MOZ, Nummer 54
Juli
1990
Deutsch-österreichische Währungsunion:

In den Grenzen von 1938?

Niemand weiß, was der Anschluß der DDR an die BRD kostet, noch, welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen er haben wird. Eines ist allerdings sicher: Österreich ist den zu erwartenden Turbulenzen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Ende Mai war es, als Ferdinand Lacina, Finanzminister in Wien, im österreichischen Schloßhof seine Ressortkollegen aus Bonn, Bern, Budapest und Prag traf. Gesprächsthema Nummer Eins war — wie könnte es anders sein — die deutsche „Vereinigung“ oder, korrekter ausgedrückt, die Annexion der DDR. Und obwohl WirtschaftsexpertInnen mit Prognosen über deren Auswirkungen sehr vorsichtig sind und warnende Stimmen, die gegen alle Aufschwungseuphorie eine düstere Zukunft prophezeien, keineswegs vereinzelt bleiben, waren die Finanzpolitiker einer Meinung: Ganz Europa werde vom Wachstumsschub, den die „Vereinigung“ auslösen werde, profitieren, faßten sie ihre Gespräche zuversichtlich zusammen.

Auch die erst jüngst bestellte Präsidentin der Österreichischen Nationalbank, Maria Schaumayer, übt sich in Optimismus. Die Angst um die Härte der DM sei wegen des zu erwartenden Wirtschaftswachstums unbegründet, weswegen die Bindung des Schillings an die DM gar nicht in Frage zu stellen sei, erklärte die oberste Wächterin des Schillingkurses selbst- und österreichbewußt.

Was Schaumayer als Leitlinie künftiger österreichischer Geldpolitik darstellte, ist bei genauerer Betrachtungsweise lediglich die Fügung in Unabänderliches. Denn die Politologin Margit Scherb und die Soziologin Inge Morawetz orten in ihrem kürzlich herausgegebenen Buch „In deutscher Hand“ eine „weitgehende ökonomische Abhängigkeit von der BRD“. Anders formuliert: Welche Auswirkungen die Annexion der DDR auf die deutsche und in Folge die europäische Wirtschaft auch immer haben wird, Österreich ist ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Deutsch-österreichische Währungsunion

Was für die DDR ab Juli gilt, ist in Österreich schon geraume Zeit Wirklichkeit: die Währungsunion mit der BRD. Der Kurs des Schillings, also sein Umtauschverhältnis zu anderen Währungen, ist nämlich seit 1981 de facto fix an die DM gekoppelt. Jede bedeutende Schwankung der DM wirkt sich automatisch auf Österreich aus — fällt die DM, fällt der Schilling, steigt sie, steigt er (ihr nach). Daß der Schilling noch Schilling heißt, ist somit nur mehr ein eher belangloses Zugeständnis an die österreichische nationalstaatliche Souveränität — eine eigenständige Währungspolitik, oder zumindest eine, die sich an verschiedenen Leitwährungen orientiert, haben Bundesregierung und Nationalbank längst aufgegeben. Schaumayers kürzlich verstorbener Vorgänger Klauhs machte keinen Hehl daraus, daß Österreichs finanzpolitischer Spielraum sehr eng ist, daß die Koppelung des Schillings an die D-Mark „autonom gesetzte Geldmengen- oder Zinsziele ausschließt“, wie es 1989 in den Mitteilungen des Direktoriums der Österreichischen Nationalbank heißt.

Die in Umlauf gebrachte Geldmenge und der Zinssatz für Kredite und Spareinlagen sind — bei aller Beschränktheit nationalstaatlicher Ökonomiemodelle — Möglichkeiten, in die Binnenwirtschaft regulierend einzugreifen. Durch die defacto-Währungsunion verzichtet Österreich allerdings auf dieses entscheidende wirtschafts- und sozialpolitische Steuerungselement und läßt damit zu, daß die BRD, die als westeuropäische Hegemonialmacht und bedeutendste Handelspartnerin für die Alpenrepublik ohnehin die äußeren Rahmenbedingungen für Österreichs Ökonomie festlegt, auch die internen wirtschaftspolitischen Eckdaten bestimmt.

