radiX, Nummer 3
Mai
2000

Lokal gegen global

Bauernbewegungen in Indien
Heidi

„Hunderttausende von Bauern und Bäuerinnen in ganz Indien protestieren gegen Monsanto. Am 28. November 1998 setzten sie das erste Feld in Brand, auf dem Monsanto Feldversuche mit genetisch mani­puliertem Saatgut durchgeführt hat. Die Feldversuche liefen seit drei Monaten, die Öffentlichkeit hatte aber erst kürzlich davon erfahren. Aktivisten und Aktivistinnen der Bauernbewegung stürmten am 1. Dezember 1998 das Bürogebäude von Monsanto in Hyderabad, woraufhin die Regierung des Bundesstaats Andhra Pradesh Monsanto aufforderte, die Feldversuche in diesem Staat abzubrechen.“ Dies berichtet ein Aktivist der Bauernbewegung des Staats Karnataka (KRRS). Ihre Proteste bildeten den Auftakt zu einer Kampagne der direkten Aktion gegen Konzerne, die in die Biotechnologie investieren. Das Ziel besteht darin, die Multis in ihre Schranken zu wei­sen und gleichzeitig zu internationalem Widerstand gegen Abhängigkeit und die Umgehung jahrhunder­tealter Traditionen aufzurufen.

Die Indien von Weltbank und IWF aufgezwungene Liberalisierung des Marktes ermöglichte dem US-Konzern Monsanto, eine Reihe von Saatgutfirmen aufzukaufen, unter anderem beteiligte er sich am indi­schen Unternehmen Mahyco. Jetzt kontrolliert diese Allianz den indischen Markt für Baumwollsaat — eines der wichtigsten Exportprodukte des Landes. Es wurde berichtet, daß ausgewählten Bauern kostenlos Saatgut angeboten wurde. Daß es sich dabei um gen­manipulierte, in Indien kommerziell noch gar nicht zugelassene Pflanzen handelte, war den Abnehmern aber nicht bewußt gewesen. Das von Mahyco-Monsanto getestete Saatgut sollte nicht nur resistent gegen den Baumwollwurm sein, es ist aber auch ste­ril, das heißt, es kann sich nicht vermehren. Wird das Saatgut wie von Monsanto geplant vermarktet, können die Bauern nicht mehr, der Tradition gemäß, einen Teil der Ernte zur Wiederaussaat zurückbehalten. Statt dessen müssen sie neues Saatgut teuer kaufen und verschulden sich damit weiter. „Gleichzeitig mit der Biodiversität wird auch die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung beendet“, erklärt ein Aktivist von KRRS. Es gab auch keine Schutz­maßnahmen für die umliegenden Felder, so konnten sich die Pollen ungehindert ausbreiten. Inzwischen hat Monsanto mit EID Parry eine weitere Saatgutgesell­schaft aufgekauft, deren Baumwollsorte „Weißes Gold“ auf Tausenden von Hektar in Andhra Pradesh ein großer Fehlschlag war. In der Region begingen 500 Bäuerinnen und Bauern wegen der Baumwollmißernte Selbstmord. Der Molekularbiologe Dr. Pushpa Bhargava vertrat beim Indischen Wissenschaftskongreß die These, Monsanto habe bewußt mitgewirkt, daß schlechtes Saatgut verkauft wurde um das System der Saatgutvorräte zu zer­stören. Die Vernichtung der Vorräte und das Ankäufen der Saatgutgesellschaften führe dazu, daß die Bauern in Zukunft keine andere Wahl hätten, als Gen-Baumwolle zu kaufen.
Das Kapital hat schon immer auf globaler Ebene ope­riert — vom Sklavenhandel bis hin zur imperialistischen Kolonisation von Völkern, Ländern und Kulturen auf der ganzen Welt hat sich die Akkumulation des Kapitals vom Blut und von den Tränen vieler Menschen genährt. Heute setzt das Kapital eine neue Strategie ein, die „wirtschaftliche Globalisierung“ lautet und aus der Abschaffung nationaler Handelsschran­ken und Beschränkungen des freien Kapitalflusses besteht. Mehrere Selbstmordwellen überschuldeter indischer BäuerInnen haben in der Presse für Schlagzeilen gesorgt. Hunderte KleinbäuerInnen nah­men sich das Leben, nachdem im Rahmen der Zollbestimmungen der WTO die Importzölle für Erdnüsse aufgehoben wurden und die BäuerInnen sich in einer ausweglosen Position wiederfanden. Seit Multinationale Unternehmen unter dem Schutz der Welthandelsorganisation das Geschäft mit Saatgut, Düngemittel und Pestiziden dominieren, steigen die Preise dieser „Wundermittel“ stetig, während der Erlös für die Erzeugnisse stagniert oder gar sinkt. Wenn die Bauern und Bäuerinnen die Falle bemerken, ist es meist zu spät: die Erde ist ausgelaugt, die Pflanzen sind anfälliger geworden und vor der Tür stehen die Geldverleiher, die den Erwerb des Saatguts oder der Maschinen ermöglicht haben und fordern Zins und Tilgung. Während einerseits die BäuerInnen nicht mehr von ihren Produkten leben können, kann sich der Rest der ärmeren Bevölkerung die Grundnahrungs­mittel kaum noch leisten. So hat sich beispielsweise der Preis von Zwiebeln, einem der wichtigsten Grundnahrungsmittel für die arme Bevölkerung, durch die Deregulierung verdreifacht.
Die Bauernbewegungen wehren sich auch gegen die Erteilung von Patentrechten auf Lebewesen an Multinationale Konzerne, durch die diese Eigentümer von Pflanzensorten werden. Das Patent für den in Indien seit Jahrhunderten als Heilpflanze verwendete Neembaum war dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium (USDA) und dem Unternehmen W.R. Grace erteilt worden. Das Wissen um die fungizi­de und antiseptische Wirkung des Neembaumes ist aber traditionelles Kulturgut indigener Bevölkerungs­gruppen in Indien. Nicht einmal Reis, Grundnahrungs­mittel für Millionen, bleibt vom Zugriff verschont: Die texanische Firma Rice Tee sicherte sich die Rechte auf eine neue Variante von Basmati-Reis, einer seit Jahrhunderten in Indien kultivierten Reissorte. Die Umweltschützerin Vandana Shiva warnt vor einem Ausverkauf der Genressourcen: „Nicht nur, daß die Bauern die Rechte an ihrem Saatgut verlieren, womöglich müsse die indische Landbevölkerung sogar ihre altbewährten Kräuter und Heilpflanzen im Supermarkt kaufen, weil Biotechnologie Konzerne Patentrechte darauf halten“.

