Heft 2/2000
April
2000

Kap der Gewalt

Frauenunterdrückung in Südafrika

Die Republik am Kap der guten Hoffnung weist weltweit die höchste Vergewaltigungsrate auf.

Der nationale Frauentag am 9. August ist im neuen Südafrika, ebenso wie der internationale Frauentag am 8. März, ein offizieller Feiertag. Er geht zurück auf das Jahr 1956, als 20.000 Frauen gegen die Ausdehnung der Paßgesetze auf „schwarze“ Frauen demonstrierten. [1] Im rassistischen Apartheidstaat waren alle, gemäß dem „Population Registration Act“ von 1950, als „schwarz klassifizierten“ Männer dazu gezwungen, Pässe, in denen der Wohnort, der Arbeitsplatz etc. vermerkt wurde, bei sich zu tragen. Die Regierung unter dem damaligen Premierminister Strydom wollte dieses Gesetz auch auf Frauen ausweiten. Als Protest gegen diese Maßnahme zogen 20.000 Frauen zum Regierungssitz in Pretoria und legten Unterschriftenlisten vor, wobei viele der Aktivistinnen verhaftet wurden. Der Monat August wurde im neuen Südafrika zum „Monat der Frauen“ erklärt. Jedes Jahr finden den ganzen Monat hindurch frauenspezifische Veranstaltungen statt. Im vergangenen Jahr hatten die Demonstrationen, Fernsehdiskussionen, Konzerte und Radiosendungen die Thematik der Gewaltanwendungen, denen Frauen in Südafrika ausgesetzt sind, zum Schwerpunkt. Das neue, demokratische Südafrika wird in diversen Medienberichten sehr gerne als eine „Regenbogennation“ beschrieben und dargestellt, als eine Nation, welche viele verschiedene „Kulturen“ beinhaltet. So verschieden die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten in dem Land am „Kap der guten Hoffnung“ mit seinen elf offiziellen Amtssprachen auch sein mögen, in einem Punkt unterscheiden sie sich absolut nicht. Physische und psychische Gewaltanwendungen betreffen sowohl die Minoritätsfrauen der „Ersten Welt“ Südafrikas als auch die Bewohnerinnen der unzähligen Townships an der Peripherie der größeren und kleineren Städte. Die Rahmenbedingungen, die Frauen in diesen differierenden Welten vorfinden, um sich gegen die geschlechtsspezifische Gewalt wehren zu können, sind jedoch gänzlich andere. Die Thematik der Gewaltanwendungen gegen Frauen ist in Südafrika unübersehbar geworden. Davon zeugen nicht nur unzählige Zeitungsreportagen und Fernsehberichte über mißhandelte Frauen, sondern die Brisanz des Themas spiegelt sich auch in der Innenpolitik dieses jungen, demokratischen Landes wieder. Die starke Präsenz von Gewaltanwendungen gegen Frauen in den südafrikanischen Medien, in der politischen Diskussion und auch im Alltagsdiskurs wird offensichtlich, wenn offizielle Statistiken betrachtet werden. Südafrika weist, weltweit gesehen, die höchste Rate an Vergewaltigungen auf. Statistiken belegen, daß alle 26 Sekunden eine Frau in Südafrika vergewaltigt wird, das heißt, eine von drei Südafrikanerinnen ist in ihrem Leben von einer Vergewaltigung betroffen. Zur Veranschaulichung dieser traurigen Bilanz stelle man sich eine eineinhalb Stunden dauernde Theatervorstellung vor. Von dem Zeitpunkt an, wo die Aufführung beginnt, bis zu jenem Zeitpunkt, da der Vorhang fällt, werden in Südafrika statistisch betrachtet 120 Frauen vergewaltigt. Gewalt formte mehr oder minder immer die Konturen des Alltags südafrikanischer Frauen. Während der Zeit des institutionalisierten Rassismus und Sexismus im Apartheidsystem wurden geschlechtsspezifische Gewaltanwendungen jedoch größtenteils tabuisiert. Mediales Interesse erregten nach Aussagen von Mitarbeiterinnen diverser Frauenorganisationen nur jene Fälle, in denen die Überlebenden „weiß“ waren. Das seit sechs Jahren bestehende demokratische politische System hat für die Mehrheit der historisch und auch noch gegenwärtig disprivilegierten Bevölkerungsschichten, insbesondere für die Frauen des Landes, zwar kaum eine bemerkenswerte Verbesserung ihrer schlechten sozio-ökonomischen Situation gebracht, eine Änderung setzte jedoch hinsichtlich ihrer rechtlichen Situation und der Enttabuisierung von Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit ein. Eine geschlechtsegalitäre Gesellschaft zu etablieren zählt — zumindest wenn man der Rhetorik südafrikanischer PolitikerInnen Glauben schenken darf — zu den größten Herausforderungen, die es momentan zu bewältigen gilt. In großen Teilen der Gesellschaft wird die Aufgabe, die Gewaltanwendungen gegen Frauen zu reduzieren, in etwa als ebenso wichtig erachtet wie die Eindämmung der sonstigen Kriminalität. Frauenspezifische Diskriminierungen sind im neuen Südafrika dem Gesetz nach untersagt. Inwieweit die Mehrheit der Frauen des Landes von ihrem neuen rechtlichen Status weiß und davon Gebrauch machen kann, steht jedoch auf einem anderen Blatt. An diesem Punkt setzt die Arbeit diverser NGOs und „Graswurzelbewegungen“ an. Gegenwärtig besteht diese vor allem darin, Aufklärungsarbeit über die veränderte rechtliche Lage zu leisten. Die Mittel, mit denen Frauen über ihre Rechte informiert werden, reichen von Zeitungsartikeln, Plakaten, Informationskampagnen bis hin zu Radiosendungen. Letztere sind vor allem in den Townships das beste Medium, um Frauen erreichen zu können. Zum einen senden lokale Radiostationen in der jeweilig vor Ort gesprochenen Muttersprache — in der westlichen Kap-Provinz beispielsweise in Xhosa —, zum anderen erscheinen Radiosendungen auch angesichts der hohen Analphabetinnenrate sinnvoller zu sein als Zeitungsreportagen, um Informationen an Frauen weiterzugeben. In Khayelitsha bei Kapstadt, dem zweitgrößten Township Südafrikas, sendet beispielsweise die Cibonele Radio Station täglich in einem Frauenprogramm Informationen über den Äther, die es den Bewohnerinnen ermöglichen soll, gegen die immens hohe geschlechtspezifische Gewalt vorzugehen. Der Name „Cibonele“ hat in der Sprache der Xhosa die Bedeutung „See for yourself“. Genau dies machen die Bewohnerinnen von Khayelitsha, indem sie sich gegenseitig unterstützen und helfen. So ist es beispielsweise keine Seltenheit, daß Frauen während der Sendezeit anrufen, um auf aktuelle Fälle von Gewaltanwendungen in ihrer näheren Umgebung aufmerksam zu machen.