Strukturelle Abhängigkeit

Doch nicht nur die österreichische Währungspolitik wird von Frankfurt aus, dem Sitz der Deutschen Bundesbank, diktiert. Auch der Außenhandel ist auf den ‚großen Bruder‘ konzentriert. 1988 kamen 44% aller österreichischen Importe aus der BRD, 35% der heimischen Exporte gingen ebendorthin — eine Abhängigkeit, die für die heimische Wirtschaft beträchtliche Risken mit sich bringt. Denn in vielen Bereichen der Wirtschaft sind die Beziehungen zur BRD für Österreichs Unternehmer von vitalem Interesse, während für die BRD der Handel mit Österreich „ohne große Schwierigkeiten substituierbar“ wäre für die Politologin Scherb ein klassisches Beispiel „struktureller Abhängigkeit“. — Schon einmal war Österreich fest in deutscher Hand. Zu Kriegsende 1945 kontrollierten deutsche Eigentümer in Folge von Anschluß und Arisierung den Großteil der heimischen Wirtschaft — 83% der Banken, 61% der Versicherungen, 64% der Metallindustrie, 56% der Bauwirtschaft usw. Die 1946 bzw. 1947 vom österreichischen Parlament beschlossenen Verstaatlichungen brachten einen Gutteil dieses ‚deutschen‘ Eigentums wieder in österreichischen Besitz — im Lauf der Jahrzehnte allerdings gingen „sowohl verstaatlichte wie nichtverstaatlichte Teile wieder in deutsches — richtiger bundesdeutsches — Eigentum“ über, wie die Wirtschaftshistorikerin Rosemarie Atzenhofer meint.

Kontinuierlich baute die BRD ihre Dominanz über die österreichische Ökonomie aus, bis sie schließlich 1969 die USA als Hauptinvestor in Österreich ablöste. Die Politik der „Entstaatlichung“, der sich die große Koalition verschrieben hat, gab deutschen Investoren nochmals Auftrieb — denn die Teilprivatisierung der verstaatlichten Industrie bzw. des Besitzes der verstaatlichten Banken führte „zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil zum Verkauf an BRD Unternehmungen“, stellt Margit Scherb fest. Laut einer Aufstellung der Arbeiterkammer wechselten seit 1985 so bedeutende Betriebe wie „Semperit“, die Maschinenfabrik „Andritz“, die „Kronenzeitung“, der „Kurier“, die Papierfabrik „Steyrmühl“, die „BBU Metall“, die „Maschinenfabrik Heid AG“, die LKW-Erzeugung von „Steyr“, die „Tiroler Tageszeitung“ oder die „AMAG Brixlegg“ ganz oder teilweise in bundesdeutschen Besitz.

Besonders dramatisch ist die deutsche Vorherrschaft am Medien- und Bankensektor, in der Elektro- und Chemieindustrie, im Handel und im Fremdenverkehr — Österreich sei nahe daran, ein „Schwellenland“ zu werden, meinte der Wirtschaftssprecher der ÖVP, Josef Taus.

Der Innsbrucker Markus Wilhelm, Herausgeber der Zeitschrift „Foehn“, hat den „Ausverkauf Tirols“ penibel nachrecherchiert. Sein Schluß: „Da wie dort, in Osttirol wie im Außerfern, im Innsbrucker Raum wie im Kufsteiner Grenzgebiet, stehen Häuser und noch einmal Häuser dem einheimischen Wohnungsbedarf im Wege“. Häuser und Hotels, die zum Großteil deutschen Besitzern gehören. Schon 1966 klagte ein Bürgermeister des Unterinntals, daß „wir schon bald eine deutsche Kolonie haben“ trotzdem gingen im Lauf der Jahre Acker für Acker, Wiese für Wiese, Haus für Haus an zahlungskräftige Anbieter unseres westlichen Nachbarstaates. „All das passiert tagaus, tagein, während wir die schärfsten Grundverkaufsbestimmungen haben“, klagt Markus Wilhelm.

