Amelie Lanier, 7. Abschnitt
Januar
2014
19.1.2014

Protokoll 42

24. Kapitel: Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation

4. Genesis der kapitalistischen Pächter

Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrachtet, die blutige Disziplin, welche sie in Lohnarbeiter verwandelt, die schmutzige Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad der Arbeit die Akkumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo kommen die Kapitalisten ursprünglich her?

(S. 770, 2. Absatz)

Hier, in diesem Unterkapitel, wird einmal die Entstehung der der Agrar-Unternehmer entwickelt. Der „Pächter“ ist hier in diesem Falle nämlich jemand, der dem Grundherrn eine Grundrente zahlt und mit eigenem Kapital dann aus dem Grund und den Landarbeitern herausholt, was ihm möglich ist.

Was die Genesis des Pächters betrifft, so können wir sie sozusagen mit der Hand betappen, weil sie ein langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzender Prozeß ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch freie kleine Landeigner, befanden sich in sehr verschiednen Besitzverhältnissen und wurden daher auch unter sehr verschiednen ökonomischen Bedingungen emanzipiert.

(ebd.)

Es trat Unklarheit auf über die Bestimmung „verschiedene Besitzverhältnisse“.

Gemeint ist, daß ihre Verfügung über das Land unterschiedlich geregelt war: wieviel Fläche ihnen zur Verfügung stand, ob sie anbauen durften, was sie wollten, was dafür an Leistungen an den Grundherrn zu entrichten war, usw. Oder ob sie praktisch frei wirtschaftende Bauern waren, wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, die nur irgendeine Art von Abgabe zu zahlen hatten, ähnlich einer heutigen Grundsteuer. Davon hängt auch ab, wie leicht sie vertrieben, d.h. „emanzipiert“, werden konnten, oder inwiefern sie den feudalen Besitztitel in Privateigentum verwandeln konnten.

In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigne Bailiff. … Während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er ersetzt durch einen Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh und Ackerwerkzeug versieht.

(S. 771, 1. Absatz)

Der „Bailiff“ entsprach, wie Marx früher erwähnt, dem Vogt: Das war der Typ, der von den anderen Leibeigenen die Abgaben eintrieb und dem Grundherrn ablieferte, oder gegebenenfalls auch die Roboten, die beim Grundherrn abzuleistenden Dienste organisierte. Er ist also ein Organisator, dem immer mehr Aufgaben übertragen werden, bis er eben gegen eine fixe zu zahlende Summe den Grund selbst bewirtschaftet:

welcher sein eignes Kapital durch Anwendung von Lohnarbeitern verwertet und einen Teil des Mehrprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als Grundrente zahlt.

(ebd.)

Damit sich der Pächter zu einem wirklichen Agrarkapitalisten verwandeln kann, kamen zwei glückliche Umstände hinzu: Der Landraub an den Gemeindeweiden im 15. und die Entwertung des Geldes im 16. Jahrhundert (Gold- und Silberschwemme durch die großen Goldmengen aus der Neuen Welt), die seine Pachtkontrakte verbilligten, während er seine Produkte zu steigenden Preisen losschlagen konnte.

5. Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie. Herstellung des innern Markts für das industrielle Kapital

Die Vertreibung des Landvolks war wegen neuen Anbaumethoden nicht von einer Verringerung, sondern eher von einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion begleitet, das aber von immer weniger Leuten hergestellt und daher konsumiert wurde. Es entstanden also Lebensmittel und andere Agrarprodukte (Leinen für Bekleidung), die für den Verkauf an industrielle Lohnarbeiter zur Verfügung standen.

Sie verwandeln sich jetzt in stoffliches Element des variablen Kapitals.

(S. 773)

bzw., im Falle der Bekleidung, in Rohmaterial für die Industrie, also konstantes Kapital. Das Kapital konzentriert Rohmaterial und Arbeitskräfte in Manufakturen und beseitigt Subsistenz, Produktion für sich selbst. D.h., von jetzt ab muß sich jeder, der sie nicht mehr für sich herstellen kann, diese Dinge kaufen:

Die Expropriation und Verjagung eines Teils des Landvolks setzt mit den Arbeitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial für das industrielle Kapital frei, sie schafft den innern Markt.

(S. 775, 2. Absatz)

Diskussion bzw. Exkurs:

Im Zitat Mirabeaus wird die kleine Hauswirtschaft der Fabrik gegenübergestellt, als herrsche in der einen Wohlstand, in der anderen Armut. Das stimmt einerseits vielleicht unter den Bedingungen Frankreichs zu seiner Zeit. Aber erstens kann es – jenseits der Zwecke der Produktion – rationeller sein, zu zentralisieren: Arbeitskraft und Betriebsmittel lassen sich produktiver einsetzen. Zweitens führt Marx an, wie – wenn es einmal durchgesetzt ist, für Geld und Gewinn zu produzieren, gerade die dezentrale Form noch eine viel elendere Form der Ausbeutung. (Weber, Spitzenklöppler in Heimarbeit für große Manufakturen bzw. Fabriken) Der Unterschied von dezentral und zentral sagt also noch gar nichts aus, weder über den so erwirtschafteten Wohlstand oder die Produktivität.

