Heft 2/2000
April
2000

Globalisierter Konkurrenzkapitalismus

Was zeichnet die aktuelle Entwicklung von Geld, Kredit und Krise aus? Und was kann die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zur Erklärung der Globalisierung beitragen?

In der Rückschau betrachtet, scheinen die 90er Jahre das Jahrzehnt der Geld- und Währungskrisen gewesen zu sein. Die Pfundkrise brachte nicht nur das Europäische Währungssystem zum Beinahe-Einsturz, sie verhalf auch dem Spekulanten Georges Soros zu Milliardengewinnen, Geld mit dem die Soros-Stiftung den Menschen in Osteuropa nun die Grundwerte von Demokratie und Kapitalismus nahe bringt. Die Asienkrise, ausgelöst vom Kurssturz des thailändischen Baht, nahm den ostasiatischen „Tigern“ den Nimbus des unaufhaltsamen Aufstiegs und ermöglichte den westlichen Konzernen anschließend den billigen Einstieg in deren Ökonomie. Für Währungskrisen waren in den 90ern auch Brasilien und Rußland gut. Und seit Anfang des Jahrzehnts boomen scheinbar unaufhörlich die Aktienmärkte, obgleich immer wieder vor dem ganz großen Crash gewarnt wird, der nicht nur die Aktienmärkte, sondern auch ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund reißen soll.

Marx und die Neoklassik

Zur Entwicklung der Finanzmärkte und ihrer Krisen hat die herrschende ökonomische Theorie, die Neoklassik, auffallend wenig zu sagen. Die theoretisch orientierten Beiträge bleiben dürftig, da von einer strikten Trennung von „Realsphäre“ (dort wird produziert, werden Grenzerträge gegeneinander abgewogen etc.) und „Geldsphäre“ ausgegangen wird. Geld erscheint in dieser Perspektive bloß als ein praktisches Rechenmittel, das allenfalls als kurzfristiger Störfaktor in die Realsphäre hineinwirken kann. Das Finanzsystem gilt als bloßer Überbau der eigentlichen, der „realen“ Ökonomie. Die theoretische Leere macht sich dann auch im Schwanken der neoklassisch inspirierten Politikempfehlungen geltend. Galt bis vor wenigen Jahren noch die Entfesselung der Marktkräfte und die möglichst weitgehende Deregulierung des Finanzsystems als Wunderkur gegen sämtliche Krisen, hat sich der Wind inzwischen gedreht. Selbst IWF-Kreise fordern inzwischen wieder eine stärkere Regulierung der Kapitalmärkte, eine verbesserte Bankenaufsicht und anderes.

Der gewachsenen Bedeutung, die die Finanzmärkte in den 90er Jahren erhalten haben, scheint auch die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie hilflos gegenüberzustehen. In einer weit verbreiteten „traditionellen“ Lesart spielt in der Marxschen Theorie — ebenso wie in der Neoklassik — das Geld gegenüber der Realsphäre nur eine untergeordnete Rolle. In dieser Lesart, die vor allem den Marxismus der klassischen Arbeiterbewegung dominierte, steht im Vordergrund, was den Wert der Waren bestimmt (Arbeit oder Nutzen) und wie sich der Profit des Kapitals erklären läßt: als quasi natürlicher Ertrag des „Produktionsfaktors“ Kapital oder als Resultat von „Ausbeutung“. Indem gezeigt wird, daß der Wert der Waren auf der zu ihrer Produktion notwendigen Arbeitszeit beruht und daß die Arbeiter und Arbeiterinnen im Lohn zwar die Reproduktionskosten der von ihnen verkauften Ware Arbeitskraft, aber eben nur einen Teil des von ihnen produzierten Werts erhalten, sind für diese Lesart der Marxschen Theorie schon die wichtigsten Ergebnisse erreicht. Der unauflösbare Antagonismus von Bourgeoisie und Proletariat ist nachgewiesen. Was die Entwicklungsdynamik des Kapitalismus angeht, so begnügt sich diese Sicht der Dinge damit, den Zwang zu beständiger Produktivkraftsteigerung und Kapitalakkumulation herauszustellen, was immer wieder zu Krisen und schließlich zum Fall der Profitrate führen soll (da relativ zu den Arbeitskräften, die allein den Mehrwert produzieren, immer mehr Kapital für teure Maschinerie benötigt wird, um die Produktivkraft der Arbeit zu steigern). Insbesondere letzteres wurde häufig als Tendenz zu einem ökonomischen Zusammenbruch des Kapitalismus interpretiert.

