FORVM, No. 106
Oktober
1962

Hitlers Herkunft

Am 27. Oktober wird Alexander Lernet-Holenia 65 Jahre alt. Daß er eine unverwechselbar eigene Persönlichkeit von unverwechselbar österreichischer Prägung ist, einer der letzten großen Herren unter den deutsch schreibenden Autoren und einer der wenigen, die sich noch in sämtlichen literarischen Formen, im Roman wie im Drama, in der Lyrik wie im Essay, in der Novelle wie in der Polemik mit gleicher Kompetenz zu äußern wissen — daß er, kurzum, aus dem Bild unserer Literatur nicht wegzudenken ist: dies und vieles mehr werden an seinem Ehrentag viele andere feststellen. Wir vom FORVM dürfen uns mit der für uns besonders erfreulichen und besonders wertvollen Feststellung begnügen, daß Alexander Lernet-Holenia auch aus dem Bild dieser Zeitschrift nicht wegzudenken ist, der er seit ihrer Gründung angehört und an deren Gestaltung und Geltung er durch eine große Anzahl gewichtiger Beiträge — mögen sie nun Bewunderung oder Widerspruch hervorgerufen haben oder beides — entscheidend mitgewirkt hat.

Es ist allgemein zur Gewohnheit geworden, daß man den Nationalsozialismus, das Dritte Reich, Großdeutschland oder wie immer man jenes nicht eben vom Heile begünstigte politische Gebilde nennen will, ausschließlich nach den Jahren seines Untergangs, nach der Fülle seiner bis zuletzt verübten Greuel und nach dem Übermaße des Verderbens beurteilt, das zwar schon anfangs, vor allem aber am Ende noch von ihm herbeigeführt worden ist. Doch heißt dies nichts andres, als aus dem Todeskampf eines Geschöpfes auf sein ganzes Leben schließen und die Agonie eines wilden Tieres als Ursache der Ausschreitungen hinstellen zu wollen, die es schon seit jeher geübt. In Wirklichkeit nämlich sind die Anfänge des Dritten Reiches von seinem Ende so verschieden gewesen wie nur irgend etwas; von der mehr oder weniger umstrittenen Berechtigung seines Beginns bis zu seinem unbestreitbar berechtigten Untergang ist es unaufhaltsam fortgeschritten und hat zahllose voneinander ganz verschiedene Zustände durchlaufen; und in seiner unausgesetzten Entwicklung gibt es nicht die geringste Zeit des Stillstandes, ja nicht einmal einen Augenblick des Zurückschreckens vor dem unausweichlichen Verhängnis.

Seine Anfänge freilich waren so wenig geeignet, Schlüsse auf die unabsehbaren Folgen zu gestatten, die es nach sich ziehen sollte, wie sein ungeheures Ende auf die Kümmerlichkeit seines Anfangs schließen läßt. Wenn man nämlich nicht, wie Adolf Hitler selbst in den meisten seiner Reden, mit Adam und Eva beziehungsweise mit ihren nordischen Gegenstücken Ask und Embla anfangen, sondern sich ans Dokumentarische halten will, so begann die ganze Geschichte damit, daß eine gewisse Maria Schickelgruber, 42 Jahre alt, ledig, Tochter des Bauern Johann Schickelgruber auf dem Gehöft Nr. 1 zu Strones, einem Dorfe im österreichischen Waldviertel, und der Theresia, geborene Pfeisinger, Bauerntochter aus Dietreichs, am 7. Juni 1837 bei dem auf dem Gehöft Nr. 13, gleichfalls zu Strones, angesessenen Bauern Trummelschlager, dem sie als Magd diente, einem Kinde das Leben schenkte, dessen Vater unbekannt war, einem Knaben, der auf den Namen Alois getauft wurde; Alois Schickelgruber — dem Vater Adolf Hitlers.

Der Vorgang spielte sich im nördlichen Niederösterreich ab, in einer Gegend also, von welcher der Volksmund auch sonst nicht eben das beste zu melden weiß, etwa wenn er eine der dortselbst gelegenen Ortschaften Gaunersdorf nennt, oder von gewissen andern Ortschaften sagt:

Zu Oberleis, Au und Pühra
schaut’s Elend füra.

