MOZ, Nummer 55
September
1990
Kino

Heimatfilm — modern

„Nichts mit Verlogenheit und der Illusion einer heilen Welt auf dem Lande“ will Regisseur Wolfram Paulus zu tun haben, dessen neuer Film „Die Ministranten“ am 21. August in Tamsweg Premiere hatte.

Dreharbeiten zu „Die Ministranten“

„Ich bin kein Revolutionär und will auch keine neue Philosophie erfinden, sondern einfach Geschichten erzählen, die mich betroffen machen“, betont der Salzburger Filmemacher Wolfram Paulus. Die Darstellung einer einfachen Alltagswelt ohne Sensationen ist ein Charakteristikum seines Filmschaffens. Auch in „Die Ministranten“ bleibt Österreichs größte Filmhoffnung seiner Linie treu. In diesem am stäksten autobiographisch gefärbten Film versetzt sich Paulus in seine Kindheit zurück und zeigt eine heile, ländliche Idylle.

Der Film spielt Ende der fünfziger Jahre. Ort der Handlung ist Tamsweg, ein Dorf, in dem Tradition noch Alltag ist, in dem die jugendlichen Helden ihr einfaches Leben führen, ihre Kämpfe ausfechten, Banden gründen und Ministrantendienst versehen, Freundschaften knüpfen und wieder lösen.

„Mit den Ministranten mache ich ganz dezidiert einen Film mit Kindern zwischen 8 und 14 Jahren“, sagt Regisseur Paulus, „die Erwachsenen kommen darin fast nicht vor. Ich erzähle speziell aus der Sicht des Pauli. Der bin ich selbst bis zu einem gewissen Grad, schließlich war ich auch selber Ministrant.“

Behutsam ermöglicht Paulus seinen Zuschauern, Einsicht in das Milieu einer Region zu bekommen und versucht, deren Stimmung und Mentalität auf der Leinwand wiederzugeben. Doch ist die dargestellte Kinderwelt nur scheinbar idyllisch. Dahinter verbirgt sich, wie der Untertitel des Films auch ankündigt, eine bittere Kritik am „Hinmorden der heimischen Kultur und Tradition“ durch den Massentourismus. Leben und Gemeinschaft in diesem Dorf laufen Gefahr, von der amerikanischen Kolonialisierung weggefegt zu werden — eine Entwicklung, der der Salzburger Filmemacher mit deutlicher Skepsis gegenübersteht. Wolfram Paulus ist ein guter Beobachter. Mit seinen Filmen — ob in Schwarzweiß oder Farbe — gelingt es ihm, seine Zuschauer auf Details neugierig zu machen. Der banalste Teil einer Alltagssituation wird bei ihm zum Schlüssel, zur Lösung einer Frage. „Ich versuche immer wieder, intensiv zu schauen, intensiv zu beobachten.“ Daher rührt auch die Einfachheit seiner Geschichten — ein Realismus, der wegen seiner einmaligen Schlichtheit unter die Haut geht.

Paulus produziert seine Filme stets in der engsten heimischen Umgebung. Immer wieder wendet er sich darin dem einfachen Volk zu und versteht es, es ernst zu nehmen und ihm auch Probleme zuzugestehen. Wolfram Paulus zieht es vor, mit Laien zu drehen, denn sie brauchen keine Verstellungskunst, weil sie im Grunde sich selbst spielen können. Sie agieren in einer Geschichte, die mit ihrer Welt zu tun hat, mit der sie vertraut sind und die sie kennen. Es handelt sich dabei aber auf keinen Fall um „Schönwetter-Einheimische“, die von der Leinwand grinsen und das Klischeebild eines schönen Landlebens verkörpern. Statt Klamauk und falschem Schein geht es dem Regisseur um die Zeichnung eines Bildes, das „näher an der Lebenswirklichkeit liegt“. Somit bleibt in seinen Filmen eine Form von Natürlichkeit bewahrt, mit der er die kommerzgeknechtete Gesellschaft von innen her für seine Sichtweisen öffnen will. Der andere Blick auf das, wo man wohnt, ist für ihn ein wichtiges Anliegen. „Ob mir die filmische Umsetzung meiner Ideen aber auch wirklich so gelungen ist, wie ich sie mir vorgestellt habe, wird ja die endgültige Fassung der Ministranten zeigen“, meint er. In einem Land, in dem der Spielfilm ein Schattendasein führt, bildet der nun 33 Jahre alte Regisseur eine ruhmreiche Ausnahme. Seine wenigen Kurz- und Langfilme haben einen neuen Ton, eine neue Färbung ins heimische Kino gebracht. Sie sind Heimatfilme moderner Art. Ohne provinziell zu sein, haben sie eine filmische Form und stilistische Notwendigkeit gefunden, die für Österreich eine große Hoffnung bedeuten könnte.