Exkurs 2:

Hier, mit den Ausführungen über den inneren Markt („innerer“ hier als „nationaler“, zum Unterschied von Weltmarkt) weisen auf einen der Grundwidersprüche des Kapitalismus hin: die Produzenten werden expropriiert, sie verwandeln sich in Lohnarbeiter, und von ihrem Arbeitslohn müssen sie die Produkte kaufen, die sie nicht mehr selber erzeugen. Der gezahlte Arbeitslohn schafft also die Zahlungsfähigkeit, damit der Kapitalist Käufer für seine Produkte findet. Einerseits werden die Arbeiter immer billiger im Vergleich zu dem, was sie an Mehrprodukt schaffen, andererseits sollen sie dem Kapitalisten mit diesem verringerten Lohn das erhöhte Mehrprodukt abkaufen, also versilbern, verwerten.
Eine der Lösungen für diesen Grundwiderspruch ist der Weltmarkt, ein anderer der Konsumentenkredit. In beiden Fällen emanzipiert sich das produktive Kapital von den Verwertungsschranken, die es durch seine eigene Tätigkeit schafft. Was die erstere „Lösung“ betrifft, so ist sie Grundlage des imperialistischen Gegensatzes.

Die Manufakturperiode hat jedoch ihre Schranken in der Freisetzung von Arbeitskraft. Gerade das Spinnen und Weben wurde erst durch die Maschinerie ersetzt, die Manufaktur konnte diese Tätigkeiten nicht durch Zentralisation überflüssig machen. Sie schuf also noch eine Nische des Nebenerwerbs für diejenigen, die durch Landwirtschaft allein nicht mehr leben konnten. Sie schuf nur die Ausgangslage für den letzten Schritt:

6. Genesis des industriellen Kapitalisten

In der Kindheitsperiode der kapitalistischen Produktion ging’s vielfach zu wie in der Kindheitsperiode des mittelaltrigen Städtewesens, wo die Frage, wer von den entlaufnen Leibeignen soll Meister sein und wer Diener, großenteils durch das frühere oder spätere Datum ihrer Flucht entschieden wurde.

(S. 777/78)

Die Einrichtung einer Klassengesellschaft ist insofern von Zufall bestimmt, als sich an irgendwelchen Äußerlichkeiten oder Vorbedingungen entscheidet, wer in die eine Kategorie aufsteigt oder in die andere absinkt. An den ehemals realsozialistischen Staaten ließ sich das in neuerer Zeit beobachten: Wer führende Parteipositionen innehatte oder ein Harvardstudium vorweisen konnte, hatte eben die Nase vorn, wenns darum ging, sich irgendwelche Betriebe unter den Nagel zu reißen und dafür Kredit aufzustellen.

das Mittelalter hatte zwei verschiedne Formen des Kapitals überliefert, die in den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen reifen und, vor der Ära der kapitalistischen Produktionsweise, als Kapital überhaupt gelten – das Wucherkapital und das Kaufmannskapital.

(S. 778, 1. Absatz)

Das wurde schon einmal früher ausgeführt, im 4. Kapitel: Der Geldkapitalist und der Kaufmann sind diejenigen, die die Bewegung G–W–G vollführen – sie tauschen nicht, weil sie irgendetwas für den persönlichen Bedarf brauchen, sondern weil sie aus Geld mehr Geld machen wollen. Die für den Kapitalismus charakteristische Form des Tausches, das Gewinnstreben, also G–W–G’ ist ihr Geschäft – deshalb besitzen sie bereits Kapital, wenn es darum geht, dieses auch in der Produktion einzusetzen.

Das Zitat

Der Kapitalist kann jetzt als der Eigner des ganzen gesellschaftlichen Reichtums in erster Hand betrachtet werden, obgleich kein Gesetz ihm das Recht auf dies Eigentum übertragen hat ... Dieser Wechsel im Eigentum wurde durch das Zinsnehmen auf Kapital bewirkt … und es ist nicht wenig merkwürdig, daß die Gesetzgeber von ganz Europa dies durch Gesetze wider den Wucher verhindern wollten ... Die Macht des Kapitalisten über allen Reichtum des Landes ist eine vollständige Revolution im Eigentumsrecht, und durch welches Gesetz oder welche Reihe von Gesetzen wurde sie bewirkt?