Schlangestehen vor einer Bank in Potsdam
Bild: Contrast

Deutschland wird größer

„Die Grundlage der Wirtschaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft. Sie wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen.“ So steht’s in Artikel 1 des deutsch-deutschen Paktes, dem sogenannten Staatsvertrag zwischen dem bundesrepublikanischen Staat und seinen neuen Ostgebieten. An Klarheit läßt diese Aussage, die allseits zufriedene Politikergesichter in unser Heimkino getragen haben, nichts zu wünschen übrig.

Die DDR ist tot! Es lebe die BRD! Das Soziale der Marktwirtschaft wird im Vertragstext zwar in puncto Buchstaben — eigenartigerweise — groß geschrieben, dem Inhalt nach kommt es dann allerdings nicht mehr zur Geltung.

Die deutsche Währungsunion, so der Berliner Ökonom Elmar Altvater, „wurde als politisches Kalkül ins Spiel gebracht“, an der ökonomischen Sinnhaftigkeit sind Zweifel angebracht. Der österreichische Volkswirtschaftler Erich Streissler sieht das in einem „Wochenpresse“-Artikel ähnlich: „Unumstößliche wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten werden beiseite gewischt“, schreibt er zur Frage der deutschen Einheit und fährt fort: „Es scheint, als glaube ein ganzes Volk, und vor allem seine Politiker, es genüge ein ‚starkes Wollen‘.“

Tatsächlich warnten noch zu Jahresbeginn alle namhaften Ökonomen vor dem schnellen (Fang-)Schuß. Die Warnungen, denen das Wissen um die kraß unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Verhältnisse in beiden deutschen Staaten zugrunde lagen, wurden in den Wind geschlagen, die Verträge unterzeichnet und — jetzt starren alle wie das berühmte Kaninchen auf den magischen 2. Juli, den Schicksalstag.

Schon vorher allerdings waren gewisse ökonomische Eckdaten bekannt, die die Fachleute zu Skeptikern gemacht hatten. So zum Beispiel beträgt das Bruttosozialprodukt pro DDR-Kopf nur etwa die Hälfte von dem eines BRD-Kopfes, der durchschnittliche Brutto-Monatslohn macht in der DDR gar nur 30% desjenigen in der BRD aus. Zahlen, die erklären, warum Gregor Gysi, Vorsitzender der einzigen großen Oppositionspartei „PDS“, zu Recht um die 200 Kombinate, 3.000 volkseigenen Fabriken und 80.000 Handwerksbetriebe bangt. „Die Währungsunion“, stellte er anläßlich eines Wienaufenthaltes Anfang Juni 1990 nüchtern fest, „ist eine gezielte Strategie, die DDR wirtschaftlich zu ruinieren“.

Gezielt oder nicht gezielt, der Schock, dem die auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähigen DDR-Betriebe und mit ihnen die 8,5 Millionen Erwerbstätigen — gar nicht zu reden von den RentnerInnen — ausgesetzt sein werden, wird viele in die geschäftliche und private Pleite treiben.

Die Pleitewelle könnte sogar auf das westdeutsche Wunderland selbst übergreifen. Dann nämlich, wenn sich Kanzler Kohl und sein Bundesbanker Pöhl finanziell übernehmen, sie die Eingliederung der DDR in zu kurzer Zeit bewerkstelligen wollen und ihre Kosten unterschätzen. So gut wie alle Ökonomen sehen die Gefahr darin, daß das wirtschaftliche Können dem politischen Wollen hinterherhinkt.

Was kostet die DDR?

Was schlußendlich das Land zwischen Dresden und Rostock samt dazugehörigem 15-Millionen-Völkchen kosten wird, weiß niemand so recht. Oder, wenn es wer weiß, dann hat er es bisher tunlichst verschwiegen. Das Fachmagazin „Wirtschaftswoche“ schätzt die Gesamtkosten der ganzen Operation auf 1,2 Billionen DM, die Deutsche Bank würde es um mehr als die Hälfte billiger machen: 500 Milliarden DM. 2 Billionen DM wiederum hat Erich Streissler errechnet, die seiner Meinung nach notwendig wären, um die DDR-Bürger ins westdeutsche Wohlstandsniveau zu hieven. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt für die BRD macht heuer 300 Milliarden DM, also ein Viertel der von der „Wirtschaftswoche“ kalkulierten Kosten, aus.