Zwar hatte Gaunersdorf, das — über Ansuchen seiner Bewohner — zur Zeit des Dritten Reiches auf den einigermaßen schwärmerischen Namen Gaweinstal umbenannt wurde, so wenig mit irgendwelchen Gaunern wie mit einem Gawein, sondern lediglich mit dem — in langen Zeitläuften allerdings entstellten — althochdeutschen Taufnamen eines Landnehmers von einst zu tun; und mit dem „Elend“, das zu Pühra, Au und Oberleis aus dem Boden hervorsieht, ist auch keinesfalls die blanke Not, sondern es sind damit lediglich die Reste gewisser Bauten des „Auslands“ gemeint, das ja ehedem das „Elend“ hieß, nämlich die zerbrochenen Ziegel und die Trümmer und Mauerreste römischer Kastelle, die, als Beobachtungsposten, weit über die Donau in das Land der Markomannen und Quaden vorgeschoben gewesen waren und dem Zwecke gedient hatten, die Legionen am Donaulimes, etwa die X. Gemina Pia Fidelis oder die XIV. Gemina Martia Victrix, durch Feuerzeichen von allfälligen Feindbewegungen zu unterrichten. Doch lag die Zeit, zu der das Weltreich bis hierher gereicht hatte, noch weiter zurück, als seine Derelikte von Strones und Dietreichs entfernt lagen. Aber etwas von Geringschätzung, Vernachlässigung und Trauer haftet auch dort noch allem an.

Weiter zurück jedenfalls als bis zu den obgenannten Personen und Daten läßt sich die Herkunft des Führers, zum mindesten mit einiger Gewißheit, nicht verfolgen, sie ist mehr oder weniger in Dunkel gehüllt, ja selbst das Dorf Strones, der Schauplatz jener verhängnisvollen Geburt, existiert nicht mehr, es wurde, auf Adolf Hitlers eigene Veranlassung, abgetragen, als man den Truppenübungsplatz von Döllersheim erweiterte, und dies ist umso merkwürdiger, als es am äußersten Rande des Truppenübungsplatzes gelegen gewesen war und mit der mindesten Mühe hätte erhalten werden können. Aber es ist dennoch demoliert und dem Boden gleichgemacht worden, „ausradiert“, wie’s der Führer mit den Städten seiner Gegner vorhatte, von der Artillerie vollständig zusammengeschossen, eine Kraterlandschaft; und wenn seine Bewohner, anderswo, auch neue Häuser und neuen Siedlungsraum sowie ein Album mit den schönsten Photographien des verschwundenen Dorfes erhielten, so ist es eben trotzdem fort, weg wie das Wissen um Adolf Hitlers wirkliche Herkunft.

Allein, es sollten sich ja, um des lieben Vorteils willen, nicht nur Leute mit ebenso kurzer Aszendenz wie der Führer selbst, sondern auch die Angehörigen von Häusern mit Stammbäumen, deren Länge der Tausendjährigkeit seines Reiches Konkurrenz machte, alsbald um die Wette drängen, ihm alle Ehrfurcht zu erweisen und seiner Partei, seinen Schutzstaffeln und Sturmabteilungen anzugehören.