Obwohl es im Marxschen Kapital genügend Aussagen gibt, die ein solch simples Kapitalismusbild stützen, geht diese traditionelle Lesart an der Komplexität der Marxschen Wertformanalyse und der Theorie des Warenfetischs vorbei, die dementsprechend auch beide weitgehend ignoriert wurden. Gerade in diesen Abschnitten wird nämlich deutlich, daß es bei der Marxschen „Arbeitswerttheorie“ nicht darum geht, daß Arbeitsquanten, die allein schon aufgrund der Produktionsbedingungen fix und fertig bestimmt sind, den Wert einer Ware bestimmen, der dann nachträglich bloß noch in einem Geldpreis ausgedrückt wird. Die Pointe der Wertformanalyse, bei der Marx nachzuweisen versucht, daß der Wert eine spezifische Wertform notwendig macht, besteht gerade darin, daß der Warenwert nicht unabhängig oder zeitlich vor der im Austausch stattfindenden Verwandlung von Ware in Geld zu bekommen ist. Insofern kann man davon sprechen, daß es sich bei der Marxschen Arbeitswerttheorie um eine „monetäre“ Werttheorie handelt (im Gegensatz zur „prämonetären“ Arbeitswerttheorie der klassischen politischen Ökonomie oder zur „prämonetären“ Grenznutzentheorie der Neoklassik). [1] Produktion und Zirkulation sind daher ganz anders verschränkt, als es sich die prämonetären Theorien, sowohl der „traditionellen“ Marx-Lesart als auch der bürgerlichen Ökonomie, vorstellen.

Begreift die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie Geld somit als weit mehr als nur ein Rechenmittel, so scheint ihr das Verständnis der gegenwärtigen Geld- und Währungsverhältnisse aber doch grundsätzlich verstellt zu sein: Marx hebt sowohl bei seiner kategorialen Ableitung des Geldes als auch bei seiner (nur rudimentären) Analyse des Kreditsystems die Notwendigkeit der Existenz einer Geldware hervor. Zwar betont Marx, daß diese Geldware auf vielfältige Weise substituiert wird, sodaß sie physisch kaum noch auftauchen muß. Allerdings hält er daran fest, daß das Geldsystem die Geldware als eine Art Anker benötigt. Tatsächlich fungierte im 19. und im frühen 20. Jahrhundert das Gold als Geldware. Im Währungssystem von Bretton Woods, das nach dem Zweiten Weltkrieg als internationale Währungsordnung der kapitalistischen Länder eingerichtet wurde, spielte das Gold diese Rolle zwar noch immer formell (über die Goldbindung des amerikanischen Dollars, der seinerseits die Rolle des Weltgeldes einnahm), doch nicht mehr reell. Faktisch spielte die Goldbindung keine Rolle mehr, und mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems Anfang der 70er Jahre wurde sie auch formell beseitigt. Im gegenwärtigen Geld- und Währungssystem existiert keine Geldware mehr, auch nicht als stillschweigender Bezugspunkt. Wäre die Marxsche Geldtheorie tatsächlich an die Existenz einer Geldware gebunden, dann würde sie nicht Geld im Kapitalismus, sondern lediglich Geld in einer bestimmten Phase des Kapitalismus analysieren. Allerdings läßt sich zeigen, daß (auch entgegen Marx’ eigener Auffassung) die Wertformanalyse keineswegs dazu führt, daß die Existenz einer Geldware unterstellt werden muß, die Wertformanalyse kann daher auch für die gegenwärtigen Verhältnisse Gültigkeit beanspruchen.