Mitarbeiterinnen von „Rape Crisis" in Khayelitsha
(rechts: Bulelwa Mshumpela)

Es gibt neben den sogenannten „Graswurzelbewegungen“ wie der Cibonele Radio Station auch eine Vielzahl an NGOs, die als Arbeitsschwerpunkt die Reduzierung der Gewalt gegen Frauen haben. Ihre Aktivitäten, um dieses Ziel zu erreichen, sind primär von der vorhandenen Infrastruktur und der Lokalität der jeweiligen Organisation abhängig. Die Mehrzahl der Frauenorganisationen, welche tagtäglich mit Betroffenen von Gewaltanwendungen wie Vergewaltigung und Raubüberfällen arbeiten, haben ihren Hauptsitz in der Innenstadt Kapstadts und nur sogenannte Satellitenbüros in den Townships rund um die 4-Millionen-Stadt. Gerade dort, wo die überwältigende Mehrheit der Gewaltanwendungen gegen Frauen passiert, sind nicht nur weniger Beratungsstellen, sondern es existiert auch kein einziges Frauenhaus in den Townships. Die seit immerhin 24 Jahren existierende NGO Rape Crisis, die nur mit Überlebenden von Vergewaltigungen arbeitet, hat ihren Hauptsitz in Observatory, einem studentisch geprägten Viertel Kapstadts. In Khayelitsha, dem eine Million EinwohnerInnen zählenden Township, besteht erst seit 1995 ein Satellitenbüro. Ein Haus für Beratungsdienste haben die Mitarbeiterinnen von Rape Crisis-Khayelitsha erst seit Juni letzten Jahres. Neben der Vielzahl an Frauenprojekten gibt es auch eine seit 1993 bestehende NGO, das 5 in 6 Project, welches vorwiegend mit Männern arbeitet, um in Workshops deren Verhaltensweisen gegenüber Frauen zu ändern. Der Name der Organisation resultiert aus der Tatsache, daß statistisch gesehen einer von sechs Männern in Südafrika Frauen mißbraucht. Bei den zweiten demokratischen Wahlen, die im Juni 1999 stattfanden, haben AktivistInnen des 5 in 6 Project Wahlplakate aller kandidierenden Parteien mit Postern überhängt, auf denen die Frage zu lesen war: „1 von 6 Männern mißbraucht Frauen. Kümmert er sich darum?“ Durch diese Aktion sollten die KandidatInnen der zur Wahl angetretenen Parteien auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht werden. Es gibt eine ganze Reihe derartiger Aktivitäten. So finden beispielsweise in Kapstadt oft spontan Demonstrationen vor Gerichtsgebäuden statt, wenn in Verhandlungen Urteile gegen Gewalttäter gefällt werden, die unter dem Mindeststrafmaß bleiben. Bei den diversen Aktivitäten anläßlich des nationalen Frauentages im letzten Jahr wurden in ganz Südafrika weiße Bänder verteilt, welche international als Symbol gegen Gewalt gegen Frauen gelten. Viele SüdafrikanerInnen bekundeten damit ihre Solidarität mit jenen Frauen, die Gewaltanwendungen ausgesetzt sind. Was trotz aller notwendigen und wichtigen Öffentlichkeitsarbeit, die Frauenorganisationen und Graswurzelbewegungen leisten, bestehen bleibt, ist die unbeantwortete Frage, die eine Vertreterin der Frauenliga des ANC [2] bei einer Kundgebung gegen Gewalt gegen Frauen in Kapstadt an die anwesenden Männer derart formulierte: „Wenn wir gemeinsam gegen die Apartheid gekämpft und gewonnen haben, warum um alles in der Welt können wir nicht gemeinsam den Sexismus überwinden?“ Angesichts der Vielzahl an Aktivitäten besteht zumindest eine potentielle Chance, daß das Land am „Kap der guten Hoffnung“ ein „sicheres Kap für Frauen“ wird.

[1Die Begriffe „weiß“ und „schwarz“ werden in diesem Artikel als soziale Kategorie verwendet, um rassistische Diskriminierungen sichtbar zu machen.

[2African National Congress. Der African National Congress war die älteste Befreiungsbewegung auf dem afrikanischen Kontinent und die bekannteste Anti-Apartheid-Widerstandsbewegung. Er ist nunmehr die Regierungspartei in Südafrika.

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