Weit unter all diesen Berechnungen liegt die Einlage des mit der Währungsunion etablierten sogenannten „Sonderfonds deutsche Einheit“, der — quasi als Finanzierung für Soforthilfe — 115 Mrd. DM enthält, 95 Mrd. davon werden als öffentliche Kredite aufgenommen, 20 Mrd. budgetär eingespart.

Weniger Westmark für das ersparte Ost-Geld — wie groß wird die soziale Kluft?
Bild: Contrast

Inwieweit die BRD sich durch die Übernahme der DDR selbst übernimmt, wird letztlich dadurch entschieden, ob sich die Manager bei der Festsetzung des generellen 1:2 Wechselkurses zwischen DM und Ost-Mark geirrt haben oder nicht. Ein zu niedriger Umrechnungskurs gegenüber der Ost-Mark vergrößert nämlich die soziale Kluft zwischen West und Ost noch beträchtlich, weil ja die OstbürgerInnen weniger DM für ihr Erspartes erhalten, als ihnen — gemessen am reelen Wert — zustünde. Sie könnten dann zwar theoretisch in ‚harter‘ Westwährung‘ auf den ersehnten „VW Golf“ sparen, um aber Butter und Fleisch in harten DM einzukaufen, wird der halbleere Ost-Geldsäckel nicht reichen.

Umgekehrt schwächt ein zu hoher Wechselkurs die internationale Konkurrenzfähigkeit der DDR-Industrie, weil sie ihre Waren, die ohnehin auf Grund der geringeren Produktivität höhere Herstellungskosten haben als im Westen, noch teurer machen würden. Arbeitslosigkeit in hohem Ausmaß wäre die Folge.

Kein leichtes Unterfangen, wie man sieht — und präzedenzlos. Die österreichischen Banken haben die Segel gestrichen und bereits Mitte Mai 1990 den Ankauf von Ost-Mark eingestellt. „Keiner kann den wirklichen Wert heute schätzen“, meint CA-Devisenspezialist Novy dazu gegenüber einer Tageszeitung.

Die Gefahr heißt Inflation

Schon im Februar 1990 meinte der bekannte deutsche Ökonom Fritz Neumark gegenüber der „Zeit“, daß es „zu einer keineswegs kleinen Inflation kommen wird“, wenn die Währungsunion noch in diesem Jahr verwirklicht werden sollte. Von den drei Finanzierungsmöglichkeiten des Projektes „Deutsche Einheit“ — nämlich Steuererhöhung, staatliche Ausgabenkürzung und DM-Scheine drucken — schätzt Neumark die letzte als die realistischste ein. Eine straffe, antiinflationäre Geldpolitik, also eine restriktive Budgeterstellung, hätte laut Neumark eine verheerende Arbeitslosigkeit zur Folge.

Alle Würstel werden teurer
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Auch Jan Stankovsky vom „Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung“ meint in einem WIFO-Bericht, daß in weiterer Folge die „Angleichung der Preisstruktur der DDR an jene der BRD voraussichtlich inflationäre Kräfte freisetzen (wird).“ Der Direktor der Z-Exportbank und frühere österreichische Außenminister Erwin Lanc sieht die Sachlage etwas optimistischer: „Wenn die Ost-Mark-Ersparnisse 1:2 abgewertet werden, tritt damit eine Kaufkraftabschöpfung ein, die inflationsdämpfend wirkt.“ Lanc geht davon aus, daß ein wirtschaftpolitischer Erfolg einen selbstfinanzierenden Effekt hätte — ein rasches Wirtschaftswachstum würde die notwendigen Summen zum Investieren ‚abwerfen‘. Bleibt allerdings die Frage offen, ob die Prämisse, nämlich eine de facto inflationshemmende Abwertung der Ostmark durch den 1:2 Wechselkurs, in die Tat umgesetzt werden kann. Im November 1989 hat man ja am Schwarzmarkt noch 10 Ost-Mark für die DM bekommen, manche Experten schätzen den „wirklichen Kurs“ DM zu Ost-Mark auf 1:5. In diesem Fall allerdings wäre 1:2 weit überhöht, was bedeuten würde, daß de facto keine Geldverknappungspolitik stattfindet. Inflation wäre mehr als wahrscheinlich.

