ZOOM 2/1998
Mai
1998

Hingerichtete Wehrmachtsdeserteure rehabilitiert

Bereits Ende letzten Jahres sind in Deutschland zwei Todesurteile gegen Kriegsdienstverweigerer der Deut­schen Wehrmacht aufgeho­ben worden.

Hermann Stöhr, geboren 1898, nahm als Kriegsfreiwil­liger am Ersten Weltkrieg teil. Aufgrund seiner Kriegserleb­nisse begann er, sich pazifi­stisch zu engagieren, unter an­derem beim Internationalen Versöhnungsbund. Anfang März 1939 verweigerte er die Einberufung zur Wehrmacht und wurde am 31. August des Jahres, einen Tag vor Aus­bruch des Zweiten Weltkriegs, verhaftet. Im Gefängnis ver­weigerte er den „Führereid“ und wurde deswegen vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Am 21.6.1940 wur­de Stöhr enthauptet, als erster Kriegsdienstverweigerer, der von der nazionalsozialistischen Justiz hingerichtet wurde.

Anfang Dezember 1997 hob das Berliner Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft und aufgrund des Ber­liner Gesetzes zur Wieder­gutmachung nationalsoziali­stischen Unrechts aus dem Jahr 1951 das Todesurteil ge­gen Stöhr auf. Unter Hinweis auf die ein halbes Jahr zuvor erfolgte Aufhebung des Ur­teils gegen Franz Jägerstätter kommt das Gericht zu dem Schluß, daß die Verurteilung aus rein politischen Gründen erfolgte. Mit dem Todesurteil gegen Stöhr „war die Abschreckung der Gegner des Nationalsozialismus generell und speziell derjenigen ge­wollt, die aus christlich be­dingten Gründen als Gegner des Nationalsozialismus den aktiven Wehrdienst verweigert haben“. Klarer noch als im Jägerstätter-Erkenntnis und un­ter Hinweis auf die For­schungsergebnisse von Man­fred Messerschmidt, Norbert Haase und anderen hält das Gericht fest, daß die Wehr­machtsjustiz insgesamt keine unabhängige Justiz war, „da die politische und militärische Führung unmittelbar auf die Praxis der Wehrmachtsjustiz einschließlich des Reichskriegsgerichts Einfluß nehmen konnte“. Zur Beurteilung der Wehrdienstverweigerung un­ter dem Nationalsozialismus seien generell die heutigen Gesetze, also insbesondere das Zivildienstgesetz, anzu­wenden. Da Hermann Stöhr mehrfach seine Bereitschaft bekundet hatte, anstelle des Dienstes mit der Waffe einen Arbeitsdienst zu leisten, war seine Verurteilung schon des­wegen rechtswidrig.
Mittlerweile ist auch ein Platz am Berliner Haupt­bahnhof nach Stöhr benannt. Auf ihm steht das erste Denkmal Deutschlands, mit welchem ein hingerichteter Kriegsdienstverweigerer ge­ehrt wird.

Ebenfalls auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Kölner Landgericht das Todesurteil gegen den Marinesoldaten Rainer Beck aufgehoben. Am Tage von Becks Hinrichtung war der Krieg bereits fünf Tage zu Ende. Der Maschinenmaat war En­de 1944 aus Angst, als soge­nannter „Halbjude“ in Deutschland hingerichtet zu werden, von einem Einsatz in den Niederlanden nicht zurückgekeht. Das Landge­richt begründete die nun­mehrige Urteilsaufhebung damit, daß sich Beck bei sei­ner Fahnenflucht „in einem Notstand befunden“ habe. Er habe die Gefahr für sein Leben „ausschließlich durch seine Flucht aus der Marine abwenden können“. Für die Aufhebung des Todesurteils hatten sich jahrelang Dozen­ten und Studenten der evangelischen Fachhochschule Hannover eingesetzt.

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