Streifzüge, Heft 2/2001
Juli
2001

Postfaschismus als Begriff der Kritik

Bekanntlich hat am 27. und 28. April in Wien der Kongreß „Vom Postfaschismus zum demokratischen Faschismus“ stattgefunden. Am ersten Tag kamen knapp 200 Besucher und Besucherinnen, am zweiten rund 100, was für eine linksradikale Diskussionsveranstaltung in Wien beachtlich ist.

Bei der Konzeption des Kongresses ging es den Veranstaltern nicht darum, dem üblichen pluralistischen Meinungsaustausch ein weiteres Podium zu bieten. Es war tatsächlich kein Anliegen, eine möglichst große Vielfalt von Standpunkten zu versammeln oder verschiedene, mehr oder weniger interessante „Ansätze“ zu präsentieren, um der in der Linken so beliebten „Diversität der Standpunkte“ Genüge zu tun. Es gab auch keinesfalls den Anspruch — auch wenn das Ganze etwas angeberisch Kongreß getauft wurde — alle möglichen Aspekte des Themas zu behandeln. [1]

Es ging darum, Personen zu Wort kommen zu lassen, die in ihrer Kritik mit Begriffen wie Postfaschismus explizit oder implizit operieren und eine ganz bestimmte inhaltliche Ausrichtung dieser Kritik verfolgen. Dennoch entstammten die Referenten und Referentinnen keineswegs einem einheitlichen Spektrum etwa dem der sogenannten Wertkritik — , was nicht zuletzt in den unterschiedlichen Akzentsetzungen der Vorträge zu merken war.

Während in der Protestbewegung gegen die blau-braun-schwarze Bundesregierung manche Haider als Antidemokraten bekämpfen und ihm mitunter auch seinen Rassismus und Antisemitismus vorwerfen, aber beharrlich über Staat und Kapital schweigen, wissen andere zwar was über Kapital und Staat zu sagen,schweigen dafür aber umso beharrlicher über die deutsch-österreichische Volksgemeinschaft. Auf dem Kongreß sollte über Kapital und Staat als die Voraussetzungen jeder Ausgrenzung und Diskriminierung, aber eben auch über die Spezifik der österreichischen und deutschen Täter- und Täterinnengemeinschaft gesprochen werden.

„Postfaschismus“ und „demokratischer Faschismus“ sind Begriffe, die bei der Kritik der österreichischen Zustände nicht gerade an der Tagesordnung sind. In der BRD verhält sich das nicht viel anders. Dennoch sind das nicht völlig neue Begriffe und es stellt sich die Frage, wie sie in bisherigen Diskussionen verwendet wurden und in welchem Kontext sie entstanden sind. In der BRD, weniger in Österreich, verstand man in der Nachkriegszeit unter Postfaschismus in erster Linie personelle Kontinuitäten, also die ungebrochene Karriere ehemaliger Nazis in der Demokratie, kaum jedoch strukturelles Fortwesen. Um 1968 kam es zu einigen Diskussionen, in denen der Begriff des Postfaschismus etwas mehr an Konturen gewann. Man denke nur an einen der wohl am meisten gelesenen Aufsätze Theodor W. Adornos, in dem er nachdrücklich daraufhinwies, daß er das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher erachte als das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie, [2] oder an einige Ausführungen des Adorno-Schülers Hans-Jürgen Krahl. [3] Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang natürlich auch Johannes Agnoli, der die Linke ebenfalls bereits in den 60er Jahren mit seinen Überlegungen zum Verhältnis von Demokratie und Faschismus und mit seiner Kritik am autoritären Staat rechtsstaatlichen Typs konfrontiert hat. [4] Große Teile der Linken in den deutschsprachigen Ländern haben sich jedoch in den 70er und 80er Jahren bekanntlich kaum für radikale Gesellschaftskritik, sei es in der Adornoschen, sei es in der Agnolischen Ausprägung, interessiert, sondern sich lieber den autoritären Plattheiten des Marxismus-Leninismus gewidmet.