Die KRRS: Bauernvereinigung des Staats Karnataka

Immer mehr Inderinnen und Inder wenden sich heute den politischen Bauernbewegungen zu. Die bedeu­tendste Organisation ist die KRRS in Karnataka, eine emanzipatorische Bauernbewegung, die sich gegen Biotechnologie und Liberalisierung des Handels wen­det. Mit über zehn Millionen Mitgliedern wurde sie zur stärksten außerparlamentarischen Opposition des indischen Subkontinents. Ihr Ziel ist die Umsetzung der Dorfrepublik, die auf Basisdemokratie, wirtschaftli­cher und politischer Selbstbestimmung gründet. Entscheidungen sollen darin nur unter Einbezug aller Betroffenen gefällt werden. Dieses dezentrale Modell wird auch innerhalb der Organisation umgesetzt. Die Grundlage der Bewegung ist die Dorfeinheit, die über ihre Organisationsform und ihre Finanzen, ebenso wie über ihr Programm und ihre Aktionen selbst bestimmt. Die nächst größeren Organisationsebenen sind die des Taluks, des Distrikts und des Staats. Auf diesen Ebenen werden jedoch nur Themen behandelt, die mehrere Dörfer, Taluks oder Distrikte betreffen und deshalb koordiniert angegangen werden müssen. Gleichzeitig strebt die KRRS kulturelle Veränderungen an. Insbesondere stellt die Aufhebung des Kastensystems eine Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit dar. Zudem richtet sich die Bewegung gegen die patriarchalen Strukturen der indischen Gesellschaft. Alle Aktionen werden unter dem Prinzip der Gewaltlosigkeit durchgeführt, wobei ziviler Ungehorsam und direkte Massenaktionen wie die erwähnten Proteste gegen Monsanto die Hauptaktionsformen darstellen.