(S. 778, 2. Absatz)

ist von jemandem, der nicht begriffen hat, was Eigentum ist: ausschließliche Verfügung über irgendetwas, sei es Geld oder Boden oder eine Manufaktur. Dies ist und war durch das Gesetz gedeckt, auch wenn sich das Eigentum im kapitalistischen Zeitalter anders betätigt, als das Geldkapital im Feudalismus. Dort hatte es Schranken, die später wegfielen: es gab weder Proletarier, die sich als Lohnarbeiter anstellen ließen, noch Boden, der für kapitalistische Bewirtschaftung zur Verfügung stand.
Die Vorstellung, man könne die Betätigung des Eigentümers durch Gesetze einschränken, ist ja auch heute weit verbreitet …

Der Kolonialismus war der entscheidende Kick für die Einrichtung der Produktion für Gewinn, obwohl es gerade nicht die ersten Räuber (Spanien und Portugal) waren, die am meisten davon profitierten:

Alle aber benutzten die Staatsmacht, die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsprozeß der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz.

(S. 779, 2. Absatz)

Diese letzten zwei Sätze kann man in ihrer universalen Bedeutung gar nicht überschätzen: daß die Gewalt eine ökonomische Potenz ist, gilt nämlich nicht nur für die Einrichtung des Kapitalismus, sondern für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung dieser Ökonomie: das Staatspapiergeld, das Bank- und Kreditwesen werden durch diesen Faktor eingerichtet und befeuert. Die Gewalt des Staates ist nämlich nicht nur nötig für den Schutz des Eigentums, für die Erschließung des Weltmarktes, sondern auch als eigener ökonomischer Faktor zur Schaffung von Wert. Wer immer sich auf Marx beruft, daß ihm zufolge „nur Arbeit Wert schaffen“ würde, hat ihn nicht nur in den ersten 3 Kapiteln des „Kapital“ mißverstanden, er hat auch diese zwei Sätze nicht begriffen.

Marx führt verschiedene Beispiele an, wie gewalttätig sich alle Kolonialstaaten aufgeführt haben. Heute ist diese Gewalt der souveränen Gewalt derjenigen Staaten überlassen, die sich über den Verkauf ihrer Rohstoffe als Staatsmacht bewähren.
Unglaublich, wie aktuell dieser angeblich „historische“ Teil des Buches ist:

Die Staatsschuld, d.h. die Veräußerung des Staats – ob despotisch, konstitutionell oder republikanisch – drückt der kapitalistischen Ära ihren Stempel auf. Der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums, der wirklich in den Gesamtbesitz der modernen Völker eingeht, ist - ihre Staatsschuld.

(S. 782, 4. Absatz)

Wie sah die Staatsverschuldung in Kolonialzeiten aus? Die spanische Staatsmacht z.B. verschuldete sich bei den Fuggern und Welsern in Augsburg, später bei italienischen Banken, trug zu ihrem Aufstieg bei und ruinierte sie schließlich. Als Sicherheiten setzte sie verschiedene Teile ihrer Ökonomie ein.

Es gibt nichts Neues unter der Sonne:

Die Staatsgläubiger geben in Wirklichkeit nichts, denn die geliehene Summe wird in öffentliche leicht übertragbare Schuldscheine verwandelt, die in ihren Händen fortfungieren, ganz als wären sie ebensoviel Bargeld. Aber auch abgesehn von der so geschaffnen Klasse müßiger Rentner und von dem improvisierten Reichtum der zwischen Regierung und Nation die Mittler spielenden Finanziers - wie auch von dem der Steuerpächter, Kaufleute, Privatfabrikanten, denen ein gut Stück jeder Staatsanleihe den Dienst eines vom Himmel gefallenen Kapitals leistet - hat die Staatsschuld die Aktiengesellschaften, den Handel mit negoziablen Effekten aller Art, die Agiotage emporgebracht, in einem Wort: das Börsenspiel und die moderne Bankokratie.

(S. 782/83)

Staatsschuldscheine waren also Vorläufer des Staatspapiergeldes: Schuldscheine des Staates, die frei zirkulierten, und Anspruch auf Zinszahlung darstellten. Als solche Papiere waren sie auch Vorläufer der Aktien und anderer Wertpapiere: Als Zahlungsversprechen einer Instanz, die Vertrauen = Kredit genoß, waren sie fiktives Kapital, Anspruch auf Vermehrung der eingesetzten Geldsumme.
Die Tulpenspekulation von 1637 muß auch vor diesem Hintergrund verstanden werden: Es galt durch diese Staatsschuldversprechen offenbar als völlig normal, auf zukünftigen Gewinn zu spekulieren, und irgendwann brach die nur auf die eigenen Erwartungen gegründete Spekulation zusammen. Der spanische Staat meldete mehrmals Bankrott an und seine Gläubiger gingen baden. Dennoch taten diese Staats-Insolvenzen dem Geschäft mit Anleihen keinen Abbruch, da der Staat als Schuldner vom Standpunkt des Leihkapitals aus alle anderen privaten Schuldner an Solidität übertraf.