Mit dem Verhältnis von Ware und Geld wird nur die abstrakte Oberfläche des kapitalistischen Reproduktionszusammenhangs in den Blick genommen. Die Waren sind jedoch (in ihrer großen Mehrheit) kapitalistisch produziert, und das Geld nimmt (zum größten Teil) die Form des Geldkapitals an, welches vermittelt über das Kreditsystem in die Hände der fungierenden Kapitalisten kommt. So wie die Wertformanalyse deutlich macht, daß Wert und Geld sich eben nicht auf getrennte Sphären reduzieren lassen, zeigt die Analyse des kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozesses, daß sich keine „reale“ kapitalistische Produktion von einem bloßen „Kreditüberbau“ trennen läßt. Das Finanzsystem ist das eigentliche Steuerungszentrum des kapitalistischen Reproduktionszusammenhangs (nicht im Sinne bewußter Steuerung durch einzelne Finanzmagnaten, sondern einer strukturellen Determinierung). [2]

Die Verschuldung der Unternehmen, schnell steigende Aktienkurse, scharfe Bewegungen der Zinsrate etc. sind an sich noch keine Anzeichen dafür, daß der Kapitalismus rein ökonomisch (also nach seinen eigenen Kriterien) aus dem Ruder laufen würde — wie es die Rede vom „Kasinokapitalismus“ häufig suggeriert. Auch größere Crashs an Aktien- und Devisenmärkten sind keineswegs Vorboten eines endgültigen „Zusammenbruchs“ (von was auch immer — wie ein endgültiger Zusammenbruch des Kapitalismus eigentlich aussehen soll, darüber schweigen sich dessen Propheten aus). Sie sind vielmehr die „normale“ Durchsetzung des einzigen Zwecks kapitalistischer Produktion: eine höchstmögliche Verwertung des eingesetzten Kapitals zu erreichen. Daß dieser „normale“ Durchsetzungsprozeß „krisenhaft“ vonstatten geht, daß er mit der Verarmung von ganzen Bevölkerungsteilen oder der Verelendung ganzer Regionen erkauft wird, heißt nicht, daß sein Zweck (Profitmaximierung) verfehlt wurde, es zeigt nur, daß dieser Zweck im Konfliktfall keinen anderen neben sich duldet.

Das Kapital im Kasino?

Die Rede vom „Kasinokapitalismus“ hat aber, insofern sie auf die veränderte Rolle der internationalen Finanzmärkte in den 80er und 90er Jahren hinweist, auch einen realen Kern. Noch bis in die 70er Jahre hinein bildeten die nationalstaatlichen Grenzen (genauer gesagt die Grenzen des Währungsraumes, die normalerweise mit den staatlichen Grenzen zusammenfielen) auch wichtige ökonomische Grenzen für die jeweiligen Kapitale: nicht daß es keine Kapitalbewegungen über diese Grenzen hinweg gegeben hätte, aber sowohl die Bildung einer allgemeinen Zinsrate, zu der sich die Kapitale mit Krediten versorgen konnten, als auch die Bildung der Durchschnittsprofitrate, die für die individuellen Kapitale die Orientierungsmarke ihrer eigenen Verwertung abgibt, erfolgte im wesentlichen innerhalb der Nationalstaaten (zumindest sofern es sich um entwickelte kapitalistische Länder handelte). Nach dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods und der politisch durchgesetzten Deregulierung der internationalen Finanzmärkte kam es in den 70er und 80er Jahren zur Entstehung eines „monetären Weltmarkts“: fixe Wechselkurse als Schranken zwischen unterschiedlichen Wirtschaftsräumen und Begrenzungen internationaler Kapitalbewegungen gab es immer weniger, sodaß auch die Zinsbildung immer stärker internationalisiert wurde. Die enorme Verbilligung von Transport und Kommunikation ließ darüber hinaus eine weltweite Disposition über Produktionsstandorte, Zulieferungen und Absatzmärkte zu. Es begann sich ein „globales“ kapitalistisches System herauszubilden, für das nationale Grenzen eine immer geringer werdende Bedeutung haben und das zunehmend von den internationalen Finanzmärkten gesteuert wird.

