ZOOM 1/1998
März
1998

Keinen Menschen, keinen Groschen für die NATO!

Zwei Neutralitäten

Mit dem Status der „Immerwährenden Neutralität“ waren in Österreich von Anfang an zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden.

Für die einen war Neutralität schlicht der Preis für den Abzug der Besatzungstruppen, vor allem der sowjetischen. In den Zeiten des Patts der Supermächte war sie die Grundlage für gute Geschäfte und politische Vermittlungsaktionen zwischen den beiden Blöcken. Diese Art Neutralität war weniger der Versuch, sich von beiden unabhängig zu halten als vielmehr der Versuch, beiden bei der Aufteilung der Welt gute Dienste zu leisten.

Diese Auffassung von Neutralität wurzelt vor allem in den Interessen der Eliten in Politik und Wirtschaft. Die große Zeit dieser Neutralität war die Ära Kreisky, als die damit verbundene „aktive Neutralitätspolitik“ auch von den in Österreich tätigen Banken und Konzernen als nützliches Mittel der Außen- und Wirtschaftspolitik anerkannt wurde.

Für weniger betuchte und weniger maßgebliche Leute war an der Neutralität aber anderes viel wichtiger: In zwei Weltkriegen ist die österreichische Bevölkerung für die Macht- und Geschäftsiniteressen deutscher und deutsch-österreichischer Herren ausgenutzt worden. Die Neutralität soll(te) uns helfen, eine ähnliche Katastrophe in der Zukunft zu vermeiden.

In der politischen Praxis war diese „Neutralität der Unteren“ zwar seit jeher bestenfalls eine Art Abfallprodukt der „Neutralität der Oberen“, aber sie ist bis heute der wohl wesentlichste Grund für die anhaltende Beliebtheit des Neutralitätsstatus in der Bevölkerung und damit für das Zögern vieler Politiker, auch von solchen der ÖVP, den NATO-Beitritt einfach „durchzuziehen“.

Die „Neutralität der Oberen“ ist gegenstandslos geworden

Mit dem Niedergang des Ostblocks in den achtziger Jahren war der „Neutralität der Oberen“ die Geschäftsgrundlage entzogen. Unter dem massiven Druck der seit den siebziger Jahren immer mehr von (meist deutschen) Auslandskonzernen dominierten Wirtschaft ist die österreichische Politik zur Anlehnung an Deutschland zurückgekehrt: Der EU-Beitritt ist der bisherige Höhepunkt dieser Ausrichtung. Die NATO-Annäherung ist die konsequente Fortsetzung dieser Politik im Schlepptau des „großen Bruders“.

Das Gemisch der zwei Neutralitäten ist damit aufgelöst. Die „Neutralität der Unteren“ wird nunmehr als Verweigerung einer sogenannten „Solidarität“ denunziert, unter der man jetzt die Beteiligung an Krieg und Einmischung in der ganzen Welt versteht. Und die Durchsetzung von Machtinteressen wird als „humanitäre Hilfe“ und als „Schutz der Menschenrechte und des Völkerrechts“ bezeichnet.

„Kern-Neutralität“ ist NATO-kompatibel

Viele Menschen sind gegenüber dieser angeblich „solidarischen“ Ausrichtung der Politik mißtrauisch, vor allem dann, wenn sie mit der offenen Aufforderung verbunden wird, das Neutralitätsgesetz abzuschaffen. Damit bleibt ein solcher Schritt für die Eliten bis heute politisch riskant. Als zumindest vorläufiger Ausweg diente und dient der Rückzug auf den sogenannten „Kern der Neutralität“: kein NATO-Beitritt, keine Truppenstationierung.

Das wird von der ÖVP als Zwischenlösung auf dem Weg zum NATO-Beitritt verstanden, von der SPÖ hingegen oft als „Anpassung der Neutralität“ an die neue Weltlage dargestellt. In jedem Fall aber ist das eine Politik, mit der alle aktuellen NATO-Forderungen erfüllt werden können und mit der zugleich der Bevölkerung bei Bedarf weiter eingeredet wird, daß Neutralitätspolitik gemacht wird.