Von ihrer Geburt an waren die mit nationalen Titeln aufgestutzten großen Banken nur Gesellschaften von Privatspekulanten, die sich den Regierungen an die Seite stellten und, dank den erhaltnen Privilegien, ihnen Geld vorzuschießen imstande waren. Daher hat die Akkumulation der Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das sukzessive Steigen der Aktien dieser Banken, deren volle Entfaltung von der Gründung der Bank von England datiert (1694). Die Bank von England begann damit, der Regierung ihr Geld zu 8% zu verleihen; gleichzeitig war sie vom Parlament ermächtigt, aus demselben Kapital Geld zu münzen, indem sie es dem Publikum nochmals in Form von Banknoten lieh. Sie durfte mit diesen Noten Wechsel diskontieren, Waren beleihen und edle Metalle einkaufen. Es dauerte nicht lange, so wurde dies von ihr selbst fabrizierte Kreditgeld die Münze, worin die Bank von England dem Staat Anleihen machte und für Rechnung des Staats die Zinsen der öffentlichen Schuld bezahlte. Nicht genug, daß sie mit einer Hand gab, um mit der andern mehr zurückzuempfangen; sie blieb auch, während sie empfing, ewige Gläubigerin der Nation bis zum letzten gegebnen Heller. Allmählich wurde sie der unvermeidliche Behälter der Metallschätze des Landes und das Gravitationszentrum des gesamten Handelskredits.

(S. 783, 2. Absatz)

Für die privaten Banken war also die 1. Kreditierung des Staates das beste und sicherste Geschäft. 2. waren die Staatsanleihen Grundlage für Ausgabe von Banknoten, die dann wieder, sobald sie anerkannt waren, d.h. frei zirkulierten und von allen angenommen wurden, den Staatskredit stützten. Im Grunde, so wie Marx das hier ausführt, hat der ganze moderne Geldsektor seinen Ausgangspunkt in den aus den Kolonien herangekarrten Werten.

Mit den Staatsschulden entstand ein internationales Kreditsystem, das häufig eine der Quellen der ursprünglichen Akkumulation bei diesem oder jenem Volk versteckt. So bilden die Gemeinheiten des venetianischen Raubsystems eine solche verborgne Grundlage des Kapitalreichtums von Holland, dem das verfallende Venedig große Geldsummen lieh. Ebenso verhält es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang des 18. Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit überflügelt und hat es aufgehört, herrschende Handels- und Industrienation zu sein. Eins seiner Hauptgeschäfte von 1701-1776 wird daher das Ausleihen ungeheurer Kapitalien, speziell an seinen mächtigen Konkurrenten England.

(S. 783/84)

D.h., wenn das akkumulierte Kapital eines Landes keine produktiven Anlagemöglichkeiten mehr im Inland vorfindet, betätigt es sich als Leihkapital und ermöglicht daher die Akkumulation anderswo, wo zwar die anderen Produktionselemente da waren, es aber an Kapital fehlte.

Auf diesen Seiten wird mehr oder weniger nix ausgelassen an Themen:

Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die jährlichen Zins- usw. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne Steuersystem notwendige Ergänzung des Systems der Nationalanleihen. Die Anleihen befähigen die Regierung, außerordentliche Ausgaben zu bestreiten, ohne daß der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch für die Folge erhöhte Steuern. Andrerseits zwingt die durch Anhäufung nacheinander kontrahierter Schulden verursachte Steuererhöhung die Regierung, bei neuen außerordentlichen Ausgaben stets neue Anleihen aufzunehmen. Die moderne Fiskalität, deren Drehungsachse die Steuern auf die notwendigsten Lebensmittel (also deren Verteuerung) bilden, trägt daher in sich selbst den Keim automatischer Progression.

(S. 784, 2. Absatz)

Marx weist hier darauf hin, daß das System der Staatsschuld es an sich hat, sich selbst zu verewigen, da immer neue Schulden zur Begleichung der alten aufgenommen werden müssen. Die Steuern sind zwar die sichtbaren Einnahmen des Staates, die Grundlage seiner Kreditwürdigkeit sind, sie können jedoch die Anleihen nicht abzahlen oder ersetzen, und daher steigt die Verschuldung. Ebenso steigen die Steuern stetig an, weil sie ja eine wachsende Verschuldung sozusagen als Garant begleiten:

Die Überbesteuerung ist nicht ein Zwischenfall, sondern vielmehr Prinzip. In Holland, wo dies System zuerst inauguriert, hat daher der große Patriot de Witt es in seinen Maximen gefeiert als das beste System, um den Lohnarbeiter unterwürfig, frugal, fleißig und ... mit Arbeit überladen zu machen. Der zerstörende Einfluß, den es auf die Lage der Lohnarbeiter ausübt, geht uns hier jedoch weniger an als die durch es bedingte gewaltsame Expropriation des Bauern, des Handwerkers, kurz aller Bestandteile der kleinen Mittelklasse.

