn Ernest war immer dabei, der Ernstl, der aus Sicht der Dedenitzer ebenso heilig wie ihr katholischer Pfarrer ist. Wie die Grammelknödel, wenn sie fertig sind, an die Oberfläche des siedenden Wassers steigen, so geht´s meiner romantischen Blase. Eines Tages wird sie empor kommen und oben zerplatzen. Dann such ich mir eine verwandte Romanze, sie muss nur rot-schwarz sein. Dedenitz war kein Zweitswohnsitz für das Ehepaar Kittner. Ab 1991, dem Jahr, an dem es sich endgültig in der Steiermark niederließ, startete Kittner von hier aus seine Tourneen. Weil es rund 200 Auftritte pro Jahr gab, war er selten in Dedenitz zu sehen. Seit 1973 tourte Kittner auch regelmäßig durch die DDR. Seit 1973 unterlag er einem Auftrittsverbot im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Westdeutschlands. Wer da einen Zusammenhang erahnte, konnte leicht in der Kiste der Verschwörungtheoretiker landen. Ich selbst habe ihn in eine DKP-Ecke gestopft, zu den Parteiamtskünstlern wie Süverkrüp oder Floh de Cologne. Ein Missverständnis. Kittner war, obwohl DKP-affin, auch in der Erich-Mühsam-Gesellschaft (Anarchismus!) und im Freidenkerbund aktiv. Und er war Mitherausgeber der Zeitschrift «Ossietzky». Es ist kein Zufall, dass die 68er Generation eine Neigung zu Dreiländerecken hat. Auch für die Kittners war es eine Glücksgeografie. Wo außer Radkersburg, schrieb ich unbedarft, gibt´s einen Punkt in Europa, wo du in der Frühstückspension überdenken kannst, ob dein Radausflug sich auf einen, zwei, drei oder vier Staaten erstrecken wird. Rund 40 Kilometer, und du bist im kroatischen Varazdin, rund 35 Kilometer, und du bist im ungarischen Szentgotthard, rund 15 Kilometer, und du bist im slowenischen Murska Sobota. Und all das ohne besondere Anstrengungen, weil du dich im westlichsten Zipfelchen der ungarischen Tiefebene bewegst. Ein aus vier Staaten gebildetes Dreiländereck ist wie die Quadratur des Kreises, werde ich zu hören bekommen. Doch ich halte den Rechthaberischen die ganze Wahrheit in Form einer Landkarte vor die Nase: Sehen Sie nicht, dass Slowenien an dieser Stelle bloß ein Läppchen ist, eine Landzunge? Und dass Wölfe von Dedenitz aus den Lärm der kroatischen Autobahnen hören?

PÄPSTE WOLLEN SICH IRREN, KÖNNEN ES ABER NICHT

hinweisbekanntmachung /an alle zeichner des investmentfonds / erba invest op / euroswitch balanced portfolio op / euroswitch substantial markets op / euroswitch world profile starlux op / ffpb dynamik / ffpb fokus / ffpb kupon / ffpb multitrend doppelplus / ffpb multitrend plus / ffpb rendite / ffpb variabel / ffpb wert. verkaufsprospekt & verwaltungsreglement der luxemburger investmentfonds werden mit wirkung vom 24. april 2017 insbesondere wie folgt geändert. die von der verwaltungsgesellschaft erwartete hebelwirkung wird von bis zu 100 prozent des jeweiligen nettofondsvermögens auf bis zu 200 prozent des jeweiligen nettofonds-vermögens erhöht. anteilnehmer, die die vorgenannten änderungen nicht mittragen möchten, können ihre anteile kostenfrei bei den im derzeit gültigen verkaufsprospekt genannten stellen zurückgeben. Das «Standard»-Einserkastl vom 26. November 2017 mit dem Autorenkürzel «Rau» ist die Trauerdrucksorte, die dem Dahinsiechen liberalen Gedankenguts angemessen ist. Chefkolumnist Hans Rauscher, großer Ironiker vor dem Herrn, ortet in seiner Rubrik eine (sich ihrer selbst nicht bewussten) Verschwörung eskalierend handelnder Menschenrechts-Engagierter, die das Demonstrationsrecht bewusst oder unbewusst derart missbrauchten, dass am Ende nur der rechte Extremismus als Sieger hervorgehen könne. Raus Schlüsselpointe in seiner Rubrik der scheiternden Satire: Irgendwo müsse es ein geheimes Zentrum «Förderprogramm für Rechtspopulisten (FPR)» geben, mit dem Ziel, «auch Gutwillige, Wohlmeinende und liberal Denkende» so zu nerven, dass sie mit dem Gedanken spielten, Hofer zu wählen. Österreichs Spitzenkolumnist zählt nicht nur die Initiator_innen der Demos für die Legalisierung der kurdischen PKK und für die Durchsetzung des Menschenrechts auf Asyl zu den indirekten Unterstützer_innen der FP-Demagogie, sondern auch gleich die Behörden, die diese Kundgebungen zuließen. Rauscher fordert ungeschminkt eine zeitliche und räumliche Einschränkung der von der Verfassung garantierten Versammlungsfreiheit. Die «Gutmeinenden» – also wohl Seinesgleichen – könnten nämlich zweierlei nicht leiden: Erstens, dass ausgerechnet im Advent, zweitens, dass ausgerechnet auf Ring und Mariahilferstraße demonstriert werde. Wasser auf die Mühlen der Kaffeehauskette Aida, die gemeinsam mit der Wiener ÖVP derzeit eine Kampagne für das Verbot von Demos in der City und am Ring betreibt. «Niemand sagt, dass es (das Demonstrieren, Red.) ganz verboten werden soll. Aber es irritiert auch Menschen mit humaner Haltung mehr und mehr», warnt Rauscher... Meingott, wie die Zeit vergeht. Grad haben wir den Augustin gegründet, und schon sind 21 Jahre vergangen... Manchmal glaubt man, dass sich nichts verändert hat in diesen Jahren. Der Engelbert versucht, seit er beim Augustin ist, die Redaktion zu überzeugen, dass eine Witzseite die Auflage sofort steigern würde, und seit damals wird sein Vorschlag von der Redaktion ignoriert. Seit Jahren bringt mir Hömal die von ihm ausgelesene Furche, Woche für Woche, und seit Jahren glaubt er, dass mich die Furche zum richtigen Glauben zurückführt. Aber, lieber Hömal, kann ein Glaube richtig sein, der mir sagt, es gäbe einen unfehlbaren Menschen auf dieser Welt, nämlich denn jeweils aktuellen Papst? Ich finde diese Frage echt geil, ich werde sie dem Hömal bei passender Gelegenheit wirklich stellen, ich werde nicht mehr zurückweichen, ich werde ihn in seiner Defensive sagen hören wollen: Ja, jeder Papst war unfehlbar, und jeder kommende wird unfehlbar sein. Dann wird alles klar sein. Papst Habermas war fast unfehlbar. Dem zivilen Ungehorsam hat er ein systemimmanentes Profil verpasst: «Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.» Im Kontrast zu dieser systemverträglichen Regulierung des Ungehorsams sei hier die Definition des Aktivisten und Geschichtsprofessors Howard Zinn genannt, der unter zivilem Ungehorsam «die überlegte und gezielte Übertretung von Gesetzen um dringender gesellschaftlicher Ziele willen» verstand. Schlicht, einfach, ornamentlos. Das klingt nach Revo, die lob ich mir.

