MOZ, Nummer 58
Dezember
1990
Museum der Arbeit in Hamburg:

Lernort für politisches Leben

Die Geschichte der Arbeit im Industriezeitalter aus dem Blickwinkel derer ‚da unten‘ darzustellen, das war das Anliegen der Initiatoren für ein „Museum der Arbeit“ in Hamburg vor genau zehn Jahren. Mitte 1990 wurde das Projekt endlich vom Hamburger Senat abgesegnet — allerdings in der kleinsten denkbaren Lösung.

Frauenarbeit im Hamburger Hafen, Wandbild am Fischmarkt
Bild: Frauenarbeitskreis/Museum der Arbeit

Es war eine Zitterpartie. Der Genosse aus dem Gewerkschaftshaus mußte dem Genossen Bausenator nachdrücklich die Hand stützen bei der Stimmabgabe für das Projekt „Museum der Arbeit in Hamburg“. Nach einer zehnjährigen Vorbereitungsphase wurde das Projekt Mitte dieses Jahres mit einer hauchdünnen Mehrheit im SPD-FDP-Senat als siebentes Hamburger Museum auf den Weg gebracht. Von dem viel beachteten kulturpolitischen Großprojekt der 80er Jahre war allerdings nur noch die allerkleinste sinnvolle Lösung übriggeblieben.

Noch 1987 hatte eine hochkarätig besetzte Planungskommission etwa 17.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 110 Mitarbeiterinnen und 50 bis 60 Millionen Mark als Bedarf errechnet. Nach dem Senatsbeschluß von 1990 werden bis Mitte der 90er Jahre 35 Mitarbeiterinnen angestellt, die Gesamtkosten dürfen 15 Millionen nicht überschreiten, die zur Verfügung stehende Fläche liegt knapp über 5.000 Quadratmeter, mit einer Option auf ein zusätzliches Ausstellungsgebäude, womit — im Erfolgsfall — insgesamt 9.000 Quadratmeter der benötigten 17.000 zur Verfügung stünden.

Mensch wird bescheiden in finsteren Zeiten. Und (zweck-)optimistisch. „Das Museum wird kein Fragment bleiben!“ verkündete Gernot Krankenhagen, seit 1983 Leiter des Museumsprojektes, auf dem Gründungsfest im Juni dieses Jahres. Die Vision, die historisch wichtigsten Branchen der Hamburger Industrie in ihren spezifischen Bedingungen aus der Sicht der Arbeiterinnen und ihrer Familien umfassend darzustellen und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Verhältnisse für den heutigen Betrachter nachvollziehbar und erfahrbar zu machen, diese Vision der Museumsgründer, sie bleibt im Reich Utopia. Dorthin gehört auch schon seit Jahren die in der Gründungsphase des Museums so wichtige sozialdemokratische Partizipationsformel einer ‚Kultur für alle‘, die Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre in Hamburg zarte Wurzeln zu schlagen begann. Damals entstand eine dezentrale Stadtteilkultur, die Industriearchitektur der Gründerzeit wurde nicht mehr der Abrißbirne überlassen.

1987 gab es erste Überlegungen zu einem „Museum der Arbeit“ anläßlich der Schließung einer historisch bedeutenden Schiffsschraubenfabrik mitten in Hamburg-Altona. Das Projekt kam an diesem Standort nicht zum Tragen, jedoch hatte sich ‚von unten‘ eine Initiative zur Museumsgründung zusammengefunden: Gewerkschaftler, linke Sozialdemokraten, interessierte Laien und WissenschaftlerInnen gründeten 1980 einen Verein, der von Anfang an verschiedene Aktivitäten entfaltete:

  • die Museums-‚Vision‘ publik zu machen,
  • den Standort zu finden,
  • erste Sammlungsaktivitäten zu entwickeln,
  • Konzeptüberlegungen zu formulieren.

Konzepte

Bei den Überlegungen zum Konzept war man sich von Anfang an einig: Ein Museum der Arbeit kann kein Museum von WissenschaftlerInnen für ArbeiterInnen sein. Nicht nur, weil die Darstellung von Arbeits- und Alltagswelt im Museum ohne die Erfahrung und Kenntnisse der Betroffenen, der jeweiligen Praxisexperten, gar nicht möglich ist, sondern auch, weil deren spezielle Sichtweise auf die Arbeits- und Lebensrealität in diesem Museum zum Ausdruck kommen sollte. Andererseits konnte selbstverständlich nicht auf wissenschaftliche Forschung verzichtet werden.