Österreich hat sich seit dem Golfkrieg an allen Einsätzen von NATO-Staaten in der einen oder anderen Weise beteiligt, von Überflugs- und Durchfahrtsgenehmigungen bis zur Entsendung von eigenen Truppen.

Als EU-Mitglied betreibt unsere Regierung mit den EU-Mächten eine „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“. Als Teilnehmer an der sogenannten „Partnerschaft für den Frieden“ trifft Österreich alle Vorbereitungen für die weitere militärische Einbindung in die „NATO neu“, die uns gern als „Friedensorganisation“ dargestellt wird. Der wesentliche Unterschied dieser neuen NATO zur alten ist aber, daß die neue ihr Einsatzgebiet auf die ganze Welt erweitert hat. Die „NATO neu“ ist dazu da, weltweit im Namen des Friedens und der Hilfe die wirtschaftlichen und politischen Vorstellungen des Westens durchzusetzen.

Es gibt keine Neutralität zum „Beibehalten“

Trotzdem reden SPÖ-Politiker, Grüne und viele andere NATO-Gegner vom „Beibehalten der Neutralität“, so als ob die österreichische Politik etwas mit einer Neutralität zu tun hätte, von der sich die Bevölkerung einen Schutz vor Kriegsabenteuern erwarten könnte und so als ob Österreich schon deswegen neutral wäre, weil das Neutralitätsgesetz noch nicht abgeschafft und das Land noch nicht der NATO beigetreten ist.

Die Neutralität, wie sie vor allem SPÖ-Politiker (im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU!) „beibehalten“ wollen, ist nichts als eine Art „solidarischer“ Flankenschutz für die NATO. Sie besteht bestenfalls darin, Großmachtansprüche diplomatisch „abzufedern“ und zu verschleiern.

Eine „aktive Neutralitätspolitk“ à la Kreisky, wie sie von vielen NATO-Gegnern verlangt wird, ist vollends illusionär. Es gibt kein Supermächte-Patt mehr, das Spielraum für Lavieren bieten würde. Es geht heute nicht um die Alternative „Vermitteln“ oder „Stillsitzen“, wie auch viele NATO-Gegner meinen, sondern es geht um die Frage, ob wir uns an der Durchsetzung des Diktats der Westmächte über den Rest der Welt beteiligen oder uns der Einbeziehung in deren Strategie widersetzen.

Die Bevölkerung soll „NATO-reif“ gemacht werden

Das Hinauszögern der offenen Entscheidung über einen NATO-Beitritt dient dazu, die Bevölkerung an die faktische Gleichschaltung mit der Blockpolitik zu gewöhnen: an die Benützung Österreichs als Durchmarschgebiet und an die Beteiligung österreichischer Soldaten an den Militäraktionen der NATO-Länder. Wir sollen unser Heil wieder auf der „Seite der Starken“ suchen, die sich natürlich als die Guten ausgeben. Wir sollen vergessen, was aus unserer Geschichte über unsere Beteiligung an Großmachtpolitik zu lernen ist: Daß am Ende nämlich Hunderttausende von uns an ihr gestorben sind und wieder sterben werden, wenn wir mittun.

Das Neutralitätsgesetz soll offenbar möglichst so lange „beibehalten“ werden, bis es auch für oberflächliche Betrachter gegenstandslos und seine Abschaffung für jeden erkennbar zur Formalität geworden ist. Nach der Logik der bisherigen Politik wird dann auch die Führung der Sozialdemokratie die NATO-Parole übernehmen. Erst dann ist die Zeit für eine Volksabstimmung „reif“, in der dann die Verantwortung für alle Folgen eines NATO-Beitritts der Bevölkerung zugeschoben werden soll. Wie man dabei zumindest für den entscheidenden Zeitabschnitt „die Gedanken der Herrschenden zu den herrschenden Gedanken“ macht, haben die Spitzen der österreichischen Politik und Wirtschaft anläßlich der EU-Abstimmung eindrucksvoll vorexerziert.