Eigentliche Vornehmheit, so scheint es, hat also, ebenso wie eigentliche Unvornehmheit, mit dem Alter der Abstammung wenig oder nichts zu tun, und deshalb führen wohl auch die Ahnenforschungen, die durch das Dritte Reich in Mode gekommen sind, zu so wenig wirklichen Ergebnissen wie die schon so gut wie seit jeher praktizierten Kämmerer- und Maltesernachweise. Auf die Eltern der Kindesmutter jenes unehelichen Alois zum Beispiel, den Bauern Johann Schickelgruber und die Bauerntochter Theresia Pfeisinger, folgen wiederum nur Bauern und Bauerntöchter namens Pfeisinger und Schickelgruber, Hamberger und Reitterer, Sillip und Leidenfrost, Assfall und Ledermüller, von denen aber kein Mensch mehr weiß, was sie für Qualitäten, ja ob sie überhaupt irgendwelche Qualitäten gehabt haben; und wie weit es auf solche Art oder ob es damit gar bis in alle Ewigkeit weitergegangen, ist im Grunde ebenso gleichgiltig. Denn es bleibt in jedem Falle bei bloßen Pfeisingers und Assfalls, Ledermüllers und Schickelgrubers, und daran ändert sich auch nichts, ob sie nun auf den Gehöften Nr. 1 oder Nr. 13 zu Spital oder Strones, zu Refing oder Rotfahrn, zu Raabs oder in der hochgräflich Lamberg’schen Herrschaft Waldtreichs gesessen. Es sind Untertanen des Stiftes Zwettl oder der Johanniter-Kommende Mailberg und der Grafen von Noirquermes oder Althan, noch früher aber der Kuenringer, beziehungsweise irgendwelcher inzwischen längst verschollener Afterlehnsleute der Kuenringer gewesen, denen sie alljährlich so und so viele Malter Korns, die eine oder andre Henne und etliche Schock Eier zu liefern hatten und für die sie Frohndienst leisten mußten; und ähnlich wie mit diesen Bauern verhielt beziehungsweise verhält sich’s auch mit gut bürgerlichen oder gar patrizischen Familien, den sogenannten „Geschlechtern“, mochten sie nun Reichlin oder Schertlin, Welser oder Holzschuer geheißen haben: es folgten auch da immer wieder nur Handwerker und Händler, Ärzte und Schultheißen auf einander, die auf die Namen Holzschuer und Welser, Schertlin und Reichlin hörten. Zuletzt aber waren sie, allesamt, ja doch wieder bloß Bauern und Kleinhäusler, Keuschler, Hüttler oder Hitler gewesen, und selbst bei den vornehmsten Häusern geht’s nur einige Zeit mit einiger Vornehmheit zurück, denn dann folgen auch da wieder — oder es würden auch da, wenn man’s nur noch wüßte — bloß Bauern und Keuschler, Hüttler und Häusler folgen wie bei allen andern auch; und bis zu den germanischen Kriegern und Helden, Edelingen und Göttern, von denen wir angeblich alle stammen, sind die Brücken nicht mehr zu schlagen.

Es hatte also weder Adolf Hitler selbst noch hat irgend jemand anderer Grund, auf seine bäuerliche Herkunft sonderlich stolz zu sein, beziehungsweise sich ihrer zu schämen. Denn die meisten, ja die allermeisten Familien sind nun einmal von keinem vornehmeren Herkommen als der Führer, aber es ist auch kaum jemand noch unvornehmer als sein Nächster; und ebenso alltäglich und landläufig, das heißt weder wesentlich besser als die Zahllosen, die sich von Hitler bedingungslos befehligen und umherjagen ließen, noch wesentlich schlechter als all die Generale und sonstigen Würdenträger, die sich nicht entblödeten, zuerst alle möglichen Ämter und Auszeichnungen von jenem Gefreiten anzunehmen — um ihn dann zu verraten und allerhand Anschläge gegen ihn zu planen, wenn nicht gar wirklich zu versuchen, war auch das uneheliche Kind, das schließlich der Vater des Führers werden sollte; weswegen man ihm denn später auch, sei’s in guter, sei’s in böser Absicht, eine weit interessantere Provenienz als seine wirkliche glaubte andichten zu müssen.

Man behauptete nämlich, die Schickelgruber habe ihren ledigen Sohn aus keinem geringeren Hause als aus dem der Rothschilds hergehabt, bei denen sie in Diensten gestanden.

Als Kindesvater wäre damals nur der Freiherr Anselm, Mitglied des Österreichischen Herrenhauses auf Lebenszeit, das heißt bis zu seinem am 27. Juli 1874 erfolgten Hintritt, in Frage gekommen, ja um die Zeit von Alois Schickelgrubers Geburt hätte sich der Baron Anselm sogar im allerbesten Mannesalter befunden, so daß die Schwängerung einer — wie sich sein präsumptiver Enkel später etwas pleonastisch ausgedrückt hätte — arischen Volksgenossin keine Affäre für ihn gewesen wäre; und vor allem bei der zweifellos auch ihm selbst innewohnenden, den Juden seitens der Nationalsozialisten strikt nachgewiesenen, fast unbegrenzten Sinnlichkeit hätte man ihm dergleichen auch gewiß zutrauen können. Nicht zuzutrauen hingegen dürfte ihm wohl gewesen sein, daß er, um diese Absicht oder dieses Malheur ins Werk zu setzen, niemand anziehenderen zu finden gewußt haben sollte als die zweiundvierzigjährige Bauernmagd aus dem Waldviertel. Das wäre denn doch allzu provinziell, um nicht zu sagen völkisch, gedacht; womit das lebenslängliche Herrenhausmitglied, als Großvater des Führers, füglich ausscheidet.