Es wurden Arbeitskreise gegründet, mit dem Anliegen: Die PraxisexpertInnen arbeiten mit den (zumeist jüngeren und oft arbeitslosen) WissenschaftlerInnen zusammen. 1983 konstituierten sich die Arbeitskreise: Frauen, Grafisches Gewerbe, Werften, Schiffahrt, Metall, Wohnen. 1984 wurde dem Senat eine erste Konzeption präsentiert, in der es hieß: „Das Museum der Arbeit wird folgende drei inhaltliche Schwerpunkte behandeln:

  • Betriebsarbeit und ihre Bedingungen — Arbeitswelt;
  • Außerbetriebliche Arbeit und Lebensbedingungen — Alltagsleben;
  • Konflikte, Selbstbehauptung und -organisation — Arbeiterbewegung.

Problematisiert werden sollen die Fragen, ob die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern auf der Basis von bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Hausarbeit zwangsläufig war, ob es Alternativen zur Trennung zwischen Leitung und Ausführung in den Industriebetrieben oder zur Vernichtung von handwerklichem Können gab ... Das Museum soll ein Ort der Anschauung und des Nachdenkens werden über Rolle und Stellenwert der Arbeit und über ihre Veränderungen seit der industriellen Revolution bis heute.“

Während diese Konzeptüberlegungen von Anfang an gradlinig verfolgt wurden, war die Frage des Standortes, angesichts der großen Auswahl von Industrie-Denkmälern in Hamburg, kompliziert. Die Wahl fiel schließlich auf einen Gebäudekomplex der „New York-Hamburger Gummiwaren Compagnie“ mit Altbauten aus dem Jahre 1870/71. Die Fabrik liegt mitten in Barmbek, einem traditionsreichen Arbeiterviertel, das auch heute noch seine Struktur bewahrt hat. So steht das Museum der Arbeit mitten unter den Menschen, deren Geschichte es dokumentieren soll.

Denk- und Schau-Mal

Von Anfang an (längst vor der offiziellen ‚Zulassung‘ durch den Hamburger Senat) war hier ein Lernort für politisches Leben, ein Schau- und Denk-Mal, das hineinwirkt in den Stadtteil:

  • durch regelmäßige Ausstellungen in den Museumswerkstätten, die zum Teil komplett von alten Handwerksbetrieben übernommen werden konnten. Hier kann die Arbeit des Grafischen oder des Metallhandwerkes beobachtet, gehört, gerochen, erfühlt werden;
  • durch regelmäßige historische Stadtrundgänge, etwa zu den alten Arbeiterquartieren, den Villenvierteln, den Fabriken, zu den Speichern und Kontoren im Hafen;
  • durch Ausstellungs-Workshops, wie z.B. der monatliche „Waschtag“, an dem zwei Frauen aus dem Arbeitskreis mit Ruffel und Wanne, mit Kernseife und Plätteisen, mit Wring- und Mangelmaschine die Mühsal der Hausarbeit (wie sie noch bis in die 60er Jahre zum Alltag einer Arbeiterfrau gehörte) demonstrieren. Gleich nebenan: die detaillierte Rekonstruktion einer Arbeiterküche aus der Zwischenkriegszeit mit dem Sofa hinter (Spül-)Tisch und Stühlen, den Utensilien morgendlicher Körperpflege am Ausguß, dem Wäschetopf auf dem Herd und der Nähmaschine am Fenster. Die Vielfachnutzung dieses Raumes läßt erahnen, in welcher Enge sich das Leben der oft vielköpfigen Familien abspielte, welches Maß an zustätzlicher Räumarbeit und Organisation den Frauen abverlangt wurde.

Hier wie bei anderen Projekten gilt als Darstellungsprinzip des Museums die Kombination: Berichte von Betroffenen, Fotografien und Filme. Tonbildreihen und Tonbänder sollen helfen, alte Gegenstände anschaulich zu machen.

Inszenierungen (hier am Beispiel des Waschtages geschildert), durchaus auch im gebräuchlichen Sinne einer Theaterinszenierung, sollen bestimmte Probleme herausarbeiten und vorführen. In diesem Zusammenhang stehen auch die museumspädagogischen Kurse, die die Erwachsenen zu kreativem Tun anregen.