Ein Weg in den Krieg führt auch am Neutralitätsgesetz vorbei

Gegen die Propaganda der Neutralität-Abschaffer und NATO-Einpeitscher ist eine starke Mehrheit der Österreicher bis heute resistent geblieben. In konkreten Situationen ist es aber österreichischen Einmischungspolitikern mit massiver Hilfe der Medien durchaus gelungen, Kriegshysterie und Zustimmung für westliches Dreinschlagen zu mobilisieren. Die Anti-Irak-Hetze und das „Serbien-muß-sterbien“-Geschrei von 1991 sind da schlimme Beispiele. Auch die Menschenhatz an den Grenzen der Festung Europa, die Ausgrenzung und Schikanierung der Immigranten sowie die innere Aufrüstung gegen alle, die nicht strammstehen, gehören zu diesem gefährlichen Programm der „Wehrhaftmachung“. Dabei wird die Frage der Neutralität und des NATO-Beitritts gar nicht angesprochen, sondern die Bevölkerung soll mit Hilfe alter Vorurteile und einer massiven Hetze kriegsreif gemacht werden. Nicht zuletzt auch dadurch, daß man den „Helden“ unter uns zu verstehen gibt: Wenn wir mit der NATO marschieren, sterben (fast) nur die anderen. Ganz nach dem brutalen Motto österreichischer Bundesheer-Soldaten in Bosnien: „Alle Tschuschen schweigen still, wenn mein starker Arm es will“. So sind aber schon unsere Väter und Großväter bis Stalingrad gekommen.

Was österreichische NATO-Gegner tun sollten

Angesichts der schwierigen Lage sollten sich NATO-Gegner in Österreich auf eine lange Perspektive einstellen und keinesfalls Volksabstimmungen oder Volksbefragungen in das Zentrum ihrer Überlegungen und ihres Auftretens stellen. Beide Einrichtungen werden angesichts der Machtverteilung von den Eliten im Bedarfsfall jedes demokratischen Inhalts entleert.

Entscheidend für die Zukunft wird aber sein, ob wir uns ein richtiges Verständnis der Lage erarbeiten und unter der Bevölkerung verbreiten können. Nur dann werden wir auch organisieren und mobilisieren können, wenn Menschen zum Widerstand bereit sind.

Worüber wir uns meiner Meinung nach klar werden sollten, dazu zum Abschluß einige Punkte in Behauptungsform:

  • Die westlichen Werte, für die EU, USA und NATO eintreten, sind nicht Demokratie und Menschenrechte, sondern Dollar-, DM-, Pfund- und Francs-Aktien.
  • Die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ der EU hat nichts anderes im Sinn als die der USA und jeder anderen Großmacht auch: Ausdehnung der eigenen Macht um jeden Preis.
  • Die sogenannte „Partnerschaft für den Frieden“ dient nur dazu, daß auch wir mitzahlen, mitschießen und am Ende mitsterben.
  • Die Wirtschaft der Banken und Konzerne kommt im Kampf ums Öl (und andere Ressourcen) und im Kampf um die Märkte ohne Gewalt nicht aus.
  • Die NATO ist keine Friedensorganisation, sondern macht Front: Front gegen Rußland, gegen die Entwicklungsländer, gegen alles, was sich dem großen Geld nicht fügt.
  • Österreich ist bedroht: einerseits durch den Druck der NATO, uns ihr zu unterwerfen; andererseits genau durch die Unterwerfung unter die NATO und die Beteiligung an ihrer Politik.
  • Die militärische Führung des Bundesheeres und der Verteidigungsminister schützen uns nicht vor diesen Gefahren, sondern sind selbst ein wesentlicher Teil dieser Gefahren.
  • Die in Österreich herrschende Politik ist ein schwerer Rückfall in finstere Zeiten: in die Politik der Anlehnung an Deutschland und an die Gemeinschaften und Bündnisse, denen Deutschland angehört und die es zum Teil auch dominiert. Eine solche Politik hat uns zweimal in einen Weltkrieg geführt.
  • Das Ziel der „Neutralität der Unteren“ – nämlich nicht wieder für Banken und Konzerne ins Feuer geschickt zu werden –, ist nur zu erreichen, wenn diese „Unteren“ sich selbst massenhaft dafür einsetzen.
  • Was wir wollen, wollen auch viele andere Menschen in Österreich und in anderen Ländern. Mit ihnen ist Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung möglich.
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