Vielmehr dürfte diese ganze Behauptung nur die Variante einer andern Sage beziehungsweise die Folgerung aus einem Gemunkel sein, wonach eine Verwandte Hitlers bei den Rothschilds Köchin gewesen wäre und sich noch zur Zeit, da der Führer schon Reichskanzler gewesen, dortselbst in ihrer wenngleich bescheidenen Stellung ebenso wohlbefunden wie abfällig über ihn geäußert hätte. Aber die Frauen der inzwischen verstorbenen Brüder Alphonse und Louis Rothschild, die als Dienstgeberinnen jener Köchin in Frage gekommen wären, haben eines solchen — für ihre verblichenen Gatten immerhin nicht ganz bedeutungslosen Faktums — nie Erwähnung getan, und überhaupt weist schon der Umstand, daß es sich bei dergleichen Geschichten stets um die Rothschilds höchst persönlich handeln mußte, das heißt, daß irgendwelche andere reiche Häuser wie etwa die Foulds und Montefiores, die Thorsch und Porges, die Portheims und Meyers den Kolporteuren schon viel zu minder gewesen wären, um ihre Theorien darauf zu gründen, auf die Unstichhältigkeit solcher Berichte hin. Denn es sollte dabei eben bloß herauskommen, daß Hitlers Verwandtschaft weit anständiger gewesen sei als er selber und daß sie von ihm nicht den mindesten Vorteil ziehen, ja überhaupt nichts mit ihm zu tun haben wollte. Mit Gewißheit trifft dies allerdings auf einen Halbbruder des Führers, einen gewissen Alois Hitler zu, der am Wittenbergplatz in Berlin ruhig ein von ihm noch in der scheußlichen Systemzeit übernommenes Restaurant weiterbetrieb, während Adolf Hitler, nicht weit davon in der Reichskanzlei, bereits mit der Ausdehnung Großdeutschlands beschäftigt war; und ebensowenig Nutzen hatte von ihm einer seiner Neffen, ein gewisser Gottfried Hittler, der am 5. März 1942 im Felde ins Gras beißen mußte und dessen Name auf dem Mahnmal der Hitler’schen Heimatgemeinde Spital bei Weitra eingegraben ist, während sonst alle Spuren der Hitler, selbst die Gräber, auf das sorgfältigste aus dem Kirchhofe entfernt beziehungsweise verwischt sind.

Jedenfalls hatte man sich, als die Sache mit Anselm Rothschild geplatzt war, nach einem bescheideneren nichtarischen Großvater des Führers umzusehen und entdeckte denselben denn auch richtig im Sohne einer Familie Frankenberger in Graz, bei der Maria Schickelgruber gleichfalls in Diensten gestanden; und dort, in jenem kleinbürgerlichen Milieu, sei sie von jenem temperamentvollen jungen Israeliten — so sagt man — tatsächlich in andre Umstände versetzt und dann in ihre Heimatgemeinde nach Strones abgeschoben worden, woselbst sie den Alois Schickelgruber zur Welt gebracht, für den der alte Frankenberger volle vierzehn Jahre lang Alimente gezahlt habe. Aber auch in dieser Hinsicht hat sich nichts Bestimmtes erweisen lassen; und ebenso ungewiß ist es, ob Alois Schickelgruber wirklich der Sohn eines wandernden Müllergesellen namens Georg Hiedler gewesen sei, den die Maria Schickelgruber, anläßlich der Taufe des Kindes, als Vater angegeben und am 10. Mai 1842, fast fünf Jahre also nach der Geburt ihres unehelichen Sohnes, geheiratet hat. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Bruder jenes Müllers, dessen Lust das Wandern war, ein gewisser Johann Hiedler, Bauer zu Spital bei Weitra, den Pfarrer von Döllersheim, wo Georg Hiedler und Maria Schickelgruber geheiratet hatten, im Jahre 1876 bewog, den Namen des damals schon vierzigjährigen Alois Schickelgruber in den Standesregistern auf Alois Hittler umzuschreiben. Zu diesem Zwecke nämlich brachte er zwar drei Zeugen aus seiner Verwandtschaft mit, die allesamt aussagten, Alois Schickelgruber sei Georg Hiedlers Sohn. Aber erstens war die Sache damals, wie schon gesagt, bereits vier Jahrzehnte her, und zweitens hatte wohl auch kaum einer der drei Zeugen dem Liebespaare die Kerze gehalten.