(ebd.)

„Überbesteuerung“ heißt, daß ein großer Teil der Bevölkerung mit Steuern belastet wird, die seine Einkünfte übersteigen und sie dadurch ruinieren und pauperisieren. Sie sind also insofern auch ein Mittel der staatlich betriebenen Expropriation, der staatliche Beitrag zur Schaffung des einheimischen Proletariats.

Verstärkt wird seine expropriierende Wirksamkeit noch durch das Protektionssystem, das einer seiner integrierenden Teile ist.

(ebd.)

Schutzzölle für einheimische Produkte verteuern diese und erhöhen die Lebenserhaltungskosten der ärmeren Schichten. Ein Beispiel dafür waren die Getreidegesetze. Die Zölle sind natürlich ebenfalls Einnahmen für den Staat.

Der große Anteil an der Kapitalisation des Reichtums und der Expropriation der Massen, der auf die öffentliche Schuld und das ihr entsprechende Fiskalitätssystem fällt, hat eine Menge Schriftsteller, wie Cobbett, Doubleday und andre, dahin geführt, mit Unrecht hierin die Grundursache des Elends der modernen Völker zu suchen.

(S. 784, 3. Absatz)

Auch heute ist ja die Vorstellung sehr populär, die „Ungleichheit“ der Einkommen rühre von der „ungerechten“ Steuerbelastung her.

Hier lugt ein wenig die Geschichtsteleologie ums Eck:

Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabrizieren, unabhängige Arbeiter zu expropriieren, die nationalen Produktions- und Lebensmittel zu kapitalisieren, den Übergang aus der altertümlichen in die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen.

(S. 784/85)

Das tut ja so, als gebe es einen „natürlichen“ Verlauf der kapitalistischen Entwicklung, wo sozusagen der Staat als Katalysator auftritt und dadurch den Prozeß beschleunigt. Umgekehrt ist es richtig: daß der Einsatz der Staatsgewalt in der Konkurrenz der Nationen eine entscheidende Rolle spielte – und spielt!

Die Geschichten über Kinderarbeit, Sklavenhandel usw. auf den folgenden Seiten schließen nur den Kreis des historischen Abschnitts über die ursprüngliche Akkumulation: neben den „normalen“ Lohnarbeitern, also der „normalen“ Ausbeutung verschmäht das Kapital keineswegs allerlei Formen der Sklaverei und des schnellen zu-Tode-Schindens der Arbeitskräfte, wofür wir ja auch genug Beispiele in der Gegenwart haben.

7. Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation

Das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien Individualität des Arbeiters selbst. … Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leidenschaften im Gesellschaftsschoße, welche sich von ihr gefesselt fühlen. Sie muß vernichtet werden, sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte, daher des zwerghaften Eigentums vieler in das massenhafte Eigentum weniger, daher die Expropriation der großen Volksmasse von Grund und Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwierige Expropriation der Volksmasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals.

(S. 789, 3. und 4. Absatz)

Der Kreis dieses Buches schließt sich. Im 1. Kapitel wird der kleine Eigentümer vorgestellt wird, der seine Erzeugnisse zum Markt trägt und dort den in ihnen vorhandenen Wert realisiert. Es wird gezeigt, daß das Eigentum und der unmittelbare Austausch der Produzenten die Wertproduktion anleiert, und sich gegen die kehrt, die ihren Wert nicht realisieren können oder gar nichts zum Anbieten haben. Damit, mit Eigentum und Markt ist die Grundlage für die Expropriation der Produzenten geschaffen, die sich mit der Manufakturperiode Bahn bricht und zur Herausbildung einer Klasse der Eigentumslosen und einer der Ausbeuter führt, die ihren Reichtum aus der Anwendung fremder Arbeitskraft erzielen. Die ursprüngliche Akkumulation bedurfte zu ihrer Realisierung äußerer Anstöße, des Ausplünderung fremder Kontinente und Gewalt in individueller und monopolistischer Form, aber sie führt nur durch, was in Eigentum, Markt und Tausch bereits angelegt ist.

Insofern ist der Gedanke der „geschichtlichen Tendenz“ korrekt: Die reale Entwicklung folgt den in den ökonomischen Grundlagen/Besitzverhältnissen angelegten Tendenzen und bringt sie zum Durchbruch.