Wolfram Paulus, 1957 in Großarl geboren, kam sehr früh mit dem Medium Film in Berührung. Fast jeden Abend lockte ihn das kleine Kino im Ort und machte ihn beinahe ‚kinosüchtig‘. Sein Vater ist ein leidenschaftlicher Hobby-Dokumentarfilmer. Während seine Feunde draußen spielen, sitzt der Junge am Schreibtisch und dokumentiert, was sich im Ort abspielt. Bereits im Alter von 15 Jahren verfilmt er mit einer Super-Acht-Kamera Jaques Preverts Gedicht „Botschaft“.

1977 übersiedelt er schließlich in die Filmmetropole München und studiert dort Film. Kleine Förderungspreise für seine Übungsfilme („Der Houng“, „Kommen und gehen“, „Wochenend“) verschaffen ihm erste Anerkennung. Langsam wird man auf den eigenwilligen Pongauer Filmemacher auch in der Bundesrepublik aufmerksam. Sein erster Kino-Spielfilm „Heidenlöcher“ entsteht 1985 und bringt ihm neben verschiedenen Auszeichnungen (Bayrischer Filmpreis für die beste Nachwuchsregie, Bundesfilmpreis für Kamera und Regie und den Wiener Filmpreis) auch internationalen Erfolg ein.

Kaum zwei Jahre danach dreht er „Nachsaison“, eine Geschichte, die vom Masseur Lenz erzählt, der zwischen den verfallenen Hotels des ehemaligen Nobelkurorts Bad Gastein zwischen Saisonarbeit und dunklen Geschäften ums Leben kämpfen muß.

Den Kampf ums Leben kennt Wolfram Paulus nur zu gut. Im beinharten Filmgeschäft ist es nahezu bewundernswert, daß es der ‚Provinzler‘ nun bereits zum dritten Mal geschafft hat, Millionenbeträge für die Dreharbeiten zu den Ministranten aus diversen Kassen zusammenzukratzen. Daß seine Filme aber keine Kassenschlager wurden, kann den Filmemacher nicht entmutigen. Im Gegenteil, er bleibt bei seiner Geradlinigkeit. Beim Drehen grübelt der Regisseur ständig darüber nach, ob ihm die Umsetzung seiner „Bilder im Kopf“ auf die Filmleinwand auch wirklich gelingt. Selbst am Schneidetisch ist er dabei, er will vom ersten Blick bis zum letzten Schnitt möglichst viel selbst im Griff haben. Jetzt, nachdem er die letzten Arbeiten zu den Ministranten beendet hat, steckt er bereits mitten in den Vorbereitungsarbeiten für sein nächstes Filmprojekt Es handelt sich dabei um eine Situationsgeschichte mit dem Arbeitstitel „Fahrt in die Hauptstadt“ und erzählt von der Fahrt dreier Menschen in die ‚Kulturmetropole‘ Salzburg. Der Film endet schließlich damit, daß eine dieser Personen, eine Autoanhalterin, am Schluß in den Orientexpress steigt, weil sie nach Paris versetzt wird. Mit diesem Werk, das frühestens im Sommer 1991 gedreht werden soll, will der Regisseur voraussichtlich seine Salzburg-Filmreihe abschließen. Erst danach will sich Paulus über seine unmittelbare Umgebung hinauswagen. Über einen Mangel an Ideen kann er jedenfalls nicht klagen.

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