Kurzum, irgendeinen Vater wird Alois Hitler ja gehabt haben, aber ehelich war der Sohn keinesfalls, weshalb es uns denn auch ziemlich gleichgiltig sein kann, ob sich die Hitler, Hiedler, Hüttler oder Hydler und ihre Verwandten, die Haubner und Koller, die Capeller und Lauterbeck bis ins 15. Jahrhundert, wie später triumphierend verkündet werden sollte, zurück verfolgen lassen oder nicht, und ob sie zu Walterschlag, Stierberg, Reinpolten, Mannshalm, Kühbach oder in irgendwelchen andern Nestern des Waldviertels gesessen. Jüdisch jedoch sahen weder Alois noch Adolf Hitler aus, obwohl sie, zur größten Erheiterung ihrer Gegner, verschiedene Pollacks in der Ahnentafel hatten — doch waren auch das, Gott sei’s geklagt, keine Juden, sondern christliche Bauern in Ober-Windhag gewesen. Die Hitler muteten vielmehr durchaus arisch-vulgär an, und so wird denn wohl auch des Führers Abkunft von diesem oder jenem sei’s nun bekannten, sei’s unbekannt gebliebenen Niederösterreicher mit stark slawischem Einschlag — wie zum Beispiel von eben jenen Pollacks, die gewiß bloß so hießen, weil sie aus der Polakei gekommen sein mögen — kaum zu bezweifeln sein; was ihm denn auch, von seiten Hindenburgs, den Beinamen eines „böhmischen Gefreiten“ eingetragen hat.

Aber auch viele unserer besten Familien stammen ja aus Niederösterreich und haben einen stark böhmischen Einschlag.

Georg und Maria Hiedler hatten zu Strones in den kümmerlichsten Verhältnissen gelebt, ja zuletzt soll ihnen nichts besseres als ein Viehtrog zur Schlafstätte gedient haben. Die Behauptung vom proletarischen Milieu seiner Eltern, dessen sich Adolf Hitler späterhin, aus propagandistischen Gründen, rühmen sollte, traf also, wie wir alsbald erfahren werden, zwar nicht auf diese seine Eltern selbst, wohl aber auf seine Großeltern zu. Doch kam Alois Schickelgruber, als seine Mutter, 1847, an der Auszehrung starb, alsbald in geregeltere Verhältnisse, nämlich zu seinem — nunmehr zumindest angeheirateten — Onkel, dem Bauern Johann Hiedler, nach Spital bei Weitra, woselbst er das Schusterhandwerk zu erlernen begann, während sein präsumptiver Vater, der Landstreicher Georg Hiedler, noch bis 1857 in Strones, Klein-Motten und zuletzt auch wieder in Spital weiterlebte oder vielmehr dahinvegetierte. Schon 1855 aber hatte Alois Schickelgruber die Schusterei wieder aufgegeben und war der kaiserlich-königlichen Finanzwache beigetreten; und da er sich durch Gewissenhaftigkeit und Tüchtigkeit auszeichnete, welche beiden Tugenden er gewißlich nicht von dem arbeitsscheuen, liederlichen Georg Hiedler herhatte, so begann er, im Zolldienst Karriere zu machen, ja am Ende sollte er’s sogar zum Zollamtsoberoffizial bringen, wie die komplizierte Bezeichnung seiner Funktion seitens des österreichischen Staates lautete, der, unter anderm, auch ein mehrere hundert Seiten starkes Verzeichnis mit lauter derlei Ausdrücken zum Gebrauch für die Ämter herausgegeben hatte und später sogar nicht davor zurückschrecken sollte, selbst einem Georg Trakl den Titel eines Militärmedikamentenakzessisten anzuhängen; und durch Heirat und Erbschaft kam Alois Schickelgruber auch sonst zu einigem Wohlstand.

Im übrigen aber war er ein typischer sogenannter Deutschnationaler, das heißt, daß er wie damals fast alle Österreicher mit Ausnahme der überständigsten Elemente, in Opposition nicht nur zur Abgespaltenheit Österreichs vom deutschen Mutterlande, sondern auch zu den übernationalen, das heißt antinationalen Tendenzen, zum überholten Konservatiismus und zur ergebungsvollen Religiosität des Herrscherhauses stand; und es gehörte mit zur Deutschnationalität, einen — auch von Alois Schickelgruber geteilten — Hang für Gesangsvereine, Wirtshäuser und Kellnerinnen zu haben, das heißt für Wein, Weib und Gesang und, insbesondere an den langen Winterabenden in der Provinz, auch für den alldeutschen Reichsratsabgeordneten Georg von Schönerer zu schwärmen.

