FORVM, No. 478/479
November
1993

Keine industrielle Reservearmee!

Die Auseinandersetzung über die Zuwanderung von Menschen nach Österreich reißt nicht ab. M. H., Vorsitzender der SPÖ-Wien, stellt hier seine Meinung zur Diskussion: »Dieses aktuelle politische Geschehen ist von enormer Reichweite für den jeweiligen Staat, aber auch für ganz Europa.«

Die Ursachen der Migration

Um dieses Problem bei den Wurzeln zu erfassen, möchte ich kurz auf die Situation der Staaten eingehen, aus denen so viele Auswanderungswillige kommen. Was treibt einen Menschen dazu, sein Heimatland, seine Umgebung, oft auch seine Familie und Freunde zu verlassen? Ich sehe hier mehrere Ursachen, diesen schwerwiegenden Schritt auf sich zu nehmen: Zunächst die Bedrohung des Lebens, ausgelöst durch politische oder religiöse Verfolgung, durch Krieg und Haß. Es ist unschwer zu erraten, daß dieses Beispiel vor allem im ehemaligen Jugoslawien zutrifft. Ein anderer Faktor ist die Armut. Die Menschen versuchen in den reichen westeuropäischen Staaten auch ihr (materielles) Lebensglück zu finden, aus der Armut ihrer eigenen Existenz zu entfliehen, um in einem »gelobten« Land ein neues, besseres Leben zu beginnen. Daß diese Hoffnungen des öfteren enttäuscht werden, ist vorherzusehen. Diese beiden Gründe sind für mich die schwerwiegendsten, und ich denke auch, daß sie auf die Mehrzahl der auswanderungswilligen Menschen zutreffen. Migration bedeutet eine Bewegung von Gruppen in einem bestimmten Raum, der mit der Änderung des Wohnsitzes verbunden ist. Und hiermit kommt es zu den Problemen für die Zielstaaten der Wanderungsbewegungen.

Die Schwierigkeiten

Abgesehen von den räumlichen Schwierigkeiten, hier meine ich sowohl soziogeographische, als auch wohnungsmäßige, ergeben sich vor allem auch Probleme im sozialen Umfeld. Niemand kann behaupten, daß es im Umgang der verschiedenen Kulturen miteinander konfliktfrei zugeht. Dieses Problem des Umganges der Menschen miteinander kann man sicherlich durch kontinuierliche Zusammenarbeit lösen. Viel schwerwiegender ist für mich die Angst der Österreicher vor verstärktem Konkurrenzkampf — um den Arbeitsplatz, um Wohnungen, um gewerkschaftlich errungene Rechte, und schließlich und endlich die Angst vor der Entfremdung im eigenen Wohnumfeld. Es kann und darf nicht sein, daß die Zuwanderer zu einer industriellen Reservearmee herangebildet werden, die die Arbeit billiger, unter schlechteren Voraussetzungen und ohne sozialen Schutz erledigen. Ich schiebe hier die Schuld nicht auf die arbeitswilligen Menschen, die Geld benötigen, um sich eine Existenz aufzubauen, sondern sage klar und deutlich, daß die Verfehlungen einzelner Arbeitgeber nicht hingenommen werden dürfen!

Abgesehen von der menschlichen Seite — die Ausbeutung von Männern und Frauen im Wohn- und Arbeitsbereich betrachte ich als verabscheuungswürdig — werden gewerkschaftlich garantierte Rechte einfach über den Haufen geschmissen und wir finden uns wieder in den Zeiten vor den großen Errungenschaften der Sozialdemokratie. Besonders der Druck auf die schon länger anwesenden Ausländer steigt. Bundeskanzler Vranitzky hat bei einem Migrationssymposium zu diesem Thema folgendes gesagt:

Hier werden die Ärmeren unter den Armen gegen die weniger Armen unter den Armen ausgespielt. Ein Spiel, das wohl auch der massivste Verteidiger liberaler Einwanderungsregeln nicht gutheißen kann.

Diesem Satz ist nichts weiter hinzuzufügen, er trifft den Kern der Sache. Mit uneingeschränkter Zuwanderung schafft man mehr Probleme als man löst, vor allem im Zielland der Migration. Es geht also darum, eine sinnvolle Lösung zu finden, die sowohl den humanistischen Ansprüchen, als auch den Bedürfnissen der Bewohner Österreichs Rechnung trägt.

Die politische Umsetzung

Es muß gleich zu Beginn klar sein, daß verfolgte und an Leib und Leben bedrohte Menschen in Österreich auch weiterhin einen Platz zum Leben finden. Niemand soll sagen, daß Österreich seinen Beitrag als Flüchtlingsland nicht wahrnehme. Allein mit 73.000 aufgenommenen Flüchtlingen aus dem Jugoslawienkrieg liegt Österreich trotz seiner geographisch geringen Größe im Spitzenfeld der europäischen Länder. Bei der Diskussion um die Zuwanderung gibt es zwei unterschiedliche Anschauungen. Die eine geht davon aus, daß man alle Menschen, die ins Land kommen wollen, aufnimmt. Diese Herangehensweise an das Problem halte ich nicht nur für äußerst kurzsichtig, sondern vor allem auch die soziale Sicherheit Österreichs gefährdend. Sie bedenkt nicht die Entwicklung des Rassismus, der in vielen Einwanderungsstaaten jetzt zu großen Spannungen führt, sie sieht nicht die Gefahr einer industriellen Reservearmee, eines Zusammenbruchs des sozialen Gefüges, einer explodierenden Bevölkerungszahl, mit allen ihren Problemen. Diese Methode der Problemlösung erinnert mich an eine »Vogel-Strauß-Politik«, nehmen wir was nur geht und schauen wir was passiert. Ich denke, nur verantwortungslose Politiker können solche Vorschläge ernsthaft diskutieren. Für mich die bessere Methode ist eindeutig eine Regelung der Zuwanderung. Es gilt eine geregelte Zuwanderung zu erreichen, die sozial verträglich ist und Stabilität gewährleistet. Dezidiert möchte ich sagen, daß Zuwanderung unabdingbar für eine gesunde Gesellschaft ist. Wer möchte heute in Wien noch die Pizzeria oder den »Chinesen« missen? Auch für die kulturelle Weiterentwicklung ist Zuwanderung notwendig.

Um Wanderungsbewegungen zu verhindern, sollte man allerdings in erster Linie finanzielle Hilfeleistungen bieten, um den Grund für die Migrationsbewegung zu nehmen. Daß aber Österreich oder sogar Europa ganze Staaten finanziell erhalten kann, denkt, glaube ich, niemand, deshalb muß man den östlichen Nachbarn auch Herz und Hirn anbieten. Damit meine ich die Vermittlung von Know-how und Hilfestellungen im alltäglichen Leben, um die Standards der typischen Auswanderungsländer möglichst rasch an unsere anzupassen.

Zum Abschluß möchte ich Sie noch bitten, diese Gedanken vorurteilsfrei durchzudenken und Sie werden sehen, daß die österreichische Einwanderungspolitik der einzig gangbare Weg ist, größere soziale Auseinandersetzungen zu verhindern.

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