Eine wichtige Auseinandersetzung über die postfaschistische Demokratie fand Anfang bis Mitte der 90er Jahre im Zusammenhang mit der leider auch von den meisten Linken euphorisch begrüßten deutschen Wiedervereinigung statt. Damals ging es um die Frage, ob es im Zuge der Renationalisierung zu einer Faschisierung der Demokratie komme, oder aber ob diese sogenannte Faschisierung im Postfaschismus nicht schon längst vollzogen sei, und man heute nicht viel eher von einer Demokratisierung des Faschismus reden müßte. [5] Diese Debatte ist in den letzten Jahren weitgehend eingeschlafen. Gerade die Entwicklung in Österreich mit dem Siegeszug der FPÖ einerseits und der postfaschistisch-demokratischen Geschichte seit 1945 andererseits scheint ausgesprochen geeignet, die Diskussion über Faschisierung der Demokratie oder Demokratisierung des Faschismus nochmals aufzunehmen.

Bereits im Einladungstext zu der Veranstaltung wurde darauf hingewiesen, daß der Begriff „demokratischer Faschismus“ zum einen das Problem beinhaltet, daß der unabdingbare, mal explizite, mal implizite Bezugspunkt Haiders und der österreichischen Politik insgesamt, der Nationalsozialismus, zugunsten des Faschismusbegriffs verschwindet. Zum anderen hat er den unschätzbaren Vorteil, daß er jenes — zumindest den Demokratieidealisten und -idealistinnen als solches erscheinende — Paradox zu fassen versucht, das Haider und die FPÖ insofern darstellen, als jeder und jede merkt oder merken könnte, daß es falsch ist, Haider nur einen Faschisten oder nur einen Demokraten zu nennen. Zu diskutieren wäre dennoch — und das fand auf dem Kongreß auch statt — inwiefern mit solch einem Begriff tatsächlich etwas Neues versucht wird zu fassen, oder ob der Faschismus und im Speziellen der Nationalsozialismus nicht schon immer eine reichlich demokratische Schlagseite hatten.

Daß dieser Begriff offensichtlich einen wunden Punkt bei den staatsapologetischen Kritikern und Kritikerinnen der Haiderei trifft, wurde bereits klar, als vor etwa eineinhalb Jahren ein Flugblatt mit der Überschrift „Gegen den demokratischen Faschismus“ auf der unsäglichen Massendemonstration des besseren Österreich verteilt wurde. Selten konnte man beim Flugblattverteilen derartig empörte Reaktionen erleben. Ein Grundanliegen des Kongresses war es dann auch, angesichts einer Linken, für die beispielsweise Rassismus und Demokratie ein klarer Gegensatz sind, eben diese Demokratie ein wenig schlecht zu machen.

Daß die Verwendung des Terminus „Postfaschismus“ nicht zwangsläufig zu einer vernünftigen, also radikalen Kritik führt, haben bereits mehrere Autoren und Autorinnen vorgeführt. Einige in der Linken glauben etwa, Postfaschismus als positiven Begriff setzen zu können. Christoph Spehr beispielsweise schreibt in der Zeitschrift „alaska“ davon, daß die „Erfahrung des überwundenen Faschismus, der postfaschistische Konsens, (...) einen unfertigen Emanzipationsprozeß“ darstellt. Dementsprechend wird dann auch gefordert, den „postfaschistischen Konsens (zu) radikalisieren“. [6] Das Positive des Postfaschismus wäre demnach einfach, daß er immerhin kein Faschismus ist. Als kritischer Begriff hingegen, wie ihn die Veranstalter des Kongresses verstanden wissen wollen, zielt er gerade auf die modifizierte Fortsetzung faschistischer Ideen in der Demokratie und ist somit als positiver Begriff nicht denkbar.