Ist die Scheidung in Eigentümer und Eigentumslose einmal vollzogen und gesetzlich-gewaltmäßig verankert, so bricht sich die Konkurrenz der kapitalistischen Eigentümer Bahn:

Sobald dieser Umwandlungsprozeß nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, … gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und andrer Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigentümer, eine neue Form. Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist.

(S. 790, 2. Absatz)

Auch diese Tendenz ist der kapitalistischen Akkumulation immanent: Vermehrung des Gewinns, des abstrakten Reichtums auf Kosten anderer, die das gleiche anstreben. Der Weltmarkt vervollkommnet sich, jeder Flecken Erde und jedes Bedürfnis wird der kapitalistischen Reichtumsproduktion unterworfen.

Die Fortsetzung dieses Gedankens jedoch führt zu Schlüssen, denen wir uns nicht anschließen können:

Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.

(S. 791, 1. Absatz)

Wie kommt hier das Monopol ins Spiel? Marx meint, ein Kapitalist ruiniert alle übrigen, bleibt als einziger übrig und beherrscht somit die Produktion. Das würde aber dem widersprechen, was er bisher über die Konkurrenz entwickelt hat.

Diskussion

Frage: Aber ist es nicht vorstellbar, daß es einmal so weit kommt, daß einem alles gehört, weil er alle anderen erfolgreich niederkonkurriert hat?

Einwand 1: Das geht schon deshalb nicht, weil die Staatsgewalt es nicht zuläßt. Die hat ja ein Interesse daran, daß es Konkurrenz gibt, weil das die nationale Akkumulation befördert. Deswegen gibt es Anti-Kartell-Gesetze. Die Staaten schützen damit ihre nationalen Kapitalisten und verhindern, daß sie von anderen geschluckt werden. Sie verhindern ebenso das Zustandekommen von nationalen Monopolen, weil diese ja dann den Preis diktieren und damit die gesamte Ökonomie schädigen könnten.

Einwand 2: Es geht aber auch aus Gründen der Konkurrenz selbst nicht. Sobald ein Unternehmen in seiner Sparte alle anderen aus dem Feld geräumt hat, so geht überschüssiges Kapital aus anderen Sparten in diese und versucht, den Monopolisten zu unterbieten.

Schließlich wäre ein Weltunternehmen schon deswegen nicht möglich, weil das von der Konkurrenz der Nationen verunmöglicht wird. Kein Staat würde es zulassen, daß aller Reichtum sich in einem anderen konzentriert. Sobald überhaupt dieser Verdacht aufkommt, daß die Gefahr einer solchen Monopolisierung bestünde, so gibts Krieg. Die beiden Weltkriege waren ja immer Versuche, den anderen ihre Akkumulation zu beschränken und die des eigenen zu befördern.

In obigem Zitat sind einige Widersprüche versammelt. „Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt“ kann man ja auch so verstehen, daß es zu seiner vollen Blüte kommt. „Die Expropriateurs werden expropriiert“ läßt die Frage offen, von wem eigentlich? Wenn sie einander expropriieren – was ja dauernd geschieht – so geht alles weiter wie bisher. Damit ein anderes Subjekt auftritt – eine revolutionäre Arbeiterklasse – so muß ja einiges im Bewußtsein derjenigen abgelaufen sein, die sich dann um die Aufhebung des Eigentums bekümmern. Das wiederum ist keine Frage der Konzentration der Kapitale.

Es ist wichtig, auf diesen Widersprüchen herumzureiten und diese Fragen zu stellen, weil diese Stelle im „Kapital“ in der marxistisch-leninistischen Theorie die Rolle eines messianischen Glaubens an die heilende Wirkung geschichtlicher Tendenzen einnimmt, und gebetsmühlenartig immer wieder hergebetet wird, um die „Tendenz“ zu Revolution und Sozialismus „wissenschaftlich“ zu belegen:

Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Negation.

(S. 791, 2. Absatz)

Hier schlägt der Hegelsche Weltgeist durch. Natur und Gesellschaft werden in Eins gesetzt. Der historischen Entwicklung wird eine Selbständigkeit zugesprochen, die ihr nie und nimmer innewohnt. Im Grunde, wenn man diesen Satz ernst nimmt, hätte Marx sich nicht um die wissenschaftliche Erforschung der kapitalistischen Ökonomie bemühen und das Kapital nicht schreiben müssen. Wenn eh alles determiniert ist …

Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel.

(ebd.)

Nachdem Marx detailliert beschrieben hat, mit welcher Gewalt und Rücksichtslosigkeit die Umwandlung von Kleineigentum in kapitalistisches, die Verelendung und Ruinierung großer Teile der Bevölkerung vonstatten gegangen ist, stellt er diesen Prozeß als eine Errungenschaft, und als Vergesellschaftung der Produktionsmittel – Gemeinbesitz der Erde! – dar, obwohl es doch genau das Gegenteil, die Aneignung derselben durch einige wenige ist!

