ZOOM 7/1997
November
1997

Salzburger Wehrdienstverweigerer freigesprochen

Statt einzurücken, ging der Salzburger Guntram A. in den Untergrund. Nach seiner Entlassung aus dem Militär im Mai dieses Jahres stand er nun vor der Richterin. Der Prozeß vor dem Bezirksgericht endete mit einem Freispruch wegen mangelnder Strafwürdigkeit. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein.

Guntram A. (Name von der Redaktion geändert) hat in mehr als zweijähriger Zusammenarbeit mit der Salzburger Arbeitsgemeinschaft für Wehrdienstverweigerung und Gewaltfreiheit seine Verweigerung vorbereitet und, nachdem alle Versuche, den Einberufungsbefehl wieder los zu werden, scheiterten, auch durchgeführt. Leider konnten wir uns ab dem Frühjahr 1997 nicht mehr auf eine gemeinsame Vorgangsweise einigen und beschlossen, uns zu trennen. Die politische Arbeit (auch im Fall Guntram war Konsens, daß die Arge WDV und Gf sich weiterhin öffentlich äußert) sollte künftig nicht mehr koordiniert werden. Nach seinem Freispruch untersagte jedoch Guntram der Arge WDV und Gf, künftig über seinen Fall zu berichten. Wir hoffen, durch die Anonymisierung dieses Artikels seinem Wunsch Rechnung zu tragen und trotzdem der Informationspflicht für künftige Betroffene und Interessierte nachzukommen.

Guntram A. ist ein „Altfall“, der seine letzte Möglichkeit, bis zum 11. April 1994 (die einmonatige Gewissensfrist) eine Zivildiensterklärung abzugeben, nicht wahrgenommen hat. Bis Juni 1996 hatte er Aufschub erhalten, für den 2.12.1996 erhielt er den Einberufungsbefehl. Nun begann eine intensive Phase der Öffentlichkeitsarbeit, die mit dem Verfassen eines persönlichen Briefes an die Befehlshaber des österreichischen Bundesheeres ihren Anfang nahm. Guntram forderte die Zurücknahme des Einberufungsbefehls und regte seine Entlassung aus politischen und Gewissensgründen an. In dieser Phase fand ein reger Briefwechsel statt, mit dem Adjutanten des Bundespräsidenten Div. Trauttenberg, BM Fasslabend, der Ergänzungsabt. B/BMLV, Div. Bartha (Militärkommandant Salzburg). Anfang November 1996 richtete Guntram einen „Offenen Brief“ an die Befehlshaber des Bundesheeres.

Das Personenkomitee „Öffentlichkeit für Artikel I“ wurde konstruiert, eine groß angelegte FAX-Aktion sorgte dafür, daß in der Institution Bundesheer bis zum BM Fasslabend allen der Name Guntrams ein Begriff war, es wurde der Arge Wehrdienstverweigerung und Gewaltfreiheit mitgeteilt, daß es unmöglich sei, auf die eingelangten Unterstützungserklärungen zu reagieren, über 700 Einzelpersonen und über 40 Organisation unterstützten Guntrams Anliegen und regten an, ihn aus öffentlichem Interesse von der Wehrpflicht (§ 36a WG) zu befreien.

Am 2. Dezember 1996 ging Guntram in den Untergrund. Er kündigte dies in einer Pressekonferenz an, die in mehreren Tageszeitungen und auch im ORF (Radio und Lokalfernsehen) breiten Anklang fand. Mit 16. Dezember lehnte das BMLV (Verteidigungsministerium) die Befreiung von Guntram vom Wehrdienst ab. Er beschloß, bis auf weiteres „im zivilen Ungehorsam zu verharren“. Amnesty International kündigte an, Guntram im Falle einer Festnahme oder Verurteilung als „gewaltlosen Gewissensgefangenen“ zu adoptieren. Guntram dokumentierte seine Haltung: „Aus politischen und aus Gewissensgründen stelle ich mich gegen die militaristische Logik der Aufrüstung und gegen das militärische Bündnis Österreichs mit den reichen westlichen Ländern, die vorgeben, sich schützen zu müssen, aber vor allem ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen wollen.“