Dieser Schönerer stammte gleichfalls aus der Hitler’schen Gegend, das heißt er war, bevor er sich dem Unfuge der Politik hingegeben hatte, ein Gutsbesitzer im Waldviertel gewesen; und für ihn hatte Adolf Hitlers Vater ganz ebenso geschwärmt, wie später auch andre Gutsbesitzer aus dem Waldviertel, die von Weitra nämlich, für Alois Hitlers Sohn schwärmen sollten, wahrscheinlich weil sie nicht nur den im Dorfe Spital wieder seßhaft gewordenen Vagabunden Georg Hiedler selbst, sondern auch dessen angeblichen Nachkommen aus seiner mit Maria Schickelgruber gegründeten Menage ständig vor Augen gehabt hatten. Denn wenngleich der Chef des großen Hauses, welches Weitra besaß, die beachtlichsten Titel führte, war er dennoch ein so begeisterter Anhänger des Führers, daß er, als man ihn, ebendeshalb, im Jahre 1945 in das Korrektionslager der Amerikaner zu Glasenbach bei Salzburg steckte, auf Grund seiner Kenntnisse in der Landwirtschaft die Schweine zu hüten bekam; weswegen er denn dann auch ganz allgemein Eumaios genannt wurde.

Wir aber halten derlei Spott für übel angebracht. Denn wenn der Nationalsozialismus überhaupt zu etwas gut war, so war er’s dazu, daß er seine Anhänger nicht nur charakterlich auf das gleiche Hochziel ausrichtete, sondern, eben dadurch, auch alle Arten von Rang- und Standesunterschieden zwischen ihnen so gut wie ganz aufhob.

Der Finanzer — nicht Financier — Alois Schickelgruber verehelichte sich dreimal, und wenngleich er außerdem auch noch uneheliche Nachkommenschaft hatte, so sollte seine erste Ehe kinderlos bleiben. Nach der Trennung von dieser seiner — nebenbei bemerkt auch viel älteren — Gattin heiratete er dann aber eins seiner deutschnationalen Ideale, nämlich eine junge Kellnerin namens Franziska Matzelsberger, mit der er, vorher schon, ein Verhältnis gehabt, und hatte mit ihr drei Kinder: einen noch vor der Eheschließung seiner Eltern geborenen Sohn Alois, den wir als Restaurateur vom Wittenbergplatz bereits kennen und der, seinerseits, wiederum eine Irländerin heiraten und allerhand Nachkommenschaft haben sollte, unter anderm auch einen Sohn William Patrick Hitler, der sich durch geheimnisvolle Anspielungen auf die — angeblich — jüdische Herkunft seiner Familie einen Namen machte; und dann hatten die Schickelgrubers auch noch eine Tochter Angela. Franziska Matzelsberger aber starb früh; und nun heiratete Alois Schickelgruber zum dritten Male, und zwar seine mutmaßliche oder zumindest angebliche Nichte, die damals fünfundzwanzigjährige Klara Pölzl.

Sie war die Tochter des Bauern Johann Pölzl aus Spital Nr. 37, welches Gehöft, in die Hügelhänge schon halb versunken, am Nordende des Dorfes und dem Hause Nr. 36, dem Georg und Johann Hiedler entstammten, unmittelbar benachbart lag, beziehungsweise immer noch liegt; und nicht nur das: auch Klara Pölzls Mutter stammte aus dem Hause Nr. 36, denn sie hieß Johanna Hüttler und war Johann Hüttlers oder Hiedlers Tochter. Johann selbst aber war der Sohn des Bauern Martin Hiedler, gleichfalls aus Spital Nr. 36, und der Maria Göschl aus Walterschlag. Kurzum, wenn Alois Schickelgruber wirklich Georg Hiedlers Sohn war, so war Klara Pölzl Johann Hiedlers Enkelin oder, wie schon gesagt, Alois Schickelgrubers Nichte; weswegen die beiden denn auch zur Eheschließung eines kirchlichen Dispenses bedurften.

