FORVM, No. 339-341
Mai
1982

Nach allen Seiten offen

Pietro Ingrao, prominentes Mitglied der Parteileitung der KPI, nahm Anfang März in Wien am Otto Bauer-Symposium der Sozialistischen Jugend teil. Von Journalisten um die Position seiner Partei befragt, hielt er am 5. März im Renner-Institut die folgende Ansprache:

Pietro Ingrao: Auf der Suche nach Eurolinken

Österreich ist ein freies Land. Wenn Teile der SPÖ es nicht gerne sehen, daß Vertreter der KPI hier teilnehmen, respektiere ich diese Einstellung, und ich danke den Genossen, die das Otto Bauer-Symposium organisiert haben, für die Einladung. Ich glaube, daß das gegenseitige Kennenlernen nützlich ist.

Schon bisher haben sich Sozialdemokraten von internationalem Rang mit Kommunisten getroffen; Genosse Mitterrand, Frankreichs neuer Präsident und eine der hervorragendsten Persönlichkeiten der europäischen Sozialdemokratie, hat in Rom seelenruhig mit Kommunisten wie Berlinguer geredet, und das nicht zum erstenmal.

Gespräche wie dieses Seminar sind gut, aber sie sind für die KPI nichts Neues. Wir haben uns auch schon bei hellem Tageslicht mit Vertretern der deutschen Sozialdemokratie getroffen! Unlängst erst haben wir in Rom ein Seminar gehabt, wo auch Repräsentanten der schwedischen Sozialdemokratie zu Gast waren. Wir haben Kontakte mit Sozialdemokraten in Lateinamerika, z.B. in Mexiko.

Ich bin nach allen Seiten offen. Ich habe von den Genossen der Sozialistischen Jugend viel gelernt. Seit ich hier bin, verstehe ich auch besser, was Österreich ist. Von Otto Bauer habe ich gelernt, was Österreich der europäischen und der Weltkultur gegeben hat. Ich habe Wiens historische Rolle erfahren — das große Wien, geprägt von der bürgerlichen Kultur der Jahrhundertwende.

Die Kenntnis der Werke Otto Bauers hat uns auch in Italien geholfen. Indem wir von den andern lernen, überwinden wir unsere eigenen Schwächen. Wir wollen uns in Italien nicht in unserem eigenen Haus einsperren. In meiner Partei finden alle, daß wir neue Wege einschlagen müssen. Die kapitalistische Gesellschaft hat sich grundlegend geändert, die alten Lösungen funktionieren heute nicht mehr. Die Arbeiterbewegung muß in der Krise des Wohlfahrtsstaates neue Wege gehen.

Was können wir da von Otto Bauer lernen? Mich interessiert an Otto Bauer folgendes: er vertritt einen undogmatischen Marxismus, der die Erfahrungen und Fehler der Sowjetunion früh analysierte und der sich auch in schwierigen Situationen um die Zusammenarbeit, um die Konvergenz zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten bemüht hat. Otto Bauer und der Austromarxismus verkörpern für uns eine Strategie, welche die Grenzen der bürgerlichen Demokratie erkennt und die danach strebt, politische Demokratie mit der wirtschaftlichen zu verbinden. Otto Bauer wollte eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die weder zu einer Bürokratisierung noch zu einem ständestaatlichen Korporatismus führt, die also totalitäre Lösungen vermeidet.

Und schließlich interessiert uns am Austromarxismus, daß er den Problemen der Intellektuellen eine große Bedeutung beimißt. Das ist immer noch sehr aktuell. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders Max Adler erwähnen. Kommunistische Aktivisten in Italien lesen die Hauptwerke des Austromarxismus. In unserem Land entstand in der letzten Zeit ein großes Interesse für die Geschichte Österreichs und Wiens im besonderen, seiner Arbeiterbewegung und deren Einfluß auf die europäische Arbeiterbewegung und Kultur.