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Robert Sommer (* 1951 in Rotheau an der Traisen) ist ein österreichischer Journalist und Schriftsteller. Er ist Mitgründer und Redakteur der Obdachlosenzeitschrift Augustin.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sommer maturierte 1970 in St. Pölten und kam danach nach Wien. Er engagierte sich für das Volksbegehren zur Auflösung des österreichischen Bundesheeres, welches 1971 von Wilfried Daim, Adalbert Krims, Günther Nenning und Gerhard Oberschlick propagiert wurde. Von 1973 bis 1990 war er Redakteur der Volksstimme, ab 1991 freier Journalist. Im Oktober 1995 fungierte er als Mitgründer und seither als Redakteur des Augustin, der sich selbst als Erste Österreichische Boulevardzeitung bezeichnet. Sommer betreute auch jahrelang die Augustin-Schreibwerkstatt für Obdachlose, Psychiatrierte, Asylwerber und Haftentlassene, die er zum Aufschreiben und Artikulieren ihrer Erfahrungen ermutigt und deren Texte er mit ihnen bearbeitet.[1]

In seinen Büchern schreibt Sommer unter anderem über die Wachau, das Wiener Augartenviertel, das Gestapo-Gefängnis Karajangasse sowie jüdische Sommerfrische in Bad Sauerbrunn. Sowohl in seinen Büchern als auch in seinen Artikeln stellt Sommer „bewußt die Erinnerung an Verfolgte und Exilanten gegen eine Gegenwart sozialer und humaner Kälte“.[1]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Buchpublikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • mit Vene Maier: Die Wachau; mit Strudengau. Geschichte, Kultur, Natur, Ausflüge, Wanderungen und angenehme Plätze entlang des Stromes. Falter, Wien 1994, ISBN 3-85439-123-4.
  • mit Walter Eckhart: Es war die Reblaus. Die Uhudler-Legende. Mandelbaum, Wien 1997, ISBN 3-85476-009-4.
  • Vom Grund. Stadtteilarbeit im Wiener Augartenviertel. Uhudla, Wien 1998, ISBN 3-901561-05-6.
  • mit Walter Eckhart: Uhudler Legende. Vom Wein der Gesetzlosen zur regionalen Köstlichkeit. Mandelbaum, Wien 2008, ISBN 978-3-85476-272-0.
  • Wie bleibt der Rand am Rand: Reportagen vom Alltag der Repression und Exklusion. Mandelbaum, Wien 2011, ISBN 978-3-85476-606-3.
  • Poesie und Disziplin. Dieter Schrage und der unterirdische Strom der Anarchie. Mandelbaum, Wien 2016, ISBN 978-3-85476-649-0.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Theodor-Kramer-Gesellschaft, Kurzbiografie des Autors, abgerufen am 16. Februar 2015.
  2. Robert Sommer - Mitbegründer des "Augustin". auf: diepresse.com, 28. September 2012, abgerufen am 16. Februar 2015.