Weitere Beispiele von Volksbewegungen in Indien sind die Bharatiya Kisan Union (BKU), eine Bauernvereinigung aus Nordindien, Fischerorganisationen, die sich gegen die mechani­sierten Fangflotten wehren und die Narmada Bachao Andolan (Save the Narmada) Bewegung. Gigantische Staudammprojekte im Narmada-Tal führten zu großen Protestaktionen der ansässigen Bevölkerung, die wegen der Überflutung ihres Landes ausgesiedelt wer­den müßten. Hierbei handelt es sich größtenteils um Adivasi, der indigenen Bevölkerung Indiens, die in den abgelegenen Regionen ihre eigene Kultur erhalten konnten. Doch durch Megaprojekte werden sie aus ihrem Land vertrieben und durch Zwangsumsiedlun­gen zu einer Umstellung ihrer bisherigen Lebensweise gezwungen. Viele bereits umgesiedelte Menschen kla­gen über schlechtes Land und mangelnde Wasserversorgung in den ihnen zugewiesenen neuen Siedlungsgebieten. Die Adivasi-Gemeinden zeichnen sich durch eine solidarische und naturverbundene Lebensweise aus, im Gegensatz zu den Gebräuchen der Angehörigen der hinduistischen oder der islami­schen Religionsgemeinschaft sind die Frauen bei den Adivasis den Männern gleichberechtigt. Durch die Vertreibung von ihrem Land landen viele von ihnen entwurzelt in städtischen Elendssiedlungen. Die Protestaktionen haben zu einem Rückzug der Weltbank aus dem Narmada-Staudamm-Projekt geführt, aber die transnationalen Konzerne, die durch den Verkauf von Beton und Turbinen vom Staudamm­bau profitieren, lassen nicht locker. In Maheshwar finanzieren Siemens und Asea-ABB selbst einen Damm, welcher fruchtbares, und bereits bewässertes Land überfluten und zehntausende Familien ihres Landes berauben soll. Im Jänner dieses Jahres haben 25000 Personen erneut gegen dieses neokoloniale Unternehmen protestiert.

Die Bewegungen sind bestrebt, nationale und interna­tionale Netzwerke aufzubauen, um die Themen auch in einem breiteren Rahmen anzugehen. Durch eine breite Zusammenarbeit entstanden in Indien Organisationen wie die Indische Bauernunion (BKU) oder JAFIP, ein Aktionsforum der indischen Bevölkerung gegen die WTO, in dem neben der Landbevölkerung auch Industriearbeiter und -arbeiterinnen, Frauenorganisationen, Akademiker und Akademikerinnen vertreten sind. Die Befreiungs­bewegungen werden immer mehr unter Druck gesetzt: Einerseits von hindu-fundamentalistischen Parteien wie BJP oder Shiv Sena, die mit allen Mitteln versu­chen, die Bewegung zu schwächen. Andererseits grei­fen Polizei und Justiz immer stärker zu. Während Massenaktionen des zivilen Ungehorsams wurden bis zu 37000 Personen an einem einzigen Tag verhaftet. Solche Massenverhaftungen kommen insbesondere in Zeiten der intensiven Mobilisierung vor. Allein im Bundesstaat Andhra Pradesh wurden von 1992 bis 1998 mehr als 600 Bauernaktivisten durch die indische Armee getötet. Am 1. Mai 1998 demonstrierten in Hyderabad, der Hauptstadt Andhra Pradeshs, hunderttausende BäuerInnen, LandarbeiterInnen, Stammesangehörige (Adivasi) und Industrie­arbeiterInnen gegen die WTO und die neoliberale Politik und forderten einen sofortiger Austritt Indiens aus der WTO, was eine erneute Welle von Verfolgungen von Angehörigen oppositioneller Volksbewegungen durch die Regierung auslöste.

