FORVM, No. 495
März
1995

Kunst ist ein besondrer Saft

Den nachstehenden Korrespondentenbericht aus der alten Heimat übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung von MEDIA MATIC‚ wo er gleichzeitig in der Originalsprache erscheint. Wir danken ihr.

Die Eröffnung der Ausstellung Arno Breker, die aus Anlaß des hundertsten Geburtstages dieser üblen Figur stattfand, hat das künstlerische Desaster, auf das die österreichischen Exilanten überall in Europa hofften, nicht wirklich gebracht. Offensichtlich will das neue Regime noch nicht mit den selben scharfen diktatorischen Maßnahmen, die in den vergangenen Wochen den Staatsapparat vergifteten, in die kulturelle Sphäre eingreifen. Haiders sonst so rücksichtlosen Säuberungen haben die kulturelle Szene nicht erfaßt.

Statt hunderter Besucher, wie von den ausländischen Beobachtern erwartet, füllten fast ausschließlich die ausländischen Pressevertreter selbst Saal und Nebenräume der Sezession. Das Wiener Publikum war ferngeblieben, nicht so sehr aus Protest, sondern überwiegend aus dem Grunde, weil sich noch niemand für die figurativen Skulpturen des Bildhauers mit der zweifelhaften Reputation erwärmen kann. Seine überlebensgroßen Portraits und Standbilder nackter oder uniformierter Jungmänner liegen absolut nicht im Trend des Kunstgeschmacks. Offenbar mag sich im neuen Österreich mit diesem ausdrücklichen Liebkind der Nazipropaganda niemand identifizieren.

Es war eine ärmliche Vorstellung, ein testamentum pauperitatis des Regimes der Ehemaligen. Die Initiatoren dieser Ausstellung, der große Wiener Kunstphilosoph Peter Weibel und der hierzulande völlig unbekannte holländische Kritiker Paul Groot, standen ziemlich verloren herum. Was illustrieren sollte, wie ein verstockter Nazi im spätkapitalistischen Ambiente wieder populär werden kann‚ geriet unter den neuen politischen Verhältnissen zu einer Farce. Das neue Regime will sich an der Kunst die Finger nicht verbrennen wo schon die Parteigänger der vorigen Regierung keine besondere Ehre eingelegt hatten. Wie man auch versuchen möchte, sich mit dieser Ausstellung anzufreunden, sie ist und bleibt doch falsch und ehemalig. Das gilt sicherlich auch für die beiden Organisatoren, die ein bezeichnender Widerschein der Ausstrahlung dieser unmißverständlichen NS-Kultur trifft. Nicht Brekers rhetorische Sprache, sondern Weibels und Groots zweifelhafte ästhetische Normen‚ deren Politisierung zu einem stupiden Anstarren verführen — Brekers Lieblingsbeschäftigung war bekanntlich die Betrachtung männlicher Nacktmodelle —, diese Normen selbst stehen unversehens in einem völlig schiefen Licht. Die oft mehr als lebensgroßen und durch ihre Monumentalität auffallenden Skupturen bekommen plötzlich einen merkwürdigen Doppelsinn. Die Machthaber dürften bemerkt haben, daß Weibel und Groot sich damit selbst in die Finger schnitten. Weibel umtanzte in seiner Eröffnungsrede die Idee von Kunst und Politik, Groot sprach über die Zerstörung des Körpers in der Postmoderne. Letzterer ist in seiner Heimat wegen eines verdächtigen Interesses an männlicher Nacktheit, seine Kritiken verraten es, nicht gerade unumstritten. Ihn schienen die strotzenden Leiber geradezu einzuschüchtern, er wirkte enerviert. Peinlich, wie er jeden Augenkontakt zu diesen prononciert männlichen, eigentlich doch ganz freundlichen Skupturen mühsam vermied.

Der prachtvolle Ausstellungsraum der Secession ist der Ort, an dem sich unabhängige Künstler einst ihr Recht nehmen konnten. Wie zu hören ist, hatte man den Organisatoren dieser Ausstellung nichts in den Weg gelegt. Dieser Freiraum existiert also immerhin noch. Wo man einen frontalen Angiff auf die neue Obrigkeit erwarten konnte, hat die moderne Kunstkritik, deren wichtige Vertreter Weibel und Groot ja sind, einfach den Nachweis ihrer Unfähigkeit abgeliefert. Beide Texte waren, gelinde gesagt, nicht eben lucide. Was einen besonders schrillen Kontrast zu den hochgespannten Ansprüchen, mit denen die Redner in ihrer Eigenschaft als Kritiker Kunst und alltägliche Realität zu messen pflegen, ergab.

Österreich hatte den Skandal mit Arnulf Rainer erlebt, der die eigenen Bilder zerstörte, um den katastrophalen Wertverfall seiner Arbeiten — deren Preis er per Quadratzentimeter berechnete, als wären es Tapeten — abzufangen. In Holland versuchte der spiel- und kokainsüchtige Maler Rob Scholte‚ die Aufmerksamkeit der Medien auf sein Werk zu ziehen, indem er einen Selbstmordversuch vortäuschte. (Dabei hat er beide Beine verloren, Red.) Solcherlei beklagenswerte Vorfälle beweisen, daß die Kunst nicht erst unter dem neuen Regime alle Glaubwürdigkeit verloren hat. Hatte die Kunst in der alten Nazi-Ideologie noch einen zentralen Platz eingenommen, ist sie heutzutage eine quantité negligeable.

Die katastrophale Produktion von Weibei und Groot ist bloß eine Bestätigung mehr für diese schlichte Wahrheit.

Text: Aus dem Holländiscben von Andrea Danmayr, K. Kanstadt und G.O.
Fig.: Die Identität des Bildhauers wird bei der Präsentation bekanntgegeben


Amsterdams Institut voor Schilderkunst präsentiert:
 
EXlL-FORVM
AMSTERDAM
FORVM-EXIL
 
Mittwoch, 12. April 1995 20 Uhr,
in der Galerie De Verdieping
Fokkesimonszstraat 14 A Amsterdam
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