Er begründete seine konsequente Verweigerung damit, daß der Dienst im Bundesheer nicht mehr neutralitätskonform sei, durch die Beobachterstellung bei der WEU und den Beitritt zur NATO-Partnerschaft für den Frieden habe Österreich den „kalten Beitritt“ zu diesen Militärbündnissen vollzogen. Univ.-Doz. Dr. Michael Geistlinger untermauerte diese Auffassung durch ein völkerrechtliches Gutachten, er kommt zu dem Schluß, daß der Dienst im Bundesheer nicht neutralitätskonform ist und den geltenden Verfassungsgesetzen widerspricht.

Im Mai 1997 wurde Guntram aus gesundheitlichen Gründen aus dem Päsenzdienst entlassen. Jetzt nutzt er die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten. Am 3. September 1997 fand sein Prozeß am Bezirksgericht Salzburg (Richterin Gunda Knapp) statt, folgendes Prozeßprotokoll zeigt den Weg zum Freispruch auf:

Nach Aufnahme der persönlichen Daten befragt die Bezirksrichterin Guntram, warum er keinen Zivildienstantrag gestellt hätte:

Guntram: Ich habe mich nicht um jede Novelle ab 1991 gekümmert, es gab ja fast jedes Jahr ein neues Gesetz.
Bezirksrichterin: Sie hatten also zwei Möglichkeiten: Einmal, die Waffe zu verweigern, das wäre ein Delikt gewesen, das das Landesgericht geahndet hätte, da wären Sie auch in Untersuchungshaft gekommen. Zum zweiten, für das Militär unerreichbar zu sein, für dieses Delikt ist das Bezirksgericht zuständig. Sie haben das geringfügigere Delikt gewählt?
Guntram: Das hat mir auch Divisionär Trauttenberg geraten ...
Bezirksrichterin: Ah, das ist interessant, das ist ja der Adjudant des Bundespräsidenten ...
Rechtsanwältin: Der Herr Guntram hat viele Briefe geschrieben, die übergebe ich Ihnen in Kopie, aber niemand fühlte sich zuständig ...
Bezirksrichterin [sieht sich die Kopien an]: Also, geschrieben worden ist ja genug, Herr Guntram ...
Guntram: Ja.
Rechtsanwältin: Sie sehen, was im Vorfeld schon alles versucht worden ist ...
Bezirksrichterin: Offensichtlich, ja. Da war also niemand zuständig. [Zu Guntram:] Da haben Sie sich wohl gedacht: Das muß ich abwarten, bevor ich die Annahme der Waffe verweigere ... Und am 5. Mai 1997 haben Sie den Präsenzdienst dann auch freiwillig angetreten. Sie wurden in Folge aus gesundheitlichen Gründen untauglich geschrieben, und ihnen wurde ein militärärztliches Gutachten ausgefolgt ...
Guntram: Nein, ich habe kein militärärztliches Gutachten erhalten ...
Bezirksrichterin: Im Akt steht das aber ...
Guntram: Ich habe aber bis heute keines erhalten.
Bezirksrichterin [erklärend]: Ihre Dienstunfähigkeit wurde festgestellt und Sie wurden nach drei Tagen wieder entlassen. [...] Seit 16. Juni 1997 sind Sie nun zivildienstpflichtig. Werden Sie den Zivildienst machen?
Guntram: Ich habe mit dem Innenministerium und mit zwei Zivildienststellen schon Kontakt aufgenommen, nämlich mit »Samba« und der »Bewährungshilfe«. Ich muß dem Innenministerium mitteilen, wofür ich mich entscheide und wann ich den Zivildienst antreten will.
Bezirksrichterin: Sie lehnen Gewalt grundsätzlich ab. Sie waren Studienrichtungsvertreter und in der Österreichischen Hochschülerschaft tätig. Waren sie da auch schon sozial tätig?
Guntram: Ja.
Bezirksanwalt: Wenn Ihnen von Anfang an klar war, daß Sie Zivildienst leisten wollen, warum haben Sie dann 1994 keinen Antrag gestellt?