Daß selbst noch der Postfaschismusbegriff zur Identifikation mit der Nation taugt, hat in Österreich beispielsweise die Grazer Philosophin Elisabeth List demonstriert. Sie spricht von der postfaschistischen Politik der FPÖ, nicht etwa von der postfaschistischen österreichischen Gesellschaft, und fordert alle Patrioten und Patriotinnen zum Kampf gegen diese postfaschistische FPÖ auf. „Niemand“, schreibt sie allen Ernstes, „der sein oder ihr Land liebt und bei Verstand ist“ könne die Politik dieser Partei gutheißen. [7] Die Beschäftigung mit Postfaschismus findet hier aus Sorge um die Nation statt. Eine Sorge, um die es den Veranstaltern des Kongresses mit Sicherheit nicht ging.

Im der vorliegenden Nummer der „Streifzüge“ finden sich vier der auf dem Kongreß gehaltenen Referate, die zur Veröffentlichung nur geringfügig überarbeitet wurden. Die vollständig überarbeiteten und zum Teil erheblich ergänzten Referate werden gemeinsam mit den Texten von Johannes Agnoli und Clemens Nachmann sowie weiteren Beiträge zum Thema in dem in Planung befindlichen Band „Transformation des Postfaschismus“, der im Freiburger Ça ira-Verlag erscheinen wird, publiziert.

[1Der Kongreß hat zu einigen Verunsicherungen in der linken Szene in Wien geführt. Auf der einen Seite freut sich in der „rapidité“, der Zeitschrift des Ernst Kirchweger Hauses, die in ihren Editorials stets aufs neue die Infantilität autonomer Schreiber und Schreiberinnen mittels dialektaler Kindersprache unter Beweis stellt, ein offensichtlich eher juveniler Mensch mit halbjuvenalischen Formulierungen darüber, daß „die intellektuelle Meinungsführerschaft der wertkritischen Antinationalen so schütter (wurde) wie das Haar ihrer Protagonisten“. (rapidité, Nr. 3, 2001, S. 7) Auf der anderen Seite ist ein Mensch auf der Leserbriefseite der „Volksstimme“, angeregt durch ein Reflexion durch Ressentiment ersetzendes Elaborat (vgl. Leisch, Tina: Des deutschen Männerbundes Stoßrichtung. In: Volksstimme, 26. April 2001, S. 13) einer Autorin, die gerne auch mal „mit den großen Zehen“ denkt (Leisch, Tina: Alltagspraxis statt Adorno. In: Context XXI, Nr. 3-4/2000, S. 15), gar „verzweifelt, wie viel Einfluss die ‚Antideutschen‘ in Wien haben.“ (Volksstimme, 3. Mai 2001, S.2) Da aus den Reihen des Kritischen Kreises niemand Lust hat, sich an einer von Reflexen und Projektionen dominierten Debatte zu beteiligen, gibt es auch an dieser Stelle keine nachgereichte, mehrfach eingeforderte Stellungnahme vom Kritischen Kreis zu den Diskussionen im Vorfeld des Kongresses, sondern nur ein paar knappe Worte zur Einleitung.

[2Vgl. Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. In: Ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt/M. 1989 (1963), S. 126

[3Vgl. Krahl, Hans-Jürgen: Zur Geschichtsphilosophie des autoritären Staates. In: Ders.: Konstitution und Klassenkampf. Frankfurt/M. 1977 (1971), S.204.ff.

[4Vgl. Agnoli, Johannes: Die Transformation der Demokratie. In: Ders.: Die Transformation der Demokratie und andere Schriften zur Kritik der Politik. Freiburg i.Br. 1990 (1967), S.21f.

[5Vgl. Nachtmann, Clemens: Die postfaschistische Demokratie in der Krise. Sowie: Möller, Heiner: Demokratie und Faschisierung. beide in: Dokumentation der Beiträge zum antinationalen und antideutschen Aktionswochenende am 6./7. Mai 1995, S. 25ff.

[6Spehr, Christoph: Der postfaschistische Konsens und seine Radikalisierung. In: alaska, Heft 216, 1997, S. 16

[7List, Elisabeth: Was ist Postfaschismus? http://www.kultur.at/van01/state.htm

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