Mit dem Zusammenbruch der „staatssozialistischen“ Systeme Osteuropas konnte der Kapitalismus dann nicht nur die letzten geographischen Schranken überwinden, mit dem Ost-West Gegensatz entfiel auch die Notwendigkeit, die Konflikte zwischen den kapitalistischen Hauptländern moderat zu halten oder einigen Ländern der sogenannten Dritten Welt im Austausch gegen politisches Wohlverhalten (sprich Westorientierung) ökonomische Zugeständnisse zu machen (Zugeständnisse, die unter anderem den Aufstieg der ostasiatischen „Tiger“ begünstigten und die nun weggefallen sind). Dementsprechend verschärfte sich in den 90er Jahren nicht nur die Tonlage zwischen den großen kapitalistischen Blöcken, in den Bürgerkriegen Afrikas wurden auch schon mal unterschiedliche Seiten unterstützt. Solche Konflikte konnten bisher allerdings weder die grundsätzliche Hegemonie der USA in Frage stellen noch verhinderten sie die gemeinsame Kriegführung gegen unliebsame Dritte wie 1991 im Irak oder 1999 im Kosovo.

Mit dem sich in den 90er Jahren herausbildenden „globalen Konkurrenzkapitalismus“ ist zwar eine neue Phase kapitalistischer Entwicklung eingeläutet, allerdings liegt sie nicht jenseits der analytischen Reichweite der Marxschen Theorie. Gegenstand des Marxschen Kapital ist nicht der zeitgenössische englische Kapitalismus, es geht vielmehr um die Grundstrukturen des Kapitalismus schlechthin. Dazu mußte Marx Verhältnisse unterstellen, die im 19. Jahrhundert allenfalls ansatzweise vorhanden waren. Zwei ganz zentrale Unterstellungen wurden erst im 20. Jahrhundert praktisch wahr. Die Dominanz der Produktion des „relativen Mehrwerts“ (d.h. Steigerung des Mehrwerts nicht durch Verlängerung der Arbeitszeit, sondern durch Verbilligung der Ware Arbeitskraft aufgrund von Produktivkraftsteigerung in der Produktion der Konsumgüter) konnte sich erst während der Blütezeit des „Fordismus“ nach dem 2. Weltkrieg voll entfalten, als die Konsumsphäre nahezu vollständig durchkapitalisiert wurde. Marx’ andere zentrale Unterstellung, daß der Kapitalismus als Weltsystem existiert, für das nationale Grenzen nur noch eine untergeordnete Bedeutung haben, ist gerade erst im Moment dabei, sich zu realisieren.

Der entstehende „globale Konkurrenzkapitalismus“, der nicht mehr viel mit dem „Wirtschaftswunderkapitalismus“ der 50er und 60er Jahre zu tun haben wird, erfordert auf seiten der Banken und Unternehmen „global players“ in einer ganz anderen Größenordnung als früher. Daher finden Unternehmensübernahmen und Fusionen, die noch in den 80er Jahren vor allem spekulativen Zielen dienten (das übernommene Unternehmen wurde ausgeschlachtet und in Teilen weiterverkauft) oder Folge des bevorstehenden Bankrotts einer der Firmen waren, heute auch zwischen Unternehmen statt, die schon vor der Fusion höchste Profite abgeworfen haben (wie z.B. Daimler/Chrysler oder Vodafone/Mannesmann).

