Für eine Handvoll Dollar ...
Die jüngsten Kampfhandlungen im Irak eskalierten nach der Ermordung von vier US-Amerikanern in Faluja. Die ca. 300.000 EinwohnerInnen zählenden Kleinstadt westlich von Bagdad, die bereits traditionell als Hochburg des Ba’thismus galt, macht sich seither als Hochburg des ba’thistischen und radikalislamistischen Terrors im Irak einen Namen. Dabei werden die Anschläge, an denen auch arabische Mujaheddin beteiligt sind, mit barer Münze bezahlt.
Drei bisher unbekannte Personen ermordeten am 31. März in Faluja vier US-Amerikaner, die bei einem privaten Sicherheitsdienst beschäftigt waren. Lokale Rowdies, die sich vor allem aus Bauarbeitern aus der Stadt Faluja zusammensetzten, schändeten daraufhin die Leichen, deren Bilder um die Welt gingen.
Hinter dem Anschlag auf die vier Amerikaner stand jedoch Muhammed Hussein al-Zubai, der lokale Vertreter der Irakischen Islamischen Partei (Hizb al-islami al-Iraqi), dessen Sohn Abdel ad-Dim zugleich als Lokalreporter der TV-Station al-Jezira in Faluja fungiert. Dessen Bruder, ein anderer Sohn Muhammed Hussein al-Zubais, ging vor dem Angriff auf die vier US-Amerikaner zu den Geschäftsleuten in Faluja und forderte sie auf, ihre Geschäfte zu schließen, da heute ein großer Racheakt für die Ermordung Sheikh Yassins durchgeführt werden solle.
Eine wichtige Rolle beim Aufstand in Faluja spielt jedoch auch die Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak, die die radikalislamistischen Untergrundgruppen mit Geld und Waffen unterstützt und die sunnitische Bevölkerung offen zu Gewalttaten gegen die Besatzungsmächte, die irakischen Autoritäten und ausländische Hilfsorganisationen aufhetzt. Deren Vorsitzender, Harith al-Dhari, ist zugleich Oberhaupt der Stammesföderation der al-Zauba, die Faluja und die Umgebung der Stadt dominieren. Einer seiner Söhne fungiert als Vermittler zu den terroristischen Untergrundgruppen und führt die Verteilung von Geldern und Waffen durch.
Diese Gruppen, die die Anschläge im Irak durchführen, bestehen aus Mitgliedern der Pedajin Saddam, der Republikanischen Garden und der Geheimdienste des alten Ba’th-Regimes, sowie einiger sunnitisch-islamistischer Gruppen. Unter diesen befinden sich Sympathisanten der Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak, Teile der Irakischen Islamischen Partei, Wahabiten unter der Führung des Sheikhs der Abdullah al-Ganabi-Moschee, arabische Mujaheddin sowie Aktivisten der al-Qaida.
Als wichtigste lokale Führer dieser Gruppen fungieren Ayad Khalaf al-Isawi, ein ehemals hoher Militär und Leibwächter Saddam Husseins, Ayyad Tariq, der ebenfalls als hoher Militär zugleich als stellvertretender Geheimdienstchef der Stadt al-Ammara fungierte, und Sayed Khalaf, der bis zum Sturz Saddam Husseins als Chef des Geheimdienstes des Bezirks al-Sha’la in Bagdad arbeitete.
Innerhalb Falujas kommen die Aktivisten der radikalislamistischen und ba’thistischen Gruppen vor allem aus den Bezirken al-Golan, Shuhada, al-Askari und Al-Sinaa. Al-Golan galt bereits unter Saddam Hussein als gefährlicher Bezirk, in dem eine Reihe krimineller Banden die Straßen kontrollierten. Illegaler Waffenhandel, Überfälle und Drogenhandel sind dort tägliche Routine. In diesem Bezirk existierten auch nach dem Sturz Saddam Husseins keine politischen Organisationen. Nach dem Sturz des Ba’th-Regimes agitierten dort Wahabiten die (ehemaligen) Kriminellen an, die seither als Mujaheddin in den Jihad ziehen. Dabei werden die terroristischen Angriffe dieser Gruppen mit barer Münze bezahlt. Jede geworfene Granate, jede Autobombe oder Mine hat ihren Preis. Ein Angriff mit einer Kanone wird etwa mit 200 US-Dollar bezahlt. Zu den irakischen Gruppierungen kommen noch arabische Freiwillige aus Syrien, Tunesien, Jemen, Jordanien, Palästina und Saudi-Arabien. Wie wichtig der Stützpunkt Faluja dabei für diese Gruppierungen ist, zeigt die Tatsache, dass während der Belagerung und Abriegelung Falujas durch die US-Armee die Anschläge in anderen Teilen des Irak deutlich zurückgingen.
Aber nicht nur die bezahlten Kämpfer leisten ihren Beitrag zu den derzeitigen Angriffen. Der Chef des auch mit westlichen Geldern unterstützten lokalen Krankenhauses Dr. Rafa’ al-Isawi, verarztet gratis die verletzten Kämpfer des selbsternannten „Widerstandes“. Harith al-Dhari von der Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak verkündigt beim Freitagsgebet seine Solidarität und Unterstützung für alle Formen des „Widerstands“ im Irak. Harith al-Dhari ist jedoch ein in anderen arabischen Staaten angesehener Mann. Erst vor einigen Monaten reiste er nach Kairo, um dort mit Amru Musa, den Generalsekretär der Arabischen Liga zu treffen, der al-Dhari zur Fortsetzung des „Widerstands“ im Irak aufforderte. Die Stadt Faluja erhält dabei auch finanzielle Unterstützung aus anderen Staaten, insbesondere aus Saudi-Arabien.