Überdies aber verlangte Klara Pölzls Mutter, Johanna Pölzl, geborene Hüttler, auch noch die Namensänderung ihres Schwiegersohnes aus Schickelgruber in Hüttler, allerdings nicht etwa, weil ihr der Name Schickelgruber nicht gut genug gefallen hätte, sondern damit man allgemein wisse, daß die Erbschaft, die Klara Pölzl nach ihr machen sollte, eine Hitler’sche Erbschaft sei. Ja sie nahm diese Sache sogar so wichtig, daß sie eine darauf bezügliche Klausel in ihr Testament setzte; und dies war auch der Grund gewesen, aus welchem Johann Hiedler mit seinen drei Zeugen beim Pfarrer von Döllersheim erschienen war und seines Neffen Namensänderung in den Standesregistern verlangt hatte. Weil sich sein vazierender Bruder jedoch Hiedler geschrieben hatte und die Brautmutter sich Hüttler schrieb, so wählte der Pfarrer gleichsam den goldenen Mittelweg und nannte den Zollbeamten Alois Schickelgruber Alois Hittler, welchen Namen sein berühmter Sohn dann über Hietler mählich in Hitler wandeln sollte.

So belanglos aber diese Vorgänge im finstersten Waldviertel auch scheinen mögen, weil dadurch nichts weiter geschah, als daß eine Bäuerin die Provenienz ihrer Hinterlassenschaft gleichsam mit ihrem Geburtsnamen abstempelte, so sollten sie doch zu weltweiter Bedeutung erwachsen. Denn „Heil Schickelgruber!“ zu rufen, wäre dem deutschen Volke nicht oder doch nur nach Überwindung zahlreicher geschmacklicher Hemmungen möglich gewesen. Weil es jedoch „Heil Hitler!“ rufen konnte, erfuhr die nationalsozialistische Bewegung einen Auftrieb ohnegleichen.

Jedenfalls wurde Adolf Hitler, auch wenn er väterlicherseits gar kein wirklicher Hitler gewesen wäre, nun nicht nur durch die Namensumschreibung seitens des Pfarrers von Döllersheim, sondern auch durch seines Vaters dritte Eheschließung, zumindest von der Großmutter her, etwas wie ein wirklicher Hitler. Denn aus Alois Hittlers Ehe mit Klara Pölzl gingen sechs Kinder hervor, von denen zwar viere früh starben, zweie jedoch am Leben blieben. Es waren dies: eine Tochter Paula, später verehelichte Wolf, und diese oder ihre Halbschwester Angela könnten in der Tat Köchinnen bei den Rothschilds gewesen sein; und ein am 20. April 1889 zu Braunau am Inn, wo der Zollbeamte damals Dienst tat, in der Vorstadt Nr. 219, Gasthof zum Pommer, geborener Sohn, der spätere Führer und Reichskanzler.

Ist es nun aber denkbar, daß ein so großer Astronom oder Astrolog und Prophet wie Nostradamus, dessen Gedanken ganz auf die Umwälzungen der Gestirne gerichtet waren und dessen Visionen die Schicksale der Könige und Länder, ja der ganzen Welt betrafen, diese in der kleinbürgerlichsten Sphäre erfolgte Geburt tatsächlich, über Jahrhunderte, vorausgesehen und die sich daraus ergebenden Ereignisse als unausweichlich erkannt haben sollte? Die Verse jedenfalls, von denen man glaubt, daß sie sich darauf bezögen, lauten, übersetzt und auch schon einigermaßen kommentiert, etwa wie folgt:

Am Rheinstrome der Norischen Alpen, das heißt am Inn, wird ein Gewaltiger aus dem gemeinen Volke geboren werden, jedoch zu spät kommen, um seine Sendung auch wirklich erfüllen zu können. Er wird den Kampf um Sarmatien, das heißt um Polen, und um Pannonien, das heißt um das ungarische Gebiet, kurz um den sogenannten Ostraum verzweifelt führen, und am Ende wird man nicht wissen, was aus ihm geworden sein wird, das heißt, sein Ende wird in Dunkel gehüllt und von unbestimmten Behauptungen umwittert sein.

Trifft dies nicht auf Adolf Hitler zu? Französisch jedenfalls lauten die Verse:

Aupres du Rhin des montagnes Noriques
Naistra un Grand de gens trop tard venu,
Qui deffendra Saurome et Pannoniques,
Qu’on ne scaura qu’il sera devenu.
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