Die Verwandlung des auf eigner Arbeit der Individuen beruhenden, zersplitterten Privateigentums in kapitalistisches ist natürlich ein Prozeß, ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des tatsächlich bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb beruhenden kapitalistischen Eigentums in gesellschaftliches. Dort handelte es sich um die Expropriation der Volksmasse durch wenige Usurpatoren, hier handelt es sich um die Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volksmasse.

Diese Aussage hat wiederum etwas für sich: Das Wissen, die Produktionsmittel, die Technologie ist ja da, sie für andere Ziele als die derzeit gültigen zu nützen ist möglich. Es ist allerdings eine Frage sowohl des Bewußtseins, dieses zu wollen, als auch der Gewalt, die für die Durchsetzung eines anderen Zweckes als des herrschenden vonnöten ist.

Im Grunde ist mit diesem Kapitel alles gesagt, was nötig ist – und leider auch einiges, was irreführend ist. Dennoch, die kapitalistische Produktionsweise, ihre Ziele, ihre Elemente, ihre Methoden, und ihre Entwicklung sind abgehandelt. Ein Punkt fehlt noch, dem Marx ursprünglich ein eigenes Buch widmen wollte: Der Weltmarkt. Das ist vermutlich der Grund, warum jetzt dieses letzte Kapitel anschließt. Es handelt sich jedoch nicht um eine Besprechung der Kolonialökonomie, sondern um Theorien, die außerhalb Europas bemängeln, daß die Verelendung der Bevölkerung dort noch nicht genug fortgeschritten ist, um kapitalistische Produktionsverhältnisse zu ermöglichen. Sie bejammern dort also nicht den Mangel an Kapital, sondern den Mangel an produktiver Armut, und sprechen damit eine Wahrheit über die Grundlagen kapitalistischer Produktion aus.

Warum ist die Form der ursprünglichen Akkumulation in England „klassisch“, wie Marx am Eingang des 24. Kapitels behauptet? Vermutlich bezieht er sich darauf, wie Grundbesitzer, Handelskapital und Staatsgewalt zusammenarbeiten, um Bauern vom Land zu vertreiben, zu Besitzlosen zu machen, und dadurch eine Klasse der Lohnarbeiter zu schaffen. Gleichzeitig entstand die Klasse der Kapitalisten in Zusammenarbeit von Adel und aufstrebendem Bürgertum, ohne sich an kontinentalen Streit zwischen den beiden herrschenden Klassen – der ab- und der aufsteigenden – aufzureiben. „Klassisch“ bezieht sich also darauf, daß die für die kapitalistische Produktion nötige Entwicklung sozusagen in Reinform verläuft.
Deshalb hatte England auch die Nase vorn bei der Akkumulation von Kapital, und dem modernen Imperialismus: Der Schaffung des Empire und der planmäßigen Zurichtung der Kolonien zu Rohstofflieferanten.

25. Kapitel: Die moderne Kolonisationstheorie

Die politische Ökonomie verwechselt prinzipiell zwei sehr verschiedne Sorten Privateigentum, wovon das eine auf eigner Arbeit des Produzenten beruht, das andre auf der Ausbeutung fremder Arbeit. Sie vergißt, daß das letztre nicht nur den direkten Gegensatz des erstren bildet, sondern auch bloß auf seinem Grab wächst.
Im Westen von Europa, dem Heimatsland der politischen Ökonomie, ist der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation mehr oder minder vollbracht. Das kapitalistische Regiment hat hier entweder die ganze nationale Produktion sich direkt unterworfen, oder, wo die Verhältnisse noch unentwickelter, kontrolliert es wenigstens indirekt die neben ihm fortexistierenden, verkommenen, der veralteten Produktionsweise angehörigen Gesellschaftsschichten. Auf diese fertige Welt des Kapitals wendet der politische Ökonom mit desto ängstlicherem Eifer und desto größerer Salbung die Rechts- und Eigentumsvorstellungen der vorkapitalistischen Welt an, je lauter die Tatsachen seiner Ideologie ins Gesicht schreien.

(S. 792, 1. & 2. Absatz)

Nun ja. Die Grundlage dieser Ideologie (und auch verschiedener gesellschaftlicher Utopien) ist, daß beide Formen des Eigentums nebeneinander fortbestehen. Der Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise hat weder den Kleinbetrieb noch das bäuerliche Kleineigentum zum Verschwinden gebracht. Sie sind jedoch in den Heimatländern des Kapitals den Erfordernissen des Marktes unterworfen.

Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stößt dort überall auf das Hindernis des Produzenten, welcher als Besitzer seiner eignen Arbeitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den Kapitalisten.
(S. 792, 3. Absatz)

Das Eigentum in den Kolonien ist ein anderes als das Kleineigentum in Europa. Hier handelt es sich nicht um für den Markt produzierende Handwerker und Landwirte, sondern eben noch um vorkapitalistische Subsistenzwirtschaft, die weder einen Markt für die europäischen Kapitalisten darstellt, noch ein Reservoir von Lohnarbeitern zur Verfügung stellt:

Es ist das große Verdienst E. G. Wakefields, nicht irgend etwas Neues über die Kolonien, aber in den Kolonien die Wahrheit über die kapitalistischen Verhältnisse des Mutterlands entdeckt zu haben.

(S. 793, 2. Absatz)

Man muß, um die folgenden Ausführungen zu verstehen, wissen, daß dieser Wakefield sich offenbar ausschließlich auf Nordamerika und Australien bezieht, also die ehemaligen britischen Kolonien.

»Wäre«, sagt Wakefield, »das Kapital unter alle Mitglieder der Gesellschaft in gleiche Portionen verteilt, so hätte kein Mensch ein Interesse, mehr Kapital zu akkumulieren, als er mit seinen eignen Händen anwenden kann. Dies ist in gewissem Grad der Fall in neuen amerikanischen Kolonien, wo die Leidenschaft für Grundeigentum die Existenz einer Klasse von Lohnarbeitern verhindert.«
Solange also der Arbeiter für sich selbst akkumulieren kann, und das kann er, solange er Eigentümer seiner Produktionsmittel bleibt, ist die kapitalistische Akkumulation und die kapitalistische Produktionsweise unmöglich. Die dazu unentbehrliche Klasse der Lohnarbeiter fehlt.

(S. 794, 3. & 4. Absatz)

Der Herr Wakefield bezieht sich auf Verhältnisse, wo europäische Siedler sich im Zuge des Vordringens der „Frontier“ Land aneigneten (nach Vertreibung oder Ausrottung der ursprünglichen Bewohner) und sich dadurch zu Eigentümern machten. Er bezieht sich nicht auf ursprüngliche Bewohner, wie Indianer oder indische Bauern. Diese ganze „Kolonialisationstheorie“ befaßt sich also mit den Scherereien, die sich daraus ergaben, daß Eigentumslose aus Europa in Übersee wieder vorkapitalistische Eigentumsformen einrichteten.
Gerade deshalb war in den frühen USA die Sklaverei so wichtig, weil nur dadurch Leute zur Verfügung standen, die für den Reichtum anderer arbeiteten.

Der Lohnarbeiter von heute wird morgen unabhängiger, selbstwirtschaftender Bauer oder Handwerker. Er verschwindet vom Arbeitsmarkt, aber - nicht ins Workehouse. Diese beständige Verwandlung der Lohnarbeiter in unabhängige Produzenten, die statt für das Kapital, für sich selbst arbeiten, und statt den Herrn Kapitalisten sich selbst bereichern, wirkt ihrerseits durchaus schadhaft auf die Zustände des Arbeitsmarkts zurück.

(S. 797, 1. Absatz)

Die nordamerikanischen Kolonien wirken also als eine Art Freigehege für Kleinproduzenten, ein Ventil für Expropriierte aus Europa, bis zu Marx’ Zeiten, solange „freier“ Boden zur Verfügung stand.

Es scheint, daß Marx hier die Eigentumsformen durcheinander bringt:

Wie nun den antikapitalistischen Krebsschaden der Kolonien heilen? Wollte man allen Grund und Boden mit einem Schlag aus Volkseigentum in Privateigentum verwandeln, so zerstörte man zwar die Wurzel des Übels, aber auch - die Kolonie.

(S. 800, 1. Absatz)

Der Boden in den nordamerikanischen Kolonien gehörte dem, der ihn sich aneignete. Die Siedler betrachteten und behandelten ihn also als Privateigentum, und die spätere Gesetzgebung gab ihnen recht. Also von wegen Volkseigentum!
Die ganzen Vorschläge Wakefields setzen voraus, daß der Staat über das Land verfügt, das sich die Siedler unter den Nagel reißen – was ja keineswegs so war. Diese Siedler, die sich das Land aneignen, waren ja mehr oder weniger die Vorboten der US-Staatsmacht.
(Historisches: Die Eroberung mexikanischer Gebiete war vorher, das Massaker von Wounded Knee, das die endgültige Niederlage der amerikanischen Ureinwohner besiegelte, war später, 1890.)

Warum widmet Marx der Theorie dieses unbedeutenden Wakefield ein ganzes Kapitel? Um noch einmal darauf hinzuweisen, wie die Ausgesteuerten versuchen, ihrem Elend durch Emigration und Aneignung herrenlosen Landes zu entkommen, und wie sehr das die Apologeten des Kapitalverhältnisses stört.

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