Über unsere Stellung in internationalen Fragen zwischen der Sowjetunion und den USA möchte ich folgendes sagen. Die Sowjetunion ist aus einer Revolution entstanden, welche die Kapitalisten zum erstenmal verjagt und ein neues Regime errichtet hat. Auf diesem Weg hat sie Fehler begangen, und einige dieser Fehler waren schwerwiegend, wie Afghanistan, ČSSR und Polen. Damit haben sie die Kräfte des Kapitalismus und des Imperialismus gestärkt. Ich kritisiere die Sowjetunion für dieses Verlassen des ursprünglichen Weges, ihr ursprünglicher Impetus hat sich erschöpft.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die Hauptkraft des Imperialismus. Die großen Monopole bedrohen die Unabhängigkeit vieler Länder. Ich verwechsle die USA nicht mit dem amerikanischen Volk, ich sage nicht, daß alle Amerikaner Imperialisten sind, ich kritisiere die Politik der amerikanischen Regierung. Wenn mich jemand fragt, ob ich zwischen den beiden Mächten wählen will, antworte ich mit einem entschiedenen Nein, ich glaube an die Autonomie meiner Partei.

Die KPI vereint ein Drittel der Stimmen auf sich, sie hat 1.700.000 Mitglieder, sie ist die größte kommunistische Partei Westeuropas. Sie hatte wesentlichen Anteil am bewaffneten Kampf gegen den Faschismus in unserem Land, sie hat große Streiks geführt, hat große Wahlsiege errungen und regiert große italienische Städte wie Rom, Turin, Bologna, Neapel, Florenz; zusammen mit den Sozialisten Venedig, Mailand, Genua sowie die großen Regionen Piemont, Toskana, Umbrien, Reggio Emilia.

Wir stehen in einem Dialog mit anderen Kräften, seien es die Sozialisten, sei es die Linke im allgemeinen, und wir haben diese Gespräche auf der Grundlage von klaren Programmen gesucht, von Gemeinsamkeiten, die offen diskutiert werden.

Kommen solche Gemeinsamkeiten nicht zustande, antworten wir mit Nein. Wir haben die Mehrheit, die eine falsche Politik machte, zerbrochen und sind in die Opposition gegangen.

Ob wir die Frage des Eigentums dabei für wesentlich halten? Ich antworte mit Ja, sie ist wichtig für den Befreiungskampf der Arbeiter. Die Form des Eigentums verändert sich aber. Aufgrund unserer Erfahrungen in Italien sind wir der Meinung, daß man Veränderungen auf der Grundlage eines realen Konsenses des Volkes durchführen muß. Es gilt zu verhindern, daß die Arbeiterklasse isoliert wird. In diesem Zusammenhang spielen auch Gedanken von Otto Bauer eine Rolle.

Es genügt nicht, die Form des Eigentums zu verändern. In Italien gibt es viele verstaatlichte Betriebe — auch ein Ergebnis des Kampfes, den wir geführt haben. Trotzdem haben wir gesehen, daß die bloße Veränderung der juridischen Eigentumsform den Staat nicht verändert, wenn sich der Staat nicht reformiert und wenn nicht auch andere Kämpfe geführt werden.

In größerem Maßstab gilt das auch für die Sowjetunion. Dort wurde etwas noch Radikaleres gemacht als in Italien, das kann man nicht leugnen. Es kam zu einer totalen Verstaatlichung. der Produktionsmittel, zu neuen Formen der Entfremdung und Unterdrückung der Arbeiter.

Das heißt es genügt nicht, das Eigentum zu verändern. Ich glaube, es wäre falsch, etwa in Italien noch mehr von der Metallindustrie zu verstaatlichen. Wir würden dabei den wahren Kampf vernachlässigen, in dem es um die öffentliche Kontrolle der Produktionsmittel geht. Man hat ja auch in England gesehen, daß eine bloße Verstaatlichung nicht genügt, sei sie auch noch so ausgedehnt. Ich glaube, die französischen Genossen, die jetzt Verstaatlichungen durchgeführt haben, werden bald mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein.

Man hat mich gefragt über den Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und uns. Die Sozialdemokratie hat diesen Kampf bis jetzt nicht geführt! Darüber freue ich mich nicht, es tut mir leid, und wenn es ihnen gelingen würde, wäre es auch eine Stärkung meines Kampfes. Ich fürchte nicht um den Verlust meiner Identität, sondern ich glaube, daß es der Arbeiterbewegung mehr Identität geben würde.

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