Naxalbari

Bauernbewegungen gab es in Indien schon in der Kolonialzeit, der erste Unabhängigkeitskampf von Bauern und einer Rebellenarmee 1857 legte den Grundstein für eine demokratische Revolution. Nicht immer werden die Grundsätze der Gewaltlosigkeit ver­treten. Eine revolutionäre maoistische Bewegung besitzloser Landarbeiter, die im bewaffneten Kampf gegen Grundbesitzer antreten, sind die sogenannten „Naxaliten“, benannt nach dem Ort Naxalbari in West-Bengalen (Darjeeling Region). Der Kampf begann am 3. März 1967: eine Gruppe Landarbeiter besetzte ein Stück Land in der Naxalbari Region, markierten die Grenzen mit roten Fahnen und begannen die Ernte. Während der Naxalbari-Aufstand niedergeschlagen wurde, begann die Ideologie sich im Land zu verbrei­ten. Legendär wurde der Aufstand in Srikakulam, einer hügeligen von Adivasis bewohnten Waldregion im Nordosten des Bundesstaates Andhra Pradesh. Hier hatten zwei Lehrer, Vampatapu Sathyanarayana und Adibhatla Kailasam, seit Ende der Fünfziger Jahre eine revolutionäre Massenbewegung aufgebaut. Landbesetzungen, gewaltsame Ernteeinholung und Auseinandersetzungen mit Grundbesitzern führten zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei. Srikakulam wurde Signal für die Ausbreitung der Bewegung und zur Gründung von bewaffneten maoi­stischen Formationen in West Bengalen, Andhra Pradesh, Bihar, Punjab, Uttar Pradesh und Tamil Nadu. Als ideologischer Hintergrund für die Bewegung, die im Gegensatz stand zu den Anschauung der in Westbengalen herrschenden Kommunistischen Partei, die sich für einen friedlichen Übergang zum Sozialismus aussprach, wurde 1967 die Communist Party of India (Marxist) und 1969 die Communist Party of India (Marxist-Leninist) mit Charu Mazumdar als Generalsekretär gegründet. Als die meisten Aufstände von Polizei und Armee niedergeschla­gen worden waren, wurde 1971 in Kalkutta von revo­lutionären Jugendbewegungen ein städtischer Guerillakampf entfacht, der beispiellose Ausmaße annahm und Panik bei der herrschenden Klasse aus­löste. Mit brutaler Gewalt durch Killer-Schwadronen wurden unzählige Mitglieder der Bewegung systema­tisch erschossen.

Trotz der stetig ansteigenden Repressionen durch den Staat hat die Bewegung überlebt und Guerillazonen haben sich in Gebieten von Bihar, Dandakaranya und in Teilen Andhra Pradeshs eine Basis verschafft und sind eine Kraft geworden, mit der gerechnet werden muß. Die wesentliche Frage für das Wohlergehen der Massen ist die Landfrage. In den Guerillazonen wurde ungenütztes Land der Regierung besetzt und tausen­de Hektar Land von Grundbesitzern konfisziert und an Landlose und arme Bauern verteilt, viele von ihnen sind Adivasis oder Dalits . Manche Grundbesitzer sind geflohen, einige haben aufgegeben, manche wurde ermordet. Verwaltet werden diese Zonen durch Bauern-Komitees, die demokratisch gewählt werden. Das Dorfentwicklungskomitee hat die Aufgabe, Enwicklungsprojekte zu planen und zu organisieren. Ein Schwerpunkt liegt in der Bildung und Erziehung der Dorfbewohner, der Bekämpfung der sozialen Unterdrückung der Frauen und der Aufhebung des Kastenwesens. Das Panchayat Komitee übt bei Streitfällen die Gerichtsbarkeit aus und Kooperativen helfen den Bauern, wenn sie Kredite benötigen. Das benötigte Geld wird aus Beiträgen von den Familien, der Partei und durch Zurückforderung von veruntreu­tem Geld aus Tempeln gewonnen. Geschützt werden sie durch Dorfverteidigungstruppen, den Gram Rakshak Dal (GRD). Einige mächtige Grundbesitzer haben sich Privatarmeen geschaffen die mit brutaler Gewalt gegen Dorfbewohner vorgehen, die sie der Zusammenarbeit mit den „Naxaliten“ verdächtigen. Massaker wie das am 22. Jänner 1999, verübt von der berüchtigten „Ranvir Sena“ im Dorf Shankerbigha im Jehanabad Distrikt, Bihar, sorgen immer wieder für Schlagzeilen.

Die Internationale Karawane für Solidarität und Widerstand

Zusammen mit 100 Vertreterinnen aus anderen Ländern des Trikonts waren 500 Bäuerinnen aus Indien von Mai bis Juni 1999 in mehreren Ländern in Europa unterwegs, um gegen Liberalisierung und Globalisierung zu protestieren, die zwei wichtigsten Ereignisse waren die Demonstrationen beim EU-Gipfel und beim Weltwirtschaftsgipfel in Köln. Das Projekt entstand auf Initiative der KRRS im Rahmen der weltweiten Koordination „Peoples’ Global Action gegen ‚Frei‘-Handel und die WTO“ (PGA). Die PGA ist ein dezentrales Netzwerk verschiedener Organisationen und Basisbewegungen aus aller Welt wie z.B. der Frente Zapatista de Liberacion Nacional (Mexico), OSOP Ogoni Bewegung (Nigeria), Movimento Sem Terra (Brasilien), Garment Workers Unity Forum (Bangla Desh), Peasant Movement of the Philippines (KMP), National Alliance of Peoples’ Movements (Indien) u.v.a., das 1998 in Genf gegrün­det wurde.