Der hohe Zins

Wenn — und so steht’s in den Protokollen — die Währungsunion großteils über öffentliche Kredite finanziert werden soll, dann wird eine noch höhere Nachfrage nach Staatspapieren einsetzen, als es sie ohnehin schon gibt. Klar, daß dann die Rendite für solche Obligationen steigt, das Zinsniveau sich als ganzes hebt. Ein jeder DM-Besitzer wird also sein Kapital in deutsche Lande bringen und es dort zinsen- sowie unionsgerecht anlegen. Dieses ist erstens einfacher und zweitens risikoloser, als sich — womöglich im sozial unsicheren Osten — um Investitionsmöglichkeiten umzusehen, allerdings nur so lange, wie die DM im internationalen Vergleich eine starke Währung bleibt. Und das wiederum hängt davon ab, ob sich Kohl und sein Banker finanziell nicht übernommen haben mit der Eingliederung der Ostgebiete, und ob sie somit die drohende Inflation abwehren können.

Fest steht jedenfalls schon heute, wem das Experiment zur raschen Errichtung einer deutschen Hegemonialmacht in West-Ost-Europa auf dem Geldsäckel liegen wird: Der Handvoll Kapitalisten, die sich im Großen verspekulieren, und den Millionen Unflexiblen vor allem in Ost-, aber auch in Westdeutschland.

„Wenn die DM hart bleibt“, meint die Politologin Margit Scherb, „wird es all jene etwas kosten, die von Transferleistungen des Staates und vom Lohn abhängig sind.“ RentnerInnen, HacklerInnen, Arbeitslose.

Und die Ostgebiete? Die würden sich sowohl bei inflationistischer als auch bei deflationistischer Politik weiter entleeren. Denn entweder die Löhne halten mit den Preisen nicht mit oder es gibt keine Arbeit — die DDR wird zur neuen Peripherie von Großdeutschland.

Österreich: Mitgefangen, mitgehangen

Annahmen, daß auf Grund des neuen Ost-Marktes deutsche Investitionen aus Österreich abgezogen werden, scheinen eher unwahrscheinlich. Die staatliche Betriebsansiedelungsgesellschaft ICD, die bemüht ist, ausländische Konzerne nach Österreich zu locken, verzeichnete zum Jahreswechsel zwar einen Rückgang des deutschen Interesses an Österreich auf fast Null, mittlerweile aber hat sich die Lage normalisiert. Österreich scheint doch (noch?) lukrativer zu sein als die DDR — denn erstens fehlt dort die Infrastruktur wie Telekommunikation, Straßennetz usw., und zweitens hapert es im ehemaligen Arbeiterstaat doch an dem, was Kapitalisten aller Welt „Arbeitsmoral“ nennen.

Bedeutenden Einfluß auf Österreich hingegen wird die währungspolitische Entwicklung in der BRD haben. Das Zinsniveau ist auf den Kapitalmärkten in den letzten Monaten um zwei Prozentpunkte — „das ist beträchtlich“ (Lanc) — gestiegen — so auch hierzulande. Der Volkswirtschaftler Streissler prophezeit deswegen einen Dämpfer für die österreichische Konjunktur — „das ist ja gerade der ‚Zweck‘ steigender Zinssätze auf Weltniveau: Allen Ländern soll das Investieren im eigenen Land vergällt werden, damit sie umgekehrt den Deutschen ihre Sparmittel anvertrauen oder dirket in der DDR investieren“, schreibt er in der „Wochenpresse“. Stimmt Streisslers These, würden mit den rückläufigen Investitionen die Wachstumsraten gedrosselt, was nicht ohne Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation, also die Zahl der Arbeitslosen, bleiben wird.