Guntram: Ich glaubte, auch noch 14 Tage nach Erhalt des Einberufungsbefehls einen Antrag stellen zu können, wie es zum Zeitpunkt meiner Stellung möglich war. Damals gab’s noch die Zivildienstkommission. Ich habe mich um die Novellen nicht gekümmert.
Bezirksanwalt: Für Sie war’s damals so: Solange ich Aufschub habe, interessieren mich die Novellen des Zivildienstgesetzes nur peripher? Sie haben die Monatsfrist vom 11. März bis 11. April nicht wahrgenommen?
Guntram: Ja.
Rechtsanwältin: War da noch etwas, was Sie damals abgelenkt hat?
Guntram: Ich habe am 30. April 1994 meine Arbeit als Kellner beendet, um intensiver studieren zu können...
Rechtsanwältin: Warum sind Sie schlußendlich im Mai eingerückt?
Guntram: Ich hatte die Zusage vom Militärkommando, daß ich keine Waffe, keine Uniform, kein Wehrdienstbuch annehmen und keinen Befehl entgegennehmen muß. Ich hatte mich nur einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Deshalb habe ich dem Einberufungsbefehl im Mai Folge geleistet.
Bezirksrichterin: Glauben Sie, daß das Militär Interesse an ihnen hat?
Guntram: Nein.
Bezirksrichterin: Glaub’ ich auch nicht. – Gibt es weitere Zeugen?
Rechtsanwältin: Nein. Sie haben alle Unterlagen schriftlich bekommen.
Bezirksrichterin: Keine weiteren Beweisanträge.
Bezirksanwalt: Guntram hat alles mögliche und ihm zu Gebote Stehende getan, den Einberufungsbefehl abzuwenden, ich plädiere ... [er flüstert etwas zur Richterin, was niemand im Saal hören kann ...]
Rechtsanwältin [Plädoyer]: Die Fristversäumnis kann Guntram nicht zum Nachteil gereichen. In der Gesetzesnovelle 1997 wurde dann ja auch die Informationspflicht durch das Bundesministerium für Landesverteidigung festgeschrieben. [...] Guntram handelte aus einem entschuldigbaren Notstand. Ich plädiere auf Freispruch.
Guntram [um sein Wort gefragt]: Ich habe im Vorfeld und auch danach eine Lösung gesucht, auch in Zusammenarbeit mit den Militärbehörden.
Bezirksrichterin: Ich sprech’ Sie frei und begründe das mit § 42 StGB, mildernde Strafgründe: Die Schuld ist gering. Daß Sie am 2. Dezember nicht eingerückt sind, hatte nur unbedeutende Folgen, Sie haben damit keinen Schaden angerichtet. Außerdem haben Sie den Präsenzdienst im Mai ohnehin freiwillig angetreten und wurden nach drei Tagen entlassen. Ihr Zivildienstantrag wurde danach anerkannt, und Sie wollen den Zivildienst bei einer sozialen Einrichtung leisten. Die Gewissensgründe wurden glaubwürdig nachgewiesen, für das Gericht bestehen keinerlei Zweifel daran. Die Fristversäumnis 1994 passierte Ihnen während eines gültigen Aufschubbescheides.
Daher ist eine Bestrafung nicht geboten. Außerdem wird der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Straftat nicht wieder begehen. Auch aus generalpräventiven Gründen ist eine Bestrafung nicht geboten, da es nur mehr Einzelfälle gibt.
[In die Auflösung der Verhandlung hinein äußert die] Bezirksrichterin: Eine allfällige Argumentation bezüglich der NATO-/WEU-Verweigerung bzw. das Geistlinger-Gutachten hätten nicht zu einem Freispruch führen können.

Dies ist nicht die wörtliche Wiedergabe des Prozesses. Der Text basiert auf einer Mitschrift der Verhandlung durch einen Beobachter und skizziert die wesentlichen Argumente unserer Meinung nach sehr treffend.

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