In seiner Rede beim G-8 Treffen am 19. Juni 1999 in Köln erklärt Prof. Nanjundaswamy, Sprecher der KRRS, das Ziel der Bewegung: Eine Gesellschaft, in der die der lokalen Gemeinschaften die Kontrolle über die lokale Wirtschaft haben und eine Abschaffung der Zentralisierung von wirtschaftlicher und politischer Macht. Wirtschaftswachstum und Konsum solle dazu dienen, eine erhöhte Lebensqualität für die Menschen und Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu erreichen. „Während viele Menschen im Süden von der Notwendigkeit eines radikalen Wandels überzeugt sind, akzeptiert eine Mehrheit der Bevölkerung im Norden passiv die zynische Behauptung, das es keine Alternative zur aktuellen politischen und wirtschaftli­chen Weltordnung gäbe und verleugnet dadurch ihr eigenes Potential, ihre Rechte zu verteidigen und über ihre eigene Zukunft zu bestimmen. Die Konkurrenz zwischen Ländern, Industriezweigen, Regionen und Städten spielt jedoch nur die Menschen gegeneinan­der aus und führt zur Stärkung von Faschismus und Rassismus. Eine Veränderung der Gesellschaft kann aber nicht mehr nur auf lokaler oder nationaler Ebene realisiert werden, da wir in einer globalisierten Welt leben, eine Realität der wir nicht entfliehen können.“ Der Aufenthalt der Interkontinentalen Karawane in Europa sollte dazu beitragen, Kommunikation und Verbindungen zwischen den Menschen, die für diese Ziele kämpfen zu verstärken.

Der Protest richtet sich gegen die Liberalisierung des Marktes, die zu verheerenden Problemen auf der ganzen Welt geführt hat. Die Abhängigkeit vom globa­len Markt führt dazu, daß die lokale und nationale Politik nur mehr auf Wettbewerbsfähigkeit konzentriert ist, auf Kosten von Gerechtigkeit, Menschenrechten, Sozialpolitik, Umwelt und Arbeitsbedingungen. Es ist zu erwarten, daß in der neuen Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation WTO im Herbst 1999 über eine noch größere Liberalisierung des Handels auch in Bezug auf landwirtschaftliche Produkte, sowie über eine Einbindung des Multilateralen Investitions­abkommen MAI, das die Rechte und Privilegien der Multinationalen Unternehmen ausweiten und Entscheidungsbefugnisse von Regierungen bezüglich des Eintritts, der Niederlassung und der Geschäfte ausländischer Unternehmen und Investoren beschnei­den soll, verhandelt werden wird. Damit wird dem transnationalen Kapital ein erweiterter Eingriff auch auf Sektoren wie Landwirtschaft, Erziehung und Gesundheit, auf die sie bisher weniger Einfluss hatten, ermöglicht. All diese Abkommen und Institutionen ver­folgen das selbe Ziel: die Mobilität des Kapitals zu sichern, die verstärkte Herrschaft des transnationalen Kapitals über Mensch und Natur, die Verlagerung der Macht hin zu weit entfernten undemokratischen Institutionen und die Einschränkung der Freiheit der Menschen, eine auf gemeinschaftlichen Prinzipien basierende und autarke Ökonomie zu entwickeln.