Dazu kommt, daß eine allfällige erhöhte Inflationsrate der BRD fast zwangsläufig nach Österreich importiert würde. Steigen die Preise in Deutschland, so steigen sie auf Grund des regen Handels auch in Österreich. Auch die gestiegenen Zinsen werden preistreibend wirken — wenn investieren teurer wird, dann wird produzieren teurer künftig wird wohl für die gleiche Ware mehr bezahlt werden müssen.

„Keinen Anlaß für eine besondere Dramatik“ sieht hingegen Erwin Lanc. Denn steigende Zinsen würden „nicht zwangsläufig“ inflationär wirken, vor allem dann nicht, wenn die Profiterwartungen hoch genug liegen. Ein einfaches Rechenbeispiel: Wenn mit einem Kredit, für den etwa 10% Zinsen zu zahlen sind, Investitionen getätigt werden, die 13% Rendite abwerfen, dann ist das besser, als mit 8% Kreditzinsen nur 10% Gewinn zu erwirtschaften. Damit allerdings diese Rechnung aufgehen kann, ist die hohe Gewinnspanne zu sichern auch in Österreich. Und das heißt vor allem eine „zurückhaltende“ Lohnpolitik, wie sie der ehemalige Nationalbankpräsident Klauhs auch immer forderte.

Eine solche Lohnpolitik, die in Anbetracht der steigenden Preise nichts anderes als einen realen Einkommensverlust bedeutet, ist eine Grundvoraussetzung für die von der Deutschen Bundesbank ebenso wie von der Österreichischen Nationalbank angestrebte Hartwährungspolitik. Mehr noch als die Lohnempfänger wird eine restriktive Geldpolitik jene treffen, die von staatlichen Renten abhängen — denn die, das lehrt die Geschichte, werden weit weniger erhöht als die Preise. Österreichs RentnerInnen und Arbeitslose werden sich stolz auf die Brust klopfen dürfen: auch sie finanzieren den Anschluß der DDR mit.

Kann sich Österreich abkoppeln?

Wenn die Einverleibung der DDR zumindest mittelfristig zu sozialen Spannungen und ökonomischen Schwierigkeiten — inklusive einer relativ hohen Inflationsrate — führen sollte, dann müßte Österreich danach trachten, sich von der DM und der deutschen Wirtschaft etwas abzukoppeln, lautet der Rat, den Streissler und Lanc trotz unterschiedlicher Einschätzungen darüber, was die Zukunft bringen wird, geben. Streissler: „Dann gibt es zur Schadensminimierung in Österreich nur eines: nämlich relativ zur D-Mark den Schilling aufwerten“. Und Lanc: „Wenn sich die Gesamtvoraussetzungen ändern, dann können auch Dinge, aus denen jetzt ein Fetisch gemacht wird, wie die Ankoppelung des Schillings an die DM, geändert werden“. Zu einer Entkoppelung von der einseitigen Anbindung an den deutschen Markt gehöre allerdings auch, klagt Lanc ein, daß es zu einer besseren Streuung der Investoren komme. „Derzeit aber“, weiß der ehemalige Außenminister, „geht’s in die andere Richtung. Und ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich das für einen schweren Fehler halte“.

Der Versuch in Richtung einer grösseren Eigenständigkeit wäre gerade dann wichtig, wenn das „Unternehmen DDR“ gelingt und Deutschland dann unbestrittene Herrscherin über Europa ist. Denn das hätte, fürchten manche, auch Auswirkungen auf die Souveränität Österreichs: Aus dem ökonomisch angeschlossenen, politisch aber — wenigstens teilweise — selbständigen Satellitenstaat könnte neuerlich eine Provinz des Reiches werden.

Der bundesdeutsche Arzt und Ökonom Karl-Heinz Roth auf der „Nie wieder Deutschland“-Demonstration Mitte Mai in Frankfurt: „Die Geschichte besagt, daß die sozialen und politischen Folgeprobleme einer Annexion sich am effektivsten dadurch lösen lassen, daß weiter expandiert und annektiert wird“.

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