Finanzkapital in der Globalisierung

In diesem globalen Konkurrenzkapitalismus ändert sich auch die Funktionsweise des Finanzsystems. Die stürmische Entwicklung der Finanzmärkte in den 90er Jahren ist nicht nur Ergebnis einer spekulativen Überhitzung, sie ist vor allem Ausdruck eines grundsätzlichen Strukturwandels. Immer häufiger finanzieren sich Unternehmen nicht mehr mit Krediten ihrer „Hausbank“, sondern direkt an den Finanzmärkten, indem sie entweder selbst Anleihen auflegen, zusätzliche Aktien ausgeben oder ganze Unternehmensbereiche ausgliedern und als selbständige Tochterunternehmen an die Börse bringen. Auch neu gegründete Unternehmen gehen relativ schnell an die Börse. Im Unterschied zum Bankkredit, für den regelmäßig Zins und Tilgung fällig ist, muß das durch die Ausgabe von Aktien eingenommene Kapital nie wieder zurückgezahlt werden. Zugleich ändert sich das Sparverhalten in den entwickelten (zunehmend auch in den weniger entwickelten Ländern). Die Ersparnisse werden nicht mehr zu niedrigen Zinsen auf Sparkonten angelegt, sondern direkt in Aktien oder Investmentfonds (letztere erlauben auch dem Kleinanleger, auf jedem beliebigen Markt der Welt zu investieren). Da im Zuge der „Globalisierung“ auch die sozialen Sicherungssysteme abgebaut werden und die Zeiten des sozial einigermaßen abgefederten „Wirtschaftswunderkapitalismus“ unwiderruflich der Vergangenheit angehören, sodaß die gesetzliche Rentenversicherung in Zukunft allenfalls noch eine Grundsicherung bereitstellen wird, sind Arbeiter und Arbeiterinnen im Alter wieder zunehmend auf eigene Ersparnisse angewiesen.

Die Aktien- und Anleihemärkte werden nicht nur für die Unternehmen immer wichtiger, sondern auch für einen großen Teil der lohnabhängigen Bevölkerung. Damit einher geht zum einen eine verstärkte soziale Spaltung (der Erfolg der Unternehmen und damit auch die mögliche Höhe der von ihnen gezahlten Löhne differiert extrem, auch der „Anlageerfolg“ der Kleinanleger kann sehr unterschiedlich ausfallen, und schließlich wird auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern diejenige Gruppe immer größer, die überhaupt keine Chance auf einen höher entlohnten Job oder eine Anlage an den Kapitalmärkten hat). Zum anderen bringt die Dominanz der Finanzmärkte neue Verhaltensorientierungen hervor. Für die Unternehmen ist es nicht nur wichtig, einen im nationalen Rahmen „normalen“ Gewinn zu erwirtschaften, sondern einen Gewinn, der mit den internationalen „Benchmarks“ mithalten kann und auch die Aussicht auf künftige Steigerung bietet, sodaß er einen steigenden Aktienkurs, den „Shareholdervalue“ garantiert. Für die zunehmende Zahl von Kleinanlegern, deren Rente an die Entwicklung der Aktienmärkte gekoppelt ist, wird eine rigide, gewinnorientierte Unternehmenspolitik wichtiger als die Orientierung an kollektiven Sicherungssystemen und solidarischen Organisationsformen. Am Horizont taucht damit eine Gesellschaft auf, wo nicht nur die kapitalistischen Unternehmen ihre Profitmaximierungsstrategien noch weit aggressiver verfolgen als bisher, sondern wo aus Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich früher einmal in Gewerkschaften und sozialistischen oder kommunistischen Parteien zusammengeschlossen hatten, um dem Kapital zumindest einen gewissen Widerstand entgegenzusetzen, zunehmend Unternehmer in Sachen Verkauf eigener Arbeitskraft und Anleger in Sachen eigener Ersparnisse und Alterssicherung werden. Die Ausgebeuteten vertreten nun die kapitalistische Logik der Profitmaximierung aus scheinbarem Eigeninteresse. Dieses Verhalten wird zwar nur für eine Minderheit ökonomisch Sinn machen, deren Grenzen sind aber fließend. Auf- und Abstiege sind möglich, sodaß sich durchaus eine Mehrheit der Beschäftigten Hoffnungen machen wird, irgendwann doch einmal zu dieser bessergestellten Minderheit zu gehören.