Geschlechter — Geschichte

Die bedeutendste Innen- und Außenwirkung hat zweifellos der Arbeitskreis „Frauen“. Bereits 1984 forderte er eine Diskussion in den anderen Arbeitskreisen ein, zum Thema „Geschichte als Geschlechtergeschichte“. Die Kategorie Geschlecht sollte als grundlegende Kategorie für Forschung, Sammlung, Präsentation und Vermittlung eingeführt werden. „Diese frühzeitige und qualitative Einmischung der Frauen ins Museum und die Diskussion um die Konzeption erzielte Wirkung: Umfängliche Sammlungsbereiche zur außerhäuslichen Erwerbsarbeit sowie zur Haus-, Familien- und Reproduktionsarbeit kamen zusammen. Die Diskussion um die Geschlechterperspektiven hatte zumindest ein erstes feministisches Samenkorn in die männlich orientierten Denkverhältnisse gesetzt. So wurde in das Konzept für das Museum der Arbeit als dem ersten und bisher einzigen Museum in Hamburg die Geschlechtergeschichte aufgenommen“, berichtet Dr. Elisabeth von Dücker, eine engagierte Kulturwissenschaftlerin, die das Projekt von Anfang an mitgestaltete.

„Nicht nur Galionsfigur ...“ — Schweißerinnen im Hafen
Bild: Frauenarbeitskreis/Museum der Arbeit

Auch in der Außenwirkung des Museums ergibt sich das Bild eines entschieden weibliche Züge tragenden Profils des Museum der Arbeit.

Zahlreiche frauengeschichtliche Projekte und Aktivitäten trugen dazu bei. Es entstand eine „Frauenfilmreihe“ als eine zusätzliche neue Präsentation von Frauengeschichte und Frauenarbeit.

Frauen-Wandbild

1989 leistete der Arbeitskreis Frauen des Museums der Arbeit einen feministischen Beitrag zu den Jubelfeiern des 800. Hafengeburtstages. Unübersehbar, auf 1.000 Quadratmetern großer Wandfläche am Fischmarktspeicher direkt am Hafen, wird hafenbezogene Frauenarbeit ins Blickfeld gerückt: Große Hände filetieren Fische. Arbeiterinnen lesen Kaffee aus. Prostituierte gehen ihrer Arbeit nach. Streikende Frauen fordern ihre Rechte ein. Dazu Worte, peitschenartige Gedankensplitter, Assoziationen, die dem Nach-Denken eine Chance eröffnen.

„Neben zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen und Archiven waren die wichtigste ‚Quelle‘ für dieses Projekt die Frauen selbst: In weit über hundert Interviews haben sie Auskunft gegeben über ihr Leben, über ihre Arbeit im und außer Haus, über Lohndiskriminierung, Nichtbeachtung und Abqualifizierung ihrer Leistung, über Sexismus am Arbeitsplatz, über den täglichen Streß mit der ‚zweiten Schicht‘, wenn es um Haushalt und Kinderversorgung geht. Die Vielfalt der Bild- und Textquellen stiftete uns dazu an, zum Wandgemälde ein Bilder-Lesebuch herauszugeben, in dem Frauen zu Wort und Bild kommen, deren Leben mit dem Hafen verbunden ist oder war. Zugleich macht dieses Buch auch unsere unterschiedlichen Blickwinkel sichtbar; denn trotz gemeinsamer Fragestellungen und Thesen haben die Frauen in der Gruppe höchst unterschiedlich gefragt, geforscht, geschrieben. Diese Unterschiede nicht über den alleinig seligmachenden Leisten des Feminismus zu schlagen, war uns wichtig“, betont Elisabeth von Dücker, die auch kräftig bei einer neuen Konzeptions-Diskussion mitmischt, denn nach der schmalen finanziellen Ausstattung durch die Stadt kann die ursprüngliche Planung nicht mehr eingehalten werden.

Bild: Frauenarbeitskreis/Museum der Arbeit

„Mindestens die Hälfte der Museumsfläche!“ fordert der Frauenarbeitskreis, und Elisabeth von Dücker begründet das so: „Mit der Forderung nach einer Quotierung der Quadratmeter meinen wir nicht die Diktatur des Zollstocks, sondern die Ubiquität, die museumsmäßige Allgegenwart von Frauenthemen und Frauenperspektiven.“

Gleichzeitig gelte es, einen eigenen Ausstellungsbereich zu konzipieren und zu gestalten, etwa zum Thema Geschlechterverhältnisse und Geschlechterrollen.

