MOZ, Nummer 50
März
1990

Kapitalismus gescheitert

Der Kapitalismus erobert die Welt, im deutsch-deutschen Fall ganz ohne militärische Gewalt. Die letzten GRÜNEN Realos sind auf den Wiedervereinigungs-Zug aufgesprungen. Man stelle sich vor, das ‚Argument‘, etwas sei richtig, weil eine Mehrheit es so sieht, gälte auch in anderen Bereichen unseres Lebens! Die Erinnerung an den Anspruch linker Politik, gegen herrschende Verhältnisse anzugehen und für neue Mehrheiten zu kämpfen, schwindet. Wir leben in einer Phase von Opportunismus und nationalistischer Massenhysterie. Und wir erleben einen Sieg im kalten Krieg mit allem, was zu einer richtigen Eroberung gehört: ein protzender Sieger und eine erstklassige Kapitulation. Keine ‚Vereinigung‘, sondern ein gefräßiger Anschluß. Dem ehrenwerten Hans Modrow bleibt nur die historische Rolle der Organisation einer ordentlichen Übergabe eines ehemals eigenständigen Staates namens DDR.

Die bundesrepublikanischen Medien sind von morgens bis abends voll von DDR. Im Schatten der Berichterstattung verändert sich die Bundesrepublik jeden Tag schneller. Die Probleme in der BRD werden immer kleiner. In der DDR ist die Luft grau und sind die Flüsse kaputt. Was sind schon bundesdeutsche Dioxine und Radioaktivität gegen soviel DDR-Ruß? Konsumgüter sind in der DDR knapp, also haben wir kein soziales Elend. Der größte Kampf aber ist der um Werte: Gleichheit von Menschen, Selbstbestimmung, Befreiung von Ausbeutung usw. Alles, was nach sozialistischer Utopie riecht, soll gleich mit abgeräumt werden.

Meine politische Identität als Radikalökologin, als ökologische feministische Sozialistin habe ich gerade auch in Auseinandersetzung mit der DDR entwickelt. Die war für uns nie ein sozialistisches, allenfalls ein nicht-kapitalistisches Land. Die Produktionsmittel waren zwar nicht in privater Hand, aber eben auch nicht vergesellschaftet, sondern verstaatlicht. Selbstbestimmung der Menschen existierte weder in der Produktion noch anderswo. Der Staat wurde nicht ab-, sondern aufgebaut, kapitalistische Technologie eifrig und schlecht kopiert, die Entwicklung einer eigenständigen Logik in der Produktion war nie vorhanden. Die Stückzahl war das Maß, nicht die Bedürfnisse der Menschen, nicht das Verhältnis zur Natur. Produktivität kippte um in Destruktivität.

Wer behauptet, mit der DDR scheitere der Sozialismus, will dem Kapitalismus die Barbarei abschminken. Über „Markt“ wird geplaudert, als handle es sich um einen Gemüsemarkt, nicht um den kapitalistischen Weltmarkt, der die „Dritte Welt“ versklavt. Die „Innovationskraft“ des Kapitalismus wird gerühmt, als hätte die DDR nicht von vorneherein mit 99 Milliarden DM Reparationsleistungen im Gegensatz zu den 3 Milliarden DM, die die BRD zahlte, schlechte Karten gehabt. Von anderen objektiven Bedingungen einmal abgesehen.

Es ist, als ob Kapitalismus-Analyse nur noch die eigene subjektive mittelständische Lage zum Gegenstand hat. Schon das Leben der Armen in der BRD wird ausgeblendet. Aber im Zentrum des Taifuns ist es ruhig. Die schrecklichsten Opfer kapitalistischer Verhältnisse sehen wir nicht. Das Elend ist exportiert. In der „Dritten Welt“ sterben an jedem einzelnen Tag vierzigtausend Kinder an Hunger. Es gibt fast kein Entwicklungsland mehr, dessen natürliche Umwelt nicht ausgeplündert, vertrocknet oder vergiftet wäre. Wer wirklich wissen will, was Kapitalismus heißt, muß zu Frankfurt Sao Paulo hinzunehmen und zu Hamburg oder München Mexico City oder Bangladesh.

Hat etwas recht, weil es gewinnt? Sozialismus-Versuche wurden militärisch zerschlagen wie die demokratisch gewählte Regierung in Chile 1973. Oder sie stehen unter einer Dauerbedrohung, die sie zu Fehlern verleitet, wie Kuba. Nehmen wir die Lebensbedingungen der Menschen und den Zustand ihrer ökologischen Lebensgrundlagen — was anderes kann unser Maßstab sein?: Dann ist der Kapitalismus der verachtenswerte Verlierer im politischen Wettkampf und hat sich ein für allemal desavouiert.

Die DDR wird kein „Dritte-Welt“-Land werden. Bei ihr wird der Imperialismus Gnade walten lassen. Es sind ja Deutsche. Vermutlich steht das „Modell Bayrischer Wald“ an, arm, aber dazugehörig. Die DDR ist eine Goldader, nichts muß enteignet werden, gegen „richtiges Geld“ gibt es alles billig: Immobilien-Spekulanten kaufen über Strohmäner schon ganze Stadtteile, Medienkonzerne sichern sich Kommunikationsmonopole, Adel und Industrie raufen sich heim ins Reich. Nur die passenden gesetzlichen Regelungen müssen noch nachgeschoben werden.

Wie wird man den absehbaren tiefen Frust der DDRler beantworten, die kamen, um in der BRD materiell besser gestellt zu sein? Was wird mit denen, auf deren Löhne die vielen neuen Arbeitssuchenden drücken? Was wird aus den Menschen asiatischer, afrikanischer oder lateinamerikanischer Herkunft? Was wird das Ventil der Herrschenden im Fall künftiger sozialer Krisen sein? Ein neuer Nationalismus? Warum werde ich das Gefühl nicht los, in einer Vorkriegszeit zu leben, wobei die Waffen vorrangig Schuldzinsen und transnationale Organisationskraft sein werden? Gefährlicher als der dumpf-deutsche Nationalismus droht dessen pseudo-aufgeklärte eurochauvinistische Variante. Was ist an der Addition der großdeutschen, französischen und englischen Nationalismen im Mythos „Europäisches Haus“ eigentlich so beruhigend? In unserer Gesellschaft wächst links ein immer gröBeres politisches Vakuum, offen ist, wer es in Zukunft miteinander füllen wird.

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