Schlechte Aussichten

Für eine antikapitalistische Linke werden die Zeiten noch ungemütlicher werden, als sie es sowieso schon sind. Der neue „globale Konkurrenzkapitalismus“ wird sich wesentlich ungehemmter entwickeln als in den vergangenen Jahrzehnten, es wird zu größeren sozialen Spaltungen kommen (sowohl innerhalb der entwickelten Länder, wo „erste“ und „dritte“ Welt ganz nah zusammenrücken, was schon heute nicht nur in New York oder Los Angeles zu besichtigen ist) und wahrscheinlich auch zu häufigeren und schärferen Krisen führen, die mit Verelendungstendenzen einhergehen, welche ganze Regionen betreffen und von der weiteren Entwicklung abkoppeln können, während anderswo der Reichtum immer schneller akkumuliert. Daraus aber auf die Entstehung einer stärkeren antikapitalistischen Bewegung zu schließen, wäre überaus voreilig, denn, wie gerade angedeutet, ist bei den besser bezahlten Schichten der Arbeiterklasse, bei den Kernbelegschaften der Global Players oder den hochqualifizierten Experten der wachsenden Internetökonomie eher mit zunehmender Entsoldarisierung und einer Internalisierung der Profitlogik als einem quasi-natürlichen Sachzwang zu rechnen. Die „rot-grüne“ Variante einer Modernisierung des Kapitalismus, eines „intelligenten“ Fitmachens des nationalen Standorts für die Weltmarktkonkurrenz (statt einer Kahlschlagpolitik à la Reagan und Thatcher), scheint für diese Schichten die plausibelste politische Option zu sein. In den meisten EU-Ländern wird bereits von solchen Parteien die Regierung gestellt; die Clinton-Administration stellt gewissermaßen das US-amerikanische Pendant dazu dar.

Für die übrigen Teile der Arbeiterklasse bleibt die (für Einzelne auch nicht völlig aussichtslose) Hoffnung des Aufstiegs oder aber ein Leben, das zunehmend an der Armutsgrenze geführt wird (beziehungsweise das vom Abrutschen an diese Grenze bedroht wird) und das entweder politische Apathie oder ziellose Wut und jede Menge rechtsextremer und rassistischer Ressentiments hervorbringt.

[1Dieser „monetäre“ Charakter der Marxschen Werttheorie wurde der Sache nach bereits in den 20er Jahren von dem russischen Ökonomen Rubin angedeutet (Rubin wurde ein frühes Opfer der Stalinschen „Säuberungen“; seine Texte wurden erst in den 70er Jahren übersetzt, I. I. Rubin: Studien zur Marxschen Werttheorie. Frankfurt/M. 1973). Seit Ende der 60er Jahre arbeitete vor allem Hans-Georg Backhaus den monetären Charakter der Marxschen Werttheorie und ihren, die Grenzen der „Fachökonomie“ sprengenden, kritischen Gehalt heraus (seine Aufsätze sind gesammelt in: Hans-Georg Backhaus: Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik. Freiburg 1997).

[2Dieser Zusammenhang ist bei Marx zwar ein durchgehendes Thema seit den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie von 1857/58, wird aber trotzdem nur rudimentär entwickelt, wobei sich Marx’ Festhalten an der Geldware noch als zusätzliches Erkenntnishindernis erweist. Daß die Wertformanalyse auf die Geldware verzichten kann, habe ich in Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution klassischer Tradition. 2. erw. Aufl., Münster 1999, in Kapitel 6.3-6.4 zu begründen versucht, zur Funktionsweise des Kreditsystems vgl. ebd., Kapitel 7.3.

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