Kein Zweifel: Die Innovationen, die theoretischen Fundamente und die Experimentierfreudigkeit bei der Umsetzung, die Ausarbeitung der inhaltlichen Facetten — dies alles wird stark vom Arbeitskreis der Frauen am Museum der Arbeit inspiriert. Er funktioniert, so Elisabeth von Dücker, „wie eine Transmissionsanlage von Frauenrealitäten ins Museumsinnere“.

Wesentlich ist auch, daß mit diesem frauenpolitischen Ansatz das Museum der Arbeit in Hamburg — trotz der verordneten Reduzierung — wieder eine Vorreiterrolle einnehmen könnte, wie es sie zu Beginn der 80er Jahre in der Bundesrepublik zweifellos hatte.

Doppelgesicht — Fortschritt

Denn anders als vor zehn Jahren, als sich der Verein „Museum der Arbeit“ konstituierte, haben heute Industrie- und Alltagsgeschichte Konjunktur. Zu Projekten in Mannheim, Nürnberg, Berlin und im Ruhrgebiet sind neue Planungen für Hannover, Kiel, Flensburg, Bremen und Frankfurt gekommen. In der Museumsdiskussion der jüngsten Zeit sind kritische Stimmen an diesem technik- und sozialgeschichtlichen Ansatz laut geworden, die der amerikanische Soziologe Neil Postman (angesichts englischer und amerikanischer Verflachungen) so zusammenfaßt: „Museen mit einem verantwortungsbewußten Auftrag sollen keine Generatoren technischmaterialistisch geprägter Ideologie sein, sondern mit einer alternativen Betrachtungsweise eine Gegenkultur keieren. Ein alternatives Ausstellungskonzept legt einerseits die historisch-kulturellen Wurzeln der betroffenen Gesellschaft dar, es zeigt aber auch andererseits ungeschminkt die Folgen der modernzivilisatorischen Entwicklungen und kulturellen Konsequenzen.“ Die Doppelgesichtigkeit des Fortschrittsbegriffes spielt deshalb in der Konzeptdiskussion beim Museum der Arbeit eine wesentliche Rolle.

Vielleicht wäre eine Neu-Rezeption des Begriffes der Arbeit und der damit vorhandenen gesellschaftlichen Wertvorstellungen sinnvoll. Arbeit — der Begriff durchzieht unser Leben bis in die Kapillaren — ergreift Bereiche, die ganz außerhalb der Erwerbstätigkeit stehen: Denn wir reden von Trauerarbeit, Überzeugungsarbeit, Erinnerungsarbeit. Häufig wird die Arbeit zum Selbstzweck: etwa wenn gefragt wird, ob man arbeite, um zu leben — oder — ob man lebe, um zu arbeiten?

Auch der Freizeitbereich wird durchwalkt, durchmengt vom Arbeitsbegriff; es gibt die Freizeitindustrie, die genaue Freizeitplanung. Und wer in unserer Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit ist, wird entsprechend stigmatisiert und isoliert. Und wehe dem, der sogar (unangepaßt) das Zuchtmittel Arbeit ablehnt!?

Da liegt der Fortschritt vielleicht wieder bei den Klassikern, etwa bei Paul Lafargue (1842-1911). Der Schwiegersohn von Marx ist einer der bissigsten sozialistischen Satiriker. Er schreibt in seinem Pamphlet „Das Recht auf Faulheit!“: „... Die Philanthropen nennen diejenigen, die, um sich auf leichtere Art zu bereichern, den Armen Arbeit geben, Wohltäter der Menschheit — es wäre besser, man säte die Pest, man vergifte die Brunnen, als inmitten einer ländlichen Bevölkerung eine Fabrik zu errichten. Führe die Fabrikarbeit ein, und adieu Freude, Gesundheit, Freiheit — adieu alles, was das Leben schön, was es wert macht, gelebt zu werden!“

Buchhinweis: Katalog zum Frauenwandbild im Hamburger Hafen und gleichzeitig Bilderlesebuch „... Nicht nur Galionsfigur“, erschienen 1989 im Ergebnisse Verlag Hamburg, DM 35.