Durch neue Landwirtschaftstechnologien und Strategien von Institutionen wie der FAO (Food and Agriculture Organisation) und der Weltbank wurden Millionen von Kleinbauern auf der ganzen Welt vertrie­ben und ihr Land gehört jetzt multinationalen Unternehmen und Großgrundbesitzern. Die Bäuerinnen finden Zuflucht in den Barackensiedlungen der Großstädte, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen. Durch die Einführung der Genmanipulation und der Erteilung von Patentrechen auf Mikroorganismen, Pflanzensor­ten und Tierarten wird die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung in die Hände des Agrobusiness gelegt. Biotechnologiekonzerne argu­mentieren, die Entwicklung genmodifizierter Pflanzen sei ein moralischer Imperativ, da wir ja den Trikont zu ernähren hätten — eine These, die mit Dutzenden von Bildern im Staube sterbender Drittweltkinder belegt werden sollte. Doch diese Konzepte werden ausschließlich in den Industrienationen entwickelt ohne Experten aus den Entwicklungsländern selber zu befragen. Ihr Problem sei aber nicht die Produktion von Nahrungsmitteln, sagen die Betroffenen, — im Gegenteil sei Überproduktion der Grund für Absatzpreise, von denen sie nicht leben können, auch Lagerhaltung ist ein Problem — sondern die Verteil­ungsfrage.

Durch die Verantwortungslosigkeit sowohl der nördli­chen und auch der südlichen Eliten wurden den ver­armten Ländern Schulden aufgedrängt, deren Rückzahlung den Transfer von Milliarden von Dollars von den Armen an die Elite der Reichten, sowie eine extreme Ausbeutung von Natur und Menschen zugun­sten billiger Exporte verursacht hat und eine Aufhebung der Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialstaaten verhindert. Die aktuelle Weltordnung würde sich nicht ohne globale Repressionsmaschinerie halten, die militärische Vorherrschaft durch die NATO verschafft den westlichen Mächten die Möglichkeit, ihre globale Herrschaft durchzusetzen für den Fall, daß ein Land sich dem vorgesehenen Entwicklungsprogramm wider­setzt. Meisten ist es jedoch gar nicht nötig, die NATO einzusetzen, da die nationalen Repressionsinstrumente wie Polizei, Militär und paramilitärische Gruppen eben­so funktionieren, um lokale Bestrebungen für eine Veränderung zu unterbinden und zudem viel billiger als internationale Militäreinsätze sind und ebenso leicht durch die weltweiten Machtzentren zu kontrollieren. Beispiele dafür sind der langsame Völkermord an der indigenen Bevölkerung in Chiapas durch die mexikani­sche Armee, die ungestraften Operationen von parami­litärischen Gruppen in Kolumbien etc.

Da nicht zu erwarten ist, daß ein Wandel durch die Institutionen und die Zentren der Macht herbeigeführt wird, sprechen sich die Vertreter der „Interkontinentalen Karawane" dagegen aus, Lobbyarbeit bei PolitikerInnen zu betreiben, damit wür­den die Institutionen legitimiert. Schlimmer noch: Lobbyarbeit kann dazu führen, daß Organisationen, die den Anspruch erheben, einen Teil der „Zivilgesellschaft“ zu vertreten, instrumentalisiert wer­den — die Multis und Institutionen können sagen, daß ihre Abkommen und Strategien in einem „demokrati­schen“ Prozeß mit allen sozialen Sektoren erarbeitet worden seien. Als Beispiel für eine solche Symbiose zwischen Institutionen und den Repräsentanten der sogenannten „Zivilgesellschaft“ ist die Sozialklausel zu erwähnen, die in die WTO-Abkommen integriert werden soll. Diese Klausel soll in allen WTO-Mitgliedsstaaten minimale Arbeitsbedingungen garan­tieren, eine Nichteinhaltung führt zu Sanktionen. Tatsächlich bedeutet aber die Anwendung dieser Klausel, daß der Norden ein perfektes Instrument für einen selektiven Protektionismus in die Hände bekommt. Gleichzeitig würden die Ursachen zemen­tiert und verstärkt, welche die Menschen dazu zwin­gen, unmenschliche Arbeitsbedingungen zu akzeptie­ren. Sie verlangen auch keine Schuldentilgung oder Neuverhandlungen, sondern fordern die Regierungen des Südens auf, die Rückzahlungen einzustellen. In ihrem Manifest erklären sie: „Wir wollen kein Geld vom Westen, wir wollen auch keine westlichen Technologien oder ‚Experten‘, die uns ihr Entwicklungsmodell aufdrängen. Wir lassen uns auch nicht als politisches Werkzeug mißbrauchen, um die Eliten um Reformen zu bitten, um die wir nie gebeten haben. Wir wollen nur unsere Kraft organisieren und sie kombinieren mit der Kraft von anderen Bewegungen aus dem Norden und aus dem Süden, um die Kontrolle über unser Leben wiederzugewin­nen“.

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