Die Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak scheint auch direkt in die Entführung ausländischer Geiseln im Irak verwickelt zu sein. Alle Informationen über die Geiselnehmer stammen bisher von dieser Organisation. Die Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak übernimmt auch regelmäßig Vermittlungsaufgaben bei der Freilassung westlicher Geiseln. Die Vereinigung unterhält mittlerweile mit dem Irakischen Patriotischen Militär (gaish al-iraq al-watani) eigene bewaffnete Kräfte, die die Unterstützung hoher Generäle aus Syrien und Jordanien genießen. Dabei scheint es auch nicht an Geld zu mangeln. Die Angehörigen des gaish al-iraq al-watani erhalten einen monatlichen Sold.
In den letzten Wochen konnten die islamistischen Gruppen in der Stadt neben den arabischen Freiwilligen auch immer mehr irakische Kämpfer gewinnen. Diese verüben selbst zwar keine Selbstmordanschläge, unterstützen diese jedoch direkt und arbeiten mit den Suizidattentätern zusammen. Um die Stadt Faluja zu entlasten, wurden einige Kämpfer aus Faluja nach Bagdad eingeschleust um dort wieder Anschläge zu verüben. Dazu gesellten sich auch noch Angehörige der Miliz des extremistischen schiitischen Islamisten Muqtada al-Sadr, der Armee des Mahdi (Gaish al-Mahdi), die auch an den Kämpfen in Faluja teilnahmen, mit denen sich umgekehrt aber wiederum die islamistischen Kämpfer in Faluja solidarisierten.
In einem Flugblatt, das Ende April in einem schiitischen Viertel in Bagdad verteilt wurde, erklärten die Aufständischen aus Faluja: „Wir, eure Brüder aus der Provinz Al-Anbar und der Stadt Faluja, richten diesen Aufruf an euch und erklären, dass wir euch unter der Fahne ‚Gott ist Groß‘ und zur Förderung des Islam und der Muslime gegen die Heiden, Besatzer, Eroberer und habgierige unreine Juden unterstützen, die den reinen Boden und die heiligen Städte verunreinigt haben. Wir stehen hinter Herrn Muqtada El-Sadr und verfolgen seine Aktivitäten mit Aufmerksamkeit aufgrund seiner Haltung betreffend die Befreiung des Irak von den aggressiven Heiden, die unsere Alten, Wissenschafter und religiösen Gelehrten angegriffen haben. Wir alle erklären unsere Bereitschaft zur Befreiung der Heimat, Förderung und Erweiterung der Religion Gottes auf der ganzen Welt. Wir unterstützen Sie in ihrem Gihad, im Krieg gegen die Ungläubigen als religiöse Pflicht, und führen, welche Mittel Sie auch immer für diesen Krieg geeignet finden, aus.“
Diese Stellungnahme zeigt nicht nur die Unterstützung, die Muqtada al-Sadr mittlerweile von (ehemaligen) Ba’thisten und sunnitischen Extremisten aus Faluja erhält, sondern auch die ideologischen Feindbilder der militanten Gruppen aus Faluja: „Heiden, Besatzer, Eroberer und habgierige unreine Juden“.
Auch Ba’thisten, die nach dem Sturz des Ba’th-Regimes verschwunden waren und nichts mehr mit dem Ba’thismus zu tun haben wollten, treten heute wieder öffentlich und bewaffnet in Erscheinung. Damit versuchen sie sich auch einer strafrechtlichen Verfolgung für ihre über 30 Jahre währenden Verbrechen zu entziehen.
Zu dieser Situation hat auch die Politik der US-Besatzungstruppen beigetragen, die Angehörigen der politischen Parteien der ehemaligen Opposition zu entwaffnen, während die Ba’thisten in Faluja aus Angst vor weiteren Auseinandersetzungen nicht entwaffnet wurden. Diese Nachsicht gegenüber den Ba’thisten wird nicht nur von der irakischen Bevölkerung kritisch hinterfragt, vielmehr rächt sie sich nun, da diese Waffen gegen die Besatzungstruppen selbst zum Einsatz kommen. Dabei rächt sich auch die völlige Auflösung der irakischen Sicherheitskräfte und des Militärs nach dem Sturz Saddam Husseins. Versuche die ehemaligen Ba’thisten und Islamisten in Faluja ein Jahr später mit massivem Einsatz von Waffengewalt und einer vollständigen Belagerung der Stadt zu entwaffnen schlugen nicht nur fehl, sondern trafen primär die Zivilbevölkerung der Stadt. Bei den Kämpfen kamen weit mehr unschuldige Menschen ums Leben als Angehörige dieser bewaffneten Gruppierungen. Nun holen die Besatzungstruppen sogar die ehemaligen ba’thistischen Generäle der ursprünglich aufgelösten Armee zurück und versuchen mit deren Hilfe das Problem in den Griff zu bekommen. Auch Sicht der Opfer des Regimes Saddam Husseins ist diese „Strategie“ mehr als nur unverständlich.